horse-crazy girl
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Vom Cow-boy zum Horse-girl Heinz Hengst 12 Children’s culture research is still primarily based on boys culture. In this respect, the following contribution deals with research of desiderata. The theme of the article is the cultural aspects of horses and horseriding, a cultural fashion, which is by now securely in the hands of girls growing up in North-West Europe. The handling of horses is girls most popular hobby. This contribution reconstructs the implications of an obvious, though not really recognised shift in the significance of horses and horse-riding for both boys and girls. The author attempts to illuminate results of an empirical study carried out in the 90’s by transforming them into a historical perspective. 1 Heinz Hengst: Vom Cow-boy zum Horse-girl Working Paper 12. Child and Youth Culture The Department of Contemporary Cultural Studies Odense University Copyright by the author Edited by Jørn Guldberg, Flemming Mouritsen and Torben Kure Marker Layout and DTP by Torben Kure Marker Cover design by LAMA grafik Printed by Odense University Printing Office ISBN: 87-89375-83-1 ISSN: 1398-6201 Published by the Department of Contemporary Cultural Studies The University of Southern Denmark. Main Campus: Odense Campusvej 55 DK-5230 Odense M Tel. + 45 65 57 34 30 Fax + 45 65 93 06 72 E-mail: [email protected] Selected Working Papers are accessible on the Internet: Http://www.hum.sdu.dk/center/kultur/arb_pap/ Typeset: Verdana, Arial Black and Bookman Printed in Denmark 2000 2 Vom Cow-boy zum Horse-girl Heinz Hengst* Im folgenden stelle ich Ergebnisse einer Fallstudie vor, einer Untersuchung, bei der es darum ging, Informationen aller Art zum “Fall” Mädchen und Pferde zusammenzutragen. Es ist meine zweite Arbeit zu diesem Thema. (vgl. Hengst 1980) In der Zeit zwischen den beiden Studien habe ich mehrere Diplomarbeiten zum Thema Mädchen und Pferde betreut. Ich erwähne das, um deutlich zu machen, daß ich in diesem Beitrag keine bloße Momentaufnahme präsentiere. Im Zentrum der empirischen Erhebungen, die in den Jahren 1992 - 1994 im Bremer Raum durchgeführt wurden, standen mündliche und schriftliche Befragungen von Reiterinnen, Exreiterinnen und Nichtreiterinnen, von Reiterhofbesitzern (Frauen und Männern). Insgesamt wurde etwa 250 Personen befragt, in der überwiegenden Mehrzahl Mädchen zwischen sechs und vierzehn Jahren. Aufgearbeitet wurde das vorliegende statistische Material (nicht zuletzt, um Entwicklungen auch über harte Daten rekonstruieren zu können). Untersucht wurden Entwicklungen und gegenwärtige Erscheinungsformen des Medienangebots und der Verbundsysteme rund um’s Thema Mädchen und Pferde: Bücher, Comics, Filme, Videos, Fernsehserien, Spielzeuge und diverse Accessoires und zwar besonders im Hinblick auf Veränderungen der Inhalte, der Produktstrukturen und ihrer Bezüge zur altersund geschlechtspezifischen Zusammensetzung des Publikums. Gesichtet wurde selbstverständlich auch die - immer noch *Heinz Hengst is Professor at the Department of Sozialwesen at the Hochschule Bremen and a member of the Institut fuer Popular- und Kinderkultur at the Universitaet Bremen. He is editor, co-editor and author of books and articles mainly concerning questions of contemporary childhood, children's and youth culture. Professor Heinz Hengst was a visiting professor at the Southern Danish University, December 1997. 3 spärliche - einschlägige wissenschaftliche Literatur, darunter kulturgeschichtliche Abhandlungen. Außerdem habe ich mich (u.a. in Gesprächen mit Hinz und Kunz) und durch den Besuch von Spielzeugmuseen im In- und Ausland darum bemüht, die Etappen, die wechselnden Formen und Bedeutungen der “Equipierung” der Kinderkultur, nachzuvollziehen. Ich liefere hier keine systematische Auswertung dieser Untersuchung, sondern konzentriere mich auf die die geschlechtsspezifische Dimension in historischer Perspektive. Das hat den Nachteil, daß der Facettenreichtum, der für die Beziehung von Mädchen (und Frauen) zu Pferden so charakteristisch ist, zu kurz kommt. Die Beschränkung erscheint mir aber vertretbar, weil der historischen Entwicklung, obwohl sie auf einen spektakulären shift hinausläuft, bisher überhaupt keine Beachtung geschenkt wurde. Mädchen, Frauen und Pferde - ein Rückblick Pferde waren - nachdem sie vorher bereits als Kulttiere große Bedeutung erlangt hatten - (seit die Menschen sie domestizierten) Arbeits-, Transport- und Kampftiere. Als solche fielen sie vor allem in den Verantwortungsbereich von Männern. Außerdem war das Pferd nahezu immer Symbol für eine starke Männlichkeit. Das ist an einflußreichen Darstellungen von Mann/ Pferd ablesbar. Ich erinnere nur an den amerikanischen Cowboy in den “Pferdeopern”, dessen Heldentaten in Generationen von Romanen, Kurzgeschichten und Filmen verbreitet wurden. Weniger bekannt ist die Tatsache, daß auch die Beziehung Frauen und Pferde eine (moderne) Geschichte hat, und nicht erst vor ein paar Jahrzehnten vom Himmel gefallen ist. Man muß nicht die legendären Amazonen beschwören, um fündig zu werden. Selbst das sprichwörtliche “horse-crazy girl” ist keine Erfindung der letzten Jahrzehnte. So wurde die Pferdeliebe in England als Instrument bei der Entwicklung der nationalen Gesellschaft gegen Tierquälerei (“Britain’s Society for 4 the Prevention of Cruelty to Animals”), einer Vorläuferorganisation der nationalen Gesellschaft gegen Kindesmiß-handlung (National “Society for the Prevention of Cruelty to Children”) eingesetzt. Die Tierschutzorganisation (SPCA) wurde zur königlichen Organisation [R(oyal) SPCA], weil sich die junge Viktoria für den Schutz von Pferden stark machte und als Schutzherrin der Gesellschaft gegen Tierquälerei fungierte, bevor sie 1837 den Thron bestieg. Eine andere Frau, Angela (später Baroneß) Burdett-Coutts (Schowalter 1983, 502) begeisterte sich in jungen Jahren für Pferde. Als sie dann zur reichsten Erbin Englands avancierte, gründete sie das Ladies Committee der Gesellschaft gegen Tierquälerei, schenkte dessen Arbeit viel Aufmerksamkeit und einen Großteil ihres Vermögens. Diese Frau regte im Jahre 1889 Schulkinder dazu an, 40000 Aufsätze zu schreiben, in denen diese die Eigenschaften von Pferden und anderen Tieren in höchsten Tönen priesen und beredt schilderten, wieviel Spaß es mache, sie human zu behandeln. (vgl. Schowalter 1983, 502) Meine Informationsquelle sagt weder etwas über die spezifische Wertschätzung des Pferdes in den Aufsätzen der Kinder, noch gibt sie Auskunft über Geschlechtsspezifisches in den Lobpreisungen und Charakterisierungen der Tiere. Aber wenn man Kinder in dieser Weise bereits vor mehr als hundert Jahren für den Tierschutz mobilisieren und instrumentalisieren konnte, und junge Mädchen und Frauen die Initiative ergriffen, so ist das ein wichtiges Indiz für die kulturelle Bedeutung, die diese Gruppierungen Tieren im allgemeinen, und Pferden im besonderen, nicht erst heute zuschreiben. Und es ist (wie der Tenor der Schüleraufsätze zeigt) offensichtlich so, daß die Sympathien nicht (oder doch nicht primär) den Arbeits-, Kampf- und Transporttieren der Männer, sondern emotionalisierten Lebewesen gelten. Andere Quellen aus dem 19. Jahrhundert, die Auskunft zum Thema Frauen und Pferde geben, kommentieren Entwicklungen im Bereich des Sports. Bis ins achtzehnte Jahrhundert 5 galt der Ausritt zu Pferde als männliches Vorrecht. “Frauen mußten sich damit begnügen, in völliger Passivität auf dem Pillion genannten Reitkissen plaziert, befördert zu werden.” (Müller-Windisch 1995, 84) Doch während die Moralisten des achtzehnten Jahrhunderts Schimpftiraden gegen die dreisten englischen Amazonen schrieben, die allein ausritten, und “alle Regeln der Wohlanständigkeit verspottend, noch dazu Krawatte und Zylinder trugen”, entwickelte sich der Reitsport im neunzehnten Jahrhundert zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung der Viktorianerin. (ebda.) Den Frauen der Oberschicht wurde Sport (von Frauen!) als