Sozialgeschichte – Ein Arbeitsheft für die Schule, Band II

Transcrição

Sozialgeschichte – Ein Arbeitsheft für die Schule, Band II
Sozialgeschichte
Ein ArbEitshEft für diE schulE
Band II: 1945 bis heute
Besatzungszeit und Gründung zweier Staaten – DDR: Sozialpolitik
im Sozialismus – BRD: Wirtschaftswunder und Sozialstaat
Grenzen des Sozialstaats – Wiedervereinigtes Deutschland
Reformen sichern die Zukunft – Sozialpolitik im Zeichen der Globalisierung
Situation der Frau 1945 bis heute – Zu- und Auswanderung
www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte
Inhalt
Einführung
Sozialgeschichte im Unterricht
Seite
3
Kapitel1:1945bis1949
Besatzungszeit und Gründung zweier deutscher Staaten
4 bis 9
Kapitel2:1949bis1990
DDR: Sozialpolitik im Sozialismus
10 bis 13
Kapitel3:1949bis1973
BRD: Wirtschaftswunder und Sozialstaat
14 bis 17
Kapitel4:1974bis1989
Grenzen des Sozialstaats
18 bis 21
Kapitel5:1990bis1998
Wiedervereinigtes Deutschland
22 bis 25
Kapitel6:1998bis2005
Reformen sichern die Zukunft
26 bis 30
Kapitel7:2005bisheute
Sozialpolitik im Zeichen der Globalisierung
31 bis 37
Kapitel8:SituationderFrau1945bisheute
Auf dem Weg zur Gleichberechtigung
38 bis 41
Kapitel9:Zu-undAuswanderung
Deutschland – ein Land der Zu- und Auswanderer
42 bis 45
Arbeitsblätter
Aufgaben zu den Kapiteln 1 bis 9
46 bis 54
Lösungen
Antworten zu den Arbeitsblättern
55 bis 58
Das vorliegende Schülerheft „Sozialgeschichte Band II“ ist ein Begleitheft zur
Dauerausstellung „In die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen
Sozialgeschichte“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in der Wilhelmstraße 49 in Berlin.
Unter www.in-die-zukunft-gedacht.de gibt es weitere Informationen. Bei
www.bmas.de können auch die kostenlosen Publikationen zur Ausstellung
bestellt werden (Rubrik „Service > Publikationen“, Suchwort: Sozialgeschichte).
Grundlagentexte und Arbeitsblätter der Reihe „Sozialgeschichte“ sind kostenlos
abrufbar auf den Internetseiten des Medienpakets „Sozialpolitik“ unter
www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte.
Weitere Hintergrundinformationen zu aktuellen sozialpolitischen Themen
und Arbeitsmaterialien für den Unterricht sind in den Bereichen „Wissen“ und
„Materialien“ zu finden.
Zur leichteren Lesbarkeit wurde meist die männliche Schreibweise gewählt.
Angesprochen sind natürlich immer Leserinnen und Leser!
Impressum
Herausgeber: Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Verlag: Universum Kommunikation und Medien AG, Wiesbaden
Redaktion: Florian Faderl, Frauke Hagemann (verantwortlich), Katja Rieger
Bearbeitung der Texte: Christian Becker, Hildesheim, Stefanie Pietzsch, Wiesbaden
Die für diese Ausgabe bearbeiteten Texte, Statistiken und Quellen zur Sozialgeschichte stammen vorwiegend aus dem
Ausstellungskatalog „In die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“ des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales, Bonn 2008 – Umsetzung: Hansen Kommunikation Collier GmbH, Köln.
Fotos: AKG-Images (Titel, Seite 4, 14, 22, 42), Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz (Seite 38, 40), getty images (Seite 31),
Keystone (Seite 44), Reuters (Seite 24), SV-Bilderdienst (Seite 8), Ullstein-Bild (Seite 6, 10, 16, 18, 20, 26, 39)
Gestaltung: FREIsign GmbH, Eppstein
Druck: Bonifatius Druck, Paderborn
Barrierefreie PDF-Datei: Verlagsgesellschaft W. E. Weinmann, Filderstadt
Stand: März 2014
Einführung
Sozialgeschichte im Unterricht
Das deutsche Sozialversicherungssystem, wie wir es
heute kennen, hat sich über einen langen Zeitraum entwickelt. Das vorliegende Arbeitsheft vermittelt anhand
historischer Ereignisse die stete Bedeutung der Sozialpolitik für die Gesellschaft und liefert einen Überblick über die
sozialpolitischen Veränderungen in Deutschland und die
globalen Einflüsse. Aufbauend auf dem bereits veröffentlichten Arbeitsheft Band I „Sozialgeschichte – Vom späten
Mittelalter bis zum Zweiten Weltkrieg“ setzt diese Ausgabe in der deutschen Besatzungszeit ab 1945 ein. Von
der Gründung der der Bundesrepublik Deutschland (BRD)
und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), über
die deutsche Wiedervereinigung in den Jahren 1989/90 bis
hin zur Gegenwart bietet das Arbeitsheft sozialgeschichtliche Informationen für den Schulunterricht.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 ist das
System der sozialen Sicherung zerschlagen. Pläne über
eine Wiedereinführung in ganz Deutschland scheitern
aufgrund unterschiedlicher Auffassungen der Siegermächte. Einzig in Berlin gelingt es, eine einheitliche Versicherung für alle vier Besatzungszonen zu etablieren.
Der Ost-West-Konflikt spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Ausgestaltung der Sozialpolitik in den
einzelnen Zonen des Landes wider. Die sowjetische Militärregierung setzt eine zentral gelenkte Einheitsversicherung für die Kranken-, Renten- und Unfallversicherung durch. Der Westen stützt sich hingegen auf das
traditionelle gegliederte System mit den verschiedenen
Zweigen der Sozialversicherung aus dem 19. Jahrhundert. Rund vier Jahre nach Kriegsende entstehen die
Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die Deutsche
Demokratische Republik (DDR). In der DDR übernimmt
die Sozialistische Einheitspartei (SED) die sozialpolitische Entscheidungsgewalt. Erst mit der deutschen Wiedervereinigung entsteht ein gesamtdeutscher Sozialstaat, der bis zur heutigen Zeit Bestand hat, sich jedoch
auch den globalen Herausforderungen vor allem in der
Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt stellen muss.
Über dieses Arbeitsheft
Das Arbeitsheft „Sozialgeschichte“ eignet sich vor allem
für den Einsatz in den Klassen 7 bis 10 an allgemeinbildenden Schulen und ergänzt die Dauerausstellung „In
die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“ des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales in der Wilhelmstraße 49 in Berlin.
Besonders Schulklassen sind in der kostenlosen Ausstellung willkommen (weitere Informationen zur Ausstellung siehe Rückumschlag).
Wenn ein Ausstellungsbesuch geplant ist, kann das
Arbeitsheft im Unterricht zur Vor- oder Nachbereitung
eingesetzt werden. Die Schülerinnen und Schüler können das Arbeitsheft mit in die Ausstellung nehmen und
vor Ort die Arbeitsblätter ausfüllen. Die Ausstellung
selbst beziehungsweise der Ausstellungskatalog enthält
alle weiterführenden Hinweise und Informationen zur
Vertiefung der sozialgeschichtlichen Themen.
Durch die umfangreichen Text- und Bildmaterialien
kann das Arbeitsheft auch unabhängig von einem Ausstellungsbesuch im Unterricht eingesetzt werden. Es
eignet sich vor allem für den Einsatz in den Fächern
Geschichte, Wirtschaft und Politik. Es kann aber auch –
beispielsweise im Hinblick auf das der Sozialpolitik zu
Grunde liegende Menschenbild – im Religions- und Philosophieunterricht verwendet werden. Die verschiedenen Ansatzpunkte ermöglichen somit einen fachübergreifenden Einsatz des Angebots.
Die Kapitel des Arbeitsheftes orientieren sich an den
Zeiträumen der politischen Geschichte von 1945 bis in
die Gegenwart. Zwei Themen werden in diesem Heft besonders in den Fokus gerückt: die Situation der Frauen
ab 1945 sowie die Aus- und Zuwanderungsbewegungen
von und nach Deutschland vom 19. Jahrhundert bis in
die heutige Zeit. Zu jedem Kapitel gibt es ein Arbeitsblatt, mit dem die Schülerinnen und Schüler die Inhalte
der Ausstellung und die Kapiteltexte selbstständig erarbeiten können.
Aktuelle Arbeitsmaterialien
bei „Sozialpolitik“
Die Grundlagentexte und Arbeitsblätter der Reihe
„Sozialgeschichte“ können kostenlos auf der Internetseite www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte abgerufen werden. Weitere Hintergrundinformationen zu
aktuellen sozialpolitischen Themen und Arbeitsmaterialien für den Unterricht sind in den Bereichen „Wissen“
und „Materialien“ zu finden.
Das Medienpaket „Sozialpolitik“, bestehend aus Schülerheft, Arbeitsheften, Lehrerinformation, Foliensatz
und Internetplattform, wird von der Stiftung Jugend
und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales erstellt. Schulen können
die Schülerhefte in Klassensätzen kostenlos beziehen
(Bestelladresse und weitere Informationen siehe Rückumschlag).
3
Kapitel1:1945bis1949
Besatzungszeit und Gründung
zweier deutscher Staaten
Das Jahr 1945 – die „Stunde null“
Deutschland ist militärisch, politisch und wirtschaftlich
am Ende, woraufhin die deutsche Wehrmacht am 8. Mai
1945 den Kampf aufgibt und bedingungslos kapituliert.
Einen funktionierenden deutschen Staat gibt es nicht
mehr. Die verbündeten Großmächte (Alliierten) USA,
Großbritannien, Sowjetunion und Frankreich übernehmen am 5. Juni 1945 die oberste Regierungsgewalt. Sie
teilen Deutschland und die Hauptstadt Berlin in vier
Besatzungszonen auf, die jeweils von amerikanischen,
britischen, sowjetischen und französischen Truppen
besetzt werden.
In mehreren Konferenzen treffen die Alliierten Entscheidungen über eine Nachkriegsordnung für Europa
und Deutschland, über Reparationsleistungen (Kriegsentschädigungen) und den Abbau wichtiger Industrieanlagen, zum Beispiel im Ruhrgebiet. Im August 1945
übernimmt der Alliierte Kontrollrat die gemeinsame
Zonenverwaltung.
Die Situation der deutschen Bevölkerung ist katastrophal. Viele deutsche Städte liegen in Schutt und Asche.
Erwachsene und Kinder leiden unter den Folgen des
Nationalsozialismus und des Krieges. Hunger, materielle Not, Energieknappheit und Wohnungsnot prägen
das Bild der Zeit. Für die Sozialpolitik sind die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Kleidung,
Wohnraum und Energie sowie die Eingliederung der
Flüchtlinge, Kriegsheimkehrer und Kriegsinvaliden die
bedeutendsten Aufgaben.
Konferenz der „großen Drei“ in Potsdam
Am 17. Juli 1945 treffen sich der amerikanische Präsident Harry S. Truman, der sowjetische Regierungschef Josef Stalin und der britische Regierungschef Winston Churchill zu einer Konferenz in Potsdam. Am
2. August 1945 vereinbaren die Alliierten im „Potsdamer
Protokoll“, dass die deutsche Bevölkerung in allen Besatzungszonen gleich behandelt und Deutschland als
wirtschaftliche Einheit angesehen werden soll.
die „großen drei“ – churchill, truman und stalin auf der Potsdamer Konferenz im Jahr 1945. bild: fotografie, 1945.
4
Als wichtige Ziele der gemeinsamen Besatzungspolitik
formulieren sie die vier „D“:
• Demilitarisierung und Abrüstung – das heißt die
Auflösung aller bewaffneten Verbände und militärischen Kriegervereine sowie die Schließung der Industriebetriebe für Kriegsproduktionen,
Im März 1946 beschwört Winston Churchill in einer
Rede das Bild vom „Eisernen Vorhang“, der von Stettin
bis Triest über Europa niedergegangen sei.1 Mehr als vier
Jahrzehnte wird der Kalte Krieg die Politik beherrschen.
Kurz gefasst: politische begriffe
• Denazifizierung – das heißt die Auflösung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP),
die Aufhebung nationalsozialistischer Gesetze, die
Verurteilung der Kriegsverbrecher und die Entfernung von Nationalsozialisten aus öffentlichen Ämtern beziehungsweise verantwortlichen Posten der
Privatwirtschaft,
• demokratie(Volksherrschaft):Staatsform,beiderdas
VolkseineRegierungwählt
• Demokratisierung – das heißt die Umgestaltung des
politischen Lebens auf demokratischer Grundlage,
die Zulassung aller demokratischen Parteien sowie
die demokratische Erneuerung des Bildungs- und des
Gerichtswesens,
• Kapitalismus:Wirtschafts-undGesellschaftsordnung,
inderdasKapital(Vermögen)privatenUnternehmern
gehört, deren Ziel es ist, ein Maximum an Gewinn zu
erzielen
• Dezentralisierung – das heißt, die Verantwortung
und Aufgaben der deutschen Wirtschaft und der Verwaltung werden auf verschiedene Stellen übertragen
(keine zentrale Steuerung mehr).
Beginn des Ost-West-Konflikts
Die Gemeinsamkeiten der vier Siegermächte beruhen auf ihrem Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland. Nach Kriegsende brechen die unterschwelligen Gegensätze in der Anti-Hitler-Koalition
(Zusammenschluss der Alliierten) auf. Die amerikanische Vorstellung einer Neuordnung Europas betont das
Selbstbestimmungsrecht der Völker und schließt auch
die Forderung nach einem freien Weltmarkt mit ein.
Für die Sowjetunion dagegen ist Demokratie nicht ohne
Überwindung des Kapitalismus vorstellbar; der Nationalsozialismus gilt als dessen typische Ausprägung.
Umfangreiche Reparationen aus Deutschland sollen
die schweren Kriegsschäden in Russland ausgleichen.
Außerdem hat die Sowjetunion ein großes Sicherheitsbedürfnis und nimmt massiven Einfluss auf die Entwicklung der Staaten in Osteuropa. Dieser kommunistischen Politik mit polizeistaatlichen Mitteln wiederum
trauen die Westmächte nicht. Die Verhandlungen zwischen den Alliierten in der Deutschlandfrage bleiben
ergebnislos und münden schließlich in einen offenen
Ost-West-Konflikt, der auch als „Kalter Krieg“ bezeichnet wird.
1
• faschismus: politische Bewegung, die demokratie-,
fremdenfeindliche und rassistische Ideen vertritt und
beiderdasVolksicheinemFührervollkommenunterwerfen soll, zum Beispiel der Nationalsozialismus in
Deutschland
• sozialismus: politische Lehre, die sich gegen den
Kapitalismus richtet und durch Güterverteilung ein
sozialesGleichgewichtherstellenmöchte
• Kommunismus:aufdenSozialismusaufbauendeWeltanschauung, bei der alle Produktionsmittel und ErzeugnissederGesellschaftgemeinsamgehören
• liberalismus: Weltanschauung, bei der die Freiheit
desIndividuumsimMittelpunktsteht
Zum Weiterlesen:
Duden–DasHerkunftswörterbuch,
www.hanisauland.de/lexikon,
www.bpb.de/wissen/h75VXG.html
Sozialversicherung:
Kontinuität oder Neubeginn?
Nach Kriegsende ist das System der sozialen Sicherung
in Deutschland zerstört. Bereits im Herbst 1945 beraten
die Alliierten über die Wiedereinführung der Sozialversicherungen.
Ein gemeinsamer Entwurf der Besatzungsmächte, die
Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung zu einer
allgemeinen Versicherung zusammenzulegen, scheitert
jedoch. Nur in Berlin gelingt es, für alle vier Zonen eine
einheitliche Versicherung einzuführen.
itiertnach:CinePlusLeipzigGmbH,BundeszentralefürpolitischeBildung(Herausgeber),in:DeutscheGeschichten1945–1949„KalterKrieg“
Z
undTeilungDeutschlands,www.deutschegeschichten.de(Stand:November2009).
5
Das „Berliner Modell“
Am 1. Juli 1945 nimmt die Versicherungsanstalt Berlin
ihre Arbeit auf. Die neue Berliner Sozialversicherung
finanziert sich ausschließlich aus den Beiträgen ihrer
Versicherten. Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen jeweils zehn Prozent des Bruttoarbeitslohnes (Arbeitslohn
vor Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge)
für die vereinigte Kranken-, Unfall-, Invaliden- und Altersversicherung. Der monatliche Höchstbetrag beträgt
50 Mark für eine Einzelperson und 200 Mark für eine
Familie.
Ab dem 1. November 1945 werden wieder Renten ausgezahlt. Im Jahr 1946 werden die Studentenversicherung,
die Ausstellung von Versichertenausweisen und die Abrechnung der Kassenärzte nach Einzelleistungen statt
Pauschalbeträgen eingeführt.
Der Weg zur Teilung
Bereits im Jahr 1945 beginnt die Sowjetunion mit einer
umfassenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umgestaltung ihrer Zone: Im Herbst 1945
werden Großgrundbesitzer mit Gütern über 100 Hektar
entschädigungslos enteignet. Das Land geht an Bauern,
Landarbeiter, Vertriebene und den Staat (Bodenreform).
Im Juni 1945 werden im sowjetischen Sinne antifaschistisch-demokratische Parteien zugelassen. Die neu gegründeten Parteien Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), Sozialdemokratische Partei Deutschlands
(SPD), Christlich-Demokratische Union Deutschlands
(CDU) und Liberal-Demokratische Partei Deutschlands
(LDP) schließen sich im Juli 1945 zur Einheitsfront der
antifaschistisch-demokratischen Parteien (Block) zusammen. Im April 1946 werden KPD und SPD unter
Druck der sowjetischen Militärverwaltung zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vereinigt.
Bis zum Frühjahr 1948 gehen in der sowjetisch besetzten Zone fast 10.000 Unternehmen aus dem Besitz aktiver Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher sowie
Betriebe, die Wehrmachtsaufträge übernommen haben,
in Volkseigentum über.
Diese Volkseigenen Betriebe (VEB) bilden die Grundlage für eine staatlich gesteuerte Planwirtschaft, in der
Wirtschaftsprozesse zentral gelenkt werden. Es gibt also
keinen freien Wettbewerb wie in der Marktwirtschaft,
in dem alle Unternehmen die gleichen Chancen haben,
ihre Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. Der
Staat plant, was wann mit welchen Arbeitskräften, Materialien und Rohstoffen zu welchem Preis produziert
werden soll. Auch die Löhne werden vom Staat festgelegt.
6
der amerikanische Außenminister Marshall ruft 1948 ein
Wiederaufbauprogramm ins leben – den Marshallplan.
bild: Plakat, 1949.
In den Westzonen beginnen im Juni 1945 die Parteigründungen. Die Amerikaner und Briten stimmen der Gründung aller demokratischen Parteien ausdrücklich zu.
Die Bizone im Westen
Das wachsende Misstrauen zwischen Westalliierten
und Sowjetunion, aber auch die sich ständig verschlechternde Wirtschaftslage Deutschlands beschleunigen die
Teilung. Die USA und Großbritannien schließen am 1.
Januar 1947 ihre beiden Zonen zu einer wirtschaftlichen
Einheit, der Bizone, zusammen, der sich Frankreich
wenig später anschließt (Trizone).
Der amerikanische Außenminister George C. Marshall
entwirft ein umfangreiches Wiederaufbauprogramm,
das ab 1948 die Wirtschaft in Europa mit Krediten,
Lebensmitteln, Rohstoffen und Waren wieder ankurbeln
soll. Am 3. April 1948 tritt der nach seinem Erfinder benannte „Marshallplan“ in Kraft. Die Sowjetunion lehnt
eine Teilnahme der sowjetischen Besatzungszone an
diesem Programm ab. Auch die osteuropäischen Staaten nehmen nicht teil.
Die Währungsreform und ihre Folgen
Eine Währungsunion soll die wirtschaftliche Entwicklung in ganz Deutschland vorantreiben. Wegen des Zerwürfnisses zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion scheitert diese jedoch. Eine Währungsunion für
alle Besatzungszonen ist nicht mehr möglich.
Am 20. Juni 1948 verkünden die Westalliierten eine
Währungsreform für ihre drei Zonen. Am 23. Juni 1948
folgt sie in der sowjetischen Besatzungszone. Die Sowjetunion sperrt daraufhin vom 24. Juni 1948 bis zum
12. Mai 1949 die Zonengrenze nach Westberlin. Während der Berlin-Blockade versorgen die Westalliierten
die Stadt über eine Luftbrücke mit lebensnotwendigen
Gütern. Ein echter „heißer Krieg“ wird zwar vermieden,
jedoch ist Deutschland damit zu einem Hauptkampffeld des Kalten Krieges geworden. Die Weichen für die
Gründung zweier deutscher Staaten, der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), sind gestellt.
jetischen Besatzungszone. Eine Arbeitslosenversicherung wird bis zum Ende der DDR nicht eingeführt.
Arbeitsrecht:
Mit dem Tarifvertragsgesetz vom 9. April 1949 wird in
den westlichen Besatzungszonen die Tarifautonomie
eingeführt. Die Tarifautonomie sichert Arbeitgebern
und Arbeitnehmern das Recht, die Arbeitsbedingungen
und die Entlohnung ohne staatlichen Eingriff selbst zu
regeln. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer
sozialen Marktwirtschaft (siehe Kapitel 3), die den Bürgern durch Gesetze hilft, ihre Freiheitsrechte zu sichern,
ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und einen
angemessenen Lebensstandard zu erreichen.
In der sowjetischen Besatzungszone schreibt das neue
Tarifgesetz von 1947 dagegen die Ausrichtung der Löhne
und Arbeitsbedingungen an den staatlichen Planvorgaben der neu eingeführten Planwirtschaft fest.
Betriebliche Mitbestimmung:
Im Westen wird die entwertete Reichsmark durch die
Deutsche Mark ersetzt. Mit der Einführung der D-Mark
sind alle privaten Schulden erloschen. 60 Reichsmark
können gegen 40 Deutsche Mark (DM) getauscht werden. Einen Monat später bekommt man noch einmal
20 DM. Im Osten werden zunächst alte Reichsmarkscheine mangels neuer Banknoten mit Coupons beklebt.
Jeder Bürger bekommt 70 Ostmark sofort ausbezahlt.
Aufgrund der Zwangsbewirtschaftung verbessert sich
der Lebensstandard in den sowjetisch besetzten Zonen
im Gegensatz zu Westdeutschland nicht merklich.
In den westlichen Besatzungszonen werden die Gewerkschaften als Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder zugelassen.
Als Klassenorganisation der Arbeiterklasse wird in
der sowjetischen Besatzungszone im Februar 1946 der
Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) gegründet.
Er übernimmt unter anderem die Organisation der betrieblichen Sozialpolitik.
Sozialversicherung:
Die Teilung Deutschlands
in der Sozialpolitik
Der beginnende Ost-West-Konflikt führt auch zu getrennten Wegen der Besatzungsmächte in der Sozialpolitik. Während man zumindest in der amerikanischen
und britischen Zone versucht, grundsätzliche Entscheidungen zu verschieben, setzt die sowjetische Militärverwaltung von Anfang an tief greifende Veränderungen in
ihrer Besatzungszone durch.
Im Januar 1947 führt die sowjetische Besatzungsmacht
eine zentral gelenkte Einheitsversicherung für die Kranken-, Renten- und Unfallversicherung ein. Auch im
Westen gibt es eine breite Diskussion um eine Einheitsversicherung. Befürworter und Gegner hoffen, nach
dem Ende der Besatzungszeit gesetzgeberische Mehrheiten für ihre Position zu finden. Schließlich wird das
traditionelle gegliederte System mit den verschiedenen
Zweigen der Sozialversicherung aus dem 19. Jahrhundert fortgeführt.
Arbeitsmarktpolitik:
Krankenversicherung:
Die Westalliierten knüpfen in ihren Besatzungszonen
an die Arbeitsmarktpolitik der Weimarer Republik (1919
bis 1933) an. Das Recht auf Arbeitsvermittlung und die
Arbeitslosenversicherung werden wieder eingeführt.
Nach dem Krieg versucht zunächst jede Besatzungsmacht, den Krankenversicherungsschutz für die Menschen in ihrer Zone selbst zu regeln. In der britischen
Zone werden einheitliche Leistungen und Beiträge
eingeführt. In der amerikanischen Zone bleibt das bestehende System ebenfalls erhalten. Während in der
französischen Zone nur allgemeine Ortskrankenkassen
zugelassen und alle übrigen Kassen aufgelöst werden,
entstehen in der britischen und der amerikanischen
Zone auch private Krankenversicherungen.
In der sowjetischen Besatzungszone steuert die sowjetische Militärverwaltung den Einsatz von Arbeitskräften.
Diese Arbeitskräftelenkung bildet eine wichtige Grundlage für die Einführung einer Planwirtschaft in der sow-
7
Mit dem Zusammenschluss zur Bizone arbeiten die britischen und amerikanischen Zonenverwaltungen auch
auf sozialpolitischer Ebene stärker zusammen. Gemeinsame rechtliche Regelungen sollen wieder zu mehr Einheitlichkeit im sozialen Sicherungssystem führen.
Ein besonders wichtiger Schritt ist das Sozialversicherungsanpassungsgesetz, das am 17. Juni 1949 in Kraft
tritt. Es legt fest, dass Beiträge zur Krankenversicherung
je zur Hälfte von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gezahlt
werden. Ursprünglich (seit 1884) mussten Arbeitnehmer
zwei Drittel und Arbeitgeber ein Drittel aufbringen. Die
französische Militärregierung schließt sich dem Vorgehen der Amerikaner und Briten an.
In der sowjetischen Besatzungszone gehört auch die
Krankenversicherung zur sozialen Einheitsversicherung. Die freiberuflichen Ärzte und die private Krankenversicherung werden abgeschafft. Ein Netz von so
genannten Polikliniken entsteht, in denen praktische
Ärzte und Spezialisten gemeinsam die ambulante Versorgung übernehmen, für die im Westen die niedergelassenen Ärzte (Hausärzte) zuständig sind.
BRD und DDR: zwei deutsche Staaten
Am 8. Mai 1949 – vier Jahre nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges – wird das Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland (BRD) verabschiedet. Für dessen Ausarbeitung war der Parlamentarische Rat zuständig, der auf
Anweisung der westlichen Siegermächte im Jahr zuvor
gegründet worden war.
Rund zwei Wochen später, am 23. Mai 1949, verkündet
Konrad Adenauer als Präsident des Parlamentarischen
Rates das Grundgesetz der BRD. Die Bundesrepublik
Deutschland ist nun „ein demokratischer und sozialer
Bundesstaat“ (Grundgesetz Artikel 20,1).
Am 14. August 1949 wählen die Deutschen den ersten
Bundestag in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl. Erster Bundespräsident wird
Theodor Heuss (FDP), erster deutscher Bundeskanzler
Konrad Adenauer (CDU). Adenauers politisches Ziel ist
von Beginn an die Wiedervereinigung Deutschlands.
Doch hauptsächlich will er gegenüber den Weststaaten
die volle Integration und Souveränität Deutschlands erreichen, das heißt die staatliche Selbstständigkeit und
Unabhängigkeit der Bundesrepublik.
2
8
der Präsident des Parlamentarischen rates, Konrad
Adenauer, unterzeichnet 1949 das Grundgesetz der
bundesrepublik deutschland. bild: fotografie, 1949.
