Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen
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Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen
Busen/Weiß (Hrsg.) • Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens ISBN 978-3-8487-0464-4 27 BUC_Busen_0464-4.indd 1 Schriftenreihe der Sektion Politische Theorie und Ideengeschichte in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft 27 Andreas Busen/Alexander Weiß (Hrsg.) Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens Nomos 05.06.13 11:08 http://www.nomos-shop.de/20904 Schriftenreihe der Sektion Politische Theorie und Ideengeschichte in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft Herausgegeben von Prof. Dr. Karsten Fischer Prof. Dr. Ina Kerner Band 27 BUT_Busen_0464-4.indd 2 12.06.13 08:24 http://www.nomos-shop.de/20904 Andreas Busen/Alexander Weiß (Hrsg.) Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens Nomos BUT_Busen_0464-4.indd 3 12.06.13 08:24 http://www.nomos-shop.de/20904 Veröffentlicht mit Unterstützung der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8487-0464-4 1. Auflage 2013 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2013. Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. BUT_Busen_0464-4.indd 4 12.06.13 08:24 http://www.nomos-shop.de/20904 Inhalt Andreas Busen/Alexander Weiß Einleitung 7 Andreas Busen/Alexander Weiß Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens: The State of the Art? 15 Jens Olesen Quentin Skinners Methode – Zwischen Intentionen und Konventionen 41 Katharina Schneider Arnold Ruges doppeltes Spiel. Zu Möglichkeiten und Grenzen der Methode Quentin Skinners in der Analyse zensurflüchtiger Schriften 63 David Egner Begriffsgeschichte und Begriffssoziologie. Zur Methodik und Historik Carl Schmitts und Reinhart Kosellecks 81 Rieke Schäfer Politische Metaphern und Bedeutungswandel 103 Johannes Thumfart Ideengeschichte – Archäologie – Topik. Von der Methodendebatte Skinners und Foucaults zurück zu den Ideen 127 Robert Feustel Intervention als Methode. Zum Verhältnis von Diskursanalyse und politischer Ideengeschichte 149 Daniel Kuchler Bedingt Analytischer Textzentrismus. Eine Kritik an Skinners Kontextualismus 163 Ulf Bohmann Charles Taylors Mentalitätsgeschichte als kritische Genealogie 185 5 http://www.nomos-shop.de/20904 Jörn Knobloch Die Kultur politischer Ideen. Methodische Implikationen einer politischen Praxeologie 215 Maike Weißpflug Tigersprung ins Vergangene. Aktualisierung und Kritik als Problem der politischen Ideengeschichte 237 Veith Selk Angst und Methode in der Sozialwissenschaft. Konsequenzen für die Politische Theorie und Ideengeschichte 255 Jörg Probst Politik der Bilder. Franz Josef Strauss, Heinrich Wölfflin und die Ikonologie der Ideengeschichte 281 Holger Zapf Kultur als Konstrukt? Methoden einer transkulturell orientierten Politischen Theorie 299 Martin Saar Nachwort: Text, Interpretation, Diskontinuität. Methodenprobleme der politischen Ideengeschichte 321 Autorinnen und Autoren 331 6 http://www.nomos-shop.de/20904 Einleitung Andreas Busen/Alexander Weiß Die Geschichte des politischen Denkens liegt nicht einfach hinter uns, so dass wir sie nur zu entdecken hätten. Sie wird durch die theoretischen Ansätze, mit denen wir uns ihr nähern, konstruiert. Abhängig von der Wahl des jeweiligen Ansatzes werden so ganz verschiedene Bilder dessen gezeichnet, was wir fälschlicher- und naiverweise für eine objektive Vergangenheit halten könnten. Tatsächlich aber geben Ansätze die Leitfragen vor, die zur Fokussierung jeweils bestimmter Personen, Texte, Textarten und Textdimensionen, sowie außertextlicher Wirklichkeitsanteile und zur Vernachlässigung anderer