Friedrich Schiller Maria Stuart

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Friedrich Schiller Maria Stuart
Friedrich Schiller
Maria Stuart
Es steht Ihnen heute ein anspruchsvoller Theaterabend bevor. Aber das haben Sie
nicht anders erwartet. Für Schiller ist das Theater immer eine „moralische Anstalt“,
und sie dient der „Erziehung des Menschengeschlechts.“ Der Zuschauer soll das
Theater geläutert verlassen, um Erkenntnisse, vor allem um Selbsterkenntnis, reicher. Auf diese Themen möchte ich Sie in meiner Einführung hinweisen. Ich werde
dazu mein Referat in drei Teile gliedern. Zuerst müssen wir uns den historischen
Hintergrund vergegenwärtigen. Dann möchte ich Ihnen den Inhalt des Stücks auf
der Folie des geschichtlichen Hintergrunds näher bringen, zum Schluss dann ein
paar Worte zur Bedeutung des Stücks und eben zur Frage der Läuterung, deren
Sie heute Abend teilhaftig werden sollen.
Das Drama spielt in England. Es ist die Zeit der Reformation. Die historischen
Hintergründe sind äusserst komplex und eigentlich für das Verständnis des Dramas gar nicht einmal so eminent wichtig, denn Schillers Drama „Maria Stuart" ist
letztlich ein Charakterdrama, es geht um das Schicksal der Figuren, um ihre überpersönliche, gleichsam archetypische Art des Handelns und Leidens. Das ist es,
was Schiller an diesem Stoff gereizt hat. Das Historische ist Kolorit, das archetypisch Allgemein-Menschliche könnte uns auch in einem anderen historischen Gewande gegenüber treten. Dennoch, es sind historische Figuren, an denen - ganz
im klassischen Sinne - das Allgemein-Menschliche exemplifiziert wird. Und es ist
doch eben auch ihre historische Relevanz, aus der heraus sich das AllgemeinMenschliche rechtfertigt. Schillers Dramen sind immer auch eine Interpretation
von Geschichte.
Wir befinden uns also im Zeitalter der Reformation: England hat einen sehr besonderen Weg eingeschlagen, das europäische Problem, das Luther mit seinem
Thesenanschlag aufgeworfen hat, zu lösen. König Heinrich VIII - das ist der mit
den sechs Frauen - hat in England, vereinfacht gesagt, die Reformation nicht aus
innerer Glaubensnot eingeführt, sondern weil er sich von seiner ersten Frau scheiden lassen wollte, was aber innerhalb der katholischen Kirche unmöglich war. Und
wenn man ein König ist, kann man ein solches Problem auch lösen, indem man
eine eigene, vom Papst unabhängige Kirche gründet. Die anglikanische Kirche ist
- heute noch - protestantisch im Inhalt, katholisch in der Form.
Das ist die Ausgangslage. Jetzt wird es kompliziert: Die Nachfolgerin von Heinrich
VIII auf dem Thron ist dessen Tochter Maria, genannt „bloody Mary“. Sie regiert
nur kurze Zeit und ist verheiratet mit Philipp II von Spanien. Dieser ist aber der
katholischste aller Könige, also versucht Maria - nicht Maria Stuart - eine Rekatholisierung Englands, was ihr aber nicht gelingt. Philipp II und sein Verständnis
des Katholizismus‘ wird in einem anderen Schauspiel von Schiller, im Don Carlos,
dann eine tragende Rolle spielen. Durch Marias Ehemann und ihre Versuche, die
anglikanische Reform in England rückgängig zu machen, beginnen die spanischen,
katholischen Interessen in England eine Rolle zu spielen. Es kommt zum Krieg
gegen Frankreich. Maria Stuart nun ist die Königin von Schottland und Schottland
steht im Bunde mit Frankreich, Maria Stuart ist für kurze Zeit mit dem französischen Thronfolger verheiratet. Dieser ist aber katholisch.
In England kommt nun Elisabeth die erste auf den Thron. Sie ist reformiert, muss
es sein, denn sie entstammt einer Ehe Heinrich VIII, die aus katholischer Sicht gar
nicht gültig ist. Und wenn die Ehe nicht gültig gewesen wäre, hätte sie auch kein
Recht Königin zu sein.
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Das also ist die Lage, die man sich vor Augen halten muss: Schottland könnte
unter Maria Stuart wieder katholisch werden, das will England um keinen Preis der
Welt. Besonders aber will es die englische Königin nicht, da sie aus katholischer
Sicht gar nicht Königin wäre.
Maria Stuart versucht nun als schottische Königin die Reformation in Schottland
rückgängig zu machen. Das gelingt ihr aber so wenig, wie es „bloody Mary“ gelungen war. Sie muss aus Schottland fliehen und kommt nach England. Diese Gelegenheit nimmt Elisabeth wahr und setzt sie gefangen.
