Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen

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Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen
Busen/Weiß (Hrsg.) • Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens
ISBN 978-3-8487-0464-4
27
BUC_Busen_0464-4.indd 1
Schriftenreihe der Sektion
Politische Theorie und Ideengeschichte in der
Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft
27
Andreas Busen/Alexander Weiß (Hrsg.)
Ansätze und Methoden zur
Erforschung politischen Denkens
Nomos
05.06.13 11:08
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Schriftenreihe der Sektion
Politische Theorie und Ideengeschichte in der
Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft
Herausgegeben von
Prof. Dr. Karsten Fischer
Prof. Dr. Ina Kerner
Band 27
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12.06.13 08:24
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Andreas Busen/Alexander Weiß (Hrsg.)
Ansätze und Methoden zur
Erforschung politischen Denkens
Nomos
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Veröffentlicht mit Unterstützung der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-8487-0464-4
1. Auflage 2013
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2013. Printed in Germany. Alle Rechte,
auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und
der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt
Andreas Busen/Alexander Weiß
Einleitung
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Andreas Busen/Alexander Weiß
Ansätze und Methoden zur Erforschung politischen Denkens:
The State of the Art?
15
Jens Olesen
Quentin Skinners Methode – Zwischen Intentionen und Konventionen
41
Katharina Schneider
Arnold Ruges doppeltes Spiel. Zu Möglichkeiten und Grenzen der
Methode Quentin Skinners in der Analyse zensurflüchtiger Schriften
63
David Egner
Begriffsgeschichte und Begriffssoziologie. Zur Methodik und Historik
Carl Schmitts und Reinhart Kosellecks
81
Rieke Schäfer
Politische Metaphern und Bedeutungswandel
103
Johannes Thumfart
Ideengeschichte – Archäologie – Topik. Von der Methodendebatte
Skinners und Foucaults zurück zu den Ideen
127
Robert Feustel
Intervention als Methode. Zum Verhältnis von Diskursanalyse und
politischer Ideengeschichte
149
Daniel Kuchler
Bedingt Analytischer Textzentrismus. Eine Kritik an Skinners
Kontextualismus
163
Ulf Bohmann
Charles Taylors Mentalitätsgeschichte als kritische Genealogie
185
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Jörn Knobloch
Die Kultur politischer Ideen. Methodische Implikationen einer
politischen Praxeologie
215
Maike Weißpflug
Tigersprung ins Vergangene. Aktualisierung und Kritik als Problem
der politischen Ideengeschichte
237
Veith Selk
Angst und Methode in der Sozialwissenschaft. Konsequenzen für die
Politische Theorie und Ideengeschichte
255
Jörg Probst
Politik der Bilder. Franz Josef Strauss, Heinrich Wölfflin und die
Ikonologie der Ideengeschichte
281
Holger Zapf
Kultur als Konstrukt? Methoden einer transkulturell orientierten
Politischen Theorie
299
Martin Saar
Nachwort: Text, Interpretation, Diskontinuität. Methodenprobleme
der politischen Ideengeschichte
321
Autorinnen und Autoren
331
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Einleitung
Andreas Busen/Alexander Weiß
Die Geschichte des politischen Denkens liegt nicht einfach hinter uns, so dass
wir sie nur zu entdecken hätten. Sie wird durch die theoretischen Ansätze, mit
denen wir uns ihr nähern, konstruiert. Abhängig von der Wahl des jeweiligen
Ansatzes werden so ganz verschiedene Bilder dessen gezeichnet, was wir fälschlicher- und naiverweise für eine objektive Vergangenheit halten könnten. Tatsächlich aber geben Ansätze die Leitfragen vor, die zur Fokussierung jeweils bestimmter Personen, Texte, Textarten und Textdimensionen, sowie außertextlicher Wirklichkeitsanteile und zur Vernachlässigung anderer führen. Die Wahl
des Ansatzes prägt in der Praxis der ideengeschichtlichen Forschung jedes Detail
ihrer Ergebnisse, und als Konsequenz daraus müssen Fragen gestellt werden,
welche Ansatzwahl welche Folgen impliziert und wie entsprechende Entscheidungen zu treffen und zu rechtfertigen sind.
