als PDF - Katharina von der Leyen
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54 TIERSCHUTZ · 03-2011 03-2011 Ein Berliner Verein kümmert sich um BABYS IN NOT Sie sind wenige Wochen alt und kaum sozialisiert, wenn sie als kleines Häufchen in der Welpennothilfe e.V. landen. Hier bekommen sie ihre neue Chance – Fürsorge und viel, viel Liebe FOTOS : FR ANK ZAURITZ TEXT: K ATHARINA VON DER LEY EN Welpen und ihre Starthelfer. Auf dem großen Bild Brooke, ein polnischer Mix. Erste Reihe von links nach rechts: Dexel, polnischer Mischling, DOGS-Autorin Katharina von der Leyen mit Max, einem Zwergpinschermix, und Watzlaff, polnischer Mischling. Zweite Reihe: Petra Kühlborn mit Reinhardt, kaukasischer Schäfermix, Emilia, Jack-Russell-Mix, Janny Mai mit Keks. Dritte Reihe: Dess, polnischer Mischling, Claudia Hauer, Gründerin von Welpennothilfe e. V., und Odilberta, griechischer Mischling. · RUBRIK 55 56 TIERSCHUTZ · 03-2011 03-2011 2009 eröffnete Claudia Hauer zusätzlich eine Welpenklappe. Ein halbes Jahr später musste sie diese wieder schließen. Der Flut von Tieren, die hier entsorgt wurden, war niemand gewachsen. „Nicht nur Hunde- und Katzenwelpen wurden in die Klappe gesetzt“, erzählt sie, „auch Kaninchen, Frettchen, Meerschweinchen und viele erwachsene, wilde, kranke Katzen. Die Leute hätten auch ihre Großeltern da reingestopft, wenn die Klappe groß genug gewesen wäre.“ Wegen des Ansturms führte die Welpenklappe fast zum finanziellen Ruin des Vereins. „Die Tierarztkosten wuchsen ins Unermessliche, wir konnten das nicht mehr tragen“, sagt Claudia Hauer. „Der psychische Druck war immens. Irgendwann musste ich mich entscheiden: Verein oder Klappe zu.“ Pflegefrauchen und -herrchen kümmern sich um die jungen Tiere, bevor sie in ihr neues Zuhause kommen. Von links nach rechts: Franzi Hauer mit Watzlaff, Monika Erdmann mit Odilberta, Detlev Lehmann mit Hetty, Julianna Hoffmann mit Keks. D as puschelige weiße Hündchen war winzig, knapp eine Handvoll. „Chihuahua-Mix-Hündin, neun Wochen alt, in liebevolle Hände, 300 Euro“ hatte die Anzeige gelautet. Sie ist kein Chihuahua. Sie war auch nicht neun Wochen alt, als der Mann sie auf einem Parkplatz dem Käufer in einem Karton präsentierte, höchstens dreieinhalb – ein Alter, in dem Welpen noch dringend ihre Mutter brauchen, Muttermilch und ständige Wärme. Es waren die liebevollen Hände und die pragmatische Absicht eines Berliner Amtstierarztes, der den Kauf fingiert hatte. Der Polizist, der ihn begleitet hatte, zeigte den Händler sofort an. Das Hündchen wurde konfisziert, der Händler ging seiner Wege, der Amtstierarzt nahm IN DER ANZEIGE STAND: Chihuahua-Hündin, neun Wochen alt, in liebevolle Hände, 300 EURO den kürzesten Weg zum Verein Welpennothilfe. Dort wurde das Hundbaby Brooke genannt. Es bekam ein spezielles Aufzuchtprogramm, Wärme und Medikamente. Drei Tage später brachte der Arzt zwei weitere Welpen, eine braune Hündin und eine kurzhaarige schwarze, die so jung war, dass ihre Augen noch bläulich schimmerten. Gleicher Händler, neues Inserat, ein anderer Parkplatz. Die polizeiliche Anzeige und die Geldstrafe vor drei Tagen hatten ihn nicht beeindruckt, Berufsrisiko. Auch diese zwei Welpen hatten Durchfall. Das kleine schwarze Ding, das Dess genannt wurde, schien nur aus einem großen Kopf und einer gebogenen Wirbelsäule zu bestehen. Dess war geschwächt, unterernährt, wollte nichts fressen, nichts trinken. Sie saugte an allem, was ihr in die Quere kam, Fussel, Ecken von Decken, nur nicht an Saugern. Tagelang wurde gezittert, ob sie überleben würde. Im Mai 2006 wurde der Verein Welpennothilfe von Claudia Hauer gegründet. Seit vielen Jahren hatte Hauer immer wieder für andere Tierschutzvereine Katzen- und Hundewelpen aufgepäppelt, manchmal auch andere Tiere. Der Verein war eine Idee ihres Mannes, um die Interessen, die Kompetenz und letztlich auch die nicht zu unterschätzenden