Sie ist ihre grosse Rivalin, vor allem weil sie - aus katholischer Sicht sogar eben
berechtigt - Anspruch auf den Thron von England erhebt, da sie von einer Schwester Heinrichs VIII abstammt, also aus einer aus einer, katholisch gesehen, legitimen Ehe stammt, nicht so wie Elisabeth. Elisabeth I belässt Maria Stuart achtzehn
Jahre in Haft. Trotzdem fühlt sie sich vor dem Einfluss Marias nicht sicher. Der
Vorwurf, die Stuart sei an einer Verschwörung gegen die Königin beteiligt, führt
dazu, dass Elisabeth ihre Rivalin im Jahre 1587 zum Tod verurteilt und hinrichten
lässt.
Will man historischen Quellen Glauben schenken, muss Maria Stuart eine Frau
eines ziemlich liederlichen Lebenswandels gewesen sein. Dass einer ihrer Ehemänner mit ihrem Wissen umgebracht wird und dass sie darauf einen Höfling heiratet,
spricht nicht gerade für ihren guten Charakter. Schiller, und wohl auch Stefan
Zweig in seiner Biographie, haben Maria Stuart idealisiert. Sie ist letztlich eine
Nebenfigur der Weltgeschichte, und man kennt sie eigentlich nur noch gerade
wegen dieser Idealisierung durch Friedrich Schiller. Ob Elisabeth wirklich einen
Befehl zu ihrer Hinrichtung gegeben hat, ist auch nicht verbürgt. Es gibt Quellen,
die sagen, die Hinrichtung wäre ohne das Wissen Elisabeths vollstreckt worden.
Wie dem auch sei. Schiller war nicht primär interessiert an der Darstellung einer
historischen Wirklichkeit. Was interessiert Schiller dann an dieser Figur?
Schiller ist wohl einer der grössten Dramatiker der deutschen Literatur. Es gibt
kaum jemanden, der mit diesem genialen Gespür für das Dramatische, für das
was von der Bühne her auf den Menschen wirkt, ausgestattet war. Und es gab in
der deutschen Literatur auch kaum jemanden, der es, so wie Schiller, verstanden
hat, durch das Theater und das Dramatische auf uns zu wirken.
Was ist also dramatisch? Im Theater geht es immer um einen Konflikt, es geht
immer um einen Machtkampf. Sie können jedes Stück als Beispiel nehmen, sie
werden keines finden, indem es nicht so ist, immer geht es um einen Machtkampf,
immer um die Frage, wer stärker ist, wer über den anderen den Sieg davonträgt.
Und es gibt auch kein Bühnenstück - ausser denjenigen, die es bewusst vermeiden
- in dem am Schluss nicht klar ist, wer der Sieger ist. Meistens sind es zwei Prinzipen, die miteinander im Kampfe liegen, reduziert auf zwei Personen, auf zwei
Figuren - hier natürlich auf Maria Stuart und die Königin Elisabeth, die miteinander
kämpfen und deren eine am Schluss über die andere siegt. Das ist es, was Schiller
an diesem Stoff wohl interessiert hat. Jene Konstellation von zwei königlichen Rivalinnen, von zwei bedeutenden historischen Persönlichkeiten, deren Schicksal sie
zu Feindinnen macht in einem Konflikt, in dem es keine Lösung gibt, als den Untergang der einen. Das hat Schiller fasziniert, und ich denke, er hat dieses Drama
gestaltet, um in dem Machtkampf die Bedingungen und die Gründe des Siegens
oder Untergehens auf die Bühne zu bringen. Das steht im Vordergrund und lässt
die historische Genauigkeit in ihrer Bedeutung erblassen. Die dramatische Wahrheit steht über der historischen Wahrheit. Zum Inhalt:
1. Akt: Der Machtkampf muss vorgeführt werden. Maria Stuart ist eine Gefangene.
Ihre Gegner, die sie vernichten wollen, suchen in ihrem Zimmer nach Beweisen
für eine mögliche Schuld, die aber für ihre Gegenspielerin und ihre Berater längst
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erwiesen ist. So bringt ihr der Grossschatzmeister der Königin Elisabeth, das Todesurteil, das sie zwar nicht anerkennt.
Im ersten Akt begegnet uns Maria Stuart aber auch als die faszinierende Frau, die
es versteht, Männer in ihren Bann zu schlagen. Der junge Mortimer, der in Italien
zum Katholizismus zurückgefunden hat, schwört Maria, sie zu befreien. Sie verweist ihn an den Grafen Leicester, der, zwar ein Günstling von Elisabeth war, von
dieser aber immer wieder abgewiesen wurde. Mit Mortimer als Botschafter hofft
Maria Stuart auf Befreiung durch den Lord Leicester.
