Redebeitrag der Landtagsabgeordneten Elke Herrmann zur
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Redebeitrag der Landtagsabgeordneten Elke Herrmann zur
Redebeitrag der Landtagsabgeordneten Elke Herrmann zur Aktuellen Debatte „Sport und Gewalt vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse“, 75. Sitzung des Sächsischen Landtages, 16. März 2007, TOP 1 Herrmann: Keine Fouls - Fanprojekte sind wichtige Partner zur Eindämmung von Gewalt Es gilt das gesprochene Wort! Sehr geehrter Herr Präsident, Sehr geehrte Damen und Herren, Die verbale Blutgrätsche von Staatskanzleichef Herrmann Winkler im "Dresdner Gespräch" des MDR aus der letzten Woche kann ich nicht unkommentiert lassen. Wem bei diesem heiklen Thema nichts Besseres einfällt, als die Arbeit der Fanprojekte mit Yoga-Kursen zu vergleichen und sie damit letztlich zu diffamieren, der hat keine Ahnung, wovon er spricht. Fanprojekte sind ein wichtiger Partner, wenn wir die Gewalt eindämmen wollen. Herr Winkler, ihr blindes Wüten gegen die Schienbeine der eigenen Mitspieler verdient einen Eintrag in die Datei "Gewalttäter Wort" und die Zahlung von 165.000 EURO in die Mannschaftskasse. Die Ausschreitungen von Leipzig haben eine lange Vorgeschichte. Die zu kennen ist hilfreich, wenn wir ganz gezielt nach Lösungen suchen. Diese Vorgeschichte reicht zurück in die DDR-Oberliga. In einem Lagebericht der Leipziger Stasi aus dem Jahr 1980 heißt es im schönsten Spitzeldeutsch: "In der jüngsten Zeit ist, besonders unter dem negativen Anhang von Fußballmannschaften [...] eine zunehmende Bereitschaft zu erkennen, sich in Gruppen offen provokatorisch über die Normen des sozialistischen Zusammenlebens hinwegzusetzen und sich mit den staatlichen [...] Ordnungskräften zu konfrontieren. Dabei werden Züge zunehmender Brutalisierung sichtbar, die sich [...] in der Ausrüstung mit Schlagwerkzeugen [...] (z.B. mit Ketten, Kabelenden, Messer u. ä.) [...] zeigen." Seit den 70er Jahren hatte sich die Zuschauergewalt in der DDR radikalisiert (fernab der öffentlichen Wahrnehmung). Als Waffen wurden Messer, Zaunslatten oder gar selbstgebaute Morgensterne eingesetzt. Vor allem Vereine mit großen Fanszenen wie der 1. FC Magdeburg, Chemie Leipzig oder Union Berlin hatten in der Masse ein großes Gewaltpotential. Beim Leipziger Vorzeigeclub 1. FC Lokomotive hat sich die Zuschauergewalt anders entwickelt. Der Massenzulauf im Zuge sportlicher, auch internationaler Erfolge drängte gewaltsuchende Jugendliche in kleine, gut organisierte Fanclubs. Mit sehr gezielten Gewaltaktionen bildeten sie seit den 80er Jahren die Keimzelle für eine der größten Hooliganszenen Ostdeutschlands. Und wenn die beiden Leipziger Vereine in sportlicher Hinsicht nach der Wende zu einer beispiellosen und traurigen Berg- und Talfahrt ansetzten, so blieb eins bestehen: in der fußballerisch zweigeteilten Stadt konnte über Jahrzehnte um den Fußball herum eine Subkultur der Gewalt wachsen. Diese Gewalt wurde in und neben der Gesellschaft sesshaft und lebt in Sicherheitsfirmen, Boxclubs und Fitnessstudios weiter. Und sie wurde und wird genährt von der erbitterten Feindschaft zwischen den beiden ähnlich großen Fanszenen des 1. FC Lok Leipzig und des FC Sachsen Leipzig. Doch wie genau kann es passieren, dass jugendliche Fußballfans immer wieder neu in Richtung Gewalt abdriften? Wie verfestigt sich diese Subkultur der Gewalt? Diese Frage haben sich in Leipzig aktive Fans – die man gern pauschal und