Als erster Bundesarbeitsminister bezieht Anton Storch
(CDU) im Oktober 1949 in Bonn das neue Bundesministerium für Arbeit und ist in den nächsten acht Jahren
für die Arbeits- und Sozialpolitik in der Bundesrepublik zuständig. Zu den Aufgabenbereichen des Arbeitsministeriums gehören die internationale Sozialpolitik,
die Arbeits- und Sozialmedizin, die Arbeitsvermittlung,
die Berufsberatung, die Arbeitslosenversicherung, das
Arbeitsrecht, der Arbeitsschutz, die Gewerbeaufsicht
sowie die Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung. Im Jahr 1957 werden dem Ministerium zusätzlich
Aufgaben der Sozialordnung2 übertragen. Das Ministerium wird in Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung umbenannt.
Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) wird am
7. Oktober 1949 ohne Wahl und damit ohne demokratische Legitimation (Auftrag des Volkes) gegründet. Auch
danach bestimmt die sowjetische Besatzungsmacht
Tempo und Fortschritt der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Die Sozialistische Einheitspartei
(SED) hat zu diesem Zeitpunkt bereits die Macht übernommen und die Sozialpolitik zur Sicherung ihrer Herrschaft gestaltet.
DieSozialordnungeinesLandesbeschreibt,obundwieMenscheninNotlagenundbesonderenLebenslagengeholfenwird.
die sozialsysteme der brd und ddr im Vergleich
bundesrepublik deutschland (brd)
Grundprinzip:FörderungdesFöderalismus(ZusammenschlussdereinzelnenZonen,diejedochweitgehendihre
Eigenständigkeitbehalten)
deutsche demokratische republik (ddr)
Grundprinzip:übergeordneteZentralverwaltung
• gegliedertesSozialversicherungssystem(Kranken-,Unfall-,Renten-,Arbeitslosen-undab1995Pflegeversicherung)
• „StaatlicheVersicherungderDDR“alsEinheitsversicherung (Kranken-, Unfall-, Rentenversicherung zusammengefasst),einzigerVersicherungsträger
• einzelne gesetzliche Versicherungsträger für Kranken-,
Unfall-,Renten-undArbeitslosenversicherung
• Sozialversicherungspflicht für alle Arbeitnehmer unabhängigvomEinkommen
• S
ozialversicherungspflicht für alle Arbeitnehmer bis zu
einerPflichtgrenze
• Finanzierung der Sozialversicherung hauptsächlich aus
Beiträgen der Betriebe und aus dem Staatshaushalt,
geringerProzentsatzvomBruttogehalt
• FinanzierungdurchBeitragszahlungenderArbeitnehmer
undderArbeitgeber(AusnahmeUnfallversicherung),an
derenHöheundDauersichdieLeistungendesVersicherungsträgersorientieren
• privateAbsicherungnichtmöglich
• keineKrankenkassenwahl
• zusätzliche private Absicherung für das Alter jederzeit
möglich
• „Intelligenzrente“ für Personen mit Hochschulqualifi-
kation
• freieKrankenkassenwahl
• freiwilligeZusatzrentenversicherung,umüberfreiwillige
BeiträgespäterhöhereRentenansprüchezuerwerben
• W
ahlmöglichkeitfürSelbstständigeundVersicherte,die
überderSozialversicherungspflichtgrenzeliegen,obsie
freiwilligindergesetzlichenoderineinerprivatenKrankenversicherungversichertseinwollen
• Rentenvergünstigungen für „staatsnahe Angehörige“
wie Bergleute, Polizisten, Nationale Volksarmee, Zollbedienstete,LehreroderPolitiker
• besonderesozialeAbsicherungfürBeamte
!
Weiterführende informationen bei sozialpolitik.com:
Rubrik„Politik“
Rubrik„Zeitleiste“:GesetzeundNeuerungen
linktipps:
DeutschesHistorischesMuseum/LeMO(LebendigesvirtuellesMuseumOnline):www.dhm.de/lemo
DeutscheGeschichten:www.deutschegeschichten.de
Quellenhinweis:
FürdiesesKapitelwurdennebendemAusstellungskatalog„IndieZukunftgedacht–BilderundDokumentezurDeutschenSozialgeschichte“des
BundesministeriumsfürArbeitundSoziales,Bonn2008,auchfolgendeQuellenherangezogen:DeutschesHistorischesMuseum/LeMO(Lebendiges
virtuellesMuseumOnline):„Nachkriegsjahre“,www.dhm.de/lemo;DeutscheGeschichtenOnlinederCinePlusLeipzigGmbHinKoproduktionmit
derBundeszentralefürpolitischeBildung,www.deutschegeschichten.de(Stand:November2009).
9
Kapitel2:1949bis1990
DDR: Sozialpolitik im Sozialismus
Gründung eines zweiten
deutschen Staates
Im Mai 1949 tritt das Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland in Kraft. In der sowjetischen Besatzungszone wird am 7. Oktober die Deutsche Demokratische
Republik (DDR) als zweiter deutscher Staat gegründet.
Von Anfang an übernimmt die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) die Macht. Die Verfassung der
DDR wird nach ihren Vorgaben erarbeitet und am 7. Oktober 1949 zu geltendem Recht erklärt.
An der Spitze stehen die SED-Vorsitzenden Wilhelm
Pieck als Staatspräsident und Otto Grotewohl als Ministerpräsident. Doch der mächtigste Mann in der DDR
ist Walter Ulbricht, der Generalsekretär des Zentralko-
mitees der SED. Sie sichert ihre Parteidiktatur (Alleinherrschaft) durch die Gründung eines Ministeriums für
Staatssicherheit im Januar 1950. Der Staatssicherheitsdienst („Stasi“) baut ein Netz aus Spitzeln auf, das aus
der DDR einen Überwachungsstaat macht.
Im Herbst 1950 finden die ersten Wahlen zur Volkskammer, der Volksvertretung in der DDR, statt. Die Wahlvorschläge der Parteien und Organisationen werden in
einer Einheitsliste zusammengefasst. Die Bürgerinnen
und Bürger können nur noch zustimmen oder ablehnen.
Es werden 99,7 Prozent Ja-Stimmen abgegeben.
Erklärtes Staatsziel der DDR ist der „Aufbau des Sozialismus“ nach sowjetischem Vorbild. Fortan werden
die landwirtschaftliche und die industrielle Produktion
Kindergartenkinder mit Mützen von soldaten der nationalen Volksarmee beim militärischen Gruß.
bild: fotografie, 1970er-Jahre.
10
vom Staat geplant und gelenkt. In dieser Planwirtschaft
der DDR gibt es keinen freien Wettbewerb. Was wann
und wie mit welchen Arbeitskräften, Materialien und
Rohstoffen produziert werden soll und darf, entscheidet ausschließlich der Staat. Auch die Löhne und Arbeitszeiten werden nach diesem Plan bestimmt. Private
Unternehmen, kleine und mittlere Betriebe aller Wirtschaftsbereiche werden zentral verwaltet und nach und
nach, auch mit Zwangsmitteln, verstaatlicht.
Sozialpolitik als „Überbleibsel“ – Recht auf Arbeit
Die SED-Führung geht davon aus, dass die sozialistische Planwirtschaft die Vollbeschäftigung garantiert
und einen Lebensstandard sicherstellt, der die materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen erfüllen kann. Sozialpolitik erscheint aus dieser Sicht nicht
notwendig beziehungsweise ein Überbleibsel des Kapitalismus. Folgerichtig gibt es anders als in der BRD
kein eigenständiges, staatliches Ministerium für Arbeit
und Soziales und auch keine Arbeitslosenversicherung.
Dennoch kommt auch die SED nicht ohne sozialpolitisches Handeln aus. Die bereits 1946 von der SED-Parteiführung verabschiedeten „Sozialpolitischen Richtlinien“ finden sogar Eingang in die erste Verfassung der
DDR vom 7. Oktober 1949.
Im Mittelpunkt des sozialpolitischen Handelns der SED
steht die DDR als Arbeitsgesellschaft: Erwerbstätigkeit
soll das Leben des Staatsbürgers bestimmen. Am 1. Mai
1950 tritt das „Gesetz der Arbeit zur Förderung und Pflege der Arbeitskräfte, zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen
und kulturellen Lage der Arbeiter und Angestellten“ in
Kraft. Es garantiert das Recht auf Arbeit und leistungsgerechte Entlohnung. Es verankert die „führende Rolle
der Arbeiterklasse in Staat und Wirtschaft“ und fixiert
die Rechte der Gewerkschaften als die gesetzlichen
Vertreter der Arbeiter und Angestellten. Hauptziel der
SED-Sozialpolitik ist es, die Arbeitsfähigkeit der Staatsbürger zu erhalten und zu steigern. Arbeitsschutz- und
Gesundheitspolitik spielen eine wichtige Rolle. Die Sozialleistungen im Betrieb werden ausgebaut.
Volksaufstand und Mauerbau
Die Ostwirtschaft steht Anfang der 1950er-Jahre am
Rande des Ruins. Allein für die Reparationen (Kriegsentschädigungen) an die Sowjetunion waren 1.200 Industriebetriebe komplett demontiert worden. Fast alle
staatlichen Mittel fließen deshalb in den Ausbau von
Schwerindustrie, Polizei und Staatsapparat zulasten
von Konsumgüterproduktion, Versorgungs- und Dienstleistungsbranchen. Statt der versprochenen Verbesserung der Lebensverhältnisse herrscht Mangelwirtschaft.
Viele qualifizierte Arbeitskräfte fliehen in den Westen.
Im Jahr 1953 beschließt das Zentralkomitee der SED eine
Erhöhung der Arbeitsnormen: Für den gleichen Lohn
soll mehr gearbeitet werden. Dieser Beschluss soll die
Wirtschaft stärken, steigert aber die Unzufriedenheit in
der Bevölkerung. Am 17. Juni gehen die Berliner Bauarbeiter auf die Barrikaden. Die DDR-Führung reagiert
hilflos. Als aus dem Arbeiteraufstand ein Volksaufstand
wird, schlagen sowjetische Truppen den Aufstand nieder. 1961 greift die SED-Führung zu einer radikalen
Maßnahme, um die Massenflucht aus der DDR zu beenden: Am 13. August 1961 lässt sie die innerdeutsche
Grenze abriegeln. Der Bau der Berliner Mauer beginnt.
Die Grenzanlagen teilen Deutschland bis 1989. Beim
Versuch zu fliehen, werden mindestens 136 Menschen
getötet und tausende inhaftiert.
Die politischen und wirtschaftlichen
Verhältnisse festigen sich
Der Bau der Mauer und die Abriegelung der Grenzen
stabilisieren zunächst die politische und wirtschaftliche Lage der DDR. Im Jahr 1964 erneuert die SED die
Planwirtschaft: Die Volkseigenen Betriebe (VEB) erhalten mehr Selbstverantwortung, und Arbeitern werden
Prämien für mehr Leistung angeboten. Durch dieses
„Neue Ökonomische System der Planung und Leitung“ (NÖSPL) steigt die Produktivität der Wirtschaft,
der Lebensstandard der Menschen verbessert sich. Ulbrichts Politik setzt auf Neuerung und Investitionen,
um die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Diesen wirtschaftspolitischen Zielen wird die Sozialpolitik untergeordnet. Ende der 1960er-Jahre werden die Neuerungen
wieder zurückgenommen, weil die SED-Führung um
ihre Machtstellung fürchtet.
In der neuen Verfassung von 1968 werden der Führungsanspruch der SED und das Selbstverständnis der
DDR als „Sozialistischer Staat deutscher Nation“ festgeschrieben. Das Recht des Bürgers „auf Schutz seiner Gesundheit und Arbeitskraft“ wird als Ziel sozialistischer
Sozialpolitik mit aufgenommen.
Die Sozialversicherung als
Einheitsversicherung
Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) hatte bereits 1947 die fünf Sozialversicherungen in eine zentral
gelenkte Einheitsversicherung umgewandelt. 1951 wird
die Führung und Kontrolle dieser Einheitsversicherung
dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) übergeben. Er betreut ausschließlich die Arbeiter und Angestellten. Bauern, Handwerker, selbstständig Erwerbstätige und Unternehmer sowie freiberuflich Tätige
werden in der Deutschen Versicherungsanstalt zusammengefasst, die später in „Staatliche Versicherung der
DDR“ umbenannt wird.
11
In der Sozialversicherung sind alle Arbeitnehmer pflichtversichert. Sie wird hauptsächlich aus Beiträgen der Betriebe und aus dem Staatshaushalt finanziert und nur
zu einem geringen Prozentsatz vom Bruttogehalt der
Arbeitnehmer. Die Leistungen umfassen freie Behandlung, Krankengeld, Schwangerschaftshilfe, Wochenhilfe
und Sterbegeld. Es werden Renten im Alter, bei Invalidität (Berufsunfähigkeit), für die Folgen von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und für die Hinterbliebenen
gezahlt sowie Kuren, Vorsorgemaßnahmen und Rehabilitation. Es gibt keine freie Krankenkassenwahl. Eine
private Absicherung ist nicht möglich.
Betreuung der Kinder ist kostenlos. Die Kostenanteile
an der Kinderspeisung werden vom Staat beigesteuert.
Der Schwangerschaftsurlaub wird bis 1976 von 18 auf 26
Wochen bei voller Zahlung des Nettodurchschnittsverdienstes ausgedehnt. Eine Geburtenbeihilfe von 1.000
Mark wird pro Kind gezahlt. Das staatliche Kindergeld,
1958 eingeführt, beträgt 1987 für das erste Kind 50, für
das zweite Kind 100 Mark und 150 Mark im Monat für
jedes weitere Kind. Für vollbeschäftigte Mütter mit drei
und mehr Kindern bis zu 16 Jahren wird die 40-Stunden-Woche und ein Mindesturlaub von 21 Tagen eingeführt. Es besteht grundsätzlich Kündigungsschutz.
Machtwechsel und Aufwertung der Sozialpolitik
Rentner sind die Verlierer
Erich Honecker verdrängt 1971 Walter Ulbricht aus seiner Führungsrolle in der SED und wird Erster Sekretär des Zentralkomitees der Partei. Bis zur Wende 1989
bleibt er der mächtigste Mann in der DDR. Auf ihrem
achten Parteitag verkündet die SED die „Einheit von
Wirtschafts- und Sozialpolitik“. Honecker setzt auf höhere Sozial- und Konsumausgaben. Er hofft, auf diese
Weise die Arbeitsmotivation der Menschen und damit
die Produktivität der Betriebe steigern zu können. Die
wachsende Wirtschaft soll die höheren Staatsausgaben (re)finanzieren. Die Steigerung der Sozialleistungen
wird zum „Markenzeichen des Sozialismus in der DDR“.
Das Einkommen aller Beschäftigten erhöht sich im
Verlauf der 1960er-Jahre beträchtlich, doch stehen dieser Steigerung nicht gleichermaßen mehr Waren und
Dienstleistungen gegenüber. In vielen Bereichen bestehen Versorgungslücken.
Arbeitskräfte gesucht – Frauen und Familien
profitieren
In der Planwirtschaft der DDR gibt es statistisch so gut
wie keine Arbeitslosigkeit – im Gegenteil: Es fehlen Arbeitskräfte. Das liegt einerseits an der „Republikflucht“
bis zum Bau der Mauer, andererseits bekommen die
Menschen in der DDR wie in der BRD seit den 1960er-Jahren weniger Kinder, und der Anteil der Rentner in der
Gesellschaft wächst. Um den Bedarf an Arbeitskräften
zu decken, richtet sich die Sozialpolitik mit vielen Leistungen an Frauen und Mütter und fördert deren Berufstätigkeit. Im Jahr 1989 hat die DDR eine Frauenerwerbsquote von 82,4 Prozent.
Bei Eheschließung gewährt der Staat einen Ehekredit von 5.000 Mark mit einem Rückzahlungserlass bei
Geburt von Kindern. Kinderkrippen und Kindergärten
sowie Einrichtungen für Mütter und Kinder werden ausgebaut. Alle Eltern können für ein Kind bis zum dritten Lebensjahr einen Platz in einer Kinderkrippe oder
für ein Kind vom vierten bis sechsten Lebensjahr einen
Platz in einem Kindergarten erhalten. Die Kinder werden dort vom frühen Morgen bis zum Abend betreut. Die
12
Verglichen mit den Erwerbseinkommen sind die Renten sehr niedrig. Es gibt keine jährliche Anpassung an
die allgemeine Einkommensentwicklung wie in der BRD
mit der dynamischen Rente seit 1957. Die Mindestrenten werden aufgrund von besonderen Parteibeschlüssen von Zeit zu Zeit angehoben. Für „staatsnahe Angehörige“ gibt es Rentenvergünstigungen.
In den 1960er-Jahren beträgt die Höhe der durchschnittlichen Altersrente nur 36 Prozent der Nettolöhne. Sie
verbessert sich in den 1970er-Jahren durch mehrere Rentenerhöhungen auf 45 Prozent, sinkt in den 1980er-Jahren aber wieder auf 41 Prozent ab. 1989 beträgt die
durchschnittliche monatliche Altersrente 555,42 Mark.
Die Menschen der Generation, die nach Kriegsende den
Staat DDR „aus Ruinen aufgebaut“ hatten, sind im Alter
nicht selten arm. Viele nutzen deshalb die Möglichkeit, als Rentner die DDR zu verlassen. Sie erhalten aus
dem westdeutschen Rentensystem ihre Rente, was den
Staatshaushalt der DDR entlastet.
Verbraucherpreise und Kaufkraft in der ddr, stand: 1985
Verbraucher- zum Kauf erforderpreis
liche Arbeitszeit
Ost-Mark
Stunde
Minute
1FahrtmitderStraßenbahn
0,20
2
1kgMischbrot
0,70
7
75kWhStrom
7,50
1
20
1kgButter
9,20
1
40
57,00
13
30
100,00
18
1Kühlschrank
1.525,00
272
1Farbfernseher
5.650,00
1.001
24.500,00
4.375
Mietefür2-Zimmer-Neubau
mitK,D,B,Zentralheizung
1kgKaffee
1Pkw
Quelle:ZahlenspiegelBRD/DDR,herausgegebenvomBundesministeriumfürinnerdeutscheBeziehungen,3.Auflage,Bonn1988.
Das politische System der DDR zerbricht
Trotz der „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“
verbessern sich die Lebensbedingungen der DDR-Bevölkerung nicht nachhaltig. Auch die Einnahmen und
Ausgaben der Sozialversicherung klaffen im Laufe der
Jahre immer weiter auseinander. Die DDR nimmt im
westlichen Ausland Kredite auf und verschuldet sich
permanent.
In der Sowjetunion leitet der neue Generalsekretär der
Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU),
Michail Gorbatschow, ab 1985 Reformen ein. Nach dem
Grundsatz „Glasnost“ (Transparenz) gewährt die neue
politische Führung Meinungs- und Pressefreiheit. Unter
dem Namen „Perestroika“ (Umbau) setzt Gorbatschow
eine politische und wirtschaftliche Öffnung durch. Die
SED will diesen Weg nicht mitgehen und hält an ihrer
Linie fest.
Die Fälschung der Kommunalwahlen im Mai 1989 und
die darauf einsetzenden Proteste leiten schließlich die
Endphase des Niedergangs der DDR ein. Im Sommer
1989 öffnet Ungarn seine Grenze zu Österreich. Viele
DDR-Bürger fliehen in den Westen. Allein am 19. August
1989 überqueren 800 Menschen beim „Paneuropäischen
Picknick“ nahe der ungarischen Stadt Sopron die offene
Grenze. Vor der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland (BRD) in Prag suchen mehrere tausend DDR-Bürger
Zuflucht. Am 30. September 1989 verkündet der Bundesaußenminister der BRD, Hans-Dietrich Genscher, den
Wartenden, dass ihre Ausreise genehmigt wird.
!
„Wir sind das Volk!“
Am 7. Oktober 1989 feiert die DDR ihr 40-jähriges Bestehen. Die Festlichkeiten können allerdings nicht vom
offensichtlichen Unmut der Bevölkerung ablenken. Auf
Demonstrationen in Ostberlin, Leipzig, Dresden, Potsdam und vielen anderen Städten werden von den Bürgern Reformen, Reisefreiheit und freie Wahlen gefordert. Am 16. Oktober 1989 demonstrieren in Leipzig über
100.000 Menschen, eine Woche später mehr als 300.000.
Mit den Rufen „Wir sind das Volk!“ und „Wir bleiben
hier!“ fordern die Demonstranten Reformen.
Honecker wird innerhalb der SED entmachtet und tritt
am 18. Oktober zurück. Nachfolger wird Egon Krenz.
Hunderttausende demonstrieren weiter und fordern
freie Wahlen, die Abschaffung des Machtmonopols der
SED und des Ministeriums für Staatssicherheit, Rechtsstaatlichkeit, Presse-, Meinungs- und Reisefreiheit. Am
9. November 1989 wird überraschend die Grenze zur
Bundesrepublik und nach Westberlin geöffnet.
Erste freie Wahlen und Wiedervereinigung
Die ersten demokratischen freien Wahlen in Ostdeutschland finden am 18. März 1990 statt. Bereits
am 1. Juli 1990 tritt die Währungs-, Wirtschafts- und
Sozialunion beider deutscher Staaten in Kraft. Die
Zwei-plus-Vier-Verhandlungen zwischen den vier
Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und den beiden
deutschen Regierungen machen den Weg frei für den
Einigungsvertrag. Am 3. Oktober 1990 ist Deutschland
wieder vereint.
Weiterführende informationen bei sozialpolitik.com:
Rubrik„Politik“
Rubrik„Zeitleiste“:GesetzeundNeuerungen
L
DeutschesHistorischesMuseum/LeMO(LebendigesvirtuellesMuseumOnline):www.dhm.de/lemo
DeutscheGeschichten:www.deutschegeschichten.de
Special„DamalsimOsten“:www.mdr.de/damals
Special„DamalsnachderDDR“:www.mdr.de/damals-nach-der-ddr/zeitreise
Dossier„DeutscheTeilung–DeutscheEinheit“:www.bpb.de
Online-Kurs„Deutschlandgestern–heute–morgen“:www.wir-in-ost-und-west.de
Quellenhinweis:
FürdiesesKapitelwurdennebendemAusstellungskatalog„IndieZukunftgedacht–BilderundDokumentezurDeutschenSozialgeschichte“des
BundesministeriumsfürArbeit und Soziales, Bonn 2008, und der ergänzenden Websitewww.in-die-zukunft-gedacht.deauch folgendeQuellen
herangezogen:BundeszentralefürpolitischeBildung:Dossier„DeutscheTeilung–DeutscheEinheit“:www.bpb.de;SpecialdesMDR:„Damalsim
Osten“,www.mdr.de/damals(Stand:Oktober2010).
13
Kapitel3:1949bis1973
BRD: Wirtschaftswunder und Sozialstaat
1950er-Jahre: soziale Marktwirtschaft
und Wirtschaftswunder
Bereits vor Gründung der BRD wird die Idee der sozialen
Marktwirtschaft im westlichen Nachkriegsdeutschland
realisiert. Verantwortlich dafür ist der Direktor der Verwaltung für Wirtschaft in der amerikanisch-britischen
Besatzungszone, Ludwig Erhard, später erster Bundeswirtschaftsminister der BRD (1949 bis 1963, CDU). Trotz
Bedenken bei den Besatzungsmächten, den Gewerkschaften und vielen Politikern lässt er sich nicht von
seinem Ziel „Wohlstand für alle!“ abbringen.
Gemeinsam mit dem Ökonom Alfred Müller-Armack
entwickelt er das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft,
die auf freiem Wettbewerb, Konsumentenfreiheit und
sozialem Ausgleich basiert. Das heißt, der Staat gestaltet den Rahmen für einen freien, fairen Markt, in dem
jeder Einzelne nicht nur auf seine individuelle Leistungsfähigkeit angewiesen ist, sondern in Notsituationen mit der Unterstützung der Allgemeinheit rechnen
kann. Auf diesem Prinzip beruht unser Wirtschaftssystem noch heute.
träge auf ein persönliches Rentenkonto eingezahlt und
so Kapital für das Alter angespart (Kapitaldeckungsverfahren). Doch der Zweite Weltkrieg hatte die Beitragsreserven der Gesetzlichen Rentenversicherung vernichtet. Im so genannten Generationenvertrag finanzieren
künftig die aktiven Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen
die Renten der Ruheständler und erwerben dadurch ihrerseits einen Rechtsanspruch, im Alter selbst Rente zu
beziehen (Umlageverfahren).
Die Währungsreform, die Einführung der sozialen
Marktwirtschaft, der Marshallplan, der immense Arbeitskräftebedarf für den Wiederaufbau und die Reformierung der sozialpolitischen Gesetze bereiten der
Bundesrepublik Deutschland in den 1950er-Jahren
einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Das Wirtschaftswunder beginnt.
Parallel zur Währungsreform führt Erhard im Juni 1948
das „Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und
Preispolitik nach der Geldreform“ ein. Preiskontrollen
werden gelockert, die staatlich kontrollierte Bewirtschaftung wird aufgehoben. Für Güter wie Kohle, Stahl
und Treibstoff gelten jedoch weiterhin Preisbindungen,
ebenso für Grundnahrungsmittel und Mieten.
Das traditionelle soziale System des 19. Jahrhunderts
wird wieder eingeführt und damit der Grundstein des
heutigen Sozialstaates gelegt. Bis zum Jahr 1950 sind die
einzelnen Zweige – die Kranken-, Unfall-, Alters- und
Arbeitslosenversicherung – bundesweit wieder gesetzlich verankert. 1950 übernimmt auch Westberlin, das
sich zunächst für eine Einheitsversicherung entschieden hatte, dieses System.
Das heute noch existierende Rentensystem gibt es seit
dem Jahr 1957: Adenauer führt eine einkommensbezogene Altersrente in Höhe von 60 Prozent der durchschnittlichen Bruttolöhne aller versicherungspflichtigen
Beschäftigten ein. Gleichzeitig wird eine Dynamisierung
der Renten beschlossen, also eine regelmäßige Anpassung an die Bruttolöhne der Arbeitnehmer. Er trifft
außerdem eine folgenreiche Entscheidung für die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung: Vorher hatte jeder Arbeitnehmer seine Versicherungsbei14
der deutsche Gewerkschaftsbund startet im Jahr 1956 eine
Kampagne zur Einführung der fünftagewoche.
bild: Plakat, 1956.
sozialpolitische Errungenschaften der jungen brd
• Am 9. April 1949 tritt das tarifvertragsgesetz in Kraft.
Es regelt das Recht, nach dem Arbeitgeber und ArbeitnehmerArbeitsbedingungenundEntlohnungohnestaatlichen Eingriff selbst aushandeln (Tarifautonomie). Im
Jahr1949liegendieStundenlöhnezwischen59Pfennig
und1,77DeutschenMark(DM),Monatsgehälterzwischen
175DMund531DM.Frauenverdienenprinzipiellweniger,meistwerdensienacheinem„Frauenlohn“bezahlt.
• Am 13. Oktober 1949 gründen 16 Einzelgewerkschaften
in München den deutschen Gewerkschaftsbund (dGb)
alsihrenDachverband.ErsterVorsitzenderdesDGBwird
HansBöckler.
• Am 21. Mai 1951 tritt das Montan-Mitbestimmungsgesetz in Kraft. Es regelt die paritätische Mitbestimmung
derArbeitnehmerinKapitalgesellschaftendesBergbaus
und der Eisen- und Stahlindustrie nach dem Grundsatz
„GleichberechtigungvonKapitalundArbeit“.Mitparitätischistgemeint,dassderAufsichtsratderUnternehmen
jezurHälftemitArbeitnehmervertreternundAnteilseignern/Aktionärenbesetztwird.DerAufsichtsratsvorsitzendewirdvonbeidenSeitengewähltundmussneutralsein.
• Abdem10.August1951giltfürArbeitnehmereingesetzlicher Kündigungsschutz,dendasKündigungsschutzgesetz vorschreibt. Kündigungsfristen müssen nun eingehaltenwerden,Kündigungsgründegerechtfertigtsein.
