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Inhalt
Grußwort
(Bernhard Schmidt)____________________________ 2
Impressum____________________________________ 2
Das Raumfahrtjahr 2003 (Eugen Reichl)
Januar________________________________________ 4
Februar______________________________________ 7
März_______________________________________ 18
April________________________________________ 22
Mai_________________________________________ 32
Juni_________________________________________ 39
Juli_________________________________________ 43
August______________________________________ 51
September___________________________________ 56
Oktober____________________________________ 59
November___________________________________ 67
Dezember___________________________________ 70
Orbitalstarts und Raumsonden 2003______________ 80
Vorschau auf 2004
Raumfahrt-Kalender 2004
(Albert Gruber und Stefan Schiessl)______________ 82
Astronomische Höhepunkte im Jahr 2004
(Wolfgang Meirich)____________________________ 86
Schwerpunktthemen
Columbias letzte Rückkehr –
Protokoll einer Katastrophe
(Eugen Reichl)________________________________ 88
Die Internationale
Raumstation auf Sparflamme
(Michael Schumacher)_________________________ 92
Mikrogravitation auf der Raumstation –
Historie und Zukunftsperspektiven
(Heinz Sprenger)_____________________________ 96
Fünf Raumsonden im Wettlauf zum Mars
(Raimund Scheucher)_________________________ 100
Zum Mars – mit leichtem Gepäck:
Ressourcennutzung vor Ort erleichtert
bemannte Marsmissionen
(Dr.-Ing. Kristian Pauly)________________________ 102
Orbital Space Plane –
Die Zukunft des bemannten
Amerikanischen Zugangs zum Weltraum
(Andreas Kruselburger)_______________________ 110
Grundlagenforschung für
zukünftige Raumtransportsysteme
(Prof. Dr.-Ing. Gottfried Sachs und
Dipl.-Ing. Florian Holzapfel)____________________ 112
Solo für Yang Liwei
(Eugen Reichl)_______________________________ 116
In kleinen Schritten auf langem Marsch –
Die Geschichte der Taikonautik
(Felix Korsch)_______________________________ 119
Flaggschiff zu neuen Horizonten
(Eugen Reichl)_______________________________ 122
Der X-Price –
Geburtshelfer der privaten Raumfahrt
(Eugen Reichl)_______________________________ 128
Weltraumtourismus
(Robert A. Goehlich)_________________________ 132
Das All für Alle –
ein Traum wird wahr
(Ulla Hodapp)_______________________________ 135
Exoplaneten –
Die Suche nach neuen Welten
(Stefan Schiessl)_____________________________ 137
VFR e.V.
Die Geschichte des VFR e.V.
(Hans J. Rauch)______________________________ 140
VFR-Portrait:
„Faszination Raumfahrt Erleben!“
(VFR e.V.)__________________________________ 143
Fünf Schritte ins All –
Plädoyer für ein weitreichendes
deutsches Raumfahrtprogramm
(Bernhard Schmidt)__________________________ 144
RaumCon –
Das Forum der Raumfahrtfans
(Stefan Schiessl und David Langkamp)____________ 147
Verein für Raumschiffahrt (VfR) e.V. –
Chronik unseres historischen Namensvetters
(Karlheinz Rohrwild)__________________________ 148
2003 spacexpress chronik 3
Schwerpunktthemen China im All
„Ich werde mein Mutterland nicht enttäuschen.
Ich werde der Volksbefreiungsarmee und der
Chinesischen Nation Ehre bereiten“. Dies waren die Worte mit denen sich Chinas erster
Astronaut,
Luftwaffen-Oberstleutnant Yang
Liwei unmittelbar vor dem Start von Shenzhou
5 verabschiedete. Nach einer Vorbereitungszeit
von über einem Jahrzehnt und mehr als 40 Jahre
nach der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika wurde China am 15. Oktober
2003, um 9:00 Uhr Ortszeit zur dritten Nation
die aus eigenen Mitteln einen bemannten Raumflug unternahm.
An Bord des Raumschiffes Shenzhou 5 befand sich, wie
schon lange zuvor vermutet, nur ein einzelner Taikonaut,
wie die Chinesen ihre Astronauten nennen: Yang Liwei.
