E-Mail-Account gekapert, oh Schreck! Ein persönliches wie

Transcrição

E-Mail-Account gekapert, oh Schreck! Ein persönliches wie
„Ich wollte dich fragen ob du mir ein bisschen Geld so schnell wie möglich leihen kannst …“ Mit dieser Nachricht wollten Betrüger abkassieren
Gesellschaft
Mein gestohlenes Ich
E-Mail-Account gekapert, oh Schreck! Ein persönliches wie lehrreiches Drama
Von Friederike Ott
E
s ist einer jener Tage, an
denen nur Irre die Welt in
Atem halten. Ich sitze in
Hamburg-Lokstedt in der
Redaktion der „Tagesschau“
und schreibe eine Meldung
über den Diktator in Nordkorea.
Um 10.47 Uhr klingelt mein Handy. Es ist Michelle Müntefering, über
die ich kürzlich ein Porträt schrieb.
Sie erzählt, dass sie eine sonderbare
Mail bekommen habe. Sie vermutet,
ich sei gehackt worden. Ich denke
mir nichts weiter. Es kommt ja
häufiger vor, dass Spam-Mails verschickt werden. Ich schaue weiter
auf den Nachrichtenticker. Mein
Telefon klingelt schon wieder. Eine
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Kollegin von der „Süddeutschen
Zeitung“ sagt mir, sie habe eine seltsame Mail bekommen. Sie sei unter
meinem Namen verschickt worden.
Darin stehe, ich sei gerade in Edinburgh und brauchte dringend Geld,
weil ich meine Tasche verloren hätte. Man solle es mir über Western
Union schicken. Ich lege auf und bekomme neue Anrufe. Viele. Kollegen,
Freunde, Bekannte, Menschen, die
ich gar nicht kenne, erzählen mir
von dieser seltsamen Mail.
Langsam beginne ich zu ahnen,
dass etwas geschehen sein muss, das
mir Ärger machen wird. Ich will
mich in meinen Google-Mail­
Account einloggen, doch die Seite
„Es fühlt sich an,
als hätte ich
gerade Einbrecher
im Haus.“
Friederike Ott
arbeitet als freie
Journalistin,
auch für den stern
verweigert mir den Zugriff. „Ihr
Passwort wurde geändert“, lese ich.
Ich habe mein Passwort nicht geändert, seit mindestens drei Jahren
nicht mehr. Es ist ja schon schwer
genug, sich alle Codes zu merken,
mit denen man sein Leben verschlüsselt und vor fremden Zugriffen
schützt. „Sie haben Ihr Passwort
nicht geändert?“, fragt Google. Mir
werden verschiedene Möglichkeiten angezeigt, die Ursache des Problems sein könnten. Direkt unter
der Option „Passwort vergessen“
steht „Anscheinend verwendet eine
andere Person mein Konto“. Google
scheint das schon zu kennen. Jemand hat mein Passwort geknackt,
dann geändert und verschickt von
meinem Konto Bettel-Mails. Und
ich kann nichts tun. Es ist, als wäre
ich plötzlich entmündigt.
Um 10.50 Uhr ruft mich mein Bruder Alex an. Alex ist Diplomingenieur. Schon als wir Kinder waren,
hat er an Computern herumgeschraubt, und wenn ich ein Problem
mit meinem habe, kann Alex eigentlich immer helfen. Es ist toll, einen
solchen Bruder zu haben. Alex hat
einen stressigen Job beim Fernsehen,
aber an diesem Morgen ein bisschen
Zeit. Ich gebe ihm den Code, den
Google auf mein Handy geschickt
hat. Das ist ein Service, den Google
Usern anbietet, die ihr Passwort
vergessen haben. Oder wenn eine
andere Person ihr Konto verwendet.
Fotos: Andreas Eucker; Patrick Ohligschläger
„Spam oder
ernst?“ Besorgte
Freunde und Kollegen forschten
per SMS nach
Alex verspricht, die Verbrecher aus
meinem Account zu vertreiben, und
ich kümmere mich wieder um den
Irren mit der Bombe in Nordkorea.
Die Waffen, mit denen Kim Jong
Un droht, wirken auf mich in diesem
Moment wie Waffen von gestern.
Die Waffen des 21. Jahrhunderts
machen keinen Lärm. Sie kommen
durch Glasfaserkabel und verbreiten sich leise in Computern und
Netzwerken. Sie bedrohen Staaten
und Konzerne. Und sie schreiben all
meinen Kontakten, ich sei in Edinburgh und brauche dringend Geld.
