2RAUMWOHNUNG - Ein bisschen Frieden

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2RAUMWOHNUNG - Ein bisschen Frieden
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2RAUMWOHNUNG - Ein bisschen Frieden...
Contributed by Nicole Ankelmann
Thursday, 31 January 2002
Last Updated Tuesday, 23 September 2008
2raumwohnung nennen sich nicht etwa 2raumwohnung, weil sie irgendwo im Ostteil Berlins in einer solchen vor sich hin
vegitieren. Als wir von Inga Humpe und Tommi Eckart zum Frühstück eingeladen werden, lassen wir uns die
Besichtigung ihrer Wohn- und Arbeitsstätte natürlich nicht entgehen.
Schon die Originalausgabe des Longplayers begeisterte im vergangen Jahr das Gros der Raveline-Redaktion und jetzt
erreicht das dazugehörige Remixalbum die Stores. So reisen wir an jenem Freitagmorgen zwar todmüde aber frohen
Mutes in unsere Hauptstadt, um dort unter dem Motto und Albumtitel "Kommt Zusammen" auf einige der 2raumwohnungRemixer zu treffen. Mit dabei sind Tobi Neumann (bekannt geworden insbesondere durch seine Tätigkeit als Betreuer
des Chicks-On-Speed-Projektes und unzählige Remixarbeiten im vergangenen Jahr), die Märtini Brös. aka DJ Clé und
Mike Vamp (schon lange DJ-mäßig unterwegs und 2001 besonders durch ihren "Missy Queen’s Gonna Die"-Remix positi
aufgefallen), Hanno Hinkelbein, Mitglied der Techno-Punk-Formation AEOX, so wie ex-Terranova- und jetzt InterstellarMann Fetisch. Letzterer wurde allerdings in der Nacht zuvor von einer Magen-Darm-Grippe niedergestreckt und damit
für unser Gespräch außer Gefecht gesetzt. So sitzen wir also in einem Penthouse, das weit entfernt von einer
Zweiraumwohnung lichtdurchflutet und stilvoll eingerichtet über zwei Etagen behagliche Wohnatmosphäre vermittelt, zu
acht um den großen weißen Tisch und lassen noch einmal das vier Tage zurückliegende Silvesterfest Revue passieren.
Inga und Tommi schwärmen von ihrem Abend mit Live-Gig im total überfüllten OstGut und auch alle anderen sehen
bis heute ziemlich mitgenommen aus und kränkeln leicht. Nach der dritten Tasse Kaffee und dem letzten warmen
Croissant kommen wir auf das eigentliche Thema dieses Treffens zu sprechen: Das Remixalbum!
"Kommt zusammen,
das kann keiner allein.
Fühlt zusammen,
was ich mein." - Kommt Zusammen
"Eigentlich dachten wir bereits im letzten Sommer, als es schon sechs oder acht Remixe gab, dass das Album so gut wie
fertig sei," erzählt uns Tommi. "Als wir es aber zusammenstellen wollten, merkten wir, dass da dann doch noch einiges
fehlte. So haben wir in erster Linie bei den Leuten um uns herum angefragt, was sich einfach so ergibt, wenn man sich
ohnehin gut kennt." Zum einen haben Inga und Tommi es sich nicht nehmen lassen, einige ihrer Songs selbst zu
bearbeiten, zum anderen gaben sie ihre Babies in die vertrauensvollen Hände altbewährter DJ- und
Produzentenfreunde. Mit Woody, Märtini Brös., Fetisch, Tobi Neumann, Max Loderbauer und Hanno Hinkelbein hat man
Jungs aus dem Berliner Umfeld an die Regler gelassen, die ihr Handwerk verstehen. Aber auch Tiefschwarz, the f.o.r.m.