• Am24.Januar1952trittdasMutterschutzgesetzinKraft.
EsschütztwerdendeMüttervorKündigungundführtGeldleistungenfürdieZeitvorundnachderEntbindungein.
• Abdem11.Oktober1952giltdasbetriebsverfassungsgesetz (betrVG), das eine bundesweite einheitliche RegelungfürBetriebsrätevorsiehtunddieMitbestimmung
für alle Unternehmen außerhalb der Bergbau-, Eisen-
undStahlindustrie(Montanindustrie)einheitlichregelt.
• Am 15. Januar 1955 entscheidet das Bundesarbeitsgericht: gleicher tariflohn für frauen. Bis „Frauenlohngruppen“ ganz aus den Tarifverträgen verschwinden,
dauertesjedochnochJahrzehnte.
• IneinemfeierlichenAkterklärendieVertreterderAlliierten(USA,GroßbritannienundFrankreich)dieBundesrepublikam5.Mai1955offiziellfürsouveränundbeenden
denBesatzungszustand.DieBRDhatdamitihresouveränität – die staatliche Selbstständigkeit und Unabhängigkeit–erreicht.
• 1.Mai1956:„SamstagsgehörtVatimir“–mitdieserKampagnefordertderDGBindiesemJahrdieEinführungder
fünftagewoche mit acht Stunden täglicher Arbeitszeit.
Schrittweise wird diese Forderung in den Folgejahren
nachetlichenStreiksumgesetzt.
• Am 23. Februar 1957 tritt ein neues rentengesetz in
Kraft. Es ist die erste große Rentenreform in der GeschichtederRentenversicherung.
• MitderUnterzeichnungderRömischenVerträgegründen
Belgien,Frankreich,Italien,Luxemburg,dieNiederlande
und die Bundesrepublik Deutschland am 25. März 1957
die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Die
EWGistderVorläuferderheutigenEuropäischenUnion
(EU).
• Am 1. Juli 1958 tritt das Gleichberechtigungsgesetz in
Kraft, das die Gleichberechtigung von Frau und Mann
inEheundFamiliegesetzlichverankert.FrauengewinnenRechtedazu,MännermüssenEinschränkungenhin-
nehmen.
15
1960er- bis 1970er-Jahre: Wohlstand und
„Sozialinvestitionen“
Wirtschaftswachstum und Wohlstand sind in den
1950er-Jahren die Eckpfeiler der Sozialpolitik. Bis zum
Jahr 1961 sinkt die Arbeitslosenquote auf unter ein
Prozent, die Vollbeschäftigung ist damit erreicht. Produktion und Export steigen weiter. Der fortsetzende
wirtschaftliche Aufschwung ermöglicht den weiteren
Ausbau zahlreicher sozialer Sicherungsleistungen. In
den 1960er-Jahren werden jedoch zunehmend die Grenzen des Sozialstaats hinterfragt und Warnungen vor
einem „Versorgungsstaat“ laut. Der Ausbau geht dennoch weiter. „Sozialinvestitionen“ ist ein Schlagwort
dieser Zeit.
Zunächst werden die Leistungen, beispielsweise in der
gesetzlichen Krankenversicherung, noch erweitert: Sie
finanzieren nun auch Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen. Außerdem wird die Ausstattung der Kliniken verbessert. Ein neues Gesetz zur gesetzlichen
Unfallversicherung garantiert, dass auch Schüler und
Studierende unfallversichert sind. Die Versicherung
greift bei Unfällen, die sich in der Schule oder am Arbeitsplatz beziehungsweise auf dem Weg dorthin und
zurück ereignen, sowie bei Berufskrankheiten. Außerdem verbessert das Rehabilitationsangleichungsgesetz
die Leistungen zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation (Wiederherstellung, Eingliederung) von
Menschen mit Behinderungen.
Anfang der 1960er-Jahre reformiert der Bundestag das
Armen- und Fürsorgerecht, das noch aus der Weimarer
Republik stammt, und führt 1961 die Sozialhilfe ein. Sie
soll Menschen in Not existenziell absichern. Ihre Leistungen können aus Geld-, Sach- und Dienstleistungen
(zum Beispiel Beratung) bestehen. Bevor Sozialhilfe bewilligt wird, müssen jedoch alle anderen Möglichkeiten
ausgeschöpft sein, und es darf kein eigenes Einkommen
beziehungsweise Vermögen mehr zur Verfügung stehen.
die zunehmende Motorisierung unterstreicht den wachsenden Wohlstand in den 1950er-Jahren: Am 5. August 1955 läuft
der einmillionste VW-Käfer vom band. bild: fotografie, 1955.
16
Im Jahr 1975 erreicht der Sozialstaat seine Grenzen: Ölpreisschock und Strukturwandel verringern das Wirtschaftswachstum und lösen eine Rezession (wirtschaftlicher Abschwung) aus. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu.
Auch die Zahl der Rentner wächst, ihre rechtlichen
Ansprüche sind durch die Rentenreform gestiegen. Infolgedessen steigen die Sozialausgaben, während die
Einnahmen sinken.
S
• D
erMindesturlaubfüralleArbeitnehmergiltab1.Januar
1963undistimBundesurlaubsgesetzfestgeschrieben.
• Ab dem 27. Juli 1969 sichert das lohnfortzahlungsgesetz den Arbeitnehmern bei Krankheit den vollen Lohn
fürsechsWochen.
• Schüler und Studenten können seit dem 1.Juli 1970
finanzielle Förderung beantragen. Grundlage ist das
ersteAusbildungsförderungsgesetz.
• Am15.Januar1972wirddasbetriebsverfassungsgesetz
reformiert. Die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften
erhaltenmehrRechteimBetrieb.
• Mit der zweiten rentenreform vom 16.Oktober 1972
öffnet sich die Rentenversicherung für Selbstständige
undHausfrauen.SieschafftzudemeineRentenachMin-
desteinkommen und führt die flexible Altersgrenze mit
63Jahrenein.
• Am18.März1971werdenSchüler,StudentenundKinder
in Kindergärten in die gesetzliche unfallversicherung
aufgenommen.
!
Weiterführende informationen bei sozialpolitik.com:
Rubrik„Politik“
Rubrik„Berufswelt“
Rubrik„Zeitleiste“:GesetzeundNeuerungen
L
BundeszentralefürpolitischeBildung/Themen/Geschichte/BundesrepublikDeutschland:www.bpb.de
DeutschesHistorischesMuseum/LeMO(LebendigesvirtuellesMuseumOnline):www.dhm.de/lemo
DeutscheGeschichten:www.deutschegeschichten.de
ZeitOnline„ChronikderEreignisse“:www.zeit.de/2006/08/i_Zeitleiste_1946-1966
DeutscherGewerkschaftsbund„GeschichtedesDGB“:www.60-jahre-dgb.de
Hans-Böckler-Stiftung„60JahreTarifvertragsgesetz“:www.boeckler.de
Goethe-Institut„DeutscheStars–InnovationenmadeinGermany“:www.goethe.de/ges/mol/typ/de10148255.htm
Quellenhinweis:
FürdiesesKapitelwurdennebendemAusstellungskatalog„IndieZukunftgedacht–BilderundDokumentezurDeutschenSozialgeschichte“des
BundesministeriumsfürArbeitundSoziales,Bonn2008,auchfolgendeQuellenherangezogen:DeutschesHistorischesMuseum/LeMO(Lebendiges
virtuellesMuseumOnline):„1949–1989“,www.dhm.de/lemo;DeutscheGeschichten,CinePlusLeipzigGmbHinKoproduktionmitderBundeszentralefürpolitischeBildung,www.deutschegeschichten.de;BundeszentralefürpolitischeBildung:Dossier„GrundgesetzundParlamentarischer
Rat“undPocket„Zeitgeschichte1945–2000“,Bonn2008,www.bpb.de;Hans-Böckler-Stiftung:„60JahreTarifvertragsgesetz“,Düsseldorf2009,
www.boeckler.de;DeutscherGewerkschaftsbund:„60JahreDeutscherGewerkschaftsbund“,Berlin2009,www.dgb.de;DeutscheBundesbank:
„Währungsreform1948“,Frankfurt2007,www.bundesbank.de(Stand:Januar2010).
17
Kapitel4:1974bis1989
Grenzen des Sozialstaats
1970er-Jahre
Strukturwandel und steigende Arbeitslosigkeit
In den 1950er-Jahren ist Arbeitslosigkeit nahezu unbekannt. 20 Jahre später nimmt sie jedoch aufgrund des
Wandels in der Wirtschaft und der Gesellschaft stetig zu. Im Jahr 1970 gibt es noch nicht einmal 150.000
Arbeitslose, im Jahr 1975 wird schon die siebenfache
Menge gezählt: Mehr als eine Million Menschen haben
keine Arbeit. Bis Mitte der 1980er-Jahre verdoppelt sich
die Zahl noch einmal auf über zwei Millionen.
Zusammen mit anderen Industrienationen erlebt
Deutschland einen massiven Strukturwandel von der
Industriegesellschaft hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Zudem setzt auch ein technologischer Wandel
ein. Roboter und erste Computer ersetzen zunehmend
die menschliche Arbeitskraft. Arbeitsplätze fallen in
dieser Zeit in allen Bereichen weg, vor allem aber in der
Industrie und der Landwirtschaft. Mitte der 1970er-Jahre gibt es mehr Angestellte und Beamte als Arbeiter. Zugleich steigen die Ansprüche an den Bildungsstand und
die berufliche Qualifikation. Ungelernte haben immer
weniger Chancen auf einen Arbeitsplatz.
Sozialpolitische Sparmaßnahmen
Sozialstaatliche Errungenschaften wie die Rentenreform müssen schon wenige Jahre nach ihrer Umsetzung nachgebessert werden. Durch die Einführung der
„flexiblen Altersgrenze“ (1972) ist die Zahl der Rentner
gestiegen. Gleichzeitig haben sie größere rechtliche
Ansprüche, was ebenfalls die Sozialausgaben belastet.
in den 1970er-Jahren werden Arbeitsabläufe vermehrt technisiert. bild: rechenzentrum der bundespost, fotografie, 1974.
18
Hinzu kommt, dass die Einnahmen der Arbeitslosenversicherung wegen der zunehmenden Arbeitslosigkeit
sinken, denn Sozialversicherungsbeiträge zahlen nur
diejenigen, die Arbeit haben.
Erste Sparmaßnahmen werden schließlich im Jahr 1976
durchgesetzt: Die Rentenanpassung an die Löhne wird
verzögert, das heißt, die Renten steigen nicht mehr, so
wie es festgelegt war, parallel zu den Löhnen. Außerdem werden Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe gesenkt. Eine Beteiligung der Versicherten an den Kosten
der Krankenversicherung wird eingeführt (Eigenbeteiligung).
um ihre Belange kümmert. In der Sozialpolitik entsteht
aus dieser Debatte der Begriff „Neue Soziale Frage“, in
Anlehnung an die „Soziale Frage“ des 19. Jahrhunderts,
welche durch die Industrielle Revolution ausgelöst worden war.
Ab dem Jahr 1975 wird erstmals auch für jedes erste
Kind ein Kindergeld eingeführt und in den folgenden
Jahren erhöht. Bis 1982 verzehnfachen sich die Kindergeldzahlungen. Mit dem Mutterschaftsurlaubsgesetz
von 1979 bekommen Mütter sechs Monate lang ein Mutterschaftsgeld von 750 DM pro Monat. Zudem erhalten
Mütter einen besonderen Kündigungsschutz. Ziel ist die
rechtliche Besserstellung von (berufstätigen) Müttern.
Die „Neue Soziale Frage“
Neben dem Aus- und Umbau der Sozialversicherungen
auf der einen Seite löst die Forderung nach mehr Unterstützung für Familien und Kinder auf der anderen
Seite laute Diskussionen aus. Gefördert und abgesichert
werden vorwiegend diejenigen, die im Berufsleben stehen. Mütter, die nicht arbeiten, und kinderreiche Familien sind im Nachteil. Sie haben keine Organisation
(wie die Gewerkschaften für die Arbeitnehmer), die sich
Wichtige Ereignisse und politische Aktionen in den 1970er-Jahren
• umweltschutz:WährendderUmweltschutzAnfangder
1970er-JahreeheralsregionaleFragegesehenwird,
fordern neue weltweite Bewegungen für den Schutz
vonLuft,Wasser,Boden,Pflanzen-undTierweltinternationaleMaßnahmen.DerSchutzderUmweltwirdein
wichtigesThemainderPolitik.
• frauenbewegung:Das1975vonderUNOausgerufene
„JahrderFrau“verschafftdenautonomenFrauenbewegungen mehr Anerkennung. Sie organisieren sich
ineinemNetzwerkvonpersönlichenKontakten,ohne
festeStrukturoderDachverband.IhrepolitischenZiele
versuchensiezusammenmitanderensozialenBewegungendurchzusetzen.
• s
chwangerschaftsabbruch:NachlangenAuseinandersetzungenwird1976eineIndikationslösungbeschlossen. Danach ist straffreier Schwangerschaftsabbruch
innerhalbeinerbestimmtenZeitspanneundunterbestimmtenVoraussetzungenmöglich.
• terror: Im Jahr 1977 erschüttern mehrere terroristische Gewaltaktionen der Rote Armee Fraktion (RAF)
die Bundesrepublik. Der damalige ArbeitgeberpräsidentHannsMartinSchleyerwirdentführtundermordet.
19
1980er-Jahre
Regierungs- und Kurswechsel
Auch Anfang der 1980er-Jahre sind wirtschafts- und
sozialpolitische Sparmaßnahmen nötig: Die Staatsverschuldung und die staatlichen Sozialausgaben müssen
weiter reduziert werden. Die Unternehmen sollen steuerlich entlastet werden, um wieder mehr investieren
zu können. Leider bringen die Bemühungen nicht den
erhofften Erfolg.
1982 muss Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) nach
einem konstruktiven Misstrauensvotum sein Amt aufgeben. Dieser parlamentarische Akt, bei dem das Parlament sein Misstrauen gegenüber dem Bundeskanzler
und der Regierung ausspricht, ist Basis für die Wahl
eines Nachfolgers zum Bundeskanzler. Neuer Regierungschef wird Helmut Kohl (CDU), der am 1. Oktober
1982 mit seinem Regierungsstab aus CDU, CSU und FDP
das neue Amt antritt. Sein neuer (sozial-)politischer
Kurs lautet: „weniger Staat, mehr Markt“, „weg von kollektiven Lasten, hin zur persönlichen Leistung“, „Abbau
verkrusteter Strukturen zugunsten größerer Beweglichkeit, mehr Eigeninitiative und mehr Wettbewerb“.
cherung, das Gesundheitssystem und die Einkünfte für
Erwerbslose. Schrittweise werden in den Jahren 1977,
1982 und 1983 die Renten nicht mehr nach dem Brutto-,
sondern nach dem Nettoeinkommen der Arbeitnehmer
berechnet. Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung
werden reduziert, und in der gesetzlichen Krankenversicherung werden Gebühren für Medikamente erhoben.
Ende der 1980er-Jahre wird langsam der so genannte
demografische Wandel sichtbar: Die Menschen leben
immer länger, das heißt, Renten und Pflegeleistungen
müssen länger gezahlt werden. Gleichzeitig sinkt die
Zahl der Geburten. Das hat zur Folge, dass immer
weniger Menschen in die Sozialversicherungssysteme
einzahlen. Gleichzeitig erhalten aber immer mehr Versicherte soziale Leistungen.
Dauerproblem: Arbeitslosigkeit
Vor allem Jugendliche, die den Einstieg in den Beruf
nicht schaffen, sind zunehmend von Arbeitslosigkeit
betroffen. Mit dem Vorruhestandsgesetz (1984) soll dieses Problem angegangen werden. Beschäftigte können
bereits mit 58 Jahren vorzeitig in Rente gehen und „den
Jungen Platz machen“.
(ausderRegierungserklärungvom1.Oktober1982)
Weitere Einschnitte bei den Sozialleistungen
Die Arbeitslosigkeit kann auch in den 1980er-Jahren
nicht merklich verringert werden. Die Sozialversicherungsbeiträge werden erhöht, weitere Einschnitte in
das Sozialsystem sind nötig: Sie betreffen die Alterssi-
Im Jahr 1985 wird das Beschäftigungsförderungsgesetz
verabschiedet. Es soll ebenfalls den Arbeitsmarkt ankurbeln. Zeitarbeitsverträge und Teilzeitarbeit werden
beispielsweise verstärkt gefördert. Ausländer, deren
Arbeitskraft in den 1960er-Jahren noch händeringend
gesucht worden war, bekommen finanzielle Unterstützung, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren wollen.
die sinkende Geburtenrate hat zur folge, dass immer weniger Menschen in die sozialversicherungssysteme einzahlen.
bild: fotografie, 1987.
20
Kürzere Wochenarbeitszeiten sollen zusätzlich helfen,
die Arbeitslosigkeit zu senken: Im Jahr 1985 wird die
Arbeitszeit in der Metall- und Druckindustrie auf 38,5
Stunden reduziert, 1989 auf 37 Stunden.
Im Jahr 1987 werden die Höchstbezugsdauer des Arbeitslosengeldes und die Bezugsfrist des Kurzarbeitergeldes
für Betriebe der Stahlindustrie erhöht. Auch diese Maß-
nahmen sollen die soziale Lage der Menschen, die keine
Arbeit haben, verbessern.
Trotz des Sparkurses und neuer Gesetze kann eine dauerhafte Stabilität der sozialen Sicherungssysteme und eine
Reduzierung der Arbeitslosigkeit angesichts der wirtschaftlichen und demografischen Herausforderungen
auch von der neuen Regierung nicht erreicht werden.
Wichtige Ereignisse und politische Aktionen in den 1980er-Jahren
!
• streik in Polen:ImJahr1980streikendieArbeiterin
Polen und erreichen von der polnischen Regierung
entscheidendeZugeständnisse:dieErlaubnis,Gewerkschaftenzugründen,unddasStreikrecht.Diesistder
Beginnder„Solidarnosc-Bewegung“inPolenundder
DemokratisierunginOsteuropa.
• das Ende des „Eisernen Vorhangs“: Ungarn öffnet
alserstes
OstblocklandinderNachtvom10.aufden
11.September 1989 den Grenzzaun zu Österreich.
Immer mehr Menschen aus der DDR kommen über
UngarnindieBRD.AnderestürmendieBotschaftenin
PragundWarschau,umihreAusreisezuerzwingen.
• Atomkatastrophe tschernobyl: Beim Brand eines
Atomreaktors am 26. April 1986 im ukrainischen
Tschernobyl wird mehr Radioaktivität freigesetzt als
beimAtombombenabwurf1945aufHiroschima.Inganz
Europa wird erhöhte Radioaktivität gemessen. Der
AusstiegausderAtomenergiewirdzueinemwichtigen
politischenThema.
• Mauerfall und Ende des Ost-West-Konflikts: Am
9.November 1989 fällt nach 28 Jahren die Berliner
Mauer.Nach40JahrenDDRundBRDfallensichtausende Ostdeutsche und Westdeutsche am Branden-
burger Tor in die Arme. Schnell wird klar, dass die
Mehrheit der DDR-Bevölkerung eine zügige Wiedervereinigungmöchteundsowohlaufpolitischealsauch
aufwirtschaftlicheVerbesserungenhofft.
Weiterführende informationen bei sozialpolitik.com:
Rubrik„Berufswelt“
Rubrik„Sicherheit“
Rubrik„Zeitleiste“:GesetzeundNeuerungen
linktipps:
BundeszentralefürpolitischeBildung/Themen/Geschichte/GeschichtederBundesrepublikDeutschland„Deutschlandinden
70er-/80er-Jahren“:www. bpb.de
DeutschesHistorischesMuseum/LeMO(LebendigesvirtuellesMuseumOnline):www.dhm.de/lemo
DeutscheGeschichten:www.deutschegeschichten.de
ZeitOnline„ChronikderEreignisse“:www.zeit.de/2006/08/i_Zeitleiste_1946-1966
Quellenhinweis:
FürdiesesKapitelwurdennebendemAusstellungskatalog„IndieZukunftgedacht–BilderundDokumentezurDeutschenSozialgeschichte“des
BundesministeriumsfürArbeitundSoziales,Bonn2008,auchfolgendeQuellenherangezogen:DeutschesHistorischesMuseum/LeMO(Lebendiges
virtuellesMuseumOnline):„1949–1989“,www.dhm.de/lemo;DeutscheGeschichten,CinePlusLeipzigGmbHinKoproduktionmitderBundeszentralefürpolitischeBildung,www.deutschegeschichten.de;BundeszentralefürpolitischeBildung:InformationenzurpolitischenBildung(Heft270):
„Deutschlandinden70er-/80er-Jahren“,Bonn2001,www.bpb.de;MitteldeutscherRundfunk:„DamalsinderDDR“,Mai2006,www.mdr.de(Stand:
März2010).
21
Kapitel5:1990bis1998
Wiedervereinigtes Deutschland
Auf dem Weg zur Einheit
Die im März 1990 erste frei gewählte DDR-Regierung
unter CDU-Ministerpräsident Lothar de Maizière verfolgt das Ziel, den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik
gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes vorzubereiten.
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur staatlichen Einheit ist der Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik
und der DDR, der am 1. Juli 1990 in Kraft tritt. Die Deutsche Mark (DM) wird als einziges Zahlungsmittel auch
in Ostdeutschland eingeführt.
Löhne und Gehälter sowie Renten werden zum Kurs
1:1 umgestellt, also eine Ostmark gegen eine Deutsche
Mark. Sparguthaben können ebenfalls bis zu einem bestimmten Betrag (abhängig vom Alter des Sparers) 1:1
umgetauscht werden. Guthaben und Schulden, die darüber liegen, werden zum Kurs 2:1 umgestellt.
Die einheitliche Währung und die Übernahme der bundesdeutschen Sozialversicherung (Renten-, Kranken-,
Pflege-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung), der Sozialhilfe und des Arbeitsrechts (Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie, Streikrecht, Betriebsverfassung, Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) im
Rahmen der Sozialunion schaffen die Voraussetzungen
für die Einführung der sozialen Marktwirtschaft (Wirtschaftsunion) in den neuen Bundesländern.
Am 3. Oktober 1990 können die Deutschen in Ost und
West gemeinsam die deutsche Einheit feiern: An diesem
Tag tritt der Einigungsvertrag vom 31. August in Kraft,
und damit wird der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland vollzogen. Im „Zwei-plus-Vier-Vertrag“
vom September 1990 hatten die vier Siegermächte zuvor
dem vereinigten Deutschland die volle Regierungsgewalt (Souveränität) übertragen.
besucher aus Potsdam werden am 10. november 1989 freudig von den Westberlinern empfangen. bild: fotografie, 1989.
22
Neue Aufgaben für den
gesamtdeutschen Sozialstaat
Gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West zu schaffen
ist Anfang der 1990er-Jahre das wichtigste Ziel der Sozialpolitik. Trotz der Freude über die Wiedervereinigung
wird schnell klar: Es sind große finanzielle Anstrengungen notwendig, um die Einheit zu finanzieren. Die Sozialleistungsquote steigt von 30,7 Prozent im Jahr 1989 auf
34,1 Prozent im Jahr 1994.
sind zu hoch, ihre Produkte nicht marktfähig. Millionen
Beschäftige verlieren ihre Arbeitsplätze, weil Unternehmen schließen müssen.
Im Jahr 1993 überschreitet die Arbeitslosenzahl in der
Bundesrepublik erstmals die Dreimillionengrenze, 1997
sind über vier Millionen Menschen ohne Arbeit. Eine
Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
sowie Einschnitte bei den Leistungen sind die Folgen.
Rentenversicherung
Außerdem kann der bundesdeutsche Sozialstaat nicht
einfach per Gesetz übertragen werden. In den neuen
Bundesländern fehlen die entsprechenden Einrichtungen und Regelungen. Auch die sozialpolitischen Akteure
wie freie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Berufsgenossenschaften und Träger der Kranken- und Rentenversicherung müssen sich erst neu bilden.
Die neuen Mitbürger müssen in das bundesdeutsche Sozialsystem integriert und in die soziale Marktwirtschaft
eingeführt werden. Von heute auf morgen müssen sich
die ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -Bürger komplett
umstellen und neu orientieren. Gleichzeitig muss der
Umbau des Sozialstaats der „alten Bundesrepublik“ weitergehen.
„Aufbau Ost“ und Arbeitsmarkt
Den wirtschaftlichen Aufbau der neuen Bundesländer
tragen Staat, Gesellschaft und Wirtschaft gemeinsam.
1991 und 1992 zahlen die Bürgerinnen und Bürger in Ost
und West erstmals einen Solidaritätszuschlag (auch:
„Soli“) zusätzlich zur Einkommensteuer.
Am 13. März 1993 wird ein Solidarpakt zwischen Bund
und Ländern zur Finanzierung der deutschen Einheit
(auch: „Aufbau Ost“) vereinbart. Die Hauptlast trägt der
Bund. Im Jahr 1995 wird der Solidaritätszuschlag wieder
eingeführt. Zunächst sind es 7,5 Prozent, von 1999 bis
2010 5,5 Prozent zusätzlich zur Einkommensteuer. Dennoch geht der Aufbau Ost nur stockend voran.
Probleme bereitet vor allem die Umstellung von der
sozialistischen Planwirtschaft in Ostdeutschland zur
sozialen Marktwirtschaft. Hinzu kommt, dass traditionelle Absatzmärkte der DDR in Osteuropa wegbrechen,
weil auch hier durch die politische und wirtschaftliche
Neuorganisation die Nachfrage sinkt.
Etwa 8.000 volkseigene Betriebe der ehemaligen DDR
mit rund vier Millionen Beschäftigten werden privatisiert. Das bedeutet, dass öffentliches Vermögen in das
Eigentum privater Unternehmer übergeht. Viele der
neuen Unternehmen sind der westdeutschen Konkurrenz jedoch nicht gewachsen. Ihre Produktionskosten
Mit der Wiedervereinigung werden Millionen ehemaliger DDR-Bürgerinnen und -Bürger in das bundesdeutsche Rentensystem integriert. Darunter sind rund vier
Millionen Menschen, die Rentenzahlungen bekommen.
Ab 1. Januar 1992 gilt in den neuen Bundesländern mit
dem „Rentenüberleitungsgesetz“ das Rentenrecht der
Bundesrepublik. Das heißt, Rentnerinnen und Rentner
aus den neuen Bundesländern haben einen Anspruch
auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Zeiten der Erwerbstätigkeit in der DDR werden
in Beitragszeiten der Rentenversicherung umgerechnet.
Zusammen mit der Problematik der alternden Gesellschaft und der anhaltenden Arbeitslosigkeit nimmt der
Druck auf die Rentenkassen weiter zu.
Infolge eines Beschlusses vom 9. November 1989 tritt
im Jahr 1992 die vom Bundestag verabschiedete Rentenreform in Kraft. Neu ist, dass die Höhe der Renten nun
an die Nettolöhne (Bruttolohn minus Steuern und Sozialbeiträge ergibt den Nettolohn) angepasst wird. Das
heißt, wenn die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitnehmer steigen und sie damit weniger
Geld haben, fallen auch die Renten geringer aus.
Die Altersgrenze, ab der man in Rente gehen kann, wird
schrittweise von 60 und 63 auf 65 Jahre heraufgesetzt.
Wer früher in Rente gehen möchte, kann dies nur mit
Abzügen tun. Neu ist auch, dass für die Kinderziehung
nun drei Jahre bei der Rentenberechnung anerkannt
werden. Weitere Reformen mit Einschnitten bei der
Rentenversicherung folgen 1996 und 1997.
