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www.n-coding.com | 2. Quartal 2008 | gratis
Der subjektive Blick auf Unternehmen, Kultur und Unterhaltung
NC0802
Inhalt:
Monsters Lead Such Interesting Lives | Schnippel-Test |
Die Stimme der M. | Schattenmonster | fraubumte | San |
White Woman In Trouble | The Beauty Of The Beasts | Street Art |
Zahnfleisch | Horrorskop | Gitterrätsel: Die Auflösung
lassen. Das muss Frau Meier nicht kümmern, denn Frankenstein ist gnädig und brummt diese
Kosten lediglich den Herstellern der Geräte auf. Aber auch in Zukunft wird sich Frau Meiers Chef
überlegen, ob er den Scanner oder Drucker nicht lieber separat oder das Multifunktionsgerät
lieber gleich im Ausland kauft, denn diese Geräte verteuern sich in Deutschland bald um 20 %.
Monsters Lead Such Interesting Lives
Godzilla und Frankenstein gehören zu unserer Lebenswelt, ohne dass
wir sie bemerken. Eine Betrachtung über zwei monströse Wesen, ihre
Lebensbedingungen und Verstecke.
Pressekonferenz mit Monstern
Irgendwo zwischen New York und Passau, zwischen Peking und Rügen. Eine alte Lagerhalle in einer Nebenstraße, ausrangierte Wackelstühle, dünne Pressemappen und übersteuerte Mikrofone,
die leise fiepen. Nur wenige Journalisten sind gekommen. Kein Wunder, denn was es zu hören
gibt, klingt viel zu langweilig, als dass es jemanden interessieren könnte. Godzilla macht den
Anfang: »Bitte sehen Sie in Ihren Pressemappen nach. Da steht alles Wesentliche drin. Darüber
hinaus werde ich mich nicht äußern, denn ich erwarte keine positive Darstellung!« Frankenstein
leiert mager hinterher: »Was meine Sache angeht, kann ich nur sagen, wir haben alle infrage
kommenden Verbände rechtzeitig informiert. Beschluss ist Beschluss!«
Die Hauptfiguren dieser Pressekonferenz wirken ein wenig lustlos. Was kaum verwundert, denn
Godzillas und Frankensteins favorisiertes Podium ist nicht unbedingt die mediale Öffentlichkeit.
Schon eher das wirkliche Leben. Lobbying und Bürokratie sind ihre bürgerlichen Namen.
Frühstück mit Godzilla
Für einen Toast mit Roastbeaf braucht man Weizen, Fleisch und Strom. Der Agrar-Riese »Monsanto« liefert das Futtermittelsaatgut zur Ernährung des Rinds für unser Roastbeef. In Form von
»RoundupReady-Soja«. »Roundup« ist ein Unkrautvernichtungsmittel und die dazu passende
Pflanze ist ein GVO. Ein genetisch veränderter Organismus, den sich »Monsanto« patentieren
ließ, ebenso wie viele andere GVOs. In den USA wird inzwischen 90 % der Sojaproduktion mit
dem »Roundup-System« angebaut. Dass ein privatwirtschaftlich tätiger Konzern seine Errungenschaften zur Ernährung der Weltbevölkerung derartig erfolgreich vermarkten kann, ist ein Erfolg
von Godzilla. Wenn Godzilla auf der Bildfläche erscheint, hört man ihm gerne zu. Im richtigen
Leben, versteht sich, und das findet nicht vor laufender Kamera statt.
Den Strom für den Toaster liefert »e.on«. Der expandierende Stromanbieter »…konzentriert sich
auf die Zielmärkte Zentraleuropa, Großbritannien, Nordeuropa und den Mittleren Westen der
USA…«, wenn die Mikrofone eingeschaltet sind. Ansonsten beschäftigt man sich mit »greenwashing«, einer relativ neuen Spielwiese von Godzilla. In der aktuellen TV-Kampagne sehen wir
einen »e.on« Repräsentanten am Meer. Er referiert über eine Gezeitenanlage, die aus der natürlichen Bewegung des Meeres mittels Turbinentechnik Strom gewinnt. Schöne Idee! Aber eben
nur eine Idee, die bislang noch keine Umsetzung gefunden hat. Nicht nötig, das im TV-Spot extra
zu erwähnen. Godzilla rechnet damit, dass die Verbraucher das nicht so eng sehen werden.
Büroalltag mit Frankenstein
Frau Meier hat den Auftrag, ein Meeting vorzubereiten. Sie vervielfältigt die Papierunterlagen
und kopiert die Powerpoint-Präsentation auf den Laptop ihres Chefs. Dazu braucht sie einen
Kopierer und die Datensätze der Werbeagentur. Was Frau Meier nicht weiß: Frankenstein begleitet sie bei diesen ganz alltäglichen Dingen. Da der Kopierer ein Multifunktionsgerät ist, das
zwischen 1997 und 2001 angeschafft wurde, hat sich Frankenstein in seinem zusammengesetzten Kopf ausgedacht, diese Gerätetypen rückwirkend urheberrechtsabgabepflichtig werden zu
Die Powerpoint-Präsentation, die der Chef für seinen Vortrag braucht, wurde von der Werbeagentur »Pechgehabt« erstellt. Sie kommt den Chef von Frau Meier ebenfalls teuer zu stehen,
denn laut Frankenstein ist sie neuerdings KSK-abgabepflichtig, ebenso wie alle Anzeigen, die
Imagebroschüre, der Internetauftritt und vieles andere mehr, was der Chef in Auftrag gab und
dem Marketing des Unternehmens dienlich ist. Frankenstein dachte sich, dass der Verwerter einer künstlerischen Leistung (= der Chef von Frau Meier), ca. 5% an die Künstlersozialkasse (KSK)
abführen soll. Unabhängig davon, ob die Werbeagentur »Pechgehabt« aus ihr Leistungen bezieht
oder nicht. Unabhängig davon, ob man die Arbeit der Werbeagentur als Kunst oder Dienstleistung ansehen soll. Unabhängig davon, ob Produktionskosten den Betrag potenzieren oder nicht.
Das berührt Frankenstein nicht im mindesten. Stattdessen denkt er hier ebenfalls rückwirkend.
Für fünf Jahre.
Monstertypologie
Frankenstein ist ein typisch deutsches Monster. Was ihn kennzeichnet? Er wurde aus vielen
unzusammenhängenden Leichenteilen zusammengebaut und von angelernten Experten zusammengesetzt, die sich redlich darüber freuen, wenn sie es zustande bringen, das Herz zum Pumpen
zu bringen. Das Risiko: Erst im echten Leben zeigt sich wie lebenstauglich das Monster und
seine Werke wirklich sind. ALGII, Riester-Rente, Kapitalertragssteuer, Entsendegesetz, Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln, Scheinselbständigengesetz, KSK-Abgabe oder Urheberrechtsschutz… Für Frankenstein gibt es viele Lebensräume. Auch wenn die meisten davon sehr
langweilig klingen, umso spektakulärer sind die Auswirkungen für die Betroffenen.
Spektakulär ist auch das Aktionsfeld von Godzilla. Sein Wirkungskreis ist die Wirtschaft. Als
spontane Mutation der Natur bringt er seine Botschaften mal lauter und mal leiser vor. Gut
wahrnehmbar sind seine Produktplatzierungen im Info-TV, Promotionbesuche in der Eckkneipe
oder Callcenter-Anrufe beim Zähneputzen. Seine öffentliche Arbeit ist so wirksam, dass es sogar
Premium-Waschmittel bis in die Bronx schaffen. Dank Guerilla-Marketing. Hinter den Kulissen
schließt Godzilla Investorenverträge und bahnt sich den Weg über Zulassungen, Handelsabkommen und Lobby-Arbeit. Nur wenn es mal schlecht läuft, taucht er beim Landesbankenrodeo auf,
stolpert über finnische Handys oder zeigt sein verdutztes Gesicht in Vaduz. Aber das ist alles
halb so wild, schließlich hilft sein guter Kumpel Frankenstein gern mal aus. Der hat immer die
Spendierhosen an, wenn er mit Godzilla um die Häuser zieht. Die beiden verstehen sich prächtig.
Jeder hat seinen eigenen Bereich und keiner nimmt dem anderen das Spielzeug weg. Perfekte
Synergie.
Flucht oder Kampf
Was alle sehen können, scheint niemanden zu erfassen. Da lohnt sich ein Blick auf die realen
Monstervorbilder im Hollywoodkino. Unsere menschlichen Abbilder reagieren dort mit Kampf
oder Flucht. Es sind immer nur wenige, die sich trauen, es mit den Ungeheuern aufzunehmen.
> Fortsetzung auf Seite 2
Seite 2 Schnippel-Test | Monsters Lead Such Interesting Lives | Die Stimme der M.