Diese Fragen haben einen Workshop angeleitet, der im Juli 2010 an der Universität Hamburg stattgefunden hat. Beiträge dieses Workshops sind im vorliegenden Band zusammengestellt. Im ersten, einleitenden Beitrag soll zunächst der
gegenwärtige Stand der Reflexion methodischer Fragen in der Erforschung politischen Denkens im deutschsprachigen Raum herausgearbeitet und analysiert
werden, so dass erkennbar wird, in welche Diskussionszusammenhänge sich die
vorliegenden Beiträge einmischen und zu welchen Herausforderungen und Problemstellungen sie – explizit wie implizit – Stellung nehmen.
Das Ziel, das wir im vorliegenden Band verfolgen, liegt in der Beförderung
eines gemeinsamen Gesprächs über Ansätze und Methoden der Erforschung politischen Denkens, in dem sowohl dogmatische Positionen, durch die anderen
Ansätzen die Wissenschaftlichkeit oder zumindest die Zugehörigkeit zum Diskurs abgesprochen wird, als auch der Rückzug auf nicht mehr kritisierbare, idiosynkratische Vorlieben für bestimmte Ansätze, die dann als Geschmacksurteile
präsentiert werden, vermieden werden. Die Beiträge in diesem Band lassen sich
als Äußerungen in einem solchen Methodengespräch verstehen, das hier weder
begonnen noch zu Ende, sondern weitergeführt werden soll.
In den ersten beiden der folgenden Beiträge setzen sich Jens Olesen und
Katharina Schneider kritisch mit dem methodologischen Programm von Quentin
Skinner auseinander und fragen, wie sich die ‚Anwendung‘ dieses Programms
praktisch gestaltet und welche Schwierigkeiten sich hieraus ergeben.
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Einleitung
Als zentral für Skinners Methode untersucht Jens Olesen dabei die unabhängige Rekonstruktion sowohl der Intention des jeweils untersuchten Autors als
auch der durch den zeitgenössischen Kontext etablierten Konventionen und weist
nach, dass Skinner selbst bei der Rekonstruktion beider Elemente in seinen eigenen Arbeiten über Hobbes dem Kontext letztlich so viel Gewicht beimisst, dass
Hobbes‘ Autorenintention nur noch als quasi abhängige Variable in den Blick
gerät. Durch dieses Ungleichgewicht kommen nun aber die ohnehin vorhandenen Probleme hinsichtlich der (letztlich subjektiven) Auswahl und Rekonstruktion der relevanten Kontexte besonders schwer zum Tragen. Auf die Frage, ob
und wie diese vermieden werden können, schlägt Olesen (gegen Skinner) eine
stärker immanente Lektüre vor, die sich auf den Schriftenkorpus des untersuchten Autors als Kontext beschränkt.
Auch Katharina Schneider zeichnet Schwierigkeiten nach, die sich in der
‚Anwendung‘ der Skinnerschen Methode ergeben, insbesondere wenn der Untersuchungsgegenstand außerhalb der von Skinner selbst untersuchten zeitlichen
und geographischen Bedingungen liegt. Am Beispiel der Untersuchung zensurflüchtiger Schriften aus dem Vormärz und der deutschen Revolution von 1848
zeigt Schneider, dass die dort typischen, in indirekten Sprachakten ausgedrückten Doppeldeutigkeiten über eine rein sprachlich-textuelle Kontextualisierung
kaum erschlossen werden können. Gerade weil die Doppeldeutigkeit semantisch
ermöglicht wird, können die für ihr Verständnis relevanten Kontexte nicht allein
von der sprachlichen Ebene her ausgewählt werden. Vielversprechender sei im
Rückgriff auf neuere sprachwissenschaftliche Erkenntnisse die Konzeptualisierung solcher Aussagen als dialogisch-interaktive Sprechhandlungen, die auch
performative und kognitive Elemente umfasst. Um letztere aus dem historischen
Abstand heraus berücksichtigen zu können, muss der herangezogene Quellenkorpus gezielt erweitert werden: nämlich um zeitgenössische – textuelle wie
bildliche – Darstellungen von Performanz.