Die Wahl war erst einen Tag vor dem Start auf ihn
gefallen. Zuletzt waren mit ihm noch zwei weitere Kandidaten in der engeren Auswahl: Zai Zhigang und Nie
Haiseng. Westliche Beobachter stellten sich die Frage,
warum diese erste bemannte chinesische Orbitmission
als Soloflug durchgeführt wurde. Die Shenzhou ist in
der Lage, bis zu drei Astronauten aufzunehmen. Der
Grund, neben Sicherheitserwägungen, liegt wohl darin,
dass China einen einzelnen „Space Hero“ haben wollte.
So wie die Russen Juri Gagarin und die Amerikaner John
Glenn.
Vor dem Start verabschiedete er sich von den Offiziellen und den Technikern mit den Worten: „Wir sehen
uns dann morgen wieder“. Knapp zwei Stunden vor dem
Start bestieg er sein Raumfahrzeug. Die Long March 2F
Trägerrakete stand da bereits an der Rampe 1 der Startanlage „Süd“ des Jiuquan Startzentrums in der südlichen
Mongolei. Der Startplatz liegt etwa 1.500 Kilometer
nord-westlich von Peking. Insgesamt gibt es dort fünf
Startanlagen. Weitere sind derzeit im Bau.
Exakt um 9:00 Uhr Ortszeit erwachten die vier Boostertriebwerke und der Motor der ersten Stufe zum Leben. Angetrieben von Stickstofftetroxid und Hydrazin
lieferten diese Einheiten einen Schub von 604 Tonnen,
bei einem Startgewicht der Rakete von 464 Tonnen.
Zwei Minuten und acht Sekunden nach dem Abheben
waren die Zusatzraketen ausgebrannt und wurden abgeworfen. Zwei Minuten und zwanzig Sekunden nach
dem Start wurde auch der Fluchtturm abgesprengt.
Dieser „Fluchtturm“ ist eine Rettungsrakete mit der
116 spacexpress chronik 2003
Die Bahnparameter waren nahe an den vorausberechneten Werten: Apogäum 350 Kilometer, Perigäum 200
Kilometer, Inklination 42,4 Grad. Sieben Stunden nach
dem Start wurde der elliptische Orbit in eine kreisförmige Bahn umgewandelt. Die Bahnhöhe betrug danach
343 Kilometer.
Die Mission am 15. Oktober war der 71. Flug einer Rakete vom Typ „Long March“, und der 29. erfolgreiche Start
in ununterbrochener Reihenfolge seit 1996. Die Long
March 2F selbst wurde zum fünften Mal eingesetzt.
Bis zuletzt waren die Startvorbereitungen im Geheimen
abgelaufen. Der Start sollte zunächst eigentlich live
im chinesischen Fernsehen übertragen werden, aber
wenige Stunden vor diesem Termin wurde diese Idee
XINHUA
Solo für
Yang Liwei
sich der Astronaut in der ersten Startphase samt seiner Kapsel im Falle einer Explosion der Trägerrakete in
Sicherheit bringen kann. Vier Minuten und neun Sekunden nach dem Liftoff war die erste Stufe ausgebrannt.
Danach zündete die zweite Stufe für eine Brennzeit von
4 Minuten 55 Sekunden. Gut neun Minuten nach dem
Abheben war Yang Liwei im Orbit.
Chinas erster „Taikonaut“, der 38-jährige
Yang Liwei besteigt sein Shenzhou 5 Raumschiff.
Start- und Wiedereintritts-Modul
Versorgungsmodul,
enthält elektronische
Ausrüstung und Raketentriebwerk
fallen gelassen. Begründung: „Die Raumfahrtexperten
in Jiuquan hätten darum gebeten“. Zu sehr fürchteten
die chinesischen Offiziellen einen möglichen Fehlschlag,
der dann womöglich live über die Fernsehkanäle laufen
würde. Die beabsichtigte positive Propagandawirkung
wäre damit ins Gegenteil umgeschlagen. Für die Chinesen stand einfach zu viel auf dem Spiel. Immerhin wurde
aber schon Minuten nach dem erfolgreichen Abheben
das reguläre Fernsehprogramm unterbrochen und eine
Aufzeichnung des Starts landesweit übertragen.