aka DJ Good Groove und Jan Driver haben ihren Teil dazu beigetragen. "Es gibt sowohl strategische als auch ganz
persönliche Überlegungen bei der Suche nach Remixern. Unsere waren einfach persönliche," ergänzt Inga.  "Mit Tobi
hatten wir beispielsweise zuvor schon mal zusammengearbeitet und auch auf Hanno kommen wir immer wieder gerne
zurück. Er ist ja mehr so unsere Hardcore-Fraktion, der Abenteurer, von dem wir uns immer etwas abschauen." Hanno
Hinkelbein und seine Band AEOX (Hanno legt auf, während seine beiden Kollegen dazu Keyboard und Gitarre bedienen)
bezeichnen sowohl Inga als auch Tommi als besonders inspirierend für ihre eigenen Produktionen. Derzeit arbeitet
dieser mit seinem eben ins Leben gerufenen Label Null an neuen Produktionen und will bald Solo-Material
veröffentlichen. Hannos Remix von "Kommt Zusammen" erschien auf der dem Ursprungsalbum beigelegten limitierten
Bonus-CD, seine für ihn typische schräg-technoide Version von "2 von Millionen von Sternen" findet sich auf der VinylAusgabe des Remixlongplayers wieder, ist auf dem entsprechenden Silberling jedoch nicht vertreten. "Bei der CD haben
wir in erster Line geschaut, dass man sie gut in einem durchhören kann," kommentiert Tommi die Auswahl der Tracks.
"Beim Vinyl war es wichtiger, dass wir nicht zuviel Spielzeit auf eine Seite bekamen, damit es vom Sound her noch gut
klingt. Dabei mussten wir einfach ein paar Kompromisse eingehen." Inga erklärt zudem, dass es ihnen darum ging, alle
Remixe abschließend zusammenzufassen, es aber keine weitere Auskopplung aus "Kommt Zusammen" mehr geben
wird. "Südafrika will allerdings ‚Sexy Girl‘ auf englisch veröffentlichen. Außerdem gibt es ein japanisches Mädchen, d
die Nummer unbedingt singen möchte, also wird es wohl auch noch eine japanische Version geben." Clé wirft ein, dass
es doch eine gute Idee sei, die Nummer mit englischen Vocals auch in Europa nochmal neu zu releasen. "Das muss
man dann mal sehen. Wir lassen sowieso immer alles lieber passieren und sich von selbst entwickeln. Strategisches
Vorgehen in Sachen Musik, wie man sich in den Medien am besten plaziert etc. finde ich unorganisch und blöd. Da
unterwirft man sich zuvielen schwachsinnigen Dingen von außen. Man sollte einfach lockerer sein, erstmal die Musik
machen und dann mal sehen, ob das Ergebnis jemanden interessiert, " schließt Inga diese Möglichkeit zwar nicht aus,
legt sich aber auch nicht fest. Als wir nun auf die Entstehung der einzelnen Neubearbeitungen zu sprechen kommen
wollen, lässt Mike Vamp den Gefühlen und Zweifeln, die ihn bei den Vorbereitungen zum Remix von "Bleib
Geschmeidig" plagten, freien Lauf.
"Wenn ich sehe, wie du deinen Arsch bewegst
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und mal wieder nichts untendrunter trägst,
weil dich dann jeder blick berührt
und du noch mehr spürst." - Sexy Girl
Mike: "Abgesehen davon, dass uns das Remixen sehr viel Spaß gemacht hat und wir schon vorher eine ungefähre
Vorstellung davon hatten, wie die Nummer am Ende klingen sollte, war für mich der 11. September 2001 sehr
einschneidend. Ich saß vor dem Stück, in dem es heißt: ‚Apokalypse - auf die ist kein Verlass. Am Morgen stehen bei
uns noch alle Häuser und leise wächst das Gras.‘ Da bin ich das erste Mal in eine richtige Krise gekommen und habe
mich gefragt, ob das geht."
Tommi: "Ich hatte auch jetzt zu Silvester noch das Gefühl, dass die Leute ein bisschen verwirrt drauf waren, weil die
ganze Partyszene doch eigentlich mit der Idee unterwegs ist: ‚Wir lieben das Leben und es erzeugt etwas an
menschlicher Wärme und Nähe.‘ Irgendwie glaube ich, dass viele einfach meinen, dass das ja jetzt alles nicht geholfen
hat und wir eine neue Idee brauchen. Wir feiern jetzt seit zehn Jahren für eine bessere Welt und dann passiert so
etwas wie am 11. September."