Die folgenden beiden Beiträge von David Egner und Rieke Schäfer fokussieren mit der auf Reinhard Koselleck zurückgehenden Begriffsgeschichte einen
zweiten inzwischen ‚klassischen‘ Ansatz.
David Egner untersucht in seinem Beitrag den Einfluss von Carl Schmitt auf
Reinhard Kosellecks Begriffsgeschichte, geht dabei aber über einen bloßen
Nachweis dieses – durchaus bekannten – Einflusses deutlich hinaus. So rekonstruiert Egner zunächst die weniger bekannte, von diesem selbst als „Begriffssoziologie“ bezeichnete, ideengeschichtliche Methode Carl Schmitts, innerhalb derer neben den Freund-Feind-Dualismen insbesondere die grundlegende Annahme
eines engen Zusammenhangs zwischen politischer Struktur und Begriffen zentral
ist. Während Koselleck hier mit seiner eigenen Analyse des Verhältnisses von
Begriffs- und Sozialgeschichte eindeutig anknüpft, weicht er in seinem Verständnis einer zeitlich variablen Korrespondenz von Wirklichkeit und Sprache
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bereits von Schmitt ab. Besonders deutlich wird die Eigenständigkeit von Kosellecks Methodik schließlich in seiner Theorie historischer Zeiten, die Egner als
eine implizite Kritik an Schmitts politischer Theologie präsentiert.
Rieke Schäfer weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass der Ansatz der Begriffsgeschichte bei Koselleck ursprünglich im Dialog mit Hans Blumenbergs Metapherologie enwickelt und erst nach und nach von dieser abgegrenzt worden sei,
so dass fortan in der Begriffsgeschichte nur noch semantische Bedeutungen im
Sinne von Bezeichnungen und ihre Verschiebungen in der Zeit, nicht aber symbolische Bedeutungen in Metaphern untersucht worden seien. Dies sei trotz gegenseitigen Interesses von beiden Seiten geschehen. Schäfer untersucht die verschiedenen Berührungspunkte der beiden Theoriestränge und unternimmt darüber hinaus den Versuch einer systematischen Integration von historischer Semantik und Metapherntheorie, indem sie den Blick erweitert und über Blumenberg
hinaus neuere, vor allem kognitive Metapherntheorien und, auf der anderen Seite, über die Begriffsgeschichte hinaus auch weitere Ansätze innerhalb der historischen Semantik hinzuzieht. Die Bedeutung von Metaphern für die Politische
Theorie und Philosophie liegt laut Schäfer unter anderem darin, dass durch die
Offenheit der Bedeutungsgehalte die zentrale Position der Interpretation verdeutlicht wird.
Die anschließenden Beiträge von Johannes Thumfart und Robert Feustel
widmen sich den methodischen Spezifika und Perspektiverweiterungen, die in
den letzten Jahren im Anschluss an die Diskursanalyse und insbesondere an die
Arbeiten von Michel Foucault entwickelt worden sind. Dabei gehen beide Beiträge nicht nur auf die inzwischen gängigen Aspekte einer solchen methodischen
Perspektive (und deren Verhältnis zu anderen Ansätzen) ein, sondern skizzieren
in je unterschiedlicher Weise tiefergehende, hieraus resultierende methodologische Implikationen für die Erforschung politischen Denkens.
Johannes Thumfart zeigt zunächst, dass Skinners kontextualistischer Ansatz
und Foucaults Archäologie als zwei zeitlich parallel entwickelte Reaktionen auf
eine als unreflektiert und naiv wahrgenommene Ideengeschichte bis in die
1960er Jahre zu verstehen sind. Ein zentraler Unterschied zwischen beiden Reaktionen liege in ihrem je verschiedenen Bezug zur pragmatischen Wende in der
Sprachphilosophie bei Wittgenstein und Austin: Während Skinner sich eng an
die in der Sprechakttheorie Austins zentrale Kategorie der Intention anlehnt, legt
Foucault die Aufmerksamkeit auf größere und komplexere Zusammenhänge von
Sprechen als einzelne Sprechakte. In der Berücksichtigung der Topik sieht
Thumfart eine Möglichkeit, Defizite beider Ansätze zu überwinden und die Ideengeschichte wieder an überhistorische Konstellationen des Geistes rückzubinden, ohne einer überwundenen Geistesgeschichte zu verfallen.