Ich habe meinen E-Mail-Account
seit etwa fünf Jahren. Ich habe mir
als Provider Google Mail ausgesucht,
denn der Speicher, den Google seinen Nutzern anbietet, ist riesig. Deshalb lösche ich selten Mails. Vieles
kann man irgendwann noch einmal
gebrauchen, und über die Such-
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funktion lassen sich alte Mails wunderbar anhand von Schlagwörtern
finden. Ich bin freiberufliche Journalistin. Ich mache alles über diesen
Account. Dort sind geschäftliche
und private Mails gespeichert. Und
da ich mir die Mails nicht auf meinen Computer herunterlade, habe
ich immer Zugriff auf sie. Egal, wo
und an welchem Computer ich gerade bin. Das ist sehr praktisch. Inzwischen sind es über 25 000 Mails
von vielen Hunderten, vielleicht
Tausenden Kontaktpersonen.
Wer Zugriff auf meinen E-MailAccount hat, kann also sehr viel
über mich erfahren. Fast mein ganzes Leben findet dort statt. Dass nun
wildfremde Menschen in meinen
E-Mails wühlen, fühlt sich an, als
hätte ich gerade Einbrecher im
Haus. Was, wenn sie alles irgendwo
veröffentlichen?, frage ich mich. Ich
versuche, mich zu beruhigen. Wen
interessiert das schon? Ich bin ja
nicht Scarlett Johansson, Beyoncé
oder die FDP. Alle drei wurden kürzlich Opfer von Hackern.
Die Freundin unter Zeitdruck
Natürlich weiß ich, dass meine Daten
bei Google nicht sicher sind. Natürlich weiß ich auch, dass Google meine Nachrichten durchforstet, um
mir anhand von häufig benutzten
Schlagwörtern personalisierte Werbung zu schicken. Und es ist mir
auch klar, dass irgendjemand an irgendeinem Server im Silicon Valley
oder sonst wo auf der Welt meine
Mails lesen kann. Mails sind wie
Postkarten. Deshalb habe ich keine
Bankdaten oder Passwörter in meinen E-Mails gespeichert. Doch dass
sich jemand in meinen Account hacken könnte und mich nicht mehr
hineinlässt, habe ich nicht erwartet.
So, als wäre ich plötzlich aus meinem eigenen Leben ausgesperrt.
In Berlin-Mitte sitzt meine Freundin Rebecca an ihrem Rechner. Wir
haben uns mal ein Büro geteilt.
Auch Rebecca ist Journalistin. Um
kurz vor elf sieht sie, dass ich ihr aus
Edinburgh geschrieben habe und
dringend Geld brauche. Sie liest die
Mail nur flüchtig. Sie steht unter
Zeitdruck. Sie denkt, das könnte
passen, denn ich bin öfter mal im
Ausland und habe auch schon Dinge verloren. Dass die Mail in holprigem Deutsch geschrieben ist, fällt
ihr in der Eile nicht auf. Sie versucht,
mich anzurufen, doch mein Handy
ist besetzt und die Mailbox voll. Um
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29.5.2013
„Mein EmailAccount wurde
gehackt …“
Via Facebook
wurden Freunde,
Bekannte und
Arbeitskollegen
gewarnt
11.03 Uhr antwortet Rebecca auf die
Mail. Dass sich in diesem Augenblick die Adresse im Adressfeld ändert und sie nicht mehr an [email protected] schreibt,
sondern an friederike_ott@ymail.
com, merkt sie nicht. Sie schreibt, sie
habe keine Zeit, zu Western Union
zu gehen. Ob es reiche, wenn sie mir
ihre Kreditkartendaten gibt. Sieben
Minuten später erhält sie eine Antwort von der ymail-Adresse, wohin
die Hacker alle Mails umleiten, die
mir geschrieben werden. Sie könne
die Überweisung auch online machen, schreiben sie in meinem Namen. „Wie viel Geld brauchst Du
denn?“, schreibt Rebecca. „1350 Euro“,
schreiben die Hacker.
Ich sitze in Hamburg-Lokstedt.
Meine Gedanken rasen. Waren nicht
vielleicht doch Passwörter in meinen
E-Mails? Hatte ich nicht kürzlich
mein Apple-Kennwort vergessen
und über meinen E-Mail-Account
zurücksetzen lassen? Können die
Verbrecher jetzt in meine iCloud?
