Als PDF lesen - Janek Schmidt

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Als PDF lesen - Janek Schmidt
Seite 14 / Süddeutsche Zeitung Nr. 166
Freitag, 18. Juli 2008
FEUILLETON
Der neue Antisemitismus in Frankreich kommt von unten
Die Historikerin Diana Pinto über die Ängste französischer Juden, extremistische Imame und religiöse Bandenkriege in Paris
Seit vor einiger Zeit ein jüdischer Jugendlicher in Paris bewusstlos geschlagen wurde, sind viele Franzosen beunruhigt. Sie fragen sich, wie verbreitet Antisemitismus in ihrem Land ist, welche
Gruppen dahinter stehen und warum diese Gewaltexzesse immer wieder in Frankreich geschehen? Die Historikerin Diana
Pinto lebt in Paris und ist Senior Fellow
am Institute for Jewish Policy Research
in London, in dessen Rahmen sie ein Projekt über religiöse und ethnische Minderheiten leitet.
SZ: Wie gehen Pariser Juden mit solchen Ängsten um?
Pinto: Viele Jugendliche wollen nicht
auffallen und tragen über ihrer Kippa
eine Baseball-Kappe. Sie gehen auf jüdische Schulen, um Ärger aus dem Weg zu
gehen. Andere gründen Banden im Stil
der „West Side Story“ zu ihrer Verteidigung. Der Junge, der vor kurzem angegriffen wurde, war anscheinend an diesen Bandenkämpfen beteiligt.
Wenige Tage vor der Eröffnung präsentieren sich die Bayreuther Festspiele mit
einem neuen Auftritt im Internet. Die Seite (www.bayreuther-festspiele.de) biete
nun auch multimediale Einblicke in das
Festspielgeschehen, hieß es in einer Mitteilung. Neben einem virtuellen Rundgang durch das Festspielhaus wird in einem Podcast berichtet, wie die Produktionen entstehen.
SZ: Gibt der Angriff weitere Aufschlüsse über Antisemitismus in Frankreich?
Pinto: Der Tatverdacht gegen die fünf
schwarzen Jugendlichen kann sich als Bestätigung dafür herausstellen, dass es
hier einen Neuen Antisemitismus gibt.
SZ: Wie passen die farbigen Tatverdächtigen in dieses Bild?
Pinto: Seit etwa zehn Jahren gibt es
auch unter Schwarzen zunehmend Judenhass. Der beruht auf Argumenten
wie: „Genug vom Holocaust! Unsere Vorfahren haben unter Sklaverei gelitten;
die hat länger gedauert und mehr Todesopfer gefordert als der Holocaust. Darüber wollen wir reden!“ Der Schwarze Antisemitismus ist zahlenmäßig schwächer
als der muslimische, aber viel gewalttätiger. Angriffe auf Juden kamen meist von
Schwarzen, auch in dem schrecklichen
Fall, als vor zwei Jahren ein Jude zu Tode
gequält wurde.
Das Dramatiker-Ehepaar Tankred
Dorst und Ursula Ehler-Dorst erhält den
mit 25 000 Euro dotierten Kunst- und
Kulturpreis der deutschen Katholiken.
Vielschichtiges Nebeneinander: In keinem europäischen Land leben so viele Juden und Muslime wie in Frankreich.
SZ: Welche Ursachen hat dieser Antisemitismus?
Pinto: Wie beim klassischen Judenhass sind Neid, Wut und Angst vor einer
Dominanz der Juden eine Ursache. In
Frankreich wird der Neid dadurch verstärkt, dass manche Juden wie die meisten Muslime aus Nordafrika kamen, aber
viel erfolgreicher waren. Die Angriffe haben auch mit Protest und der Suche nach
Aufmerksamkeit zu tun, und werden
vom Palästinenserkonflikt angeheizt.
SZ: Muslimwissenschaftler wie Tariq
Ramadan kritisieren, der Begriff des
„Neuen Antisemitismus“ befeuere Spannungen zwischen Muslimen und Juden.
