Baunutzungs- verordnung

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Baunutzungs- verordnung
Nomos
Kommentar
NomosKommentar
Bönker
Bischopink
Bönker | Bischopink [Hrsg.]
BauNVO
Baunutzungsverordnung
mit Immissionsschutzrecht | PlanZV
Ergänzende Vorschriften
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Nomos Verlag
Beuth Verlag
ISBN 978-3-8329-5370-6
ISBN 978-3-410-24128-7
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NomosKommentar
Dr. Christian Bönker | Dr. Olaf Bischopink
[Hrsg.]
Baunutzungsverordnung
mit Immissionsschutzrecht | PlanZV
Ergänzende Vorschriften
Dr. Martin M. Arnold, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Münster | Prof.
Dr.-Ing. Klaus Beckenbauer, Bielefeld | Dr. Olaf Bischopink, Rechtsanwalt, Fachanwalt für
Verwaltungsrecht, Münster | Dr. Christian Bönker, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und
Architektenrecht, Berlin | Dr. Florian Hartmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Geschäftsführer bei der Architektenkammer NRW, Düsseldorf | Dr. Stefan
Pützenbacher, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Frankfurt | Dr. Hendrik
Schilder, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Düsseldorf | Dr. Hans Vietmeier,
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Münster | Dr. Jens Wahlhäuser, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Bundesnetzagentur, Bonn
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Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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ISBN 978-3-410-24128-7 (Beuth Verlag GmbH, Berlin/Wien/Zürich – www.beuth.de)
1. Auflage 2014
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2014. Printed in Germany. Alle Rechte, auch
die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.
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Vorwort der Herausgeber
Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) ist neben dem Baugesetzbuch (BauGB) das wichtigste
normative Regelwerk des öffentlichen Baurechts. Auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 9 a BauGB konkretisiert sie die sich für die Gemeinden aus §§ 5, 9 BauGB ergebenden
Darstellungs- und Festsetzungsmöglichkeiten der kommunalen Bauleitplanung.
Das Verständnis der rechtssystematischen Bedeutung der bundesgesetzlichen Vorgaben in
BauGB und BauNVO für die kommunale Bauleitplanung ist unabdingbare Voraussetzung für
den rechtssicheren Einsatz der kommunalen Planungshoheit. Allzu oft scheitern Bebauungspläne in der gerichtlichen Kontrolle immer noch an der fehlerhaften Anwendung des vorgegebenen
Festsetzungsinstrumentariums, etwa an der Wahl von Festsetzungen, die einer Festsetzungsermächtigung in BauGB und BauNVO entbehren. Ebenso zu beklagen ist die vermeidbare Vorlage nicht genehmigungsfähiger Hochbauplanungen durch Architekten infolge eines fehlerhaften
Verständnisses der Planvorgaben.
Die Herausgeber und Autoren möchten ausgehend von ihren vielfältigen Erfahrungen aus beratender Tätigkeit mit diesem Buch eine fundierte und prägnante Hilfestellung sowohl für mit der
Materie befasste Juristen, aber gerade auch für Stadtplaner, Architekten und Fachingenieure
bieten. Neben Rechtsanwälten der Kanzleien Kapellmann & Partner Rechtsanwälte sowie Baumeister Rechtsanwälte haben als Autoren verschiedene andere Praktiker mitgewirkt, um den
Nutzwert des Buches zu optimieren. Es versteht sich dabei von selbst, dass jede Kommentierung die individuelle Sicht des verantwortlichen Autors darstellt und nicht notwendig für alle
Autoren repräsentativ sein muss.
Die Kommentierung orientiert sich primär an der zur BauNVO vorliegenden höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung, die bis Herbst 2013 Berücksichtigung finden
konnte. Daneben wurde aber auch die einschlägige Literatur ausgewertet und in Querbezügen
eingearbeitet.
Trotz der jüngsten Baurechtsnovellen verbleiben auch für die Zukunft einige „Problemzonen“
innerhalb der BauNVO. Beispielhaft betrifft dies die Innenentwicklung, insbesondere Wohnnutzungen in Zentren, und die Handhabung der festgelegten Obergrenzen des Maßes der baulichen Nutzung in verdichteten Umgebungen. Nach Überzeugung der Herausgeber wird die
BauNVO angesichts der andauernden Diskussionen zu den genannten Themenfeldern weiterhin
prädestinierter Gegenstand für eine grundlegende Überarbeitung der Gesetzeslage sein. Auch
dazu wollen die Herausgeber und Autoren mit diesem Werk einen Betrag leisten.