Der große Schnippel-Test
Schönheits-OPs sind gefragt wie nie. Was haben Sie an sich auszusetzen? Wie bereitwillig
gehen Sie auf die Angebote der Schönheits-Industrie ein? Hier erfahren Sie es, sofern Sie unsere 6
Fragen ehrlich und spontan beantworten. Sie werden erstaunt sein, wer Sie wirklich sind und was
Sie tun können, um Ihrem persönlichen Schönheitsideal ein kleines Stückchen näher zu kommen.
(sk)
Obenrum
1. Sie erhalten einen Gutschein für eine Gesichtsbehandlung Ihrer Wahl.
Was wählen Sie?
Mein Zinken hat mich schon immer gestört – der wird ausgetauscht!
Ich spendiere mir einen Tiegel Q10 und kippe ihn auf ex!
Ich lasse mir eventuell die schwarzen Härchen auf der Oberlippe entfernen.
2. Ihre Lippen hängen. Pure Muskelkraft hilft auch nicht mehr.
Drastischere Maßnahmen müssen her. Welche?
Alles überschüssige Gewebe wird entfernt und vernäht. Essen erledige ich per
Magensonde!
Collagen! Falls das Ergebnis wie bei Chiara O. wird, sage ich, dass ich gestolpert bin.
Yoga! Der Simhasan bzw. Löwe wird mir helfen, emotionale Spannungen zu lösen.
Mittendrin
3. Um Ihr Idealgewicht zu erreichen, fehlen noch 2,5 Kilo.
Wie werden Sie der Gewichtszunahme nachhelfen?
Ich nutze die Gelegenheit und lasse mir Lollo Ferrari-Gedenkmöpse implantieren.
Ich esse 2,5 kg Sättigungskapseln.
Täglich Leberwurst mit Sauce béarnaise und Sofatraining.
4. Ihr Körper überwuchert langsam aber sicher mit
unästhetischem Schamhaar. Was tun?
Meine Lederhaut ist vom Sonnenbaden sowieso zerknittert.
Ich schlage also zwei Fliegen mit einer Klappe und gönne
mir eine Ganzkörperhauttransplantation!
Ich nehme täglich ein Vollbad in Veet-Enthaarungscreme.
Ich versuche meine Einstellung zu verändern und frage
meine beste Freundin, ob es wirklich so schlimm ist.
Ich habe bei ihr noch was gut!
Untenrum
5. Sie sind mit Ihrem Hintern absolut unzufrieden.
Wie werden Sie Herrin der Lage?
Meine Cellulite hat bereits die Form eines Schnittmusters. Ich greife also
beherzt zur Schere.
Ich nutze das überschüssige Fett zur Unterspritzung meiner Lippen,
Wangen und Brüste.
Ich kaufe mir ein formgebendes Korselett. Sex wird sowieso überschätzt.
6. 35°C. Sie kramen die Riemchensandaletten hervor.
Bei der Anprobe wird Ihnen schlecht. Ihre Füße befinden sich in einem
jämmerlichen Zustand.
Ich habe von einem brandneuen Fuß-Facelifting aus der Schweiz gehört.
Das muss ich sofort ausprobieren!
Ich kaufe mir Wartner-Warzenstifte, vereise alle Zehen und den Rest
schminke ich weg!
Ich koche mir einen Magentee und werfe die Sandaletten in die Altkleidersammlung.
Welcher Schönheits-Typ Sie sind, erfahren Sie auf der letzten Seite!
Forscher, Führungselite, Experten oder Militär analysieren im Film die Lebensumstände der ungeheuerlichen Wesen. Am Ende ist es in beiden Fällen menschliches Versagen. Während Frankenstein menschengemacht ist und man versäumt hat, seine Funktionen zu prüfen, ist Godzilla eine
Mutation der Natur, bei der der Mensch die Wachstumsbedingungen nicht kontrollieren kann. Was
den Opfern im Film bleibt, ist, sich in Deckung zu begeben, wenn sie einem der Monster ausgesetzt
sind. Hoffen und bangen, dass Godzillas Pranke nicht trifft. Darauf vertrauen, dass Frankensteins
Intelligenz sich selbst ad absurdum führt.
Interesting Lives
Im echten Leben wie im Film sind wir offenbar erst dann sensibilisiert, wenn etwas Dramatisches
passiert. Wenn Godzilla bei seinem Vernichtungsfeldzug ein Nokia-Werk zertrampelt und nach
Osteuropa weiterzieht. Oder wenn Frankenstein die Eigenheimzulage streichen will. Worauf die
Monster vertrauen können: Dass wir mit uns selbst und unserer Flucht so viel zu tun haben, dass
wir vergessen. Ganz so wie Mel Tormé es 1988 in seinem Song besingt: »They’ll suck your brains.
And eat your remains. …Monsters lead such interesting lives.«
Anstatt uns das Gehirn aussaugen zu lassen, wäre es besser, das Leben der Monster tatsächlich
etwas interessanter zu finden und es genauer zu studieren. Gerade dann, wenn es am langweiligsten erscheint. Dann sollten wir viele Journalisten auf die Pressekonferenzen schicken. Wir können darüber berichten, wie es Marie Monique Robin in ihrem Fernseh-Feature über »Monsanto«
tat. Wir können Initiativen unterstützen wie »kskontra.de«. Wir können uns über die Auswirkungen
austauschen und Godzilla und Frankenstein in ihren Lebensbedingungen erforschen. Womöglich
endet es dann wie im Hollywoodkino und die Menschheit findet ein Gegenmittel. In dem Film
»Mars Attacks« war es Countrymusik, die die Hirne der ungewünschten Invasoren zum Platzen
brachte. Auf welche Frequenzen Godzilla und Frankenstein reagieren? Finden wir es heraus! (ve)
Die Stimme der M.
Wegzappen kann jeder. Mutige genießen die TV-Werbung und steigen ein,
in die wichtigsten Fragen des Lebens. Folge 5: Textilien
Auf der anderen Straßenseite, gegenüber unserer Agentur, arbeitet eine Fleischereifachverkäuferin, deren Namen ich nur mit M. wiedergeben möchte. Größe und Statur, Auftreten und Frisur,
Mimik und Figur spielen für meine Betrachtung keine Rolle. Einzig die Stimme der M. ist von Belang. Denn sie ist laut und quäkend, durchdringend und spitz, gepresst und nervtötend. Eine Reihe
von Menschen empfindet die Klangfarbe einer solchen Stimme als unangenehm. Und ich bilde hier
keine Ausnahme. Nun ist es ja so: M. verkauft Wurst, Fleisch und Jägermett. Es mag geeignetere
Jobs geben, wenn man eine nervige Stimme hat, als ausgerechnet solche, in denen man etwas
zu verkaufen hat. Archivarin oder Briefsortiererin wären sinnvolle und gemeinwohlschützende
Alternativen. Sicher gäbe es aber auch ungeeignetere Berufe.
Sprecher für einen Werbespot ist ein denkbar ungeeigneter Beruf, wenn man eine doofe Stimme
hat. Dieser Ansicht scheint allerdings nicht jeder zu sein. Insbesondere die Marketingmenschen
von »kik – der Textildiskont«. Sie besetzten eine Stimme wie die der M. für ihren Sympathieträger:
das sprechende T-Shirt. Es gibt vieles, was man an »kik – der Textildiskont« kritisieren könnte:
Produktionsbedingungen, Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung… Nunja, so ist die Welt, so ist
die Wirtschaft! Aber muss denn ein Verantwortlicher für Unternehmenskommunikation auch noch
verbal nachtreten, wenn die Zielgruppe eh schon am Boden liegt? Braucht der niedrige Kulturdruck
wirklich eine derartig widerliche Stimme?
Auf Shopping-Tour mit ihrer Tochter Lisa sagt Marge Simpson: »Wir können es uns nicht leisten,
in Läden mit einer Philosophie einzukaufen!« Offensichtlich können es sich »kik«-Kunden nicht
nur nicht leisten, mit einer Philosophie einzukaufen, sie müssen auch damit rechnen, von dem für
sie auserwählten Sympathieträger angeranzt zu werden. Mehr noch: Man demütigt sie, indem
man die Zielgruppentestimonials Sätze zurück schreien lässt wie: »Mir doch egal, Hauptsache der
Preis stimmt!« Wie es scheint, orientiert sich die Kommunikation von »kik – der Textildiskont« am
Talkshow-Fernsehen im Vormittagsprogramm. Dort, wo man sich gegenseitig anschnauzt und die
Fresse poliert. Ein Coup der Werbung? Die Zielgruppe da abholen, wo sie sich befindet?