Pinto: Ich akzeptiere Ramadans Ansicht, dass man jeglichen Antisemitismus
bekämpfen sollte und damit basta! Dann
sollte er aber auch klassische antisemitische Äußerungen verurteilen, und zwar
nicht nur aus Iran, sondern aus der gesamten muslimischen Presse, die übers
Internet ja nach Europa gelangt.
SZ: Ist Frankreich davon besonders betroffen?
Pinto: Ich denke schon, allein wegen
der Zahlen: Außer in Israel und den USA
gibt es nirgends so viele Juden wie hier:
700 000. Gleichzeitig leben hier mehr
Muslime als in anderen europäischen
Ländern. Sie haben als Araber auch noch
eine stärkere Bindung zu den Palästinensern als Türken in Deutschland oder Pakistaner in England. Manche Juden und
Muslime leben in denselben Vierteln, da
sind Spannungen programmiert.
SZ: Außer in Marseille . . .
Pinto: Marseille ist eine Ausnahme. Da
gibt es eine lange Geschichte guten Zusammenlebens von Muslimen und Juden.
SZ: Woran liegt das?
Pinto: Manche Soziologen sagen, die
Leute in Marseille leben noch im mediterranen Umfeld und einer Tradition des
friedlichen Miteinanders statt im grauen
Suburbia anderer Städte. Andere verweisen darauf, dass Muslime in Marseille im
Stadtzentrum leben statt in den Vororten, und so weniger Ghetto-Gewalt entsteht. Aber auch der Drogenhandel in
Marseille dient als Erklärung. Die Dro-
genbarone verschaffen den Jugendlichen
Jobs als Dealer, und da sie Ruhe wollen,
halten sie sie davon ab, die Polizei oder
Juden anzugreifen.
SZ: Wie bedrohlich sehen Sie die Situation im restlichen Frankreich?
Pinto: Die Lage ist nicht vergleichbar
mit der einstigen Nazi-Bedrohung für eine gesamte Gesellschaft. Aber heute erscheint mir der neue Antisemitismus gefährlicher als der aus der extremen Rechten, weil der Judenhass einiger Muslime
eine globale Bewegung ist.
SZ: Nimmt die Gefahr dieser Bewegung in Frankreich zu?
Pinto: Ich glaube nicht. Die Jahre 2002
bis 2004 waren sehr schlimm, damals vervierfachte sich die Zahl der antisemitischen Angriffe. Seitdem sind die Vorfälle
wieder leicht zurückgegangen, und vor
allem haben viele Idole der Muslime und
Schwarzen, wie etwa der karibische Komiker Dieudonné, ihre antisemitischen
Parolen eingestellt. Sie haben mittlerweile Angst vor strengen Gesetzen und einem schlechten Image
Foto: Gueorgui Pinkhassov/Magnum
SZ: Welche Rolle spielen Imame?
Pinto: In Frankreich ist ihre Rolle weniger bedeutend als etwa in England, wo
mehr Redefreiheit herrscht. Frankreich
ist bei der inneren Sicherheit äußerst autoritär. Das Innenministerium kann auf
viele gemäßigte Muslime zurückgreifen,
und so hat die Polizei in fast allen
Moscheen V-Männer. Deswegen gibt es
hier keine Moscheen mit so bekannten
Hasspredigern wie etwa dem früheren
Imam in Finsbury Park in London.
SZ: Was kann man sonst gegen die antisemitische Gewalt unternehmen?
Pinto: Wir müssen benachteiligten jungen Leuten eine Chance geben aufzusteigen. Antisemitismus hängt zwar nicht unbedingt von sozialen und ökonomischen
Faktoren ab, aber die allgemeine Gewaltbereitschaft schon. Und Menschen mit
Einfluss über ethnische und religiöse
Gruppen müssen ihre irreführende, populistische Rhetorik ganz einstellen und die
Komplexität der Lage erklären. Nur so
können wir die Spannung entschärfen.
