Fall 17 Lösung - Juristische Fakultät

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Fall 17 Lösung - Juristische Fakultät
PROPÄDEUTISCHE Ü BUN GEN ZUM GRU NDKURS ZIVILRECHT I
WINTERSEMESTER 2014/15
JURISTISCHE FAKULTÄT
LEHRSTUHL FÜR BÜR GERLICH ES RECHT, INTERNATIONALES
PRIVATRECHT UND RECHTSVE RGLEICHUNG
PROF. DR . STEPHAN LORENZ
F ALL 17 – L ÖSUNG
D IE M IETWOHNUNGEN
A.
Anspruch der F gegen M auf Zahlung der Miete für Dezember aus
Mietvertrag i.V.m. § 535 Abs. 2 BGB ....................................................... 2
I.
Anspruch entstanden ..................................................................... 2
1.
Einigung .................................................................................... 2
2.
Rechtshindernde Einwendungen – Wirksamkeitshindernisse ......... 3
3.
Zwischenergebnis ....................................................................... 3
II.
Anspruch erloschen gem. § 142 Abs. 1 BGB ................................. 4
1.
Anfechtungsgrund ...................................................................... 4
a)
Objektiver Tatbestand .............................................................. 4
aa)
Drohung ............................................................................ 4
bb)
Kausalität zwischen Drohung und Erklärung ....................... 5
cc)
Widerrechtlichkeit der Drohung ......................................... 5
b)
Subjektiver Tatbestand ......................................................... 6
c)
Zwischenergebnis .................................................................... 6
2.
Anfechtungserklärung ................................................................. 6
a)
Inhalt ...................................................................................... 6
b)
Adressat ............................................................................... 6
c)
Zwischenergebnis .................................................................... 6
3.
Anfechtungsfrist ......................................................................... 6
4.
Zwischenergebnis ....................................................................... 7
III.
Ergebnis .................................................................................... 7
B.
Anspruch des K gegen S auf Zahlung der Miete für Dezember aus
Mietvertrag i.V.m. § 535 Abs. 2 BGB ....................................................... 8
I.
Anspruch entstanden ..................................................................... 8
II.
Anspruch erloschen .................................................................... 8
1.
Erlöschen ex tunc gem. § 142 Abs. 1 BGB .................................... 8
a)
b)
Anfechtungserklärung .............................................................. 8
aa)
Inhalt ................................................................................ 8
bb)
Adressat ............................................................................ 9
cc)
Zwischenergebnis .............................................................. 9
Anfechtungsgrund ................................................................ 9
VERONIKA EICHHORN
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FALL 17 – LÖSUN G
§ 119 Abs. 1 BGB .............................................................. 9
bb)
§ 119 Abs. 2 BGB .............................................................. 9
cc)
Zwischenergebnis .............................................................. 9
c)
Anfechtungsfrist .................................................................... 10
d)
Zwischenergebnis ............................................................... 10
2.
3.
aa)
Erlöschen ex nunc durch Kündigung ......................................... 10
a)
Kündigungsrecht ................................................................... 10
b)
Kündigungserklärung.......................................................... 10
aa)
Inhalt und Adressat ......................................................... 10
bb)
Form ............................................................................... 10
c)
Kündigungsfrist ..................................................................... 11
d)
Zwischenergebnis ............................................................... 11
Zwischenergebnis ..................................................................... 11
III.
Einrede des § 320 Abs. 1 BGB ................................................... 11
IV.
Ergebnis .................................................................................. 11
Eine Kenntnis der Besonderheiten des Mietrechts ist zum derzeitigen Stand nicht
von Ihnen zu erwarten. Die Einbettung des Falles soll lediglich den Blick auf andere mögliche Beendigungstatbestände lenken.
A. Anspruch der F gegen M auf Zahlung der Miete für Dezember aus
Mietvertrag i.V.m. § 535 Abs. 2 BGB
F könnte gegen M einen Anspruch auf Zahlung der Miete für Dezember
haben. Ein solcher könnte sich aus Mietvertrag i.V.m. § 535 Abs. 2 BGB
ergeben.
Voraussetzung hierfür ist, dass zwischen F und M ein Mietvertrag i.S.d.
§ 535 BGB über eine Wohnung im Mietshaus der Freya wirksam zustande gekommen, der Anspruch nicht erloschen ist und keine Einreden
dessen Durchsetzbarkeit entgegenstehen.
