WORTBILDUNG (WB)

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WORTBILDUNG (WB)
WORTBILDUNG (WB)
Fachliteratur:
Fleischer, Wolfgang / Barz, Irmhild: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 2.,
durchgesehene und ergänzte Auflage. Tübingen 1995
Schippan, Thea: Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen 1992
Glück, Helmut / Sauer, W.W.: Gegenwartsdeutsch. 2., überarb. und erw. Aufl. Stuttgart,
Weimar 1997 (Kapitel 6)
Erben, Johannes: Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. 3., neubearb.Aufl.Berlin
1993
STELLUNG DER WB IN DER LINGUISTIK
Die Wortbildungslehre ist traditionell neben der Phraseologie ein Teil der Lexikologie, oder
diese zwei Disziplinen werden als selbstständige sprachwissenschaftliche Disziplinen
betrachtet (T. Schippan); gleichzeitig überschneidet sich der Forschungsbereich der WB mit
der Grammatik (Morphologie und Syntax), weil:
- die Entstehung neuer Wörter gewissen Regeln unterliegt (Grammatik stellt die Regeln einer
Sprache auf, es ist ein geschlossenes System)
- die WB ein Ausdruck sprachlicher Kreativität ist: mit einem begrenzten Inventar von
Elementen und Regeln lässt sich eine unbegrenzte Menge von neuen Kombinationen erzeugen
(es ist ein offenes System)
Die WB hängt eng mit der Bedeutung der Wörter zusammen – enge Beziehungen mit der
Semantik.
Unter WORTBILDUNG verstehen wir die Bildung neuer Wörter aus/mit vorhandenen
Elementen nach Mustern und Modellen.
Gegenstände der Wortbildungstheorie sind daher:
• das zur Bildung neuer Wörter vorhandene Inventar an Wortbildungsmitteln
• die Prozesse der Wortbildung
• die genutzten Muster und Modelle
• die Resultate der Wortbildungsprozesse - Wortbildungskonstruktionen
DAS WORT ALS SPRACHLICHE EINHEIT
Die Sprache ist ein System von sprachlichen Zeichen – Wörtern.
Definition:
Wörter sind reproduzierbare Einheiten aus einem Formativ (materielle Basis – lautliche oder
schriftliche Form) und einem Semem (Bedeutung / Inhalt des Wortes), die als solche fixiert,
gespeichert und für die Bildung von Sätzen und Texten reproduziert werden. Mit der
Bedeutung werden auch Regeln der Verwendung gespeichert.
Als phonologische Einheit besteht das Wort aus zwei oder mehreren Phonemen.
Aus morphologischer Sicht besteht das Wort aus einem oder mehreren Morphemen (das
Morphem ist die kleinste bedeutungstragende Einheit). Nach der Bedeutung und dem Grad
ihrer Selbständigkeit unterscheiden wir a) freie und b) gebundene Morpheme.
a)BASIS- / GRUND- / KERNMORPHEME
b)WORTBILDUNGSMORPHEME = DERIVATEME
b)FLEXIONSMORPHEME
= FLEXEME
Bsp.
Ver – ständ – ig – ung - en
Unter dem Begriff „Wortbildung“ werden Kombinationen von Morphemen verstanden,
durch die neue Wörter gebildet werden. Die neuen Wörter bestehen aus mindestens zwei
Morphemen (z.B. Alt-stadt, Schön-heit) oder aus einem Morphem, das in einer anderen als der
im Lexikon primär vorgesehenen syntaktischen Kategorie verwendet wird (z.B. das Ich),
weiter entstehen neue Wörter durch Kürzung.
Als WB bezeichnen wir weder syntaktische Fügungen noch Flexionsformen – z.B. alt-e
Städt-e.
Es ist auch zwischen einem Wort und einem Lexem zu unterscheiden. Ein Wort ist eine
intuitive Einheit der Sprache, ein geschlossenes lautliches oder graphisches Gebilde: Haus,
der, schöner, dort. Ein Lexem ist eine untrennbare Einheit von Form und Inhalt, wobei ein
Lexem aus mehreren Wörtern bestehen kann. Im Satz „Hier ist der Österreichische
Rundfunk“ ist „der Österreichische Rundfunk“ eine konkrete mediale Anstalt in Österreich,
d. h. ein Denotat – und es sind drei Wörter, üblicherweise wird die Abkürzung ORF gebraucht
– ein Wort? Lexeme sind die kleinsten semantischen Einheiten: blau, blauäugig, blauer
Montag
Es gibt drei WB-Arten: Kombination, Konversion und Kürzung.
Bei der KOMBINATION sind folgende Subklassen zu unterscheiden:
1. Zusammensetzung – ZS / Komposition: Kombination aus zwei oder mehreren
Wortkern-Morphemen / Basismorphemen, z.B. wider-sprechen, Misch-wald, parteitreu
2. Ableitung / Derivation: Kombination aus Basismorphem und nachstehendem WBSuffix (Suffix, Derivativ), z.B. lack-ieren, Wäld-chen, treu-los
3. Präfigierung / Präfixbildung: Kombination aus Präfix und Basismorphem, z.B. erblühen, Ur-wald, un-treu. Neuere WB-Theorien fassen Ableitung und Präfigierung
zusammen als Derivation i.w.S. oder Affixableitung.
4. Präfix-Suffix-Ableitung als Mischtyp aus Präfigierung und Ableitung, z.B. benachricht-igen, Ge-sing-e, un-er-klär-lich
5. Zusammenbildung als Mischtyp aus Zusammensetzung und Ableitung: Die Basis der
Ableitung besteht aus einem mehrwortigen Syntagma, z.B. über+nacht-en,
Drei+mast+er (trojstěžník), Kenntnis+nahm+e, ein+äug+ig
KONVERSION / Wortartwechsel ist die Verwendung eines Wortes einer Wortart als einer
Einheit einer anderen Wortart. Z.B. der Hamster (křeček) – er hamster-t, huraa – die Hurra-s,
ein klasse-s Auto. Hier wird ein Substantiv als Verb, eine Interjektion als Nomen, ein
Substantiv als Adjektiv verwendet. In der strukturalen WB-Lehre wird Konversion oft als
Ableitung mit Null-Elementen erklärt. Die Infinitivendung –en bei Verben ist ein Flexiv /
Flexem, ebenso wie andere Verbflexive –e,-st,-t. Die für die WB relevante Grundform der
Verben lautet nicht lachen, reden, sondern lach, red usw. – nur der Stamm.
