Mein Leben als Affenarsch
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Mein Leben als Affenarsch
Mein Leben als Affenarsch Oskar Roehler 46 als Affenarsch, 240 Seiten, Ullstein, 2014, gebunden, 18 Euro regnet und einen feinen Film, einen feinen Schleier darüber legt. Dieses Straflager hätte sich Morgenthau nicht besser ausdenken können. Es ist viel schlimmer als jegliche Art von Agrarstaat. Man hat eine Mauer um sie gezogen. Und sie sich selbst überlassen. Wie Tiere in einem verlassenen Zoo. Ich starre aus meiner »Keller-Wohnung« hinauf in den Hinterhof. Wie im Rasiersitz im Kino. Über mir eine Kastanie, die in den Himmel ragt. Graue, abgeblätterte Wände ragen in den Himmel. Der Wahnsinn hat Prinzip. Berlin besteht millionenfach aus diesen grauen Hinterhöfen. Sie sind erdacht worden, damit noch mehr Platz ist für das Maschinenfutter in den Fabriken, für das Kanonenfutter im Krieg. Wie ein Labyrinth ziehen sie sich durch die ganze Stadt. Eine riesenhafte Öde aus immergleichen Höfen mit der immergleichen Kastanie in der Mitte. Wedding. Kreuzberg. Alt-Moabit. Neukölln. Schöneberg, egal, wo man hinkommt, eine monströse Krake ohne Herz, ohne Kultur, ohne jeden Sinn von Schönheit, herzlos und böse, generalstabsmäßig hochgezogen und in kürzester Zeit fertig und einzugsbereit für den industriellen und maschinellen Wahnsinn, zu dem die Bestie dann angetrieben wurde. Die Banalität des Bösen. Hier hat sie ihren Anfang. Arbeit macht frei. Und dann passiert etwas Grauenhaftes. Der Hausmeister betritt den Hof. Er sieht sich um, sieht mich aber nicht, weil es hier unten so dunkel ist, dass man nicht reinschauen kann. Er sucht Schutz hinter dem Stamm der Kastanie, zieht sich die Hose runter, geht in die Hocke – und scheißt direkt vor meiner Nase, sein feister Arsch ist über mir, ich kann ihm ins Arschloch hineinschauen und sehen, wie die dicken Klumpen, mühsam, unter Geächz, hinausfallen und vor mir liegenbleiben. Dunstfahnen steigen in der Kälte auf. Ich bin bedient. Ich versuche nun schon seit Wochen zu schreiben, aber in dieser Atmosphäre, in dieser Lebenssituation kann man nicht schreiben. Zum Schreiben braucht man ein Quantum Hoffnung, Selbstvertrauen und Glück, da bin ich mir sicher. Wenn ich bei einer Tasse schwarzen Kaffees und Zigaretten morgens meine Marschroute festlege, empfinde ich das alles nicht. Ich stampfe durch diese graue Kloake und sie nimmt kein Ende. Ich gehe ein, zwei Kilometer © Gerald von Foris Wedding, Feb. 81 Der Wedding ist eine geistige Wüste. Hier leben die abgestumpften Hinterhofproleten seit Jahrzehnten. Die ganze Verrohung, der Stumpfsinn des Brandenburger Hinterlands kommt hier zusammen, die ganze Kulturlosigkeit und Armut der Kartoffeläcker, die dieser kahlköpfige, gedrungene Menschenschlag dort seit Jahrhunderten bewirtschaftet. Verbrechervisagen, die eine ekelerregende Masse sprachlichen Schleim absondern, der nach Fäulnis, Verwesung, Mundgeruch stinkt. Hier ist das Kanonenfutter des geliebten Führers zu Hause, die Mörder und Henker, hier kann man diese Visagen noch im Original studieren. Die Häuser: wo man hinsieht ein vom Regen und von den Kohleöfen verwaschenes Grau in Grau, eine Zeile nach der anderen, jedes Haus mit zwei, drei Hinterhöfen, eine einzige riesige Kaserne, endlos, zermürbend, die diese Kasernenhofmentalität, dieses krude, schlechte Benehmen und die Brutalität von Gefängnisinsassen hervorgebracht hat. Dies ist der Arbeiterbezirk Wedding, der schlimmer ist als jeder brasilianische Slum, weil hier alles tot ist, nicht nur die Straßen, auch die Gesichtern, die Köpfe. Hier tut sich nichts mehr. Nie mehr. Dieses Grau und der Geruch nach feuchter Kohle überall, nach Hundescheiße, nach Regen, nach Kohlsuppe, nach alter, stockiger Wäsche, nach übelstem Mundgeruch, übelster Nachrede, übelstem Berlinerisch. Der arische Übermensch – hier ist das, was von ihm übrig geblieben ist, zu Hause. Hier kann man ihn besichtigen und seine Blödheit, Stumpfheit beobachten und das Aufstoßen von Kohlsuppe, Bier und Currywurst. Das ist