Können sie auf mein Handy zugreifen? Auf mein digitales Notizbuch?
Ich schaue hinein. Dort steht die Geheimzahl für „Verified by Visa“, die
Zahl, die Kreditkartenzahlungen im
Netz noch sicherer machen soll. Ich
rufe bei meiner Bank an und frage,
wie ich diese Nummer sperren kann.
Nur mit dem Tan-Block, sagt die
Frau am anderen Ende der Leitung.
Der ist natürlich zu Hause. Aber
ohne meine Kreditkartennummer
könne damit niemand etwas machen, beruhigt sie mich. Ich ändere
hektisch all meine Passwörter, bei
Facebook, beim Online-Banking,
beim App-Store.
2011
Ein neuer Trick
In den USA
tauchte vor zwei
Jahren die
„Enkel-Masche“
(Bin in Not, bitte
hilf mir …) das
erste Mal auch
im Internet auf
Berlin-Mitte. Um 11.19 Uhr
schreibt Rebecca eilig: „Ich schick
dir 1400, die ziehen nämlich gleich
die Gebühr von etwa 50 Euro ab.“
„Ok, Dankeschön“, sagen die Hacker
in meinem Namen. Es ist 11.23 Uhr.
Rebecca ruft die Website von Western Union auf. Um 11.30 Uhr meldet
sich Alex. Er sagt, er habe es geschafft,
die Kontrolle über meinen Account
zu bekommen. Es sei schwierig gewesen. Die Sprache sei auf Arabisch
umgestellt gewesen. Außerdem habe
er sehen können, dass aus Nigeria
und Palästina auf den Account zugegriffen worden sei. Die Täter hätten
den Account so eingestellt, dass alle
eingehenden Mails auf eine falsche
Adresse umgeleitet werden. Jetzt sei
aber alles wieder auf Deutsch, und die
Umleitung habe er rausgenommen.
Toll, denke ich. Ich werde gleich eine
Mail an alle schreiben und Entwarnung geben. Dann sagt Alex noch etwas: „Alle Mails sind gelöscht.“
Ich brauche einen Augenblick, um
zu verstehen, was passiert ist. Wahrscheinlich fühlt es sich so an, wenn
man einen Autounfall hat und unter
Schock steht. Meine E-Mails sind
gelöscht. Alle. Ich habe sie nirgendwo gespeichert. Fünf Jahre lang habe
ich das nicht getan. Recherchen, private Mails, Kontakte, die Flugdaten,
für den Urlaub. Alles weg. Damit
hatte ich nicht gerechnet. Dass andere meine Mails sehen können, war
mir klar, und ich habe es für den
Komfort des Überall-zugreifenKönnens in Kauf genommen. Aber
warum sollte jemand meine Mails
löschen? Langsam fange ich an zu
verstehen. Wenn die Mails weg sind,
dann sind auch die Adressen weg.
Und ohne Adressen kann ich niemanden warnen. Und jeder, der auf
die Mail antwortet, wird an eine falsche Adresse umgeleitet. Gut, dass
es Facebook gibt. Dort habe ich 380
Freunde. Ich poste eine Warnung.
Der perfide Trick
Meine Chefin sagt, ich solle nach
Hause gehen, ich sei ja völlig fertig.
Ich sage, dass ich bleibe. Ich will
nicht, dass die Hacker Einfluss darauf haben, wann ich nach Hause
gehe. Eine meiner Tanten ruft an
und erzählt mir, dass sie mich nicht
erreicht habe, weil ein Mann an
mein Telefon gegangen sei. Ein
Mann? An mein Telefon? Ich vergewissere mich, dass das tatsächlich
mein Handy ist, das ich in der Hand
halte. Meine Tante sagt, sie habe
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die Nummer gewählt, die in meinem Adressanhang angegeben sei.
Ich schaue in meinen leeren E-MailAccount. Dann sehe ich, dass die Hacker meinen Adressanhang geändert
haben. Die Nummer sieht auf den
ersten Blick aus wie meine eigene.
Allerdings hat sie einen Zahlendreher. Wo meine richtige Nummer
eine 25 hat, steht jetzt eine 52.
Das ist also der Trick, denke ich.
