Woody Guthrie, »68« und das andere Amerika
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Woody Guthrie, »68« und das andere Amerika
K U LT U R U N D K R I T I K Klaus-Jürgen Scherer Woody Guthrie, »68« und das andere Amerika Klaus-Jürgen Scherer (*1956) ist Politikwissenschaftler, Geschäftsführer des Kulturforums der Sozialdemokratie und Redakteur der NG/FH in Berlin. [email protected] W oody Guthrie, als Singer und Songwriter allgemein bekannt durch seine alternative Nationalhymne Amerikas (»This Land is Your Land«), wäre am 14. Juli 2012 100 Jahre alt geworden. Bereits im Frühling stand er im Mittelpunkt des Berliner »Festival Musik und Politik«, Nachfolgeevent des einstigen DDR-»Festivals des politischen Liedes«. Und das SPD-nahe August-Bebel-Institut ehrte ihn in Berlin mit einer Ausstellung zahlreicher Fotos, Dokumente und Hörbeispiele. Beides wundert nicht, wurde Guthrie doch noch in den 70er und 80er Jahren bei sozialdemokratischen »Falken« wie kommunistischer FDJ gleichermaßen gesungen und verehrt. Guthrie begann als 18-jähriger Wanderarbeiter, als »Hobo«, im Güterwagen den Kontinent zu bereisen, sang seine Lieder in Kneipen, auf Straßen und in Arbeitercamps. Das, was er als Gelegenheitsarbeiter und Straßensänger erlebte, war der Stoff für seine über 3.000 Lieder und Verse. In seinen Songs spiegelt sich die Lebenserfahrung des einfachen, arbeitenden Menschen wider, dessen Kraft, seine Gefühle, sein Witz, sein Gerechtigkeitssinn; selbst Kinderlieder gehörten zu seinem Repertoire. »Als Woody Guthrie 1967 starb, hinterließ er tausend Songs, hunderte von Texten und Notizen, einige Bücher und eine Gitarre, auf der geschrieben stand‚ ›This Machine Kills Fascists‹«, so der Klappentext seiner vergriffenen, mit 31 Jahren geschriebenen,Autobiografie. Er verkörperte 76 N G | F H 6 | 2 0 12 bereits in den 40er Jahren das andere, das junge Amerika, ebenfalls dem American Dream verhaftet, diesen aber anders verstehend, als es Herrschende, Reiche und Reaktionäre vorgaben. Seine Folkmusic verband einen relativ schlichten Gitarrenrhythmus mit einem ziemlich nasalen Gesang, der mit seiner authentischen, aus der Alltagserfahrung schöpfenden, Poesie magische Anziehungskraft entfalten konnte. Auch dieser Woody Guthrie ist Teil der Entstehungsgeschichte von »68«, mittlerweile als »Mythos, Chiffre und Zäsur« (Wolfgang Kraushaar) historisiert. Bekanntlich scheiterten die Revolutionsträume, doch in Deutschland kam es immerhin zum sozialliberalen Reformaufbruch Willy Brandts. Zwar wurde der Kapitalismus nicht überwunden, doch die Nazi-Väter und autoritären Spießer hatten nun nicht mehr das Sagen. Der soziokulturelle Wandel, an Kleidung und Haarlänge konnte ihn jeder erkennen, war vom Ende der beschwiegenen Schuld über liberalere Umgangsformen und Erziehungsstile bis hin zu offenerer Sexualität und Frauenemanzipation wahrlich revolutionär. Befreite Welten entstanden zwischen Rebellion und einem neuen, Distinktion und Design huldigenden, Konsumkapitalismus. Musik als Erziehungsinstanz In unserem Zusammenhang scheint dreierlei oft unterbelichtet: Erstens, wie sehr die neue Jugendkultur damals mit ihren Wertvorstellungen von Freiheit, Selbstverwirklichung und Gleichheit, von »Love and Peace«, musikgeprägt war. Die ansonsten so großartigen Bücher zur deutschen Kulturgeschichte von Hermann Glaser mögen hierfür exemplarisch stehen. Die