I. Anspruch entstanden
Zunächst müsste ein wirksamer Mietvertrag (§ 535 BGB) über die
Wohnung zustande gekommen sein.
1. Einigung
Ein Mietvertrag kommt durch eine Einigung zustande, die hier in
Form zweier auf Abschluss eines Mietvertrages gerichteter, übereinstimmender und wirksamer Willenserklärungen (Angebot und
Annahme, vgl. §§ 145, 147 BGB) möglicherweise vorliegt. Die
Willenserklärungen müssen dabei die essentialia negotii eines
Mietvertrages – Parteien, Mietgegenstand, Mietzins, Mietdauer –
enthalten.
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FALL 17 – LÖSUN G
F und M haben am 1. September schriftlich ein Mietverhältnis
zwischen ihnen dokumentiert. Dabei ist davon auszugehen, dass
eine Einigung über die essentialia negotii enthalten ist.
Dass M den Mietvertrag nur unterzeichnet hat, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren – wie ihr Ansgar (A) bei Nichtunterzeichnung in Aussicht gestellt hat – ändert nichts daran, dass sich M
der F gegenüber rechtlich binden wollte. 1 Auch findet der innere
Vorbehalt der M – ihr Kündigungsrecht in den ersten fünf Jahren
nicht auszuüben – keinen Ausdruck (§§ 133, 157 BGB). Der Inhalt
ihrer diesbezüglichen Erklärungen war M und F bewusst und somit von beiden Parteien beabsichtigt. Die verkörperten Willenserklärungen wurden jeweils abgegeben und sind der anderen jeweils zugegangen.
Die Schriftform des § 550 S. 1 BGB ist gewahrt. Im Übrigen
ergibt sich schon aus dem Vertragsinhalt, dass der Mietvertrag
für unbestimmte Zeit gelten soll.
Nota bene: § 550 S. 1 BGB verdrängt als lex specialis § 125 S. 1 BGB. Rechtsfolge eines Formmangels ist somit nicht die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, sondern
die gesetzliche Fiktion, dass ein befristeter Wohnraummietvertrag für längere Zeit
als ein Jahr als für unbestimmte Zeit geschlossen gilt. Diese Rechtsfolge hat Einfluss auf den Vertragsinhalt – somit die Einigung – und sollte daher an dieser Stelle verortet werden. Eine Verortung als rechtshindernde Einwendung ist nur vertretbar, um den Vorrang zu § 125 S. 1 BGB herauszustellen.
F und M haben sich somit geeinigt und Mietvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen.
Die Miete ist laut Mietvertrag spätestens bis zum dritten Werktag
eines Monats (vgl. auch § 556b Abs. 1 BGB) zu entrichten. Damit
war die Miete bereits fällig.
2. Rechtshindernde Einwendungen – Wirksamkeitshindernisse
Dem Vertrag dürfen keine rechtshindernden Einwendungen entgegenstehen. In Betracht kommt hier wegen der Drohung des A
eine Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts wegen Verstoßes gegen die
guten Sitten gem. § 138 Abs. 1 BGB. Aus der Existenz des § 123
Abs. 1 Alt. 2 BGB folgt jedoch, dass der Fall der infolge einer
Drohung abgegebenen Willenserklärung alleine zur Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts führen soll, welche ein Gestaltungsrecht
ist, und nicht zu einer Nichtigkeit ipso iure.
3. Zwischenergebnis
M und F haben einen wirksamen Mietvertrag geschlossen. Der
Anspruch auf Zahlung der Miete ist somit entstanden.
1
Somit liegt kein Fall des § 116 S. 1 BGB vor.
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II. Anspruch erloschen gem. § 142 Abs. 1 BGB
Aufbauhinweis: Die Anfechtung kann im Aufbau entweder bei der angefochtenen
Willenserklärung selbst, oder – wie hier – nach Feststellung des Zustandekommens eines Vertrags als rechtsvernichtende Einwendung geprüft werden. Beides
führt zum selben Ergebnis und ist logisch vertretbar.
Für den hier gewählten Aufbau spricht Folgendes: Einerseits spricht der Wortlaut
des Gesetzes nicht von der Anfechtung einer Willenserklärung, sondern eines
Rechtsgeschäfts. Weiterhin wirkt die Anfechtung durch die Gestaltungserklärung
zwar ex tunc, jedoch ist bis zu dieser Erklärung ein wirksamer Vertrag vorhanden.
Weiter würde die Einordnung als rechtshindernde Einwendung bei der jeweiligen
Willenserklärung zu einer sehr verschachtelten Prüfung führen.