Konversion aus mehr als einem Morphem – traditionell Zusammenrückung genannt – ist die
syntaktische Transposition einer Wortgruppe, z.B. sein Danke-schön, das Von-der-Hand-inden-Mund-Leben, (Satzinfinitive, Bindestrichinfinitive, Durchkoppelung)
das Vergissmeinnicht, der Dreikäsehoch (mrňous)
KÜRZUNG
Nach dem grammatischen Verhältnis zwischen Vollform und Kurzform sind zu
unterscheiden:
1. Kurzwörter: Kopfformen – Ober(kellner), Uni(versität), Schwanzformen –
(Omni)bus, Kombination aus Kopf- und Schwanzform – Tilgung der Mitte:
Bier(glas)deckel
2. Rückbildungen: um WB-Affixe gekürzte WB-Syntagmen mit Konversion, wobei
eine Zusammenbildung wie eine einfache Ableitung behandelt wird: Not+land+ung
→ not-land-en, frei+müt+ig → Freimut, hoch+müt+ig → Hochmut, blöd+sinn+ig →
Blödsinn
3. Abkürzungen / Abreviationen / Akronyme
• Initialwörter: sie werden aus Anfangsbuchstaben der Einzelmorpheme eines
WB-Syntagmas gebildet; die Aussprache a) nach Buchstaben Lkw, WM –
Weltmeisterschaft, oder seltener mit Phonemsequenz-Aussprache – UFO –
unbestimmtes Flugobjekt, DIN – deutsche Industrienorm, Aids – acquired
immune deficiency syndrom
• rein graphemische, so nicht gesprochene Kürzungen: Dr. für Doktor, m für
Meter
TERMINI
WBK – Wortbildungskonstruktionen sind Morphemgefüge, d.h. Kombinationen von
Morphemen. Unter dem Blickwinkel der Flektierbarkeit gelten Simplizia (1 Morphem) und
Morphemgefüge (WBK) als Stämme – sie können mit Flexemen verbunden werden.
AFFIXE sind Präfixe und Suffixe, sie kommen nicht frei vor, aber sie tragen wie
Grundmorpheme eine lexikalisch-begriffliche Bedeutung, sie modifizieren die Bedeutung der
Basiswörter: fallen: auf-, ver-, ein-, durchfallen
Ein Derivationssuffix ordnet das Wort kategorial in eine bestimmte Wortklasse ein: les-en,
Les-er, Les-er-in, les-bar, das letzte Suffix zeigt die Wortart an.
AFFIXOIDE (Halbaffixe) – in der aktuellen Diskussion ist dieser Begriff umstritten.
Es gibt Einheiten, welche wie ein Grundmorphem wortfähig sind, aber in spezifischen
Kombinationen mehr oder weniger von ihrer freien Entsprechung abweichen:
voll = „gefüllt“ - volles Glas
= „vollständig, ganz“ – volles Vertrauen
-voll – zum Ausdruck des „Vorhandenseins des Basisinhaltes“: kunstvoll, liebevoll,
wirkunksvoll
Nach Bußmann: Ein Affixoid ist ein Morphem mit einem selbständigen Pendant, das
reihenbildend affigiert wird:
-werk, -zeug, -wesen
-frei, - arm, -voll
Affen-, Mords-, Riesen-; stink- tod-
Riese = Märchengestalt, jmd. von außergewöhnlicher Größe
Riesenkrach, - applaus = starke Intensität
Zum Nachweis der Bedeutungsabweichung dient die Paraphrasierung des komplexen Wortes
durch eine Wortgruppe. Wenn die entsprechende Wortgruppe semantisch nicht adäquat ist,
gilt das Element als Affixoid; ebenso dann, wenn ein solches Element als Zweitglied einer
WBK nicht die ganze Konstruktion repräsentiert: liebevolle Gäste - * volle Gäste.
Riesenkrach - * Krach eines Riesen; Krach, wie ihn ein Riese macht
KONFIXE / KOMBINEME
Es gibt eine Vielzahl entlehnter Elemente, die nur in Kombination mit anderen Morphemen
auftreten: therm-o-dynamisch, Bio-energie, Geo-logie, Stief-mutter, Schwieger-vater, Agro nom, Phil-o -loge, Biblio / Vino / Disko –thek, Foto-graf, Aqua-naut, poly-glott.
Sie werden „gebundene Grundmorpheme“ (Fleischer 1985, 210) oder Konfixe (Schmidt
1987, 50) oder Kombineme (Schmidt 1987, 37; Eichinger 2000, 53) genannt.
Konfixe können auch als Basen für Ableitungen fungieren: elektr-isch, elektr-ifizieren, Elektrizität; zyn-isch, Zyn-iker, Zyn-ismus
INTERFIX
Als Interfixe werden semantisch „leere“ Segmente in der Kompositions- oder Derivationsfuge
von WBK bezeichnet:
Arbeit – s – anzug, Lieg – e – stuhl, theor - et – isch, will – ent – lich, afrika – n – isch
Als Interfixe gelten heute: -e-, -(e)n-, -(e)s-, -ens-, -er-, -i-, -oWart-e-raum, Sonne-n-schein, arbeit-s-los, Herz-ens-angelegenheit, Kind-er-buch, Prof-iboxer, Elektr-o-mobil
Interfixe sind weder eindeutig der ersten noch eindeutig der zweiten Konstituente einer WBK
zuzuordnen.
INFIXE kommen in den ide. Sprachen nur als Resterscheinung vor, sie sind semantisch
relevant und werden in die Derivationsbasis eingefügt. Im Deutschen z.B. als eine Art
Infigierung.
verzieren = zkrášlit
ver – un – zieren = znetvořit
hinlaufen – das Hin-ge-laufe; das Gelaufe = běhání
arbeits – un – fähig
UNIKALE MORPHEME
Es sind Morpheme, die nur in einem einzigen Wort vorkommen und mit ihnen sind keine
Neubildungen möglich – das ist auch der Unterschied zu den Derivatemen und Konfixen.
Him- beere, Brom- beere, Mett- wurst, Bräut –i- gam, Nachti- gall, Lind-wurm
ZIRKUMFIXE
Sie umrahmen die Ableitungsbasis, es sind z.B.