emotional-musikalische Seite des Generationen- K U LT U R U N D K R I T I K aufstandes ist offenbar schwerer fassbar als Argumente gegen Vietnamkrieg und Notstandsgesetze, als soziologische Theorien oder junge Autoren in Literatur, Theater und Film. Dabei war Musik, so Wolfgang Spindler 1978 im Kursbuch, »für mich, für die Jugend zu einer Erziehungsinstanz geworden, zu einer Einrichtung, die mit den Einflüssen von Schule und Elternhaus durchaus konkurrieren kann«. Marx und Adorno lasen nur wenige, doch das Lebensgefühl des Beat, Rock und Pop verstanden fast alle: Musik war die »ohne jeden Zweifel wichtigste kulturelle Ausdrucksform und Antriebskraft des Jahrzehnt« (Reinhard Flender/Hermann Rauhe). Oder wie Scott McKenzie 1967 sang: »There is a whole generation with a new explanation«. Zweitens wird in der musikalischen Protestgeschichte der Folk oft vernachlässigt. Seit Bob Dylans Einsatz einer elektrischen Gitarre auf dem Newport Festival 1965 wurde diese zum Inbegriff des Protestschreis der »Rock Power«. Im gleichnamigen Buch von Helmut Salinger wurde der Folk in der ideologisierten Stimmung Anfang der 70er Jahre als zu wenig radikal und aggressiv, gar als »weltfremd und naiv« abgetan. Immerhin unterschlägt er den Folk nicht: »Die moderne Pop-Musik begann in der Mitte der fünfziger Jahre mit dem Rock’n’Roll, und der war im Grunde eine Mischung aus zwei Traditionen, dem Rhythm&Blues der Neger und der romantischen Schnulze der Weißen, aus farbigem Beat und weißem Gemüt«. – Doch die Schnulze ist ein zweifelhaftes Lob. Dabei war selbst bei uns der Protestfolk bedeutend. Erinnert sei an die Burg-WaldeckFestivals im Hunsrück 1964-1969, die von der amerikanischen Folklieder-Szene wie durch den französischen Chanson beeinflusst waren und Liedermacher wie Reinhard Mey oder Hannes Wader hervorbrachten, auf denen Hein und Oss, Dieter Süverkrüp, Hans Dieter Hüsch und Erich Fried auftraten. Der amerikanische Protestfolk half bei der Wiederentdeckung der – durch die Nazis diskreditierten – demokratischen deutschen Volkslieder. Bestechende Dichter und Protestsänger, wie der kürzlich verstorbene Franz-Joseph Degenhardt oder in der DDR Wolf Biermann, knüpften auch hieran an. Drittens ist die zentrale, wie ambivalente Rolle Amerikas in verengter deutscher Perspektive oft unterbelichtet. Die USA waren einerseits als spätkapitalistische Supermacht mit ihrem Imperialismus an der Peripherie Ziel des Protestes. Doch andererseits richteten sich Träume auf das »andere Amerika« als Ort demokratischer Sehnsüchte und von Werten wie individueller Freiheit, Streben nach Glück, Abenteuer und Einfachheit. Es fällt nicht schwer, so Norbert Frei in seinem Buch 1968, »die wichtigsten Vorläufer, Vorbilder und Anfänge der späten weltweiten Protestbewegung in den USA auszumachen. Dort nämlich, im Herzland des modernen Kapitalismus, brach sich jener Typus radikaler Systemkritik, der nicht aus der Parteinahme für den real existierenden Kommunismus schöpfte, am frühesten und in besonders eindrucksvoller Weise Bahn: im Eintreten für ungeteilte Bürgerrechte, für umfassende politische Partizipation und für die konkrete Utopie einer neuen Gesellschaft«. Vorbild des Civil Rights Movement So wurde auch der amerikanische Traum des Bürgerrechtlers und Folksängers Woody Guthrie von einem sozial gerechten und humanitär orientierten Land vielfach rezipiert. Sein