Interview: Janek Schmidt
Das „Prinzip Öffnung“: Wie der Vatikan unter seinem neuen Kulturbevollmächtigten Ravasi seine Öffentlichkeitspolitik verändern möchte
elegant über Schönbergs „Moses und Aaron“, zitiert Adorno und äußert sich begeistert über den polnischen Laizisten
Krysztof Kieslowski und dessen Filme
zum Dekalog. Es war dieser mediengewandte Mailänder, der nach dem umstrittenen Auftritt des Papstes an der staatlichen Universität „La Sapienza“ für sein
Oberhaupt in die Bresche sprang und vor
dem Lehrkörper und den Studenten eine
Rede zum Thema Europa und die Jugend
hielt. Darin klangen bereits die Grundprinzipien der neuen Kulturpolitik des
Vatikans an, die bei aller globalen Ausrichtung „fest auf der Kultur des Okzi-
nen. Ravasi ist deshalb auch noch Mitglied des Rates für den interreligiösen
Dialog; und in dieser Funktion hat er gerade eine Regierungskommission aus
dem Iran empfangen und über einen Kulturaustausch, über gemeinsame Tagungen und Ausstellungen gesprochen.
Noch in diesem Juli treffen sich in Daressalam die Delegierten der katholischen
Kulturinstitute aus ganz Afrika, wobei
es um den interreligiösen Dialog auf lokaler Basis aber auch um die unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Identitäten der katholischen Gruppen gehen
wird.
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dents“ gründe. Die Unterstützung einer
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Meinungsaustausch mit anderen Religio-
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Kulturpolitik ist für den Heiligen
Stuhl also auch eine Art von Außenpolitik. Unterstützt werden die Neuansätze
von Staaten wie Deutschland, die sich
über ihre Botschaft am Heiligen Stuhl
als Vermittler anbieten. Die Ausstellung
„Barock im Vatikan“ in Bonn und Berlin
beipielsweise ist so zustandegekommen.
Monsignore Ravasi mag kraft seiner
Ämter der wichtigste Mann der neuen
Kulturpolitik sein. Seine Macht ist dennoch begrenzt. Das hängt einerseits mit
der Zersplitterung der päpstlichen Verwaltung zusammen. So haben etwa die
vatikanischen Medien, die Museen und
auch das Verlagswesen jeweils eigene Dikasterien, und allein in Rom gibt es neben dem Rat für Bildungswesen 18 päpstliche Universitäten und Akademien. Andererseits kann der oberste Kulturlenker
meist nur Vorgaben machen, die dann
von den Bischofskonferenzen der jeweiligen Länder umgesetzt beziehungsweise
an die Diözesen, die das Ganze finanzieren müssen, weitergegeben werden. Der
Rat für Kultur ist gleichsam ein Ministerium ohne Portefeuille. Er hat keinen
Einfluss auf die Nutzung des riesigen Erbes an Kulturgütern, der unüberschaubaren Masse von Bauten und Bildwerken,
der Archive, Bibliotheken und Museen
weltweit, die nur zum kleinsten Teil zentral erfasst und katalogisiert sind. Doch
für die Erneuerung der Kommunikation,
für die Anwendung einer zeitgemäßen
Sprache und für die Schaffung von Internetstrukturen will sich der Rat einsetzen. Ravasi hält sogar „Kultur-Blogs“
für angebracht. Er kämpft für das „Prinzip Öffnung“. Meldungen, dass erzkonservative Intellektuelle wie der Opernund Filmregisseur Franco Zeffirelli als
„Kulturberater des Papstes“ bereitstünden, kommentiert er abwehrend: Es gebe
immer wieder Leute, die sich anbieten.