führen. Die Wahl des Ansatzes prägt in der Praxis der ideengeschichtlichen Forschung jedes Detail ihrer Ergebnisse, und als Konsequenz daraus müssen Fragen gestellt werden, welche Ansatzwahl welche Folgen impliziert und wie entsprechende Entscheidungen zu treffen und zu rechtfertigen sind. Diese Fragen haben einen Workshop angeleitet, der im Juli 2010 an der Universität Hamburg stattgefunden hat. Beiträge dieses Workshops sind im vorliegenden Band zusammengestellt. Im ersten, einleitenden Beitrag soll zunächst der gegenwärtige Stand der Reflexion methodischer Fragen in der Erforschung politischen Denkens im deutschsprachigen Raum herausgearbeitet und analysiert werden, so dass erkennbar wird, in welche Diskussionszusammenhänge sich die vorliegenden Beiträge einmischen und zu welchen Herausforderungen und Problemstellungen sie – explizit wie implizit – Stellung nehmen. Das Ziel, das wir im vorliegenden Band verfolgen, liegt in der Beförderung eines gemeinsamen Gesprächs über Ansätze und Methoden der Erforschung politischen Denkens, in dem sowohl dogmatische Positionen, durch die anderen Ansätzen die Wissenschaftlichkeit oder zumindest die Zugehörigkeit zum Diskurs abgesprochen wird, als auch der Rückzug auf nicht mehr kritisierbare, idiosynkratische Vorlieben für bestimmte Ansätze, die dann als Geschmacksurteile präsentiert werden, vermieden werden. Die Beiträge in diesem Band lassen sich als Äußerungen in einem solchen Methodengespräch verstehen, das hier weder begonnen noch zu Ende, sondern weitergeführt werden soll. In den ersten beiden der folgenden Beiträge setzen sich Jens Olesen und Katharina Schneider kritisch mit dem methodologischen Programm von Quentin Skinner auseinander und fragen, wie sich die ‚Anwendung‘ dieses Programms praktisch gestaltet und welche Schwierigkeiten sich hieraus ergeben. 7 http://www.nomos-shop.de/20904 Einleitung Als zentral für Skinners Methode untersucht Jens Olesen dabei die unabhängige Rekonstruktion sowohl der Intention des jeweils untersuchten Autors als auch der durch den zeitgenössischen Kontext etablierten Konventionen und weist nach, dass Skinner selbst bei der Rekonstruktion beider Elemente in seinen eigenen Arbeiten über Hobbes dem Kontext letztlich so viel Gewicht beimisst, dass Hobbes‘ Autorenintention nur noch als quasi abhängige Variable in den Blick gerät. Durch dieses Ungleichgewicht kommen nun aber die ohnehin vorhandenen Probleme hinsichtlich der (letztlich subjektiven) Auswahl und Rekonstruktion der relevanten Kontexte besonders schwer zum Tragen. Auf die Frage, ob und wie diese vermieden werden können, schlägt Olesen (gegen Skinner) eine stärker immanente Lektüre vor, die sich auf den Schriftenkorpus des untersuchten Autors als Kontext beschränkt. Auch Katharina Schneider zeichnet Schwierigkeiten nach, die sich in der ‚Anwendung‘ der Skinnerschen Methode ergeben, insbesondere wenn der Untersuchungsgegenstand außerhalb der von Skinner selbst untersuchten zeitlichen und geographischen Bedingungen liegt. Am Beispiel der Untersuchung zensurflüchtiger Schriften aus dem Vormärz und der deutschen Revolution von 1848 zeigt Schneider, dass die dort typischen, in indirekten Sprachakten ausgedrückten Doppeldeutigkeiten über eine rein sprachlich-textuelle Kontextualisierung kaum erschlossen werden können. Gerade weil die Doppeldeutigkeit semantisch ermöglicht wird, können die für ihr Verständnis relevanten Kontexte nicht allein von der sprachlichen Ebene her ausgewählt werden. Vielversprechender sei im Rückgriff auf neuere sprachwissenschaftliche Erkenntnisse die Konzeptualisierung solcher Aussagen als dialogisch-interaktive Sprechhandlungen, die auch performative und kognitive Elemente