Nonkonformismus war kulturelles Vorbild der Beat-Generation, für das Civil Rights Movement gegen den allgegenwärtigen Rassismus, für die Studentenbewegung in Berkeley, für die Anti-Vietnamkriegsaktivisten, für den »Sommer of Love« in San Franzisco, überhaupt für den Protest gegen das Establishment und den massenhaften Ausstieg in die Subkultur. N G | F H 6 | 2 0 12 77 K U LT U R U N D K R I T I K Woody Guthrie war musikalischer Vorreiter der politisierten Musikergeneration von 68. In Bob Dylans Autobiografie kann man lesen: »Der erste nennenswerte Song, den ich schrieb, war Woody Guthrie gewidmet«. Dylan hatte Guthrie schon als 20-Jähriger in der Nervenheilanstalt aufgesucht, wo dessen geerbte unheilbare Nervenkrankheit immer schlimmer wurde. Doch direkte Einflüsse sind auch bei Joan Baez, Bruce Springsteen, Fats Domino, Judy Collins, Phil Ochs, Bono, Harry Belafonte und vielen anderen feststellbar. Vom gerade 85 gewordenen Harry Belafonte, nach wie vor – vielleicht unserem Bürger Günter Grass vergleichbar – prominenter linker Aktivist, gibt es eine schöne Anekdote: Wie er als 21-Jähriger im New Yorker Theater der 48th Street in John Steinbeck’s Von Mäusen und Menschen einen Troubadour spielte, den der Regisseur reingeschrieben hatte, weil die Woody-Guthrie-Lieder den Inhalt des Stückes so schön untermalten, vor allem aber, damit die Bühnenarbeiter Zeit hatten zum Umbau. Dabei, eben beim Singen von Woody-Guthrie-Liedern, wurde Belafonte von Lester Young entdeckt, der sagte: »Harry, sing doch auch mal bei uns, in der Pause.« »Bei uns«, dem berühmten Jazzclub »Royal Roost«, in dem Charlie Parker, Ella Fitzgerald und Miles Davis auftraten, begann dann Belafontes Karriere. Im Geist der amerikanischen 30er Jahre Belafonte unterstützte natürlich Barack Obama, kritisiert heute seine Kompromisse, wird aber selbstverständlich wieder für ihn werben. Übrigens zu Obamas Amtseinführungs-Feier 2009 hatte Bruce Springsteen auch den 90jährigen Pete Seeger ans Mikrophon geholt, um »This Land ist your Land« zu singen. Besonders Seeger, dieser enge Freund Guthries, hatte sich ja um die 78 N G | F H 6 | 2 0 12 Verbreitung seiner Lieder nach der Erkrankung seit Mitte der 50er Jahre verdient gemacht. Der 62-jährige Springsteen selbst dürfte derjenige sein, der die politisch-musikalische Tradition von Woody Guthrie heutzutage am erfolgreichsten fortsetzt. Bereits in seinen Alben des letzten Jahrzehnts fand sich eine Rückbesinnung auf den antiautoritären und vage sozialistischen Geist der 30er Jahre. Die jüngste Springsteen-LP Wrecking Ball (Abrissbirne) beschwört den Geist ermordeter Eisenbahner und Bürgerrechtler, der illegalen Einwanderer, die in der Wüste draufgegangen sind. Springsteen schildert in den Songs ein vom Klassenkampf von oben verwüstetes Amerika voller deprimierender Industriebrachen und fragt, was denn aus dem amerikanischen Traum geworden sei, wenn es keinen Grund mehr für Optimismus gibt. »Es ist jetzt die beste Zeit für amerikanische Liedermacher, die beste Zeit seit der großen Depression der dreißiger Jahre. Börsennotierte Halsabschneider, Pfeffersäcke, Couponschneider plündern das Volk aus, klagt der Sänger nach alter Weise, hinterlassen Wirtschaftsruinen und verwüstete Seelen, rauben jede Hoffnung, dass es je wieder besser würde«, so Willi Winkler im Feuilleton der SZ. – Woody Guthrie hätte dies gefallen. Die