- von Substantiven abgeleitete Kollektiva mit Ge- + -e: Gehäuse, Gelände
- von Verben abgeleitete Nomina actionis mit Ge- + -e: Gerede, Gebrülle
- von Subst. und Verben abgeleitete Adjektive: abseitig, gefräßig, geläufig, gelehrig
- Pseudo-/Scheinpartizipien (=von Subst. abgel. Adjektive, deren Form dem Partizip II
ähnlich ist) gestiefelt, bestrumpft
Motiviertheit von Wörtern
Synchronisch lassen sich in jeder natürlichen Sprache motivierte / durchsichtige und
unmotivierte Wörter (mit vielen Zwischenstufen) unterscheiden. Die Motiviertheit eines
Wortes kann auch ohne linguistische Kenntnisse vom normalen Sprachteilhaber festgestellt
werden in metasprachlichen Sätzen wie z.B.: Der Kuckuck heißt so, weil er „Kuckuck“ ruft
(phonetische / onomatopoetische / natürliche Mot.), Der Gehweg heißt so, weil er ein Weg ist,
auf dem man geht und nicht fährt (morphemische Mot.), Die Beine des Tisches heißen so,
weil sie am Tische eine ähnliche Funktion haben wie die Beine beim Menschen, wenn er steht
(semantische / metaphorische Mot.). Solche metasprachlichen Sätze sind nicht möglich über
Wörter, deren Mot. verdunkelt / lexikalisiert / idiomatisiert / demotiviert ist (z.B. Zaun+könig
– strizlik, Elfen-bein – slonovina: Elf – elf, skritek, Elfe – vila, rusalka)
Autosemantika sind relativ selbstständige, begriffliche Bedeutung tragende Einheiten, wie
v.a. Substantive, Verben, Adjektive.
Synsemantika oder Funktionswörter dienen der Organisation des Textes oder der Rede,
indem sie Beziehungen zwischen den einzelnen sprachlichen Elementen herstellen, z. B.
Präpositionen, Konjunktionen.
KOMPOSITION (Zusammensetzung; Ergebnis: das Kompositum)
Ein Kompositum besteht aus mindestens zwei Teilen, das Erstglied und Zweitglied können
gebildet werden durch:
• freie Grundmorpheme, die außerhalb des Kompositums als Wort oder Wortgruppe
auftreten können: Lesebuch, UKW-Antenne, Patient-Arzt-Verhältnis.
• Konfix und Grundmorphem: Biogas, Schwiegervater.
• Konfixe: Disko-thek, Biblio-thek, Biblio-phil.
Die substantivische Komposition ist prinzipiell durch die Stabilität der Wortstruktur
gekennzeichnet, Komposita gliedern sich in zwei leicht erkennbare lexikalische Bestandteile
mit einem Haupt- und einem Nebenakzent: in das Bestimmungswort und in das
Grundwort. Der Hauptakzent liegt auf dem ersten Glied (fremde Sprache - Fremdsprache).
Bis auf die kleine Gruppe der Kopulativkomposita ist die Rheienfolge der UK hierarchisch
relevant: Das Zweitglied, der "Kern" (engl. head "Kopf") bestimmt Wortart, Genus und
Flexionstyp (Grundschule)
Ausnahmen:
Ein abweichendes Akzentschema haben:
• -einzelne Kopulativkomposita: Schleswig-Holstein
• -Komposita mit determinierendem Zweitglied: Jahrhundert, Leipzig-Ost
• -Konfixkomposita mit Fremdelementen: Diskothek
• -Komposita mit Durchkopplungsbindestrisch: Ebbe-Flut-Wirkung, Hals-NasenOhren-Arzt
Die beiden Teile des Kompositums können entweder in einer Beziehung der Unter- bzw.
Überordnung stehen – SUBORDINATION, oder sie können gleichgeordnet sein –
KOORDINATION. Im ersten Fall handelt es sich um DETERMINATIVKOMPOSITA;
sie bestehen aus dem Grundwort (Basis, Base) und dem Bestimmungswort (Determinant):
Großstadt, dunkelrot; im zweiten Fall um KOPULATIVKOMPOSITA: taubstumm,
Hosenrock, Uhrenradio.
Genus und Wortart des Kompositums werden in der Regel durch die zweite Konstituente
bestimmt: Hochhaus ist also ein Substantiv, haushoch aber ein Adjektiv.
Aber: Berlin-Pankow, Leipzig-Ost – die Konstituenten sind Eigennamen und das
determinierende Glied ist das Zweitglied.
POSSESSIVKOMPOSITA sind solche Komposita, die sich nicht auf die im Grundwort
benannte Größe beziehen.
die Milchkanne – Milch ist das Bestimmungswort für die Kanne (ein endozentrisches
Determinativkompositum)
das Milchgesicht – bezieht sich nicht auf ein Gesicht, sonder auf eine Person (ein
exozentrisches Determinativkompositum)
Ein Possessivkompositum lässt sich nicht in eine Satzphrase umwandeln, es sind
metaphorisierte Ausdrücke.
Beispiele: Hasenfuß, Geizkragen, Faulpelz, Pechvogel, Brumbär
Semantische Eigenschaften
Bei den Determinativkomposita bestimmt das Bestimmungswort näher die Bedeutung des
Grundwortes, die spezielle semantische Beziehung der UK kann nur durch Paraphrasierung,
also den Übergang auf die Ebene des Satzes bzw. der Wortgruppe explizit gemacht werden:
Sonnenschutz = Schutz gegen die Sonne
Kopfschutz = Schutz für den / am Kopf
Plast(e)schutz = Schutz aus Plast
Arbeitsschutz = Schutz (gegen Unfälle) bei der Arbeit
Bestimmungswort und Grundwort sind in derselben Weise aufeinander bezogen wie im
entsprechenden Satz einzelne Satzglieder, es gibt Parallelen zwischen Zusammensetzungen
und syntaktischen Fügungen:
Kindergeschrei
= Die Kinder schreien.
Subj.+ Präd.
Kinderbetreuung
= Man betreut die Kinder. Präd. + OA
Altenhilfe
= Man hilft den Alten.
Präd. + OD
Schlafbedürfnis
= Man bedarf des Schlafes. Präd. + OG
Zahlungserinnerung = Man erinnert j-n an die Zahlung. Präd+OPräp
Österreichreise
= Man reist durch/in/nach Österreich. Adv.Best. - lokal
Osterreise
= Man reist zu Ostern.
