Tim Mälzer

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Tim Mälzer
WILLKOMMEN DAHEIM!
„Der Küchenbulle“ Tim Mälzer, 1971 in
Elmshorn bei Hamburg geboren, wollte
eigentlich Hoteldirektor werden. Die
Kochlehre sollte nur eine Station auf dem
Weg dahin sein. Er wurde überhäuft mit
Preisen und Auszeichnungen – und blieb
Koch. „Zum Glück“, sagt er heute, „das
Hotelgewerbe find ich irgendwie
spießig“. Er arbeitete in Hongkong und
London, wurde Fernsehkoch und Autor
Angeklopft bei:
Tim Mälzer
D
reizehn Stahlstufen führen hinauf
zur „Bullerei“, der ehemaligen
Viehhalle des Schlachthofs im
Hamburger Schanzenviertel. In dem denkmalgeschützten Backsteinbau wurde bis in
die 50er Jahre mit Kälbern und Versandschweinen gehandelt, im Juli 2009 eröffnete Tim Mälzer hier sein neues Restaurant. Ein „Lieblingsrestaurant“ sollte es
werden, eins, in dem sich jeder wohlfühlt,
für jede Stimmung und jeden Geschmack.
Der Chef selbst öffnet die Tür. „Hallo,
Herr Mälzer!“ „Nein, ich bin Tim!“ Er duze
12 | Daheim in Deutschland
fast jeden, sagt er, nur seinen Schwiegervater nicht, eine Frage des Respekts.
Mälzer trägt Turnschuhe, Jeans und
T-Shirt, ungewöhnlich für einen Koch, der
bereits in der Küche des noblen Ritz-Hotels in London gearbeitet hat. „Ich bin ein
Typ zum Anfassen“, klopft uns auf die
Schulter und geht voran ins Deli der „Bullerei“, eine Art Bistro. Die Gerichte sind
günstiger als im Restaurant, Plätze reservieren geht nicht. Es duftet nach gebackenen Kartoffeln und gebratenem Steak,
Stimmengewirr übertönt ruhige Musik.
Kantinenstimmung. Weiße Kacheln an
der Wand, freigelegte Rohre unter der Decke, dazu rustikale Holzschränke und alte
Schulstühle. „Hier ist nix von der Stange“,
sagt Mälzer in breitem Hamburgisch. Der
Stilbruch ist die einzige Konstante in der
Einrichtung der „Bullerei“. Das spiegelt
sich auch im Publikum wider. Frauen mit
Perlohrringen sitzen neben Männern in
Holzfällerhemden, Rentner neben Kleinkindern, HSV- neben Sankt-Pauli-Fans.
Die Speisen sind schlicht: „Spaghetti-Bolo“
(Mälzers Lieblingsgericht), „Currywurst“
FOTOS: © HENNING BODE
in seinem Restaurant „Bullerei“, Hamburg
oder „Stulle des Tages“. Als Beilage „dicke
Pommes“, zum Nachtisch „Rote Grütze“.
Mälzer führt uns in die Küche, vorbei
am Kühlraum, in den jeder Gast durch
eine Glasscheibe gucken kann: Rinderhälften und Schweinshaxen baumeln an
Schlachterhaken. Die Küche ist ein Bienenstock, es klappert und kracht, es brutzelt und zischt. „Tim, probier mal!“ Er
beißt in einen Burger: „Mhmm, bisschen
zu süß“, sagt er mit Mayonnaise im Mundwinkel, „das muss spritziger – versuch’s mal
mit geriebener Zitronenschale.“ Drei Mal
die Woche steht Mälzer selbst in der Küche, aber meistens lässt er kochen. 25 Köche sättigen jeden Abend 250 Gäste, seit
der Eröffnung ist die „Bullerei“ ausgebucht.
In einer Ecke des Restaurants sind zwei
lange Tafeln gedeckt, ein Feuer knistert.
Mälzer nennt diese Ecke „das Kaminzimmer“. „Hierauf bin ich besonders stolz“,
sagt er und zeigt auf ein großes Wandgemälde der Hamburger Illustratorin Marei
Schweitzer. Eine Fülle an Details, man erkennt Gesichter und Erdbeeren, „das sind
die sieben Todsünden“. Mälzer versucht sie
zu entschlüsseln, „hier ist Eitelkeit, hier
Völlerei“, dann muss er weiter.
Er läuft von Tisch zu Tisch, begrüßt seine
Gäste, als ob er sie schon seit Jahren kennt,
Küsschen links, Küsschen rechts. Im Restaurant ist es ruhiger als im Deli, die Speisen sind vornehm, es gibt Coq au vin und
Zander. Die Atmosphäre ist so gemütlich
wie beim Italiener an der Ecke; „eine Pizzeria ohne Pizza“, sagt Mälzer. Hat er Vorbilder? „Vielleicht Pippi Langstrumpf, ich
mag ihr Motto: Ich mach mir die Welt, wie
sie mir gefällt!“ Amrai Coen
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