Anorexia Nervosa und Bulimia Nervosa

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Anorexia Nervosa und Bulimia Nervosa
Anorexia Nervosa und
Bulimia Nervosa
Fortsetzung: Erklärungsmodelle
Gezügeltes Essverhalten
Antizipierte
Gewichtszunahme
Erbrechen,
Laxantienabusus,
exzessive Bewegung
Erreichen, bzw. Beibehalten
eines erwünschten Gewichts
Verschärfung der
kognitiven Kontrolle
Essanfall
Die Bedeutung kognitiver Kontrolle für die
Entstehung von Essanfällen
Vulnerabilitätscharakteristika,
z.B. niedriger Energiebedarf
Umweltbedingungen,
z.B. Schlankheitsideal
Gezügeltes Essverhalten
z.B. wiederholtes Diätieren,
Verzehr kleiner Portionen, kein
Erreichen eines befriedigenden
Sättigungsgrades
Physiologische und
psychologische Deprivation
Neuroendokrine Störungen,
Veränderung des
Energiestoffwechsels
Kognitive Beeinträchtigung,
affektive Labilität, mangelnde
Befriedigung hedonistischer
Bedürfnisse
Empirische Befunde zur Bedeutung
gezügelten Essverhaltens als Risikofaktor
für das Auftreten von Essanfällen
• Nach längeren Diätperioden treten Essanfälle häufiger auf
(belegt für anorektische Patienten mit bulimischer Symptomatik
und für Normalgewichtige mit Bulimia Nervosa).
• Fasten führte bei Teilnehmern eines Fastenexperiments
sowohl während als auch nach der Fastenperiode zu
Essanfällen, die keine der Personen zuvor erlebt hatten.
• Erzwungener Verzicht auf eine Mahlzeit wird durch erhöhte
Nahrungsaufnahme bei der nächstmöglichen Gelegenheit
ausgeglichen.
• Unter Deprivationsbedingungen steigt die pro Mahlzeit
aufgenommene Nahrungsmenge mit der Länge der
Deprivationszeit an (im Tierversuch gezeigt).
Fragebogen zum Essverhalten (Pudel & Westenhöfer, 1998)
Skala „Kognitive Kontrolle des Essverhaltens“ - Beispielitems
• Ich esse absichtlich kleine Portionen, um nicht zuzunehmen.
• Bei den üblichen Nahrungsmitteln kenne ich ungefähr den
Kaloriengehalt.
• Häufig höre ich auf zu essen, obwohl ich noch gar nicht satt bin.
• Bestimmte Nahrungsmittel meide ich, weil sie dick machen.
• Ich zähle Kalorien, um mein Gewicht unter Kontrolle zu halten.
• Wenn ich während einer Diät „sündige“, dann halte ich mich
anschließend beim Essen zurück, um es wieder auszugleichen.
Der „dishibition effect“ bei gezügeltem Essverhalten
nach Herman & Mack (1975)
• Personen, die anhand eines Fragebogens in gezügelte und
ungezügelte Esser eingeteilt werden, unterscheiden sich auch
im Labor in ihrem Essverhalten:
• Bei einem angeblichen „Geschmackstest“ essen gezügelte
Esser weniger als ungezügelte Esser.
• Herman et al. untersuchten die Effekte einer erzwungenen
Vormahlzeit.
Der „dishibition effect“ bei gezügeltem Essverhalten
Menge verzehrter Eiscreme unter verschiedenen PreloadBedingungen bei gezügelten und nicht gezügelten Essern
(nach Herman & Mack, 1975)
250
200
wenig gezügelte
Esser
stark gezügelte
Esser
150
100
50
0
s
ke
ha
hs
ilc
2M
ke
ha
hs
ilc
ke
1M
ha
hs
ilc
M
in
ke
Die Rolle psychischer Belastungen
Tuschen, B., Vögele, C., Kuhnhardt, K. & Cleve-Prinz, W. (1995).
Steigern psychische Belastungen das Essbedürfnis?
6
5
Essbedürfnis
4
Bulimiegruppe
Kontrollgruppe
3
2
LS= Leistungsstressor
1
0
Follow-Up
nach IS
während IS
Pause
nach LS
während LS
Baseline
IS=Interpersoneller Stressor
Anorexia Nervosa und
Bulimia Nervosa
Wirksame Therapiestrategien
I. Kurzfristige Strategien: Anorexia Nervosa
Programme zur Gewichtssteigerung bei Anorexia Nervosa
• Stationärer Aufenthalt bei anorektischen Patientinnen mit
BMI<14 aufgrund der somatischen Gefährdung notwendig
• Zur kurzfristigen Gewichtsnormalisierung haben sich
verhaltenstherapeutische Programme bewährt, die operanten
Prinzipien folgen
- Aufsetzen eines Therapievertrags
- Festlegung eines Zielgewichts
- systematischer Einsatz von Verstärkern
• Zielgewicht: BMI=19 (ab diesem Gewicht ist eine Rückbildung
der Störungen der zentralen Neurotransmittersysteme und ein
Wiedereinsetzen der Menstruation gewährleistet)
I. Kurzfristige Strategien: Bulimia Nervosa
Ernährungsmanagement bei Bulimia Nervosa
• Ziel: Normalisierung des alltäglichen Essverhaltens
- Ausreichende Kalorienzufuhr
- adäquate Nahrungszusammensetzung
- adäquate zeitliche Verteilung der Nahrungsaufnahme
• Ernährungsmanagement umfasst verschiedene Phasen:
- Diagnose des Essverhaltens (z.B. Ess-Protokoll)
- Edukation (Erklärung der Konsequenzen von Mangelernährung)
- Übungsphase: Schrittweise Einführung strukturierter Esstage
Ess-Protokoll
Uhrzeit
Tätigkeit, Gefühle, Gedanken vor dem
Essen / Trinken
Hunger (%)
Durst (%)
Was / wieviel und wie wird gegessen/
getrunken?