Die kulturellen Signale aus dem kirchlichen Bereich sind indessen höchst unterschiedlich und bisweilen widersprüchlich. So haben die päpstlichen Räte für
Medien und Kultur die Schirmherrschaft über das Musical „Maria von Nazareth – eine Geschichte, die weitergeht“
übernommen, das gerade in Rom Premiere hatte. Das Bistum Rom hat derweil die
Dreherlaubnis in Kirchen für die DanBrown-Verfilmung „Engel und Dämonen“ mit Tom Hanks in der Hauptrolle
verweigert, weil der Filmstoff nicht mit
„religiösen Gefühlen kompatibel“ sei.
Und während der Heilige Stuhl seine historischen Archive den Historikern zugänglich macht, versucht gerade der Bischof von Nocera Inferiore bei Salerno
die Auslieferung einer bereits gedruckten wissenschaftlichen Arbeit über die
Das Museum Frieder Burda in BadenBaden kooperiert künftig mit dem Centre Pompidou in Paris. In Baden-Baden
werden regelmäßig Meisterwerke aus der
Sammlung der Pariser Kunstinstitution
gezeigt.
SZ
Gehört, gelesen, zitiert
Die harten Sachen
„Ich bin eine Mischung aus Harald
Juhnke und Kurt Krömer. Ich habe keine
Vorbilder, auf die Ami-Rapper scheiße
ich. Beeinflusst hat mich Brecht, bei dem
ging es zur Sache. Und Goethe, die harten Sachen. Außerdem Zille, Juhnke und
Roy Black. Nicht die Musik, aber sein Leben. (. . .) Ich bin ein großartiger Dichter.“
Der Rapper Sido in der Donnerstagsausgabe der Bild-Zeitung. Sein Album „Ich
und meine Maske“ (Aggro Berlin, 2008)
stand im Juni auf dem ersten Platz der
deutschen Album-Charts.
CD DES TAGES
Erz aus dem Goldberg
Bachs berühmteste Variationen,
erweitert und für Akkordeon
Wir wollen einen Bruch überwinden
Die Kunstbiennale von Venedig wird
im kommenden Jahr ein weiteres Ausstellungsland begrüßen – den Vatikan. Mit
rund 30 000 Einwohnern ein Zwergstaat, kulturell aber eine Weltmacht,
möchte der Heilige Stuhl „einen Bruch
überwinden“, wie Erzbischof Gianfranco Ravasi sagt. Ein Bruch, der sich in den
vergangenen beiden Jahrhunderten zwischen der römischen Kirche und den Kultureliten aufgetan hat. Ravasi, seit neun
Monaten Präsident des Päpstlichen Rates für die Kultur und damit so etwas wie
der Kulturminister des Vatikans, will die
Kirche „der neuen Grammatik der künstlerischen Kommunikation öffnen“. Im
Gegenzug macht er ein Sinnangebot: die
Gegenwartskunst sei autoreferenziell geworden, ihr fehle die inhaltliche Tiefe,
das Geistige. Hier könne die katholische
Welt die Kunst bereichern.
Die Biennale-Leitung zeigte sich nach
ersten Kontakten aufgeschlossen. Allerdings wird der Vatikan (noch) keinen eigenen Pavillon in den Giardini bekommen. Aber in der Lagunenstadt gibt es genügend aufgelassene Kirchen, wo man
zeitgenössische Kunstwerke ausstellen
kann. Seit bekannt geworden ist, dass
der Vatikan auf die Biennale gehen will,
kann man sich in Rom vor Angeboten
kaum noch retten. Eine Fachkommission
soll jetzt eine Liste bedeutender internationaler Künstler aufstellen, von denen
zwei, drei ausgewählt und beauftragt
werden sollen, „spirituelle Werke“ zu
schaffen. Spontan fallen dem Erzbischof
Namen wie Jannis Kounellis, Bill Viola
oder Anish Kapoor ein. Die Künstler, so
die Hoffnung, könnten dann ihre Werke
einem Kirchenneubau überlassen.
