Abmahnung eines Betriebsratsmitglieds – Zulässigkeit und

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Abmahnung eines Betriebsratsmitglieds – Zulässigkeit und
ARBEITSRECHT
Abmahnung eines Betriebsratsmitglieds – Zulässigkeit und
Rechtsschutz
RAin Dr. Susanne Rücker | [email protected]
1.Ausgangslage
Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung
von §§ 242, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn
die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist,
unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer
unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann,
wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung
kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers
mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht.
Dies gilt grundsätzlich auch für Betriebsratsmitglieder. Was gilt jedoch, wenn das gerügte Fehlverhalten
nur eine Amtspflichtverletzung war? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) geht in seiner Entscheidung vom
09.09.2015 (Az.: 7 ABR 69/13) auf einige in diesem Zusammenhang bestehende Problempunkte wie Zulässigkeit einer solchen Abmahnung, Rechtsschutz im
Beschluss- oder Urteilsverfahren, Antragsbefugnis
des Betriebsrats als Gremium und Zulässigkeit eines
Feststellungsantrags ein.
2.Entscheidung
Die beteiligte Arbeitgeberin erteilte dem Vorsitzenden ihres Betriebsrats eine Abmahnung, weil er eine
Betriebsvereinbarung über den Einsatz von Leiharbeitnehmern in einer E-Mail an alle Arbeitnehmer
des Konzerns versandt hatte. Die Abmahnung war
überschrieben mit „Abmahnung als Betriebsrat“ und
wurde zur Personalakte genommen. Der Versand
dieser E-Mail an alle Mitarbeiter des Konzerns wurde
darin als Verstoß gegen die vertrauensvolle Zusammenarbeit gewertet und ein Ausschlussverfahren als
Betriebsratsmitglied angedroht sowie zugleich eine
Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Wiederholungsfalle in Aussicht gestellt. Sowohl der Betriebsratsvorsitzende als auch der Betriebsrat als Gremium
leiteten ein Beschlussverfahren beim Arbeitsgericht
gegen die Abmahnung ein. Der Betriebsrat stellte
einen Feststellungs- und Abmahnungsentfernungs-
antrag, der Betriebsratsvorsitzende lediglich einen
Abmahnungsentfernungsantrag. Sie brachten gegen
die Abmahnung vor, dass sie dadurch in unzulässiger
Weise im Sinne von § 78 Abs. 1 BetrVG in ihrer Arbeit behindert werden. Weiterhin stellten sie darauf
ab, dass eine betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung grundsätzlich nicht zulässig sei. Ein Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten sei nicht
zugleich eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, weshalb allein die Kündigungsandrohung in der
Abmahnung zu deren Unwirksamkeit führe.
Das BAG hat im Rahmen der Rechtsbeschwerde die
stattgebende Entscheidung der Vorinstanzen im Hinblick auf den Betriebsrat aufgehoben und die Anträge
des Betriebsrats als Gremium als unzulässig bzw.
unbegründet abgewiesen. Dem Abmahnungsentfernungsantrag des Betriebsratsvorsitzenden hat es
hingegen stattgegeben und die Rechtsbeschwerde
der Arbeitgeberin demgemäß als unbegründet angesehen.
Den Feststellungsantrag des Betriebsrats sah das
BAG bereits als unzulässig an. Die Feststellung, dass
die Abmahnung unwirksam sei, betrifft nach Ansicht
des BAG kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis.
Der Betriebsrat strebe der Sache nach mit dem Antrag nur die rechtliche Begutachtung einer Vorfrage
für einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung
an. Der zugleich gestellte Abmahnungsentfernungsantrag des Betriebsrats ist unbegründet, da es keinen Anspruch des Betriebsrats auf Entfernung der
Abmahnung aus der Personalakte eines seiner Mitglieder aus § 78 S. 1 BetrVG gebe. Hierbei handelt es
sich lediglich um ein höchstpersönliches Recht des
betroffenen Betriebsratsmitglieds, das einem dritten Gremium nicht zusteht. Der Betriebsrat hat kein
kollektiv begründetes Recht, hinter dem die Individualrechte des Betriebsratsmitglieds zurückzutreten
hätten.
Zum Abmahnungsentfernungsantrag des Betriebsratsvorsitzenden stellte das BAG zunächst fest, dass
dieser in zulässiger Weise im Rahmen des vorliegen-
LUTZ | ABEL
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den Beschlussverfahrens geltend gemacht wurde.