Vor ein paar Jahren verlieh man dem T-Shirt für kurze Zeit eine angenehmere Stimme. Warum
blieb man nicht dabei? Warum kehrte man zu der quäkenden Version zurück? Hätte man riskiert,
deutlich zu machen, dass man seine Kunden respektiert? Womöglich! Für mich bleibt nur die Hoffnung, zumindest zeitweise in Läden mit einer Philosophie einkaufen zu können und nicht das Opfer
einer Unternehmenskultur am Tiefpunkt zu werden. Denn mir reicht es schon, wenn ich hin und
wieder auf die andere Straßenseite gehen muss, um eine Stimme zu hören, die man wirklich nicht
gerne hören mag. (ve)
(st)
They're drenched in blood
Or caked with mud
You yell and scream
When one of them arrives
There is no denying
Monsters lead such interesting lives
They live in ooze
They've paid their dues
No brothers, sisters,
Moms or dads or wives
Honest, I'm not lying
Monsters lead such interesting lives
When you see them coming down the street
You better not have weights tied to your feet
They'll steal your heart
Tear you apart
Limb from limb
On a wim
They'll suck your brains
And eat your remains
They'll slice you up with little forks and knives
They're never merry
They're oh so scary
Monsters lead such interesting lives
They're independent fellas
They don't live nine to fives
Monsters lead such interesting lives
Mel Tormé
fraubumte | San Seite 5
Das Unterbewusstsein ist eine
übergewichtige Walross-Prinzessin!
Regen Sie sich auch so gerne auf? Dann sind Sie hier richtig!
Unsere Alltagsquerulantin »fraubumte« hält Sie auf dem
Laufenden über Marginales, Widriges und Beklagenswertes.
Kennen Sie das Problem, dass man immer wieder von Frisör zu Frisör rennt und
sich nie rundrum gut beraten und geschnitten fühlt? Ich kenne das leider nur zu gut.
Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, der Mensch sieht gerne Neues, und
ich bin immer bereit, neue Frisörinnen kennenzulernen. So war es eines schönen
Tages mal wieder Zeit für eine neue Frisur und warum eigentlich nicht gleich auch
etwas Farbe?!
Ich rief bei einem Salon an, den mir eine gute Freundin empfohlen hatte. Allein
der wohlklingende Name ließ auf ein vorzügliches Verwöhnprogramm schließen:
»Charisma«! Die junge Dame am Telefon erklärte, dass Waschen, Schneiden und
Strähnchen 35,– EUR kosten. Begeistert von diesem Preis vereinbarte ich einen
Termin für den kommenden Donnerstag um 17 Uhr. Ich erschien pünktlich und die
Meisterin – und auch Inhaberin – sowie ihre 3 Untergebenen sprangen um mich
herum, wuschen, schnippelten, bereiteten Strähnchen vor, schmierten Farbpaste
ins Haar und quasselten unaufhörlich auf Türkisch miteinander. Besonders kundenfreundlich fand ich das zwar nicht, aber mein Gott, für nur 35,– EUR nahm ich das
doch gerne in Kauf. Als es draußen dunkel wurde und die Mitarbeiterinnen den
Salon verließen, warf ich einen Blick auf meine Uhr und stellte erschrocken fest,
dass ich bereits seit 3 Stunden in diesem Stuhl saß – noch immer mit nassem
Haar... Aber dieser sagenhafte Preis reißt doch einfach alles raus. Es gibt nunmal
Leute, die etwas langsamer sind, sagte ich mir. Ein weiteres halbes Stündchen
später war ich fertig. Ich zückte meine Brieftasche und hielt der »Charisma«-Chefin
die bereits abgezählten Scheinchen unter die Nase. Die allerdings sah mich an,
als hätte ich den Schuss nicht gehört. »Das macht jetzt aber 85,– EUR, junges
Frollein!«, sagte sie zu meinem Entsetzen. 85,– EUR? Ja wofür ruf ich denn vorher
an und erkundige mich nach dem Preis, wenn es am Ende dann mehr als doppelt so
teuer wird!? »Nö, das bezahl ich aber nicht!«, sagte ich zu ihr, »Ihre Kollegin hat mir
am Telefon mitgeteilt, dass es 35,– EUR kostet und mehr werde ich auf gar keinen
Fall bezahlen!« Dass eine ihrer Angestellten einen falschen Preis genannt haben
soll, glaubte sie mir natürlich nicht. Also rief sie ihre Kollegin an, um auf Türkisch
die Sachlage zu klären. Mein Türkisch ist nicht das Beste, daher verstand ich nicht
genau, um nicht zu sagen gar nicht, worum es bei dem Telefonat wirklich ging.
Absehbar war allerdings, dass die Kollegin mir gegenüber nichts von 35,– EUR
gesagt haben wollte. Also bezeichnete mich die charismatische Meisterin als
Lügnerin, woraufhin ich mich wenig geschmeichelt fühlte, zumal es einfach eine
bodenlose Frechheit ist! So stritten wir noch ein bisschen hin und her, bis ich ihr
den Vorschlag machte, doch die Polizei zu rufen, um das Ganze zu beenden. Das
tat sie dann sogar, und so saßen wir weitere 15 Minuten giftig schweigend im
»Charisma« herum, bis die beiden Polizisten auftauchten. Die prüften, ob ich nicht
eventuell meine Frisörbesuche standardmäßig so finanziere, fanden aber erwartungsgemäß keinerlei Einträge. Da die Ordnungshüter nichts ausrichten konnten,
schlugen sie vor, unsere Personalien auszutauschen und uns gegenseitig anzuzeigen. Gesagt, getan, und ich durfte von dannen ziehen, allerdings nicht ohne meine
35,– EUR und keinen Cent mehr auf den Tresen zu klatschen.
Das unerfreuliche Ereignis liegt nun einige Jahre zurück und eine Anzeige folgte
nie. Als ich unlängst wieder einmal in der Gegend des charismatischen Salons war,
stellte ich fest, dass er fort war. Was war geschehen? War der Service etwa noch
besser geworden, die Preise noch günstiger und der Umgang mit den Kunden noch
respektvoller? Die meisten Läden, die schließen, haben ja ein derartiges Problem.
Ich habe jedenfalls ein Frisörproblem weniger. (sk)
Sie haben Nachrichten für »fraubumte«? [email protected]
San ist einer der spannendsten Vertreter der neuen
Generation junger, spanischer Künstler. Er stammt aus
einer ländlichen und ursprünglichen Gegend Spaniens.
Schon früh entdeckte er seine Liebe zum Zeichnen und
seine Vorliebe für die organischen Strukturen der Natur.
In den frühen 90er Jahren kam er in die Großstadt und
entdeckte dort die Street Art für sich. Er begann mit
Graffiti-Writing, wechselte jedoch bald zu figürlichen
Darstellungen und begann komplexe Wände (Murals)
in Madrid, Sevilla und anderen Städten zu malen. Inzwischen arbeitet er als Illustrator mit internationalem
Erfolg: In den letzten Jahren stellte er in Berlin, Brüssel, Athen und San Francisco aus.
Seine Werke, egal ob Illustration oder Graffiti, haben
eine surreale, traumähnliche Atmosphäre. Sie sind von
obskuren Geschöpfen bevölkert, die sich in verqueren Situationen wiederfinden: Eine übergewichtige,
schwebende Walross-Prinzessin mit Flügeln, Tutu und
Zauberstab. Ein zusammengekrümmter Mensch mit
Totenkopfmaske trägt ein mehrstöckiges, verwinkeltes
Haus auf dem Rücken. Ein knorriger, hohler Baum ist
mit leeren Käfigen behängt… San arbeitet mit Symbolen, die das Unterbewusste des Menschen ansprechen. Die Bilder wirken rätselhaft und erschließen sich
dem Betrachter nicht auf den ersten Blick, erst mit einer eigenen Interpretation werden sie für ihn lebendig.
Tauchen Sie ein in die Welt von San und finden Sie Ihre
eigene Sicht unter:
(de)
www.eseaene.com
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Marilyn Monroes plissierter Rock aus »The Seven Year Itch« oder Hitchcocks Raben auf der Stromleitung:
Es gibt nur wenige Filmbilder, die es zur Ikone schaffen. 1933 brannte sich ein Szenenbild für immer
in die Köpfe der Menschen ein. Eine Frau in den Armen eines übergroßen, haarigen Gorillas.
Mit »King Kong und die weiße Frau« war den Regisseuren Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack ein
Meisterwerk der Ikonizität gelungen. Eine aufrichtige, junge Frau mit alabasterfarbener Haut, ebenso
zart wie zerbrechlich, war einem Monstrum ausgesetzt, das wild und grausam um sich schlug, das laut,
stark und vor allem unkalkulierbar war. Ein maximaler Kontrast, der nur eins zur Konsequenz haben
konnte: den grauenvollen Niedergang des unschuldigen Opfers. Das Seltsame: Trotz des Horrors, den
die schöne Blonde durchlebt, gekidnappt von einem Riesenaffen, gefangen in einer überdimensionalen,
behaarten Monsterhand, entsteht zwischen beiden eine intime Verbindung. So unerhört, dass sie schon
fast erotisch wirkt. Die Darstellung des weiblichen Charakters durch Fay Wray und sicher auch das
Negligé, das Miss Wray in der markanten Szene trug, sorgten dafür, dass 1933 und noch viele Jahre
danach so manches Männerherz höher schlug. Die Frau, die den Fängen der Monsterhand ausgeliefert
war, schreiend, kreischend, sich lasziv windend, blieb auch noch Jahrzehnte später das tragende Symbol
für ein ganzes Genre: die B-Movies.