AB temporal - Zeitpunkt
Tagesreise
= Man reist einen Tag lang. AB-temporal - Dauer
Schiffsreise
= Man reist mit dem Schiff. AB instrumental
Vergnügungsreise
= Man reist zum Vergnügen. AB final
Die Auflösung der ZS in eine Satzfügung verdeutlicht die Teile einer ZS als selbständige
Lexeme, diese Lexeme sind zum kleineren Teil einfache Wörter - SIMPLIZIA (Stadt-bahn),
zum größeren Teil Wortbildungen oder Wortgruppen (Reinigungs-dienst, Fremdsprachenlehrer). Ohne zugehörigen Kontext wirken zahlreiche Komposita vieldeutig, z.B. Holzkiste:
a) Kiste aus Holz, b) Kiste für das Holz. Im Kontext aber sind fast alle Komposita eindeutig.
Komposition und Dekomposition (Fleischer-Barz)
Unter Dekomposition verstehen wir ein der Komposition entgegenlaufender Prozess. Es sind
z.B. Lockerungserscheinungen in der Stabilität der Wortstruktur:
-die Eliminierung des gleichen Kompositumsbestandteiles in Reihen von Wörtern unter
Verwendung des Ergänzungsbindestrichs: Hol- und Bringedienste, Staub-, Spreng- und
eventuelle Brandschaden, die Berg- und metallurgische Industrie, in politischen und
Fernsehdiskussionen, keramische und Glasindustrie.
Semantische Dekomposition: bei den Kurzformen wie Platte aus Schallplatte, Ring aus
Fingerring usw.
Bei Erben oder Grimm versteht man unter Dekomposita Bezeichnung für mehr als
zweigliedrige Komposita: Gift-gas-katstrophe, Straßen-bahn-fahr-gast, Auto-bahn-rast-stätte.
KOPULATIVKOMPOSITA
Als Kopulativbildungen werden im Deutschen ZS wie Gottkönig, Strumpfhose,
Ofenkamin, Dichterkomponist bezeichnet. Die Bildungsweise ist in ihrer Produktivität
eingeschränkt, sie findet sich am ehesten noch in Berufs- und Fachsprachen, z.B. in der
Chemie: Jodkalzium, Chlorwasserstoff. Weiter z.B. in der Mode - eine Art der Benennung
von Kleidungsstücken: Schürzenkleid, Hosenrock, Kostümkleid, Westenpullover. In der
Zeitungssprache - Doppelrollen bestimmter Personen: Dichter-Übersetzer, Arzt-Geologe,
Maler-Poet,
zusammengesetzte Konstituenten: Doppelbett-Couch, Radio-Kassettenrecorder,
Studienratdoktor.
Von Kopulativkomposita spricht man:
• wenn beide Glieder der Zusammensetzung der gleichen Bezeichnungsklasse
angehören und einander gleichgeordnet sind (wie in einer Konstruktion mit der
kopulativen Konjunktion und). z.B. Hemdbluse = Hemd und Bluse
• wenn ihre Reihenfolge theoretisch vertauschbar ist: Hosenrock/Rockhose,
Blusenjakce/Jackenbluse, Pulloverweste/Westenpullover, Westenmantel/Mantelweste,
Uhrenradio/Radiouhr, Ofenkamin/Kaminofen. Die Bildung der Kopulativkomposita
ist im Deutschen wenig genutzt, in der Gemeinsprache herrscht eindeutig die
Zusammensetzung vom Typ des Determinativkompositums vor.
Im Unterschied zu den Kopulativkomposita treten bei den Determinativkomposita häufig
auch ZS als Grund- oder Bestimmungswörter auf.
Die Strukturtypen:
Linksverzweigung (am häufigsten): Arm-band -- uhr;
Rechtsverzweigung: Reise -- schreib-maschine;
Links-Rechts-Verzweigung: Druck-luft -- brems-zylinder;
Zu überlangen Bildungen neigen besonders Autoren von Fachtexten der Wissenschaft,
Technik und Verwaltung: Rund-sicht--wind-schutz-scheibe, Landes-spar-kasse--zweiganstalt, Super-nutz-stich--frei-arm-näh-maschine, Atom-kraft-werk-stand-ort-sicherungsprogramm. Als polymorphemische Komposita bezeichnen wir Komposita mit vier und mehr
Grundmorphemen. Am häufigsten sind heute die Bildungen aus vier Morphemen: Autobahnraststätte, Braunkohlen-tagebau, Komposita mit mehr als vier Grundmorphemen sind
seltener: Sonderpostwertzeichenheft, Haushaltgroßgeräte-mechaniker,
Sonnabendnachmittagsbehaglichkeit.
METAPHERN
Kompositionsmetaphern sind differenziert zu betrachten:
1. Das Erstglied ist der Bildspender, das Zweitglied der Bildempfänger. ( = normal)
Kopfbahnhof, Sackgasse, Schmutzliteratur
2. Das Erstglied ist der Bildempfänger, das Zweitglied der Bildspender. Das Erstglied
kann (ohne Metaphorik) für das Ganze stehen, was für Determinativkomposita
ungewöhnlich ist (komparativ-endozentrisch).
Beifallssturm, Informationsflut, Kostenlawine
3. Augenblick = "Moment", Fuchsschwanz = "Handsäge", sind als Ganzes
metaphorisiert (komparativ-exozentrisch).
4. Expresive Personenbezeichnungen mit metaphorischen Tierbenennungen:
Bücherwurm, Filmhase, Pechvogel, Spaßvogel, Schmutzfing, Unglücksrabe; oder
Gegenstandsbenennungen Geldsack, Glückspilz, Jammerlappen. Hier kann weder das
Erst- noch das Zweitglied für das Ganze stehen.
Fugenzeichen / Interfixe
Die Fugenzeichen kennzeichnen die Verbindungstelle von ZS, evt. Ableitungen. Oft handelt
es sich um erstarrte Flexionsendungen syntaktischer Fügungen:
Bundeskanzler:
< des Bundes Kanzler
Königshof:
< des Königs Hof
Herzensfreude:
< des Herzens Freude
In vielen Fällen werden die ZS unabhängig von entsprechenden syntaktischen Konstruktionen
in Analogie zu bereits bestehenden Mustern gebildet:
Bischofskonferenz = Konferenz mehrerer Bischöfe → *Bischöfekonferenz, aber nach
Bischofsmütze oder Bischofsstab gebildet
Hier haben die Fugenzeichen nur eine Gliederungsfunktion, aber keine grammatische oder
inhaltliche. Sie sind auch ein Mittel zur besseren Aussprache.