umfasst. Um letztere aus dem historischen Abstand heraus berücksichtigen zu können, muss der herangezogene Quellenkorpus gezielt erweitert werden: nämlich um zeitgenössische – textuelle wie bildliche – Darstellungen von Performanz. Die folgenden beiden Beiträge von David Egner und Rieke Schäfer fokussieren mit der auf Reinhard Koselleck zurückgehenden Begriffsgeschichte einen zweiten inzwischen ‚klassischen‘ Ansatz. David Egner untersucht in seinem Beitrag den Einfluss von Carl Schmitt auf Reinhard Kosellecks Begriffsgeschichte, geht dabei aber über einen bloßen Nachweis dieses – durchaus bekannten – Einflusses deutlich hinaus. So rekonstruiert Egner zunächst die weniger bekannte, von diesem selbst als „Begriffssoziologie“ bezeichnete, ideengeschichtliche Methode Carl Schmitts, innerhalb derer neben den Freund-Feind-Dualismen insbesondere die grundlegende Annahme eines engen Zusammenhangs zwischen politischer Struktur und Begriffen zentral ist. Während Koselleck hier mit seiner eigenen Analyse des Verhältnisses von Begriffs- und Sozialgeschichte eindeutig anknüpft, weicht er in seinem Verständnis einer zeitlich variablen Korrespondenz von Wirklichkeit und Sprache 8 http://www.nomos-shop.de/20904 Andreas Busen/Alexander Weiß bereits von Schmitt ab. Besonders deutlich wird die Eigenständigkeit von Kosellecks Methodik schließlich in seiner Theorie historischer Zeiten, die Egner als eine implizite Kritik an Schmitts politischer Theologie präsentiert. Rieke Schäfer weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass der Ansatz der Begriffsgeschichte bei Koselleck ursprünglich im Dialog mit Hans Blumenbergs Metapherologie enwickelt und erst nach und nach von dieser abgegrenzt worden sei, so dass fortan in der Begriffsgeschichte nur noch semantische Bedeutungen im Sinne von Bezeichnungen und ihre Verschiebungen in der Zeit, nicht aber symbolische Bedeutungen in Metaphern untersucht worden seien. Dies sei trotz gegenseitigen Interesses von beiden Seiten geschehen. Schäfer untersucht die verschiedenen Berührungspunkte der beiden Theoriestränge und unternimmt darüber hinaus den Versuch einer systematischen Integration von historischer Semantik und Metapherntheorie, indem sie den Blick erweitert und über Blumenberg hinaus neuere, vor allem kognitive Metapherntheorien und, auf der anderen Seite, über die Begriffsgeschichte hinaus auch weitere Ansätze innerhalb der historischen Semantik hinzuzieht. Die Bedeutung von Metaphern für die Politische Theorie und Philosophie liegt laut Schäfer unter anderem darin, dass durch die Offenheit der Bedeutungsgehalte die zentrale Position der Interpretation verdeutlicht wird. Die anschließenden Beiträge von Johannes Thumfart und Robert Feustel widmen sich den methodischen Spezifika und Perspektiverweiterungen, die in den letzten Jahren im Anschluss an die Diskursanalyse und insbesondere an die Arbeiten von Michel Foucault entwickelt worden sind. Dabei gehen beide Beiträge nicht nur auf die inzwischen gängigen Aspekte einer solchen methodischen Perspektive (und deren Verhältnis zu anderen Ansätzen) ein, sondern skizzieren in je unterschiedlicher Weise tiefergehende, hieraus resultierende methodologische Implikationen für die Erforschung politischen Denkens. Johannes Thumfart zeigt zunächst, dass Skinners kontextualistischer Ansatz und Foucaults Archäologie als zwei zeitlich parallel entwickelte Reaktionen auf eine als unreflektiert und naiv wahrgenommene Ideengeschichte bis in die 1960er Jahre zu verstehen sind. Ein zentraler Unterschied zwischen beiden Reaktionen liege in ihrem je verschiedenen Bezug zur pragmatischen Wende in der Sprachphilosophie bei Wittgenstein und Austin: Während Skinner