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Unter einem B-Movie versteht man seit den 20er Jahren den zweiten Film eines Double-Features. Der erste
Film war ein längerer, aufwendig produzierter und der zweite, der B-Film, ein schnell und billig produzierter. Das »B« steht für »back-end«. Die Filme wurden immer trashiger – aussagelose Dialoge, steife
Akteure, brüchige Kulissen und absurde Themen sind ihre Kennzeichen. In den B-Movies des Horrors und
Science Fictions tauchen sie endlich auf: Kiementragende Unterwasserröchler, maulwurfartige Wesen
Quelle: www.bmovies.de
aus dem Erdinnern, riesige Augen-Aliens mit unkontrollierten Tentakeln, frankensteinähnliche Kolosse
oder mutierte Rieseninsekten – sie alle sind die Antagonisten auf den Plakaten der 50er Jahre. Untermalt mit schreienden Taglines dramatisieren die Plakate den Film: »See Night The World Nearly Ended!«
Furiose Zeichner setzen all ihr Wissen und ihre Tinte ein, um wie bei »Invasion Of The Saucer-Men«
den erschreckenden Hydrozephalus der grünen Außerirdischen besonders authentisch wirken zu lassen:
überzogen mit fiesen Adern, ausgestattet mit Glubschaugen und rasiermesserscharfen Zähnen. Das Setting: Grimmige Fremdlinge, die durch die Stadt stapfen. Menschen in Panik. Gebäude brennen infolge
extraterrestrischer Strahlen, die aus den fliegenden Untertassen abgeschickt wurden. Mit ausgestreckten
Klauen trachten die Aliens den Menschen nach dem Leben. Den Menschen? Offensichtlich haben sie es
besonders auf blonde Damen abgesehen und wollen den wehrlosen Grazien an die Wäsche. Erst recht,
wenn diese knapp bekleidet, desaströs ohnmächtig und wie von Geisterhand in ihre Klauen fallen. Was
haben sie nur mit ihnen vor? Verspeisen oder für die Zeugung von Alien-Mensch-Hybriden missbrauchen? Oder beides gleichzeitig, in einem überweltlichen Akt der Reinkarnation? Das muss an dieser
Stelle unbeantwortet bleiben.
Klar ist jedoch, dass die weiße Frau ihre Karriere gnadenlos fortsetzt: in den Armen eines Roboters, in
den Armen eines Wasserwesens, in den Armen einer Riesenspinne. Und wenn das Monster mal keine
Greifarme hat? Nur wegen der kleinen Behinderung den Job an den Nagel hängen? Nicht doch! Dann
werden andere Methoden des »Transports« genutzt. So verschleppt die bunte Riesenmotte »Mothra« das
weibliche Geschöpf kurzerhand auf ihrem Rücken. Egal wie, Hauptsache erschreckte Frauen entführen
und die menschliche Rasse dem Untergang weihen. Job ist Job – auch wenn gerade mal keine Hand
frei ist.
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Ebenso vielfältig wie das Aussehen der weibergeilen Monstrositäten war auch das Erscheinungsbild der
Fay Wray-Verschnitte. Mal blond, mal brünett, mal rothaarig. Mal in akrobatischer Workout-Pose, mal in
sturer Backfischhaltung, mal elegant hingegossen. Je nach Zeitgeschmack und Fähigkeiten der Stylisten
White Woman In Trouble Seite 7
gab es diverse Auftritte der weißen Frau, immer kunstvoll in die jeweilige monströse Klaue hineindrapiert. Ein durchgängiges Merkmal blieb: das hauchdünne Negligé beziehungsweise irgendein
anderer knapper Fummel. Ohne eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung durchzuführen, kann
man mutmaßen, dass hier das männliche Geschlecht angesprochen werden sollte. Im Autokino der 50er
ging die Post ab. In der vagen Hoffnung, mit ihm einen romantisch zweisamen Kinoabend zu verleben,
der ebenso rosa war wie ihr Petticoat, blitzten vor ihren Augen stattdessen abscheuliche Bilder schreckenerregender Kreaturen auf, die dazu noch knapp bekleideten Mädchen auflauerten. Für ihn ein Film, der
all die Triebsäfte eines Mannes in Gang brachte, der dem testosterondeterminierten Klischee seiner Zeit
entsprach: »Frauen und Kinder zuerst! Rette die Welt! Töte das Tier!« Während die Partnerin an seiner
Seite ihr schmerzverzerrtes Gesicht in seiner Schulter vergrub und die Finger in sein Sakko krallte,
um ihre Nerven im Zaum zu halten, ließ er den Beschützerinstinkt walten, kaute lässig grinsend sein
Kaugummi und glitt sich mit dem Kamm durch die Elvis-Pomade. In stillem Dank an das Leinwandmonster, das seine Funktion als kuppelnder Komplize perfekt erfüllte.
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Vor diesem Szenario ist es nur konsequent, dass es in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft der
50er Jahre keine bestialischere Vorstellung gab, als die Umkehrung der weißen Frau. Was, wenn das
liebe Weibchen seinen angestammten Platz verlässt, Kindern, Küche und Kirche entflieht und größer
wird, als man es von ihr verlangt? Der Tagline zufolge ist das »The Most Grotesque Monstrosity
Of All«. In dem B-Film-Klassiker von 1958 »Attack Of The 50 Foot Woman« kommt eine Frau der
Affäre ihres Ehemanns auf die Schliche. Als sie im Verlauf des Films durch eine außerirdische Macht
zu unglaublicher Größe mutiert, sinnt sie auf Rache. Am Ende kann sie ihren Gatten der fremden Frau
entreißen. Nun gehört er wieder ihr ganz allein. Das Happy End? Von wegen! Darf es denn eine Frau
geben, die größer und mächtiger ist als ihr Ehemann? Niemals! Ein Stromschlag kommt dem Drehbuch
zu Hilfe und tötet die 20-Meter-Frau und mit ihr auch den zurückgewonnenen Ehemann. Er verstirbt in
ihrer überdimensionierten Handfläche ruhend.
Es gibt nur eine andere Ikone der Kulturgeschichte, in der ein Mann den Armen einer Frau ausgeliefert
ist: die Pietà. In der bildhauerischen Version von Michelangelo hält Maria den Leichnam des vom Kreuz
abgenommenen Jesus Christus in ihren Händen. Ein Bild der Demut und Hingabe, aber auch das Bild
einer innigen Verbindung. Ebenso wie das von King Kong und der weißen Frau, bevor es von den
B-Movies okkupiert und entführt wurde. Mit der exzentrischen »50 Foot Woman« schließt sich der Kreis.
Die weiße Frau wird selbst zum Monster, rächt sich und wird durch eine höhere Macht gerichtet. Das
Opfer – sonst gerettet und den Klauen des Monsters entrissen – es stirbt. Die innige Verbindung ist
gelöscht. Hier ist keine Hoffnung mehr für klassische Rollenaufteilung. Kein Retter in der Not, kein
Einsatz brillanter Technik, keine helfende Gemeinschaft. Das Happy End: Es ist nur möglich, wenn die
Frau klein bleibt. Eine große Frau muss sterben.
Allmählich verschwanden die weißen Frauen von der Leinwand. Und mit ihr verließen die zotteligen
Mega-Monster die Bühne. Schade, denn was sie waren, waren sie mit Würde: Karikaturen einer präfeministischen Welt. Heute gibt es sie nur noch als perfekte Remakes, und wir werden 50 Jahre warten
müssen, um die Klischees unserer Zeit zu outen. Mal schaun, ob auch eine weiße Frau dabei ist... (sh/ve)
Carsten Kuhoff ist 3D-Animator. Er animierte »Meister Proper«
und arbeitete an Filmsequenzen für »Nike«. In seinem reichhaltigen und nicht nur kommerziell geprägten Portfolio tummeln
sich viele Menschen, Tiere und auch Monster. Seit 1996 ist er im
Geschäft, seit 2005 in Berlin, und seit neuestem ist er selbständig.
Wer mehr wissen oder ein Wesen beauftragen will, muss hier hin:
www.creaturefarm.com. Für uns schreibt Carsten Kuhoff über einen
neuen Trend in der Welt des 3D-Modellierens, das »Sculpting«.
Wenn man über den Sinn von Monstern für unser tägliches Leben nachdenkt, fällt
einem herzlich wenig ein. Zuallerletzt vermutlich, dass wir sie überhaupt benötigen.
Tatsächlich ist der Bedarf an Monstern in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen.