Satt (%)
Durst (%)
Tätigkeit, Gefühle, Gedanken nach dem
Essen / Trinken
Gewichtsreduzierende Maßnahmen (z.B.
Erbrechen, Appetitzügler, Laxantien, Sport,
Thermobekleidung u.a.)
Beispiel für einen Essplan eines
strukturierten Esstags
Zeit
Ort
Geplante Mahlzeit
8:30
Speise- 2 Tassen Kaffee schwarz
saal
2 Semmeln mit Butter und Marmelade
10:30
Zimmer 1 Becher Fruchtjoghurt
12:30
Speise- 1 Schnitzel mit Kartoffeln und Salatteller
saal
1 Glas Apfelsaft
15:30
18:00
Cafe
1 Tasse Cappuccino
1 Stück Kuchen
1 Portion Wurstsalat
Speise2 Scheiben Mischbrot mit Butter
saal
1 Tasse Tee
II. Langfristige psychotherapeutische Strategien
• Kognitiv-verhaltenstherapeutische Strategien
• Training in Problemlösen und Stressbewältigung
• Training in Körperwahrnehmung
• Familienorientierte Therapie
• Exposition und Reaktionsverhinderung
Therapieziele bei der Behandlung
der Bulimia Nervosa
• Motivierung zur Verhaltensänderung
• Veränderung des Essverhaltens
- regelmäßige Mahlzeiten
- Wahrnehmung von Hunger und Sättigung
- ausgewogene Ernährung
• Abbau von gewichtsregulierenden Maßnahmen und gestörtem
Essverhalten wie selbstinduziertem Erbrechen, übermäßigem
Essen, Kalorienzählen, Hungern, exzessivem Sporttreiben,
Einnahme von Abführmitteln / Appetitzüglern
• Wahrnehmung, Akzeptanz und Ausdruck von Gefühlen und
Bedürfnissen
• Körper- und Selbstakzeptanz
• Problemlösestrategien / Konfliktbewältigung
• Kognitive Umstrukturierung dysfunktionaler Gedanken
bezüglich des Essens und der eigenen Person
• Aufbau von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen
• Rückfallprophylaxe
Weiterreichende Ziele
• Abbau überhöhter Ansprüche
• Aufbau von sozialen Kontakten oder Freizeitaktivitäten
• Ablösung vom Elternhaus
Beispiel: Stressmanagementtraining
(nach Waadt et al., 1992)
•
Ziel: Es sollen Bewältigungsstrategien für den Umgang mit
belastenden Situationen gelernt werden, die sonst oft zu
Auslösern für Essanfälle werden.
•
Für das problematische Verhalten wird eine funktionale
Bedingungsanalyse anhand des SORK-Schemas erstellt
- Situation
- Organismus
- Reaktion
- Konsequenzen
•
Anhand des Bedingungsmodells werden alternative
Strategien zum Umgang mit den kritischen Situationen
erarbeitet
Beispiel für Verhaltensketten
i.S. des SORK-Schemas
S
O
R
K
Wartezeit an der
Bushaltestelle
Langeweile,
innere Unruhe,
Kribbeln im
Bauch
Zum Bäcker
gehen,
Verschlingen
des Kuchens
im Gehen
Fühle mich
beruhigt und
beschäftigt
Sehe meinen
Bauch als zu
dick,
Selbstvorwürfe
Völlegefühl,
Übelkeit
Erbrechen im
Bahnhofsklo
Erleichterung,
angenehmes
Leeregefühl
Streit mit Mutter
Unruhe,
Erregung
5 Hamburger
und eine Cola
bei McDonalds
Beruhigung,
Ablenkung
Psychopharmakologische Behandlung
• Für Anorexia Nervosa liegen bisher keine Kenntnisse über
wirksame Psychopharmaka vor: Antidepressiva, Neuroleptika
und appetitsteigernde Medikamente konnten nicht zu einer
Gewichtssteigerung beitragen.
• Trizyklische Antidepressiva und serotonerge Antidepressiva
können kurzfristig eine Reduktion der Häufigkeit von
Essattacken bewirken
• Der Einsatz von Serotonin-Agonisten ist aber problematisch,
weil hierdurch das gezügelte Essen/ die Gewichtsabnahme
erleichtert wird.