Kurienerzbischof Gianfranco Ravasi,
ein international anerkannter Bibelwissenschaftler, Hebraist und Archäologe,
hat vor seiner Berufung nach Rom in Mailand die Bibliothek und Pinakothek Ambrosiana geleitet. Er steht nicht nur dem
Päpstlichen Rat für Kultur vor, sondern
auch dem Rat für die Kulturgüter, der
sich mit dem weltweiten kulturellen Erbe der Kirche beschäftigt, sowie der
Kommission für sakrale Archäologie, die
hauptsächlich die Katakomben verwaltet. So viel geballte Kulturmacht gab es
im Vatikan noch nie.
Im Gespräch gibt sich Monsignore Ravasi gern als Intellektueller, er plaudert
Auch Privatleute, die Programme für
Raubkopien von Musik-CDs zum Kauf
anbieten, können von den Tonträgerherstellern auf Unterlassung und Ersatz der
Abmahnkosten in Anspruch genommen
werden. Das hat der Bundesgerichtshof
in Karlsruhe am Donnerstag entschieden. Im vorliegenden Fall hatte ein Mann
bei Ebay ein Programm zum Kauf angeboten, mit dem kopiergeschützte CDs vervielfältigt werden können. Die betroffenen CD-Hersteller mahnten ihn ab und
forderten ihn zur Zahlung der Anwaltskosten von 1113 Euro auf.
Die Schriftsteller Herta Müller und Richard Wagner haben dem rumänischen
Kulturinstitut ICR in Berlin vorgeworfen, Ex-Spitzel des früheren Geheimdienstes Securitate eingeladen zu haben.
Der geplante Auftritt von Andrei Corbea-Hoisie und Sorin Antohi bei einer
ICR-Tagung in der deutschen Hauptstadt sei „ein Skandal“, schrieb Müller
in einem offenen Brief an das ICR, den
die Frankfurter Rundschau am Donnerstag veröffentlicht hat. Die beiden seien
„Denunzianten“ und hätten während
der kommunistischen Herrschaft mit
dem rumänischen Geheimdienst zusammengearbeitet.
SZ: Fühlen Sie sich als Jüdin in Paris
von Antisemitismus bedroht?
Pinto: Persönlich nicht, weil ich in einem wohlhabenden Viertel lebe. Aber in
Unterhaltungen über Israel begegne ich
antisemitischen Einstellungen, und
wenn ich einen Kippa-tragenden Sohn
hätte, dann hätte ich Angst, sobald er in
bestimmte Gegenden von Paris geht.
SZ: Was ist daran neu?
Pinto: Er kommt weniger aus der
alten, extremen Rechten, sondern vereint
linke, israelkritische Positionen mit
islamistischen Tendenzen – ist aber nicht
ausschließlich islamisch. Der alte Antisemitismus kam von oben, aus den Eliten,
und wurde ausgenutzt, um die Unterschicht zu mobilisieren. Die Leute, die
1938 Synagogen zerstörten, taten das auf
Befehl und hatten zu Hause Frauen, die
ihre braunen Hemden bügelten. Der
Neue Antisemitismus kommt von unten,
von aggressiven Schlägern mit einer
Gewaltbereitschaft, die auf Juden ausgerichtet, aber nicht auf sie beschränkt
ist.
NACHRICHTEN
Inquisition im Sarnotal zu verhindern,
weil dort Dokumente veröffentlicht würden, die, so die lokale Kurie, „den Leser
verstören könnten“. Der Kirche von Benedikt XVI. gelinge es wie der seiner Vorgänger nicht, in Einklang mit der modernen Kultur und Gesellschaft zu kommen,
kritisierte die römische Tageszeitung La
Repubblica; aber dieser Einklang sei die
höchste Aufgabe für alle, „die sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts der Beziehung
zwischen der ekklesiastischen und der zivilen Gesellschaft widmen“.