Was zunächst komisch klingt, ist ein ganz alltägliches Phänomen und dazu noch ein
wirtschaftlich relevantes.
Die
Entwicklung der Monsterklasse
Waren es in den 50er und 60er Jahren vorwiegend B-Movies von Jack Arnold oder aus
den Hammer Studios, die den ersten Monsterboom hervorgerufen haben, sind es heutzutage Computerspiele, die den mutierten Wesen den Weg bereiten. Wenngleich jüngst
in »Cloverfield« erneut ein wirklich fieses Monster den Sprung auf die Kinoleinwand gewagt hat (und sich mal wieder an New York vergeht), kaum ein modernes Computerspiel
kommt heute ohne den personifizierten Schrecken aus. Monster und Aliens sind dank-
bare Gegner – jedes neue Fantasy- oder Science Fiction-Game gebiert gleich Dutzende
von ihnen. Je größer die Fortschritte der Computer- und Grafikkartenhersteller, desto
realistischer und schrecklicher das Äußere der meist feindlich gesinnten Kreaturen. Lange vorbei sind die Zeiten, als Monster lediglich zweidimensionale Sprites waren und man
sich den Schrecken dazudenken musste. Ein paar eckige Polygone mit verwaschenen
Texturen konnten einen nicht so recht das Fürchten lehren. Die Monster von heute sind
da anders. Sie sind muskelstrotzend und animalisch. Jede Sehne und Ader unter der
Haut ist deutlich zu erkennen. Jeder Zahn ist ausmodelliert und erscheint rasiermesserscharf. Rüstungen und Waffen schimmern und glänzen bis ins kleinste Detail.
Modelle mit einem derart hohen Detailreichtum waren bis vor wenigen Jahren lediglich der Oberliga amerikanischer Visual Effect Studios vorbehalten und waren auch dort
noch nicht im geringsten echtzeitfähig. Einzelne Bilder einer Effektsequenz wurden
auf Clustern von sündhaft teuren Workstations gerendert und nachträglich durch Com-
The Beauty Of The Beasts Seite 9
positing in die Realbilder eingefügt. Das hat sich mit der verfügbaren Technik immer
weiter verbessert. Haare und Kleidungssimulationen kamen hinzu, die realistische Deformation von Haut auf Muskeln und Knochen und in letzter Zeit auch verstärkt das
aufwendige Shading von Oberflächen. Die gerenderten Materialien beschränken sich
inzwischen nicht mehr auf Metall, Glas und Plastik. Auch Haut, Wachs oder Milch
werden durch das Subsurface Scattering nunmehr akkurat dargestellt. 50 Jahre Unterschied und eine Menge technischer Fortschritt machen deutlich: Die genial glibberige
Haut des tentakelbärtigen Davy Jones in »Fluch der Karibik«, das ist etwas anderes als
der aufgeklebte Pelz des »Monster On The Campus« im Arnold-Th riller von 1958.
Di
e mit den Monstern spielen
Auch wenn die Spiele-Industrie dem fi lmischen Realismusgrad noch hinterherhinkt, das
Verhältnis beginnt sich zu relativieren, wenn man bedenkt, dass der reine Detailgrad
der Spiel-Modelle schon fast dem von Filmmodellen entspricht. Dazu noch in Echtzeit.
Doch: Wie ist das technisch überhaupt möglich?
In den letzten drei Jahren sind Tools auf den Markt gekommen, die es ermöglichen, solche hoch detaillierten Modelle auf jedem halbwegs aktuellen Rechner herzustellen, und
das zu einem absolut vertretbaren Preis von nur wenigen hundert Dollar. »Zbrush« und
»Mudbox« sind die wichtigsten Vertreter dieser Gattung der 3D-Modeller (auch wenn
diese Bezeichnung nicht ganz richtig ist, aber dazu später).
Ein 3D-Modell zu erstellen bedeutete bis vor wenigen Jahren noch, aus einfachen
Grundformen oder durch das Zeichnen einzelner Polygone ein komplexes Gittermodell
aufzubauen. Das Modell sollte eine möglichst saubere Topologie aufweisen, der Linienverlauf der Polygonkanten sollte also gleichmäßig sein und geschlossene Loops aufweisen.
Zudem war es von Vorteil, nur 4-seitige Polygone zu verwenden. Auch heute ist das noch
einigermaßen wichtig, da 4-seitige Polygone topologisch am saubersten unterteilt werden und Oberflächen dadurch im Rendering perfekt geglättet erscheinen. Die Grundlagen der sauberen Modellierung sollte jeder 3D-Artist beherrschen.
das Objekt ausmodelliert werden – bei voller Interaktivität des Prozesses. Mit Leichtigkeit lässt sich das Modell drehen und verschieben. Um kleinere Bereiche zu modellieren,
zoomt man einfach näher an das Objekt heran.
Ein aufwendiges Modell konnte einen Modeller Tage und Wochen beschäftigen. Das
hat sich radikal geändert. Heute werden nicht mehr vorrangig Polygone an den einzelnen
Ecken in Form gezupft, heute wird mithilfe von »Zbrush« und »Mudbox« »gesculptet«.
»Sculpting« ist eine Mischung aus Malen und Kneten. Ein simples, gering aufgelöstes
Basismodell aus wenigen Polygonen wird in verschiedenen Schritten immer höher aufgeteilt; aus einem Polygon werden bei jeder Teilung vier. Die Form wird dadurch zunächst
aufgeweicht und erhält einen unscharfen Konturverlauf. Mithilfe von virtuellen Pinseln
wird dem nun aus Millionen von Micropolygonen bestehenden Modell die wahre Form
gegeben: Muskeln, Adern und Falten werden einfach auf das Modell gemalt. Ein Grafiktablett ist für diese Aufgabe unabdingbar. Bis hin zu den kleinsten Hauptporen kann
Michelangelos
Monster
Die neuartige und effektive Arbeitsweise hat die 3D-Szene revolutioniert und ein er-
staunliches Phänomen hervorgebracht: Die klassische Skulptur, zuvor bei jungen Künstlern nie wirklich en vogue, erlebt im virtuellen Raum eine Renaissance.
In speziellen Internetforen werden die Resultate zur Schau gestellt und gegenseitig kritisiert. Klassische Motive z.B. Michelangelos werden in einer Qualität nachempfunden,
die nicht mehr vom Original zu unterscheiden ist. Die Beschäftigung mit der Anatomie
wird mit einer Leichtfüßigkeit demonstriert, die ihresgleichen sucht. Immer beliebt –
The Beauty Of The Beasts Seite 11
Gloss ar
Sprites
Zweidimensionales Pixelbild oder Sequenz von Pixelbildern. In frühen Computerspielen wie z.B. »DOOM«
bewegte man sich zwar durch eine dreidimensionale Welt, Gegner wurden jedoch mittels Sprites dargestellt – fl ache Bildsequenzen, ähnlich dem Prinzip des klassischen Zeichentrickfi lms. Die Bewegung im
Raum wurde durch einfaches Skalieren der Sprites suggeriert – mit dem Nachteil, dass man aus der Nähe
die einzelnen Pixel gut erkennen konnte.
Cluster
Verbund von Rechnereinheiten. Wenn eine 3D-Sequenz gerendert wird, kann das mitunter viele Stunden
in Anspruch nehmen. Die Rechenlast kann jedoch auf mehrere Rechner aufgeteilt werden. Man spricht in
der Computergrafi k dann auch von »Renderfarmen«.
Rendern
Viele visuelle Komponenten, die ein 3D-Grafi ker erstellt, sind gegenwärtig noch nicht in Echtzeit darstellbar. Während der Arbeit begnügt sich der Grafi ker mit einer vereinfachten Darstellung der Szenerie, um
Interaktion zu gewährleisten. Sobald die Szene fi nal ist, wird jedes einzelne Bild der Sequenz berechnet,
»gerendert«. Streng genommen wird in Spielen die Echtzeitgrafi k auch Bild für Bild gerendert, jedoch mit
einer Bildrate, die (ähnlich dem Film) zu schnell ist, um vom menschlichen Auge als Einzelbildsequenz
ausgemacht zu werden.
Compositing
Das Zusammenfügen verschiedener Ebenen von Filmsequenzen bezeichnet man als Compositing. Ähnlich
dem Ebenensystem von z.B. Photoshop werden einzelne Elemente zu einem Gesamtbild zusammengefügt
(Hintergrund, Text, Fotos, Zeichnungen), jedoch im Gegensatz zur regulären Bildbearbeitung arbeitet
man mit Sequenzen und nicht nur einem einzelnen Bild.
Shading
Übersetzt bedeutet das so viel wie »Schattierung« – um einem gezeichneten Objekt Tiefe zu verleihen, wird
es mit Bleistiftstrichen schattiert. Das übernimmt in der 3D-Grafi k der Rechner. Nachdem ein Objekt
als Gittermodell erstellt wurde, wird ihm eine Materialeigenschaft (z.B. Metall, Glas, Holz) zugewiesen
und eine künstliche Lichtsituation geschaffen. Der Einfluss des Lichts im Zusammenspiel mit der Oberfl ächensimulation des Objekts ergibt das Shading.