Die radikalen Folgen, die sich aus einem konsequenten Anknüpfen an poststrukturalistische Einsichten für die Erforschung politischen Denkens ergeben,
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Einleitung
stehen in Robert Feustels Beitrag im Mittelpunkt. Knüpft man an Derrida und
andere Autoren an, ist nicht nur die Unterscheidung zwischen politischen und
nicht-politischen Ideen kaum noch eindeutig festzumachen, sondern die (methodengeleitete) Wissenschaft kommt selbst als Teilnehmer am ideenproduzierenden Diskurs in den Blick. Damit verschwimmt schließlich auch die Unterscheidung zwischen Idee und Methode selbst soweit, dass jeder Versuch einer methodisch abgesicherten Ideengeschichte scheitern muss. Statt nun aber verzweifelt
weiter nach Wegen zu einer ‚richtigen Lesart‘ ideengeschichtlicher Quellen zu
suchen, so Feustel, müsste der notwendig intervenierende Charakter von Ideengeschichte anerkannt und in Form einer spielerischen Arbeit mit dem Material
positiv gewendet werden.
Die bei Johannes Thumfart bereits formulierte Kritik an Skinners Kontextualismus wird in Daniel Kuchlers Beitrag zum eigentlichen Thema innerhalb einer
analytischen Perspektive auf Ideengeschichte. Daniel Kuchler versucht die
Gradwanderung, den Schwächen des kontextualistischen Ansatzes zu entgehen,
ohne dadurch entweder einem verstärkten werkimmanenten Autorenbezug oder
einem poststrukturalistischen Relativismus zu verfallen. Der anvisierte Weg wird
als „bedingt analytischer Textzentrismus“ bezeichnet, der auf der Fruchtbarmachung von Kants Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen für die Ideengeschichte beruht.
Die weiteren Beiträge von Ulf Bohmann, Jörn Knobloch, Maike Weißpflug,
Veith Selk, Thomas Noetzel und Jörg Probst sowie Holger Zapf versuchen neue
Perspektiven auf die Ideengeschichte zu entwickeln, indem entweder an andere
als die klassischen Autoren angeknüpft wird oder der Blick auf die Ideengeschichte durch Phänomene perspektiviert wird, die bisher noch nicht auf der
Ebene der Ansatzdiskussion fruchtbar gemacht wurden.
Ulf Bohmann schägt vor, die Arbeiten von Charles Taylor als eine spezifische
Form von Genealogie zu lesen. In einem ersten Schritt verortet er Taylor im Feld
‚klassischer‘ Genealogien und zeichnet dessen spezifischen Bezug auf Nietzsche
nach, was ihn zur Einschätzung führt, dass Taylors Methode – im Gegensatz zu
Nietzsche oder auch Foucault – eine stärker positive, legitimierende Tendenz besitzt, ohne damit aber eine kritische Intention völlig aufzugeben. Vielmehr ist für
Taylors Genealogie die Kombination dreier wesentlicher Elemente konstitutiv,
nämlich einer je spezifischen Form von Ideengeschichte, Darstellungsform und
Kritik. Wie Bohmann zeigt ist es gerade die Tatsache, dass Taylor in seiner Form
von Mentalitätsgeschichte Ideen und Praktiken berücksichtigt, die es ihm erlaubt,
die Entwicklung deren Verhältnisses zueinander historisch zu rekonstruieren und
so kritisch die Verselbstständigung von Deutungsmuster und die damit einhergehende Schließung von Interpretationsräumen herauszuarbeiten.
Jörn Knobloch stellt in seinem Beitrag dar, inwiefern die Anwendung neuerer
praxeologischer Ansätze die Erforschung politischen Denkens bereichern kann.