Korrektiv gegen jene “Verweichlichung” empfohlen, “die überzüchteter Luxus leicht nach sich zieht” (Müller-Windisch 1995, 82). Die Empfehlungen wurden allerdings immer mit den geltenden Regeln der Wohlanständigkeit in Einklang gebracht: “‘Anstrengende sportliche Ertüchtigung beraubt nicht notwendigerweise eine Frau ihres Charmes’, sondern speziell für nervöse, hypersensible Frauen (der gesellschaftlich privilegierten Klassen) sei diese Art körperlicher Anstrengung ein geradezu notwendiges Energieventil. Ein lebhafter Ausritt durch die freie Natur ermögliche ein fundamental erhebendes, früher sicher nie ausgelebtes Gefühl, nämlich die unschätzbare Erfahrung des eigenen Energiepotentials. Die Reiterin erfahre ganz neue Lebensimpulse durch solch köstliche Ausritte in der freien Natur: Statt mäßig träumend und mit gefalteten Händen an der einschläfernden Wärme des Kaminfeuers in melancholische Gedanken zu verfallen, so Lady Greville (...), blase der Wind einer Reiterin beim Galopp all die lästigen Spinnweben aus ihrem Kopf.” (ebda., 82f.) Im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts “stieß das Damenreiten auf nahezu unwidersprochene Zustimmung, ja man wertete die Tatsache, in einer Epoche degenerierten Luxuslebens auf Frauen zu treffen, die es wagten, ungeachtet der Witterung ihr Gesicht Wind und Wetter auszusetzen, als Zeichen einer wohltuend individuellen Emanzipation (B.V. Greville 6 1880, 281). Die Reiterin, so die gängige Überzeugung, schule neben der Bewegungsgenauigkeit die Eleganz ihrer Ausführung und erlange sogar durch diesen Sport ein gestärktes Selbstvertrauen, denn ‘in frühem Alter erlernt, trägt das Reiten sogar zur Bildung eines furchtlosen und couragierten Charakters bei’ (J. Cautlie 1883, 434).” (ebda.) Es ist deutlich, wie stark hier gemessen an traditionellen Vorstellungen - die männliche bzw. vermännlichende Wirkung des Reitsports betont wird. Reiten war eine der Sportarten, denen ein “Element von ausgeprägt abenteuerlicher Exklusivität” zugestanden wurde. Ihm schenkten auch die Berichterstatter der Mode-Journale und ihre weibliche Leserschaft, die finanziell weniger privilegierten Frauen der Mittelklasse, große Aufmerksamkeit - auch wenn sie sich dessen aktive Ausübung selbst gar nicht leisten konnten” (ebda., 83). Trotz aller modischen Zwänge (Reitkostüme so eng wie ein Handschuh an den Körper geschmiegt, Asymmetrie des Damensattels) begaben sich die viktorianischen Reiterinnen “mit Elan hinaus in die freie Natur” und behaupteten souverän ihren Platz auf dem Rücken ihrer Pferde. “Die Frage nach der Gefährdung der Damenhaftigkeit, speziell bei der Jagd zu Pferde, blieb ein ewig ungeschlichteter Streitpunkt. Die Argumentation zielte einerseits moralisierend auf die nicht zu leugnende Grausamkeit der Hetzjagd mit Hunden. Dieses Freizeitvergnügen der oberen Klassen wies eine lange Tradition auf, war jedoch nie auf universelle Zustimmung gestoßen und stellte für viele viktorianische ZeitgenossInnnen ein unwürdiges Spektakel gequälter Kreaturen dar. (...) Die Argumentation der Pragmatikerinnen richtete sich andererseits weit mehr gegen das lebensgefährliche Reithabit der Frau. Wenn wagemutige Reiterinnen auch mit Bravour, sorgloser Unbekümmertheit und mit dem gleichen Geschick wie ihre männlichen Begleiter Gräben und Zäune übersprangen, so war doch die Sturzgefahr für die Frauen, bedingt durch ihre für sportliche Bewegung absolut ungeeignete Bekleidung, latent gegeben. Der Rock des langen, stoffreichen Reitkostüms, das sich nur allzuoft in den Hindernissen verfing, wurde zumeist mit der Schlaufe 7 am Fuß zusammengehalten, die das indiskrete Hochwehen im Wind - heute würde man sagen: den Monroe-Effekt verhindern sollte. Vorbehalte gegen diese Schlaufe, die in der Tat zu vielen Stürzen und ernsthaften Verletzungen führte, wurden von vielen Seiten geäußert, aber kaum praktisch aufgegriffen....” (ebda. 89) Weltberühmt geworden ist eine amerikanische Zeitgenossin der reitenden Viktorianerinnen, eine furchtlose Vierjährige namens Bonnie (aus dem reaktionären Südstaaten-Amerika). Sie läßt ihr Leben in einem “Wirrwarr von blauem Samt und schlagenden Hufen” (Mitchell 1936, 992). Bonnie ist - bekanntermaßen - die gemeinsame Tochter von Scarlet O’Hara und Rhett Butler in Margaret Mitchells Best- und Longseller “Vom Winde verweht”. Beim Lesen der einschlägigen Passagen wird deutlich, wie schon die kleinsten Mädchen zu Kompromissen zwischen ihrer Reitpassion und den Normen der Damenhaftigkeit gezwungen wurden. Der Zwang war damals so groß, daß nicht einmal der (bezüglich der alten Südstaatenwerte) renitente Rhett Butler aufmuckte, wie folgende Szene zeigt: “Als Bonnie vier Jahre alt war, fand Mammy es höchst unschicklich, daß ein kleines Mädchen im Herrensitz vor ihrem Pa im Sattel saß und das Kleid ihr in die Luft flog. Rhett ließ es sich gesagt sein wie alles, was Mammy über die richtige Erziehung kleiner Mädchen zu sagen wußte, und das Ergebnis war ein kleines, braun und weiß geflecktes Shetland-Pony mit langer, seidiger Mähne und ebensolchem Schwanz, samt einem zierlichen Damensättelchen mit silbernem Beschlag.” (ebda., 989) Da Margaret Mitchell selbst hinter den überkommenen Weiblichkeitswerten steht, kann man beim Lesen und Anschauen der Todesszene nur ahnen, daß es nicht einfach mangelnde Vorsicht, sondern möglicherweise der Damensattel und das stoffreiche Reitkleid waren, denen Bonnie zum Opfer fiel. [Marlene Braun, die eine Dissertation über “Das Pferd als Symbol” geschrieben hat, meint, “die Angst des Mannes vor der reiterlichen Stärke der Frau (habe) dazu geführt”, sie in 8 den Seitsitz zu zwingen, die sittlichen und gesundheitlichen Bedenken seien nur ein Vorwand gewesen. (Baum 1991, 218) Vom Cowboy zum Horse-Girl Der Weg von Bonnie und den Viktorianerinnen zu den Pferdemädchen von heute ist kurz und lang zugleich. Er ist kurz, weil insbesondere die skizzierte öffentliche Diskussion des Themas im viktorianischen England vieles anschneidet, was die gegenwärtige Bedeutung von Pferden für Mädchen verständlicher macht. (Im Grunde werden wir mit dem gesamten Bedeutungsgeflecht konfrontiert, an dem die Mädchen von heute aktiv mitspinnen.) Vor allem ist deutlich, daß Reiten im 19. Jahrhundert als Ausbruch aus der traditionellen Frauenrolle bzw. als Eroberung einer Männerdomäne betrachtet wird. Außerdem zeigen die erwähnten Aktivitäten der jungen Viktoria und der Lady Burdett-Coutts, daß Pferde für (junge) Frauen und Kinder nicht nur als Sportgeräte oder Statussymbole und Emanzipationsvehikel fungieren, sondern darüber hinaus noch eine emotionale, eine Beziehungsdimension, da ist. Es stellt sich die Frage, ob, bzw. wie, beides zusammenspielt - und zu ihrer Beantwortung muß man die Gegenwart aufsuchen. Diese Gegenwart konfrontiert uns mit dem Ergebnis, daß die Jungen die Pferdewelt, die die Männer noch im 19. Jahrhundert als Männerwelt verteidigten, praktisch aufgegeben haben, während die Mädchen sie - jedenfalls im Nordwesten Europas - massenweise bevölkern. Anders ausgedrückt: während der Frauenreitsport im viktorianischen Zeitalter zu einer Vermischung der Geschlechter führte, ist das Thema Kinder und Pferde heute ein Beispiel für eine bemerkenswerte Entmischung der Geschlechter. Es ist nicht leicht, die Stationen dieses Wandels zu rekonstruieren. Die historische Perspektive fehlt völlig in den Beiträgen von Psychoanalytikern und akademischen Entwicklungspsychologen. Aber sie sind die einzigen Kindheitswissenschaftler, 9 die das Thema für relevant erachtet haben. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem die von Bruno Bettelheim behauptete Funktionsäquivalenz von Märchen für Kinder und Pferden für Mädchen. Bettelheim schreibt in “Kinder brauchen Märchen” (engl. Titel “The Uses of Enchantment”): “Viele etwas ältere Mädchen begeistern sich für Pferde; sie beschäftigen sich mit Spielpferden und errichten kunstvolle Phantasiegebäude um sie herum. Wenn sie größer werden und die Möglichkeiten haben, wenden sie sich lebendigen Pferden zu; sie pflegen sie sehr zuverlässig und sind unzertrennlich von ihnen; ihr Leben scheint um diesen Mittelpunkt zu kreisen. Die psychoanalytische Forschung hat ergeben, daß die übermäßige Begeisterung für Pferde viele verschiedene emotionelle Bedürfnisse, die das Mädchen zu befriedigen sucht, umfassen kann. So kann das Mädchen durch die Herrschaft über das starke Tier das Gefühl gewinnen, es beherrsche das Männliche oder das sexuell Tierhafte in sich selbst. Man stelle sich vor, was mit der Freude am Reiten und mit der Selbstachtung eines Mädchen geschähe, wenn man ihm diesen Wunsch, dem es beim Reiten nachkommt, bewußt machte! Er wäre zutiefst erschüttert und stünde in den eigenen Augen als schlechter Mensch da. Eine harmlose, frohmachende Sublimierungsmöglichkeit wäre ihm verschlossen; es würde auch kaum ein ebenso wirksames Ventil für diese inneren Spannungen finden und sie deshalb möglicherweise nicht meistern. Man könnte ein Kind, dem Märchen erzählt werden, mit dem Mädchen vergleichen, das den inneren Druck beim Reiten oder im Umgang mit Pferden erleichtern möchte, dem aber dieses unschuldige Vergnügen verwehrt wird. Das Kind, dem bewußt gemacht wird, für welche Inhalte seines Inneren die Märchengestalten stehen, büßt ein notwendiges Ventil ein und erlebt eine verheerende Erschütterung, wenn es die Sehnsüchte, Ängste und Rachegelüste, die in ihm toben, erkennen muß. Wie die Liebe zu Pferden kann auch das Märchen dem Kind äußerst hilfreich sein und sogar ein unerträgliches Leben lebenswert erscheinen lassen, solange das Kind die psychologische Bedeutung nicht kennt.” Bettelheim 1977, 57f.) Während Bettelheim die Vorstellung der sozialen Konstruiert10 heit der Pferdeliebe von Mädchen fremd ist, kann man in einem entwicklungspychologischen Standardwerk zum Thema Mädchen, Jungen und Pferde immerhin folgendes lesen: “Die Kluft zwischen den Geschlechtern zeigt sich auch im Verhalten gegenüber Haustieren. Beide Geschlechter sind tierlieb, aber auf unterschiedliche Weise. (...) Früher hatten Jungen auch eine Vorliebe für Pferde, vielleicht aufgrund einer Identifizierung mit den Cowboyhelden; sie haben diese aber anscheinend zugunsten von Motorrädern und Autos abgelegt. Mädchen wiederum lieben Pferde bis zum Wahnsinn. Sie sammeln Pferdebilder und -figuren und betteln um Reitstunden...” (Stone/Church 1978, Bd. 2, 155) Ich will den Erklärungsversuch von Stone und Church ergänzen, indem ich ein paar historische Fakten und Binnensichten ins Spiel bringe, die die Psychologen ausblenden. Daran möchte ich ein paar Überlegungen zum Wandel der Bedeutung des Pferdes und der Pferdewelt in der geschlechts-spezifisch ausdifferenzierten Kinderkultur anknüpfen. Mein Duden definiert Schaukelpferd als ein “auf abgerundeten Kufen stehendes Holzpferd, auf dem Kinder schaukeln können”. Ich bin mir nicht sicher, ob sich der für diese Definition verantwortliche Mensch viel dabei gedacht hat, als er “Kinder” schrieb - ob er darüber nachgedacht hat, daß Kinder in zwei Geschlechtern existieren, das Schaukelpferd aber möglicherweise nicht ohne weiteres und immer für beide interessant, oder von den Erwachsenen vorgesehen war. Meinen Verdacht kann ich ein Stück weit untermauern. “Auf (..) Familienporträts waren (vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution, H.H.) die kleineren Kinder des Hätschelalters oftmals nur an ihrem Spielzeug als Mädchen oder Knaben zu erkennen: an Puppe oder Steckenpferd und Trommel.” (WeberKellermann 1979, 84) “Für die Knaben läßt sich ritterlich-kämpferisches Spielzeug ebenso ins Mittelalter zurückverfolgen wie für die Mädchen die Puppe. Aber das eigentliche, typische und sie charakterisierende Spielzeug 11 war das Stecken- und Schaukelpferd. (...) Pferdchen, Wagen und Trommel blieben die bevorzugten Spielzeuge der feinen Knaben, womit ebenso auf ihre Zukunft (und die erforderlichen ritterlichen Tugenden) erzieherisch hingearbeitet wurde wie beim Puppenspiel der Mädchen. Die Rollenfixierung begann im frühen Kindesalter.” (ebda., 85) “Folgt man dem Blick, den uns die Autobiographen mit Hilfe ihrer Erinnerungen durch das Schlüsselloch ihrer Kinderstube gewähren, so lassen sich drei Kategorien von reinem Jungenspiel und spielzeug erkennen: Zum einen und über den ganzen Untersuchungszeitraum (1840 - 1914, H.H.) hinweg fochten deutsche und englische Bürgerjungen wilde Kämpfe aus. Auch auf den gestellten Kinderphotos aus dem 19. Jahrhundert blickten die Söhne nicht selten bewaffnet, gespornt und häufig vom Rücken eines Schaukelpferdes in die Kamera.” (Budde 1994, 199) Im Wiener Puppen- und Spielzeugmuseum liegt eine aufgeschlagene Fibel aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert. Abgebildet sind (nebeneinander) ein kleines Mädchen mit seiner Puppe “Schnippi” und ein gleichaltriger Junge mit einem gezäumten und gesattelten “Hutschpferd” (Hutschpferd ist das süddeutsch- österreichische Synonym für Schaukelpferd, H.H.). Vom Schaukelpferd zum Steckenpferd (oder hobby-horse): Laut Duden ist das Steckenpferd (Auch in diesem Fall wird der Gegenstand wieder geschlechtsneutral bzw. geschlechtsübergreifend definiert.) “Kinderspielzeug aus einem (hölzernen) Pferdekopf mit daran befestigtem Stock”. Sicher darf man ein paar Antworten älterer Leute nicht überbewerten. Aber alle, die eine Erinnerung an Kinder und Steckenpferde haben, erinnern sich an Jungen. Sozialpädagogoginnen, die mit Kindern im Vorschulalter Jahrmärkte und Kirmesplätze besuchen, wissen zu berichten, daß fast nur noch Mädchen auf die Pferde in den Kinderkarussells steigen - oder Jungen, die sie nicht für besonders jungenhaft halten. Die Spielzeugpferde von heute (im Barbieverbund und vergleichbaren Sets) sind ausnahmslos in 12 Mädchenhand. Die traditionelle Geschlechtsspezifik, die im Wiener Puppen- und Spielzeugmuseum noch intakt war, funktioniert jetzt unter umgekehrten Vorzeichen. Es heißt nicht mehr Spielpferd oder Puppe. Im Zweifelsfall bevorzugen die Mädchen Puppen mit Pferd oder Pferdepuppen. Beim Spielen werden die Pferde gewissermaßen verpuppt. Wie den BarbiePuppen wird auch den Barbiepferden die Mähne gekämmt, werden sie an- und umgezogen, wird mit ihnen gesprochen. Barbie hat es inzwischen (1999) immerhin auf ein veritables Gestüt mit 14 Pferden gebracht. (Ihr erstes Pferd “Dancer” bekam sie 1971.) Ich möchte eine 1. These aufstellen: Jungen beschäftigen sich - bis in die fünfziger und sechziger Jahre hinein - vor allem aktiv-spielerisch mit Pferden und Pferdesym-bolen, Mädchen hingegen setzen sich primär fiktiv (via Literatur) mit Pferden auseinander. So sah die Realität aus, und sie harmonierte mit den vorherrschenden Kindheits-, Jungen- und Mädchenbildern. (Ähnlich: hier aktiv, dort passiv, war im übrigen im 19. Jahrhundert ich habe darauf hingewiesen - die Differenz zwischen Frauen der privilegierten und der weniger privilegierten Schichten.) Was die “fiktive” Beschäftigung der Mädchen angeht (deren Erläuterung ich noch schuldig bin), so verlautet aus den Verlagen, daß es immer schon Pferdebücher für Mädchen gegeben hat. Man erhält keine genauen Angaben, aber nachweisbar ist, daß es seit der Jahrhundertwende eine populäre Romanliteratur gibt, die im Kontext der zivilisationskritischen Jugendbewegung Frauen Reitleidenschaft, Herrensitz und Reithosen konzediert. (vgl. Wagenmann/Schönhammer 1994, 1) Die Pferdebücher für Mädchen stehen (jedenfalls in Deutschland) lange in dieser Tradition. Selbstverständlich ist die Pferdewelt auch Thema von Medienangeboten, die speziell für Jungen produziert und (bis vor ein paar Jahrzehnten) auch von Jungen genutzt wurden. Es gibt Pferdebuchreihen, in denen Jungen die Protagonisten 13 sind. Bekannter sind Fernsehserien wie “Fury” (aus den fünfziger Jahren). Allerdings stellt sich im Zusammenhang mit “Fury” die Frage, ob nicht bereits diese Serie, die ja doch (im Vergleich zur Darstellung des Pferdes in typischen Western) eine erhebliche Sentimentalisierung und Vermen-schlichung beinhaltete, in hohem Maße das weibliche Kinderpublikum