Der Pilot des Raumfahrzeugs ist der 38 Jahre alte Militärpilot Yang Liwei. Er hat 1.350 Flugstunden auf Hochleistungsjets absolviert. Yang ist Oberstleutnant in der
Nationalen Volksbefreiungsarmee, und stammt aus dem
nordöstlichen Teil Chinas. Er ist der Sohn eines Lehrers
und der Managerin einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Er wird als hervorragender Eisläufer
und Schwimmer geschildert. Seit 1998 bereitete er sich
auf diese Mission vor.
Alles verläuft normal – ich fühle mich gut
Mit diesen Worten, den ersten, die je ein Chinese aus
dem Weltraum zur Erde richtete, teilte Yang Liwei der
Missionskontrolle in Peking mit, dass alles nach Plan
verläuft. Diese erste Funkübertragung erfolgte 34 Minuten nach dem Start. Nach der Übertragung erklärte
der Chinesische Raumfahrtadministrator den Start zum
„vollständigen Erfolg“.
Hochrangige chinesische Offizielle aus Regierung, Militär
und Parteiapparat waren beim Start in Jiuquan dabei,
einschließlich Präsident Hu Jintao, der dem Astronauten
vor dem Besteigen des Raumschiffs persönlich seine
Glückwünsche für die Mission überbrachte. Daneben
war noch eine kleine Gruppe von Journalisten anwesend, ausschließlich Angehörige staatlicher Nachrichtenorganisationen. Interessanterweise fehlte aber
der ehemalige Regierungschef Jiang Zemin der für die
Existenz des bemannten Raumflugprogramms verantwortlich war.
Schon Wochen vor der Mission hatten die chinesischen
Projektverantwortlichen den Flug als reine „Engineering-Mission“ bezeichnet. Yang Liwei hatte während
der Mission nicht wesentlich mehr zu tun, als die Instrumente zu beobachten, alle Systeme zu überprüfen
und im Falle des Versagens einer der automatisierten
Funktionen die Handsteuerung zu übernehmen. Eine
besondere wissenschaftliche Aufgabenstellung gab es
für diesen ersten Flug nicht.
Das Shenzhou-Raumschiff gleicht im Wesentlichen der
russischen Sojus. Es besteht aus drei Baugruppen. Ganz
vorne befindet sich das zylindrische Orbitalmodul. Im
XINHUA
Felix Korsch
Orbitalmodul,
enthält wissenschaftl.
Ausrüstung, eigenständig navigierbar
431. Mensch, der seit Juri Gagarins historischem Flug die
Erde verlässt. Alle aber, ganz gleich aus welcher Nation
sie auch stammen, sind bisher entweder mit einem russischen oder einem amerikanischen Raumschiff in den
Weltraum geflogen.
Innerhalb von Stunden nach dem Start war sein Name
jedem Chinesen ein Begriff. Viele bezeichneten ihn
spontan als den „Chinesischen Gagarin“.
China ist erst die dritte Nation, die in der Lage ist, einen
ihrer Bürger unabhängig von der Unterstützung anderer
Nationen in den Orbit zu bringen. Als erster Mensch
gelangte im April 1961 der Sowjetbürger Juri Gagarin
in den Orbit. Im Februar 1962 folgte der Amerikaner
John Glenn. Insgesamt ist Yang allerdings schon der
Yang Liwei während einer TV-Übertragung aus dem Orbit.
2003 spacexpress chronik 117
Vergleich dazu ist diese Einheit
bei den Sojus-Raumfahrzeugen kugelförmig. Danach
kommt das Start- und Wiedereintritts-Modul, in dem der
Astronaut während des Starts
und der Landung liegt. Dieses
Segment ist zwar von sehr
ähnlichem Design wie das russische Wiedereintritts-Modul,
allerdings um etwa 12 Prozent
größer. Danach kommt das
Service-Modul, das wichtige
Bordsysteme wie den Antrieb,
die Energieversorgung, Sauerstoff und Treibstoffe enthält.
XINHUA
Schwerpunktthemen China im All
ergab aber, dass Yang in guter
körperlicher Verfassung war.
Wie geht es weiter?
Führende
Raumfahrtexperten
haben sich in der Zwischenzeit
Gedanken darüber gemacht, wie
es wohl mit dem chinesischen
Raumfahrtprogramm
weiter
gehen wird. Sie kamen dabei zu
der Meinung, dass ein zweiter bemannter Flug in etwas über einem
Jahr, wahrscheinlich im Spätwinter
2005 erfolgen dürfte.