Die gesetzliche Rentenversicherung wird über Beiträge
finanziert, die sich die Arbeitnehmer und Arbeitgeber
teilen. 1990 beträgt der Rentenbeitragssatz 18,7 Prozent
des Bruttolohns, 1997 und 1998 liegt er bei 20,3 Prozent. Damit der Beitragssatz nicht noch weiter steigt,
leistet der Bund seit 1998 einen erheblichen Zuschuss
zur Rentenversicherung. Ende der 1990er-Jahre liegt der
Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung bei
19,5 Prozent.
23
ambulanten Pflege) und in stationären Einrichtungen
gewährt. Als (schwer) pflegebedürftig gelten Menschen,
die dauerhaft Hilfe bei alltäglichen Verrichtungen (wie
Körperpflege, Ernährung oder Mobilität) brauchen.
Wer gesetzlich krankenversichert ist, gehört automatisch auch der gesetzlichen Pflegeversicherung an. Dies
gilt auch für mitversicherte Familienangehörige. Wer
privat krankenversichert ist, muss eine private Pflegeversicherung abschließen. Wie in den anderen Zweigen
der Sozialversicherung teilen sich Arbeitnehmer und
Arbeitgeber die Beiträge je zur Hälfte (Ausnahme: Sachsen). Anfangs liegt der Beitrag bei einem Prozent, zum
1. Juli 1996 steigt er auf 1,7 Prozent.
durch den medizinischen fortschritt steigen die Kosten im
Gesundheitswesen kontinuierlich an. bild: fotografie, 2006.
Krankenversicherung
In der ehemaligen DDR war die medizinische Versorgung Aufgabe des staatlichen Gesundheitswesens. Es
gab also keine privaten Leistungsanbieter. Das heißt:
Niedergelassene Ärzte, Zahnärzte und Apotheker oder
private und gemeinnützige Krankenhausträger müssen
nach der Wiedervereinigung zügig neu zugelassen, gefördert oder aufgebaut werden. Diese großen strukturellen Veränderungen sind Voraussetzung für die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung in Westdeutschland gibt es lange vor der Einheit Finanzierungsprobleme, die mit Reformen und Gesetzen gelöst
werden sollen. Am 1. Januar 1993 tritt das Gesundheitsstrukturgesetz mit Leistungskürzungen in Kraft. Die
Versicherten müssen erstmals bei Zahnersatz, Arzneiund Heilmitteln Zuzahlungen leisten. Auch die Beiträge
zur Krankenversicherung steigen.
Sozialpolitik im vereinten Europa
Bereits seit 1989 haben sich die Mitgliedstaaten mit der
„Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ zu mehr sozialem
Schutz für Arbeitnehmer verpflichtet. Weitere Pläne zur
sozialen Sicherung auf europäischer Ebene werden mit
dem Vertrag über die Europäische Union ausgearbeitet.
Am 7. Februar 1992 unterzeichnen ihn die zwölf Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) in der
niederländischen Stadt Maastricht und schließen sich
damit zur Europäischen Union (EU) zusammen.
Wichtigste Ziele sind eine gemeinsame Wirtschaftsund Sozialunion sowie eine gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik. Am 1. November 1993 tritt der
„Maastrichter Vertrag“ in Kraft.
Mit dem beigefügten „Abkommen über die Sozialpolitik“
können die EU-Mitgliedstaaten jetzt in einzelnen Bereichen gemeinsame Entscheidungen treffen. Dazu gehört
neben der Beschäftigungsförderung und der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen auch die Förderung der Chancengleichheit.
Die elektronische Krankenversichertenkarte wird eingeführt und löst den Krankenschein ab. Ab dem 1. Januar 1996 können alle Versicherten der gesetzlichen
Krankenkassen frei wählen, ob sie sich bei einer der
Allgemeinen Ortskrankenkassen, Ersatzkrankenkassen,
Betriebskrankenkassen oder Innungskrankenkassen
versichern.
Am 26. März 1995 werden die Grenzkontrollen zwischen den EU-Ländern Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Portugal und Spanien
abgeschafft. Anlass ist das Inkrafttreten des „Schengener Abkommens“, das Deutschland, Frankreich und die
Benelux-Staaten bereits zehn Jahre zuvor in der luxemburgischen Stadt Schengen abgeschlossen hatten.
Pflegeversicherung
Im Jahr 1999 werden die „Abkommen über die Sozialpolitik“ im EU-Vertrag fest verankert. Die Schwerpunkte
der europäischen Sozialpolitik liegen auf Fragen der Beschäftigung, Chancengleichheit, Ausgrenzung und öffentlichen Gesundheit.
Um kranke und pflegebedürftige Menschen, deren Einkommen oder Rente für eine sorgfältige Pflege nicht
ausreicht, aus der Sozialhilfe herauszuholen, wird als
fünfter Zweig der Sozialversicherung zum 1. Januar 1995
die gesetzliche Pflegeversicherung eingeführt. Leistungen werden Pflegebedürftigen zuhause (also in der
24
Wichtige Ereignisse der 1990er-Jahre
• Am2.Dezember1990findetdieerstegesamtdeutsche
bundestagswahl statt. Es ist das erste frei gewählte
ParlamentinGesamtdeutschlandseit1932.DieRegierungwirdvoneinemBündnis(Koalition)ausCDU,CSU
und FDP gebildet. Erster gesamtdeutscher BundeskanzleristHelmutKohl,CDU.
• ImJuni1991beschließtderBundestag,vonBonnnach
Berlinzuziehen.Derumzug der bundesregierungsoll
biszumJahr2000abgeschlossensein.
• ImSeptember1991überfallenrechtsextremeinHoyerswerda vietnamesische Gastarbeiter. Weitere Ausschreitungen gegen und Brandanschläge auf Auslän-
der und Asylbewerber folgen im August 1992 in
Rostock,imNovember1992inMöllnundimMai1993
inSolingen.
!
• Seit1995istderschwangerschaftsabbruchindenerstenzwölfWochenderSchwangerschaftstraffrei.Eine
BeratungdavoristaberPflicht.
• Am 26. April 1997 fordert der deutsche Bundespräsident Roman Herzog in einer Rede, „durch deutschland muss ein ruck gehen“.ErbeklagtdenMangelan
UnternehmergeistundEngagement.
• Am27.September1998wirdGerhard schröder,SPD,
zum neuen Bundeskanzler gewählt. Die neue RegierungskoalitionbildenSPDundGrüne.Nach16Jahren
endetdamitdieÄraHelmutKohl.
Weiterführende informationen bei sozialpolitik.com:
Rubrik„Politik“
Rubrik„Sicherheit“
Rubrik„Zeitleiste“:GesetzeundNeuerungen
L
DeutschesHistorischesMuseum/LeMO(LebendigesvirtuellesMuseumOnline):www.dhm.de/lemo
DeutscheGeschichten:www.deutschegeschichten.de
ZeitOnline„ChronikderEreignisse“:www.zeit.de/2006/08/i_Zeitleiste_1946-1966
Quellenhinweis:
FürdiesesKapitelwurdennebendemAusstellungskatalog„IndieZukunftgedacht–BilderundDokumentezurDeutschenSozialgeschichte“des
BundesministeriumsfürArbeitundSoziales,Bonn2008,auchfolgendeQuellenherangezogen:DeutschesHistorischesMuseum/LeMO(Lebendiges
virtuellesMuseumOnline):„1989/1990DeutscheEinheit“,„1990bisheute“,www.dhm.de/lemo;DeutscheGeschichten:„1989bis2005“,CinePlus
LeipzigGmbHinKoproduktionmitderBundeszentralefürpolitischeBildung,www.deutschegeschichten.de;BundesministeriumfürArbeitund
Soziales:„GeschichtederGesetzlichenRentenversicherung“,online:www.bmas.de;AusstellungdesBMAS/BMGanlässlichderFeier„60Jahre
Bundesrepublik Deutschland“, Online: www.bmg.bund.de; AOK-Bundesverband: Online-Lexikon, www.aok-bv.de; Friedrich-Ebert-Stiftung: „40
JahreaktiveArbeitsmarktpolitikinDeutschland–BeitragzueinerBilanz“,inWISOdirekt,Juni2009(Stand:Mai2010).
25
Kapitel6:1998bis2005
Reformen sichern die Zukunft
Die Sorgen des Sozialstaats
Arbeitsmarktreformen: die „Hartz-Gesetze“
Die Belastungen für das deutsche Sozialversicherungssystem nehmen bis zur Jahrtausendwende weiter zu.
Seit 1997 sind über vier Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos. Der demografische Wandel hält weiter
an – die Menschen werden älter, bekommen aber weniger Nachwuchs.
Zentrales Problem bleibt die hohe Arbeitslosigkeit, die
schon seit Anfang der 1980er-Jahre zu den größten
sozialen Problemen in Deutschland gehört. Mitte der
1980er-Jahre liegt die Arbeitslosenquote bei 9,1 Prozent,
sinkt bis 1990 auf 7,2 Prozent und erreicht im Jahr 1998
ihren Höhepunkt mit 12,8 Prozent.
Die Kosten für die Gesundheit steigen mit zunehmender
Verbesserung der medizinischen Versorgung. Das Geld
wird immer knapper, die Sorge um die Finanzierung
des sozialen Sicherungssystems größer. Hinzu kommen
der Wandel der Arbeitswelt innerhalb der Europäischen
Union und auch die wachsende weltweite Standortkonkurrenz (Globalisierung). Sie zwingen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer sowie die Regierung zum Umdenken.
Der Grundstein für eine tief greifende Reform auf dem
Arbeitsmarkt wird zur Jahrtausendwende mit der Einberufung der „Kommission für moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt“ (auch: „Hartz-Kommission“) gelegt.
Benannt nach ihrem Vorsitzenden, Dr. Peter Hartz, ist
das Hauptziel der Expertenkommission, im Auftrag der
Bundesregierung ein umfassendes Konzept zum Abbau
der Arbeitslosigkeit und zur Erhöhung der Beschäftigung zu entwickeln.
Einige Reformen sind bereits bis Ende des Jahrtausends
auf den Weg gebracht worden. Unter dem Leitsatz „Aufbruch und Erneuerung“ kündigt die neue Bundesregierung weitere Reformen an.
die regierung kündigt im neuen Jahrtausend notwendige reformen an. bild: Glaskuppel des deutschen bundestages im
umgebauten reichstagsgebäude in berlin, fotografie 1999.
26
Insgesamt werden in den nächsten Jahren vier „Gesetze
für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (auch:
„Hartz-Gesetze“) verabschiedet.
HartzIundHartzIItretenam1.Januar2003inKraft.Mit
demerstenGesetz(hartz i)sollenneueBeschäftigungswege eingeschlagen und neue Arbeitsplätze geschaffen
werden. So werden zum Beispiel Bildungsgutscheine
eingeführt,mitdenenArbeitsloseihreWeiterbildungseinrichtung selbst aussuchen können. Eine sofortige Meldepflichtschreibtvor,sichbeiKündigungumgehendarbeitsloszumelden,ansonstenkanndasArbeitslosengeld
gekürztwerden.
DaszweiteGesetz(hartz ii)regeltdieBeschäftigungsarten von so genannten Mini- und Midijobs, die Gründung
einer„Ich-AG“(Unternehmen,dasauseinerPersonbestehenkann)unddieEinrichtungvonJobzentren,dieaus
Arbeits-undSozialämternzusammengesetztsindunddie
Arbeitsvermittlungbeschleunigensollen.
hartz iiitrittam1.Januar2004inKraft.DasdritteGesetz
schafft die rechtlichen Grundlagen für den Umbau der
Bundesanstalt für Arbeit zur Bundesagentur für Arbeit.
Mit der neuen Agentur soll ein moderner und kundenorientierter Dienstleister entstehen. Außerdem wird die
freiwillige Weiterversicherung zur ArbeitslosenversicherungfürExistenzgründerundPflegendevonAngehörigen
eingeführt.
hartz iV,dasumfassendsteundamhäufigstenkritisierte
GesetzdesgesamtenPaketes,trittam1.Januar2005in
Kraft. Mit dem vierten Gesetz werden Arbeitslosen- und
Sozialhilfe abgeschafft und das Arbeitslosengeld II, die
„Grundsicherung für Arbeitsuchende“ eingeführt (umgangssprachlich„HartzIV“genannt).Werarbeitsfähigund
imAlterzwischen15und64Jahrenist,erhältdieseHilfe.
AuchdiePartneroderminderjährigeKinder,diemitdem
Hilfebedürftigen zusammenleben, können das Arbeits-
losengeld II beantragen. Wenn die Angehörigen nicht
erwerbsfähigsind,erhaltensiedasebenfallsneueingeführteSozialgeld.
Bis dahin ist die Arbeitslosenhilfe wie das Arbeitslosengeld über die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
finanziert worden. Jetzt werden die Leistungen für Sozialgeld und Arbeitslosengeld II aus Steuereinnahmen
bezahlt. Neben einem so genannten Regelsatz, den die
Bedürftigen monatlich bekommen, werden Kosten für
Miete und Heizung übernommen, ebenso die Beiträge
für Kranken- und Pflegekassen.
„Agenda 2010: die Zukunft gestalten“
„Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem
Einzelnen abfordern müssen.“1 Das sind die Worte, mit
denen Bundeskanzler Gerhard Schröder am 14. März
2003 die Agenda 2010 unter dem Motto „Mut zum Frieden und Mut zur Erneuerung“ ankündigt.
Die Agenda 2010 (agenda: lateinisch „was zu tun ist“) ist
ein Maßnahmenbündel, mit dem in den kommenden
Jahren die Wirtschafts- und Sozialpolitik überarbeitet
werden soll. Das anfangs unbekannte Kennwort „Agenda 2010“ wird schnell zum Markenzeichen, das für viele
(sozial-)politische Themen und Neuerungen stehen
wird. Kernthemen sind Neuerungen in den Bereichen
Konjunktur und Haushalt, Arbeit und Wirtschaft sowie
soziale Sicherung.
Unter die Agenda 2010 fallen in den Folgejahren neben
dem Ausbau der Arbeitsmarktreform (Hartz III und IV)
auch neue Rentenreformen und die umfassende Reform
des Gesundheitssystems.
Reformen der gesetzlichen
Rentenversicherung
Die älter werdende Bevölkerung (demografischer Wandel) bleibt weiterhin die große Herausforderung in
der Alterssicherung. Einerseits muss die Rente für die
schrumpfende arbeitende Generation bezahlbar bleiben, andererseits muss sie gleichzeitig die Ruheständler länger finanzieren, da diese immer länger leben. Mit
„kleinen“ Reformen in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie mit der Einführung der Pflegeversicherung sind in den letzten drei Jahrzehnten erste Schritte
unternommen worden, die nun im neuen Jahrtausend
fortgeführt werden.
Anspruch auf Rente hat jeder Beitragszahler, der ins
Rentenalter kommt, aber auch jeder Beitragszahler, der
wegen einer Krankheit oder der Folgen eines Unfalls
nicht mehr arbeiten kann. Ab dem 1. Januar 2001 wird
dazu eine neue Regelung eingeführt: Aus „Rente wegen
Berufsunfähigkeit“ wird die „Rente wegen Erwerbsunfähigkeit“. Entscheidend ist nicht mehr, ob man noch
den gelernten Beruf ausüben kann, sondern ob man
überhaupt noch zwischen drei und sechs Stunden pro
Tag arbeiten kann, unabhängig von der Art der Arbeit.
Wer noch sechs Stunden und länger täglich arbeiten
kann, hat keinen Anspruch mehr. Für Versicherte, die
vor dem 2. Januar 1961 geboren sind, gibt es allerdings
auch künftig noch eine Rente wegen Berufsunfähigkeit.
1
Regierungserklärung„MutzumFriedenundMutzurVeränderung“vonBundeskanzlerGerhardSchröderam14.März2003vordemdeutschen
Bundestag,DeutscherBundestag,Plenarprotokoll15/32,Berlin2003,S.2479.Aus:„DieAgenda2010:EinewirtschaftspolitischeBilanz“:BundeszentralefürpolitischeBildung,online.www.bpb.de(Stand:Juni2010).
27
Da erkennbar ist, dass die Rente allein künftig nicht
ausreichend sein wird, um den gewohnten Lebensstandard zu sichern, schafft der Staat Anreize zur privaten Altersvorsorge. Entscheidend bleibt, dass auch für
künftige Generationen die Leistungen der gesetzlichen
Rentenversicherung die wichtigste Einnahmequelle im
Alter sein werden.
Im Frühjahr 2001 wird dazu ein Ergänzungsgesetz zur
Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur
Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens, das so genannte Altersvermögensergänzungsgesetz, verabschiedet. Zusammen mit den letzten Rentenreformen wird nun gewährleistet, dass die Beiträge
in den nächsten 30 Jahren relativ stabil bleiben werden.
Die Anpassung der Rentenhöhe (Dynamisierung) orientiert sich jetzt in veränderter Form an der allgemeinen
Einkommensentwicklung, das heißt am Bruttolohn
aller Beschäftigten.
Zudem werden ab dem 1. Januar 2002 betriebliche und
private Altersvorsorgeleistungen steuerlich gefördert.
Je nach der Höhe des Einkommens und je nach dem
Familienstand gibt es entweder Zulagen oder Steuerfreibeträge. Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitneh-
mer kann außerdem von seinem Arbeitgeber verlangen,
dass ein Teil des Lohns für eine betriebliche Altersversorgung verwendet wird.
Ab 2005 wird zusätzlich ein so genannter Nachhaltigkeitsfaktor in die Formel zur Rentenberechnung eingebaut, der auch die demografische Entwicklung berücksichtigt: Er setzt die Zahl der Leistungsempfänger
in Bezug zur Anzahl der erwerbstätigen Beitragszahler.
Werden die Beitragszahler weniger, fällt auch die Rentenanpassung geringer aus. Hinzu kommt, dass Rentner, die monatlich mehr als einen festgesetzten Betrag
Rente bekommen, ihre Einkünfte versteuern müssen.
Erwerbstätige erhalten hingegen Steuerbegünstigungen
für ihre Vorsorgeaufwendungen.
Neuerungen bei der Mitbestimmung
Um die Mitbestimmung am Arbeitsplatz durch Betriebsräte zu stärken, wird im Jahr 2001 das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) reformiert. So wird zum Beispiel
das Wahlverfahren für einen Betriebsrat in Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern vereinfacht. Ab einer
Betriebsgröße von mindestens 200 Arbeitnehmern kann
das system der Mitbestimmung
Quelle:Unterrichtsbaustein„MitbestimmunginEuropa“,herausgegebenvonderHans-Böckler-Stiftung,Wiesbaden2006,Seite7.
28
ein Betriebsratsmitglied ganz oder teilweise freigestellt
werden. Darüber hinaus bekommt der Betriebsrat ein
Mitbestimmungsrecht, wenn es darum geht, Mitarbeiter
weiter zu qualifizieren und auf diese Weise Arbeitsplätze zu sichern.
Im Jahr 2004 treten außerdem Neuregelungen über die
Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat für
Unternehmen mit mehr als 500 und bis zu 2.000 Arbeitnehmern in Kraft. Aufsichtsräte, das sind die Vertreter
der Arbeitnehmer und der Anteilseigner, werden seitdem zu einem Drittel von Arbeitnehmervertretern und
zu zwei Dritteln von Anteilseignern des Unternehmens
besetzt. Anteilseignern gehört ein bestimmter Anteil
des Unternehmens, meist in Form von Aktien.
Gleichstellung von Menschen
mit Behinderungen
Um Menschen mit Behinderungen verstärkt eigenverantwortlich am Leben in der Gesellschaft teilhaben zu
lassen, wird im Jahr 2001 ein neues Gesetzbuch verabschiedet: das Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX)
„Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“.
Zusätzlich kann mit dem „Gesetz zur Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter“ die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen innerhalb von drei
Jahren um etwa ein Viertel gesenkt werden.
Um Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen, ihnen barrierefreie Lebensräume zu
schaffen und ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, tritt am 1. Mai 2002 das „Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen“ in Kraft. So müssen zum
Beispiel künftig neue öffentliche Gebäude behindertengerecht geplant und Internetangebote möglichst barrierefrei gestaltet werden, sodass sie von allen Nutzern,
auch Menschen mit Hör- oder Sehbehinderungen, uneingeschränkt genutzt werden können. Menschen mit
Behinderungen wollen vor allem als Inhaber von Rechten, Qualitäten und Fähigkeiten sowie als unabhängige
Bürger und Verbraucher akzeptiert werden.
Die Gesundheitsreform:
Fortschritt sichern, Versorgung schützen
Auch in der gesetzlichen Gesundheitsversorgung sind
Neuerungen notwendig. Einerseits soll der medizinische Fortschritt weiter gefördert werden, andererseits
muss gleichzeitig die gesundheitliche Versorgung für
die Patienten bezahlbar bleiben. Als erster Schritt wird
zum 1. Januar 2003 das „Beitragssatzsicherungsgesetz“
gültig. Mit ihm sollen die Krankenkassenbeiträge stabilisiert und die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung gestärkt werden.
Das Gesetz enthält Einsparmaßnahmen bei den Arzneimitteln, Arzthonoraren, Krankenhäusern und Krankenkassen sowie die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze, mit der vorgegeben wird, bis zu welcher
Bruttoeinkommenshöhe ein Arbeitnehmer in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sein muss.
Liegt das Einkommen über dieser festgesetzten Höhe,
kann man freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben oder sich in einer privaten Krankenversicherung versichern.
Eine große Reform des Gesundheitswesens tritt zu Beginn des Jahres 2004 in Kraft: Patienten müssen künftig
zwar mehr zuzahlen, können jedoch gleichzeitig von
stabilen Krankenkassenbeiträgen profitieren. Durch
mehr Mitspracherecht rücken die Interessen der Versicherten mehr in den Mittelpunkt. So können sie zum
Beispiel eine Aufstellung über Leistungen und Ausgaben
von den behandelnden Ärzten verlangen. Krankenkassen führen Bonusprogramme für die Versicherten ein.
Durch das Hausarztmodell werden außerdem diejenigen finanziell belohnt, die immer zuerst zum Allgemeinmediziner gehen, bevor sie einen Facharzt aufsuchen.
Zu mehr Qualität sollen auch die neuen Möglichkeiten
zur „integrierten Versorgung“ durch medizinische Versorgungszentren führen. Darüber hinaus wird die Fortbildung der Ärzte besser überwacht. Insgesamt soll das
Gesundheitssystem durch die Reformen leistungsstark
bleiben, aber wirtschaftlicher, effizienter und vor allem
qualitativ besser werden.
Mit dem „Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen“ als Ergänzung zum SGB IX vom 1. Mai 2004 sollen Betriebe motiviert werden, mehr behinderte und schwerbehinderte
Menschen auszubilden.
29
Wichtige Ereignisse zwischen 1998 und 2005
• DieExpo2000istdieerstevom„BureauInternationaldes
Expositions“anerkannteWeltausstellung in deutschland.Siefindetvom1.Juni2000biszum31.Oktober
2000inHannoverunterdemMotto„Mensch,Naturund
Technik–EineneueWeltentsteht“statt.
• DerUmzugderBundesregierungvonBonnnachBerlinistweitestgehendabgeschlossen.Am19.April1999
nimmtderDeutscheBundestagseineArbeitimumgebautenreichstagsgebäude in berlinauf.
• Deutschland verankert im Jahr 2001 als erstes Land
der EU den tierschutz als „staatsziel“ im Grundgesetz.
• Am18.März2001wirddieGewerkschaft Ver.diinBerlingegründet.
• Am11.September2001fordernterroranschlägeauf
dasWorldTradeCenterunddasPentagonindenUSA
rund3.000Todesopfer.
• DerEurowirdam1.Januar2002inzwölfStaatender
Europäischen Union sowie in Andorra, Monaco, Montenegro,SanMarinounddemVatikanalsgemeinsame
Währungeingeführt.
• Der 19-jährige Robert Steinhäuser tötet am 26. April
2002 während eines zehnminütigen Amoklaufs am
ErfurterGutenberg-Gymnasium16Menschenundanschließendsichselbst.
!
• Am 1. Mai 2004 nimmt die Eu zehn neue staaten, vor
allemausOsteuropa,aufundwächstdamitauf25Staatenan.
• Der Vertrag über eine Verfassung für Europa wird
im Jahr 2005 ausgearbeitet, aber nur von 18 der 25
Staatenratifiziert,alsobestätigt.DennerstdurchZustimmung der Parlamente und Unterzeichnung des
StaatsoberhauptserlangteinvölkerrechtlicherVertrag
Wirksamkeit.
• „HartzIV“wirdvonderGesellschaftfürdeutscheSprachezumWort des Jahres2004gewählt.
• Am1.Juli2004trittderneue deutsche bundespräsident horst KöhlerseinAmtan.
• P
apst Johannes Paul ii.stirbtam2.April2005,NachfolgerwirdJosephRatzingeralsBenediktXVI.
• GerhardSchröderstelltam1.Juli2005imBundestag
dieVertrauensfrage,diemitgroßerMehrheitverneint
wird.
• Mit den vorgezogenen Bundestagswahlen am 22. November2005wirdAngela Merkel erste deutsche bundeskanzlerinundführteineGroßeKoalitionausCDU
undSPDan.
• Seit 1. November 2005 gibt Deutschland den neuen
elektronischen reisepass mit biometrischen Merkmalenaus.
Weiterführende informationen bei sozialpolitik.com:
Rubrik„Sicherheit“
Rubrik„Zeitleiste“:GesetzeundNeuerungen
L
BundeszentralefürpolitischeBildung:„DieAgenda2010:EinewirtschaftspolitischeBilanz“,www.bpb.de
DeutscherGewerkschaftsbund(DGB):„HartzI–III:EineÜbersicht“,www.dgb.de
Quellenhinweis:
FürdiesesKapitelwurdennebendemAusstellungskatalog„IndieZukunftgedacht–BilderundDokumentezurDeutschenSozialgeschichte“des
BundesministeriumsfürArbeitundSoziales,Bonn2008,auchfolgendeQuellenherangezogen:„Sozialpolitik–EinHeftfürdieSchule“,Ausgaben
2001/02bis2004/05,online:www.sozialpolitik.com/materialien;DeutscherGewerkschaftsbund(DGB):„HartzI–III:EineÜbersicht“,online:www.
dgb.de;BundeszentralefürpolitischeBildung–Lexikon:„Hartz-Gesetze“,online:www.bpb.de;BundeszentralefürpolitischeBildung:„Agenda
2010–WegausderKrise?“,PraxisPolitik,April2005;„DieAgenda2010:EinewirtschaftspolitischeBilanz“,www.bpb.de(Stand:Juli2010).
30
Kapitel7:2005bisheute
Sozialpolitik im Zeichen
der Globalisierung
Auch die Globalisierung hat in Deutschland Auswirkungen auf die Wirtschaft, das Sozialsystem und unser Privatleben. Viele Länder und Menschen haben sich auf
die Öffnung der Märkte, die wachsende Mobilität von
Kapital und Arbeit und die enorm gestiegene Nachfrage
von Dienstleistungen eingestellt. Positive Folgen sind
beispielsweise ein weiteres Wirtschaftswachstum auf
Basis der gestiegenen Exporte, neue Arbeitsplätze und
damit verbunden ein steigender Lebensstandard. Aber
auch Wirtschaftskrisen machen nicht mehr vor den
Landesgrenzen halt.
Fortführung der Agenda 2010
Bei der Bundestagswahl 2005 erhalten weder CDU, CSU
und FDP noch die Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Mehrheit der Mandate. Die Unionsparteien
und die SPD bilden nach mehrmonatigen Verhandlungen im November eine Große Koalition. Der Bundestag
wählt Angela Merkel (CDU) zur ersten Bundeskanzlerin.
Die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD führt die
Reformpolitik der „Agenda 2010“ weiter.