der Urschleim, aus dem Berlin gemacht ist. Warum halten hier keine Touristenbusse? Hier kann man sie beobachten und ihre Visagen studieren. Das ist besser als Zoo. Hier stehen sie im larvenhaften Grau der Endzeit, in Hauseingängen, Supermärkten und Kneipen, hier kann man den stumpfsinnigen, leeren Blick dieser Tiere betrachten, die Erbmasse des deutschen Volkes. Sie würden sofort wieder loslegen. Aber es gibt nichts mehr zu tun. Und das ist die wahre Strafe, sie müssen tatenlos ihr kümmerliches Dasein fristen – hier ist niemand mehr, an den sie Hand anlegen können, außer an sich selbst. Alles »ausgerottet«, nur ein paar Kinder am Kinderspielplatz bleiben übrig in der langsamen Zersetzung in grauer Leere. Bier, Eisbein, Kohlsuppe, Mord&Totschlag sind das Fazit, und ein bleierner Himmel, der immer darüber steht, nie weggeht, nur ab und zu auf die Hundescheiße herunter Oskar Roehler, Mein Leben voller Zuversicht, mache mir Mut. Dann merke ich, wie ich langsam den Halt verliere und im Bodenlosen versinke. Dann wird alles plötzlich ganz trostlos und ich werde ganz schwach, als sei ich in eine Giftwolke geraten, die meinen Kopf porös und durchlässig macht und die ewige Trübsal dieser Stadt in mich eindringen lässt. Meine Beine werden schwer wie Blei, und ich sinke auf eine Bank irgendeines gottverlassenen Kinderspielplatzes und bleibe dort mit gesenktem Kopf sitzen. An anderen Tagen stürme ich wie von der Tarantel gestochen durch die Viertel, im Stechschritt, in meinem Gestapomantel. Ich lasse alles hinter mir, marschiere einer ungewissen Zukunft entgegen, bin bereit, gegen den übermächtigen Feind anzutreten, der mich erwartet in Gestalt eines monströs langen Lebens, das ich noch vor mir habe, falls ich es nicht abkürze. Im Stechschritt marsch, es ist eh alles im Arsch, denke ich. Manchmal gehe ich in ein Gebüsch und scheiße. Manchmal fresse ich eine Currywurst. Manchmal springe ich so hoch ich kann in den diesigen Himmel und schreie. Oskar Roehler ist längst selbst Psycho zum Kultfilm Berliner eine Legende! Geboren in Hinterhofkinos. Unvergesslich Starnberg, benannt nach dem bleibt sein Porträt Die Un- kleinwüchsigen Helden aus berührbare (2000), in dem er Günter Grass’ Roman Die das Verhältnis zu seiner Mutter Blechtrommel, Sohn aufsehen- beschäftigte. Hannelore Elsner erregender Persönlichkeiten erhielt für ihre Darstellung den der Gruppe 47, der Autorin Deutschen Filmpreis (2000) als Gisela Elsner und des Lektors beste Hauptdarstellerin. Im Klaus Roehler. Als Siebenjähri- gleichen Jahr wurde das Biopic ger zog er zu seinem Vater als bester Film auf dem Inter- nach Berlin. Er hat vor seinem nationalen Filmfestival in Istan- Affenarsch (Ullstein) so Einiges bul ausgezeichnet. Folgt man in der Stadt gesehen. 1984 einem Spiegel-Artikel aus 2013 veröffentlichte er den Erzähl- hat Roehler seine besten Filme band Abschnappuniversum. stets über seine exzentrische Er wurde Co-Autor von Schlin- Familie gemacht. In dem Jahr gensiefs Terror 2000 und Die erschien sein Film Quellen des 120 Tage von Bottrop, schrieb Lebens mit Meret Becker und das Drehbuch von Nilkaus Jürgen Vogel in den Hauptrol- Schillings Deutschfieber. 1995 len, der auf seinem Romande- folgte sein Regiedebüt Gentle- büt Herkunft (Ullstein) basiert. man, ein Psychofilm über ein- Aber Sie denken zurecht, da en sadistischen Killer. Der Dreh sind noch viele andere Filme war skandalumwittert, eine von ihm wie u. a. die Verfil- Woche vor Beginn sprangen mung von Michel Houellebec- zwei Darsteller und der Pro- qs Erfolgsroman Elementart- Auszüge aus duzent ab, später wurde das eilchen oder die Geschichte Mein Leben als Affenarsch Filmteam wegen Verdachts auf seines sensiblen Regisseurs Oskar Roehler © 2014 by Drogenmissbrauch und Ge- Robert in Der alte Affe Angst. Ullstein Buchverlage GmbH waltpornographie verhaftet. Er selbst hat auch keine. Mit Das Buch erscheint im März Schnell wurde Roehlers Version seinem neuen Roman zieht er 2015! Wir freuen uns schon! von Bret Easton Ellis American blank! 10.3.2 015 47