Die Zielsetzung bei diesem Flug
wird „Leben im Weltraum“ sein.
Insgesamt ist das ShenzhouYang hatte bei seinem Einsatz fast
System etwa 600 Kilogramm
nichts gemacht. Offensichtlich hat
schwerer als die russische
er noch nicht einmal seinen RaumSojus und die gesamte Ausanzug abgelegt, was allerdings für
legung, insbesondere die
einen einzelnen Astronauten in
Instrumentierung an Bord
der Schwerelosigkeit auch ein
der Start-und Wiedereinschwieriges Unterfangen ist. Bei
tritts-Kapsel ist wesentlich
diesem Flug wollte die chinesische
moderner. Das EnergieverRaumfahrtagentur auf Nummer
sorgungssystem arbeitet mit
sicher gehen, und jegliche möglizwei paarweise angeordneten Start der Long March 2F Trägerrakete.
che Fehlerquelle vermeiden. Also
Solarzellenpanelen und bringt
wurde auch so wenig wie irgend
eine elektrische Leistung von 1.500 Watt. Das ist fast
möglich gemacht was nicht unmittelbar mit den Funktiodreimal soviel wie bei der russischen Sojus.
nen des Raumfahrzeugs zu tun hat.
Während der Mission gab es mehrere Fernsehschaltungen mit dem Raumschiff unter anderem mit Verteidigungsminister Cao Gangchuan. Auch mit seiner Frau
Zhang Yumei, die ebenfalls im chinesischen Raumfahrtprogramm beschäftigt ist, konnte er sprechen, und für
ein paar Minuten auch mit seinem achtjährigen Sohn.
Nach 13 Erdumkreisungen, 21 Stunden nach Missionsbeginn, wurde über Südafrika automatisch die Retrozündung eingeleitet. Zuvor hatte Yang das Orbitmodul
abgetrennt, das jetzt für mehr als ein halbes Jahr eine autonome Mission durchführen wird. Kurz danach trennte
sich die Wiedereintritts-Einheit vom Service-Modul und
wenig später – um 0:23 Uhr mitteleuropäischer Zeit, 12:
23 Uhr in Peking, ging Shenzhou 5 sicher am Fallschirm
im vorgesehenen Landegebiet in der Region Siziwang,
etwa 300 Kilometer nördlich von Peking, nieder.
Yang landete nur 4,8 Kilometer vom vorgesehenen
Zielpunkt entfernt. Minuten nach der Landung waren
die Bergungshelikopter bei ihm. Kurz danach stieg Yang
ohne fremde Hilfe aus der Kapsel. Er wirkte ein wenig
benommen. Eine erste medizinische Untersuchung
118 spacexpress chronik 2003
All diese Dinge stehen jetzt für den zweiten Flug an.
Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht übrigens dafür,
dass erneut Yang Liwei zum Einsatz kommt, zusammen
mit einem oder zwei weiteren Taikonauten. Das Shenzhou-Raumschiff kann bis zu drei Personen aufnehmen.
Dieser zweite Flug wird mit Sicherheit über einen längeren Zeitraum laufen, wahrscheinlich vier bis sechs Tage.
Mittelfristig wird sich die Flugrate danach bei etwa 2-3
Missionen pro Jahr einpendeln.
China muss in diesen Flügen die Fähigkeiten entwickeln,
über welche die beiden Weltraum-Supermächte schon
verfügen: Rendezvous und Docking, Weltraumspaziergänge, Bahnänderungen und ähnliches. Das erste Nahziel der bemannten chinesischen Raumfahrt wird dann
die Errichtung einer kleinen Raumstation bis zum Spätsommer 2008 sein, dem Zeitpunkt zu dem in Peking die
Olympischen Spiele stattfinden werden.
Ein Beitrag von Eugen Reichl.
In kleinen Schritten auf langem Marsch
Die Geschichte der Taikonautik
Führung in Beijing gefiel die Vorstellung eines Chinesen
im All offenbar sehr, wobei hierbei propagandistische
Überlegungen – man bedenke die eher feindseligen
Beziehungen zur Sowjetunion – den entscheidenden
Ausschlag gegeben haben mögen. Auf jeden Fall wurden entsprechende Ressourcen bereit gestellt, die zur
Schaffung eines kleinen, rückführbaren Satelliten führen
sollten. Auf diesem sollte ein späteres Raumschiff basieren. Zu jener Zeit wurden andere Konzepte, also Wissenschaft- und Anwendungssatelliten, wie sie sich auch
die Militärs gewünscht hätten, hinten angestellt.