Kosten zu bündeln, die ihr Engagement im Tierschutz erforderte. Der Bedarf an Welpenpflege stieg. Allein im letzten Jahr wurden 140 Hundekinder von den Pflegestellen der Welpennothilfe betreut und vermittelt. Es sind Welpen aus amtstierärztlicher Sicherstellung oder solche wie Reinhardt, die jemand nicht loswird, weil er als Kangalmischling sehr groß und etwas für Spezialisten wird. Es sind Würfe von Wachhunden, für deren Aufzucht ihr Besitzer nicht einmal eine Hütte bereitstellt. Welpen, die den Besitzer überrascht haben, weil sie die Trächtigkeit ihrer Hündin nicht mitbekommen haben. Oder jene wie der Schnauzermischling Keks, der herumgereicht wurde wie ein Wanderpokal: der Großmutter geschenkt, weitergegeben an die Tochter, an die Enkelin, die ihn einer Frau gab, die ihn zur Welpennothilfe brachte. „Keks ist immer noch ein vergnügtes Hündchen“, sagt Claudia Hauer, „hat aber einen Hang zu Hyperaktivität, weil er bisher weder ausgelastet wurde noch Grenzen kennengelernt hat.“ Es fehlt immer an Geld, Futter und Pflegestellen. Etwa dreizehn Pflegestellen helfen bei der Aufzucht der Welpen. Das sind Hundehalter, die bereit sind, ein Jungtier bei sich aufzunehmen. Aber es sind längst nicht genug. Junge Hunde sind süß, aber anstrengend. Sie können nichts, sollen aber alles lernen. Sie laufen nicht einfach mit wie ein älterer Hund, können nicht allein bleiben, müssen geschont und gleichzeitig gefördert werden. Sie brauchen andere Nahrung in vielen kleinen Portionen über den Tag verteilt, müssen alle zwei Stunden nach draußen, oft sogar nachts, und pieseln in der Zwischenzeit launig unter sich. Für manche Leute ist das zu viel. So sorgfältig die Pflegestellen auch ausgesucht werden, gibt es immer solche, die überfordert aufgeben. „Es gab Fälle, da riefen die Pflegestellen nach einer Woche an und sagten: Mein Mann will das nicht, der Hund ist ja immer noch nicht stubenrein, der muss hier sofort weg“, erzählt Claudia Hauer. In solchen Fällen steht sie dann da, mit einem Welpen, für den sie keine Kapazitäten hat, weil sie selbst das Haus voll hat und keine andere Pflegestelle frei ist. Letztes Jahr musste ein kompletter Wurf Schäferhunde von jetzt auf gleich untergebracht werden. Der Besitzer, ein Bauer, konnte die ängstlichen, schlecht ernährten Hunde nicht loswerden. Auf halber Strecke wurde ein Treffpunkt auf einem Parkplatz verabredet. Der Bauer war früher da, die Welpen hatte er in einen Anhänger geladen. Bevor Hauer eintraf, hatte er eines der Jungtiere bereits an einen Zufallsparker vertickt. Ein anderes war übersät von Bisswunden. Die Tiere „wurden auf verschiedene Pflegestellen verteilt, vernünftig versorgt und erst einmal richtig sozialisiert“, erzählt Claudia Hauer. Mittlerweile sind es großartige Hunde geworden und werden von ihren neuen Besitzern heiß geliebt. Der Welpe, den ich selbst aufzog, sah auch aus wie ein Mischling aus Chihuahua und Pinscher. Er war unglaublich klein, 620 Gramm leicht und 15 Zentimeter hoch. Er war unterernährt und schwach. Weil sich eine tierärztliche Behandlung nicht lohnt bei einem Hündchen, das nur zwei-, dreihundert Euro einbringt, hatte man ihn in einem Graben entsorgt. Einfach so. Max, so nannte ich ihn, war ungefähr dreieinhalb Wochen alt, aber bereits ein Kämpfer, wild entschlossen zu leben und wild entschlossen, sich dabei zu amüsieren. Er zog in ein Babyreisebett als Privatapartment, wo er die · TIERSCHUTZ 57 Nächte und weitere Schlafstunden zubrachte. Meine vier Hunde fanden das kleine Tier, das aussah wie ein Wesen aus der Augsburger Puppenkiste, seltsam, aber nett, und spielten sehr vorsichtig mit ihm. Meine Tierärztin sah ich häufiger als meine besten Freunde, weil Max anfangs viele gesundheitliche Probleme hatte. Die übrige Zeit wurde er bespielt, meine Hunde erzogen ihn sanft, und wenn ich Termine hatte, die mich längere Zeit abwesend sein ließen, musste jemand zum