Subsurface Scattering
Ein relativ neuer Algorithmus zur Darstellung komplexer, leicht durchscheinender Materialeigenschaften.
Ein solides Material wie Metall wirft das Licht direkt zurück. Weichere, durchscheinende Oberfl ächen
wie Haut und Wachs lassen den Lichtstrahl jedoch tiefer eindringen – durch die Zellen und Moleküle wird
das Licht im Material gebrochen. Dadurch erscheint der Rand dieser Oberflächen meist diff us und etwas
heller als der Kern.
Oben:
»Zbrush« bietet eine unkonventionelle aber revolutionäre Technik, Basisgeometrie zu erstellen: »Zspheres«.
Mithilfe dieser Kugeln kann man verzweigte, baumähnliche Strukturen auf bauen, die sich auf Knopfdruck
in eine Polygonhaut umwandeln lassen.
Unten:
Das Basismodell kann jederzeit weiter unterteilt werden, wenn die aktuelle Detailstufe für feinere Strukturen zu grob ist. Mit jeder Unterteilung vervierfacht sich die Menge der zur Verfügung stehenden Polygone
– einzig limitiert durch die Größe des Arbeitsspeichers.
und auch das ist eine Reminiszenz an die klassische Bildhauerei – der weibliche Körper,
in klassischer Pose oder als laszives Pin-up. Dass ausgerechnet die Computertechnik
einer als angestaubt geltenden Kunstrichtung neues Leben einhauchen kann, ist ebenso unerwartet wie unorthodox. Entsprechend undogmatisch ist der Umgang mit dem
»Sculpting«. Wettbewerbe im Speedmodelling sind keine Seltenheit mehr. Dazu geben
die Forenbetreiber ein Thema und einen knappen Zeitrahmen vor. Innerhalb weniger
Tage, oft Stunden, erscheinen Ergebnisse, die so akkurat und detailverliebt gearbeitet
sind, dass sie sich mit einigen Klassikern ohne weiteres messen können.
Nur sind es nicht alleine griechische oder römische Heldengestalten, auch sind es nicht
nur Säugetiere, Insekten oder Reptilien, die dargestellt werden. Vielfach sind es eben
Fantasiegestalten und Monster, die die virtuellen Fundgruben des kreativen Schaffens
bevölkern. Beim modernen »Sculpting« greift alles Hand in Hand: die Realitätsnähe,
der Enthusiasmus, die Schnelligkeit und die Wettbewerbssituation, die den Ehrgeiz he-
Loops
Ein 3D-Modell wird durch ein Netz von Polygonen dargestellt, dadurch sind verbundene Linienverläufe in
verschiedene Richtungen erkennbar. Da ein 3D-Objekt in der Regel geschlossen ist, können diese Linien
keinen Anfang und kein Ende haben. Saubere Loops ergeben sich, wenn man jeder dieser Linien folgen
kann, ohne einen Kreuzungspunkt zu fi nden, an dem mehr als vier Linien zusammenführen.
Grafi ktablett
Ein fl aches Eingabegerät, das zusätzlich zu Tastatur und Maus an den Computer angeschlossen wird und
in der Regel vor dem Anwender liegt. Mithilfe eines drahtlosen Spezialstifts steuert man nun alle Funktionen, die sonst die Maus übernimmt. Zeichnet man auf dem Tablett eine Linie, so erscheint sie proportional auf dem Bildschirm. Mittlerweile gibt es auch Grafi ktabletts mit eingebautem TFT-Monitor, die es
erlauben, direkt auf dem Bildschirm zu zeichnen.
rausfordert. Kein Wunder, dass die Unterhaltungsindustrie, insbesondere bei der Boombranche »Games«, ein besonderes Auge auf Talente wirft, die sich in den Foren tummeln.
Die Messlatte für Grafikqualität in Computerspielen liegt jedenfalls sehr hoch und wird
täglich höher gelegt. Es bleibt abzuwarten, ob demnächst auch die Lehranstalten der
Universitäten die digitale Skulptur auf den Lehrplan setzen. Grund genug dafür gäbe es
jedenfalls. (ck)
Linktipps:
www.creaturefarm.com – Die Website von Carsten Kuhoff
www.pixologic.com – Die Macher von Zbrush
www.mudbox3d.com – Ein weiteres Sculpting-Tool
Seite 12 Street Art
Bei einem harmlosen Spaziergang durch die Straßen der Großstadt lauern sie überall: furchteinflößende Fabelwesen bevölkern
eine Mauer, überdimensionale, kryptische Buchstabengebilde überwuchern eine triste Tunnelwand und niedliche, bunte MiniMonster fallen über einen wehrlosen Stromkasten in Einheitsgrau her. Künstler der Graffiti- und Street Art-Szene haben das
Straßenbild unserer Großstädte in den letzten Jahren maßgeblich geprägt. Zeit für eine kleine Reise durch ihre Welt.
Die Wurzeln der Street Art bzw. des Graffitis liegen weit in der Vergangenheit: Schon die Bewohner der römischen Antike teilten ihre Gedanken der Öffentlichkeit mit, indem sie diese in Wort
und Bild in Wände und Mauern kratzten. Auch im weiteren Verlauf der Geschichte finden sich
in den unterschiedlichsten Epochen immer wieder zahlreiche Beispiele für Graffiti-Vorläufer. So
gelangte Josef Kyselak, ein unbekannter Registraturbeamter der österreichischen Monarchie, zu
lokaler Bekanntheit, da er aufgrund einer verlorenen Wette an allen möglichen Stellen sein Namenskürzel »i.KYSELAK« hinterließ. Dieses Kürzel wurde von Nachahmern oft kopiert und findet
sich bis heute noch an einigen Stellen in Österreich. Auch im deutschen Reichstag finden sich
Graffitis, die russische Soldaten während des 2. Weltkrieges hinterließen. Diese wurden von der
deutschen Regierung sogar als Geschichtszeugnis unter Denkmalschutz gestellt. Das Hinterlassen
von Botschaften und Gedanken, und sei es bloß das Verewigen seines eigenen Namens, hat also
eine sehr lange Tradition.
Das Graffiti-Writing, wie wir es kennen, entstand in den sechziger Jahren in den USA: In Philadelphia, später dann auch in New York, begannen Jugendliche zur Markierung ihrer Territorien ihre
Spitznamen an die Wände der Nachbarschaft zu schreiben. Schon bald tauchte der Schriftzug
»TAKI 138« überall im New Yorker Stadtbild auf. Dieses Kürzel stand für einen Jugendlichen, der
als Kurier arbeitete und auf seinen Fahrten durch alle Stadtbezirke seinen Namen hinterließ. Durch
seine Allgegenwärtigkeit gelangte er zu einem sagenhaften Bekanntheitsgrad und als 1971 die
»New York Times« über ihn berichtete, steigerte das seinen Ruhm noch einmal enorm. Die Kids
waren beeindruckt und bald fanden sich immer mehr Nachahmer, die begannen, alle erdenklichen
Stellen mit ihren eigenen Schriftzügen zu »taggen«: Häuserwände, U-Bahn-Stationen und -Züge.
So füllten sich die freien Flächen und Wände immer mehr und es wurde für den »Writer« notwendig, einen unverkennbar eigenen Stil zu entwickeln, um sich so von den anderen abzuheben. Durch
Experimente mit Zeichen, Farben und Formen entstand der unverkennbare »Style« des Sprühers.
Aufgrund des andauernden Konkurrenzkampfes der Sprayer wurden die sogenannten »Pieces« immer größer und komplexer und die Stellen, an denen sie auftauchten, immer unzugänglicher und
riskanter zu erreichen. Diese Entwicklung gipfelte 1975 in dem ersten auf einer Seite komplett besprühten Subway-Waggon – einem »Top-to-Bottom Whole Car«. Ab 1980 schwappte die GraffitiWelle, angeheizt durch Filme wie »Beat Street« oder »Wild Style», nach Europa und fand auch dort
zahlreiche Anhänger. Besonders in Berlin gibt es durch die unzähligen Graffitis an der ehemaligen
Berliner Mauer eine lange Tradition.