unterschiedslos als Krawallmacher bezeichnet – selbst gestellt. Anfang März veröffentlichten Sachsen Leipzig-Fans ein Fanmagazin, das sich fast ausschließlich mit Gewalt im Fußball beschäftigt. Und ich möchte hier sie, die in keine Talkshows geladen werden, zu Wort kommen lassen. In dem Fanmagazin gibt es ein Interview mit den Ultras des FC Sachsen Leipzig. Sie schildern dort, welche Erfahrungen junge Fans in der zweigeteilten Stadt machen: "Das Problem ist, man muss sich als Jungscher immer behaupten, vor allem in dieser Stadt. Entweder man ist Lok- oder Chemiefan. Das fängt früh an, wenn zum Beispiel ein Loki einem das erste Mal einen Button klaut, dann muss man sich dagegen wehren oder sich eben jedes Mal eine auf’s Maul hauen lassen." Hier drängt sich die Frage auf, wie man damit umgeht, dass die Erfahrung von Gewalt so alltäglich ist. Und das in einer Stadt, wo man sich nicht so einfach aus dem Weg gehen kann: Überlässt man die weitere Entwicklung der "Fankarriere" den Gruppendynamiken einer Fußballkurve oder beginnt man, frühzeitig einzugreifen? Doch wie sehen diese Gruppendynamiken konkret aus? Ich zitiere weiter aus dem Interview: "Man fängt jung an und will sich dann Respekt verschaffen. Und da ist es mit 14 oder 16 eben cool, wenn man da jemanden umhaut und ihm den Schal klaut." Gewalt wird in solchen Gruppenprozessen zur – vielleicht einzigen – Quelle von Anerkennung und Intensivtäter zu angesehenen Vorbildern. Und das ist kein Problem des Fußballs, das ist ein Problem der Gesellschaft. Der Gießener Gewaltforscher Ferdinand Sutterlüty bezeichnet diese Entwicklung als Gewaltkarriere. Ich zitiere: Die Jugendlichen "erfahren den Triumph der [körperlichen] Überlegenheit und machen die berauschende Erfahrung der Verfügungsmacht über andere. Der Rollentausch vom Opfer zum Täter ist für sie eine epiphanische Erfahrung: Es teilt sich ihnen schlagartig die befreiende Möglichkeit eines neuen Selbstverständnisses mit. Solche Erlebnisse beschreiben sie rückblickend als biografische Wendepunkte." An diesen Wendepunkten, wo in unserem Fall aus einer Fankarriere eine Gewaltkarriere wird, muss die Arbeit von Fanprojekten ansetzen. Und eben nicht mit Joga-Kursen, wie es Herr Winkler den Fanprojekten so zynisch und populistisch unterstellt. Wie das konkret aussehen kann, möchte ich an 2 Beispielen zeigen. 1. Das U-16 Projekt des Fanprojektes Dresden zielt genau auf die nachwachsenden Fangenerationen. Es überlässt die unter 16jährigen gerade nicht den Eigendynamiken der Fanszene, sondern ermöglicht andere, positive Erfahrungen. So werden U-16-Fahrten zu den Auswärtsspielen angeboten – mit eigenen Bussen, ohne Rauchen und ohne Alkohol. Anerkennung bekommen die Kinder und Jugendlichen hier ganz ohne die cliquentypischen Mutproben für Einsteiger. Das ist unsere große Chance, der positive Einfluss auf die aktiven Fans von morgen. 2. Das Schulprojekt "Dynamo macht Schule" des Fanprojektes zielt mit seinen Angeboten der Gewaltprävention auf die große Gruppe der Mitläufer, die – auch das ist in Leipzig deutlich geworden – zu einem großen Problem werden können. In diesen Schulstunden lernen die Jugendlichen, Konflikte im Alltag ohne Gewalt zu lösen und mit ihrer Aggressionen und ihrer Wut konstruktiv umzugehen. Diese schwierige und wichtige Arbeit der Fanprojekte verbietet Fouls Herr Winkler! Sie braucht im Gegenteil unsere Unterstützung und unsere Wertschätzung. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.