Abschließend schulden die Herausgeber den Autoren Dank für die Erarbeitung der jeweiligen
Kommentierungen neben ihrem eigentlichen beruflichen Einsatzfeld. Dank schulden die Herausgeber auch den Herren Rechtsanwälten Dr. Fabian Eichholz und Alexander Wirth für ihre
Mitwirkung an der Erstellung verschiedener Manuskripte. Für die stets zuverlässige und unverzichtbare Hilfe bei der Abfassung der Texte bedanken sich die Herausgeber bei Frau Isabel Estel und Frau Nadine Kortmann. Weiter haben von Seiten des Verlages Herr Prof. Dr. Johannes
Rux und Herr Dr. Miroslav Gwozdz bei der Konzeption, Strukturierung und Betreuung des
Werkes in dankenswerter Weise mitgewirkt.
Die Herausgeber und Autoren freuen sich über konstruktive Hinweise und Anregungen.
Im Dezember 2013
Dr. Christian Bönker, Berlin
Dr. Olaf Bischopink, Münster
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeber ...............................................................................
Bearbeiterverzeichnis .....................................................................................
Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................
Literaturverzeichnis .......................................................................................
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1. Teil:
Kommentierung der BauNVO
Einführung ..................................................................................................
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Erster Abschnitt
Art der baulichen Nutzung
§1
§2
§3
§4
§4a
§5
§6
§7
§8
§9
§ 10
§ 11
§ 12
§ 13
§ 14
§ 15
Allgemeine Vorschriften für Bauflächen und Baugebiete ........................
Kleinsiedlungsgebiete ....................................................................
Reine Wohngebiete ......................................................................
Allgemeine Wohngebiete ...............................................................
Gebiete zur Erhaltung und Entwicklung der Wohnnutzung (besondere
Wohngebiete) ..............................................................................
Dorfgebiete ................................................................................
Mischgebiete ...............................................................................
Kerngebiete ................................................................................
Gewerbegebiete ...........................................................................
Industriegebiete ...........................................................................
Sondergebiete, die der Erholung dienen .............................................
Sonstige Sondergebiete ..................................................................
Stellplätze und Garagen .................................................................
Gebäude und Räume für freie Berufe ................................................
Nebenanlagen; Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie und KraftWärme-Kopplungsanlagen .............................................................
Allgemeine Voraussetzungen für die Zulässigkeit baulicher und sonstiger
Anlagen .....................................................................................
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Zweiter Abschnitt
Maß der baulichen Nutzung
§ 16
Bestimmung des Maßes der baulichen Nutzung ...................................
§ 17
Obergrenzen für die Bestimmung des Maßes der baulichen Nutzung ........
§ 18
Höhe baulicher Anlagen ................................................................
§ 19
Grundflächenzahl, zulässige Grundfläche ..........................................
§ 20
Vollgeschosse, Geschoßflächenzahl, Geschoßfläche ..............................
Anhang zu § 20: Erläuterung zu weiteren Regelungen über die Flächenermittlung ........
§ 21
Baumassenzahl, Baumasse ..............................................................
§ 21 a
Stellplätze, Garagen und Gemeinschaftsanlagen ..................................
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Inhaltsverzeichnis
Dritter Abschnitt
Bauweise, überbaubare Grundstücksfläche
§ 22
§ 23
Bauweise ....................................................................................
Überbaubare Grundstücksfläche ......................................................
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545
Vierter Abschnitt
§ 24
(weggefallen) ..............................................................................
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Fünfter Abschnitt
Überleitungs- und Schlußvorschriften
§ 25
§ 25 a
§ 25 b
§ 25 c
§ 25 d
§ 26
§ 26 a
§ 27
Fortführung eingeleiteter Verfahren ..................................................
Überleitungsvorschriften aus Anlaß der zweiten Änderungsverordnung ....
Überleitungsvorschrift aus Anlaß der dritten Änderungsverordnung .........
Überleitungsvorschrift aus Anlaß der vierten Änderungsverordnung ........
Überleitungsvorschrift aus Anlass des Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung
des Städtebaurechts ......................................................................
Berlin-Klausel .............................................................................
Überleitungsregelungen aus Anlaß der Herstellung der Einheit Deutschlands .........................................................................................
(Inkrafttreten) .............................................................................
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2. Teil:
Planzeichenverordnung – PlanZV
Einführung ..................................................................................................
§1
Planunterlagen ............................................................................
§2
Planzeichen ................................................................................
§3
Überleitungsvorschrift ...................................................................
§4
Inkrafttreten ...............................................................................
Anlage zur PlanZV ........................................................................................