Street Art Seite 13
Bilder von oben links nach unten rechts:
Graffiti an einer Mauer und an einem Zug (beides Köln),
Tags (Amsterdam), Graffiti an einer Mauer (Bremen),
Graffiti an einer Hausfassade (Hamburg)
Nichtsdestotrotz gilt illegales Graffiti als Vandalismus und Sachbeschädigung. Die Polizei greift
inzwischen mit hochgerüsteten Spezialkommandos hart durch und die überführten Täter müssen
laut Gesetz ihre »Schmierereien« selbst entfernen oder, was meist der Fall ist, die Kosten für die
Beseitigung begleichen. Je nachdem, was dem Sprayer nachgewiesen werden kann, können sich
diese schon mal auf mehrere Tausend Euro belaufen. Was macht das Sprayen dennoch so attraktiv, dass Jugendliche mitten in der Nacht mit enormem Eifer und unter großem Risiko zahllose
U-Bahn-Züge, Häuserwände und Unterführungen umgestalten? Eine Studie der Uni Potsdam* hat
herausgefunden, dass beim illegalen Graffiti nicht vordergründig die Freude an aggressiver Provokation und Rebellion steht, sondern dass die gleichen Anreizmechanismen wie beim Risikosport
wirken: Leistung, Flow (das völlige Aufgehen in einer Tätigkeit) und Grenzerfahrung. Hinzu kommt
beim Sprayen noch die Kreativität. In einer Ausnahmesituation besiegt der Sprüher seine Angst
und trägt seine Gedanken und Ideen als bleibende Strukturen in die Außenwelt. Er nimmt Einfluss
auf das sonst so geordnete Erscheinungsbild seiner Stadt, besetzt Raum und gestaltet diesen nach
seinen Vorlieben um. Ein zusätzlicher Anreiz ist sicherlich auch die Anerkennung (»Fame«) anderer
Sprayer für seine Kunst. Denn Insider erkennen, dass zu einem besonders aufwendigen, gelungenen oder schwer auszuführenden Piece eine Menge Planung, Erfahrung und auch Durchhaltevermögen gehört. Ein Sprayer, der sich kontinuierlich weiterentwickelt, an seinem Style arbeitet und
seine Kunst perfektioniert, erfährt besondere Wertschätzung von Gleichgesinnten.
Doch außerhalb der Graffiti-Szene herrscht Unverständnis für diese Kunst. Die abstrakten, referenzlosen Zahlen- und Buchstabengebilde sind schwer zu entschlüsseln und werden von den meisten Menschen als Schmiererei wahrgenommen. So verwundert es nicht, dass Künstler, die es zu
internationalem Ansehen gebracht haben, sich eher dem Bereich der Street Art als dem Graffiti
zuordnen lassen. Künstler wie BLU, Banksy oder Os Gemeos transportieren ihre Botschaften mit
einer global verständlichen Bild- und Formensprache. Ihre Welten bevölkern Armeen von Ratten,
surreale menschenähnliche Monster und bunt gemusterte Fantasie-Wesen. Durch den Einsatz von
Charakteren und Symbolen sucht die Street Art im Gegensatz zum Graffiti den Dialog mit einem
öffentlichen Publikum. Sie möchte Aufmerksamkeit erregen und unterhalten, manchmal auch zum
Nachdenken anregen und bestehende Missstände kritisieren. Ihre persönlichen, politischen oder
philosophischen Botschaften bringen die Künstler mit den unterschiedlichsten künstlerischen
Ausdrucksformen an die Öffentlichkeit: von klassischen Plakaten in Serie geklebt, aufwendigen
mehrfarbigen Schablonen-Graffiti, umgestalteten Paket-Stickern der Deutschen Post, lebensgroßen Installationen bis hin zum »Reverse Graffiti« (dabei wird vom Künstler eine verschmutzte Wand
partiell mit Luftdruck oder Reinigungsmitteln gesäubert und so eine Botschaft übermittelt). Den
Ideen der Künstler sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Die Stadt erzählt ihre eigenen Geschichten
und wird so zu einem riesigen Open Air Ausstellungsraum.
* Falko Rheinberg, Yvette Manig: Was macht Spaß am Graffiti-Sprayen? Eine induktive Anreizanalyse. In: Institut für Psychologie der Universität Potsdam. 2003
Seite 14 Street Art
Obwohl Street Art durchaus in weiten Teilen der Gesellschaft anerkannt und akzeptiert ist, ist sie
genau wie das Graffiti, ein illegaler künstlerischer Eingriff in den öffentlichen Raum. Für Street
Art-Künstler liegt genau darin das kreative Potenzial: Erst durch Beschädigung und Zerstörung
ist es möglich, die Zeichen der Stadt umzudeuten und Neues zu erschaffen. Ihre ästhetischen
Prinzipien heben sich dabei deutlich von den, die Städte dominierenden, glatten Einheitsfassaden
und perfekten Werbewelten ab: Bröckelnder Putz, verwitterte Mauern, übereinander geklebte
und abgerissene Plakate dienen der Street Art als perfekter Untergrund. Durch ihren mal mehr,
mal weniger aggressiven Eingriff in den öffentlichen Raum stellen die Künstler grundsätzlich die
Machtverhältnisse im urbanen Raum infrage. Es geht ihnen darum, sich die, durch global agierende
Handelsketten und uninspirierte Stadtplanung, visuell und kulturell immer mehr ähnelnden Stadträume wieder anzueignen, sie individuell zu gestalten und den öffentlichen Raum als einen Ort der
Kommunikation ihrer Bewohner zurückzuerobern. Die Street Art sieht sich durchaus als konsumund kapitalismuskritische Bewegung: Wenn Marken sich das Recht erkaufen, jedem Menschen
ungefragt ihre Botschaften im öffentlichen Raum aufzudrängen, dann sollte auch jeder das Recht
haben, sich diese nach seinen Vorstellungen umzugestalten. So werden z.B. beim »Visual Kidnapping« von Street Art-Künstlern die Models aus überdimensionalen Werbeplakaten ausgeschnitten
und eine Entführung samt Lösegeldforderung inszeniert. Durch diese und ähnliche Aktionen protestieren die Künstler gegen die Überflutung unserer Lebenswelt mit kommerziellen Bildern.
In der Konsum- und Markenkritik der Street Art liegt aber ein großer Widerspruch: Die geschaffenen Bilder und Symbole werden in unglaublicher Masse reproduziert, in öffentlichkeitswirksamen Kampagnen verbreitet und so entwickeln sich die Werke der Street Art-Künstler schließlich
selbst zu Marken mit hohem Wiedererkennungswert. Ein gutes Beispiel hierfür ist die »Andre The
Giant Has A Posse« Kampagne von Shepard Fairey: Dieser druckte und verbreitete seit 1998 mehr
als zehntausend Sticker mit dem Konterfei des bekannten Wrestlers »Andre The Giant« (später mit
dem Zusatz »OBEY«) in allen Metropolen der USA. Schnell fanden sich immer mehr Anhänger und
»OBEY Giant«-Sticker, -Stencils und -Plakate tauchten nach und nach überall auf der Welt auf. Solch
eine Art der Kommunikation ist natürlich auch sehr interessant für die Produkt- und Imagewerbung
großer Konzerne. Jeder Markenstratege träumt davon, dass begeisterte Konsumenten praktisch
die Reklame für ihr Lieblingsprodukt übernehmen, eine Kampagne zum Selbstläufer wird und sich
die Bekanntheit und der Absatz wie von allein steigert. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die
Werbung sich die Techniken und Kommunikationsweisen der Street Art-Szene im sogenannten
»Guerilla-Marketing« zunutze macht. Ausstellungen werden von großen Firmen gesponsert, Filme
und Platten mit »illegalen« Stickern und Plakaten beworben und Stencil-Graffitis halten auf Werbeplakaten Einzug. Marken nutzen so die Aura der Unabhängigkeit, Individualität und Kreativität
der Subkultur, um ihr Image positiv aufzuladen, junge urbane Zielgruppen anzusprechen und ihre
Produkte zu verkaufen.
Bei den Künstlern stößt dieses übergriffige Verhalten zunehmend auf Widerstand. Viele möchten
ihren Stil nicht inflationär für fragwürdige kommerzielle Zwecke kopiert sehen und kämpfen dagegen an, indem sie Marketinganfragen generell ignorieren oder nur für, nach ihrem Ermessen,
korrekte Projekte kleinerer, der Szene nahe stehender Firmen arbeiten. Allerdings sehen einige
Künstler die Angebote auch als Chance und nutzen diese. So gründete Shepard Fairey beflügelt
durch den ungeheuren Erfolg seiner »OBEY Giant« Kampagne ein eigenes Designstudio und arbeitete für Firmen wie Pepsi. Außerdem entwirft er Plattencover (z.B. für »The Black Eyed Peas«
und »Smashing Pumpkins«), gestaltet Poster und Bücher, gibt eine eigene Zeitschrift heraus und
vertreibt mit seinem Label »Obey Clothing« mit großem Erfolg Streetwear-Kleidung. Aktuell unterstützt er den Wahlkampf des Präsidentschaftskandidaten Barack Obama mit einer Plakat-Aktion.
Jedoch bewegen sich Firmen, die nicht in der Street Art verwurzelt sind, mit dem Einsatz von
Street Art-Techniken am Rand der Glaubwürdigkeit. Denn die Kunst der Straße ist nach wie vor
eine subkulturelle Ausdrucksform und Menschen, die sich mit ihr beschäftigen erkennen genau, ob
diese bloß für kommerzielle Zwecke instrumentalisiert wurde und die Authentizität des so beworbenen Produktes fehlt.