sich eng an die in der Sprechakttheorie Austins zentrale Kategorie der Intention anlehnt, legt Foucault die Aufmerksamkeit auf größere und komplexere Zusammenhänge von Sprechen als einzelne Sprechakte. In der Berücksichtigung der Topik sieht Thumfart eine Möglichkeit, Defizite beider Ansätze zu überwinden und die Ideengeschichte wieder an überhistorische Konstellationen des Geistes rückzubinden, ohne einer überwundenen Geistesgeschichte zu verfallen. Die radikalen Folgen, die sich aus einem konsequenten Anknüpfen an poststrukturalistische Einsichten für die Erforschung politischen Denkens ergeben, 9 http://www.nomos-shop.de/20904 Einleitung stehen in Robert Feustels Beitrag im Mittelpunkt. Knüpft man an Derrida und andere Autoren an, ist nicht nur die Unterscheidung zwischen politischen und nicht-politischen Ideen kaum noch eindeutig festzumachen, sondern die (methodengeleitete) Wissenschaft kommt selbst als Teilnehmer am ideenproduzierenden Diskurs in den Blick. Damit verschwimmt schließlich auch die Unterscheidung zwischen Idee und Methode selbst soweit, dass jeder Versuch einer methodisch abgesicherten Ideengeschichte scheitern muss. Statt nun aber verzweifelt weiter nach Wegen zu einer ‚richtigen Lesart‘ ideengeschichtlicher Quellen zu suchen, so Feustel, müsste der notwendig intervenierende Charakter von Ideengeschichte anerkannt und in Form einer spielerischen Arbeit mit dem Material positiv gewendet werden. Die bei Johannes Thumfart bereits formulierte Kritik an Skinners Kontextualismus wird in Daniel Kuchlers Beitrag zum eigentlichen Thema innerhalb einer analytischen Perspektive auf Ideengeschichte. Daniel Kuchler versucht die Gradwanderung, den Schwächen des kontextualistischen Ansatzes zu entgehen, ohne dadurch entweder einem verstärkten werkimmanenten Autorenbezug oder einem poststrukturalistischen Relativismus zu verfallen. Der anvisierte Weg wird als „bedingt analytischer Textzentrismus“ bezeichnet, der auf der Fruchtbarmachung von Kants Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen für die Ideengeschichte beruht. Die weiteren Beiträge von Ulf Bohmann, Jörn Knobloch, Maike Weißpflug, Veith Selk, Thomas Noetzel und Jörg Probst sowie Holger Zapf versuchen neue Perspektiven auf die Ideengeschichte zu entwickeln, indem entweder an andere als die klassischen Autoren angeknüpft wird oder der Blick auf die Ideengeschichte durch Phänomene perspektiviert wird, die bisher noch nicht auf der Ebene der Ansatzdiskussion fruchtbar gemacht wurden. Ulf Bohmann schägt vor, die Arbeiten von Charles Taylor als eine spezifische Form von Genealogie zu lesen. In einem ersten Schritt verortet er Taylor im Feld ‚klassischer‘ Genealogien und zeichnet dessen spezifischen Bezug auf Nietzsche nach, was ihn zur Einschätzung führt, dass Taylors Methode – im Gegensatz zu Nietzsche oder auch Foucault – eine stärker positive, legitimierende Tendenz besitzt, ohne damit aber eine kritische Intention völlig aufzugeben. Vielmehr ist für Taylors Genealogie die Kombination dreier wesentlicher Elemente konstitutiv, nämlich einer je spezifischen Form von Ideengeschichte, Darstellungsform und Kritik. Wie Bohmann zeigt ist es gerade die Tatsache, dass Taylor in seiner Form von Mentalitätsgeschichte Ideen und Praktiken berücksichtigt, die es ihm erlaubt, die Entwicklung deren Verhältnisses zueinander historisch zu rekonstruieren und so kritisch die Verselbstständigung von Deutungsmuster und die damit einhergehende Schließung von Interpretationsräumen herauszuarbeiten. Jörn Knobloch stellt in seinem Beitrag dar, inwiefern die Anwendung neuerer praxeologischer Ansätze die Erforschung politischen Denkens bereichern kann. 10 http://www.nomos-shop.de/20904 