Die Fugenelemente sind prinzipiell semantisch „leer“, bei manchen Erstgliedern indiziert aber
die Fugengestaltung semantische Differenzen:
Land-es-währung (Staat)
Länd-er-spiel (Staat – Plural)
Land-klima, -luft (Nicht-Stadt)
Land-e-bahn, -platz (Verbstamm „landen“)
Weitere Beispiele: Land-mann X Land-s-mann; Wasser-not X Wasser-s-not; Geist-esgegenwart X Geist-er-stunde; Mord-opfer X Mord-s-hunger; Schiff-s-körper X Schiff-fahrt.
Es sind bei den Fugenzeichen gewisse Regularitäten erkennbar, diese sind nicht fest im Sinne
einer Normierung. Der Sprachgebrauch selbst regelt dies, indem eine Form bevorzugt wird.
ZS können auch ohne irgendein Verbindungsstück sein = nahtlos, es sind etwa 2/3 aller ZS:
Auto-fahrer, Rasen-stück, Bob-rennen, Jagd-hund, Musik-lehre.
Bei substantivischem Erstglied wird der Gebrauch der Fugenelemente beeinflusst:
-
durch dessen Flexionsklasse (Genitiv-, Pluralzeichen)
-
durch Lautstruktur (Abhängigkeit vom Auslaut, von Suffixen)
ABLEITUNG / DERIVATION
Die Ableitung wird bei den Sprachwissenschaftlern nicht einheitlich dargestellt:
• DUDEN, J. Erben:
1) Komposition
2) Ableitung – durch Affixe gebildet – Präfixbildung
- Suffixbildung
3) Konversion
• W. Fleischer:
1) Komposition
2) Ableitung - Suffixbildung (Sand → sand-ig), aber auch mit dem sog. Nullsuffix (laufen →
Lauf)
3) Präfixbildung
(Duden, Erben)
Unter Ableitung verstehen wir ein Wort, das aus einem anderen Wort mit Hilfe eines Präfixes
oder Suffixes gebildet wird.
Einige Autoren unterscheiden die ABLEITUNG = mit Suffixen, und die PRÄFIGIERUNG =
mit Präfixen gebildet (Fleischer).
Die Derivation mit Affixen nennen wir die explizite Derivation.
Schön-heit, freund-lich, fehler-haft, ein-/aus-/um-steigen
Die Derivation ohne Affixe, mit Stammvokalveränderung, nennen wir die implizite
Derivation (fliegen → der Flug, werfen → r Wurf, fortschreiten → r Fortschritt). Die
Derivation wird durch Stammalternation = implizit indiziert (explizit = durch Affixe). Die
implizite Derivation ist heute unproduktiv, die Vokalveränderungen hängen historisch mit
Ablaut und Umlaut zusammen.
Die wichtigste Art der suffixlosen Ableitung ist die sog. KONVERSION, d.h. der Übergang
ein eine andere Wortart ohne Suffixe und ohne formale Änderungen (lesen → das Lesen, neue
→ das Neue, laufen → der Lauf).
Man unterscheidet in der Sprachwissenschaft primäre – Basiswörter, und abgeleitete Wörter
– Derivate; je nach Wortart des primären Elements werden die abgeleiteten Wörter als
Desubstantiva, Deverbativa, Deadjektiva bezeichnet.
PRÄFIGIERUNG
Sie ist besonders im Bereich der Verben stark entwickelt:
fallen: ent-, ver-, zer-, hin-, auf-, durch-, runterUn-ordnung, Ab-lauf, Miss-geschick
Die Gründe dafür, dass die Präfigierung als selbständige Wortbildungsart angesehen wird,
sind in folgenden Unterschieden:
1. Das Präfix hat keinen Einfluss auf die Wortklasse: suchen – versuchen, Ordnung –
Unordnung.
Das Suffix ist wortklassendeterminierend: senden – Send-ung, frei – Frei-heit; Humor
– humor-voll
2. Ein Präfix kann in mehreren Wortarten vorkommen: r Anzug – anziehen – anzüglich
3. Das Präfix kann den Akzent tragen, wobei wir betonte und unbetonte Präfixe
unterscheiden.
SUFFIGIERUNG
Das Suffix determiniert die Wortklasse, bei Substantiven gilt es meistens als Artikelindikator,
d.h. es bestimmt das Genus des Nomens (DUDEN – Übersicht):
z.B. Feminina sind Subst. auf : -ei, -heit, -keit, -schaft, -ung (heimische Suffixe), -age, -ät, anz, -enz, -ie, -ik, -ion, -ur (Fremdsuffixe)
Neutra: -chen, -lein, -ett, -il, -ma, -o, -um
Ausnahmen: Folgende Suffixe weisen Genusvariation auf:
-NIS:
das Suffix bildet feminine und neutrale Abstrakta, es überwiegt Neutrum:
das Ergebnis, Bildnis, Bedürfnis, Zeugnis, Geheimnis
die Erlaubnis, Kenntnis, Erkenntnis, Finsternis
-SAL:
nicht produktiv, Feminina und Neutra:
die Drangsal, Mühsal, Trübsal
das Schicksal, Wirrsal
-SEL:
historisch aus –sal entwickelt, es bildet Neutra mit Umlaut, Maskulina sind Ausnahme:
das Häcksel (aus: hacken), Rätsel (raten), Füllsel (füllen), Anhängsel (anhängen)
der Stöpsel (stopfen, stoppen)
der / das Steusel
-TUM:
es bildet Neutra außer Maskulina der Irrtum, r Reichtum.