anzog. [Ich habe das nicht weiter verfolgt, weiß allerdings, daß - obwohl Pferde ‘offiziell’ für Jungen (sobald sie sich als Männer identifizieren) out sind - “Fury” sich weiterhin im Kinderprogramm behauptet und viele Pferdenärrinnen, die zur Furyzeit Kinder waren, die Serie damals verfolgt haben.] In ihrem 1961 erschienenen Buch ‘Mädchen und Tier’ spricht Maria Zillig an vielen Stellen das Thema Pferde an und zwar deswegen, weil die von ihr befragten Mädchen es immer wieder ins Spiel bringen. Zilligs Untersuchungen zeigen, daß Pferde in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre weit oben auf der Liste der Tiere rangieren, für die sich Mädchen interessieren, zu denen sie in Beziehung treten, die sie besitzen möchten. Maria Zillig macht auch deutlich, daß gerade die Vorliebe der Mädchen für Pferde, sehr häufig medienvermittelt, “durch Film und Lektüre”, beeinflußt ist. (Zillig 1961, 21) Die Äußerungen der von ihr zitierten Mädchen zeigen ebenfalls, daß Hunde und Katzen oft nur deswegen noch weiter oben auf der Skala der Lieblingstiere stehen, weil Pferde ihnen praktisch unerreichbar erscheinen. Sie konnten nicht wissen, daß die moderne Dienstleistungs- und Freizeitgesellschaft schon sehr bald Infrastrukturen für den aktiven Umgang mit lebendigen Pferden bereitstellen würde. Tatsache ist, daß sich um die Mitte der sechziger Jahre das Pferdehobby in der Bundesrepublik - und zwar vor allem im Sinne des lebendig-tätigen Umgangs mit Pferden - massenweise als Mädchenhobby durchgesetzt hat. Hartes Datum ist die Mitgliedschaft in Reitervereinen. In den sechziger Jahren ziehen die Mädchen eindeutig an den Jungen vorbei. Die Entwicklung im Bereich der Mitgliedschaft wiegt um so schwerer, weil sich der Großteil der Mädchen außerhalb der Vereine 14 betätigt, während die reitenden Jungen in aller Regel (Familientraditionen folgend) Vereinsmitglieder sind. Auf den Reiter- und Ponyhöfen, auf denen im Rahmen unserer Untersuchungen statistisches Material gesammelt wurden, betrug das Verhältnis von Jungen und Mädchen 16% zu 84%. Fazit: Müßte ich diesen Beitrag bei der feministischen Zeitschrift “Emma” abliefern, so würde ich die Entwicklung folgendermaßen resümieren: Gegenwärtig stellen Jungen nur noch einen Bruchteil der Reiterinnen ihrer Altersgruppe. Zum Script Mädchen und Pferde Daß sich so viele Mädchen heute für das Hobby Pferde entscheiden, hängt auf jeden Fall damit zusammen, daß die Medien und Konsumindustrien es neu inszeniert, mit einem neuen und attraktiven Aktiv- und Abenteuerscript versehen haben. Diese Entdeckung (ein längerer und keineswegs abgeschlossener Prozeß) hat es mit sich gebracht, daß Markt und Medien die Pferdewelt in einer ständig wachsenden Zahl von Angeboten, Spielzeugen und Dienstleistungen (u.a. Reit-Ambientes) präsentieren und immer wieder neu auf die Zielgruppe Mädchen abstimmen. Wenn man (heute) viele Pferdemädchen fragt, wer ihr Interesse für Pferde geweckt hat, dann wird deutlich, daß sie ganz unterschiedliche Quellen haben: Filme, Fernsehserien, Bücher, Freundinnen, ältere Geschwister, Cousinen, aber auch Mütter, die ihr eigenes Interesse, ihr (Kindheits-)Hobby den Töchtern ‘vererbt’ haben. Das heißt, wir haben es hier mit einem Script zu tun, mit dem man heute auf ganz unterschiedliche Weise Bekanntschaft machen kann, eines, zu dem sich wegen seiner Omnipräsenz im Prinzip jedes Mädchen irgendwie verhalten muß. Dessen sind sie sich durchaus bewußt. In den Interviews formulieren die Mädchen immer wieder Sätze wie “Ich mußte das natürlich auch machen wie jedes Mädchen.” (Bei einer Befragung von 27 zufällig ausgewähl15 ten Mädchen in Bremer Schulen gaben nur drei an, nie Kontakt zu Pferden gehabt zu haben.) Erläuterung zum Scriptbegriff Ich habe mit Absicht den Begriff Script gebraucht. Ein Script im skizzierten Sinne ist so etwas wie ein Drehbuch für eine bestimmte Form der Freizeitgestaltung bzw. für die Wahrnehmung eines Hobbies. Es enthält Vorschläge und Regieanweisungen für Aktionen, Orte, Bühnen, Kulissen, beinhaltet Medienangebote und andere Materialien und Requisiten. Ein Script ist im gegebenen Zusammenhang so etwas wie ein zu kommerziellen Zwecken thematisch und medial vorstrukturierter Spiel-, Lern- und Erlebniszusammenhang. Was den Begriff im anstehenden Zusammenhang interessant macht, ist folgendes: er steht für etwas gleichermaßen Präskriptives und Gestaltbares, für Kohärenz wie für unterschiedliche (und unterschiedlich gestaltbare) Elemente (Ideen, Phantasien, Leitmotive, Codes, Figuten, Symbole, Requisiten, Bühnen-, Kulissen-, Materiel- und Medienvorgaben). Scripts existieren nicht nur auf der Angebots-, sondern auch auf der Subjektseite. Hier sind sie (für Kinder) zunächst einmal - das ist das Oberscript - Drehbücher für Aktivitäten in eigener Regie (in den pädagogisch verdünnten Zonen des Alltags). Diese Aktivitäten finden vor allem im Kreise Gleichaltriger statt, werden in deren Aktionen und Kommunikationen elaboriert und spezifiziert. Subjektscripts sind immer auch Kristallationen alters- und generationsspezifischer Interessen, Vorlieben, Aktivitäts- und Deutungsmuster. Sie werden geschlechts-, milieu- und gruppenspezifisch ausdifferenziert. In diese Differenzierungen spielen von den frühesten Lebensjahren an Erfahrungen mit den Scriptbearbeitungen der Konsumindustrien standardisierend hinein. Weder die Scripts auf der Angebotsseite, noch die auf der Subjektseite sind etwas Endgültiges. Sie existieren auch nicht unabhängig voneinander. Und nur im Ausnahmefall kann 16 man sagen, welcher Typ Script zuerst da war, der der Anbieter oder der des Publikums, der jeweiligen Zielgruppe. Wir haben es mit Wechselspielen von kulturindustrieller Steuerung und Aneignung in eigener Regie zu tun, mit ständigen “Scripttransaktionen”. (vgl. Hengst 1991 und 1994) Diese Transaktionen haben eine Spiraldimension: Die Medien- und Kulturindustrien antworten auf massenhaft verbreitete Interessen von (in diesem Fall) Kindern mit einer Angebotspalette. Die Kinder entnehmen ihr Impulse zur Konkretisierung und Modifizierung ihrer Scripts. Die Industrien knüpfen wiederum an diese Scripts an und vermarkten sie in neuen Varianten. Anbieter und Nachfrager (selbstverständlich mit unterschiedlicher Macht ausgestattet) lernen voneinander. Und dieser Lernprozeß läßt sich als andauernde Transaktion, als Aushandeln von Scripts kennzeichnen. Der Scriptbegriff, das läßt sich zusammenfassend sagen, trägt in besonderem Maße der “Subjekt-subjekt-Beziehung” Rechnung, in der die Sozialwissenschaften ihr “Forschungsfeld” sehen, als eine vor-interpretierte Welt, “in der die Bedeutungen, die von aktiven Subjekten entwickelt werden, tatsächlich in die reale Konstitution oder Produktion jener Welt Eingang finden.” (Giddens 1984, 179) Meine 2. These lautet: Gegenwärtig interessieren sich fast nur noch Mädchen für Pferde. Im Zentrum ihrer Interessen und Beschäftigungen stehen Aktivitäten mit lebendigen Pferden. Das bedeutet erst einmal nicht mehr und nicht weniger, als daß sich auch die Vielen nicht mehr mit der fiktiven Ebene (Büchern und Filmen) begnügen wollen und müssen. Das Script wird zwar weiterhin gerade auch über die Medien vermittelt, aber der Medienkonsum ist nicht die zentrale Botschaft, die durchdringt, sondern nur ein - allerdings sehr wichtiges - Versatzstück. Was fasziniert Mädchen an Pferden? Nun, vor allem sagen viele, daß sie Pferde “schon immer toll” fanden, und daß Pferde für sie die ästhetischsten Tiere sind. Sie geben ziemlich über17 einstimmende Antworten: Pferde sind schön, hübsch, liebenswert, süß und niedlich. Süß und niedlich sind im Zusammenhang mit Pferden bemerkenswerte Attribute, weil wir mit ihnen gemeinhin etwas Kleines, Zierliches assoziieren. Aber dieselben Mädchen, die Pferde süß und niedlich finden, sagen auch, daß sie von ihrer Größe und Stärke fasziniert sind. Die älteren und die Exreiterinnen verwenden häufig den Begriff Eleganz. Geschätzt wird an Pferden aber auch Klugheit, Intelligenz und Treue. Aussehen und Verhalten des