Wie immer gilt jedoch, Sie können den von Ihnen präferierten Aufbau wählen. Beachten Sie aber stets: Der Aufbau ist nie zu begründen!
Der Vertrag könnte jedoch gem. § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an
nichtig anzusehen und damit der Anspruch erloschen sein. Das setzt
eine wirksame Anfechtung des Vertrages, mithin einen Anfechtungsgrund und eine fristgerechte Anfechtungserklärung gegenüber dem
richtigen Anfechtungsgegner voraus.
Aufbauhinweise: zusätzlich zu diesen drei Punkten sind bei Hinweisen im Sachverhalt noch die Zulässigkeit der Anfechtung (Konkurrenzen) und der Ausschluss
der Anfechtung (§ 144 BGB) anzusprechen.
1. Anfechtungsgrund
Als Anfechtungsgrund kommt eine widerrechtliche Drohung nach
§ 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB in Betracht.
a) Objektiver Tatbestand
aa) Drohung
Eine Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen
Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben
vorgibt und es für den Fall der Nichtabgabe der gewünschten Erklärung ankündigt.
Die Androhung des A, die M werde ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn sie den Mietvertrag nicht abschließe, erfüllt
diese Kriterien.
Die Drohung geht vorliegend somit nicht von der Erklärungsempfängerin – der F – aus, sondern von einem Dritten. Es ist möglich, dass F von der Drohung nichts wusste,
somit gutgläubig war. Fraglich ist, ob die Drohung eines
Dritten für die Anfechtbarkeit einer Willenserklärung ausreichend ist.
§ 123 Abs. 1 BGB bezweckt in der Drohungsalternative den
allgemeinen Schutz der rechtsgeschäftlichen Entschließungsfreiheit gegen widerrechtlichen Zwang. Das folgt im
Umkehrschluss aus § 123 Abs. 2 BGB, der nur die Anfechtungsmöglichkeit im Falle der arglistigen Täuschung durch
einen Dritten regelt. Wird der Erklärende von einem Dritten
bedroht, beruht seine Erklärung noch weniger auf dem
freien Willensentschluss des Erklärenden als bei einer
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„bloßen“ Täuschung. Daher ist die Anfechtung wegen Drohung auch dann zulässig, wenn die Drohung von einem
Dritten ausgegangen ist, und auch dann, wenn der Anfechtungsgegner davon weder etwas wusste noch wissen musste. Eine analoge Anwendung des § 123 Abs. 2 BGB auf die
Drohung verbietet sich daher. 2
Folglich liegt eine Drohung i.S.v. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB
vor.
bb) Kausalität zwischen Drohung und Erklärung
Der Erklärende muss durch die Drohung zur Abgabe seiner
Erklärung bestimmt worden sein, vgl. § 123 Abs. 1 BGB; es
muss also ein ursächlicher Zusammenhang bestehen.
M gibt ihre auf Abschluss eines Mietvertrages gerichtet
Willenserklärung nur ab, weil sie befürchtet, dass A andernfalls ihr Arbeitsverhältnis kündigen wird. Die Drohung
des A kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass nicht
auch der Abschluss des Mietvertrags entfiele. Dass M generell auf der Suche nach einer Wohnung ist und irgendwann
einen Mietvertrag abschließen möchte ist, da sie diesen
konkreten Vertrag nicht freiwillig abschließen wollte, unbeachtlich.
cc) Widerrechtlichkeit der Drohung
Des Weiteren muss die Drohung widerrechtlich sein. Die
Widerrechtlichkeit einer Drohung kann sich aus dem mit
ihr erstrebten Zweck, aus dem angedrohten Übel als solchem, d.h. der Drohung als Mittel zum Zweck, oder der
Verknüpfung der Drohung mit dem verfolgten Zweck (Mittel-Zweck-Relation) ergeben.
Der erstrebte Zweck liegt in dem Abschluss eines Mietvertrages der M mit F. Dabei handelt es sich um ein legales
Rechtsgeschäfte. Die bloße Tatsache, dass kein Anspruch
auf Abschluss des Mietvertrages besteht, macht den Zweck
alleine noch nicht rechtswidrig.
Jedoch könnte das angedrohte Mittel, sprich die Kündigung bei Nichtabschluss des Mietvertrages, wiederrechtlich sein. Nach geltendem Recht kann die Kündigung eines
Arbeitsverhältnisses nicht auf den Nichtabschluss eines
Mietvertrages gestützt werden (vgl. §§ 620 ff. BGB i.V.m.