Inga: "Das ist ja eigentlich auch ein sehr naiver Gedanke gewesen von uns allen, dass man durch ein bisschen
Partyspaß die Leute daran hindert, Bomben zu werfen."
Tobi: "Eine Millionen Menschen auf der Loveparade benehmen sich friedlich. Wenn auch nur 100.000 davon in einem
Fußballstadion wären, würden sie sich vermutlich die Köpfe einschlagen. Ein bisschen etwas von der Idee, dass man
friedlich mit Musik zusammenfeiert, ist schon durchgeschlagen."
Clé: "In dem Lied heißt es aber auch, wir müssen streiten und kämpfen. Man muss etwas dafür tun und nicht immer
nur rumgammeln."
Tobi: "Das ist wahr, vorallem nicht im zehnten oder elften Jahr."
Inga: "Dafür muss man sich organisieren, glaube ich. Das wäre dann der nächste Schritt. Man sollte den Teenies
vermitteln: ‚Du kannst ruhig feiern und Spaß haben, aber wenn du etwas bewegen willst, musst du versuchen, dich zu
organisieren.‘ Entweder nimmt man Musik ernst und ist dann auch bereit, als Nichtskönner erstmal dazustehen und
durch harte Zeiten zu gehen. Aber du hast deine geistige Gruppe gefunden, und eben das ist die Idee von Clubmusik
immer gewesen. Sie ist etwas, dass sich durch die ganze Welt zieht. Ãœberall gibt es diese Art von Musik und wir
müssen sie immer wieder mit neuem Sound und neuen Inhalten füllen. Gerade wenn es in den Crossover-PopBereich geht wie das original 2Raumwohung-Album, sehe ich uns schon ein bisschen als virtuelle Eltern. Warum sollte
man nicht etwas weitergeben? Ich achte schon darauf, dass ich nicht bewusst irgendeine Scheiße erzähle."
Hanno: "Gerade auch weil ihr deutsch singt. Es gibt ja genug andere, die sich hinter irgendwelchen schwachsinnigen
englischen Texten verstecken."
Inga: "Musik ist ein Transportmittel."
Mike: "Ich glaube, dass die Leute, die sich länger als drei oder vier Stunden im Club aufhalten, bestimmte Sachen im
Unterbewusstsein mit nach Hause nehmen. Wenn die Stimmung im Club aggressiv ist, was man vielleicht so nicht sofort
erkennt, nur durch so einzelne kleine Begegnungen immer wieder spürt, dann nimmst man sicher ein Stück
Aggression mit heim."
Tobi: "Bei vielen Raves in Deutschland denke ich es wäre besser, sie würden nicht stattfinden und man würde das
Ganze wieder mehr zu etwas Besonderem machen. Ich habe neulich bei der Mayday in Polen gespielt und dort wurde
ähnlich, wie mal bei einem Gig im Kosovo, unglaublich viel Energie frei. Da ist es ja auch nicht unbedingt der Regelfall,
dass jedes Wochenende unzählige Raves stattfinden und man sich entscheiden muss, ob man sich jetzt Rush oder doch
lieber Westbam anhört."
Tommi: "Es ist ja in den letzten zehn Jahren im Osten Deutschlands auch anders gefeiert worden als im Westen, einfach
weil diese Befreiung, die dort stattgefunden hat, eine wichtige Rolle spielt. In den Achtzigern galt das beispielsweise
auch für Spanien - und gilt bis heute noch - seit Beendigung der Diktatur dort."
Clé: "Man darf nicht vergessen, dass im Westen dreißig Jahre ein Ausgehen in die Diskotheken stattgefunden hat, was
es noch die ersten fünf Jahre nach dem Fall der Mauer im Osten überhaupt nicht gab. Da haben sich die Leute in
irgendwelchen Kellern ihre Ausgehsituation selbst gebaut, was dann automatisch undergroundig war. Dort legten dann
Leute auf, die sich für ganz wenig Geld Second-Hand-Techno-Platten gekauft haben. Die Westjugend ist schon die
ganze Zeit in irgendwelche Großraumdiskos gerannt. Im Grunde gibt es im Osten doch noch immer ein tierisch großes
Nachholbedürfnis bezüglich guter Clubs und guter Musik."