Pferdes fordern zur aktiven und intensiven Beschäftigung heraus. Charakteristisch für die Beziehung der Mädchen zu Pferden ist Vielschichtigkeit. Jeder kann, so sagt eine Exreiterin im Interview, im Umgang mit Pferden das ausleben, was für ihn persönlich am wichtigsten ist. “Man kann”, meint ein Mädchen, “mit einem Pferd eben mehr machen als mit einem Tennisschläger.” Ergänzen möchte ich schon hier, daß es sich um eine Beziehung handelt, die ganz unterschiedliche Projektionen zuläßt, und die Mädchen eben deswegen fasziniert. Besonders bedeutsam ist, so sagen viele: “Man kann Mann sein oder Frau. In anderen Sportarten muß man sich immer für eine Rolle entscheiden.” (Fritz/Kijewski 1994, 110) Trotz dieser Vielschichtigkeit unterscheiden die Mädchen im Umgang mit Pferden zwei Haupttypen von Aktivitäten: Reiten und (weit gefaßt) Pflegen. Die meisten der im Rahmen unserer Untersuchung auf Reiterhöfen im Bremer Raum schriftlich nach ihren Lieblingsaktivitäten befragten 104 Kinder nennen an erster Stelle das Reiten und an zweiter Stelle die Pflege. Aber trotz nicht unerheblicher Differenzen bei der Beurteilung der Pflege wird in Gesprächen mit Reiterinnen und Exreiterinnen deutlich, daß die Mehrzahl der Meinung ist, wer nur reite, könne nicht einmal das wirklich lernen. Diese Sichtweise gehört zum Script: das Pferd ist kein Sportgerät, sondern ein lebendiges Wesen, das so stark ist, daß selbst der stärkste Mann es nicht beherrschen könnte, wenn es nicht ‘wollte’. Der Schlüssel zur Beherrschung eines solchen Wesens ist die Herstellung einer Beziehung (eine “fusion of horizons” lt. Margadant-van Arcken 1986, 5) Und diese 18 schließt das aktive und intensive beiderseitige Studium ein. “In my view, the ‘fusion of horizons’ is the core of the relationship between the child and the animal. It is an inexhaustible source of information about each other and a confirmation of each other’s existence...” (ebda., 1986, 5) Ein Pferd ist nie ganz auszurechnen, aber man kann lernen, sich ihm gegenüber richtig zu verhalten. Damit ist auch das Phänomen Risiko grob beschrieben. Reiten ist nicht nur objektiv ein risikoreicher Sport, sondern das Risiko ist selbst den jüngsten Reiterinnen bekannt. (Die befragten Mädchen sind alle schon - meistens mehrfach - vom Pferd gefallen. Aber auffallend ist, daß man sie danach fragen muß.) Der Risikoaspekt wird häufig in der Diskussion des Themas Mädchen und Pferde vernachlässigt - und mit ihm ein relevanter Aspekt der männlichen Dimension. (Ich komme darauf zurück.) Überhaupt gibt es in der öffentlichen Diskussion die Tendenz, das ausgeprägte und anhaltende Interesse der Mädchen an Pferden als Beleg dafür zu nehmen, daß die Frauenemanzipation nicht vorwärts gekommen ist. Das jüngste Beispiel dafür lieferte die Journalistin Renate Just (im Zeit-Magazin Nr. 31/1995), die gegen die Feier von Girlies, Tank Girls und Riot Girls in den Medien polemisiert, und, nicht zuletzt durch Kurzporträts von ein paar Mädchen, die sich u.a. für Pferde interessieren, belegen will, daß sich die Mädchen überhaupt nicht verändert haben, sondern sogar hinter ihre Mütter zurückfallen. (einschlägiger Kernsatz “Sie lieben die Pferde wie weiland die Mädels vom Immenhof...”) Auch in vielen Pferderomanen jüngeren Datums wird ziemlich einseitig die traditionell weibliche Seite der Beziehung Mädchen-Pferd betont (oft mit Begriffen wie Innigkeit, Liebe etc.) (1). Was ich mit der Vernachlässigung der männlichen Dimension in der öffentlichen Diskussion über Mädchen und Pferde meine, will ich am Beispiel eines einschlägigen Statements von Katharina Rutschky erläutern. “Warum”, so fragt sie, “sehen wir nirgends Mädchen auf Skateboards herumflitzen, 19 nur Jungen? Diese Bretter scheinen doch völlig geschlechtsneutral und sind nicht einmal historisch durch die Verwendung in einem Männersport belastet, wie Seifenkisten, Rennräder oder Boxhandschuhe. Trotzdem werden sie von zwei Mädchen meiner selbstverständlich voll emanzipierten, fast schon feministischen Bekanntschaft völlig abgelehnt. Dabei sind die beiden nicht zimperlich: die eine ist begeisterte Fußballerin, die andere hätschelte lange ihr kleines Rennrad. Die bohrenden Fragen der besorgten Mutter, die genau wie ich dieser zaubrischen Fortbewegungsmittel wegen gern noch einmal elf wäre, führten zu keiner plausiblen Erklärung, warum sie und die anderen Mädchen ebenso sich gerade bei diesem Spiel so säuberlich von den Jungen absetzten. Das bei den Skateboards eingesparte Geld wird nun, sehr mädchenspezifisch, in Reitstunden und Voltigierkurs angelegt. (...) Die Frage, warum Mädchen die Skateboards links liegen lassen, muß ich jetzt durch die zweite erweitern, was ein Pferd in den Augen der Mädchen vor dem Brett voraus hat. Ich fasse mich kurz: Mit einem Tier kann man den Körper komplettieren: die erfolgreiche Benutzung eines Skateboards erfordert dagegen die projektive Expansion des Körpers bzw. des Körperbildes. Im Mut zur Expansion auf der einen und dem Bedürfnis nach Komplettierung auf der anderen Seite sehe ich den folgenreichsten Unterschied im psychischen Habitus der Geschlechter. Ob Mädchen oder Frauen etwas machen oder mögen, hängt davon ab, ob eine Tätigkeit oder eine Ausdrucksform diesem Wunsch nach Komplettierung, letzten Endes nach Perfektion, entgegenkommt oder nicht.” Rutschky schließt: “Es kommt mir so vor, als habe sich in diesem entscheidenden Punkt seit der Ära Adenauer, in der ich meine Mädchenzeit absolvierte, gar nicht so viel verändert...” (Rutschky 1989, 412) Ich erinnere daran, daß nicht viel mehr als ein Jahrhundert vergangen ist, seit Frauen der oberen Schichten die Reitwelt, eine Männerwelt, eroberten und die öffentliche Auseinandersetzung sich an der geschlechtsübergreifenden bzw. emanzipativen Dimension dieser Eroberung entzündete. Meine Fragen lauten: Ist die geschlechtsspezifische Zuordnung von “Mut zur Expansion” vs. “Bedürfnis nach Komplettierung” nicht doch zu unhistorisch und dogmatisch? Wollten 20 sich, als der Pferdesport noch eine Männerdomäne war, vielleicht die Männer via Pferd komplettieren? Oder sind geschlechtsübergreifend unterschiedliche, historisch variable Beziehungen denkbar? Verstärkt der Umgang mit Pferden Mädchen heute wirklich nur Weiblichkeitsmuster im traditionellen Sinne? Ich meine - um es mit einem Begriff aus der Reitersprache auszudrücken -, daß Letzteres nur sagen kann, wer (sich) Scheuklappen angelegt hat. Ich werde den Verdacht nicht los, daß eine solche Sichtweise nicht auf der Kenntnis der Aktivitäten und Erfahrungsmöglichkeiten fußt, die Mädchen zum Umgang mit Pferden motivieren, sondern einfach an einem Geschlechtsstereotyp und daren festgemacht wird, daß so viele (und fast ausschließlich) Mädchen involviert sind. Katharina Rutschkys Interpretation (hier Bedürfnis nach Komplettierung, dort Mut zur Expansion) rückt zwar einen naheliegenden Aspekt in den Blick, kann aber in der verabsolutierten Form, in der sie sie vorträgt, nur den überzeugen, der noch an Freuds Vorstellung vom “Penisneid” glaubt und die Habitus der Geschlechter als sich gegenseitig ausschließendes begreift. Auf jeden Fall lenkt sie von einer differenzierenden Auseinandersetzung mit dem Thema Mädchen und Pferde ab. Die Frage ist nur: wie kann man diese Auseinandersetzung führen? Was kann man ins Spiel bringen, um zu verdeutlichen, daß im Umgang mit Pferden nicht einfach traditionelle Weiblichkeitsmuster reproduziert oder gar verstärkt werden? Vielleicht hilft - um bei Rutschkys Beispielen zu bleiben, aber einen etwas anderen Akzent zu setzen - folgende Überlegung ein bißchen weiter: Im Zusammenhang mit Skateboards ist immer von Sicherheit und Risiko die Rede bzw. ist beides im Zubehör sichtund greifbar: da sind die Helme, die Knie- und Ellenbogenschoner. (Diese Utensilien sind einerseits ein Riesengeschäft, andererseits geben sie den Jungen das Gefühl, eine ganz gefährliche Sportart auszuüben, tolle Kerle zu sein.) Da sind die Gespräche der Jungen, ihre demonstrativen Hinweise auf Gefahren und