Alle Kritiker irrten – dies zeigte sich mit Shenzhou 5 unübersehbar im Jahre 2003. Weniger bekannt war jedoch
für lange Zeit, dass die Chinesen bereits in den 70‘er
Jahren Anstrengungen unternahmen, den Pfaden von
Wostok und Mercury zu folgen. Dieser Gedanke wurde erstmals 1966 im Rahmen einer Fachkonferenz der
Chinesische Akademie der Wissenschaften aufgegriffen.
Am Rande des zweimonatigen Gipfeltreffens, welches
zur Festlegung des chinesischen Raumfahrtprogramms
für die folgenden zehn Jahre initiiert wurde, stellte sich
dem ausgewählten Wissenschaftlerkreis auch die Frage,
ob und inwieweit ein eigener bemannter Raumflug von
Nöten sei. Die gesamte Konferenz brachte als Ergebnis
ihrer Arbeit einen gerade mal 20 Seiten umfassenden
Bericht hervor.
Die Pläne waren hochtrabend und im Juni 1966 gründete sich ein eigenständiges Konstrukteursteam innerhalb
des Design Institute of Satellite Development (DISD).
Damit übernahm gleichzeitig das Militär die Federführung, zumal die zivilen wissenschaftlichen Institutionen
keinen Zugriff auf deren Trägertechnologie besaßen.
Kaum einen Monat später, so hoffte man, würde ein
Hund auf einem suborbitalen Flug ins All gelangen können und nach der Fertigstellung eines Lebenserhaltungssystem sollte, ebenfalls noch im gleichen Jahr, ein Affe als
Vorhut eines Menschen folgen.
astronautix.com
Als China im Jahre 1992 der International Astronautical
Federation (IAF) einen Entwurf für ein eigenes bemanntes Raumschiff präsentierte, wurde man von so mancher
Seite mild belächelt. Niemals traute man der Volksrepublik einen solch ökonomischen Kraftakt zu, der wohl nötig gewesen wäre, um tatsächlich ein eigenes bemanntes
Raumfahrtprogramm zu initiieren. Noch weniger aber
glaubte man die Positionen von US-Amerikanern und
Sowjets antastbar, die zu jenem Zeitpunkt bereits einen
gut drei Jahrzehnte umfassenden Vorsprung gegenüber
dem „Reich der Mitte“ vorweisen konnten.
FSW-Kapsel beim Flug im All.
Bereits enthalten waren
Konzepte wie etwa die
einer kleinen Kapsel im
Stil des sowjetischen
Pendants Wostok, bis
hin zu einem eigenen
kleinen Raumgleiter. Der
In jene Zeit fiel Maos Kulturrevolution. Der staatliche
Terror traf auch führende Köpfe des Raumfahrtprogramms. Es ist unklar, inwieweit die Entwicklungen
tatsächlich gediegen waren. Jedenfalls befand sich das
Equipment für den chinesischen Laika-Flug zu jenem
Zeitpunkt bereits auf den Weg ins Kosmodrom Jiuquan.
Das gesamte Projekt wurde zwar nicht gestoppt, eingedenk der staatlichen Repression kam es jedoch zu
keinem solchen Flug. Der Entwurf für das spätere Raumschiff konnte im September 1967 fertiggestellt werden.
Es sollte sich nunmehr um eine vielseitige Plattform han2003 spacexpress chronik 119
Schwerpunktthemen China im All
deln, die statt mit einem
Menschen auch mit
Kamerasystemen oder
einem Nuklearsprengkopf bestückt werden
konnte. Mit dem Befehl
der Führung im April
1968, die Arbeiten wieder im vollen Umfang
aufzunehmen, wurde
das gesamte Projekt
militärischen Instituten
übergeben. Beteiligte
Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure
wurden kurzerhand in
Uniformen gesteckt. Es
ist davon auszugehen,
dass bis Anfang 1970 die
Yuhangyuan im Shuttle-Skaphander,
wesentlichen SubsysteDatum unbekannt.
me für ein bemanntes
Raumschiff existierten.