Wahrscheinlich leiten die Hacker jeden Anrufer über diese Nummer auf
eine kostenpflichtige Servicenummer um und kassieren anschließend
das Geld. Auf den Trick mit der verlorenen Tasche in Edinburgh fällt
doch niemand rein, denke ich. Wer
mich kennt, der weiß, dass ich das
nicht so schreiben würde, und wer
mich nicht kennt, würde mir kein
Geld überweisen. Ich schreibe eine
SMS an all meine Telefonkontakte
und warne sie, bloß nicht bei der
Nummer anzurufen.
Berlin-Mitte. Rebecca füllt die
Daten auf der Seite von Western
Union aus. Bevor sie auf „Geld senden“ drückt, erzählt sie beiläufig
ihrer Kollegin Virginie, dass ich in
Edinburgh sei, meine Tasche verloren
hätte und dringend Geld brauchte.
„Stopp“, sagt Virginie. Ihr Nachbar
habe auch mal so eine Mail geschrieben, angeblich aus dem Aus-
„Bitte nicht
löschen …“
Nach dem
Schreck halfen
die FacebookFreunde bei der
Aufklärung des
Betrugsversuchs
land, dabei habe sie ihn eine Etage
höher umherlaufen hören. Rebecca
bittet mich, Angaben zu machen, die
nur ich über sie wissen kann. Um
11.41 Uhr antworten die Hacker: „Sie
haben Büros in Berlin, Frankfurt,
Hamburg und den USA unter der
Leitung von You, Raoul, Florian, Irmela,?“ Dass wir ein gemeinsames
Büro in Berlin hatten, stimmt. Auch
ein Florian hat dort einen Büroplatz.
Gesiezt haben Rebecca und ich uns
aber noch nie. Was die Hacker
schreiben, klingt eher nach einer
Im Clinch mit dem Riesen
100 000
Angriffe im Netz
So viele
Hackerattacken
pro Tag
registrieren
Experten der
Telekom
gut zu wissen Fakten zu Hackerattacken
So wird ein E-MailAccount gekapert
stützung in sehr hoher
Geschwindigkeit aus.
Ein Großteil der InternetDie Täter kaufen die
Zugänge auf einer Art nutzer verwendet zu
einfache Passwörter,
Schwarzmarkt im
die sich durch sogeInternet ein, oder sie
spähen Computer selbst nannte Wörterbuchmithilfe von Trojanern attacken entschlüsseln
aus. Trojaner sind Pro- lassen.
gramme, die gezielt
auf fremde Rechner
So kann man sich
eingeschleust werden schützen
und mit deren Hilfe die Wenn Bekannte eine
Eingaben des Nutzers Mail schicken, in der
– zum Beispiel das
durch die BeschreiPasswort – abschreibung einer Notsituaben. Häufig gelangen tion Druck aufgebaut
Trojaner auf den PC,
wird, ist das prinzipiell
wenn manipulierte In- verdächtig. Braucht
ternetlinks oder E-Mail- jemand wirklich Geld,
dann würde er in der
Anhänge geöffnet
Regel anrufen.
werden.
Eine weitere Möglich- Gegen die Infektion mit
keit: Hacker probieren Schadsoftware helfen
einfache Passwörter
aktuelle Antiviren(zum Beispiel „Hase“
programme und regeloder „Mallorca“) mit
mäßige Updates des
maschineller UnterBetriebssystems.
E-Mail-Anhänge von
unbekannten oder nicht
plausibel erscheinenden Absendern sollten
nicht geöffnet werden.
So findet man ein
sicheres Passwort
Ein guter Grundschutz,
um Hackerattacken
vorzubeugen, besteht
in sicheren Passwörtern. Sie sollten möglichst komplex sein,
aus Buchstaben in
Groß- und Kleinschreibung, Zahlen und Sonderzeichen bestehen
und keine realen Wörter sein. Tipp: die Anfangsbuchstaben
eines Satzes, den man
sich gut merken kann.
Zum Beispiel: „Ich
wohne seit 25 Jahren
in der Max-Brauer-Allee 196.“ Das Passwort
wäre dann: Iws25JidM-
schlechten Übersetzung von ­Google
Translate aus dem Englischen. Das
ist jetzt auch Rebecca klar, die
eigentlich anders heißt und mir die
Geschichte erst drei Wochen später
erzählen wird, weil es ihr peinlich
ist, dass sie so hereingefallen war.