Babysitten kommen. Seine Sozialisierung gelang phänomenal. DIE SPREU VOM WEIZEN ZU TRENNEN: nicht leicht bei der Suche nach neuen Besitzern Max wuchs. Er bekam lange Beine, einen schmalen Kopf, schicke Kippohren und eine schöne gerade Rute. Er wurde der hübscheste, schlauste, charismatischste Hund, den man sich denken kann. Die Probleme begannen erst später: Ich musste ein geeignetes Zuhause finden und aus den vielen Anfragen die Spreu vom Weizen trennen. Ich traf Leute, die einem armen Hund ein Zuhause geben wollten, obwohl sie zehn Stunden am Tag arbeiten mussten, Leute, die empört waren, dass bei der Übergabe eine Schutzgebühr von 260 Euro fällig würde (was gewöhnlich nicht einmal im Ansatz den finanziellen Aufwand deckt), denn schließlich solle ich „doch froh sein, dass überhaupt jemand diese Viecher nimmt“. Es gab Menschen, die sehr nett, aber trotzdem die Falschen für Max waren, weil sie keine Grenzen setzen konnten oder sehr ängstlich waren. Am Ende fand ich das allerbeste Zuhause für ihn, das er verdient hat. Warum ich ihn nicht selbst behalten habe? Weil ich dann als Pflegestelle für die Welpennothilfe wegfallen würde. Denn irgendwann hat jeder genug Hunde zu Hause. Hinzu kommt, dass jeder eine Welpenpause braucht und damit wieder gesucht werden muss, Menschen mit Nerven aus Stahl, gutem Humor, die unempfindlich und flexibel in ihrer Zeiteinteilung sind (Welpen kann man eben nicht mit ins Büro nehmen), die einigermaßen erfahren mit Hunden und teamfähig sind. Man sollte sich nicht genieren zu fragen, wenn man unsicher ist oder ein Problem hat. Man sollte Ratschläge annehmen können, ohne sich kontrolliert zu fühlen. Nein, die Menschen, die Welpen aus dem Tierschutz bei sich aufpäppeln, sind wahrlich keine Superhelden, nur Hundemenschen eben. Um gute Besitzer für die Hunde zu finden, wird mit den Interessenten viel gesprochen, ihr Zuhause wird geprüft, die Familie begutachtet, und deren Kinder werden getestet. Denn manchmal kommt es vor, dass Kinder stocksteif vor Angst neben dem Hund stehen, mit dem sie bald ihren Alltag teilen sollen – das ist wirklich keine gute Voraussetzung für ein Leben mit unseren Welpen. Auf Fotos und Nachrichten von Max hoffe ich nach wie vor täglich, wie eine Großmutter, die ihren Enkel vermisst. Ich denke andauernd an ihn. Das mit Max und mir ist eine Liebesgeschichte, die aus Vernunft und im Sinne der Welpennothilfe nichts wurde. 03-2011 Welpen aus dem Tierschutz: LEBEN SCHENKEN Keine Frage, jedes Hundebaby ist süß. Weil aber ungewollte Welpen manch Trauriges in ihrem kurzen Leben erfahren mussten, läuft der Weg ins neue Zuhause oft anders als beim Hund vom Züchter Die Qual der Welpenwahl. Im Tierschutz warten viele Welpen auf ein neues, gutes Zuhause. Längst findet man jede Rasse, jede Größe, jede Farbe und Anmutung. Die guten Organisationen und Vereine geben sich große Mühe, den richtigen Menschen den passenden Welpen zu vermitteln. Die gute Nachricht: Da diese Babys meist vorher in Pflegestellen gelebt haben, ist einiges über ihren Charakter bekannt – und man bekommt häufig keinen „Hund im Sack“. Vorsicht, armes, süßes Hundebaby! Wer einen Welpen aus dem Tierschutz übernimmt, muss darauf achten, ihn nicht als bemitleidenswerten Sonderfall zu behandeln. Erkennen Sie seine große Chance und vergessen Sie, auch wenn es schwerfällt, seine traurige Vorgeschichte! Tappen Sie nicht in die Mitleidsfalle: Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Ihr Tierschutzwelpe Angst vor Gewitter hat, weil er möglicherweise etwas Schreckliches erlebt hat, oder dass er sich vor Gummistiefeln fürchtet, weil er womöglich in seinem früheren Leben einen Tritt bekommen hat. Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass er sich davor fürchtet, weil er es schlicht nicht kennt. Es ist Ihre Aufgabe, ihn vor allem Neuen, möglicherweise Gruseligen die Angst zu nehmen, statt ihn mental darin zu bestärken. Schenken Sie ihm Kraft. Welpen sind ausgesprochen regenerationsfähig und wissen nach kurzer Zeit in einem besseren Leben nichts mehr vom widerfahrenen Elend. Selbst Traumata können in jungem Welpenalter sehr gut überwunden werden. Erziehen Sie ihn zu einem starken, widerstandsfähigen Superhund, die Anlagen dafür haben Tierschutzwelpen allemal. Sie sind zumeist echte Kämpfer, sonst hätten viele von ihnen bis hierhin gar nicht überlebt. Das Besondere an ihnen ist ihr ungebremster Überlebenswille und nicht die Tatsache, dass sie einmal arm und elend waren – obwohl einem bei ihren Geschichten der Atem stockt. Ab jetzt sind Sie sein Beschützer – was immer ihm passiert ist, es wird ihm nichts passieren! Und bewahren Sie ihn vor der preußischen Denkweise „Das klären die schon von allein“. Bei Ihnen, zwischen Ihren Füßen, sollte er sicher vor allem sein. Die Sache mit den Regeln. Neben den kleinen Kämpfern gibt es immer auch jene, die nicht so robust reagieren, wenn beispielsweise der Tonfall oder Umgang mit ihnen rau wird. Eben weil diese Hunde zum Teil aus sehr schlechten Verhältnissen kommen, haben die Pflegestellen oft alles getan, den Hündchen das Vertrauen in den Menschen wiederzugeben. Harsche, derbe Umgangsformen und Erziehungsmittel kennen diese Welpen meist nicht. So kann es passieren, dass sich der Welpe im neuen Zuhause unter solchen Umständen in sich selbst zurückzieht und keine Beziehung mehr aufbaut, wenn er plötzlich ein lautes Donnerwetter erfährt. Für Korrekturen gilt daher: Fangen Sie beim niedrigsten Level an – es gibt keinen Grund, gleich Brachialmethoden aufzufahren, wenn ein Flüstern oder ein leises Nein reichen würde. Wenn Pflegeeltern kletten. Tierschutzvereine und deren Pflegestellen mussten zum Teil viel mit einem Welpen durchmachen – er hatte Krankheiten, zeigte Verhaltensauffälligkeiten oder wäre beinahe gestorben. Da sollte es nur allzu verständlich sein, wenn sie den interessierten zukünftigen Eltern des Welpen viele, viele Fragen stellen. Auch wenn ein Züchter so konkret vielleicht nicht fragen würde, weil er von vornherein stabilere Hunde großgezogen hat und ihm deren Schicksal absehbarer erscheint, machen Sie sich nichts aus all den Fragen: Die große Besorgnis der Pflegestellen, das Beste für das jeweilige Hundekind im Kopf zu haben, kann nur im Sinne des Tierschutzes sein! Und, ja, viele der Pflegestellen haben tatsächlich Abnabelungsschwierigkeiten von dem Hund, den sie über eine emotional aufreibende Zeit betreut haben. Zeigen Sie also Geduld und Verständnis für sie. Wenn es wirklich seltsam wird, der Hund nicht an Raucher vermittelt werden soll oder nicht an Leute, die keinen Garten haben, oder nur an Leute, die ausschließlich Frischfleisch verfüttern, dann ziehen Sie doch einfach freundlich Ihren Hut und sehen sich woanders nach einem kleinen Taps um. Da draußen warten Tausende von jungen Hunden auf ein wunderbares neues Zuhause. Einer davon ist sicher der Richtige für Sie. Tierschutz für WELPEN www.welpennothilfe.de kümmert sich seit 2006 um Pflege, tierärztliche Versorgung und Vermittlung von Junghunden. www.welpen-in-not-bonn.de wurde von Ellen Stuch, der früheren Vermittlerin von Pro Animale e. V., 2003 gegründet. Alle Welpen werden bei ihr aufgezogen. www.tini-ev.de Seit 2002 kümmern sich Barbara und Carl-Ludwig Nowotny um Tiere von Ibiza und vermitteln sie. Sollte das neue Zuhause mit dem Hund nicht zurechtkommen, holt Tini e. V. ihn zurück. www.niemandshunde.de arbeitet auf Sardinien mit „Cani di Nessuno“. Durch langfristige Projekte, Aufklärung und Kastration soll nachhaltig geholfen werden. www.zergportal.de Größtes Tierschutznetzwerk, auf dem rund 10 000 Hunde und Katzen zur Vermittlung vorgestellt werden. www.tierschutz-bmt-bw.de arbeitet eng mit einem Tierschutzverein in Rumänien zusammen und übernimmt von dort Welpen. 1/1 Anschnitt 232x292mm · RUBRIK 59