Dieses erhielt den Namen Shuguang („Morgenröte“),
wobei keine weiteren technischen Daten bekannt wurde. Alle Angaben in der bekannten Literatur darüber
sind also rein spekulativ. Am 1. Mai selbigen Jahres erklärte Mao großmündig, der nächste ruhmreiche Schritt
seines Landes sei nun der bemannte Weltraumflug.
Am 5. Oktober begann unter Guo Rumao, dem Leiter
einer Forschungsanstalt der chinesischen Luftwaffe,
die Auswahl von Aspiranten für eine solche Mission.
Die Kriterien orientierten sich an denen der Sowjets
und Amerikaner Ende der 50’er, wobei wiederum nur
erfahrene Piloten in Betracht gezogen wurden und eine
„saubere“ Parteiakte obligatorisch war. Bis 1971 wurden
19 zukünftige Yuhangyuans rekrutiert. In der Gunst
der Staatsführung wurde für diese sogar ein eigenes
Trainingszentrum geschaffen und 500 Luftwaffenangehörige wurden zum Betrieb dessen abgestellt. Die
Ressourcen waren jedoch stets knapp: Trainingsgerät
wurde aus Turnhallen verschiedener Schulen ausgeliehen und dem gesamten Raumfahrerkorps stand genau
ein PKW und ein Telefon zur Verfügung. Der Befehl
zur Schaffung dieses Zentrums bei Beijing, von Mao
höchstpersönlich angeordnet, wurde festgehalten als
das eigentlich „Projekt 714“. Dieser Titel wurde dem gesamten Vorhaben letztlich zum Verhängnis. Nach dem
mysteriösen Tod des Verteidigungsministers Lin Biao am
13. September 1971 witterte Mao eine Verschwörung.
Er sah im Flugzeugabsturz Lins den Versuch der Flucht
in die UDSSR. Eine neuerliche Säuberungswelle brach
herein. Das Raumfahrtprogramm verlor alsbald einige
führende Köpfe. Das Ziel eines bemannten Raumfluges
120 spacexpress chronik 2003
offizielle
Bezeichnung:
Projekt 714
inoffizielle
Bezeichnung:
Shuguang Yi Hao
(„Morgenröte“)
Hersteller:
chinesische Luftwaffe
Gesamtmasse:
1,8 t
Länge:
4,6 m
max. Durchmesser:
2,2 m
Einzelmodule:
1
Crew:
1
Treibstoffmasse:
4.146 kgf
max. Brenndauer
(prim. Triebwerk):
280 s
max. Delta v:
340 m/s
Stromversorgung:
Silber-Zink-Batterien
offizielle
Bezeichnung:
Projekt 921-1
inoffizielle
Bezeichnung:
Shenzhou
(„Göttliches Schiff“)
Agentur:
SAST (Shanghai Academy of
Spaceflight Technology)
Hersteller:
SAST (Shanghai Academy of
Spaceflight Technology)
Gesamtmasse:
7,8 t
Länge:
8,65 m
maximaler
Durchmesser:
2,80 m
Spannweite:
19,40 m
Einzelmodule:
3
Crew:
3 oder 4
Solarpaneele:
4 (24 m²+12 m²) = 1,3 kW
noch vor Ende des Jahres 1973 wurde damit verworfen.
Schlimmer noch: die Zahl „714“ bezeichnete im trockenen Politjargon jener Jahre den Fall einer bewaffneten
Revolte, und unglücklicherweise erhielt das Taikonautenprogramm eben diese Bezeichnung. Groteskerweise
wurde deshalb genau an dieser Stelle – welch absurde
Anekdote staatlicher Paranoia! – eine Verschwörung
vermutet.
Was folgte, war der schrittweise Entzug von Ressourcen und des Personals. Improvisieren war angesagt: ein
Trainingsmodell des Raumschiffes musste vom übrig
gebliebenen Personal des Projekts selbst angefertigt
werden und „Weltraumnahrung“ wurde eigenhändig
in Zahnpastatuben gefüllt. Erst mit zeitlicher Verzögerung erging die Anordnung, das Zentrum im Mai 1972
letztlich ganz aufzulösen. Einige Institute befassten sich
weiterhin mit Forschungen auf diesem Gebiet. Es entstanden Raumanzüge und Lebenserhaltungssysteme für
nie geflogene Missionen. Einziges Überbleibsel all diese
Bemühungen war der Erststart eines rückführbaren
Satelliten unter dem Namen FSW-0 (Fanhui Shei Weixing) am 26. November 1975 – sechs Jahre nach dem
ursprünglich veranschlagten Termin.