Arbeitsmarktreformen
Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts bleibt die
wichtigste Aufgabe im Sozialstaat Deutschland, das Sozialsystem den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Veränderungen anzupassen.
Die „Hartz-Gesetze I bis IV“ werden zwischen 2005 und
2010 durch neue Regelungen verändert und ergänzt.
Diese Änderungen betreffen die Ansprüche beim Ar-
Zum 1. Januar 2007 wird das Elterngeld eingeführt. dies ist eine lohnersatzleistung, die sich am nettoeinkommen des
betreuenden Elternteils orientiert.
31
beitslosengeld wie die Bezugsdauer oder die Zeit, die
man vor der Arbeitslosigkeit gearbeitet haben muss
(auch Anwartschaftszeit genannt).
Um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben, muss man
in den letzten zwei Jahren mindestens zwölf Monate
versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein. Wie
lange Arbeitslosengeld gezahlt wird, hängt davon ab,
wie alt der Antragsteller ist und wie lange er Beiträge
in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Die Bezugsdauer liegt zwischen sechs und 24 Monaten.
Für Bezieher von Arbeitslosengeld II (ALG II) werden
strengere Regelungen in Bezug auf Pflichtverletzungen
eingeführt. Beispielsweise werden Geldleistungen gekürzt, wenn Bezieher von ALG II Arbeit ablehnen. Sie
sind verpflichtet, jede Arbeit anzunehmen, zu der sie
geistig, seelisch und körperlich in der Lage sind. Die
Bedingungen zur Altersvorsorge werden bei Arbeitslosengeld-II-Beziehern dagegen verbessert.
Freiwillig versichern
Bisher war es Freiberuflern und Selbstständigen nicht
möglich, Beiträge in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung einzuzahlen. Seit 2006 können sie das auf
freiwilliger Basis. Sollten sie mit ihrer Selbstständigkeit
scheitern, können sie so Arbeitslosengeld beziehen.
Job sofort
Im August 2006 tritt die Regelung der Sofortangebote in
Kraft. Antragsteller, die innerhalb der letzten zwei Jahre
weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosengeld II bezogen haben, können seitdem ein Sofortangebot erhalten.
Dies kann zum Beispiel eine Qualifizierungsmaßnahme oder ein Jobangebot sein. Mit dieser Regelung soll
Arbeitslosigkeit bereits im Ansatz vermieden werden.
„Sorgenkind“ Arbeitslosengeld II
Vor allem die Zusammenlegung der Sozial- und Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II und dessen Ausgestaltung stoßen in der Bevölkerung sowohl auf Zuspruch als
auch auf Ablehnung. Das Arbeitslosengeld II, umgangssprachlich meist als „Hartz IV“ bekannt, wird aus Steuern
finanziert und so lange gezahlt, wie die Hilfebedürftigkeit
andauert. Es soll den Lebensunterhalt sichern.
Anfang 2010 entscheidet das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe jedoch, dass die Berechnung dieser
Regelsätze nicht transparent genug sei und gegen das
Grundgesetz Artikel 1 Absatz 1 verstoße: „Die Würde
des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Die
geltenden Regelsätze gewährleisteten dem Menschen
also nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts kein
menschenwürdiges Existenzminimum. Zudem würden
die Regelsätze auch gegen das in der Verfassung garantierte Sozialstaatsprinzip verstoßen.
In der Folge müssen alle ALG-II-Regelsätze bis zum
31. Dezember 2010 neu berechnet werden – für Kinder
ebenso wie für Erwachsene. Eine Härtefallregelung greift
sofort: Bei außergewöhnlichen finanziellen Belastungen
kann der Empfänger Zusatzleistungen beantragen.
sozialversicherungspflichtige beschäftigung und Arbeitslosigkeit in deutschland
Arbeitslosenquoten in deutschland seit 1948 inProzent
sozialversicherungspflichtige beschäftigung und Arbeitslosigkeit inTausend
Quelle:BundesagenturfürArbeit,StandDezember2013.
32
Ab Januar 2014 beträgt der Regelsatz 391 Euro im Monat
für Alleinstehende. Ehepaare oder Partner erhalten jeweils 353 Euro. Davon sind die Ausgaben für das tägliche
Leben zu bestreiten, zum Beispiel für Lebensmittel, Kleidung, Telefon und Strom.
Für im Haushalt lebende Kinder und Jugendliche gibt
es weitere Leistungen für den dadurch entstehenden
Mehrbedarf. Mehr- und Sonderbedarf für Schwangere, Menschen mit Behinderungen oder Alleinerziehende werden durch Zuschläge berücksichtigt. Kosten für
Miete und Heizung werden nach gesonderten Berechnungsverfahren erstattet.
Rentenreformen
Deutschland wird immer älter: Finanzierten 1990 noch
knapp drei Berufstätige mit ihren Beiträgen die Rente
eines Ruheständlers, sind es 2010 nur noch zwei. Im Jahr
2030 werden voraussichtlich nur noch rund anderthalb
Beitragszahler die Rente für einen Ruheständler zahlen.
Im Jahr 2006 wird die Altersgrenze für den frühesten
Bezug der vorzeitigen Altersrente erhöht und stufenweise vom 60. auf das 63. Lebensjahr angehoben. Ziel ist es,
Anreize zur Frühverrentung zu verringern, damit auch
ältere Arbeitnehmer länger beschäftigt sind und somit
auch länger Beiträge in die Rentenversicherungskassen
zahlen, was gleichzeitig auch ihre eigene Rente erhöht.
Rente mit 67
Als weiteren Schritt zur Entlastung der Rentenversicherung beschließt die Große Koalition im Jahr 2007, das Renteneintrittsalter ab 2012 schrittweise anzuheben. Konkret
heißt das, dass nach dem Jahr 1964 Geborene dann erst
mit 67 Jahren in Rente gehen können. Wer früher gehen
möchte, muss mit Abzügen bei der Rente rechnen.
Wer sich mit 65 Jahren zur Ruhe setzen möchte, muss
entweder mindestens 45 Jahre lang in die Rentenversicherung eingezahlt haben, oder die Altersrente wird
pro Monat, den man früher in Rente gehen will, um 0,3
Prozent gekürzt.
Rentenschutzklausel
Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, die im Jahr
2008 Deutschland und Europa erreicht, veranlasst die
Bundesregierung, Anfang Mai 2009 eine Rentenschutzklausel einzuführen. Sie verhindert, dass mit den Löhnen auch die Renten sinken. Allerdings müssen die
Rentner diesen Schutz ab 2011 durch reduzierte Erhöhungen ihrer Renten selbst finanzieren.
Familienpolitik: Meilensteine legen
Die Große Koalition führt das Elterngeld ein: Damit erhalten Familien in den ersten zwölf beziehungsweise 14
Lebensmonaten eines Kindes seit 2007 eine Unterstützung, die sich am Nettoeinkommen des betreuenden Elternteils orientiert. Die Betreuungsangebote für Kinder
in Form von Kindertagesstätten oder Ganztagsschulen
werden ausgebaut.
Ab dem 1. Januar 2009 können auch Großeltern eine
„Elternzeit“ nehmen, um junge Eltern, die minderjährig
oder in der Ausbildung sind, bei der Betreuung des Enkelkindes zu unterstützen. Mit dieser Neuerung soll vor
allem sehr jungen Eltern geholfen werden, die durch
eine Schwangerschaft schnell in eine Notsituation geraten können.
Gute Gründe, länger zu arbeiten: rente mit 67
demografischer Wandel
durchschnittliche bezugsdauer der renten in Jahren
Quelle:DeutscheRentenversicherungBund,StandApril2012.
33
leistungen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung 2012
Quelle:BundesministeriumfürGesundheit,StandMärz2013.
Mit dem Kinderförderungsgesetz (KiföG) sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, um bis zum Jahr 2013
bundesweit für jedes Kind unter drei Jahren einen Platz
in einer Kindertagesstätte oder bei einer Tagesmutter zu
finden. Zudem sollen Eltern, die auf Arbeitsuche sind,
einen gesicherten Betreuungsplatz für ihre noch nicht
schulpflichtigen Kinder bekommen.
Einen Zuschuss von 100 Euro pro Schuljahr bekommen
ab 2009 Eltern, die Arbeitslosengeld II beziehen. Das
Geld soll für Schulmaterialien ausgegeben werden. Das
Schulbedarfspaket wird bis zum Abschluss der 10. Klasse gezahlt.
Gesundheitsreformen
Am 1. April 2007 tritt ein neues Reformgesetz in Kraft.
Mit der Reform wird der Weg zu einer neuen Gesundheitsversicherung beschritten. Ihr Ziel ist es, die medizinische Versorgung für alle zu garantieren, die Leistungen an eine älter werdende Gesellschaft anzupassen
und die steigenden Kosten durch mehr Wettbewerb
zwischen den Krankenkassen mit einem neuen Finanzierungsmodell sozial gerechter zu verteilen.
schließen und damit Anspruch auf eine umfassende
medizinische Versorgung.
Einführung eines Gesundheitsfonds
Um die gesetzliche Krankenversicherung zu stabilisieren, werden Reformen auf den Weg gebracht. Bestimmte Leistungen wie Zahnersatz und Brillen werden nicht
mehr komplett von der Krankenkasse übernommen.
Ab dem Jahr 2009 fließen die Versicherungsbeiträge in
einen neu begründeten Gesundheitsfonds. Der Beitragssatz ist einheitlich, egal welche Krankenkasse der Versicherte gewählt hat. Aus dem Gesundheitsfonds erhalten die Kassen für jeden Versicherten einen pauschalen
Betrag sowie ergänzende Zuschläge und Abschläge, die
sich jeweils nach Alter, Geschlecht und Krankheit der
Versicherten richten.
Versicherungspflicht
Das bislang geltende Prinzip der paritätischen Finanzierung durch Arbeitnehmerbeiträge und Arbeitgeberbeiträge in gleicher Höhe wird in der Krankenversicherung
aufgebrochen. Der Arbeitgeberbeitrag wird auf dem
Stand des Jahrs 2011 eingefroren und beträgt 7,3 Prozent. Künftige Beitragserhöhungen wirken sich also nur
auf den Arbeitnehmerbeitrag aus, der zu dem Zeitpunkt
bei 8,2 Prozent liegt. Damit werden die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten entkoppelt.
Ab 2009 haben alle Bürgerinnen und Bürger das Recht
und die Pflicht, eine Krankenversicherung abzu-
Wenn die Kassen mit diesem Geld nicht auskommen,
können sie von den Versicherten Zusatzbeiträge in un-
34
Pflegebedürftige und Pflegestufen
Quelle:StatistischesBundesamt:Pflegestatistik2011,Januar2013,
Seite5.
begrenzter Höhe erheben. Übersteigt der Zusatzbeitrag
zwei Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen eines
Versicherten, dann wird er gekürzt, um soziale Härten
abzufedern. Die dadurch verminderten Beitragseinnahmen der Kassen werden über Steuermittel ausgeglichen.
Mehr Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen
Die Krankenkassen können Ausgaben für Medikamente
durch Rabattverhandlungen mit Apotheken verringern.
Gut wirtschaftende Kassen können Beiträge an ihre
Versicherten zurückerstatten (Bonus). Krankenkassen
können ihre Angebote (Tarife) individueller auf die Versicherten zuschneiden. So können sie beispielsweise
Versicherten, die Vorsorgemaßnahmen wahrnehmen,
Kosten zurückerstatten und diese damit gegenüber
denen, die keine Eigenverantwortung für ihre Gesundheit übernehmen, besserstellen.
Quelle:eigeneBerechnungundDarstellungnach:
BundesministeriumfürGesundheit,ZahlenundFaktenzur
Pflegeversicherung,www.bmg.bund.de>Pflege>Zahlen
undFaktenzurPflegeversicherung,StandMai2013.
rung, die stärker auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen ausgerichtet wird.
Mehr Leistungen, Stärkung der häuslichen Pflege
Ab dem 1. Juli 2008 werden die finanziellen Leistungen
für Pflegebedürftige und Pflegende stufenweise angehoben. Ab 2015 werden sie alle drei Jahre an die Inflationsrate, also den Anstieg des Preisniveaus, angepasst
(dynamisiert).
Viele Menschen, die an Demenz (Altersverwirrtheit) erkrankt sind, erhalten erstmals auch dann Leistungen,
wenn sie noch nicht pflegebedürftig sind, aber Betreuung brauchen. Ab dem Jahr 2009 hat jeder pflegebedürftige Patient einen Anspruch auf einen Pflegeberater, der
ihm beim Organisieren von Hilfsleistungen zur Seite
steht und ihn unterstützt.
Öffnung der privaten Krankenversicherung
Pflegezeit für Angehörige
Private Krankenkassen müssen ab 2009 einen Basistarif
anbieten, der den Leistungen und Beiträgen der gesetzlichen Krankenkassen entspricht. Der Basistarif unterscheidet sich nach Alter und Geschlecht, es gibt keine
Risikozuschläge für Vorerkrankungen des Versicherten
wie bisher.
Arbeitnehmer, die Angehörige pflegen, können für bis
zu sechs Monate „Pflegezeit“ beantragen. Sie bekommen kein Gehalt, sind aber weiter sozialversichert und
haben ein Rückkehrrecht zu denselben Arbeitsbedingungen. Tritt plötzlich ein Pflegefall ein, können Beschäftigte kurzfristig bis zu zehn Tage unbezahlt von
der Arbeit frei nehmen, um die Pflege zu organisieren.
Pflegereformen
Die rapide Alterung der Gesellschaft setzt auch die seit
1995 bestehende Pflegeversicherung unter Druck: Während die Kosten steigen, sinkt die Anzahl der Beschäftigten, die mit ihren Versicherungsbeiträgen die Leistungen der Pflegeversicherung bezahlen. Der Bundestag
beschließt im Jahr 2008 eine Reform der Pflegeversiche-
Beschäftigung sichern, Wirtschaft stärken
Im Jahr 2006 sinkt die Arbeitslosenzahl erstmals auf 4,49
Millionen im Jahresdurchschnitt. Bis zum Herbst 2008
fällt die Zahl der Arbeitslosen erstmals seit 1992 wieder
auf unter drei Millionen Menschen.
35
Der Aufschwung der Wirtschaft und die Erholung auf
dem Arbeitsmarkt werden durch die globale Finanz- und
Wirtschaftskrise, die alle Volkswirtschaften betrifft, unvermittelt gestoppt. Sowohl auf nationaler als auch auf
internationaler Ebene ist zügiges staatliches Handeln gefordert, damit die Wirtschaft gestärkt wird und der Sozialstaat handlungsfähig bleibt. Die Bundesregierung gibt
frühzeitig eine Garantie für Sparguthaben und spannt
einen umfassenden „Schutzschirm“ für die Banken.
Das Exportland Deutschland ist von der weltweiten
Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 in besonderem
Ausmaß betroffen, denn ohne Aufträge aus dem Ausland sind heimische Arbeitsplätze in Gefahr. In der
Automobilindustrie sind die Auswirkungen besonders
deutlich zu spüren, deswegen setzt die Bundesregierung 2009 die „Abwrackprämie“ in Kraft, um die Automobilindustrie zu stützen. Viele Beschäftigte bangen
um ihren Job. Betroffen sind neben den Herstellerbetrieben und Zulieferern aber auch weitere Branchen, von
der Textilindustrie bis hin zu IT-Dienstleistern.
Im November 2008 und Februar 2009 legt die Bundesregierung zwei Konjunkturpakete auf, um Bürger und
Unternehmen zu entlasten sowie Arbeitsplätze zu sichern. Ziel dieser Konjunkturpakete ist es, die wirtschaftliche Entwicklung (Konjunktur) positiv zu beeinflussen, indem zeitlich befristet mehr finanzielle Mittel
investiert werden, beispielsweise in Bildung, Infrastruktur und andere Bereiche. Dies soll zu einer gesteigerten
Nachfrage bei privaten Haushalten und Unternehmen
führen und somit die Produktion wieder ankurbeln und
Arbeitsplätze erhalten. In Deutschland gelingt es beispielsweise mit dem Kurzarbeitergeld, Entlassungen
zu vermeiden und mehrere 100.000 Arbeitsplätze zu
erhalten. Der Nachteil ist: Konjunkturprogramme führen gleichzeitig auch zu einer drastischen Erhöhung der
Staatsschulden – Lasten, welche die nächste Generation
stemmen muss.
Perspektiven
Die deutsche Wirtschaft hat sich seit dem Beginn der
Wirtschafts- und Finanzkrise, auch dank der Maßnahmen der Agenda 2010, als erstaunlich robust erwiesen.
In den Jahren 2011 bis 2013 bleibt die Zahl der Arbeitslosen im Durchschnitt knapp unter der Marke von drei
Millionen Menschen. Im Vergleich zu vielen anderen
Staaten der Europäischen Union ist die Arbeitslosigkeit
in Deutschland somit recht niedrig geblieben, während
die Zahl der Erwerbstätigen einen neuen Höchststand
erreicht hat.
Diese Entwicklungen am Arbeitsmarkt sind für den
Einzelnen erfreulich und entlasten zugleich den Sozialstaat. Wenn die Zahl der sozialversicherungspflichtigen
36
Arbeitskräfte ansteigt, fließt auch mehr Geld in die Sozialversicherungen.
Eine stabile Wirtschaft ist für den Sozialstaat grundlegend, weil die sozialen Sicherungssysteme durch den
demografischen Wandel stark unter Druck geraten sind.
Seit Jahrzehnten ist die Geburtenrate in Deutschland
niedrig. Durch Fortschritte in Wissenschaft, Medizin
und Hygiene werden die Menschen gleichzeitig immer
älter. Somit zahlen immer weniger Erwerbstätige Beiträge in die Renten- und Sozialsysteme ein, aus denen in
Zukunft immer mehr Menschen versorgt werden müssen. Außerdem steigen die Kosten für Gesundheit und
Pflege im Alter.
Problematisch bleibt die Situation für Menschen ohne
Schulabschluss, für Geringqualifizierte und für Langzeitarbeitslose. Sie sind nur sehr schwer in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Mehr Geld für Bildung, finanzielle
Unterstützungen für Geringverdiener, Hilfen für Kinder
aus armen und bildungsfernen Familien sowie Weiterbildungsangebote für Arbeitsuchende sollen helfen,
dem sozialen Gefälle zwischen Arm und Reich entgegenzuwirken. Neben der sozialen Grundsicherung für
Bedürftige geht es aber auch darum, die Eigenverantwortung jedes Einzelnen zu stärken, sodass er in der
Lage ist, für sich selbst Vorsorge zu tragen.
In vielen Berufszweigen, die für den Wirtschaftsstandort Deutschland bedeutend sind, gibt es zu wenige geschulte Facharbeiter, etwa im Pflegewesen oder in vielen technischen und naturwissenschaftlichen Berufen.
Die Politik steht vor der Aufgabe, neue Rahmenbedingungen zur Qualifizierung zu schaffen, damit Menschen
in Beschäftigung gebracht werden, die bisher am Rand
des deutschen Arbeitsmarktes standen. So müssen beispielsweise Schul- und Ausbildungsabbrecher, Frauen
sowie ältere Arbeitnehmer mehr unterstützt und gefördert werden. Damit künftig genügend Geld in den Sozialkassen vorhanden ist, wird es außerdem nötig sein,
gut ausgebildete Arbeitskräfte aus dem Ausland nach
Deutschland zu holen.
Die öffentlichen Haushalte sind seit Langem hoch verschuldet. Diese Schuldenberge abzubauen bleibt ebenfalls eine wichtige Aufgabe, die noch viele Generationen
beschäftigen wird. Aufgrund der ermutigenden Situation auf dem Arbeitsmarkt plant die Bundesregierung,
die Neuverschuldung des Bundes einzuschränken und
in wenigen Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.
Wichtige Ereignisse seit 2005
• Von Januar bis Juni 2007 hat deutschland die Euratspräsidentschaft inne. rumänien und bulgarien
tretenimJanuar2007derEuropäischenUnionbei.
keit von Familie und Beruf, die Weiterbildung inländischer Arbeitskräfte sowie die Integration qualifizierter
ArbeitskräfteausdemAuslandverbessertwerden.
• DieVereinten nationen (un)bekommenam1.Januar
2007einenneuenGeneralsekretär:NachzehnJahren
löst der Südkoreaner Ban Ki Moon den Ghanaer Kofi
Ananab.
• Die Bundesversammlung wählt Joachim Gauck im
März2012zumneuenunddamit11.bundespräsidenten.SeineAmtszeitbeträgtfünfJahre.
• DieMehrwertsteuer steigtam1.Januar2007von16
auf19Prozent.DerermäßigteMehrwertsteuersatzvon
siebenProzent,beispielsweisefürLebensmittel,bleibt
unverändert.
• Am 22. Januar 2008 demonstrieren in Bochum 15.000
MitarbeiterfürdenErhalt des nokia-Werks.Trotzeines
Rekordgewinns von 7,2 Milliarden Euro schließt der
Konzernam30.Juni2008dasWerkinDeutschlandund
setztdieProduktioninRumänienundBulgarienfort.
• Jederhatabdem1.Januar2009einenrechtsanspruch
auf förderung zum hauptschulabschluss.
• DasJahr2010wirdzum„Europäischen Jahr zur bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“erklärt.AusschlaggebendistdieZahlderMenschen,die
EU-weitvonArmutbedrohtsind.Diessindrund78MillionenMenschen.Insgesamtlebenrund500Millionen
MenscheninderEU.
• 2010:das Zieljahr der „Agenda 2010“ ist erreicht.Der
WandelderGesellschaftundWirtschaftschreitetfort.
MitweiterenReformenmussdaherauchindenkommendenJahrengerechnetwerden.
• 2011:ImMaifallendieletztenSchrankenfürdieArbeitnehmerfreizügigkeitinDeutschland.ArbeitnehmerinnenundArbeitnehmerausderEUdürfensichseitdem
freiaufdemdeutschenArbeitsmarktbewerben.
• DieBundesregierungbeschließtimJuni2011einKonzept
zur fachkräftesicherung.DadurchsollendieVereinbar-
!
• Im April 2012 tritt das bildungspaket in Kraft. Dieses
soll2,5MillionenKinderundJugendlicheunterstützen,
derenElternentwederzuwenigGeldverdienenoderArbeitslosengeld II beziehungsweise Sozialgeld erhalten.
DieElternkönnenaufAntragZuschüssefürSchulmaterialien,dasMittagessenfürihreKinderinHort,Schule
oderKindertagesstätteundderenTeilnahmeanSport-,
Musik-oderKulturveranstaltungenbekommen.
• 2012:DieBundesregierungverabschiedeteinenNationalenAktionsplanzurUmsetzungderun-behindertenrechtskonvention.ZieldesPlansistes,dieIdeeder
inklusionvorallemimArbeitslebenundindenSchulen
umzusetzen.
• Zum 1. Januar 2013 entfällt die so genannte Praxisgebühr. Bislang mussten Erwachsene bei ArztbesuchenzehnEuroproVierteljahrbezahlen.
• Abdem1.August2013bekommenEltern,dieihrKleinkindnichtineinerKindertagesstätte,Krippeodervon
einerTagesmutterbetreuenlassen,aufAntrageinmonatlichesbetreuungsgeld.DieEinführungdiesesGesetzesistgesellschaftlichumstritten.
• Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland erreicht
2013einenneuenHöchststand.ImJahresdurchschnitt
hattenfast42MillionenMenscheneineArbeit.Auchdie
ZahldersozialversicherungspflichtigBeschäftigtenist
gestiegen.GleichzeitigsindimJahr2013rund53.000
mehrMenschenarbeitslosalsimVorjahr.
Weiterführende informationen bei sozialpolitik.com:
Rubrik„Politik“
Rubrik„Berufswelt“
Rubrik„Sicherheit“
Rubrik„Zeitleiste“:GesetzeundNeuerungen
linktipps:
BundeszentralefürpolitischeBildung:„DieAgenda2010:EinewirtschaftspolitischeBilanz“,www.bpb.de
DeutscherGewerkschaftsbund(DGB):„HartzI–III:EineÜbersicht“,www.dgb.de
Quellenhinweis:
FürdiesesKapitelwurdennebendemAusstellungskatalog„IndieZukunftgedacht–BilderundDokumentezurDeutschenSozialgeschichte“des
BundesministeriumsfürArbeitundSoziales,Bonn2008,auchfolgendeQuellenherangezogen:„Sozialpolitik–EinHeftfürdieSchule“,Ausgaben
2001/02bis2004/05,online:www.sozialpolitik.com/materialien;DeutscherGewerkschaftsbund(DGB):„HartzI–III:EineÜbersicht“,online:www.
dgb.de;BundeszentralefürpolitischeBildung–Lexikon:„Hartz-Gesetze“,online:www.bpb.de;BundeszentralefürpolitischeBildung:„Agenda
2010–WegausderKrise?“:PraxisPolitik,April2005;„DieAgenda2010:EinewirtschaftspolitischeBilanz“,online:www.bpb.de(Stand:Februar
2014).
37
Kapitel8:SituationderFrau1945bisheute
Auf dem Weg zur Gleichberechtigung
Die ersten Jahre nach dem
Zweiten Weltkrieg
Es sind vor allem Frauen, die nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 die Last des
Wiederaufbaus tragen müssen. Auf dem Land führen
sie die Höfe ihrer gefallenen, verletzten oder kriegsgefangenen Männer, Väter oder Brüder fort. In den Städten räumen sie den Schutt der zerstörten Häuser weg,
weshalb sie häufig „Trümmerfrauen“ genannt werden.
Fast die Hälfte aller Wohnungen ist durch den Krieg zerstört oder beschädigt. Die gesamte Wirtschaft ist in den
ersten Nachkriegsjahren deshalb in hohem Maß auf die
Arbeit von Frauen angewiesen.
Dies hat Auswirkungen auf das Selbstverständnis der
Frauen und stärkt ihr Selbstbewusstsein. In vielen westdeutschen Städten organisieren sie sich in so genannten
Frauenausschüssen. Deren erste Sorge gilt der Überwindung der größten Notlagen wie Hunger, Verwahrlosung,
Kleidungs- und Wohnungsmangel. Daneben formulieren sie aber auch konkrete frauenpolitische Ansprüche.
So fordert der Frankfurter Frauenausschuss im Januar
1946 die Gleichberechtigung der Frau, Mitwirkung in
der Verwaltung, gleiches Recht auf Arbeit bei gleichem
Lohn, eine stärkere Beteiligung von Frauen in Berufsvertretungen und im Rechtswesen sowie insgesamt eine
höhere Wertschätzung der Frauenarbeit.
Auch in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) müssen
Frauen überall mit anpacken, um die Kriegsschäden zu
beseitigen und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Es bilden sich allerdings keine freiwilligen
Frauenausschüsse. Vielmehr verordnet die sowjetische
Besatzungsmacht „von oben“ die gleiche Entlohnung
von Männer- und Frauenarbeit.
Frauen in der BRD: das Ringen um
Selbstbestimmung und Gleichstellung
Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland
(BRD) 1949 wird in Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes
die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festgeschrieben. Zugleich verpflichtet sich der Staat dazu,
bestehende Nachteile von Frauen gegenüber Männern
zu beseitigen. Dies sind wichtige Schritte für die Besserstellung der Frauen. Dennoch sind damit Selbstbestimmung und Gleichstellung im alltäglichen Leben noch
lange nicht erreicht. Vielmehr dominiert in den ersten
Jahrzehnten der BRD das familienpolitische Modell der
„Hausfrauenehe“, welches die Frau auf ihre Rolle als
Ehefrau und Mutter reduziert und sie im Erwerbsleben
benachteiligt.
Gesetzliche und rechtliche Verbesserungen
Viele frauen bauen die vom Krieg zerstörten dörfer und
städte nach 1945 wieder mit auf. bild: „trümmerfrauen“
bergen Ziegelsteine in berlin, 1945.