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Wie Knobloch zeigt liegt die Stärke einer solchen Perspektive darin, dass durch
die Untersuchung von Praktiken in ihrer Doppelstruktur als körperliche Verhaltensmuster und Interpretationsweisen, als Materialität und Wissen, keine verengende Vorentscheidung über den Ort politischer Ideen – sei es im Form eines
strikten Textualismus oder Mentalismus – getroffen wird. Damit einher geht ein
reflexiver Begriff sozialer Strukturen, dessen Annahme einer wechselseitigen
Bedingtheit von Strukturen und Verhalten besonders anschlussfähig z.B. für begriffsgeschichtliche Ansätze erscheint. Welchen Status nehmen nun konkret politisches Denken bzw. politische Ideen aus dieser Perspektive ein? Nach Knobloch
sind es spezifisch Praktiken der Repräsentation, der Bedeutungsgebung sowie
der Herrschaft, in denen politische Ideen als Ordnungsvorstellungen konstituiert
werden, deren Beschreibung und Interpretation aber vor dem Hintergrund der
Doppelstruktur von Praktiken besondere methodische Herausforderungen darstellt.
Maike Weißpflug untersucht in ihrem Beitrag das kritische Potential, das eine
aktualisierende Interpretation ideengeschichtlicher Quellen für sich reklamieren
kann. Die Verfahren historischer und rationaler Rekonstruktion scheinen sich für
eine derart als kritisch verstandene Ideengeschichte zunächst besonders anzubieten, erweisen sich für Weißpflug aber als unbefriedigend. In Auseinandersetzung
mit Friedrich Nietzsche, Quentin Skinner, Hans-Georg Gadamer und Walter
Benjamin versucht sie stattdessen, einen produktiven Weg der Verbindung von
ideengeschichtlicher Interpretation und Kritik auszuleuchten, der schließlich
auch ein neues Licht auf das Verhältnis von politischer Theorie und Ideengeschichte wirft.
Für Veith Selk gehören Ängste von ideengeschichtlich Forschenden zu den
prägenden Faktoren für Inhalte und Ansätze in ihren Arbeiten und zwar sowohl
auf der Ebene der Objekte, also der untersuchten Autoren und Texte, als auch auf
der Seite der Subjekte, der forschenden Ideengeschichtler. Sowohl eher allgemeine, sozial und gesellschaftlich bedingte Ängste als auch spezifisch auf die
Möglichkeiten und Bedingungen der akademischen Karriere bezogene Ängste
seien prägend für die Ausrichtung von Forschungsbeiträgen und etwa auch dafür,
welche Fragen jeweils nicht gestellt werden. In einer derart um die emotionale
Dimension erweiterten Wissenssoziologie ist die Kenntnis solcher Ängste daher
relevant für den Ideengeschichtler, der auch die emotionalen Bedingungen erkennen zu erkennen hat, unter denen die von ihm untersuchten Autoren gearbeitet haben.
Jörg Probst berichtet vom – erfolgreichen – Versuch, im Rahmen eines interdisziplinären Projektseminars Perspektiven der Politikwissenschaft und Kunstgeschichte produktiv zu vereinen. Am Beispiel der Interpretation eines Wahlkampf-Aufklebers von Franz Josef Strauss zeigt er, wie sich im Rahmen einer
solchen „ideengeschichtlichen Bildforschung“ nicht nur beide Perspektiven ge11
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Einleitung
genseitig neue Wege erschließen können, sondern der Erforschung politischen
Denkens bisher unbeachtete ‚Träger‘ von Ideen(geschichte), wie etwa denjenigen der ‚Form‘, zugänglich macht.
Holger Zapf fragt nach den Bedingungen und methodischen sowie begrifflichen Implikationen beim Lesen nicht-westlicher Texte, insbesondere im Ansatz
der ‚Comparative Political Theory’. Er untersucht die Probleme, die sich ergeben, wenn aus heuristischen Gründen ein Kulturbegriff unterlegt wird, der dann
in der kulturvergleichenden Perspektive hypostasiert zu werden droht. Stattdessen plädiert Zapf für „eine schwache Konzeption von kultureller Andersheit“, in
der Kultur nicht nur als Kontextbedingung von Texten vorausgesetzt, sondern
deren Konstruktivität mitberücksichtigt wird. Daran schließt sich die Perspektive
einer transkulturell vergleichenden Ideengeschichte an.