2. Akt: Der Machtkampf beginnt sich zu verwickeln. Königin Elisabeth steht zwischen zwei Beratern: der eine (Burleigh) will Maria Stuart aus Staatsräson sofort
hinrichten lassen. Lord Shrewsbury jedoch nimmt eine gemässigte Haltung ein
und sieht keinen Sinn in der Hinrichtung. Zwischen beiden steht Leicester. Er spielt
sein eigenes Spiel. Früher einmal wollte er Maria Stuart besitzen, dann aber sah
er Möglichkeiten, sogar der Gemahl der englischen Königin zu werden. Da er von
Elisabeth nicht wirklich erhört wird, sie will nun sogar - aus Gründen der Staatsräson - den König von Frankreich heiraten, erinnert er sich nun der Maria und
möchte sie befreien, um sie zu heiraten. Mortimers ungestüme Art des Befreiungsplans ist ihm aber zu gefährlich. Alles, wozu er sich hergeben will, ist, eine Begegnung zwischen der Königin und Maria Stuart herbeizuführen.
Die Königin selbst ist hin und her gerissen. Sie möchte das Problem Maria Stuart
ohne grossen Aufwand lösen. Im Gespräch mit Mortimer beauftragt sie diesen,
Maria Stuart in ihrem Kerker unauffällig umzubringen. Mortimer geht zum Schein
auf dieses Ansinnen ein, um Maria noch besser beschützen und befreien zu können.
3. Akt: Der Machtkampf erreicht seinen Höhepunkt. Die beiden Figuren sind am
weitesten voneinander entfernt, Sieg und Lösung sind offen.
In einem Wald beim Schloss, in dem Maria Stuart gefangen ist, kommt es zur von
Leicester arrangierten Zusammenkunft der Königinnen. Anfänglich mässigt sich
Maria und unterwirft sich der königlichen Schwester, als diese Maria jedoch zu
verhöhnen beginnt, lässt Maria alle ihre Mässigung fahren und trifft den wunden
Punkt: sie wirft Elisabeth vor, dass sie ein Bastard sei und eigentlich gar kein Recht
auf den Thron von England habe. Damit ist Marias Schicksal besiegelt. Die Königin
wird diesen Vorwurf nicht ungesühnt lassen.
Mortimer, der diesen Streit angehört hat, glaubt sich nun erst recht berufen, Maria
zu retten; euch glaubt er, da Leicester in seinen Augen ein Zauderer ist, sich zum
Geliebten der Königin berufen. Auf dem Weg zurück nach London wird ein Mordanschlag auf Königin Elisabeth verübt, der die Monarchin aber nicht verletzt.
4. Akt: Die Verwicklungen lösen sich langsam auf. Leicester sieht, dass er entlarvt
werden könnte, er lässt darauf Mortimer verhaften, da er so vor Elisabeth sagen
kann, dass er eine Verschwörung gegen sie vereitelt habe. Da sich Mortimer bei
der Verhaftung selbst den Tod gibt, kann sich Leicester freikaufen. Elisabeth bleibt
nun nichts anderes übrig, als das Todesurteil zu unterzeichnen. Nochmals bedrängen sie beiden Seiten ihrer Berater, Maria zu vernichten oder zu schonen. Elisabeth unterzeichnet das Todesurteil, damit sie endlich „im echten Ehebette" geboren ist. Sie übergibt das Urteil dem Sekretär, will aber die Verantwortung dafür
doch nicht übernehmen und sagt dem Sekretär nicht, was er mit dem Urteil machen soll, ob er es verwahren oder weiterleiten soll. Lord Burleigh erscheint und
entreisst ihm das Dokument und schreitet zur Vollstreckung.
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5. Akt: Der Machtkampf endet. Maria geht gefasst auf das Schafott. Sie verabschiedet sich von ihren Dienern, leistet die letzte Beichte und empfängt die Absolution.
Burleigh und Leicester erscheinen zur Hinrichtung, Leicester erkennt, was er an
Maria verliert.
Elisabeth wartet unruhig auf die Nachricht vom Tode ihrer Rivalin. Als ihr die Vollstreckung gemeldet wird, jubelt sie „Ich bin die Königin von England". Die Verantwortung für den Tod Marias übernimmt sie aber nicht. Sie lässt den Sekretär, den
sie im Unklaren gelassen hat, verhaften und will Shrewsbury, der immer gegen
die Hinrichtung sich gewendet hat, zu ihrem ersten Berater machen. Dieser aber
reicht seinen Abschied ein. Als sie sich nach Leicester erkundigt, erfährt sie, dass
dieser nach Frankreich geflohen ist.