Abschließend bleibt zu sagen, dass die Kunst auf der Straße trotz aller Widersprüchlichkeiten und
Mainstream-Einflüsse die Ausdrucksform einer sehr lebendigen Subkultur bleiben wird. Wie in
der Vergangenheit so werden auch in Zukunft Menschen mit ihrem kreativen Output ihre Umwelt
– die Straßen, U-Bahn-Unterführungen und Hinterhöfe – umgestalten und somit Einfluss auf die
öffentliche Wahrnehmung nehmen. Im besten Fall bringen sie uns rastlose Passanten dazu, einen
Moment der Betrachtung zu investieren, unsere Fantasie auf die Reise zu schicken und so unseren
Horizont ein klein wenig zu erweitern. (de)
Bilder von oben links nach unten rechts:
»Farbinsekten« auf einer Schaufensterscheibe, »Farbklecks-Monster«,
Schablonen-Graffiti, bemaltes CutOutPoster, »Boycott-Stencil« (alles Hamburg),
beklebtes Poster (Jena)
Zahnfleisch (st)
Seite 16
Seite 16 Horrorskop | Gitterrätsel: Die Auflösung | Schnippel-Test: Die Auswertung
Herrn Gittermanns Gitterrätsel - Die Auflösung
(ve/sh)
Auch wenn das Rätsel einigen unlösbar erschien, gab es doch E-Mails mit dem korrekten
Lösungswort. Das Buch von Sebastian Conran hat Herr Quenzler gewonnen. Wir gratulieren.
Das Lösungswort lautete: Wurstfabrik
WIDDER, 21.3 - 20.4.
Okay. Sie haben hässliche Hörner. Aber ist das ein Grund, sich grün zu ärgern und
einen Flunsch zu ziehen? Ein ordentliches Monster zeigt Durchsetzungskraft! Also
setzen Sie Ihre Krummsäbel endlich ein und räumen Sie Ihre Feinde aus dem Weg!
STIER, 21.4. - 20.5.
Monster wie Sie enden normalerweise als Tellergericht mit Pfeffersoße. Lassen Sie
es nicht so weit kommen. Walzen Sie alle nieder, die Sie schlachten wollen. Wenn
das nicht hinhaut: Es gibt ja noch Kräuterbutter, Sauce béarnaise, Barbecuesoße...
ZWILLINGE, 21.5. - 20.6.
Schon schlimm, einen Zwilling zu haben! Da hilft nur der Griff zum Messer und
ein klarer Schnitt. Gehen Sie lieber eigene Wege. Geteilte Freude ist doppelte
Freude und mit halbem Hirn lebt es sich in dieser verrückten Welt sowieso leichter.
KREBS, 21.6. - 20.7.
Lassen Sie mal das Jammern bleiben! Edward mit den Scherenhänden wäre
neidisch auf Ihre Werkzeuge. Sie haben die Wahl: Selbstmitleid auf hohem Niveau
oder ein mutiger Sprung in den siedenden Kochtopf.
..
LOWE, 21.7. - 20.8.
Große Mähne, nix dahinter. Können Sie auch noch was anderes, als wehrlose Antilopen zu zerfetzen? Sehen Sie der Tatsache ins Gesicht: Was Sie am besten können
ist Fressen. Tun andere auch. Aber die essen wenigsten mit Messer und Gabel.
JUNGFRAU, 21.8. - 20.9.
Der große Schnippel-Test: Die Auswertung
Wer ohne Unterkörper klar kommt, muss sich nicht wundern, noch Jungfrau zu sein.
Andererseits: Hut ab! Nicht jeder kommt damit so weit wie Sie. Vergessen Sie die
Transplantation und bleiben Sie wie Sie sind. Das Mitleid ist Ihnen gewiss!
Zählen Sie die Antworten aus. Sofern ein Buchstabe überwiegt, sind Sie ein reinrassiger Typ. Gleich viele Buchstaben zweier Kategorien machen Sie zum Mischtypen. Alle Antworten gemischt, bedeutet, dass Sie geschummelt haben.
WAAGE, 21.9. - 20.10.
Ihre feinsinnigen Gleichgewichtsstörungen nerven! Warum werfen Sie nicht mal
etwas wirklich Aufregendes in Ihre Schalen? Zu empfehlen: Blamagen in der Öffentlichkeit! Denn allen außer Ihnen ist Ihre Wirkung sowieso schnuppe.
Typ
Die OP-geile Schnipplerin
Ein Skalpell löst in Ihrem Stammhirn einen erotischen Impuls aus. Sie gehen
aufs Ganze und Ihre Haut ist nur ein Experimentierfeld für höhere Ziele.
Bei allem, was Sie machen (lassen), haben Sie die totale Ebene vor Augen!
Sie lassen sich nichts einreden und verfolgen konsequent Ihren Weg. Wir
werden den Teufel tun, Ihnen das auszureden. Bitte schicken Sie uns von
Zeit zu Zeit ein Foto der Zwischenergebnisse!
SKORPION, 21.10. - 20.11.
Nichts ist jämmerlicher als ein todbringendes Tier mit Depressionen! Wozu haben Sie
denn Ihren Stachel!? Riskieren Sie einen Stich, bevor Ihre unheimliche Aura ganz den
Bach runter geht. Sie werden sehen, wie heilsam ein Erfolgserlebnis sein kann!
..
SCHUTZE, 21.11. - 20.12.
Ihre Treffsicherheit war auch schon mal besser. Getrübter Blick und unsicherer
Stand lassen Sie kleinkariert erscheinen. Mann, Sie haben einen Ruf zu verlieren!
Gehen Sie mal einen über den Durst trinken. Das hilft gegen das Zittern!
Typ
Die chemiehörige Schluckerin
Sie glauben voll und ganz an die Versprechen der Chemie. Ein bisschen
Botox hier, ein wenig Collagen dort. Ihre Muse ist Lancôme, Ihr Gott ist
BASF. »Viel hilft viel« ist Ihr Motto. Das ist schön und gut, solange Sie unterscheiden lernen, was äußerlich und innerlich anzuwenden ist. Bevor Sie
sich also den Goldenen Botox-Schuss setzen, denken Sie immer daran: Wir
haben Sie gewarnt!
STEINBOCK, 21.12. - 20.1.
Schade, dass Sie immer den Reinhold Messner spielen müssen. Steigen Sie endlich
von Ihrem hohen Gipfel herab. Vielleicht stellen Sie dann mal fest, wie dick die Luft
hier unten wirklich ist. Mal schaun, wie Ihnen das bekommt!
WASSERMANN, 21.1. - 20.2.
Auch ein noch so guter Schwimmer geht irgendwann einmal unter. Ihr Untergang
hat aber auch seine guten Seiten: Sie ernähren die vielen kleinen Micromonster am
Meeresgrund und verewigen sich im unendlichen Kreislauf des Lebens.
FISCHE, 21.2. - 20.3.
Auch wenn man unangenehm riecht, kann man sich sozial einbringen. Also raus aus
den dreckigen Gewässern und rein ins Vergnügen. Muten Sie den anderen Ihren
Gestank ruhig zu und denken Sie dran: Auch andere Monster haben ihre Probleme!
Impressum
Herausgeber
Chefredakteur Redaktion
Gastautor:
Verbreitung
Druck
n-coding Designlabor | Volker Elsen
Volker Elsen (ve)
Daniela Elflein (de), Sandra Koberstein (sk),
Stephan Hilpert (sh), Stephan Tyziak (st)
Carsten Kuhoff (ck)
2. Quartal 2008
Industrie- und Werbedruck, Herford
Credits
Rechtl. Hinweise
Typ
Das feige Aschenputtel
Ihre Political Correctness ist blanker Selbstbetrug. Glauben Sie wirklich,
dass Sie mit einem Miederhöschen und ein paar gezupften Oberlippenhärchen Germany’s Next Topmodel werden? Greifen Sie bei der nächsten
Gelegenheit mal zum Spiegel statt zum Esoterik-Handbuch. Sie werden feststellen, dass Ihr Körper Sie vor viele Herausforderungen stellt. Wie Sie das
Problemchen lösen? Sicher nicht mit Ihrem rosa Wölkchen.
Wir danken Carsten Kuhoff (»The Beauty Of The Beasts«), San (»San«) und Till Oyen (»Street Art«) für ihre Bildbeiträge und Unterstützung.
Alle Artworks und sonstige Fotos soweit nicht
anders angegeben: n-coding
Abdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung von n-coding. Für unverlangt einge-
sandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.
V.i.S.d.P.: Volker Elsen
Adresse
n-coding Designlabor
Schildern 15
33098 Paderborn
Tel.: 05251-184747
E-Mail: [email protected]
Internet: www.n-coding.com

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