Verletzungen. Außerdem zeigen sie ihre Künste 21 häufig in der Öffentlichkeit, in den städtischen Konsumzentren. Risiko gehört hier zum Subjekt- wie zum Objektscript. Schnell ist, wenn nach der Motivation gefragt wird, der Begriff der “Angstlust” bei der Hand. Im Diskurs über Mädchen und Pferde ist fast nie von Gefahren oder Risiken die Rede. Diese Termini scheinen im Zusammenhang mit Mädchenscripts tabuisiert zu sein bzw. Niemandem in den Sinn zu kommen. Vielleicht ist diese Verdrängung oder Tabuisierung ja auch das Beste, was den Pferdenärrinnen passieren kann; denn der Reitsport ist gefährlich wie kein anderes Freizeitvergnügen. “Im Schnitt kostet das ‘Glück auf dem Rücken der Pferde’ allein in Deutschland jährlich etwa hundert Menschen das Leben. Der Anteil der Schwerstverletzten wird in keiner anderen Sportart auch nur annähernd erreicht. Hauptrisiko ist das ‘Sportgerät Pferd’ selbst. Ein Pferd wiegt 0,6 Tonnen, es ist bis zu 65 km/h schnell und, aufgesessen, befindet sich der Kopf des Reiters rund drei Meter über dem Boden. Die Kraft eines mit Eisen beschlagenen Pferdehufes ist mit zehn Kilonewton einem tödlichen Bolzenschußgerät vergleichbar, das dazu stets gespannt ist, denn die Psyche des weitgehend von Reflexen und Instinkten geleiteten Vierbeiners ist auch erfahrenen Reitern meist unklar. Der Tierforscher und Reiter Horst Stern drückte es so aus: ‘Auch die lange Selektion auf das Zuchtziel Reitpferd hat nicht zu bewirken vermocht, daß das Pferd den Menschen auf seinem Rücken als selbstverständlich akzeptiert.’” (Sports, 11/1992, 26) [Nach der Statistik des Unfallchirurgen Savarys “kommt auf 40 Reiter jährlich ein Unfall, auf 4000 Reiter ein Invalide, auf 40000 Reiter ein Todesfall”. Nach seinen Beobachtungen sind “Mädchen und Frauen bis zum Alter von 30 Jahren mit 55 Prozent die größte Risikogruppe”. (ebda., 28) Und noch eins: “In Großbritannien schließen die Lebensversicherer Leistungen in drei Risikobereichen grundsätzlich aus: Aids, Strahlentod - und Reitunfälle.” (ebda.)] Angesichts solcher Fakten und der Tatsache, daß in den letzten Jahrzehnten immer mehr Mädchen aufs Pferd ge22 stiegen sind, kann man doch nicht einfach sagen, alles sei beim Alten geblieben. Man muß - mit Distanz zu den traditionellen Deutungsmustern - fragen, was es bedeutet, wenn heute Pferdeliebe und Reitleidenschaft “als Stilelemente fest in die Mädchenwelt integriert” sind. (Rose 1992, 28) Ein entscheidender Punkt ist der, daß, wie (lange Zeit) in der Arbeitswelt das Prestige eines Berufes mit der wachsenden Anzahl der Frauen sank, die ihn ausübten, auch das von Hobbies darunter leiden kann. (These: Frauen- und Mädchenhobbies sind generell immer noch mit weniger Prestige ausgestattet als Männerhobbies - und wie einige der erwähnten Beispiele zeigen: nicht nur bei Männern. Sie werden außerdem auch immer noch weniger genau und ernsthaft untersucht. Vor allem die Kinderkulturforschung ist immer noch primär Jungenforschung.) Im gegebenen Zusammenhang erscheint mir folgender Schluß unabweisbar: Jungen lehnen den Umgang mit Pferden heute nicht nur - und oft nicht einmal primär - deswegen ab, weil die Zeit der Helden zu Pferde (Soldaten, Indianer, Cobows) vorbei ist, sie sich aus “inhaltlichen” Gründen anderen Scripts zuwenden, sondern weil so viele Mädchen darauf abfahren. Wenn Lotte Rose schreibt, daß die Jungen (mittlerweile) aus der Pferdewelt ausgeschlossen sind (Rose 1992, 28), so ist das zwar richtig, könnte aber doch auf eine falsche Fährte locken. Richtig ist, daß sie dieser Welt für sich keine Bedeutung mehr beimessen. Aber sie haben sich selbst den Auszug aus dieser Welt verordnet. Und dieser Selbstausschluß ist ein aussagekräftiges Indiz für ihr Verständnis von Männlichkeit. Den Mädchen, reitenden und nicht reitenden, ist ziemlich klar, worum es geht, wie ich durch typische Statements belegen kann.: Mädchen: “Ich kenne auch einen (Jungen), der ist in der Schule immer so cool und so, und wenn man den beim Reiten erwischt, ist es dem immer so peinlich. Ich habe den mal in der Schule 23 erwischt und dann habe ich den in der Schule immer damit geärgert, und dann war das dem peinlich.” Interviewer: “Warum war ihm das denn peinlich?” Mädchen: “Ja weil das eben ein, irgendwie finde ich das auch, ein Mädchensport ist. Die Jungen tun das irgendwie weniger (...)” Interviewer: “Habt Ihr eine Erklärung dafür, daß Jungen das nicht mögen...?” Mädchen: “Vielleicht, weil alle Jungs das nicht mögen und wenn die dann reiten, daß man die halt auslacht und sagt, du bist ja genau wie ein Mädchen.” Die befragten Mädchen sind z.B. nicht der Meinung, daß Jungen kein Interesse an Tieren haben bzw. Tiere schlechter versorgen als Mädchen. Zumindest sind die Meinungen über die Tierliebe von Jungen geteilt. Typisch ist jedoch folgende Sichtweise: Nachdem ein Mädchen darauf hingewiesen hat, daß viele Jungen Haustiere in der Wohnung haben und die auch “ganz gut pflegen”, fügt sie hinzu: “zuhause ja, aber wenn wir mal einen Ausflug in den Zoo machen, dann sagen die nicht ‘oh wie süß’, das machen die nicht, füttern die vielleicht ein bißchen, aber das machen sie lieber versteckt.” Ein achtjähriges Pferdemädchen hat diesen Gedanken verallgemeinert. Sie erzählte mir von ihrem Freund, von dem sie sicher sei, daß er sie wirklich liebe, und daß er ihr das auch immer wieder sage. Sie sagte aber auch, daß er so etwas nie im Beisein anderer Kinder zugeben würde. Sie meinte außerdem, so sei das auch mit Jungen und Pferden, weil Jungen eben so seien, nicht anders könnten. Diese Mädchen haben etwas begriffen, was auch aus der Forschung bekannt ist, daß Individuen innerhalb von Gruppen stärker im Sinne geschlechtsstereotypischer Verhaltensmuster agieren als wenn sie allein sind. Die Mädchen haben 24 (mehr als) eine Ahnung davon, daß bei der Analyse von Geschlechtsunterschieden die Berücksichtigung der Handlungskontexte von erheblicher Bedeutung ist. Es ist interessant und eine Bestätigung der Beobachtungen der Mädchen, daß Jungen, wenn sie gefragt werden, ob sie sich vorstellen könnten, (auch mal) Mädchen zu sein, das strikt verneinen, während die Mädchen keine Probleme damit haben. Ein bißchen wie ein Junge zu sein, ist heute für die meisten Mädchen okay und gar erstrebenswert, während das Umgekehrte für die Jungen (zumindest in einer bestimmten Altersphase) nicht infrage kommt (2). Reiten und Pferde sind nicht deswegen bei Mädchen so beliebt, weil sie sie als weibliche Geschöpfe mit einem uniformen Habitus anprechen, sondern weil sich ihnen die Möglichkeit eröffnet, Mädchen und Junge zu sein. Das massenhafte Interesse nordwest-europäischer Mädchen an Pferden steht also nicht im Widerspruch zu der vielfach konstatierten Androgynisierung von Kultur und Gesellschaft. “Das Mädchen”, meint Lotte Rose, “das auf seinem Pferd durch die große Halle reitet, das durch Felder und Wälder galoppiert, hat (...) seinen Geschlechtsgenossinnen eine (an traditionellen Maßstäben gemessen, H.H.) mädchenuntypische Körper- und Selbsterfahrung voraus.” (Rose 1992, 14) Diese Sichtweise wird in mannigfachen Varianten von Reiterinnen und Exreiterinnen bestätigt. Wenn sie zutrifft und das Reiten bei Mädchen heute massenhaft verbreitet ist, dann ist das zumindest ein Indiz für eine aktive Enttraditionalisierung von Weiblichkeitsmustern, allerdings vornehmlich in Interaktion mit Angehörigen des eigenen Geschlechts.. Man kann am Beispiel von Internatsgeschichten (“school stories” à la Blyton), bestimmten Filmen und Fernsehserien (z.B. “She Ra” u. “Xena”) zeigen, daß Mädchen immer schon Heldinnen goutiert haben, die männliche Aktivitäten ausübten, die überhaupt aktiv waren und dadurch traditionellen Erwartungen an Mädchen widersprachen. (vgl. z.B. Frith 1985) Nicht zuletzt solche Elemente machen auch die Attraktivität vieler traditioneller und aktueller Pferdebücher -zeit25 schriften und -comics aus. Der qualitative Sprung liegt jedoch (ganz im Sinne meiner 2. These) darin, daß solche Bedürfnisse im Umgang mit Pferden heute, massenhaft, von vielen