38
Seitdem die Gleichberechtigung von Mann und Frau
im Grundgesetz verankert ist, werden alle Gesetze und
Regelungen überprüft, ob sie dieser verfassungsgemäßen Vorgabe entsprechen. Daraus ergeben sich in den
1950er-Jahren wichtige Neuregelungen im Ehe-, Strafund Familienrecht, mit denen die gesellschaftliche Stellung der Frauen weiter verbessert wird.
Besondere Bedeutung kommt dabei der Abschaffung
des „Gehorsamsparagrafen“ im Jahr 1957 zu. Diese Bestimmung stammte noch aus dem Jahr 1900 und verwehrte verheirateten Frauen ein Mitspracherecht bei
Entscheidungen über das gemeinsame Eheleben. 1958
tritt das Gleichberechtigungsgesetz des Bürgerlichen
Gesetzbuches (BGB) in Kraft. Nun brauchen verheiratete
Frauen nicht mehr die Einwilligung ihrer Ehemänner,
wenn sie eine Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen. Allerdings muss sich diese Arbeit mit ihren Pflichten in
Ehe und Familie vereinbaren lassen. Zugleich dürfen
Frauen seitdem ein eigenes Bankkonto führen sowie
das von ihnen in die Ehe eingebrachte Vermögen selbst
verwalten.
Es dauert noch bis zum Jahr 1977, bis die rechtliche
Benachteiligung der Frau in der Ehe endgültig aufgegeben wird. Im BGB wird festgelegt, dass beide Ehepartner
Fragen der Haushaltsführung und der Erwerbstätigkeit
einvernehmlich und in gegenseitiger Rücksichtnahme
regeln müssen. Auch das Problem der ungleichen Entlohnung zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der jungen Bundesrepublik. Zwar verfügt das
Bundesarbeitsgericht 1955 den Grundsatz des gleichen
Lohnes von Mann und Frau bei gleicher Arbeit. Die Realität sieht allerdings häufig anders aus. So dauert es
noch Jahrzehnte, bis „Frauenlohngruppen“ aus den Tarifverträgen verschwinden.
Gesellschafts- und familienpolitische Meilensteine
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für jede Gesellschaft ein Prüfstein für die soziale Situation der Frau.
Seit dem Jahr 1952 schützt in der BRD ein Gesetz werdende Mütter vor einer beruflichen Kündigung während
der Schwangerschaft. Das Gesetz beinhaltet auch, dass
die Mütter in den Wochen vor und nach der Entbindung
Geldleistungen weiter gezahlt bekommen. Seit 1979
haben berufstätige Frauen Anspruch auf einen viermonatigen Mutterschaftsurlaub rund um die Geburt ihres
Kindes. In diesem Zeitraum darf ihnen ihr Arbeitsplatz
nicht gekündigt werden. Zudem erhalten Mütter nun
ein halbes Jahr lang ein Mutterschaftsgeld von 750 DM
pro Monat.
Hoch umstritten und auch heftig umkämpft ist in der
BRD der Abtreibungsparagraf 218, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. Seine Reform im
Jahr 1976 stärkt nicht nur die Rechte der Frau, sondern stellt zugleich einen wichtigen Meilenstein für die
zweite Welle der Frauenbewegung in der 1960er-Jahren
in vielen westdeutschen städten setzten sich Menschen für die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 ein.
bild: demonstration in bonn, 1975.
39
so stellte sich die politische führung der ddr die rolle der frau vor: eine wertvolle Arbeitskraft für den sozialistischen
staat. bild: Junge Arbeiterinnen in einem nAGEMA-Werk, 1951.
dar. Erstmals wird der Abbruch einer Schwangerschaft
für straffrei erklärt, wenn festgelegte Fristen und bestimmte Voraussetzungen eingehalten werden.
Auch die Einführung der Antibabypille erhöht die Selbstbestimmung von Frauen und verändert das Rollenverständnis in Ehe und Partnerschaft. Durch die Hormonpille können Frauen die Empfängnisverhütung selbst
regeln. In Deutschland kommt sie erstmals im Jahr 1961
auf den Markt.
Frauen in der DDR: Arbeitskräfte für den
Sozialismus
Die DDR beschreitet in der Frauenpolitik von Anfang
an einen anderen Weg als die westdeutsche Bundesrepublik. Das Leitbild für Frauen ist die arbeitende Mutter.
Die Integration der Frauen in die Arbeitswelt zum Aufund Ausbau des Sozialismus hat dabei höchste Priorität.
Die Staats- und Parteiführung reagiert damit auch auf
die massenhafte Abwanderung in den Westen, die in
den Jahren bis zum Bau der Mauer 1961 sehr hoch ist.
40
Frauenpolitik in der DDR
Bereits im September 1950 wird von der Volkskammer,
dem Parlament in der DDR, das „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ erlassen. Es enthält einen breiten Katalog von staatlichen
Hilfen für Mütter und ihre Kinder. Dazu zählen finanzielle Unterstützungen, Betreuungsmöglichkeiten für
Schwangere, Hilfestellungen für frisch entbundene und
alleinerziehende Mütter sowie Arbeitsschutzregelungen. 1952 erhalten erwerbstätige Frauen darüber hinaus
einen monatlichen Haushaltstag.
Auch in den folgenden Jahrzehnten bleibt der Ausbau
der Sozialleistungen für berufstätige Frauen ein wichtiges Anliegen von Staat und Partei. Spezielle Frauenförderungspläne sollen zudem die fachliche und berufliche
Qualifizierung von Frauen verbessern. „Frauenakademien“, die ab 1967 in den Städten und auf dem Land geschaffen werden, dienen jedoch in erster Linie der politischen Bildung im Sinne des Marxismus-Leninismus.
Zur Frauenpolitik in der DDR gehört auch der Ausbau
des Gesundheitsschutzes für Frauen. So steht Schwan-
geren wohnortnah eine qualifizierte Beratung und Betreuung zu. In der Folge sinken sowohl die Mütter- als
auch die Säuglingssterblichkeit in der DDR erheblich.
Arbeitsschutz- und Arbeitshygienemaßnahmen zielen
darauf ab, die Gesundheit der berufstätigen Frauen und
Männer zu stärken.
Familien- und Sozialpolitik
Die Einrichtung und der Ausbau von Kinderkrippen
und Kindergärten sowie Schulhorten ist ein wichtiger
Bestandteil der Sozialpolitik in der DDR. Müttern soll
dadurch die Erwerbstätigkeit ermöglicht werden. Alle
Eltern können für ihre Kinder einen Platz in diesen Einrichtungen erhalten, die ganztags geöffnet sind. Die Betreuung der Kinder ist kostenlos. Lediglich für das Essen
müssen die Eltern einen Beitrag leisten, der vom Staat
bezuschusst wird. 1989 hat die DDR das dichteste Netz
an Kinderbetreuungsmöglichkeiten in ganz Europa.
Als Mitte der 1970er-Jahre die Geburtenzahl auch aufgrund der Zulassung der Antibabypille stark zurückgeht, gewährt der Staat bei Eheschließung einen Kredit
von 5.000 Mark mit einem Rückzahlungserlass bei der
Geburt von Kindern. Der Schwangerschaftsurlaub wird
auf 26 Wochen ausgedehnt, der Nettodurchschnittsverdienst wird in dieser Zeit weiterhin voll ausgezahlt. Für
jede Geburt wird eine Beihilfe von 1.000 Mark gezahlt.
Auch das staatliche Kindergeld wird mehrmals erhöht.
Beim Thema Schwangerschaftsabbruch, welches zur
selben Zeit auch viele Frauen in der Bundesrepublik beschäftigt, entscheidet sich die DDR-Führung schon 1972
für eine weit gehende Liberalisierung. Das „Gesetz über
die Unterbrechung der Schwangerschaft“ gestattet Frauen, innerhalb eines bestimmten Zeitraums eigenständig
über den Abbruch der Schwangerschaft zu entscheiden.
Die genannten frauen-, familien- und sozialpolitischen
Maßnahmen haben zur Folge, dass 1989 die Frauenerwerbsquote in der DDR 82,4 Prozent beträgt und damit
deutlich höher ist als in der Bundesrepublik. Doch trotz
aller staatlicher Hilfen bedeutet auch in der DDR die
Berufstätigkeit neben dem Haushalt und der Familie für
Mütter häufig eine Doppelbelastung.
Gleichstellungspolitik im
wiedervereinigten Deutschland
Nach der Wiedervereinigung 1989/90 verpflichtet sich
der bundesdeutsche Staat 1994 im Zuge einer Grundgesetzänderung dazu, die Gleichberechtigung von Mann
und Frau durchzusetzen. Es werden vor allem Gesetze
und Programme verabschiedet, die es Eltern und speziell Müttern erleichtern sollen, trotz Familie und Kindererziehung erwerbstätig zu sein. Dazu zählen unter
anderem der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren (1996), die Einführung der
Elternzeit (2001), der Ausbau von Betreuungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren (2005, 2009 und 2013),
die Zahlung von Elterngeld (2007), das Programm zur
betrieblich unterstützten Kinderbetreuung (2008) und
der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für jedes
Kind ab dem vollendeten ersten Lebensjahr (2013). Weitere Maßnahmen zielen auf die Gleichstellung am Arbeitsplatz, den Abbau von Diskriminierungen, bessere
Chancen für Bewerberinnen bei Neueinstellungen und
familienfreundlichere Arbeitszeiten ab.
Frauen heute
Trotz dieser zahlreichen rechtlichen und politischen
Aktivitäten, die Rahmenbedingungen wie Arbeitszeit,
Entlohnung und Kinderbetreuung für Frauen verbessern
sollen, bestehen noch immer viele soziale Ungleichheiten: Erwerbstätige Frauen verdienen in Deutschland
durchschnittlich 22 Prozent weniger als Männer. Sie arbeiten häufiger in Teilzeit, sind bei den Führungspositionen unterrepräsentiert und leisten den Hauptteil der
unbezahlten Arbeit in Haushalt, Kinderbetreuung und
der Pflege von Angehörigen.
Mädchen und junge Frauen müssen daher weiter ermutigt werden, Berufe zu wählen, die ihren guten Schulabschlüssen und Qualifikationen entsprechen. Flexiblere
Arbeitszeiten und ein leichterer beruflicher Wiedereinstieg von Müttern nach einer Familienauszeit sind weitere Ansätze, um die Erwerbstätigkeit von Frauen zu
steigern, was aufgrund des demografischen Wandels
wichtig sein wird.
Viele Defizite haben noch immer Bestand und rechtfertigen auch in Zukunft eine aktive Politik für die Frau.
Doch die rechtliche wie gesellschaftliche Situation für
Mädchen und Frauen im Sinne einer besseren Gleichstellung hat sich in den letzten 60 Jahren erheblich verbessert. Mussten Frauen bei der Gründung der BRD ihre
Ehemänner noch um Erlaubnis fragen, wenn sie eine
Berufstätigkeit aufnehmen wollten, und dominierte die
Vorstellung der Hausfrauenehe das Rollenverständnis,
können sie nun frei über ihre Lebens- und Familienform
bestimmen. Die Rollenbilder von Frauen, aber auch von
Männern sind vielfältiger und offener geworden und
können von den Partnern in Beziehung und Ehe frei
ausgehandelt werden. Dazu zählt auch die Lastenverteilung in der Familie und im Haushalt. Gleichstellungsund Frauenbeauftragte in öffentlichen Verwaltungen
und der privaten Wirtschaft treten für die Interessen
von Frauen ein.
Dies sind Errungenschaften und Fortschritte für die
Selbstständigkeit von Frauen, hinter die die bundesdeutsche Gesellschaft nicht mehr zurückfallen wird.
41
Kapitel9:Zu-undAuswanderung
Deutschland —
ein Land der Zu- und Auswanderer
Seit Jahrtausenden verlassen Menschen immer wieder ihre Heimat, um ihr Glück im Ausland zu finden.
Auch nach Deutschland kommen seit Jahrhunderten
Menschen, die sich bessere Bedingungen zum Leben,
Arbeit und Schutz versprechen. Umgekehrt verlassen
auch viele Deutsche ihre Heimat, und Migranten der
zweiten oder dritten Generation ziehen wieder in ihre
Ursprungsländer zurück. Auch sie treibt meistens die
Hoffnung auf ein besseres Leben in der Fremde. Dabei
sind die Gründe für Zu- und Auswanderung oft ähnlich:
Krieg und Gewalt im Heimatland, religiöse und politische Verfolgung, Vertreibung und Unterdrückung von
Minderheiten sowie nicht zuletzt Armut, Arbeitslosigkeit und Hunger.
Auswanderung im 19. Jahrhundert
Nordamerika ist ein beliebtes Ziel deutscher Auswanderer seit der Neuzeit. Die Auswanderung von Deutschen nach Übersee hat lange Zeit vor allem soziale Ur-
sachen wie Überbevölkerung und Missernten, wodurch
viele Nahrungsmittel teurer werden. Der Hunger vieler
Menschen, die sich die Lebensmittel nicht mehr leisten
können, nimmt zu. In manchen Gegenden werden Verarmte sogar zur Entlastung der Gemeindekassen mit ein
wenig Verpflegungsgeld ausgestattet und „nach Amerika verschickt“.
Politische Gründe haben dagegen zwei große Auswanderungswellen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Die erste Welle setzt nach dem Scheitern der
Revolution von 1848 ein. Zahlreiche Anhänger der Revolution müssen vor der Obrigkeit und deren Polizei fliehen oder wollen in einem liberaleren Land leben. Viele
suchen deswegen Zuflucht in Nordamerika. Angelockt
werden sie häufig von Briefen bereits Ausgewanderter.
Schilderungen von Agenten schüren Erwartungen, die
sich jedoch häufig als falsch erweisen.
Eine zweite große Auswanderungswelle löst das Inkrafttreten des „Sozialistengesetzes“ im Jahr 1878 aus, mit
die Auswandererschiffe sind meist völlig überfüllt. Auf den langen und beschwerlichen reisen werden viele Auswanderer
Opfer von Krankheiten und seuchen oder sterben an Entkräftung, noch bevor sie die neue heimat erreichen.
bild: An deck eines Auswandererschiffes, 1905.
42
dem die Sozialdemokratie verboten wird und ihre Mitglieder und Anhänger verfolgt werden. Die Folge: Allein
1881 wandern rund 220.000 Menschen aus Deutschland
aus. Das sind fast fünf Prozent der Bevölkerung. Zwischen 1880 und 1908 verlassen insgesamt über zwei Millionen Deutsche ihre Heimat.
Im 19. Jahrhundert bleiben die Vereinigten Staaten von
Amerika ein bevorzugtes Ziel vieler Deutscher. Dort lassen sie sich vor allem als Landwirte nieder. Später folgen
Handwerker und Gewerbetreibende sowie Arbeiter, die
in den großen amerikanischen Industriestädten Lohn
und Brot finden. Die Auswanderer sind überwiegend
Männer, aber auch Frauen und ganze Familien wagen
einen Neuanfang in Amerika. Die Überseereise in überfüllten Auswandererschiffen ist lebensgefährlich, die
Unterkunft auf den Schiffen karg und die Verpflegung
schlecht.
Aus- und Rückwanderung im frühen
20. Jahrhundert
Ab dem Jahr 1890 ebbt die Auswanderungswelle wieder
ab, da das Sozialistengesetz nicht verlängert wird. Durch
die Industrialisierung werden nun auch im Deutschen
Kaiserreich neue Arbeitsplätze geschaffen. Arbeitsuchende zieht es vom Land in die industriellen Ballungsräume, die vor allem in Mittel- und Westdeutschland
entstehen. Diese so genannte Binnenwanderung innerhalb des Deutschen Reichs tritt an die Stelle der Auswanderung. 1909 verlassen nur noch rund 25.000 Menschen Deutschland. Dies entspricht einem Anteil von
weniger als 0,4 Prozent an der Gesamtbevölkerung.
Inflation und eine hohe Arbeitslosigkeit führen in der
Weimarer Republik 1923 noch einmal zu einem kurzen,
aber starken Anstieg der Auswanderung. Während der
Weltwirtschaftskrise ab 1930 ist jedoch zu beobachten,
dass die Zahl der deutschen Heimkehrer aus Nordamerika diejenige der Auswanderer übersteigt. Dies ist auf
zwei Gründe zurückzuführen: In den USA herrschen
zum einen nun strengere Einwanderungsgesetze. Zum
anderen sind viele deutsche Auswanderer in den USA
nicht heimisch geworden und haben auch beruflich
nicht Fuß fassen können.
Emigration unter der
nationalsozialistischen Herrschaft
Nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernehmen und Terror und Gewalt verbreiten, verlassen
viele Sozialdemokraten, Kommunisten, andere Oppositionelle, Intellektuelle und Künstler Deutschland, um
ihrer Unterdrückung und Verfolgung zu entgehen und
in Freiheit leben zu können. Man spricht bei dieser Form
von Auswanderung auch von politischer Emigration.
Die größte Gruppe der Auswanderer unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bilden die Bürger,
die jüdischen Glaubens sind oder jüdische Vorfahren
haben. Diejenigen unter ihnen, die den Vernichtungswillen der Nationalsozialisten rechtzeitig erahnen und
ausreichend Geld haben, reisen aus Deutschland aus,
solange sie noch können. Hierfür müssen sie nicht nur
ein Land finden, das sie aufnehmen will. Sie müssen in
Deutschland auch noch eine so genannte Reichsfluchtsteuer zahlen sowie ihren ganzen Besitz aufgeben.
Flucht und Vertreibung als Folgen des
Zweiten Weltkrieges
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 erreicht
die Zahl der Auswanderer aus der Bundesrepublik
Deutschland (BRD) kaum noch eine nennenswerte Größenordnung. Dennoch kommt es in den letzten Monaten des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren in
Deutschland zu größeren Bevölkerungsbewegungen.
Millionen Menschen fliehen aus den deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße vor der Roten Armee
der Sowjetunion, da sie deren Racheakte fürchten. In
den Jahren 1945 und 1946 werden deutschstämmige Bevölkerungsgruppen aus Gebieten wie dem Sudetenland,
die nun zu Polen und der Tschechoslowakei gehören,
vertrieben. Bis zum Mauerbau 1961 verlassen ebenfalls
Millionen von Menschen die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) und die Deutsche Demokratische Republik
(DDR) in Richtung BRD. Von einer gezielten Zuwanderung lässt sich allerdings nicht sprechen.
„Gastarbeiter“ für das
deutsche Wirtschaftswunder
Mitte der 1950er-Jahre erlebt die Wirtschaft der BRD
einen Aufschwung, der so stark ist, dass in vielen Industriezweigen Arbeitskräfte fehlen. Es ist die Zeit des
„Wirtschaftswunders“, das Unternehmen investieren
und wachsen lässt. Die Bundesregierung reagiert auf
die Bedürfnisse der Wirtschaft und wirbt neue Arbeitskräfte überwiegend aus Südeuropa an. Sie kommen
aus Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, der Türkei, Marokko oder Tunesien. Sie werden Gastarbeiter
genannt, weil sie ursprünglich nur eine begrenzte Zeit
in Deutschland bleiben sollen. Doch ihre Arbeit ist für
die Unternehmer wie für die ausländischen Arbeiter so
attraktiv, dass viele Gastarbeiter länger als geplant in
Deutschland bleiben, sich dauerhaft niederlassen und
schließlich ihre Familien nachholen.
Schon 1964 wird der einmillionste Gastarbeiter in der
Bundesrepublik begrüßt. Auch eine kleine Wirtschaftskrise 1966/67 stoppt den Zuzug der Arbeitskräfte, die
nun auch aus Jugoslawien und der Türkei angeworben
werden, nicht dauerhaft. 1973 sind 2,6 Millionen Ar43
staaten“ wie Polen, der CSSR (die heutige Tschechische
Republik und die Slowakische Republik), Ungarn, Angola, Vietnam und Kuba. Sie werden überwiegend als
Industriearbeiter eingesetzt. Da ihre Arbeitserlaubnis
von vornherein vertraglich festgelegt ist, werden sie
Vertragsarbeiter genannt. Sie leben zumeist von der
einheimischen Bevölkerung getrennt in eigenen Wohnheimen. Staat und Partei haben keine ernsthaften Absichten, sie in die Gesellschaft zu integrieren.
Aussiedler und Asylbewerber
Von Ende der 1980er-Jahre bis Mitte der 1990er-Jahre erlebt die Zuwanderung nach Deutschland einen
neuen Boom. Zum einen hält der Familiennachzug der
Gastarbeiter, die mittlerweile in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben, unvermindert an.
Zum anderen kommen nun verstärkt Aussiedler und
Spätaussiedler mit deutschen Wurzeln aus den Staaten
des bisherigen Ostblocks und der zerfallenden Sowjetunion zurück in die Bundesrepublik.
Ab Mitte der 1950er-Jahre kommen tausende Arbeitskräfte
vor allem aus südeuropa nach deutschland.
bild: der Portugiese Amando sá rodrigues erhält als einmillionster Gastarbeiter in der bundesrepublik ein Moped
als begrüßungsgeschenk, 1964.
Gleichzeitig steigt auch die Zahl derjenigen, die aus
politischen, wirtschaftlichen oder humanitären Gründen dauerhafte Aufnahme (Asyl) in der BRD beantragen
und Schutz vor Verfolgung, Armut und Krieg suchen.
Das Grundgesetz garantiert politisch Verfolgten ein
Grundrecht auf Asyl. Da aber seit 1993 die so genannte
Drittstaatenregelung gilt, die eine Einreise von Asylbewerbern aus sicheren Drittstaaten ausschließt, geht die
Zahl der Asylverfahren und anerkannten Asylbewerber
stark zurück.
beitskräfte aus dem Ausland in der BRD tätig. Zählt man
deren Familienmitglieder hinzu, leben in dieser Zeit
etwa vier Millionen ausländische Mitbürgerinnen und
Mitbürger in der BRD. Vor allem in den größeren Städten wohnen sie häufig unter sich, haben ihre eigenen
Geschäfte, Lokale, Kultureinrichtungen und manchmal
nur wenig Kontakt mit der deutschen Bevölkerung. Man
spricht in diesem Zusammenhang von der Ausbildung
von Parallelgesellschaften.
Anfang der 1990er-Jahre erschüttert eine Welle von offen
gezeigter Ausländerfeindlichkeit bis hin zu Gewalt das
wiedervereinigte Deutschland. Traurige Berühmtheit
erlangen die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen
vor einem Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter sowie die Brandanschläge von Mölln und Solingen auf Häuser mit türkischstämmigen Bewohnern, die
mehrere Todesopfer fordern.
Als die Ölkrise 1973 auch die deutsche Wirtschaft erreicht und schwächt, verhängt die Bundesregierung
einen Anwerbestopp. Die eigens im Ausland eingerichteten Anwerbebüros werden geschlossen.
Freizügigkeit in der Europäischen Union
„Vertragsarbeiter“ in der DDR
Auch in der DDR fehlen in den 1960er-Jahren viele Arbeiter, was nicht zuletzt auf die massenhafte Abwanderung und Flucht in die BRD bis zu Beginn des Mauerbaus
1961 zurückzuführen ist. Daraufhin wirbt die Regierung
der DDR ebenfalls Arbeitskräfte aus dem Ausland an.
Sie kommen vor allem aus den „sozialistischen Bruder44
Innerhalb der Europäischen Union (EU) gilt die so genannte Freizügigkeit. Dies bedeutet, dass jeder EU-Bürger nicht nur das Recht hat, in einen beliebigen Mitgliedstaat der EU zu reisen. Er kann, wenn er dies möchte,
auch seinen Wohnsitz dorthin verlegen. Von dieser
Möglichkeit können sowohl Deutsche im Ausland als
auch EU-Bürger in Deutschland Gebrauch machen. Seit
der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und
der anhaltend hohen Verschuldung vieler EU-Länder,
ist Deutschland wieder sehr gefragt. Die Bundesrepublik
hat die Krise vergleichweise unbeschadet überstanden
und wirbt im Ausland um Fachkräfte, die in bestimmten
Zu- und Abwanderung in deutschland
Quelle:StatistischesBundesamt,2013.
Branchen fehlen. Aktuell leben, arbeiten und studieren
in Deutschland wieder vermehrt junge Menschen aus
EU-Ländern wie Spanien, Italien und Portugal, wo eine
besonders hohe Jugendarbeitslosigkeit herrscht.
Ist Deutschland ein Einwanderungsland?
Schaut man auf die Statistik, ist die Antwort auf die
Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, eindeutig: Mit wenigen Ausnahmen übersteigt seit Bestehen der Bundesrepublik die jährliche Zahl der Zuwanderer stets die der Auswanderer. So sind 2012 über eine
Million Menschen zugezogen, während im selben Zeitraum etwa 700.000 Menschen Deutschland verlassen
haben.
Dennoch schrumpft die deutsche Bevölkerung aufgrund
der geringen Geburtenrate kontinuierlich und wird im
Schnitt älter. Dies gefährdet auf Dauer die Sozialversicherungssysteme, da diese auf die Beiträge von Erwerbstätigen angewiesen sind. Da zudem in einigen
Branchen, zum Beispiel in Ingenieursberufen sowie im
Bereich von Pflege und Gesundheit, bereits Fachkräfte
fehlen, fordern Politik und Wirtschaft seit einigen Jahren, die Zuwanderung von gut ausgebildeten Ausländern gezielt zu fördern.
Die Bundesregierung hat im Jahr 2012 eine „FachkräfteOffensive“ gestartet. Damit sollen sowohl brachliegende
inländische Kompetenzen etwa durch Weiterbildungen
mobilisiert werden als auch qualifizierte ausländische
Arbeitskräfte gezielt angesprochen werden. Zu den geplanten Maßnahmen zählt zum Beispiel die leichtere
und schnellere Anerkennung von Bildungsabschlüssen
aus dem Ausland. Außerdem sollen bürokratische Hindernisse abgebaut und die Rahmenbedingungen für den
Aufenthalt und die Beschäftigung von Zuwanderern
verbessert werden.
Auch die deutsche Wirtschaft ist aufgefordert, ausländische Fachkräfte durch gute Arbeitsbedingungen, eine
angemessene Bezahlung, Aufstiegsmöglichkeiten, familienfreundliche Arbeitszeiten sowie Aus- und Weiterbildungschancen anzuwerben.
Gleichzeitig gibt es in der deutschen Bevölkerung Ängste vor einer unkontrollierten Zuwanderung zum Beispiel im Rahmen der EU-Freizügigkeit aus wirtschaftlich
schwächeren Ländern und Regionen. So werden weiterhin große Anstrengungen nötig sein, Zuwanderer in die
deutsche Gesellschaft zu integrieren.
45
Arbeitsblatt:1945bis1949
Sozialgeschichte
Besatzungszeit und Gründung
zweier Staaten
Grundlagentexte zu den Fragen sind im Kapitel „Besatzungszeit und Gründung zweier Staaten“ zu finden
(im Internet unter www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte).
________
.
________
.
Quelle:Ullstein-Bild.
1. Welcher Tag gilt als das Ende des Zweiten Weltkrieges?
________________
2. Nenne die Siegermächte, die am 5. Juni 1945 in
Deutschland die Regierung übernahmen.
Quelle:AKG-Images.
3. Vom 17. Juli bis 2. August 1945 fand in Potsdam die __
_____________________________________________ statt. Es ging darum, die __
______________________________________________ . Die Beschlüsse wurden
von _______________________________________ , _______________________________________
und _______________________________________ unterzeichnet.
Plakat zum Wiederaufbauprogramm
„Marshallplan“.
6. Welche sozialpolitischen Neuerungen wurden in den
von den Westalliierten besetzten Zonen Deutschlands umgesetzt beziehungsweise wieder eingeführt?