Wer gewinnt den Machtkampf? Äusserlich ist es selbstverständlich die Königin Elisabeth, die sich durchsetzt und die Rivalin töten lässt. Sie ist äusserlich die Siegerin, Maria Stuart verliert ihr Recht, ihren Thron und ihr Leben.
Aber sie gewinnt etwas anderes. Sie stirbt in Freiheit. Alle Tragödien Schillers sind
Freiheitsdramen. Es geht immer um die Freiheit des Menschen. Aber es geht nicht
um die Freiheit in einem politischen Sinne, um Demokratie, Selbstverwaltung und
Freiheit in einem politischen Sinne. Darum geht es bei Schiller nie. Auch im Tell
übrigens nicht. Es geht um eine höhere, idealistische Form der Freiheit. Es geht
nie um eine „Freiheit von", sondern immer um eine „Freiheit zu". Es geht um die
Verwirklichung einer absoluten Idee der Menschenwürde. Maria Stuart ist in der
Lage - und dies zeigt sich Schritt um Schritt im Verlaufe des Abends - ihre irdischen Hoffnungen und Leidenschaften, ihre Berechnungen und Sehnsüchte abzulegen, um das Urteil in einem freien Entschluss anzunehmen. In ihrem Gespräch
mit der Königin Elisabeth erkennt sie, dass sie keine irdische Gerechtigkeit erhalten kann. In jenem Moment im dritten Akt, in dem sie sich entschliesst, von der
Königin keine Gnade mehr zu erwarten, wo sie erkennt, dass ein Pochen auf irdische Gerechtigkeit keinen Sinn hat, angesichts der Übermacht der Verhältnisse,
in diesem Moment verwirklicht sie eine höhere Form von Freiheit. Sie nimmt damit
bewusst das Todesurteil auf sich, rettet aber dadurch ihre Würde als Königin und
als Mensch. Plötzlich ist die Frage, ob sie zu Recht oder zu Unrecht verurteilt worden sei, unerheblich. Sie entschliesst sich im Höhepunkt des Stücks zu einer kompromisslosen Haltung, sie verwirkt damit ihr Leben, rettet aber die absolute Idee
der Menschenwürde. Was diese Menschenwürde genau ist, kann nicht bestimmt
werden. Menschenwürde ist ein absoluter Wert. Wer sie inhaltlich bestimmt, wird
zu einem Unmenschen. Mortimer, dessen Motive anfangs sehr würdig scheinen,
zeigt sich als ein Egoist, der nur das Ziel verfolgt, Marias Geliebter zu werden.
Burleigh und Leicester verfolgen politische und eigennützige Ziele, ihr Ehrgeiz
macht sie zu allem fähig. Sie alle scheitern. Auch die Königin Elisabeth scheitert
letztlich. Das Todesurteil, das sie ausspricht, macht sie nicht frei, auch wenn die
Rivalin nun tot ist. Im Gegenteil: Sie tötet Maria, scheut sich aber, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Dadurch wird sie endgültig zum Spielball der Staatsinteressen. Am Schluss kann sie nicht einmal mehr vor sich selbst bestehen, alle
ihre Freunde verlassen sie.
Nur Shrewsbury handelt ähnlich, auch er entschliesst sich im Moment, in dem er
diese Menschenwürde durch die Königin zerstört sieht, dazu, sich aus dem Dienste
der Monarchin zu verabschieden, obwohl er noch kurz vorher sein Leben für die
Königin eingesetzt hatte.
Im Umstand, dass Maria Stuart das Todesurteil annimmt, scheitert sie zwar im
Irdischen. Aber die absolute Idee der Menschenwürde, die von keinen Staatsinte4
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ressen, von keinem persönlichen Ehrgeiz und von keiner erotischen Begierde angetastet und zerstört werden kann, verwirklicht sie in einem grossartigen Akt der
Freiheit. Sie wird frei, weil sie ihre Pflicht tut. Weil sie sich freiwillig dazu entschliesst, einem höheren moralischen Gesetz zu folgen, geht sie im Irdischen unter und verliert ihr Leben, verwirklicht aber in der Pflicht den Anspruch einer
ethisch gültigen Ordnung.
Das ist der Sinn aller Tragödien Schillers: Uns Zuschauern die absolute Idee des
freien, verantwortungsvollen, ideologiefreien Handelns zu demonstrieren. Uns zu
zeigen, dass der Mensch in der existentiellen Situation handeln soll nach der Maxime des kategorischen Imperativs, die da sagt, dass die Motive unseres Tuns in
jedem Fall und zu jedem Preis auch als allgemeine ethische Richtlinien aller
20. November 2001
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