Mädchen, und aktiv, also real, ausagiert werden (können). Ich möchte noch einmal auf Katharina Rutschkys Gegensatzpaar Skateboards und Pferde zurückkommen, indem ich eine Pferdemädchenperspektive fingiere (für die es in den Scripts der Mädchen viele Anhaltspunkte gibt): Skateboards sind zwar nicht leicht zu bedienen, sie reagieren (im Gegensatz zu den meisten Spielzeugen) auf Bewegungen, aber sie sind Apparate. Pferde hingegen sind lebendig, und deswegen mühsamer zu bedienen als Skateboards. Aber eben das macht sie reizvoller. Der Reiz liegt in der Erwartung, daß man sie, wenn man ihre Charaktere in aktiven Lernprozessen studiert, so zu beherrschen lernt, daß einem u.a. stimulierende außeralltägliche Selbst-, Körper- und Naturerfahrungen möglich sind. Sie zu erleben, nimmt man Gefahren und Risiken in kauf, tut aber alles, um sie so gering wie möglich zu halten, sie möglichst zu vermeiden. Ganz eindeutig wiegt das Vertrauen in die Beherrschbarkeit mehr als die Angst vor der Unberechenbarkeit (obwohl einige Ex-Reiterinnen unter den befragten Mädchen das Reiten aufgegeben haben, weil sie - nach Stürzen und Unfällen im Stall - daran zweifelten, Pferde beherrschen lernen zu können). Es geht den Reiterinnen jedenfalls nicht primär um Angstlusterlebnisse. Scripterweiterungen und -erosionen Zum Schluß meines Beitrages will ich noch die Kategorie Alter ins Spiel bringen.. Wenn man den Expertinnen und Experten glaubt, dann werden die Pferdemädchen, u.a. die Besucherinnen von Pony- und Reiterhöfen, immer jünger. (2) Jüngere Grundschulmädchen (sechs-, sieben- und acht-jährige) sind eindeutig auf dem Vormarsch. (Die Pferdemädchen sind größtenteils also auch sehr viel jünger als die männlichen 26 Skateboarder.) Diese Entwicklung bedingt Scriptveränderungen und -variationen. Dazu wenigstens ein paar Anmerkungen. Es wird mit Recht immer wieder darauf hingewiesen, daß der Umgang mit Pferden autonomiefördernd ist und die Pferdewelt die Mädchen nicht zuletzt als “pädagogisch verdünnte Zone” stimuliert. Die Pferdefilme, -bücher und -comics sind voller Geschichten, in denen sich Pferdemädchen gegen erwachsene Autoritäten behaupten und auf Kriegsfuß mit Schule und schulischem Lernen stehen. Das ist eine der profitträchtigen Konzessionen der Kulturindustrien an die Autonomiebestrebungen von Kindern. Kindsein, also (in einer von Erwachsenen gemachten und kontrollierten Welt) klein und abhängig sein, ist für Kinder immer auch eine “ärgerliche Tatsache” und eine “harte Zeit”. Eben deswegen zielt das Kulturprojekt der Kinder - gewissermaßen ihr Rohscript vor allem auf die Erweiterung von Bewegungs- und Handlungsspielraum. Jüngst hat der us-amerikanische Kindheitssoziologe William Corsaro eigene Untersuchungen dahingehend kommentiert, daß sich Kinder von den frühesten Lebensjahren an auf den verschiedenen sozialen Bühnen hartnäckig darum bemühen, Kontrolle über ihr Leben zu gewinnen. Sie schreiben dem “being bigger” (Corsaro 1997) in ihren Aktionen und Interaktionen, in ihrem “Wertesystem” erhebliche Bedeutung zu. Ganz offensichtlich bedient der Medienverbund rund ums Pferd dieses Autonomieprojekt. Gleichzeitig stößt man jedoch zunehmend öfter auf neue Arrangements und Kompromisse zwischen den Kulturkonzepten der Erzieherfraktion (bzw. dem bürgerlichen Kindheitskonzept), dem der Marktfraktion und dem der Kinder. Vor allem die Erzieherfraktion, hier die Eltern, setzt immer mehr auf die Pferdewelt. Sie erhält von ihnen das Prädikat “pädagogisch wertvoll”. (Es ist erstaunlich, wieviele Lehrerkinder die Reiterhöfe bevölkerten, auf denen wir für unsere Untersuchung recherchierten.) Aber es leuchtet doch ein. Die Mädchen sind am Umgang mit Pferden interessiert, die Eltern lassen sich darauf ein, um ihnen eine Freude 27 zu machen, aber auch, weil sie (aus ganz unterschiedlichen Gründen) an der Selbständigkeit und bestimmten Erfahrungen ihrer Töchter im Umgang mit Pferden interessiert sind. [Manchmal führt die Verjüngung der Pferdemädchen zu Problemen. Die Besitzerinnen von Reiterhöfen wissen davon zu berichten. Sie sagen, sie seien oft mehr als Erzieherinnen denn als Reitlehrerinnen gefragt. Die Marktfraktion - die ja (wie wir alle wissen) immer am schnellsten lernt - hat sich bereits auf diese Probleme eingestellt. In Pferdezeitschriften werden pädagogische und psychologische Ratschläge erteilt: Thema: Trennung von zu Hause. Trotz solcher Tendenzen ist nicht zu übersehen, daß die Mädchen das Script Pferde weiterhin als Alternative zum Erziehungsprojekt der Erwachsenen begreifen. Das ist auch an ihrer Verwendung der Kategorien Spiel und Arbeit ablesbar. Reiten ist - jedenfalls nach der Meinung der Mädchen, die sich intensiv auf das Script Pferde einlassen - kein “luschiges” Kinderspiel. Die Pflege der Pferde identifizieren die Mädchen ganz eindeutig als Arbeit, als anstrengende körperliche Arbeit. In Gesprächen mit Exreiterinnen wird außerdem klar, wie wichtig es ihnen war, Verantwortung für andere Lebewesen tragen, und dadurch ihr Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl entwickeln zu können. (Dieser Aspekt verdiente einen eigenen Abschnitt. Er verträgt sich vor allem nicht mit der Vorstellung von Pferden als bloßen “Übergangsobjekten”.) Da ich nicht die erste Folge einer Serie über Mädchen und Pferde schreibe, möchte ich nicht mit einem “cliffhangar” schließen, sondern nur darauf hinweisen, daß sich das Script Mädchen und Pferde ständig verändert, erweitert und mit anderen Scripts vernetzt wird. Die bemerkenswerteste Vernetzung ist seit Ende der achtziger Jahre die mit dem Thema Umweltschutz. Viele Macher des Kindermarktes inszenieren die immer wieder betonte Sensibilität heutiger Kinder für Umweltfragen als Krieg zwischen den Generationen, in dem der Markt die Sache der Kinder gegen eine egoistische, zukunftsignorante Erwachsenenwelt vertritt. Entsprechend schrieb Faith Pop28 corn, die erfolgreichste Marketing-Beraterin in den USA unter der Überschrift “Den Kampf der Kinder unterstützen” voller Pathos: “Die Umwelt ist der Atompilz dieser Generation. Und die Umwelt ist das hohe Ziel ihres Kampfes. (...) Und sie werden ihren Eltern die Lektion beibringen. Irgendwann (bald) werden die Kinder fähig sein, durch ihre Nintendos mit anderen Kindern auf der ganzen Welt zu kommunizieren. Die kinder werden sich gegenseitig davon überzeugen, am Kampf zur Rettung der Wale, zur Rettung der Welt teilzunehmen. Kurz gesagt, mit vereinten Kräften einen kulturübergreifenden Kampf zu führen. Und so weitet er sich immer mehr aus.” (Popcorn 1991, 218f.) Tatsache ist, daß sich seit den achtziger Jahren national und international, und nahezu vollständig abgekoppelt von der Familie, eine Vielzahl umweltorientierter Initiativen entwickelt hat, in denen sich vor allem Kinder engagieren. Ähnliches gilt für den Tierschutz. Es ist zu einigen spektakulären Aktionen gekommen. So haben sich in der Bundesrepublik im Oktober 1996 der us-amerikanische Medien-Multi Disney über die Zeitschrift “Micky Maus” und “Greenpeace” an der “Aktion BISS” beteiligt. Die heißt so, weil nur “Menschen bis siebzehn” mit ihr für eine strenge, wirksame bundesweite Ozonregelung protestieren können. (Frankfurter Rundschau, 16.10.1996) Wie in vielen Kinofilmen, Fernsehserien und Computerspielen (vgl. Hengst 1996) hält man auch hier an der Auffassung fest, daß die kulturellen Interessen von Kindern (und Jugendlichen) durch eine Schlüsselopposition von Kindheit und Erwachsensein entscheidend geprägt sind. Weitaus verbreiteter als die erwähnten Kampagnen ist die Integration von Umweltthemen in die Plots populärer Fernsehserien und Kinofilme. In die Themen der von Mädchen meistgelesenen Literatur, Pferdebücher, - comics und -zeitschriften, werden nicht selten - wenn auch oft sehr oberflächlich - Umweltfragen eingearbeitet. Der bundesdeutsche Schneider-Verlag vertreibt beispielsweise eine Buchserie mit dem Titel “Reiterhof Dreililien”. 