Potsdam, sommer 1945: churchill, truman und stalin.
a) Einheitsversicherung für die Kranken-, Rentenund Unfallversicherung.
b) Arbeitslosenversicherung.
c) Tarifautonomie.
© Stiftung Jugend und Bildung; Stand: 3/2014
4. Zähle die wichtigsten Inhalte auf, die auf der Konferenz von Potsdam festgelegt wurden. Erkläre diese.
d) Arbeitskräftelenkung.
e) Gewerkschaften.
(Mehrfachnennung möglich)
7. Welche sozialpolitischen Neuerungen wurden in den
von der Sowjetunion besetzten Zonen Deutschlands
umgesetzt beziehungsweise wieder eingeführt?
(Mehrfachnennung möglich)
5. Erkläre den Begriff „Kalter Krieg“.
a) Tarifautonomie.
b) Arbeitslosenversicherung.
c) Gewerkschaften.
d) Einheitsversicherung für die Kranken-, Rentenund Unfallversicherung.
e) Arbeitskräftelenkung.
„Sozialgeschichte“ ist ein Projekt der Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und
Soziales zur Dauerausstellung „In die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“ des BMAS. Unter
www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte werden die Texte aus dem Ausstellungskatalog für die Schule aufbereitet und durch Arbeitsblätter ergänzt.
Arbeitsblatt:1949bis1990
Sozialgeschichte
DDR: Sozialpolitik im Sozialismus
Grundlagentexte zu den Fragen sind im Kapitel „DDR: Sozialpolitik im Sozialismus“ zu finden
(im Internet unter www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte).
Quelle:Ullstein-Bild.
1. Am 7. Oktober 1949 wurde die Deutsche Demokratische Republik (DDR) gegründet. Nenne die drei
wichtigsten Mitglieder der Regierung in den ersten
Jahren.
1.
2.
3.
2. Nenne die Partei, die von Beginn bis zum Ende der
DDR die Politik bestimmte.
3. Staatsziel der DDR war der „Aufbau des Sozialismus“.
Erkläre, wie die Wirtschaft in diesem System funktionierte.
Kindergartenkinder mit Mützen von soldaten der nationalen
Volksarmee beim militärischen Gruß.
6. Da in der DDR Arbeitskräftemangel herrschte, wurden Frauen und Mütter mit materiellen Anreizen und
Dienstleistungen motiviert, arbeiten zu gehen.
Welche waren das?
(Mehrfachnennung möglich)
a) Bei Eheschließung erhielten Paare einen Kredit
vom Staat, den sie nicht zurückzahlen mussten,
wenn sie ein Kind bekamen.
4. Wie war die Sozialversicherung in der DDR
strukturiert?
(Mehrfachnennung möglich)
© Stiftung Jugend und Bildung; Stand: 3/2014
a) Die fünf Sozialversicherungen wurden in eine
zentral gelenkte „Einheitsversicherung“ umgewandelt.
b) Alle Arbeitnehmer waren darin pflichtversichert, eine private Absicherung war nicht möglich.
c) Sie wurde hauptsächlich aus Beiträgen der
Betriebe und aus dem Staatshaushalt finanziert.
d) Es gab keine freie Krankenkassenwahl.
5. Beschreibe, was im Mittelpunkt des sozialpolitischen
Handelns der SED stand.
b) Kinderkrippen und -gärten wurden flächendeckend zu Ganztageseinrichtungen ausgebaut.
c) Jedes Kind konnte einen kostenlosen Betreuungsplatz bekommen.
d) Der Staat übernahm die Betreuungskosten nur
für Alleinerziehende.
e) Pro Kind wurde eine Geburtenbeihilfe von
1.000 Euro gezahlt.
f) Mütter hatten Anspruch auf ein halbes Jahr
Schwangerschaftsurlaub.
g) Für Mütter bestand grundsätzlich Kündigungsschutz.
7. Skizziere, wie es zum Zusammenbruch des politischen Systems in der DDR 1989 kam.
„Sozialgeschichte“ ist ein Projekt der Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und
Soziales zur Dauerausstellung „In die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“ des BMAS. Unter
www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte werden die Texte aus dem Ausstellungskatalog für die Schule aufbereitet und durch Arbeitsblätter ergänzt.
Arbeitsblatt:1949bis1973
Sozialgeschichte
BRD: Wirtschaftswunder und Sozialstaat
Grundlagentexte zu den Fragen sind im Kapitel „BRD: Wirtschaftswunder und Sozialstaat“ zu finden
(im Internet unter www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte).
Quelle:Ullstein-Bild.
5. Erkläre den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“. Nenne
auch ihre Erfinder.
6. Vervollständige den Text:
symbol für das Wirtschaftswunder: der einmillionste
VW-Käfer.
1. Wer wurde erster Bundeswirtschaftsminister der
BRD? Nenne auch seine Amtszeit.
2. Skizziere das „Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform“ vom
Juni 1948.
Die 1950er-Jahre sind geprägt von Wohlstand und
________________________________________________________ . Trotz Kritik in den
1960er-Jahren wurde der _______________________________________________
in den Folgejahren weiter ausgebaut: ___________________________
und _______________________________ wurden in die gesetzliche
Unfallversicherung mit aufgenommen. Außerdem
verbesserte das Rehabilitationsangleichungsgesetz
die Leistungen zur medizinischen und beruflichen
______________________________ von ____________________________________________________.
7. Welche weiteren sozialpolitischen Errungenschaften prägten den Sozialstaat in den 1960er- und
1970er-Jahren?
(Mehrfachnennung möglich)
a) Das Gleichstellungsgesetz trat in Kraft.
4. Mit der Rentenreform von 1957 gab es viele Neuerungen. Welche waren das?
b) Der Mindesturlaub wurde eingeführt.
c) Das Lohnfortzahlungsgesetz trat in Kraft.
d) Das Ausbildungsförderungsgesetz unterstützte
Schüler und Studierende mit finanziellen Leistungen.
e) Das „Abtreibungsgesetz“ trat mit dem § 218 im
StGB in Kraft.
Quelle:AKG -Images.
© Stiftung Jugend und Bildung; Stand: 3/2014
3. Vervollständige den Text:
Das traditionelle soziale System des ____________________________
wurde wieder eingeführt und damit der Grundstein
des heutigen Sozialstaates gelegt. Bis zum Jahr 1950
wurden die einzelnen Zweige – die ____________________________-,
Unfall-, Alters- und _____________________________________________ – bundesweit wieder gesetzlich verankert. Im Jahr ______________
übernahm auch Westberlin, das sich zunächst für
eine _________________________________________________ entschieden hatte,
dieses System.
(Mehrfachnennung möglich)
a) Die Altersrente ist einkommensbezogen.
b) Für Politiker ist die Altersrente einkommensunabhängig.
c) Die Rentenhöhe liegt bei etwa 60 Prozent der
durchschnittlichen Bruttolöhne.
d) Die Rente wird regelmäßig an die Bruttolöhne
angepasst.
e) Der „Generationenvertrag“, das Umlageverfahren, wird eingeführt.
1. Mai 1956,
Plakat des dGb.
„Sozialgeschichte“ ist ein Projekt der Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und
Soziales zur Dauerausstellung „In die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“ des BMAS. Unter
www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte werden die Texte aus dem Ausstellungskatalog für die Schule aufbereitet und durch Arbeitsblätter ergänzt.
Arbeitsblatt:1974bis1989
Sozialgeschichte
Grenzen des Sozialstaats
Grundlagentexte zu den Fragen sind im Kapitel „Grenzen des Sozialstaats“ zu finden
(im Internet unter www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte).
Quelle:Ullstein-Bild.
5. Da diese Ziele nicht erreicht werden konnten, kam
es im Jahr 1982 zu einem politischen Wechsel. Zähle
in Stichpunkten auf, was im Sommer und Herbst
1982 geschah.
–
–
–
–
–
der computer revolutioniert die Arbeitswelt.
rechenzentrum der bundespost, hamburg 1974.
6. Auch der neu gesetzte sozialpolitische Kurs
brachte in den Folgejahren nicht den gewünschten
Erfolg. Welche Ziele wurden nach dem politischen
Wechsel verfolgt?
(Mehrfachnennung möglich)
1. Nenne die Veränderungen, die den Strukturwandel in
der BRD in den 1970er-Jahren ausgelöst hatten.
a) mehr Staat, mehr Markt.
b) weniger Staat, mehr Markt.
c) mehr Eigeninitiative und mehr Wettbewerb.
d) mehr Beweglichkeit in den alten Strukturen.
2. Erläutere die Hintergründe der „Neuen Sozialen
Frage“ der 1970er-Jahre und die der „Sozialen Frage“
des 19. Jahrhunderts.
3. Welche Errungenschaften wurden in der Familienpolitik in den 1970er-Jahren erreicht?
e) weg von kollektiven Lasten, hin zur
persönlichen Leistung/Verantwortung.
7. Ende der 1980er-Jahre wurde der so genannte
demografische Wandel erstmals sichtbar. Bis heute
ist er eine besondere Herausforderung für Staat und
Gesellschaft. Erkläre, was demografischer Wandel
bedeutet und welche Folgen er hat.
a) Das Kindergeld wird erstmals auch für das
erste Kind eingeführt.
b) Für eheliche Kinder gibt es mehr Kindergeld
als für uneheliche.
c) Das Elterngeld wird eingeführt.
d) Sechs Monate lang erhalten Mütter ein Mutterschaftsgeld.
Quelle:Ullstein-Bild.
© Stiftung Jugend und Bildung; Stand: 3/2014
(Mehrfachnennung möglich)
e) Mütter genießen vor und nach der Geburt ihres
Kindes einen besonderen Kündigungsschutz.
4. Nenne zwei wichtige Ziele der Wirtschafts- und
Sozialpolitik der 1970er- und 1980er-Jahre.
die sinkende Geburtenrate hat zur folge, dass immer
weniger Menschen in die sozialversicherungssysteme
einzahlen.
„Sozialgeschichte“ ist ein Projekt der Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und
Soziales zur Dauerausstellung „In die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“ des BMAS. Unter
www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte werden die Texte aus dem Ausstellungskatalog für die Schule aufbereitet und durch Arbeitsblätter ergänzt.
Arbeitsblatt:1990bis1998
Sozialgeschichte
Wiedervereinigtes Deutschland
Grundlagentexte zu den Fragen sind im Kapitel „Wiedervereinigtes Deutschland“ zu finden
(im Internet unter www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte).
Quelle:AKG-Images.
4 . Nenne den Hauptgrund, weshalb die Arbeitslosenzahlen nach der Wiedervereinigung rapide auf über
drei Millionen anstiegen.
5. In den 1990er-Jahren wurden in der gesetzlichen
Rentenversicherung einige Neuerungen und
Änderungen umgesetzt. Welche waren das?
(Mehrfachnennung möglich)
a) Millionen ehemalige DDR-Bürger wurden in
das bundesdeutsche Rentensystem integriert.
b) Rentenbeiträge wurden an die Veränderungen
der Nettolöhne angepasst.
10. november 1989: Westberliner begrüßen
besucher aus Potsdam.
c) Wer wollte, konnte ab dem 55. Lebensjahr in
Rente gehen.
1. Beschreibe, welche wichtigen Voraussetzungen von
BRD und DDR auf dem Weg zur Wiedervereinigung
geschaffen wurden.
d) Rentenbeiträge wurden an die Veränderungen
der Bruttolöhne angepasst.
Quelle:Reuters.
e) Die Beiträge sanken erst und stiegen zum Ende
der 1990er-Jahre auf über 19 Prozent.
2. An welchem Tag wurde der Beitritt der DDR zur BRD
vollzogen? Nenne das Datum und die Bezeichnung
dieses Tages, der seither als offizieller deutscher
Feiertag gilt.
Medizinischer fortschritt und
beste Versorgung kosten Geld.
© Stiftung Jugend und Bildung; Stand: 3/2014
6. Zähle vier Neuerungen auf, die im Gesundheitswesen
eingeführt wurden.
3. Welche sozialpolitischen Herausforderungen standen nach der Wiedervereinigung im Vordergrund?
(Mehrfachnennung möglich)
a) Anpassung der Sozialversicherungssysteme in
Ostdeutschland.
b) Reformen für die gesetzliche Rentenversicherung und Altersvorsorge.
c) Einführung der Sozialen Marktwirtschaft
in Westdeutschland.
d) Einführung der Sozialen Marktwirtschaft
in Ostdeutschland.
1.
2.
3.
4.
7. Im Februar 1992 schlossen sich die Mitgliedstaaten der
Europäischen Gemeinschaft (EG) zur Europäischen
Union (EU) zusammen und handelten den „Maastrichter
Vertrag“ aus. Nenne das Jahr des Inkrafttretens. Fasse
auch die wichtigsten Ziele des Vertrags zusammen.
e) Senkung der Arbeitslosenzahlen.
f) Umstrukturierung der gesetzlichen Krankenkasse.
„Sozialgeschichte“ ist ein Projekt der Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und
Soziales zur Dauerausstellung „In die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“ des BMAS. Unter
www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte werden die Texte aus dem Ausstellungskatalog für die Schule aufbereitet und durch Arbeitsblätter ergänzt.
Arbeitsblatt:1998bis2005
Sozialgeschichte
Reformen sichern die Zukunft
1. Nenne Gründe für die Sorgen der Regierung und
der Bürger um die Finanzierung des sozialen
Sicherungssystems und der Arbeitswelt.
Quelle:Ullstein-Bild.
Grundlagentexte zu den Fragen sind im Kapitel „Reformen sichern die Zukunft“ zu finden
(im Internet unter www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte).
2. Nenne den Urheber der Agenda 2010.
Am 19. April 1999 nimmt der deutsche bundestag seine
Arbeit im umgebauten reichstagsgebäude in berlin auf.
3. In den Jahren 2003 bis 2005 traten im Bereich Arbeitsmarkt neue Gesetze in Kraft. Welche Neuerungen
brachten sie mit sich? Ergänze auch das jeweilige
Gesetz dazu.
(Mehrfachnennung möglich)
© Stiftung Jugend und Bildung; Stand: 3/2014
a) Es besteht sofortige Meldepflicht bei drohender
Arbeitslosigkeit.
(Gesetz ___________________________ )
b) Selbstständige müssen sich
freiwillig gegen Arbeitslosigkeit versichern.
(Gesetz ___________________________ )
c) Das Arbeitslosengeld II
wird eingeführt.
(Gesetz ___________________________ )
d) Das Arbeitslosengeld II wird
wie das Arbeitslosengeld über
die Beiträge aus der Sozialversicherung finanziert.
(Gesetz ___________________________ )
4 . Übersetze den Begriff „Agenda“. Nenne außerdem die
Ziele, die durch die „Agenda 2010“ erreicht werden
sollten.
6. Welche Neuerungen brachte die Rentenreform?
(Mehrfachnennung möglich)
a) Aus „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ wird die
„Rente wegen Erwerbsunfähigkeit“. Eine private
Absicherung gegen Berufsunfähigkeit wird notwendig.
b) Wer möchte, kann einen Teil seines Lohnes für
eine betriebliche Altersvorsorge verwenden.
c) Die private Altersvorsorge wird steuerlich
gefördert.
d) Der so genannte Nachhaltigkeitsfaktor setzt
die Zahl der Leistungsempfänger in Relation
zur Anzahl der erwerbstätigen Beitragszahler.
7. Erkläre, was die Regelung der Drittelbeteiligung bei
der Unternehmensmitbestimmung bedeutet.
8. Gib wieder, welche Vorteile die Gesundheitsreform
von 2004 für die Versicherten brachte.
5. Beschreibe den Begriff „barrierefrei“.
„Sozialgeschichte“ ist ein Projekt der Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und
Soziales zur Dauerausstellung „In die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“ des BMAS. Unter
www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte werden die Texte aus dem Ausstellungskatalog für die Schule aufbereitet und durch Arbeitsblätter ergänzt.
Arbeitsblatt:2005bisheute
Sozialgeschichte
Sozialpolitik im Zeichen der Globalisierung
1. Nenne die Koalition, welche die BRD von 2005 bis 2009
regierte. Wer führte sie?
Quelle:gettyimages.
Grundlagentexte zu den Fragen sind im Kapitel „Sozialpolitik im Zeichen der Globalisierung“ zu finden
(im Internet unter www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte).
2. Mit den Reformen zur Modernisierung des Arbeitsmarktes werden Anwartschaftszeit und Bezugsdauer
des Arbeitslosengeldes neu geregelt. Fasse zusammen, welche Voraussetzungen seitdem gelten.
3. Kennst du weitere aktuelle Regelungen der Arbeitsmarktpolitik?
(Mehrfachnennung möglich)
a) Selbstständige und Freiberufler können freiwillig Beiträge in die Arbeitslosenversicherung einzahlen.
b) Es besteht sofortige Meldepflicht bei drohender
Arbeitslosigkeit.
c) Selbstständige und Freiberufler dürfen jetzt
keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung
einzahlen.
d) Wer Arbeitslosengeld II bezieht und eine Arbeit
ablehnt, muss mit Kürzungen der Leistungen
rechnen.
e) Wer in den letzten zwei Jahren weder
Arbeitslosengeld noch Arbeitslosengeld II bekommen hat, kann einen Antrag stellen, um
sofort ein Arbeitsangebot zu bekommen.
© Stiftung Jugend und Bildung; Stand: 3/2014
f) Für Bezieher von Arbeitslosengeld II werden
die Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Pflegeund Rentenversicherung übernommen.
Zum 1. Januar 2007 wird das Elterngeld eingeführt.
6. Das Elterngeld gehört mit zu den wichtigsten und erfolgreichsten Errungenschaften der großen Koalition.
Kreuze an, was in der Familienpolitik geändert oder
eingeführt wurde.
(Mehrfachnennung möglich)
a) Familien können in den ersten 14 Lebensmonaten ihres Kindes Elterngeld beantragen.
b) Bei Erwerbstätigen orientiert sich die Höhe am
Nettoeinkommen.
c) Jedes Kind unter drei Jahren erhält sofort einen
Platz bei einer ausgewählten Tagesmutter.
d) Auch Großeltern können „Elternzeit“ nehmen.
e) Arbeitslosengeld-II-Empfänger können für ihre
Kinder einen Schulbedarfszuschuss beantragen.
4 . Was bedeutet die Regelung „Rente mit 67“?
Erkläre diese in eigenen Worten.
7. Im Jahr 2008 erlebte Deutschland zusammen mit allen
Ländern der Welt eine Finanz- und Wirtschaftskrise.
Erläutere, wie die Bundesregierung darauf reagierte.
5. Im April 2007 trat eine weitere Gesundheitsreform in
Kraft. Zähle die vier wichtigsten Neuerungen auf.
8. Erkläre, welches Ziel mit den Reaktionen auf die
Krise verfolgt wurde. Skizziere auch, welche Konsequenzen sich daraus für den Staat und die Bürger
ergaben.
1.
2.
3.
4.
„Sozialgeschichte“ ist ein Projekt der Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und
Soziales zur Dauerausstellung „In die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“ des BMAS. Unter
www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte werden die Texte aus dem Ausstellungskatalog für die Schule aufbereitet und durch Arbeitsblätter ergänzt.
Arbeitsblatt:SituationderFrau1945bisheute
Sozialgeschichte
Auf dem Weg zur Gleichberechtigung
Quelle:bpk/HerbertHensky
Grundlagentexte zu den Fragen sind im Kapitel „Auf dem Weg zur Gleichberechtigung“ zu finden
(im Internet unter www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte).
5. Die Frauenpolitik in der DDR zielte vornehmlich auf
die Rolle der Frau als
a) Hausfrau.
b) Arbeitskraft.
c) Soldatin.
d) Volkskammerabgeordnete.
e) Mutter.
(Mehrfachnennung möglich)
6. Die Frauenerwerbsquote und die Dichte der Kinderbetreuung waren in der DDR im Vergleich zur BRD
a) geringer.
b) etwas gleich.
c) höher.
7. Liste die nach wie vor bestehenden Defizite bei der
Gleichstellung von Frauen auf.
„trümmerfrauen“ bergen Ziegelsteine in berlin, 1945.
1. Nenne die Ursachen des gewandelten Selbstverständnisses von Frauen in den ersten Nachkriegsjahren.
8. Wenn du den Zeitraum von 1945 bis heute in den
Blick nimmst: Fasse die Errungenschaften und Erfolge
für Frauen in Deutschland zusammen.
3. Erkläre, was die Abschaffung des „Gehorsamsparagrafen“ für Frauen zur Folge hatte.
Quelle:bpk/HorstE.Schulze
© Stiftung Jugend und Bildung; Stand: 3/2014
2. Beschreibe den Inhalt von Artikel 3, Absatz 2 des
Grundgesetzes (1949) in eigenen Worten.
4. Vervollständige den folgenden Satz:
Die Reform des Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch Paragraf 218 war für die bundesdeutsche
Frauenbewegung ein wichtiger Meilenstein, weil …
Junge Arbeiterinnen in einem nAGEMA-Werk, 1951.
„Sozialgeschichte“ ist ein Projekt der Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und
Soziales zur Dauerausstellung „In die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“ des BMAS. Unter
www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte werden die Texte aus dem Ausstellungskatalog für die Schule aufbereitet und durch Arbeitsblätter ergänzt.
Arbeitsblatt:Zu-undAuswanderung
Sozialgeschichte
Deutschland —
ein Land der Zu- und Auswanderer
Grundlagentexte zu den Fragen sind im Kapitel „Deutschland – ein Land der Zu- und Auswanderer“ zu finden
(im Internet unter www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte).
6. Auch in der DDR lebten ausländische Arbeitskräfte.
Liste einige ihrer Herkunftsländer auf.
2. Erkläre, wodurch die beiden großen Auswanderungswellen im 19. Jahrhundert ausgelöst wurden.
7. Freizügigkeit innerhalb der EU bedeutet das Recht,
a) Fernzüge innerhalb der EU kostenlos nutzen zu
dürfen.
b) in jedes Land der EU einreisen zu können.
c) auf einen gut bezahlten Job innerhalb der EU.
d) den Wohnort innerhalb der EU frei wählen und
dort arbeiten zu dürfen.
Quelle:AKG-Images
1. Nenne Gründe, die Menschen dazu veranlassen, ihre
Heimat zu verlassen.
(Mehrfachnennung möglich)
Quelle:Keystone
8. Deutschland ist auch in Zukunft auf ausländische
Arbeitskräfte angewiesen, weil …
An deck eines Auswandererschiffes, 1905.
© Stiftung Jugend und Bildung; Stand: 3/2014
3. „Die Binnenwanderung ersetzt die Auswanderung.“
Ordne diesen Satz in den zeitlichen und inhaltlichen
Zusammenhang ein.
4. Zähle die Gruppen auf, die nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten aus Deutschland
fliehen mussten.
5. Ab Mitte der 1950er-Jahre wirbt die Bundesregierung
gezielt
a) Vertragsarbeiter.
b) Frühaussiedler.
c) Gastarbeiter.
d) qualifizierte EU-Bürger.
der Portugiese Amando sá rodrigues bekommt als einmillionster Gastarbeiter ein
Moped geschenkt, 1964.
„Sozialgeschichte“ ist ein Projekt der Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und
Soziales zur Dauerausstellung „In die Zukunft gedacht – Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“ des BMAS. Unter
www.sozialpolitik.com/sozialgeschichte werden die Texte aus dem Ausstellungskatalog für die Schule aufbereitet und durch Arbeitsblätter ergänzt.
Lösungen
Antworten zu den Arbeitsblättern
Arbeitsblatt: 1945 bis 1949 –
Besatzungszeit und Gründung zweier Staaten
1. Welcher Tag gilt als das Ende des Zweiten Weltkrieges?
8. Mai 1945
2. Nenne die Siegermächte, die am 5. Juni 1945 in Deutschland
die Regierung übernahmen.
USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion
3. Vom 17. Juli bis 2. August 1945 fand in Potsdam die Konferenz
der „großen Drei“ statt. Es ging darum, die Ziele der gemeinsamen Besatzungspolitik festzulegen. Die Beschlüsse wurden
von Harry S. Truman (USA), Josef Stalin (UdSSR) und Winston
Churchill (Großbritannien) unterzeichnet.
4. Zähle die wichtigsten Inhalte auf, die auf der Konferenz von
Potsdam festgelegt wurden. Erkläre diese.
Demilitarisierung: Auflösung aller bewaffneten Verbände
und militärischen Kriegervereine sowie die Schließung der
Industriebetriebe für Kriegsproduktionen
Denazifizierung: Auflösung der NSDAP, Aufhebung nationalsozialistischer Gesetze, Verurteilung der Kriegsverbrecher,
Entfernung von Nationalsozialisten aus öffentlichen Ämtern
und verantwortlichen Posten der Privatwirtschaft
Demokratisierung: Umgestaltung des politischen Lebens
auf demokratischer Grundlage, Zulassung demokratischer
Parteien, demokratische Erneuerung des Bildungs- und Gerichtswesens
Dezentralisierung: Verantwortung und Aufgaben der Wirtschaft und Verwaltung werden (dezentral) auf verschiedene
Stellen übertragen.
5. Erkläre den Begriff „Kalter Krieg“.
Politische Gegensätze zwischen den Siegermächten zeichneten sich ab: kapitalistisch-liberal-demokratische Politik im
Westen gegen die kommunistische, polizeistaatliche Politik
der UdSSR. Verhandlungen blieben ergebnislos und mündeten in einen offenen Ost-West-Konflikt, der auch als „Kalter
Krieg“ bezeichnet wird (statt eines echten „heißen“ Kriegs)
und dessen Hauptgebiet Deutschland war.
6. Welche sozialpolitischen Neuerungen wurden in den von den
Westalliierten besetzten Zonen Deutschlands umgesetzt beziehungsweise wieder eingeführt?
b) Arbeitslosenversicherung
c) Tarifautonomie
e) Gewerkschaften
7. Welche sozialpolitischen Neuerungen wurden in den von der
Sowjetunion besetzten Zonen Deutschlands umgesetzt beziehungsweise wieder eingeführt?
d) Einheitsversicherung für die Kranken-, Renten- und Unfallversicherung
e) Arbeitskräftelenkung
Arbeitsblatt: 1949 bis 1990 –
DDR: Sozialpolitik im Sozialismus
1. Am 7. Oktober 1949 wurde die Deutsche Demokratische Republik (DDR) gegründet. Nenne die drei wichtigsten Mitglieder
der Regierung in den ersten Jahren.
Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Walter Ulbricht
2. Nenne die Partei, die von Beginn bis zum Ende der DDR die
Politik bestimmt.
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED)
3. Staatsziel der DDR war der „Aufbau des Sozialismus“. Erkläre,
wie die Wirtschaft in diesem System funktionierte.
Die landwirtschaftliche und die industrielle Produktion wurde
vom Staat geplant und gelenkt (Planwirtschaft). Private Unternehmen, kleine und mittlere Betriebe aller Wirtschaftsbereiche wurden zentral verwaltet und nach und nach ver-
staatlicht. Es gab keinen freien Wettbewerb. Was wann und
wie mit welchen Arbeitskräften, Materialien und Rohstoffen
produziert werden sollte und wie hoch die Löhne und Preise
waren, wurde vom Staat entschieden.
4. Wie war die Sozialversicherung in der DDR strukturiert?
a) Die fünf Sozialversicherungen wurden in eine zentral gelenkte „Einheitsversicherung“ umgewandelt.
b) Alle Arbeitnehmer waren darin pflichtversichert, eine private Absicherung war nicht möglich.
c) Sie wurde hauptsächlich aus Beiträgen der Betriebe und
aus dem Staatshaushalt finanziert.
d) Es gab keine freie Krankenkassenwahl.