das Eigentum, Bürgertum, …
Bei der Ableitung sprechen wir auch von der sog. Entwicklungsserie (Ableitungsserie)
sehen – Sicht – sichtbar – Sichtbarkeit
s Schreien – r Schrei – s Geschrei – e Schreierei
und von der Korrelation, d.h. dass mit Hilfe eines identischen Wortstammes aber
verschiedner Suffixe neue Wörter gebildet werden:
erklärbar – erklärlich (beides vysvětlitelný)
aber: kindisch – ein kindischer Mensch X kindlich – das kindliche Alter
goldene Uhr X goldiges Kind
schmerzhafte Verletzung X schmerzlicher Abschied
gewaltsame Unterdrückung X gewaltiges Bauwerk
Präfix
- ändert nie die Wortart der Basis
- kann unspezifisch sein
- ist betont oder unbetont
- dient in erster Linie zur semantischen
Erweiterung der Basis
Suffix
- ordnet die Basis einer Wortart zu
- ist für (nur) eine Wortart spezifisch
- ist immer unbetont
- dient in erster Linie zur Überführung
der Basis in eine andere Kategorie
Die wichtigsten Wortbildungsparadigmen der Substantivableitung sind:
Art der Modifikation von BS
(Basissubstatniv)
1. DIMINUTION
Zusätzliches semantisches
Merkmal
klein, vertraut
2. AUGMENTATION
sehr groß, riesig
3. NEGATION
4. TAXATION
kein, nicht
a) falsch, verfehlt
b) stellvertretend
c) ehemalig, nicht mehr
d) besonders
e) gegesätzlich
5. MOTION / MOVIERUNG a) weiblich
(Sexus-Differenzierung)
b) männlich
6. KOLLEKTION
die gesammten (BS)
7. SOZIATION
Partner
Wichtigste Funktionsträger
-chen, -lein; Mini-,
Varianten: -el/-erl; -le/-la/-li
Erz-, Super-, Über-, Un-,
Präfixoide: Blitz-, Riesen-,
Spitzen-, Haupt-, …
Un-, Miss-, Nichta) Fehl-, Miss-, Unb) Vizec) Alt-, Exd) Extra-, Sondere) Antia) –in, -esse, -euse, -ess, -ine,
-sche
b) –er, -erich
Ge-BS-(e), -schaft, -icht,
Suffixoide: -werk, -wesen
Ko(n)-, Mit-
Die produktiven Ableitungsmuster von Verben sind:
Bezeichnungsklasse
1. EREIGNISVERBEN
Tages-, Jahreszeit,
Witterungserscheinungen
2. VERGLEICHSVERBEN
Beruf, Rolle
3. VERGLEICHSVERBEN
Tier, Sachgröße
4. EFFIZIERENDE
VERBEN
Tätigkeit, Wirkung, Ergebnis
5.
ABSTRAKTIONSVERBEN
Zustand, Bereich
6. ORNATIVE VERBEN
Zugeteiltes
7. PRIVATIVE VERBEN
entnommener Teil
8. INSTRUMENTATIVE
VERBEN
Mittel, Gerät
Prädikation
BS ist da
„Aktualisierungsprädikation“
Beispiele
es tagt, es hagelt
ist tätig als BS
schriftsteller-n, schmied-en,
verhält sich wie BS
luchs-en, pendel-n,
be-mutter-n
rost-en, reise-n, most-en
wird BS
zweifel-n, land-en, weid-en
ist in BS
gibt BS
polster-n, ver-gold-en;
nimmt BS
schäl-en, ent-kern-en
(be)arbeitet mit BS
hobel-n, hupe-n, geige-n
Substantiv
Explizite Derivation
Diminutivsuffixe
Diminuierung und Augmentierung entsprechen einander als „Verkleinerungs- bzw.
Vergrößerungsbildung“. Im Unterschied z.B. zu den slawischen Sprachen kennt das Deutsche
ein ausgebautes System spezieller Wortbildungsaffixe nur für die Diminuierung.
Die wichtigsten Diminutivsuffixe sind –chen und –lein, eine gewisse Rolle spielen auch auch
–el, -le und –ke und einige Fremdsuffixe. Abgesehen von den Fremdsuffixen, bilden die
Diminutivsuffixe stets Neutra.
Die Verwendung von –chen und –lein zeigt phonologisch bedingte sowie
geographische (diatopische) und wohl auch textsortenbedingte Unterschiede:
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Phonologische Unterschiede:
An Substantive auf –l(e) tritt –chen: Keul-, Seel-, Spielchen
An Substantive auf –ch, -g und –ng tritt in der Regel –lein: Bäch-, Tüch-, Zweigl-, Ringlein.
Substantive auf –el lassen –chen wie –lein zu: Englein – Engelchen, Spieglein – Speigelchen.
Umlaut des Stammvokals der Basis tritt in Verbindung mit –lein stets ein, unterbleibt dagegen
in Verbindung mit –chen in bestimmten Fällen, z.B. einer Reihe von Rufnamen und ihnen
nahe stehenden Personenbezeichnungen: Karl-, Kurtchen, Turdchen, Onkelchen, Frauchen,
aber Männchen, Fräulein. Auch bei Fremdwörtern steht in Verbindung mit –chen vielfach
Umlaut: Histörchen, Romänchen
Geographische Differenzierung:
-lein ist vor allem oberdeutsch beliebt; die oberdeutschen Mundarten kennen eine ganze
Reihe von Varianten des –l- Diminutivums: Rössel, Messerle, Raderl = Rädchen, Blättli.
Literatursprachlich ist heute –chen am weitesten verbreitet.
Textsortenbedingte Differenzierungen:
Größere Textkorpora verschiedener Textsorten lassen insgesamt ein Verhältnis von
–chen : -lein = 4 : 1. Die Frequenz von –lein sinkt nach einer Untersuchung von Märchen und
Ballade über die Erzählung und den Roman bis zu Dramatik und Lyrik.
Semantische Differenzierung: sie besteht zwischen –chen und –lein nur in einigen
Fällen unterschiedlicher Idiomatisierung: Männchen und Weibchen bezieht sich auch auf
Tiere, Männlein und Weiblein nur auf Menschen.
Frauchen (panička- majitelka zvířeta) – Fräulein
Die übrigen Diminutivsuffixe spielen in der Literatursprache nur eine geringere Rolle;
sie sind an bestimmte Lexeme gebunden.
el
Bündel, Büschel, Krümel, Ränzel, Stadtsäckel – vereinzeltes Maskulinum (městská pokladna),
nur in Komposita z.B. Rösselsprung.
-le: Häusle und Ländle (okkasionell expressivitätssteigernd)
Niederdeutschen Ursprungs ist –ke, z.T. diminuierend in Appellative wie Steppke (malý
chlapec)
Sufix –i bildet Diminutivbildungen bei Vornamen: Susi, Gabi, Stephi.
Von den Fremdsuffixen haben z.T. diminuierende Funktion: -ine (Sonate – Sonatine, Viola –
Violine), -ette (Oper – Operette, Zigarre – Zigarette, Statue – Statuette), vereinzelt –it (der
Meteorit), -elle (Novelle = kleine Erzählung, Bagatelle = Kleinigkeit, Frikadelle = kleiner
Fleischkloß).