Andreas Busen/Alexander Weiß Wie Knobloch zeigt liegt die Stärke einer solchen Perspektive darin, dass durch die Untersuchung von Praktiken in ihrer Doppelstruktur als körperliche Verhaltensmuster und Interpretationsweisen, als Materialität und Wissen, keine verengende Vorentscheidung über den Ort politischer Ideen – sei es im Form eines strikten Textualismus oder Mentalismus – getroffen wird. Damit einher geht ein reflexiver Begriff sozialer Strukturen, dessen Annahme einer wechselseitigen Bedingtheit von Strukturen und Verhalten besonders anschlussfähig z.B. für begriffsgeschichtliche Ansätze erscheint. Welchen Status nehmen nun konkret politisches Denken bzw. politische Ideen aus dieser Perspektive ein? Nach Knobloch sind es spezifisch Praktiken der Repräsentation, der Bedeutungsgebung sowie der Herrschaft, in denen politische Ideen als Ordnungsvorstellungen konstituiert werden, deren Beschreibung und Interpretation aber vor dem Hintergrund der Doppelstruktur von Praktiken besondere methodische Herausforderungen darstellt. Maike Weißpflug untersucht in ihrem Beitrag das kritische Potential, das eine aktualisierende Interpretation ideengeschichtlicher Quellen für sich reklamieren kann. Die Verfahren historischer und rationaler Rekonstruktion scheinen sich für eine derart als kritisch verstandene Ideengeschichte zunächst besonders anzubieten, erweisen sich für Weißpflug aber als unbefriedigend. In Auseinandersetzung mit Friedrich Nietzsche, Quentin Skinner, Hans-Georg Gadamer und Walter Benjamin versucht sie stattdessen, einen produktiven Weg der Verbindung von ideengeschichtlicher Interpretation und Kritik auszuleuchten, der schließlich auch ein neues Licht auf das Verhältnis von politischer Theorie und Ideengeschichte wirft. Für Veith Selk gehören Ängste von ideengeschichtlich Forschenden zu den prägenden Faktoren für Inhalte und Ansätze in ihren Arbeiten und zwar sowohl auf der Ebene der Objekte, also der untersuchten Autoren und Texte, als auch auf der Seite der Subjekte, der forschenden Ideengeschichtler. Sowohl eher allgemeine, sozial und gesellschaftlich bedingte Ängste als auch spezifisch auf die Möglichkeiten und Bedingungen der akademischen Karriere bezogene Ängste seien prägend für die Ausrichtung von Forschungsbeiträgen und etwa auch dafür, welche Fragen jeweils nicht gestellt werden. In einer derart um die emotionale Dimension erweiterten Wissenssoziologie ist die Kenntnis solcher Ängste daher relevant für den Ideengeschichtler, der auch die emotionalen Bedingungen erkennen zu erkennen hat, unter denen die von ihm untersuchten Autoren gearbeitet haben. Jörg Probst berichtet vom – erfolgreichen – Versuch, im Rahmen eines interdisziplinären Projektseminars Perspektiven der Politikwissenschaft und Kunstgeschichte produktiv zu vereinen. Am Beispiel der Interpretation eines Wahlkampf-Aufklebers von Franz Josef Strauss zeigt er, wie sich im Rahmen einer solchen „ideengeschichtlichen Bildforschung“ nicht nur beide Perspektiven ge11 http://www.nomos-shop.de/20904 Einleitung genseitig neue Wege erschließen können, sondern der Erforschung politischen Denkens bisher unbeachtete ‚Träger‘ von Ideen(geschichte), wie etwa denjenigen der ‚Form‘, zugänglich macht. Holger Zapf fragt nach den Bedingungen und methodischen sowie begrifflichen Implikationen beim Lesen nicht-westlicher Texte, insbesondere im Ansatz der ‚Comparative Political Theory’. Er untersucht die Probleme, die sich ergeben, wenn aus heuristischen Gründen ein Kulturbegriff unterlegt wird, der dann in der kulturvergleichenden Perspektive hypostasiert zu werden droht. Stattdessen plädiert Zapf für „eine schwache Konzeption von kultureller Andersheit“, in