§ 1 KSchG) 3. Folglich hat A mit einem rechtswidrigen Übel
gedroht.
2
3
Zur Drohung durch das Gericht vgl. BAG NZA 2010, 1250.
Die Kenntnis dieser Normen wird zum derzeitigen Stand nicht von Ihnen vorausgesetzt.
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Folglich kommt es auf die Zweck-Mittel-Relation nicht
mehr an.
Die Drohung des A ist somit widerrechtlich.
b) Subjektiver Tatbestand
Der Drohende muss zumindest den bedingten Vorsatz haben,
auf die Willensbildung des Erklärenden einzuwirken, d.h. er
muss sich bewusst sein, dass seine Drohung den Willen des
Erklärenden beeinflussen kann. A wollte M durch die Drohung
ganz bewusst zur Abgabe ihrer Willenserklärung veranlassen.
c) Zwischenergebnis
Der Anfechtungsgrund der widerrechtlichen Drohung liegt somit vor.
2. Anfechtungserklärung 4
M müsste die Anfechtung gegenüber dem Anfechtungsgegner erklärt haben, § 143 Abs. 1 BGB.
a) Inhalt
M hat zwar keine ausdrückliche Anfechtungserklärung abgegeben. Ihre Erklärung gegenüber F, sich wegen des Verhaltens
des A nicht an den Vertrag gebunden zu fühlen, enthält jedoch
eine Erklärung, dass und weshalb sie den Vertrag nicht gelten
lassen wolle. Dabei kommt zum Ausdruck, dass sie den Vertrag
gerade wegen eines Willensmangels nicht gelten lassen wolle.
Die ausdrückliche Verwendung des Wortes „Anfechtung“ ist
nicht erforderlich. Diese von M abgegebene Anfechtungsklärung ist der F auch zugegangen (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB (analog)).
b) Adressat
Richtiger Anfechtungsgegner bei einem Vertrag ist gem. § 143
Abs. 1, 2 BGB der andere Teil. Die Erklärung erfolgte gegenüber F, der Vertragspartnerin der M, mithin gegenüber dem
richtigen Adressaten.
c) Zwischenergebnis
Folglich liegt eine Anfechtungserklärung der M gegenüber dem
richtigen Adressaten vor.
3. Anfechtungsfrist
Die Anfechtungserklärung müsste auch innerhalb der Jahresfrist
des § 124 Abs. 1 BGB erfolgt sein. Da M bereits einen Tag nach
4
Die Anfechtungserklärung (Inhalt) und der Erklärungsadressat können auch auf gleichrangiger Ebene geprüft werden, vgl. den Aufbau Fall 16 A/I/2 und 3.
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Wirksamwerden des Vertrages diesen anficht, ist die Frist gewahrt. 5
Nota bene: Im vorliegenden Fall dauert die Zwangslage der M noch an, da sie
auch bei Kündigung des Vertrages vor Ablauf der fünf Jahre jederzeit mit einer
Kündigung ihres Arbeitsvertrages durch A rechnen müsste. Folglich begann die
Frist gem. § 124 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB noch nicht zu laufen. Zu beachten ist stets
die Höchstfrist in § 124 Abs. 3 BGB.
4. Zwischenergebnis
Der Mietvertrag ist folglich ex tunc unwirksam und damit der Anspruch auf Zahlung der Miete erloschen.
III. Ergebnis
F hat keinen Anspruch gegen M auf Entrichtung der Miete für Dezember.
5
Nachdem die Fristwahrung vorliegend derart offensichtlich ist, müssen Sie nicht in eine detaillierte
Fristberechnung einsteigen. Dies würde ggf. zu einer falschen Schwerpunktsetzung führen.
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B. Anspruch des K gegen S auf Zahlung der Miete für Dezember aus
Mietvertrag i.V.m. § 535 Abs. 2 BGB
K könnte gegen S einen Anspruch auf Zahlung der Miete für Dezember
haben. Ein solcher könnte sich aus Mietvertrag i.V.m. § 535 Abs. 2 BGB
ergeben.
Voraussetzung hierfür ist, dass zwischen K und S ein Mietvertrag i.S.d.
§ 535 BGB über eine Wohnung wirksam zustande gekommen, der Anspruch nicht erloschen ist und keine Einreden dessen Durchsetzbarkeit
entgegenstehen.