Diminutiva haben nicht nur die Bedeutung „Verkleinerung“, sondern sie können auch
eine emotionale Konnotation erhalten: Städtchen gegenüber kleine Stadt, Kleinstadt. Unter
diesem Gesichtspunkt sind auch Rieslein und Zwerglein möglich. Die Konnotation kann
emotional-positiv sein: Küsschen, Händchen, Kätzchen, oder emotional-negativ, pejorativ
sein: Muttersöhnchen, Bürschchen, Freundchen.
Eine besondere Rolle hat das Diminutivsuffix bei Stoffbezeichnungen; es bewirkt hier
eine Abgrenzung, Vereinzelung: Stäubchen = Einzelteil von Staub, Lüftchen = kleiner
Luftzug, Zuckerchen = kleines Stück Zucker. Sie werden damit auch Pluralfähig.
Ein Teil der Diminutiva ist demotiviert, bisweilen völlig isoliert: Veilchen,
Eichhörnchen, Frettchen, Ohrläppchen, Ständchen, Flittchen.
Movierung (Motion)
Als Motion werden folgende Derivationsprozesse bezeichnet:
1. Bildung der weibliche Entsprechung zu einem Substantiv männlichen Geschlechts:
Arzt – Ärztin
2. Bildung eines als weiblich markierten Substantivs zu einem sexusneutralen Substantiv
mit maskulinem oder femininem Genus: der Storch – die Störchin, die Giraffe – die
Giraffin
3. Bildung eines als männlich markierten Substantivs zu einem als weiblich markierten
Substantiv: die Hexe – der Hexerich, Hexer, die Witwe – der Witwer.
4. Bildung eines als männlich markierten Substantiv zu einem sexusneutralen Substantiv
mit femininem Genus: die Ente – der Enterich.
Die Movierung erfasst Personen und Tierbezeichnungen, das dominierende Suffix ist heute
-in neben –inne. Ältere Bildungen mit –in zeigen meist Umlaut: Bäuerin, Köchin, Äffin,
Störchin. Der Umlaut unterbleibt gewöhnlich, wenn die Basis ein zweisilbiges Wort mit
unbetontem –e ist: Malerin, sowie bei Fremdwörtern: Baronin, Kameradin, Sklavin, Botin.
Unter den Personenbezeichnungen stellen die Berufsbezeichnungen ein besonderes Problem
dar. Nicht jeder weiblichen Berufsbezeichnung auf -in steht ein geläufiges männliches
Gegenstück zur Seite, weil die betreffenden Berufe eine Domäne von Frauen sind:
Kindergärtnerin, Hortnerin, Kosmetikerin, Stenotypistin. Doch die männlichen Gegenstücke
ohne –in sind modellgerecht und stehen zur Verfügung.
Andererseits ist die männliche Form mit zwei Bedeutungen – sie bezeichnet nur Männer, oder
beide Geschlechter – das generische Maskulinum = der Gebrauch maskuliner
Personenbezeichnungen und Pronomina zur Referenz auf beide Geschlechter: Student = er,
sie. Die Opposition männlich – weiblich kann auch auf andere Wiese ausgedrückt werden,
v.a. durch Komposita mit –mann, -frau: Kameramann, Kamerafrau, Kaufmann – Kauffrau,
bei Tieren mit –männchen, -weibchen, oder durch Attribuierung mit den Adjektiven
männlich, weiblich: männlicher / weiblicher Lehring.
Neben –frau werden auch –dame: Bardame, Vorführdame (modelka), -mädchen: Haus-,
Stubenmädchen, und –schwester: Kranken-, Säuglingsschwester verwendet.
Daneben ist auch die Tendenz zu beobachten, für die Bedürfnisse der modernen Arbeitswelt
geschlechtsneutrale Berufsbezeichnungen zu bilden. Dazu dienen Komposita mit
Halbsuffixen -hilfe oder -kraft: Büro-, Haushalts- Küchen-, Reinigungshilfe, Lehr-, Fach-,
Schreib-, Reinigungskraft.
Andere Movierungssuffixe sind selten, das – vor allem matrimonielle - -sche ist auf
norddeutsche Umgangssprache beschränkt: Bäckersche = die Frau des Bäckers – paní
pekařová. An einzelne Lexeme gebunden sind die Fremdsuffixe:
-eß, -esse, -isse: Stewardess, Clowness, Baronesse, Diakonisse
-euse: Firseuse, Masseuse aber auch Friseurin, Masseurin
-ine: Cousin – Kusine, Blondine,
-ice: Direktirce
Movierte Maskulina sind relativ selten und werden zu Tierbezeichnungen gebildet:
-erich: Ente – Enterich, Gans – Gänserich, Taube – Täuberich
-er: Hexe – Hexer, Witwe – Witwer, Tauber, Ganser / Ganter
Kollektivbildungen bei Substantiven
Kollektivbildungen bezeichnen:
1. Personengruppen: Sie werden
gebildet
mit
Suffexen
–schaft
(Beamten-,
Bürgerschaft), seltener mit –tum (Bürger- Christentum), ugs. auch mit –leute
(Nachbarsleute) und –volk (Weiber-, Männervolk).
2. Sachbezeichnungen: sie werden in erster Linie mit Ge(-e) (Geäst, Gewölk, Gelände)
und –werk (Ast-, Busch-, Wurzel-, Regelwerk) gebildet, ugs. auch mit –gut
(Namengut = die Namen, Ideengut) und –material (Faktenmaterial, Zahlenmaterial).
Die Bildungen mit –wesen dienen zur umfassenden Bereichsbezeichnung, v.a. in der
modernen Verwaltungssprache (Zoll-, Vermessungs-, Planungs-, Bauwesen).
Präfix Ge + (e)
Substantive mit dem Präfix Ge- sind Neutra:
1. Desubstantiva mit einer kollektiven oder verallgemeinernden Bedeutung (e Feder – s
Gefieder, r Ast – s Geäst, s Wetter – s Gewitter)
2. Deverbativa, die Mittel, Ort oder Ergebnis einer Tätigkeit bezeichnen (bauen –
Gebäude, packen – Gepäck, decken – s Gedeck)
3. Deverbativa, die eine negative Bewertung der Tätigkeit ausdrücken Ge+e (pfeifen – s
Gepfeife, fragen – s Gefrage, klopfen – s Geklopfe, tun – s Getue = okázalé chování,
drängen – s Gedränge, reden – s Gerede, fluchen – s Gefluche)
Die Abstrakta dieses Bildungstyps enthalten eine frequentative Komponente des wiederholten
oder andauernden Tuns (Konkurrenzformen zu den Ableitungen auf -(er)ei: Gefrage /
Fragerei, Gelaufe / Lauferei). Bei Wahlmöglichkeit zwischen Formen mit und ohne e-Suffix
kann dieses zusätzlich eine Bewertung des Überdrusses vermitteln. (Gebrüll – Gebrülle,
Geschrei – Geschreie).