der Kultur nicht nur als Kontextbedingung von Texten vorausgesetzt, sondern deren Konstruktivität mitberücksichtigt wird. Daran schließt sich die Perspektive einer transkulturell vergleichenden Ideengeschichte an. Martin Saar blickt in seinem Nachwort zu diesem Band von einer Metaperspektive auf die Praxis der ideengeschichtlichen Forschung. Die Verschiedenheit der auch hier im Band dargestellten Ansätze ist für ihn ein Beleg dafür, dass die Entscheidung für einen Ansatz nicht nur methodischen Anforderungen, über die man sich dann einigen könnte, zu genügen hat, sondern dass sich in ihr Vorstellungen über den Sinn und Zweck von Ideengeschichte ausdrücken. Wenn wir aber davon ausgehen, dass über die Ziele keine Einigkeit herzustellen ist, dann kann der Zweck des Vergleichs von Ansätzen auch nicht darin liegen, ‚richtige‘ von ‚falschen‘ Ansätzen zu unterscheiden. Vielmehr untersucht Saar einige unabhängig von der Ansatzwahl bestehende allgemeine Konstellationen der ideengeschichtlichen Forschung, die in der Herstellung von Texten über Texte, der Deutung von Bedeutungskontexten und der zeitlichen Distanz zwischen Forschung und ihrem Gegenstand liegen. Verschiedene Personen und Institutionen haben uns in ganz unterschiedlicher Weise bei der Vorbereitung dieses Bandes, wie auch bei der Organisation des zugrundeliegenden Workshops, unterstützt. Durch sein unermüdliches Drängen auf die gemeinsame Ausrichtung eines Workshops zu gegenwärtigen Fragen und Tendenzen in der Erforschung politischen Denkens hat Stefan Skupien maßgeblich Anteil daran, dass das gesamte Projekt überhaupt ins Rollen gekommen ist. Für ihre Unterstützung bei der Durchführung des Workshops sind wir Kerstin Kock zu Dank verpflichtet. Die Überwindung der finanziellen Hürden, die sich einer solchen Veranstaltung vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Hochschulfinanzierung notwendig stellen, hat uns das Prodekanat für Forschung der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg erleichtert. Die Entstehung dieses Bandes verdankt sich natürlich in erster Linie unseren Autorinnen und Autoren, die nicht nur äußerst diszipliniert gearbeitet haben, sondern auch so freundlich waren, über herausgeberische Nachlässigkeiten hinwegzusehen. Wertvolle Kritik und Anmerkungen haben wir von zwei anonymen ReviewerInnen der Reihe sowie von Andreas Wagner erhalten. Äußerst hilfreich 12 http://www.nomos-shop.de/20904 Andreas Busen/Alexander Weiß für die Verwirklichung dieses Bandes war außerdem eine Druckkostenbeihilfe durch die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung. Carina Book danken wir herzlich für ihre Mitarbeit bei der Erstellung des Manuskripts. Besonderer Dank gilt schließlich Olaf Asbach, der das gesamte Unternehmen zu jeder Zeit in gewohnt konstruktiv-kritischer Weise unterstützt hat. Michael Th. Greven – eine weitere, unersetzliche kritische Instanz – erlebt das endgültige Erscheinen dieses Bandes leider nicht mehr mit. Dabei war er es, der uns im Nachgang des Workshops als Erster fragte, ob wir eine Veröffentlichung der Ergebnisse planten. Wie so oft ergaben sich aus der Grevenschen Sokratik auch hier zwei Antwortszenarien. Auf die Antwort „Wir denken darüber nach.“ folgte die Frage „Muss man denn heute immer alles publizieren?“; auf die Antwort „Eher nicht.“ bekam man zu hören: „Heutzutage könnt Ihr es Euch eigentlich nicht leisten, das nicht zu publizieren.“ Dass unsere Entscheidung und das daraus folgende Produkt sich nun diesem kritischen Blick nicht mehr stellen müssen – und vielmehr: können – verdeutlich nur ein weiteres Mal schmerzhaft die Lücke, die Michael Greven hinterlässt. Andreas Busen/Alexander Weiß Hamburg, April 2013 13