Gegner Darwin
Erzbischof Ravasi kann dieser Analyse, in Teilen, zustimmen. Der Dialog mit
der Wissenschaft ist für ihn dabei der
Schlüssel zur Öffnung, „weil das ein heikles und wichtiges Feld ist, auf dem die
Theologie unaufhörlich angeklagt oder
in Frage gestellt wird“. So bereitet der
Rat für Kultur zusammen mit verschiedenen Universitäten für das kommende
Darwin-Jahr einen großen Kongress
über Fragen der Evolutionstheorie vor.
Die Kirche habe sich zu lange als ein
Hort absolutistischer Wahrheiten verstanden, die heutige Wissenschaft aber
entferne sich immer weiter von ethischen Fragen, sie verliere den Sinn ihres
Tuns aus den Augen und frage nur noch
nach dem, was machbar sei und was
nicht. Das Gespräch mit der laizistischen aber auch mit der atheistischen
Welt soll auf allen Ebenen geführt werden, doch dürfe die Gegenseite nicht in
antiklerikale Positionen zurückfallen.
In seinen Artikeln, wie zuletzt im L’Osservatore Romano, beschreibt Gianfranco Ravasi etwa die Konfrontation von
Evolutions- und Kreationstheorie als „einen falschen Gegensatz“. Er will fundamentalistische Positionen aufzubrechen.
In der römischen Kirche werden aber
jetzt schon Stimmen laut, denen diese Politik viel zu weit geht. Auch klaffen die
Positionen zwischen Christen und Laizisten – etwa in Fragen der Bioethik, der Geburtenkontrolle und der Abtreibung –
weit auseinander. Doch deutet sich in
der neuen Kulturpolitik des Vatikans eine Gesprächsbereitschaft an, die der Beziehung zwischen Kirche und Gesellschaft nur dienlich sein kann.
HENNING KLÜVER
Zumindest einmal scheint der Cembalist Goldberg von seinem Instrument und
den nach ihm benannten Variationen aufgeblickt zu haben. Was er da aber sah,
das würden wir nicht wissen, hätte es
nicht der Finne Jukka Tiensuu imaginiert und aufgeschrieben. Und zwar
nicht für Cembalo, sondern für Akkordeon. Eine winterlich kahle Landschaft ist
es, die sein Auftraggeber Denis Patkovic
da auf dem Akkordeon porträtiert, eingezwängt zwischen Bachs 19. und 20. Goldberg-Variation. Bach und dies sein heiligstes Clavierstück auf dem Akkordeon?
Das funktioniert wunderbar, da Patkovic nicht nur an Bachs Leibinstrument
Orgel erinnert, sondern deren starren
Ton mit all jener pathetischen Energie lebendig aufbricht, derer sein so ganz und
gar nicht neutrales Instrument fähig ist.
Keine einzige Note habe er für sein Arrangement ändern müssen – und virtuos spielen kann der Mann sowieso. Wobei ihm
Traumverlorenes und Melancholisches
(Variation 21!) fast noch besser aus der
Hand gehen. Genial aber die Idee, den
Komponisten und Cembalisten Tiensuu
um 14 Stücke zu bitten, die in die Goldbergvariationen eingeschmuggelt werden! Das ähnelt nie Bachs Musik, aber
Tiensuus düstere Seelenlandschaften
klingen so, als hätten sie schon immer an
den jeweiligen Stellen gestanden. Bezeichnenderweise heißt der Zyklus „Erz“
– geschürft aus einem wahren Goldberg
(Hänssler). REINHARD J. BREMBECK
SZ Wochenende
bringt morgen:
Erreger
Wer oder was ist der Zeitgeist? Klar
ist: wer ihn lauthals scheut, ist ihm
längst ganz besonders verfallen.
Von Joachim Kaiser
Untergeher
Politiker gehen oft ins Fernsehen.
Ein paar sind die Könige. Und die
anderen leben verdammt gefährlich.
Von Annette Ramelsberger
Aufersteher
Alice Cooper im großen Interview:
„Groucho Marx sagte: ,Alice ist die
letzte Hoffnung für das Varieté!“
Von Willi Winkler
jschmidt
SZ20080718S1049821