Tradition seiner sozialkritischen Ballade lebt auch hierzulande. Wolfgang Niedecken schrieb in seiner Autobiographie: »Dylans frühe Talking-Blues-Stücke, die wir uns im Auto Strophe für Strophe gegenseitig vorgesungen hatten, regten mich dazu an, ähnlich haarsträubende Geschichten voll von absurden Wendungen und höherem Unsinn auch im Kölschen zu versuchen. Mit dieser Kreuzung zwischen Krätzchen und Woody Guthrie schafften wir es, dass die Leute vergaßen, sich wieder zur Theke zurückzudrehen und weiterzuschwatzen«. Aktuell singt vor allem der Berliner Protestsänger Wenzel, der viele Songs Guthries ins Deutsche übertragen hat, dessen Lieder und taucht überall auf K U LT U R U N D K R I T I K wo sich linke Bewegung zeigt oder beschworen wird. So hält Woody Guthries musikalische Wirkungsgeschichte an. Der ungeheuer kreative Sänger, Liedermacher und Lyriker war auch Maler und Zeichner; vor allem aber ein wichtiger Buchautor, der tiefe Einblicke in die US-Wirklichkeit der 30er und 40er Jahre, der aus dem Elend geborenen Migration nach Westen, ermöglichte. Seine 1943 erschienene Beschreibung seiner Jugend- und Wanderjahre mit ihrem Freiheits-Pathos und einem umgangssprachlichen Stil, der auf Spontaneität,Authentizität, Unmittelbarkeit, Einfachheit und Lebensweisheit setzt, erinnert an Mark Twains Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Diese Autobiografie kann literarisch in einem Atemzug mit dem 1957 erschienenen Kultbuch der Beatgeneration,Jack Kerouacs On The Road genannt werden. Ein »sozialistischer Patriot« Als einer der wichtigsten amerikanischen Musiker des 20. Jahrhunderts war Guthrie eben ein politisch aktiver »Leftie«, mit einer gewissen – im Kampf gegen den Faschismus verständlichen – Nähe zur Kommunistischen Partei. Enthusiasmus und Leidenschaft dieser unerheblichen, oft lächerlichen Sekte beeindruckten ihn zeitweise, deren Mitglied war er allerdings nie. Er wirkte durch seine sozialkritischen Texte, durch sein Engagement für Arbeiterinteressen, durch seine Radiosendungen, durch seine Auftritte bei Gewerkschaftsveranstaltungen und Streiks. Auch ohne eine ernsthafte politisch organisierte Arbeiterbewegung wie in Europa gab es Klassenkämpfe, brutale Unterdrückung und die politische Verfolgung und Stigmatisierung von Andersdenkenden mit dem Höhepunkt der McCarthy-Ära. Oft gemeinsam mit Pete Seeger mischte sich Woody Guthrie ein, als »sozialistischer Patriot«, wie er sich typisch amerikanisch bezeichnete. Er blieb »der professionelle Unschuldige, das erwachsene Kind, und konnte sich hundertprozentig für eine Sache einsetzen, an die er glaubte (wie alle Kinder und Naivlinge)«, so liest es sich in der gewichtigen Biografie von Joe Klein (1980). Kein Wunder, dass seine Musik bis heute dort wirkt, wo es ganz einfach um das Aufbegehren gegen Unrecht geht, darum, sich eindeutig auf die Seiten der Schwachen zu stellen. In den USA ist es derzeit der langjährige »Rage Against the Machine«-Gitarrist und neuerdings Folksänger Tom Morello, der mit seinem Soloprojekt »The Nightwatchman« diese Verbindung zwischen Protestfolk und Occupy-Bewegung herstellt. Guthries in seiner Person tief verwurzelter Gerechtigkeitssinn und seine Liebe zu seinen Mitmenschen kommt in den heutigen Zeiten tiefgreifender, allgegenwärtiger und oft unverstandener Umbrüche eben wieder gut an. ■ Michael Ochs Archives/corbis N G | F H 6 | 2 0 12 79