I. Anspruch entstanden
K und S haben sich über die Vermietung der Wohnung von K an S
geeinigt. Die nach § 550 S. 1 BGB erforderliche Schriftform wurde
gewahrt. Folglich ist ein wirksamer Mietvertrag über die Wohnung
zustande gekommen. Die Miete ist laut Mietvertrag spätestens bis
zum dritten Werktag eines Monats (vgl. auch § 556b Abs. 1 BGB) zu
entrichten. Damit war die Miete bereits fällig. Der Anspruch auf Zahlung der Miete für Dezember ist damit entstanden.
II. Anspruch erloschen
Der Anspruch dürfte nicht wieder erloschen sein.
1. Erlöschen ex tunc gem. § 142 Abs. 1 BGB
Der Vertrag könnte jedoch gem. § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang
an nichtig anzusehen und damit der Anspruch erloschen sein. Das
setzt eine wirksame Anfechtung des Vertrages, mithin einen Anfechtungsgrund und eine fristgerechte Anfechtungserklärung gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner voraus.
Aufbauhinweise: zusätzlich zu diesen drei Punkten sind bei Hinweisen im Sachverhalt noch die Zulässigkeit der Anfechtung (Konkurrenzen) und der Ausschluss
der Anfechtung (§ 144 BGB) anzusprechen.
a) Anfechtungserklärung
S müsste die Anfechtung gegenüber dem Anfechtungsgegner
erklärt haben, § 143 Abs. 1 BGB.
aa) Inhalt
S hat zwar keine ausdrückliche Anfechtungserklärung abgegeben. Seine Erklärung gegenüber K, er müsse sich wegen Marthas Missbilligung einen anderen Mieter suchen
enthält jedoch eine Erklärung, dass und weshalb er den
Vertrag nicht gelten lassen wolle. Die ausdrückliche Verwendung des Wortes „Anfechtung“ ist nicht erforderlich.
Diese von S abgegebene Anfechtungsklärung ist dem K
auch zugegangen (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB analog, eingeschränkte Vernehmungstheorie).
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bb) Adressat
Richtiger Anfechtungsgegner bei einem Vertrag ist gem.
§ 143 Abs. 1, 2 BGB der andere Teil. Die Erklärung erfolgte
gegenüber K, dem Vertragspartner des S, mithin gegenüber
dem richtigen Adressaten.
cc) Zwischenergebnis
Folglich liegt eine Anfechtungserklärung des S gegenüber
dem richtigen Adressaten vor.
b) Anfechtungsgrund
Des Weiteren müsste ein Anfechtungsgrund gegeben sein.
aa) § 119 Abs. 1 BGB
S war sich über die objektive Bedeutung und Tragweite
seiner Willenserklärung im Klaren. Folglich kommt ein Inhaltsirrtum gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB nicht in Betracht.
Weiterhin entspricht auch der äußere Tatbestand dem Willen des S. Er wollte mithin eine Erklärung genau dieses Inhalts abgeben. Damit kommt auch ein Erklärungsirrtum
§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht in Betracht.
Die Tatsache, dass S die Wohnung nur deshalb mietete,
weil er davon ausging, diese werde M gefallen, bildete für
seinen Willensentschluss lediglich ein Motiv. Ein Motivirrtum wird aber von § 119 Abs. 1 BGB nicht erfasst.
bb) § 119 Abs. 2 BGB
Der Irrtum des S könnte jedoch als ein Irrtum über eine
verkehrswesentliche Eigenschaft gem. § 119 Abs. 2 Alt. 1
BGB beachtlich sein.
Nach h.M. sind Eigenschaften einer Sache alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die infolge ihrer Beschaffenheit auf Dauer für die Brauchbarkeit und den Wert
der Sache von Einfluss sind.
Nota bene: Der Marktpreis oder Anschaffungspreis der Sache selbst gehören nicht
zum „Wert der Sache“. Dazu gehören lediglich die „wertbildenden Faktoren“.
Die Billigung der Wohnung
fenheit indes nichts zu tun.
Grunde keine Eigenschaft
Alt. 1 BGB vor, so dass es
nicht mehr ankommt. 6
durch M hat mit deren BeschafFolglich liegt schon aus diesem
der Sache i.S.v. § 119 Abs. 2
auf die Verkehrswesentlichkeit
cc) Zwischenergebnis
Andere Anfechtungsgründe sind nicht ersichtlich.
6
Zu den vertretenen Auffassungen zur Verkehrswesentlichkeit vgl. Köhler, BGB AT, 38. Aufl. 2014,
Rn. 21.