Die Langzeitwirkung verschiedener Therapieformen
bei der Behandlung der Bulimia Nervosa
Fairburn, C. G. et al. (1995). A prospective study of outcome in Bulimia
Nervosa and the long-term effects of three psychological treatments.
Archives of General Psychiatry, 52, 304-312.
Ziele der Studie
• Erfassung des Langzeitverlaufs bei behandelter Bulimia
Nervosa
• Identifikation von Prädiktoren für längerfristigen Therapieerfolg
• Erfassung behandlungsspezifischer Unterschiede im
längerfristigen Verlauf: Vergleich von behavioraler Therapie,
kognitiv-behavioraler Therapie und interpersoneller
Psychotherapie
Methode
• N=99 Bulimie-Patienten erhielten eine Kurzzeit-Therapie über
19 Sitzungen
- Kognitiv-behaviorale Therapie
- Behaviorale Therapie
- Interpersonelle Psychotherapie
• Nach unterschiedlich langen Follow-Up-Zeiträumen (M = 5,8
Jahre) wurden die Patienten interviewt. Erfasst wurden u.a.
- Bulimia Nervosa, Anorexia Nervosa
- Stärke psychopathologischen Essverhaltens
Ergebnisse
Längerfristiger Verlauf behandelter Bulimien
• Jeder 5. Patient hatte 3-11 Jahre nach Ende einer Behandlung
noch eine Bulimie
• Die Entwicklung von Anorexia Nervosa war selten
• Ein Viertel der Patienten erfüllte die Kriterien einer Essstörung
unterhalb der Schwelle einer Diagnose für Bulimie oder
Anorexie
• Die längerfristige Responder-Quote liegt etwas über 50%
Ergebnisse
Prädiktoren für längerfristigen Therapieerfolg
Erhoben wurden folgende Variablen zur Schwere oder zum
Charakter der Essstörung
• Alter bei Beginn des gestörten Essverhaltens
• Sexueller Missbrauch vor Beginn des gestörten Essverhaltens
• Häufigkeit bulimischer Episoden (Essattacken)
• Erbrechen oder Laxantien-Missbrauch
• Einstellung ggü. dem eigenen Körper/ dem eigenen Gewicht
• Body Mass Index
• Psychiatrische Syndrome
• Selbstachtung
• Soziale Rollenerfüllung
→ Konnten nicht als Prädiktoren bestätigt werden!
Ergebnisse
Prädiktoren für längerfristigen Therapieerfolg
Variablen zur persönlichen und zur Familiengeschichte
• Affektive Störungen in der Vorgeschichte
• Alkoholabhängigkeit oder übermäßiger Alkoholgenuss in der
Vorgeschichte
• Essstörungen in der Vorgeschichte
• Übergewicht in der Vorgeschichte
• Affektive Störungen bei Verwandten ersten Grades
• Alkoholabhängigkeit bei Verwandten ersten Grades
• Essstörungen bei Verwandten ersten Grades
• Übergewicht bei Verwandten ersten Grades
Ergebnisse
Prädiktoren für längerfristigen Therapieerfolg
Variablen zur persönlichen und zur Familiengeschichte; bestätigt:
• Affektive Störungen in der Vorgeschichte
• Alkoholabhängigkeit oder übermäßiger Alkoholgenuss in der
Vorgeschichte
• Essstörungen in der Vorgeschichte
• Übergewicht in der Vorgeschichte
• Affektive Störungen bei Verwandten ersten Grades
• Alkoholabhängigkeit bei Verwandten ersten Grades
• Essstörungen bei Verwandten ersten Grades
• Übergewicht bei Verwandten ersten Grades
Fazit
Prädiktoren für längerfristigen Therapieerfolg
Je stärker das eigene Übergewicht in der Vorgeschichte und
je stärker das väterliche (nicht das mütterliche) Übergewicht,
desto schlechter war die langfristige Prognose.
Ergebnisse
Behandlungsspezifische Unterschiede
Remissionsraten (Anteil der Patienten, die nicht die DSM-Kriterien für
eine Essstörung erfüllen) zu verschiedenen Katamnesezeitpunkten unter
verschiedenen Behandlungsbedingungen
80
70
60
50
40
30
20
10
0
6 Jahre
12 Monate
Posttreatment
Pretreatment
BT
IPT
KBT
Ergebnisse
Behandlungsspezifische Unterschiede
Zum 6-Jahres-Katamnesezeitpunkt variierten die Erfolgsraten
zwischen den Behandlungsbedingungen erheblich. Eine nach DSM
IV diagnostizierbare Essstörung hatten nach:
• rein behavioraler Therapie (ohne kognitionsverändernde
Maßnahmen): 86% der Patienten
• kognitiv-verhaltenstherapeutischer Therapie: 37% der Patienten
• interpersonaler Therapie: 28% der Patienten
Prognostische Faktoren bei der Behandlung
der Bulimia Nervosa
Aus sieben Studien zur Bulimia Nervosa ergaben sich folgende
Prädiktoren für einen ungünstigen Krankheitsverlauf:
• Komorbidität
• Alkoholabhängigkeit
• Mehrfache Suizid-Versuche
• Extreme Störungen des Körperbildes