Noch ungeklärt sind die Vorgänge in den darauf folgenden Jahren: im Februar 1978 verkündeten die Staatsmedien, dass ein bemannten Raumfahrtprogramm in
vollem Gange sei. Wirkliche Belege gab es hierfür nie.
Im Januar 1980 tauchten dann erstmals Fotos von Taikonauten im Raumflugsimulator auf, den man mit einiger
Phantasie als Cockpit eines Shuttles identifizieren kann.
Der Knackpunkt: zu jenem Zeitpunkt existierte schon
lange kein Taikonautenkorps mehr und die Entwicklung eines Raumgleiters war niemals Gegenstand der
Entwicklungsarbeiten gewesen. Die Indienststellung
einer kleinen Flotte von Bergungsschiffen und die wi-
gleiter (921-3). Die Entwicklung eines eigenen Shuttles
wurde alsbald aus Kostengründen auf Eis gelegt. Auch eine neuartige, leistungsstarke Trägerrakete wurde schon
1993 gestrichen. Statt dessen entstand, quasi nach dem
Baukastenprinzip, die CZ-2F auf Basis des bewährten
CZ-2E („Langer Marsch“). Im gleichen Zuge wurde ein
neues Flugleitzentrum im Nordosten Beijings für die Belange bemannter Raumflüge erbaut.Der entscheidende
Schritt zur Realisierung all jener Pläne war ein im März
1995 mit Russland geschlossener Kooperationsvertrag.
Der Ausverkauf der Raumfahrt des einstigen Feindes
ermöglichte den Erwerb des Navigations-, Lebenserhaltungs- und androgynen Kopplungssystems des SojusRaumschiffes sowie des Sokol-Skaphanders. Ob auch
die Blaupausen des gesamten Raumschiffes gekauft wurden, ist unbekannt. Auffallend ist freilich die Ähnlichkeit
des chinesischen Shenzhou-Raumschiffes („Göttliches
Schiff“) zum Sojus-Gerät, wobei beide Konzepte in ihrer
bestechenden Ähnlichkeit einem logischen Konzept folgen und gleichsam Unterschiede aufweisen. Zeitweise
weilten 1996/97 auch zwei Chinesen für etwa ein Jahr
im russischen Kosmonautenausbildungszentrum „Juri
A. Gagarin“ im Sternenstädtchen bei Moskau. Sie fungierten fortan als Ausbilder eines insgesamt zwölfköpfigen Taikonautenkorps. Das Mockup des Raumschiffes
konnte schließlich im Mai 1998 vollendet werden und
nach vier erfolgreichen unbemannten Testflügen kam
es schließlich zur chinesischen Kosmospremiere im Oktober 2003. Ein jahrzehntelanger Weg fand damit sein
Ende im Erdorbit. Doch der Blick der Chinesen reicht
noch weiter...
Yuanwang 1 das erste chinesische Bahnverfolgungsschiff.
dersprüchlichen Angaben seitens der Chinesen nährte
im Westen den Irrglauben, es stünde tatsächlich ein
bemannter Flug bevor. Bekanntlich fand ein solcher
nicht statt.
Erst das „Nationale bemannte Raumflugprogramm“
– alias „Projekt 921“ – führte die Chinesen auf steinigem Weg zum Erfolg. Inhalt war die Schaffung einer
Raumkapsel in Anlehnung an frühere Studien und das
bewährte Design des russischen Pendants Sojus sowie
die Entwicklung einer kompatiblen Trägerrakete bis ins
Jahr 2000 (921-1), später auch der Betrieb einer kleinen
Raumstation (921-2) und schließlich ein eigener Raum-
Chinsesisches Mondlande-Szenario im Modell.
Ein Beitrag von Felix Korsch.
Der Autor, 17, ist Schüler am Ostwald-Gymnasium in Leipzig. Schon seit Jahren interessiert
er sich für die Raumfahrt. Er ist Mitglied der
Dt. Raumfahrtausstellung in Rautenkranz und Redakteur bei Raumfahrer.net.
2003 spacexpress chronik 121