Nach der Arbeit gehe ich zur Polizei
und erstatte Anzeige. Eine Frau aus
der Abteilung für Cyber-Kriminalität sagt mir, die Polizei könne in
Deutschland so gut wie nicht ermitteln, weil vor drei Jahren das Gesetz
zur Vorratsdatenspeicherung gekippt wurde. Scheiß-Datenschutz,
denke ich. Ich will meine E-Mails zurück. Ich rufe bei Google Deutschland an. „Die Google Germany GmbH
bietet zurzeit keinen telefonischen
Produktsupport“, sagt eine Computerstimme. Scheiß-Google, denke
ich. Ihr bietet doch sonst alles an.
B-A196. Vor einem
solchen Passwort
verzweifeln Hacker.
So verhält man sich,
wenn man Opfer
eines „Hacks“ ist
Umgehend das Passwort ändern. Sollten
die Mails gelöscht sein,
können manche Provider
sie wiederherstellen.
Kunden von ­Google
können folgenden Link
benutzen und die Wiederherstellung auf
Englisch anfordern:
https://support.google.
com/mail/contact/
bugs?ctx=bugflow_
receive31&hl=en&rd=1.
Auch Microsoft verspricht seinen Kunden,
die Outlook (früher
Hotmail) benutzen, die
Mails bis zu 30 Tagen
nach der Attacke
wiederherzustellen.
Ich beschließe, dass ich über den Hackerangriff einen Artikel schreiben
werde, und rufe deshalb bei der Pressestelle von Google Deutschland in
Hamburg an. Herr Keuchel, der Pressesprecher, hört zum ersten Mal von
einem solchen Angriff. Und er
macht mir Hoffnung. Jeder Mailanbieter müsse die Daten für einen
bestimmten Zeitraum speichern. Er
wolle sich Mühe geben, meine Mails
wiederzubekommen. Er empfiehlt
mir außerdem die „Bestätigung in
zwei Schritten“, bei der man bei
jeder Anmeldung einen Sicherheitscode auf sein Handy geschickt
bekommt. Außerdem solle man
keinen Begriff aus dem Wörterbuch
als Passwort haben, sonst sei es
leicht zu knacken.
Den Rest des Tages bin ich damit
beschäftigt, SMS, Anrufe und Mails
zu beantworten. Viele haben Angst,
weil auch sie Google Mail als Provider haben und weil sie meine Mail
geöffnet haben. Ich komme mir vor,
als hätte ich eine ansteckende
Krankheit. Ich recherchiere im
Internet nach ähnlichen Fällen. Ich
lese in einem Zeitungsartikel von
einem Mann, dessen E-Mail-­Account
genauso wie meiner gehackt wurde.
Die Täter wussten jede Menge Details aus dem Leben dieses Mannes,
zum Beispiel, wo er wohnt. Was wissen die Täter über mich?
Ich will es genau wissen und melde
mich mit einem Fantasienamen bei
Google Mail an. Ich nenne mich
Dieter Bartsch und schreibe mir
selbst eine Mail, also den Hackern.
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29.5.2013
„Hallo Friederike“, schreibe ich
um 22.56 Uhr. „Ich sehe erst jetzt
Deine Mail. Stimmt das wirklich,
dass Du ausgeraubt wurdest und
nicht weiterkommst? Brauchst Du
Hilfe? Lass es mich wissen. Liebe
Grüße, Dein Dieter.“
Drei Minuten später habe ich eine
Antwort. Diesmal wollen die Hacker
1350 Pfund, nicht Euro, und schicken
die Bankverbindung. Ich sage:
„Mensch, ich wusste gar nicht, dass
Du in Edinburgh bist. Was hast Du
denn da gemacht?“ Es kommt keine
Antwort. Das beruhigt mich, die
Hacker scheinen nichts Genaues
über mich zu wissen. Ich frage mich,
ob ich fahrlässig gehandelt habe. Ich
frage andere, wie die mit ihren Mails
umgehen. Fast alle machen es so wie
ich. Es ist eben praktisch.