Dem steht nicht entgegen, dass neben der kollektivrechtlichen Rechtsposition als Betriebsratsvorsitzender auch seine individualrechtliche Rechtsposition als Arbeitnehmer von der Abmahnung betroffen
ist. Nach § 48 Abs. 1 ArbGG, § 17 Abs. 2 S. 1 GVG
entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs
den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden
rechtlichen Gesichtspunkten, kann also im Rahmen
des Beschlussverfahrens auch individualrechtliche
Rechtspositionen prüfen, soweit es sich um einen
prozessualen Anspruch handelt. Hiervon ging das
BAG aus, da aus seiner Sicht als Anspruchsgrundlage sowohl kollektiv- als auch individualrechtliche
Regelungen in Frage kommen, also lediglich Anspruchskonkurrenz, nicht aber eine Mehrheit von
Streitgegenständen vorliege. Für die Antragsbefugnis nach § 81 Abs. 1 ArbGG reichte es dem BAG aus,
dass sich der Betriebsratsvorsitzende auf § 78 S. 1
BetrVG beruft und dies nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.
Das BAG sah den Entfernungsantrag im Weiteren
auch in entsprechender Anwendung von §§ 242,
1004 Abs. 1 S. 1 BGB als begründet an. Der Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der
Personalakte besteht dann, wenn die Abmahnung
entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige
Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens
des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn
selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein
schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr
an deren Verbleib in der Personalakte besteht. Das
BAG hat dahinstehen lassen, ob der Betriebsratsvorsitzende durch das Versenden der E-Mail gegen
betriebsverfassungsrechtliche Pflichten verstoßen hat. Ein Entfernungsanspruch bestehe bereits
deswegen, weil die Arbeitgeberin den Vorwurf einer Amtspflichtverletzung mit der Androhung einer
Kündigung des Arbeitsverhältnisses sanktioniert
habe. Da mit der Abmahnung eine Verletzung einer
arbeitsvertraglichen Pflicht nicht gerügt wurde,
liegt in der Kündigungsandrohung eine unzutreffende rechtliche Bewertung des Verhaltens des Betriebsratsvorsitzenden durch die Arbeitgeberin. Bei
einer reinen Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Amtspflichten sind vertragsrechtliche Sank-
LUTZ | ABEL
tionen (wie der Ausspruch einer außerordentlichen
Kündigung oder einer individualrechtlichen Abmahnung, mit der kündigungsrechtliche Konsequenzen
in Aussicht gestellt werden) ausgeschlossen. Die
Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, die ggf.
eine Kündigungsandrohung rechtfertigen würde,
wurde im Rahmen der Abmahnung nicht gerügt.
3.Fazit
Mit dieser Entscheidung des BAG wurden nochmals
mehrere Problempunkte im Bereich der Abmahnung
eines Betriebsratsmitglieds geklärt. Zum einen wurde bekräftigt, dass eine Abmahnung nur zulässig ist,
wenn zumindest zugleich eine arbeitsvertragliche
Pflichtverletzung vorliegt. Eine rein betriebsverfassungsrechtliche Amtspflichtverletzung reicht nicht
aus und kann nicht mit einer Abmahnung sanktioniert werden. Die Verknüpfung einer betriebsverfassungsrechtlichen Amtspflichtverletzung mit einer
Kündigungsandrohung in der Abmahnung ist nicht
zulässig. Ferner wurde vom BAG klargestellt, dass
der Betriebsrat als Gremium keinen Rechtsanspruch
auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte eines Mitglieds hat. Nur das Betriebsratsmitglied
selbst hat als ein höchstpersönliches Recht einen
Entfernungsanspruch nach §§ 242, 1004 Abs. 1 S. 1
BGB. Das Betriebsratsmitglied kann aber diesen Anspruch auf Entfernung sowohl im Urteilsverfahren
als auch im Rahmen eines Beschlussverfahrens, bei
dem der Grundsatz der Amtsermittlung gilt und auch
keine Kostenentscheidung ergeht, geltend machen,
was dem Arbeitnehmer ohne Betriebsratsamt verwehrt ist. Letzterer muss seinen individualrechtlichen Entfernungsanspruch immer im Rahmen eines
Urteilsverfahrens einklagen. Diese Wahlmöglichkeit
ist neu und in der Literatur nicht unumstritten. Sie ist
aber aufgrund dieser BAG-Entscheidung in der Welt.
Dr. Susanne Rücker
_ Rechtsanwältin, Partnerin
[email protected]