29 Autorin der Texte ist Ursula Isbel. “Tierliebe, Naturschutz und alternatives Leben auf dem Land, aber auch Offenheit gegenüber der Bedrohung unserer Umwelt”, so liest man auf dem Buchrücken und in einem Schreiben an die Leserinnen, sind ihre wichtigsten Themen. Hinweise auf Tierschutz- und Umweltorganisationen (u.a. Adressen) findet man hinten im Buch. In vielen Pferdebüchern haben sich die Konflikte geändert, die die Spannung erzeugen, in Richtung Umweltzerstörung verschoben. (Da soll nicht mehr das Lieblingspferd der Heldin verkauft oder geschlachtet werden, sondern beispielsweise der Reiterhof einer Autobahn zum Opfer fallen.) Im Zuge der Diversifizierung des Zeitschriftenangebotes für Mädchen kommt es zu anderen Erweiterungen. In Comics wird über die Zerstörung des Regenwaldes und über bedrohte Tierarten informiert. Solche Themen werden auch in Leserbriefen angesprochen. Es gibt neue Zeitschriften, die den Schwerpunkt bei Tieren allgemein, oder bei Umweltfragen setzen und nur ganz am Rande (aber eben immer auch) auf Pferde eingehen. (Ganz offensichtlich haben sich Interessenund Themenspektrum verändert, seit - wie eingangs erwähnt - die Baroneß Burdett-Coutts 1889 englische Kinder 40000 Aufsätze über Tiere schreiben ließ.) Auch hier haben wir es mit Scripts bzw. Scriptvarianten zu tun, die nicht von den Medienindustrien erfunden wurden. Diese greifen vielmehr (oft verwässernd) Interessen auf, die heute bereits feste Bestandteile der Kinderkultur sind, und für die sich - im anstehenden Fall - vor allem Mädchen engagieren. Ich erwähne das nur als weiteres Indiz dafür, daß die Mädchen das Hobby Pferde durchaus vielschichtig und keineswegs traditionell betreiben. Dabei verändern sie auch das Typisierungsschema Mädchen und die Differenz zwischen den Geschlechtern. Das Ergebnis dieser Veränderungen hat am Ende unserer Bremer Untersuchung einer der beteiligten Studenten folgendermaßen markiert: “Jungen haben immer noch die alten Hosen an. Mädchen tragen Hosen und Röcke.” 30 Anmerkungen 1. 2. Eine androgyne (?) Neuinterpretation des Geschlechtsspezifischen dieser Beziehung findet man in dem kürzlich (1995) erschienenen Bestseller “Der Pferdeflüsterer” von Nicolas Evans, in dem ein Mann, und keineswegs ein Softy (was u.a. daran ablesbar ist, daß Robert Redford in dem gleichnamigen, sehr erfolgreichen, Kinofilm die Titelrolle spielt) das Einfühlungsvermögen an den Tag legt, das traditionell Mädchen und Frauen nachgesagt wird und unverzichtbar ist, wenn man so starke und eigenwillige Tiere wie Pferde beherrschen will. Daß wir es hier nicht mit einem Schritt in Richtung Wiederherstellung traditioneller Verhältnisse (= Pferdewelt als Männer-domäne) zu tun haben, zeigt der Umstand, daß auf dem Buchmarkt dem “Pferdeflüsterer” und seinem Nachfolger, dem “Der mit den Pferden spricht”, sehr bald auch “die Frau, die mit den Pferden spricht” (Jutta Beyrichen, Die Pferdefrau, München 1998) nachgereicht wurde. Bemerkenswert ist aber nicht nur eine Verjüngungstendenz, sondern auch die Tatsache, daß die Zahl der erwachsenen Frauen, die sich für Pferde interessieren und den Umgang mit Pferden zu ihrem Hobby machen, in den letzten Jahren zugenommen hat. Diese Entwicklung könnte mit der zunehmenden Selbständigkeit und Unabhängigkeit heutiger Frauen zusammenhängen. Vgl. dazu die Studie von Sylke Meyerhuber: Die Beziehung zum Pferd. Psychosoziale, lebensgeschichtliche und physiologische Aspekte in der Interaktion zwischen Frau und Pferd, Bremen 1995 (Diplomarbeit). Der in Anmerkung 1 erwähnte Trend auf dem Buchmarkt, insbesondere die Resonanz des Pferdeflüsterers und der diversen Tie-ins, die Vielzahl von Dokumentarsendungen über artgerechte Pferdehaltung etc. im (deutschen) Fernsehen gehört in diesen Zusammenhang. Literatur Baum, Marlene (1991): Das Pferd als Symbol. Frankfurt: Fischer. Bettelheim, Bruno (1975): Kinder brauchen Märchen. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt. Budde, Gunilla-Friederike (1994): Auf dem Weg ins Bürgerleben, Kindheit und Erziehung in deutschen und englischen Bürgerfamilien 1840 1914. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Corsaro, William A. (1997): The Sociology of Childhood. Thousand Oaks et al: Pine Forge Press. Frith, Gill (1985): „The time of your life“: the meaning of the school story. In: Carolyn Steedman/Cathy Urwin/Valerie Walkerdine 31 (Hg.): Language, Gender and Childhood. London/Boston/Henley, S. 113 - 136. Fritz, Beate/Kijewski, Christel (1994): Reitsport und weibliche Sozialisation. Bremen: (unveröffentl. Diplomarbeit). Giddens, Anthony (1984): Interpretative Soziologie. Frankfurt/New York: Campus. (Engl. Titel: New Rules of Sociological Method. London 1976) Hengst, Heinz (1980): „Freundschaft mit Pferden“. In: Karl W. Bauer/ Heinz Hengst: Wirklichkeit aus zweiter Hand. Reinbek: Rowohlt, S. 184 - 194. Hengst, Heinz (1991): „Medienkindheit heute“. In: Stefan Aufenanger ( Hg.): Neue Medien - Neue Pädagogik? 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(Paper for the Delta Society’s International Conference “Living Together: People, Animals and the Environment. Boston, August 20 - 23, 1986). Narr, Roland (1987): „Auf der Suche nach Erfahrungen aus erster Hand“. In: Konrad Köstlin (Hg.): Kinderkultur. Bremen: Focke Museum, S. 315 - 320. Popcorn, Faith (1995): Der Popcorn Report. Trends in die Zukunft. München: Heyne. Rose, Lotte (1992): „Suchen Mädchen Abenteuer? Zur Bedeutung des Abenteuers in der weiblichen Sozialisation“. In: Sozialmagazin Nr. 6, S. 18 - 29. Rutschky, Katharina (1989): „Sehen und gesehen werden“. In: Merkur Nr. 483, S. 409 - 421. Schowalter, John E. (1983): „Some Meanings of Being a Horsewoman“. In: The Psychoanalytic Study of the Child Nr. 38, S. 501 - 517. Marianne Staudacher (1987): „Mädchen und Pferde. Untersuchung éines unerforschten Lieblingshobbies“. Bremen: (unveröffentl. Diplomarbeit). L. Joseph Stone, Joseph L./Church, Joseph: Kindheit und Jugend (2 Bde.), Stuttgart: Deutscher Taschenbuch Verlag. Wagenmann, Sonia/Schönhammer, Rainer (1994): Mädchen und Pferde. Psychologie einer Jugendliebe, Berlin/München: Quintessenz. Zillig, Maria (1961): Mädchen und Tier, Heidelberg. 32 Working Papers The publications can be collected or ordered at the Department of Contemporary Cultural Studies as long as editions are available. 1. Jørn Guldberg: Tradition, modernitet og usamtidighed. Om Børge Mogensens FDB-møbler og det modernes hjemliggørelse (not available). 2. Flemming Mouritsen: Child Culture - Play Culture. 3. Niels Kayser Nielsen: Madkultur mellem det lokale, det nationale og det globale (not available). 4. Henrik Juel: Form og fortælling i lyd/billed-medier (not available). 5. Carsten Jessen: Det kompetente børnefællesskab. Leg og læring omkring computeren. Computerspil og legekultur. Skitse til en tolkningsramme 6. Ning de Coninck-Smith: Natural Play in natural Surroundings. Urban Childhood and Playground Planning in Denmark, c. 1930 – 1950 7. Jesper Olesen: Children and Media Risk 8. Carsten Jessen: Children's Computer Culture Three essays on Children and Computers 9. Jens Qvortrup: Childhood and Societal Macrostructures. Childhood Exclusion by Default 10. Flemming Mouritsen: Children’s Literature 11. Ning de Coninck-Smith: Family Strategies and Schooling. Denmark 1880 - 1914 12. Heinz Hengst: Vom Cow-boy zum Horse-girl 33 UDSPIL Previously published: UDSPIL 1: Jørgen Gleerup: Opbrudskultur. Odense 1991, 5. oplag 1997. UDSPIL 2: Lars Qvortrup: Kedsomhedens tidsalder. Odense 1991, 2. oplag 1993. UDSPIL 3: Niels Kayser Nielsen: Krop og oplysning. Odense 1993. UDSPIL 4: Jørgen Gleerup og Finn Wiedemann (red): Kulturens koder - i og omkring gymnasiet. Odense 1995. UDSPIL 5: Lars Qvortrup: Mellem kedsomhed og dannelse. Odense 1996. UDSPIL 6: Flemming Mouritsen: Legekultur. Odense 1996, 2. oplag 1998. UDSPIL 7: Niels Kayser Nielsen: Krop og kulturanalyser. Odense 1997. UDSPIL 8: Jørgen Gleerup: Organisationskultur som læreproces og kommunikation. Svendborg Fingarveri 1931-1990. Odense 1998. Odense University Press: Tel. +45 66 15 79 99 - fax +45 66 15 81 26 - e-mail: [email protected] 34