Ein mysteriöser Frank
Am nächsten Tag rufe ich wieder
Herrn Keuchel an und frage ihn, was
mit meinen E-Mails ist. Er sagt, ich
müsse ein bisschen Geduld haben,
sein Team werde sich mit dem Fall
beschäftigen. Ich rufe einen Bekannten an, der sich mit allem, was im
Internet passiert, auskennt. Er sagt,
was einmal gelöscht sei, bekomme
man nicht mehr wieder. Ich finde
mich damit ab, dass meine Mails
verschwunden sind. Ich habe ja
noch alle Telefonnummern, und
außerdem gibt es Facebook. Von
Herrn Keuchel höre ich nichts. Ich
habe Angst vor den Kosten, aber ich
rufe meine Nummer mit dem Zahlendreher an. Es meldet sich die
Mailbox eines Mannes, der Frank
mit Vornamen heißt. Frank geht
nicht ans Telefon, und er ruft auch
nicht zurück. Vielleicht will Frank
mit der ganzen Sache nichts zu tun
haben. Vielleicht ist Frank auch eine
teure Servicenummer. Vielleicht ist
Frank aber auch ein Unbeteiligter,
der eines Tages ziemlich viele Anrufe
erhielt, mit denen er nichts zu tun
hatte.
Drei Wochen später versuche ich
es noch einmal bei Herrn Keuchel
und frage ihn nach meinen E-Mails.
Er sei tatsächlich ein wenig weitergekommen, schreibt er. Kontakte
ließen sich sehr einfach wiederherstellen. „E-Mails wiederum (sofern
nicht mehr im Papierkorb) ist sehr
schwierig und erfordert momentan
einen erheblichen Arbeitsaufwand
durch einen Software Engineer.“ Was
der Pressesprecher von Google
schreibt, hört sich an, als hätten es
Hacker geschrieben und durch
Google Translate gejagt, denke ich.
Man wird zynisch, wenn man den
Kampf mit Google aufnimmt. Herr
Keuchel schickt einen Link, auf dem
man auf Englisch einen Antrag bei
Google stellen kann, um seine Mails
wiederzubekommen. Ich fülle das
Formular aus und schreibe, dass ich
Journalistin bin und es auch Teil
meiner Geschichte sein wird, ob ich
meine Daten wiederbekomme oder
nicht. Wenn es schon so ist, kann ich
ja auch meine Waffen zeigen, denke
ich und fühle mich gleichzeitig winzig.
Es ist doch dem Weltkonzern Google
egal, was ich Journalistin schreibe.
Ich mache mir keine Hoffnungen.
Zwei Tage später bekomme ich
eine Mail vom Google-Team. Sie ist
auf Englisch verfasst. Die Mails, die
sie hätten wiederherstellen können,
seien nun in meinem Postfach. Ich
0,0018
Sek.
Rasend schnell
Einfache
Pass­wörter wie
„Hase“ oder
„Mallorca“
werden bei
Wörterbuchat­tacken in
Bruchteilen
von Sekunden
geknackt
schaue hinein. Es sind alle wieder da.
Nicht eine fehlt. Ich bedanke mich
bei Herrn Keuchel und frage, was
denn ein normaler Bürger machen
kann, der gehackt wird. Herr Keuchel antwortet, die Links, die er mir
geschickt habe, seien öffentlich.
Jeder, dem so etwas widerfährt,
könne das Kontaktformular nutzen.
Ich stelle mir vor, ich wäre ein normaler Bürger, kein Journalist, und
mein E-Mail-Account wäre gehackt
worden. Ich würde bei GoogleDeutschland anrufen, wo mir eine
Computerstimme sagen würde, dass
Google Deutschland im Moment
keinen telefonischen Produktsupport anbietet. Ich würde im Internet
recherchieren und in Internetforen
erfahren, dass Mails, die einmal gelöscht sind, nicht wiederherstellbar
sind. Den Link, den Herr Keuchel
mir geschickt hat, würde ich nirgendwo finden. Schließlich würde
ich auf der Google-Seite unter „Support“ diesen Satz finden: „Wenn Sie
eine Nachricht im Ordner ‚Spam‘
oder ‚Papierkorb‘ durch Klicken auf
‚Endgültig löschen‘ gelöscht haben,
kann die Nachricht nicht wiederhergestellt werden.“
Ich benutze meinen E-Mail-­
Account inzwischen wieder wie zuvor. Ich benutze die „Bestätigung in
zwei Schritten“ und habe ein Passwort, das in keinem Wörterbuch der
Welt steht. Auch Google benutzt
meinen E-Mail-Account wieder wie
zuvor und durchforstet meine
Nachrichten, um mir personalisierte Anzeigen zu schicken. Seit dem
Hackerangriff handeln sie von Sofortdispo, sicherem Zahlungsverkehr und Girokontopaketen.
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