"Es regnet nicht nur in der Regenzeit.
Es schüttet aus Kübeln nur so runter.
Wie stellst du dir das Wetter vor in Caracas?
Das Leben in den Tropen ist viel bunter." - Nimm Mich MitClé: "Ich spiele auch häufig in recht kommerziellen Clubs und
da kann man durchaus mit unkommerzieller Musik etwas reißen. Die Leute sind nicht blöd. Sie haben Bock zu tanzen
und gute Musik zu hören. Wenn aber die Residents weltweit immer nur das spielen, was in den Charts ganz oben steht,
ist klar, dass es irgendwann stockt. Da kann man verstehen, dass die Leute erstmal verwirrt sind, wenn du einen ihnen
fremden Sound spielst. Wenn du das aber konsequent durchziehst, wirst du merken, dass sie irgendwann abgehen. Es
ist doch gerade die Aufgabe eines DJs, den Leuten die Chance zu geben, mal etwas anderes zu hören."
Inga: "Hier in Berlin herrscht ohnehin eine ganz andere Aufnahmefähigkeit für schwierige, total unterschiedliche Musik
vor, anders als im sogenannten ehemaligen Westen. Aus diesem Grund treten wir auch in anderen Städten wie
München oder Köln auf, eben um unseren Sound dorthin zu transportieren."
Tobi: "Wenn ich in Köln auflege, packe ich tatsächlich eine andere Kiste, als wenn ich in Berlin spiele. Viele Sachen sind
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hier bereits durch, während sie woanders noch gut gespielt werden können. Mittlerweile sehe ich das als eine Art
Botschafteraufgabe. Um ein Beispiel zu nennen: Für mich ein super Brett ist der Westbam-Remix von "This Is The
Sound Of The Family", die englische Version der alten Dr.Motte-Nummer "Der Klang der Familie". Das ist hier in Berlin
natürlich durchgespielt, aber in Köln kennt es kein Mensch und die Leute gehen ab, dass es kracht."
Inga: "Für mich ist die ganze Overground/Underground-Geschichte immer ganz reizvoll, weil ich dieses Gegeneinander
eigentlich lachhaft und unwirklich finde. Der einzige Spaß ist doch, wenn man sich von diesen Kriterien frei macht. (...) Ich
finde es auch so gut, dass man jetzt im Club auch deutsch singen darf, dass war vor ein paar Jahren noch nicht
möglich. Mir waren Stimmen einfach zu viel und so habe ich selber lange die Klappe gehalten. Das funktioniert jetzt erst
seit ein paar Jahren und daran merkt man doch einfach, dass Musik sich verändert, lebt und sich bewegt."
Neben den Anwesenden und den bereits genannten Jan Driver und Tiefschwarz, haben zudem Marco Volters und Mike
Litt aka Voltaxx & Litt, Mo, the f.or.m und Hoover den 2raumwohnung-Tracks musikalisch ihren ganz persönlichen
Stempel aufgedrückt und das Remixalbum so zu einer abwechslungsreichen und runden Sache gemacht. Für echte
Fans ist es beinahe unumgänglich, sich sowohl das Silberscheibchen als auch das in rotem und gelbem Vinyl
erscheinende Teil für die Turntables zu besorgen. Und wo ihr einmal da seid, fragt euren local Recorddealer auch
gleich nach dem 2raumwohnung-Remix von der Sieg über die Sonne-Nummer "I’m Not A Sound" – es lohnt sich. Bleibt
noch zu erwähnen, dass wir von allen Anwesenden im neuen Jahr einiges zu erwarten haben. Märtini Brös. kündigen
ihr Album auf Pokerflat für voraussichtlich Mai an und Inga und Tommi haben mit der Arbeit am "Kommt Zusammen"Nachfolger auch schon begonnen. Da lässt sich Tobi Neumann natürlich nicht lumpen und plant gemeinsam mit
seinem Produktionskollegen Thies Mynther und ihrem Projekt Glove, 2002 ebenfalls einen Longplayer fertig zu stellen.
Auf ein musikalisch ereignisreiches Jahr! Â
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