Eine Reihe mit steigender Intensität:
schreien – s Schreien – r Schrei – s Geschrei – s Geschreie – e Schreierei
fragen – s Fragen – e Frage – s Gefrage – e Fragerei
Personenbezeichnungen können Maskulina oder Feminina sein:
r Gefährte, r/e Gefallene, r/e Gelehrte, r/e Geliebte, r Genosse, Geselle, Genießer
oder Abstrakta, Sachbezeichnungen:
r Gebrauch, Gedanken, Gefallen, Gehalt (x s Gehalt), Genuss (x s Genus), Gesang, Gestank,
Gewinn
e Gegenwart, Gemeinde, Geschichte, Geschwulst, Gestalt, Gewähr, Gewalt, Gerade
Es handelt sich um andere Wortbildungsverfahren, z.B. die Konversion (r/e Geliebte, e
Gerade) oder die Ableitung (singen – r Gesang, stinken – r Gestank, gewinnen – r Gewinn).
Präfix UNBei Substantivem drückt das Präfix UN- aus:
1. Negation (Unordnung, Unschuld, Unmaß, Untiefe)
2. Normabweichung ( Unsitte, Unfall, Unart, Unmensch)
3. Verstärkung bei Mengenbezeichnungen (Unmasse, Unsumme, Unzahl, Unkosten)
Un/trennbare Präfixe
DURCH- trennbar
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eine Bewegung durch etw. (freier Raum) hindurch
durch-kriechen, durch-dringen, durch-klettern
etw. völlig abnutzen, zerstören: durch-scheuern, durch-faulen
Teilung in zwei Stücke: durch-beißen, -brechen
etw. vollständig tun: durch-lesen, -probieren, -sieben
DURCH – untrennbar
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transitive Verben aus intransitiven Verben der Fortbewegung
etw. durchreisen, durchschwimmen
Dauer einer Handlung: durchleben, durchleiden, durchwachen
ÜBER – trennbar
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etw. über den Rand / die Grenze hinausgeht: über-kochen, -schäumen (das Bier), -hängen
etw. von einem Ort zu einem anderen geht: über-siedeln, -gehen, -springen
ÜBER – untrennbar (überwiegen)
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sich über eine Fläche bewegen: etw. überqueren, überfliegen, überschreiten
eine Fläche bedecken: etw. überziehen, überdachen, übermalen
eine Zeitdauer ausdrücken: überleben, überwintern
ein extremes Maß ausdrücken: überladen, überlasten, überfordern
etw. flüchtig oder nicht wahrnehmen: überfliegen, übersehen, überhören
etw. wiederholen und besser machen: überdenken, überarbeiten, überprüfen
UNTER – trennbar
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Bewegung von oben nach unten: Die Schiffe gehen unter, Fische tauchen unter
etw. mischen: unter-mischen, unter-pflügen
etw. zu niedrig einstufen: j-n unter-zahlen, unter-ordnen, unter-bewerten
aber! Er hat das unterschätzt.
UNTER – untrennbar – meist übertragene Bedeutung
Der Alkohol untergräbt seine Gesundheit.
j-n unterhalten = für j-n sorgen: er unterhält die Familie mit drei Kindern
etw. unterhalten = etw. finanzieren, instandhalten: der Staat unterhält die öffentlichen Gebäude
UM
Bewegung / Veränderung
des Objekts / Subjekts:
Bedeutung „um …. herum“
Sie stellt oft die Möbel um.
Der Gärtner pflanzt die Blumen um.
Polizisten umstellten das Haus.
Er umpflanzt den Rasen mit Blumen.
Er hat den Aufsatz umgeschrieben.
Er hat die Bedeutung mit anderen Worten
umschrieben.
Eine Mauer umgibt das Grundstück.
Die Familie zieht nächste Woche um.
Die Vase ist beim Aufräumen umgefallen.
Wortbildung des Verbs – KOMPOSITION
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Getrennt- und Zusammenschreibung, Verb, S. 33-37
oder
DUDEN 4: Die Grammatik. Die Typen der Verbverbindung, Pseudokomposita, die
semantischen Muster
DERIVATION DES VERBS – Präfixe und ihre Bedeutung
→ Fleischer / Barz oder → DUDEN
Wortbildung
okruhy ke zkoušce
1. Gegenstand der Wortbildungslehre. Das Wort als sprachliche Einheit,
Morpheme, Terminologie
2. Arten der Wortbildung: Kombination, Konversion, Kürzung – Übersicht
3. Wortbildung des Substantivs: Komposition, Fugenzeichen,
Kompositionsmetaphern
4. Wortbildung des Substantivs: explizite und implizite Derivation,
Wortbildungsgruppen aus onomasiologischer Sicht
5. Wortbildung des Substantivs: Kurzwortbildung, Abkürzungen
6. Wortbildung des Substantivs: Augmentation, Diminution, Movierung,
Kollektion
7. Wortbildung des Adjektivs: Komposition und Derivation, v.a.
Suffigierung (-bar, -haft, -en/-ern, -er, -ig, - isch, - lich, -sam)
8. Wortbildung des Adjektivs: Lehnsuffixe (-al/-ell), Halbsuffixe (-los, -frei,
-reich, -mäßig/-gemäß, -voll, -arm), Affix-Negation
9. Konversion bei Substantiven, Adjektiven und Verben
10. Wortbildung des Verbs: Semantische Muster, Komposition und die neue
Rechtschreibreform
11. Derivation des Verbs – v.a. Präfixe und ihre syntaktisch-semantische
Funktion
12. Doppelförmige Verben, syntaktisch-semantische Reflexe
13. Entwicklungstendenzen der deutschen Wortbildung bei Substantiven,
Adjektiven und Verben
Doporučená studijní literatura:
Fleischer, W. – Barz, I.: Wortbildung der deutschen. Gegenwartssprache. 2.Aufl. Tübingen 1995
Glück,Helmlut/ Sauer,W.W.: Gegenwartsdeutsch. 2., überarb. und erweiterte Aufl., Stuttgart,
Weimar 1977 (Kapitel 6)
Schippan, Thea: Lexikologie der dt. Gegenwartssprache. Tübingen 1992
Weinrich, H.: Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim 1993