Martin Saar blickt in seinem Nachwort zu diesem Band von einer Metaperspektive auf die Praxis der ideengeschichtlichen Forschung. Die Verschiedenheit der auch hier im Band dargestellten Ansätze ist für ihn ein Beleg dafür,
dass die Entscheidung für einen Ansatz nicht nur methodischen Anforderungen,
über die man sich dann einigen könnte, zu genügen hat, sondern dass sich in ihr
Vorstellungen über den Sinn und Zweck von Ideengeschichte ausdrücken. Wenn
wir aber davon ausgehen, dass über die Ziele keine Einigkeit herzustellen ist,
dann kann der Zweck des Vergleichs von Ansätzen auch nicht darin liegen,
‚richtige‘ von ‚falschen‘ Ansätzen zu unterscheiden. Vielmehr untersucht Saar
einige unabhängig von der Ansatzwahl bestehende allgemeine Konstellationen
der ideengeschichtlichen Forschung, die in der Herstellung von Texten über Texte, der Deutung von Bedeutungskontexten und der zeitlichen Distanz zwischen
Forschung und ihrem Gegenstand liegen.
Verschiedene Personen und Institutionen haben uns in ganz unterschiedlicher
Weise bei der Vorbereitung dieses Bandes, wie auch bei der Organisation des
zugrundeliegenden Workshops, unterstützt. Durch sein unermüdliches Drängen
auf die gemeinsame Ausrichtung eines Workshops zu gegenwärtigen Fragen und
Tendenzen in der Erforschung politischen Denkens hat Stefan Skupien maßgeblich Anteil daran, dass das gesamte Projekt überhaupt ins Rollen gekommen ist.
Für ihre Unterstützung bei der Durchführung des Workshops sind wir Kerstin
Kock zu Dank verpflichtet. Die Überwindung der finanziellen Hürden, die sich
einer solchen Veranstaltung vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Hochschulfinanzierung notwendig stellen, hat uns das Prodekanat für Forschung der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg erleichtert. Die Entstehung dieses Bandes verdankt sich natürlich in erster Linie unseren
Autorinnen und Autoren, die nicht nur äußerst diszipliniert gearbeitet haben,
sondern auch so freundlich waren, über herausgeberische Nachlässigkeiten hinwegzusehen. Wertvolle Kritik und Anmerkungen haben wir von zwei anonymen
ReviewerInnen der Reihe sowie von Andreas Wagner erhalten. Äußerst hilfreich
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für die Verwirklichung dieses Bandes war außerdem eine Druckkostenbeihilfe
durch die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung. Carina Book danken wir
herzlich für ihre Mitarbeit bei der Erstellung des Manuskripts. Besonderer Dank
gilt schließlich Olaf Asbach, der das gesamte Unternehmen zu jeder Zeit in gewohnt konstruktiv-kritischer Weise unterstützt hat. Michael Th. Greven – eine
weitere, unersetzliche kritische Instanz – erlebt das endgültige Erscheinen dieses
Bandes leider nicht mehr mit. Dabei war er es, der uns im Nachgang des Workshops als Erster fragte, ob wir eine Veröffentlichung der Ergebnisse planten. Wie
so oft ergaben sich aus der Grevenschen Sokratik auch hier zwei Antwortszenarien. Auf die Antwort „Wir denken darüber nach.“ folgte die Frage „Muss man
denn heute immer alles publizieren?“; auf die Antwort „Eher nicht.“ bekam man
zu hören: „Heutzutage könnt Ihr es Euch eigentlich nicht leisten, das nicht zu
publizieren.“ Dass unsere Entscheidung und das daraus folgende Produkt sich
nun diesem kritischen Blick nicht mehr stellen müssen – und vielmehr: können –
verdeutlich nur ein weiteres Mal schmerzhaft die Lücke, die Michael Greven
hinterlässt.
Andreas Busen/Alexander Weiß
Hamburg, April 2013
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