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c) Anfechtungsfrist
Hilfsgutachtlich ist anzumerken, dass bei Vorliegen eines beachtlichen Irrtums S seine Anfechtungserklärung unverzüglich
i.S.v. § 121 BGB erklärt hätte.
Aufbauhinweis: In welcher Reihenfolge die einzelnen Prüfungspunkte angesprochen werden, bleibt Ihnen überlassen, solange nur der Aufbau logisch ist. Nachdem hier der Anfechtungsgrund verneint wird ist er aus klausurtaktischen Gründen sinnvollerweise am Ende zu prüfen. Andernfalls müsste man diese Frage in
einem Hilfsgutachten behandeln, was man möglichst vermeiden sollte. Nachdem
sich die Anfechtungsfrist jedoch nach dem einschlägigem Anfechtungsgrund richtet (§§ 121, 124 BGB), kann diese erst nach feststehen des maßgeblichen Anfechtungsgrundes geprüft werden.
d) Zwischenergebnis
Folglich ist der Mietvertrag zwischen K und S nicht als von Anfang an nichtig anzusehen. Der Anspruch des K gegen S auf
Zahlung der Miete für Dezember ist damit nicht durch Anfechtung erloschen.
2. Erlöschen ex nunc durch Kündigung
Der aus dem wirksamen Mietvertrag folgende Anspruch des K auf
Zahlung der Miete für Dezember könnte jedoch erloschen sein,
wenn S den Mietvertrag rechtzeitig gekündigt hat und damit das
Mietverhältnis spätestens mit Wirkung zum 30. November beendigt wurde.
a) Kündigungsrecht
Ein unbefristeter Mietvertrag kann vom Mieter ohne Grund ordentlich gekündigt werden, §§ 542 Abs. 1, 549 Abs. 1 BGB. 7
b) Kündigungserklärung
aa) Inhalt und Adressat
In seiner telefonischen Erklärung gegenüber K brachte S
eindeutig zum Ausdruck, sich von dem geschlossenen
Mietvertrag lösen zu wollen. Somit kann die Erklärung des
S auch als Kündigungserklärung ausgelegt werden (§§ 133,
157 BGB). Die ausdrückliche Verwendung des Wortes
„Kündigung“ ist nicht erforderlich. Diese von S abgegebene Kündigungserklärung ist dem K auch zugegangen (§ 130
Abs. 1 S. 1 BGB analog, eingeschränkte Vernehmungstheorie).
bb) Form
Die von S erklärte Kündigung könnte jedoch gem. § 125
S. 1 BGB wegen Formmangels nichtig sein. Das gesetzliche
7
Dies ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu § 573 BGB, der für die ordentliche Kündigung des Vermieters besondere Gründe nennt.
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Schriftformerfordernis für die Kündigungserklärung ergibt
sich aus §§ 568 Abs. 1, 549 Abs. 1 BGB. Die Voraussetzungen des § 126 Abs. 1 BGB wurden mit der telefonischen Erklärung des S indes nicht eingehalten. Folglich ist die Erklärung nichtig.
c) Kündigungsfrist
Hilfsgutachtlich ist anzumerken, dass S bei einer wirksamen
Kündigungserklärung zudem die Kündigungsfrist aus §§ 573c
Abs. 1 S. 1, 549 Abs. 1 BGB hätte wahren müssen. Mit einer
wirksamen Kündigungserklärung am 2. September wäre damit
das Mietverhältnis mit Ablauf des 30. November beendet worden.
d) Zwischenergebnis
Der Mietvertrag wurde nicht durch die Kündigung des S beendet. Der aus dem wirksamen Mietvertrag folgende Anspruch
des K auf Zahlung der Miete für Dezember ist damit auch nicht
durch Kündigung erloschen.
3. Zwischenergebnis
Der Anspruch des K gegen S auf Zahlung der Miete für Dezember
ist nicht wieder erloschen.
III. Einrede des § 320 Abs. 1 BGB
Da die Miete laut Mietvertrag von S im Voraus zum dritten Werktag
eines Monats zu entrichten ist, steht S auch nicht die Einrede des
§ 320 Abs. 1 BGB zu. Der Anspruch ist folglich durchsetzbar.
IV. Ergebnis
Aufgrund des nach wie vor bestehenden Mietvertrages kann K von S
am 3. Dezember Zahlung der vereinbarten Dezembermiete verlangen.
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