5. Beschreibe, was im Mittelpunkt des sozialpolitischen Handelns der SED stand.
Im Mittelpunkt stand die DDR als Arbeitsgesellschaft: Erwerbstätigkeit sollte das Leben des Staatsbürgers bestimmen. Das Recht auf Arbeit und eine leistungsgerechte
Entlohnung waren garantiert, sodass eine Arbeitslosenversicherung nicht aufgebaut wurde. Hauptziel der SED-Sozialpolitik war es, die Arbeitsfähigkeit der Staatsbürger zu erhalten und zu steigern. Arbeitsschutz- und Gesundheitspolitik
spielten eine wichtige Rolle. Die Sozialleistungen im Betrieb
wurden ausgebaut.
6. Da in der DDR Arbeitskräftemangel herrschte, wurden Frauen
und Mütter mit materiellen Anreizen und Dienstleistungen
motiviert, arbeiten zu gehen. Welche waren das?
a) Bei Eheschließung erhielten Paare einen Kredit vom Staat, den
sie nicht zurückzahlen mussten, wenn sie ein Kind bekamen.
b) Kinderkrippen und -gärten wurden flächendeckend zu
Ganztageseinrichtungen ausgebaut.
c) Jedes Kind konnte einen kostenlosen Betreuungsplatz bekommen.
e) Pro Kind wurde eine Geburtenbeihilfe von 1.000 Euro gezahlt.
f) Mütter hatten Anspruch auf ein halbes Jahr Schwangerschaftsurlaub.
g) Für Mütter bestand grundsätzlich Kündigungsschutz.
7. Skizziere, wie es zum Zusammenbruch des politischen Systems in der DDR 1989 kam.
Die Fälschung der Kommunalwahlen im Mai 1989 wurde aufgedeckt, Proteste der Bürger folgten. Im Sommer 1989 öffnete
Ungarn seine Grenze zu Österreich, und viele DDR-Bürger
flohen in den Westen. Am 16. Oktober 1989 demonstrierten
in Leipzig über 100.000 Menschen, eine Woche später mehr
als 300.000. Mit den Rufen „Wir sind das Volk!“ und „Wir
bleiben hier!“ forderten die Demonstranten Reformen. Honecker wurde innerhalb der SED entmachtet und trat am 18.
Oktober zurück. Nachfolger wurde Egon Krenz. Die Demonstrationen gingen jedoch weiter. Am 9. November wurde die
Grenze zur Bundesrepublik und nach Westberlin geöffnet.
Arbeitsblatt: 1949 bis 1973 –
BRD: Wirtschaftswunder und Sozialstaat
1. Wer wurde erster Bundeswirtschaftsminister der BRD? Nenne
auch seine Amtszeit.
Ludwig Erhard (CDU) trat 1949 sein Amt als erster Bundeswirtschaftsminister der BRD an. Seine Amtszeit endete 1963.
2. Skizziere das „Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung
und Preispolitik nach der Geldreform“ vom Juni 1948.
Neben der Lockerung von Preiskontrollen wurde die staatlich kontrollierte Bewirtschaftung aufgehoben. Für Güter wie
Kohle, Stahl und Treibstoff galten jedoch weiterhin Preisbindungen, ebenso für Grundnahrungsmittel und Mieten.
3. Das traditionelle soziale System des 19. Jahrhunderts wurde
wieder eingeführt und damit der Grundstein des heutigen
Sozialstaates gelegt. Bis zum Jahr 1950 wurden die einzelnen
Zweige – die Kranken-, Unfall-, Alters- und Arbeitslosenver-
55
sicherung – bundesweit wieder gesetzlich verankert. Im Jahr
1950 übernahm auch Westberlin, das sich zunächst für eine
Einheitsversicherung entschieden hatte, dieses System.
4. Mit der Rentenreform von 1957 gab es viele Neuerungen. Welche waren das?
a) Die Altersrente ist einkommensbezogen.
c) Die Rentenhöhe liegt bei etwa 60 Prozent der durchschnittlichen Bruttolöhne.
d) Die Rente wird regelmäßig an die Bruttolöhne angepasst.
e) Der „Generationenvertrag“, das Umlageverfahren, wird
eingeführt.
5. Erkläre den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“. Nenne auch ihre
Erfinder.
Die Soziale Marktwirtschaft basiert auf freiem Wettbewerb,
sozialem Ausgleich und Konsumentenfreiheit. Der Staat gestaltet den Rahmen für einen freien, fairen Markt, in dem
jeder Einzelne nicht nur auf seine individuelle Leistungsfähigkeit angewiesen ist, sondern in Notsituationen mit der
Unterstützung der Allgemeinheit rechnen kann.
Erfinder: Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard
6. Vervollständige den Text:
Die 1950er-Jahre sind geprägt von Wohlstand und Wirtschaftswachstum. Trotz Kritik in den 1960er-Jahren wurde der Sozialstaat in den Folgejahren weiter ausgebaut: Schüler und
Studierende wurden in die gesetzliche Unfallversicherung mit
aufgenommen. Außerdem verbesserte das Rehabilitationsangleichungsgesetz die Leistungen zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen.
7. Welche weiteren sozialpolitischen Errungenschaften prägten
den Sozialstaat in den 1960er- und 1970er-Jahren?
b) Der Mindesturlaub wurde eingeführt.
c) Das Lohnfortzahlungsgesetz trat in Kraft.
d) Das Ausbildungsförderungsgesetz unterstützte Schüler
und Studierende mit finanziellen Leistungen.
Arbeitsblatt: 1974 bis 1989 –
Grenzen des Sozialstaats
1. Nenne die Veränderungen, die den Strukturwandel in der BRD
in den 1970er-Jahren ausgelöst hatten.
Der technologische Wandel, der zunehmende Einsatz von
Robotern und Computern (Digitalisierung) und die Entwicklung weg von der Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft
2. Erläutere die Hintergründe der „Neuen Sozialen Frage“ der
1970er-Jahre und die der „Sozialen Frage“ des 19. Jahrhunderts.
In den 1970er-Jahren ging es – wie im 19. Jahrhundert – darum,
Armut zu lindern oder zu verhindern und Lebensbedingungen
zu verbessern. In den 1970er-Jahren standen Familien und
Kinder im Vordergrund. Sie sollten besser gefördert werden,
denn vor allem Mütter, die nicht im Berufsleben standen, und
kinderreiche Familien waren im Nachteil. Im 19. Jahrhundert
standen dagegen die schlechten Arbeitsbedingungen, die zu
Not und Krankheit führten, im Vordergrund.
3. Welche Errungenschaften wurden in der Familienpolitik in
den 1970er-Jahren erreicht?
a) Das Kindergeld wird erstmals auch für das erste Kind eingeführt.
d) Sechs Monate lang erhalten Mütter ein Mutterschaftsgeld.
e) Mütter genießen vor und nach der Geburt ihres Kindes
einen besonderen Kündigungsschutz.
4. Nenne zwei wichtige Ziele der Wirtschafts- und Sozialpolitik
der 1970er- und 1980er-Jahre.
Die Staatsverschuldung und die staatlichen Sozialausgaben
mussten weiter reduziert werden. Die Unternehmen sollten
steuerlich entlastet werden, um wieder mehr investieren zu
können.
5. Da diese Ziele nicht erreicht werden konnten, kam es im Jahr
1982 zu einem politischen Wechsel. Zähle in Stichpunkten auf,
was im Sommer und Herbst 1982 geschah.
Auflösung der Koalition SPD/FPD durch Bundeskanzler
Helmut Schmidt
Misstrauensvotum folgt mit Wahl eines Nachfolgers des
Bundeskanzlers
Amtsantritt von Helmut Kohl am 1. Oktober als Bundeskanzler,
Koalition von CDU und FDP
56
6. Auch der neu gesetzte sozialpolitische Kurs brachte in den Folgejahren nicht den gewünschten Erfolg. Welche Ziele wurden
nach dem politischen Wechsel verfolgt?
b) weniger Staat, mehr Markt
c) mehr Eigeninitiative und mehr Wettbewerb
d) mehr Beweglichkeit in den alten Strukturen
e) weg von kollektiven Lasten, hin zur persönlichen Leistung/Verantwortung
7. Ende der 1980er-Jahre wurde der so genannte demografische
Wandel erstmals sichtbar. Bis heute ist er eine besondere Herausforderung für Staat und Gesellschaft. Erkläre, was demografischer Wandel bedeutet und welche Folgen er hat.
Die Menschen leben immer länger, somit müssen auch Renten und Pflegeleistungen länger gezahlt werden. Gleichzeitig
sinkt die Zahl der Geburten. Daher zahlen immer weniger
Menschen in die Sozialversicherungssysteme ein, gleichzeitig erhalten aber immer mehr Versicherte über einen immer
längeren Zeitraum soziale Leistungen.
Arbeitsblatt: 1990 bis 1998 –
Wiedervereinigtes Deutschland
1. Beschreibe, welche wichtigen Voraussetzungen von BRD und
DDR auf dem Weg zur Wiedervereinigung geschaffen wurden.
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur staatlichen Einheit war
der Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR, der
am 1. Juli 1990 in Kraft trat. Die Deutsche Mark (DM) wurde
als einziges Zahlungsmittel auch in Ostdeutschland eingeführt. Die einheitliche Währung und die Übernahme der
bundesdeutschen Sozialversicherung, der Sozialhilfe und
des Arbeitsrechts im Rahmen der Sozialunion schafften die
Voraussetzungen für die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft (Wirtschaftsunion) in den neuen Bundesländern.
2. An welchem Tag wurde der Beitritt der DDR zur BRD vollzogen? Nenne das Datum und die Bezeichnung dieses Tages, der
seither als offizieller deutscher Feiertag gilt.
3. Oktober 1990, „Tag der Deutschen Einheit“
3. Welche sozialpolitischen Herausforderungen standen nach
der Wiedervereinigung im Vordergrund?
a) Anpassung der Sozialversicherungssysteme in Ostdeutschland.
b) Reformen für die gesetzliche Rentenversicherung und Altersvorsorge.
d) Einführung der Sozialen Marktwirtschaft in Ostdeutschland.
e) Senkung der Arbeitslosenzahlen.
f) Umstrukturierung der gesetzlichen Krankenkassen.
4. Nenne den Hauptgrund, weshalb die Arbeitslosenzahl kurz
nach der Wiedervereinigung rapide auf über drei Millionen
anstieg.
Der Versuch, die Soziale Marktwirtschaft in den neuen Bundesländern einzuführen, gestaltete sich schwieriger als erwartet. Etwa 8.000 Staatsbetriebe mit rund vier Millionen
Beschäftigen wurden privatisiert. Die neuen Unternehmen
waren der westdeutschen Konkurrenz jedoch nicht gewachsen. Ihre Produktionskosten waren zu hoch, ihre Produkte
nicht marktfähig. Viele Ost-Unternehmen mussten ihre Betriebe schließen. Millionen Beschäftige verloren ihren Arbeitsplatz.
5. In den 1990er-Jahren wurden in der gesetzlichen Rentenversicherung einige Neuerungen und Änderungen umgesetzt. Welche waren das?
a) Millionen ehemalige DDR-Bürger wurden in das bundesdeutsche Rentensystem integriert.
b) Rentenbeiträge wurden an die Veränderungen der Nettolöhne angepasst.
c) Wer wollte, konnte ab dem 55. Lebensjahr mit Abschlägen
in Rente gehen.
d) Rentenbeiträge wurden an die Veränderungen der Bruttolöhne angepasst.
e) Die Beiträge sanken erst und stiegen zum Ende der
1990er-Jahre auf über 19 Prozent.
6. Nenne vier Neuerungen, die im Gesundheitswesen eingeführt
wurden.
1. Zuzahlung bei Zahnersatz, Arznei- und Heilmitteln
2. höhere Beitragszahlungen
3. freie Krankenkassenwahl, Krankenversichertenkarte
4. Einführung der Pflegeversicherung
7. Im Februar 1992 schlossen sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) zur Europäischen Union (EU) zusammen und handelten den „Maastrichter Vertrag“ aus. Nenne das
Jahr des Inkrafttretens. Fasse auch die wichtigsten gemeinsamen Ziele des Vertrags zusammen.
Am 1. November 1993 trat der Vertrag in Kraft. Wichtigste
Ziele waren eine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialunion
sowie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
Arbeitsblatt: 1998 bis 2005 –
Reformen sichern die Zukunft
1. Nenne Gründe für die Sorgen der Regierung und der Bürger
um die Finanzierung des sozialen Sicherungssystems und der
Arbeitswelt.
steigende Arbeitslosigkeit, steigende Kosten im Gesundheitswesen, demografischer Wandel, steigende Standortkonkurrenz (Globalisierung)
2. Nenne den Urheber der Agenda 2010?
der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder
3. In den Jahren 2003 bis 2005 traten im Bereich Arbeitsmarkt
neue Gesetze in Kraft. Welche Neuerungen brachten sie mit
sich? Ergänze auch das jeweilige Gesetz dazu.
a) Es besteht sofortige Meldepflicht bei drohender Arbeitslosigkeit. (Gesetz Hartz I)
c) Das Arbeitslosengeld II wird eingeführt. (Gesetz Hartz IV)
4. Übersetze den Begriff „Agenda“. Nenne außerdem die Ziele,
die durch die „Agenda 2010“ erreicht werden sollten.
Agenda heißt „was zu tun ist“. Die Agenda 2010 war ein
Maßnahmenbündel, mit dem in den kommenden Jahren
die Wirtschafts- und Sozialpolitik überarbeitet werden sollte. Kernthemen waren Neuerungen in den Bereichen Konjunktur und Haushalt, Arbeit und Wirtschaft sowie soziale
Sicherung.
5. Beschreibe den Begriff „ barrierefrei“.
Räume, Gegenstände, Medien, die so gestaltet sind, dass sie
uneingeschränkt von jedem Menschen – mit oder ohne Behinderungen – gleichermaßen genutzt werden können, sind
barrierefrei.
6. Welche Neuerungen brachte die Rentenreform?
a) Aus „Rente wegen Berufsunfähigkeit“ wird die „Rente
wegen Erwerbsunfähigkeit“. Eine private Absicherung
gegen Berufsunfähigkeit wird notwendig.
b) Wer möchte, kann einen Teil seines Lohnes für eine betriebliche Altersvorsorge verwenden.
c) Die private Altersvorsorge wird steuerlich gefördert.
d) Der so genannte Nachhaltigkeitsfaktor setzt die Zahl der
Leistungsempfänger in Relation zur Anzahl der erwerbstätigen Beitragszahler.
7. Erkläre, was die Regelung der Drittelbeteiligung bei der Unternehmensmitbestimmung bedeutet.
Bei Unternehmen mit mehr als 500 und bis zu 2.000 Arbeitnehmern werden Aufsichtsräte zu einem Drittel von den
Arbeitnehmervertretern und zu zwei Dritteln von den Anteilseignern des Unternehmens besetzt.
8. Gib wieder, welche Vorteile die Gesundheitsreform von 2004
für die Versicherten brachte.
Sie können eine Aufstellung über die Leistung vom behandelnden Arzt einfordern; sie können an Bonusprogrammen
der Krankenkassen teilnehmen; wenn sie immer erst zu
einem allgemeinmedizinischen Arzt gehen, bevor sie einen
Facharzt aufsuchen, werden sie finanziell belohnt.
Arbeitsblatt: 2005 bis heute –
Sozialpolitik im Zeichen der Globalisierung
1. Nenne die Koalition, welche die BRD von 2005 bis 2009 regierte.
Wer führte sie?
Bei der Bundestagswahl 2005 erhielten weder CDU/CSU und
FDP noch SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Mehrheit
der Mandate. Die Unionsparteien und die SPD bildeten nach
mehrmonatigen Verhandlungen im November eine Große
Koalition. Der Bundestag wählte Angela Merkel (CDU) zur
ersten Bundeskanzlerin.
2. Mit den Reformen zur Modernisierung des Arbeitsmarktes
werden Anwartschaftszeit und Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes neu geregelt. Fasse zusammen, welche Voraussetzungen seitdem gelten.
Um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben, muss man in
den letzten zwei Jahren mindestens zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein. Wie lange man Arbeitslosengeld erhält, hängt davon ab, wie alt man ist und
wie lange man Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Die Bezugsdauer liegt zwischen sechs und 24
Monaten.
3. Kennst du weitere aktuelle Regelungen der Arbeitsmarktpolitik?
a) Selbstständige und Freiberufler können freiwillig Beiträge
in die Arbeitslosenversicherung einzahlen.
b) Es besteht sofortige Meldepflicht bei drohender Arbeitslosigkeit.
d) Wer Arbeitslosengeld II bezieht und eine Arbeit ablehnt,
muss mit Kürzungen der Leistungen rechnen.
e) Wer in den letzten zwei Jahren weder Arbeitslosengeld
noch Arbeitslosengeld II bekommen hat, kann einen Antrag stellen, um sofort ein Arbeitsangebot zu bekommen.
4. Was bedeutet die Regelung „Rente mit 67“? Erkläre diese in
eigenen Worten.
Als weiteren Schritt zur Entlastung der Rentenversicherung
beschloss die Große Koalition im Jahr 2007, das Renteneintrittsalter ab 2012 schrittweise anzuheben. Konkret heißt
das, dass nach dem Jahr 1964 Geborene dann erst mit 67
Jahren in Rente gehen können. Wer früher gehen möchte,
muss mit Abzügen bei der Rente rechnen. Wer sich mit 65
Jahren zur Ruhe setzen möchte, muss entweder mindestens
45 Jahre lang in die in Rentenversicherung eingezahlt haben
oder eine um 0,3 Prozent pro früher gegangenem Monat reduzierte Altersrente in Kauf nehmen.
5. Im April 2007 trat eine weitere Gesundheitsreform in Kraft.
Zähle die vier wichtigsten Neuerungen auf.
1. Versicherungspflicht
2. Einführung eines Gesundheitsfonds
3. mehr Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen
4. Öffnung der privaten Krankenversicherung
6. Das Elterngeld gehört mit zu den wichtigsten und erfolgreichsten Errungenschaften der großen Koalition. Kreuze an, was in
der Familienpolitik geändert oder eingeführt wurde.
a) Familien können in den ersten 14 Lebensmonaten ihres
Kindes Elterngeld beantragen.
b) Bei Erwerbstätigen orientiert sich die Höhe am Nettoeinkommen.
d) Auch Großeltern können „Elternzeit“ nehmen.
e) Arbeitslosengeld-II-Empfänger können für ihre Kinder bis
zur 10. Klasse einen Schulbedarfszuschuss beantragen.
7. Im Jahr 2008 erlebte Deutschland zusammen mit allen Ländern der Welt eine Finanz- und Wirtschaftskrise. Erläutere,
wie die Bundesregierung darauf reagierte.
Die Bundesregierung gab frühzeitig eine Garantie für Sparguthaben und spannte einen umfassenden Schutzschirm
für die Banken. In der Automobilindustrie waren besonders
viele Arbeitsplätze in Gefahr, deswegen wurde sie mit der
„Abwrackprämie“ gestützt. Im November 2008 und Februar
2009 wurden zwei Konjunkturpakete aufgelegt, um Bürger
und Unternehmen gezielt zu entlasten sowie Arbeitsplätze
zu sichern.
8. Erkläre, welches Ziel mit den Reaktionen auf die Krise verfolgt
wurde. Skizziere auch, welche Konsequenzen sich daraus für
den Staat und die Bürger ergaben.
Ziel der Konjunkturpakete war es, die wirtschaftliche Entwicklung (Konjunktur) positiv zu beeinflussen, indem zeitlich befristet beispielsweise in Bildung, Infrastruktur und
andere Bereiche investiert wurde. Dies sollte zu einer gesteigerten Nachfrage bei privaten Haushalten und Unternehmen
führen. In Deutschland gelang es mit dem Kurzarbeitergeld,
Entlassungen zu vermeiden und mehrere 100.000 Arbeitsplätze zu erhalten. Der Nachteil: Konjunkturprogramme
führen auch zu einer Erhöhung der Staatsschulden zulasten
kommender Generationen.
57
Arbeitsblatt: Situation der Frau 1945 bis heute –
Auf dem Weg zur Gleichberechtigung
Arbeitsblatt: Zu- und Auswanderung –
Deutschland – ein Land der Zu- und Auswanderer
1. Nenne die Ursachen des gewandelten Selbstverständnisses
von Frauen in den ersten Nachkriegsjahren.
Frauen haben in den letzten Kriegsjahren, vor allem aber
in der unmittelbaren Nachkriegszeit zahlreiche Tätigkeiten
ausgeübt, die zuvor Männern vorbehalten waren. Da viele
Männer gefallen, kriegsgefangen oder versehrt waren, haben
Frauen zunächst die Hauptlast des Wiederaufbaus tragen
müssen.
1. Nenne Gründe, die Menschen veranlassen, ihre Heimat zu verlassen.
Einerseits Krieg, Gewalt, Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen, Vertreibung und Unterdrückung, Armut
und Hunger in der Heimat.
Andererseits Versprechungen, Erwartungen und Hoffnungen auf ein besseres, reicheres und sichereres Leben in der
Fremde.
2. Beschreibe den Inhalt von Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes (1949) in eigenen Worten.
Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes regelt die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Der Staat verpflichtet sich,
an der Beseitigung bestehender Nachteile mitzuwirken.
2. Erkläre, wodurch die beiden großen Auswanderungswellen im
19. Jahrhundert ausgelöst wurden.
1. Auswanderungswelle nach der gescheiterten Revolution
von 1848.
2. Auswanderungswelle nach Inkrafttreten des Sozialistengesetzes im Jahr 1878.
Beide Wellen waren also politisch bedingt.
3. Erkläre, was die Abschaffung des „Gehorsamsparagrafen“ für
Frauen zur Folge hatte.
Verheiratete Frauen konnten nun ohne Einwilligung ihrer
Ehemänner eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, sofern sich
diese mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbaren ließ.
Außerdem durften sie jetzt ein eigenes Bankkonto führen.
4. Vervollständige den folgenden Satz:
Die Reform des Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch war
für die bundesdeutsche Frauenbewegung ein wichtiger Meilenstein, weil …
gegen starke gesellschaftliche Widerstände das Recht der
Frau auf den Abbruch einer Schwangerschaft innerhalb von
bestimmten Fristen erkämpft wurde.
5. Die Frauenpolitik in der DDR zielte vornehmlich auf die Frau
als
b) Arbeitskraft.
e) Mutter.
6. Die Frauenerwerbsquote und die Dichte der Kinderbetreuung
waren in der DDR im Vergleich zur BRD
c) höher.
7. Liste die nach wie vor bestehenden Defizite bei der Gleichstellung von Frauen auf.
Frauen verdienen im Durchschnitt weniger als Männer, arbeiten häufiger in Teilzeit und unter ihren Qualifikationen,
sind bei Führungspositionen unterrepräsentiert und leisten
den Hauptteil der unbezahlten Arbeit in Haushalt, Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen.
8. Wenn du den gesamten Zeitraum von 1945 bis heute in den
Blick nimmst: Fasse die Errungenschaften und Erfolge für
Frauen in Deutschland zusammen.
Wegfall des Gehorsamsparagrafen, Modell der Hausfrauenehe hat keine Dominanz mehr, Lebens-, Arbeits- und Familienformen sind vielfältiger und frei wählbar geworden,
Lebensentwürfe sind zwischen den Partnern frei auszuhandeln, beinahe sämtliche Berufe stehen auch Frauen offen,
Gleichstellungs- und Frauenbeauftrage wahren weibliche
Interessen am Arbeitsplatz.
58
3. „Die Binnenwanderung ersetzt die Auswanderung.“ Ordne diesen Satz in den zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang
ein.
Ab Ende des 19. Jahrhunderts bot die deutsche Wirtschaft
aufgrund der Industrialisierung, vor allem in bestimmten
Zentren und Ballungsräumen, der verarmten oder von Armut
bedrohten Landbevölkerung ausreichend Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten, sodass diese nicht mehr nach Übersee
auswandern musste.
4. Zähle die Gruppen auf, die nach der Machtübernahme durch
die Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen mussten.
Politisch Verfolgte und Andersdenkende (Kommunisten,
Sozialdemokraten, Oppositionelle), Künstler und Intellektuelle sowie Bürger jüdischen Glaubens beziehungsweise mit
jüdischen Vorfahren.
5. Ab Mitte der 1950er-Jahre wirbt die Bundesregierung gezielt
c) Gastarbeiter.
6. Auch in der DDR lebten ausländische Arbeitskräfte. Liste einige ihrer Herkunftsländer auf.
Polen, CSSR, Ungarn, Angola, Vietnam und Kuba
7. Freizügigkeit innerhalb der EU meint das Recht,
b) in jedes Land der EU einreisen zu können.
d) den Wohnort innerhalb der EU frei wählen und dort arbeiten zu dürfen.
8. Deutschland ist auch in Zukunft auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen, weil …
bereits heute in bestimmten Branchen ein Fachkräftemangel
herrscht und in Zukunft aufgrund des demografischen Wandels ohne Zuwanderung immer weniger Beitragszahlern
immer mehr Beitragsempfänger in den Sozialversicherungssystemen gegenüberständen, was den Sozialstaat überlasten würde.
Notizen
Eigene Stichworte und Ideen
Sozialgeschichte – Ein Arbeitsheft für die Schule, Band I und II
kostenlos bestellen beim:
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat Information, Publikation, Redaktion, 53107 Bonn
Bestellnummer:
Telefon:
Telefax:
Schriftlich:
E-Mail:
Internet:
A204 und A205
(0 30) 1 82 72 27 21
(0 30) 1 81 02 72 27 21
Publikationsversand der
Bundesregierung,
Postfach 48 10 09, 18132 Rostock
[email protected]
www.bmas.de
Gehörlosen-/Hörgeschädigten-Service:
E-Mail:
[email protected]
Fax:
(0 30) 2 21 91 10 17
Gebärdentelefon: [email protected].
buergerservice-bund.de
Ausstellung – In die Zukunft gedacht
Bilder und Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte
Die Dauerausstellung zeigt anhand von Bildern, Filmen und anderen
Zeitdokumenten die Deutsche Sozialgeschichte vom Mittelalter bis
heute. Besonders Schulklassen sind in der kostenlosen Ausstellung
willkommen. Gegliedert ist die Ausstellung in die Bereiche Arbeitswelt
und Soziale Entwicklung. Darüber hinaus gibt es Sonderthemen wie
Mitbestimmung, Hygiene und Stellung der Frau sowie einen interaktiven Medientisch.
Weitere Informationen und Materialien gibt es beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der Wilhelmstraße 49 in Berlin:
www.in-die-zukunft-gedacht.de.
Sozialpolitik – Schutz, Gerechtigkeit, Sicherheit
Medienpaket für die Schule
„Sozialpolitik“ ist ein kostenloses Medienpaket für den Unterricht in den
Klassen 9 bis 12/13 an allgemein- und berufsbildenden Schulen und für
das Selbststudium. Die Materialien führen in das Thema soziale Sicherung ein und geben einen Überblick über den Sozialstaat Deutschland
sowie die wichtigsten Bereiche der Sozialpolitik.
Das Medienpaket umfasst ein Schülermagazin, zwei Arbeitshefte (davon
eins zusätzlich in Leichter Sprache), einen Foliensatz, eine Lehrerinformation, ein Plakat sowie die Internetplattform www.sozialpolitik.com
mit interaktiven Modulen (Wissensquiz, Lexikon, Geschichte, Umfragen,
Kommentare). Auf der Internetseite werden jeden Monat aktuelle sozialpolitische Themen für den Unterricht aufbereitet und Arbeitsblätter als
barrierefreie PDF-Dateien zum Herunterladen angeboten.
Die Materialien „Sozialpolitik“ werden von der Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und
Soziales erstellt.
Schulen können die Hefte in Klassensätzen kostenlos beim Bestellservice Jugend und Bildung per E-Mail [email protected] bestellen oder
im Internet: www.sozialpolitik.com.

Documentos relacionados