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3. Teil:
Bauleitplanung
A. Text der §§ 1 bis 38 BauGB .......................................................................
B. Bauleitplanung (§§ 1 bis 38 BauGB) .............................................................
I. Die §§ 1 bis 38 BauGB im Überblick ......................................................
II. Aufgaben der Bauleitplanung ................................................................
III. Rahmenbedingungen der Bauleitplanung .................................................
1. Raumordnung und Landesplanung ....................................................
2. Fachplanung .................................................................................
3. Informelle Planungen ......................................................................
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Inhaltsverzeichnis
IV. Arten von Bauleitplänen .......................................................................
1. Flächennutzungspläne .....................................................................
a) Flächennutzungspläne für das ganze Gemeindegebiet .........................
b) Sachliche Teilflächennutzungspläne ...............................................
2. Bebauungspläne ............................................................................
a) Einfache und qualifizierte Bebauungspläne ......................................
b) Vorhabenbezogene Bebauungspläne ..............................................
c) Bebauungspläne der Innenentwicklung ...........................................
d) Bebauungspläne zum Schutz und zur Entwicklung zentraler
Versorgungsbereiche ..................................................................
e) Bebauungspläne zur Steuerung von Vergnügungsstätten .....................
f) Exkurs: Andere städtebauliche Satzungen .......................................
V. Verfahren der Bauleitplanung ................................................................
1. Ausarbeitung von Planentwürfen .......................................................
2. Beteiligungsverfahren ......................................................................
3. Inkrafttreten von Bauleitplänen .........................................................
4. Städtebauliche Verträge ...................................................................
5. Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen .......................................
6. Sicherung der Bauleitplanung ...........................................................
7. Enteignung und Entschädigung .........................................................
VI. Materielle Anforderungen an die Bauleitplanung .......................................
1. Erforderlichkeit der Bauleitplanung ....................................................
2. Anpassung an die Ziele der Raumordnung ...........................................
3. Interkommunale Abstimmung ..........................................................
4. Entwicklungsgebot .........................................................................
5. Abwägungsgebot ...........................................................................
6. Darstellungen in Flächennutzungsplänen .............................................
7. Festsetzungen in Bebauungsplänen .....................................................
8. Kennzeichnungen, nachrichtliche Übernahmen und Vermerke ..................
VII. Fehlerhafte Bauleitplanungen ................................................................
1. Beachtlichkeit von Fehlern ...............................................................
2. Rechtsschutz gegen Bauleitpläne ........................................................
VIII. Zulässigkeit von Vorhaben ...................................................................
1. Zulässigkeit von Vorhaben in beplanten Bereichen ................................
2. Unbeplanter Bereich .......................................................................
a) Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ...........
b) Außenbereich ...........................................................................
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Inhaltsverzeichnis
4. Teil:
Immissionsschutzrecht
A. Überblick ...............................................................................................
I. Ausgangslage .....................................................................................
1. Bedeutung des Trennungsgebots als Abwägungsdirektive ........................
2. Abstandserlasse und Leitfaden KAS-18 ...............................................
II. Beurteilung und Bewältigung von Lärmimmissionen ...................................
1. Grundlagen und technische Regelwerke ..............................................
2. DIN 18005 (Schallschutz im Städtebau) ..............................................
a) Anwendungsbereich ...................................................................
b) Anwendung auf Bauleitpläne .......................................................
c) Einzelfallbeurteilung und Überschreitung der Orientierungswerte .........
3. TA Lärm .....................................................................................
a) Anwendungsbereich ...................................................................
b) Bindungswirkung ......................................................................
c) Grundlagen .............................................................................
d) Einzelne Regelungen ..................................................................
e) Gemengelagen und Zwischenwertbildung .......................................
f) Spielräume bei Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze .......................
4. 16. BImSchV ................................................................................
a) Anwendungsbereich ...................................................................
b) Bindungswirkung ......................................................................
c) Vorgehen bei der Beurteilung von Verkehrslärm ...............................
d) „Schienenbonus“ ......................................................................
5. 18. BImSchV ................................................................................
a) Anwendungsbereich ...................................................................
b) Bindungswirkung ......................................................................
c) Vorgehen bei der Beurteilung von Sportlärm ...................................
d) Einzelfallbeurteilung ..................................................................
aa) Zulassung von Vorhaben ......................................................
bb) Bauleitplanung ...................................................................
6. Beurteilung und Bewältigung von Freizeitlärm ......................................
7. Beurteilung und Bewältigung atypischer Geräusche ................................
8. Maßnahmen zur Vermeidung unzumutbarer Lärmimmissionen ................
a) Gliederung nach § 1 Abs. 4 BauNVO .............................................
b) Festsetzung von Emissionskontingenten ..........................................
c) Festsetzungen auf Zeit (§ 9 Abs. 2 BauGB) ......................................
aa) Anwendungsbereich ............................................................
bb) Anforderungen ...................................................................
cc) Insbesondere: bedingte Festsetzungen ......................................
d) Maßnahmen des aktiven Schallschutzes ..........................................
e) Maßnahmen des passiven Schallschutzes ........................................
aa) Grundlagen .......................................................................
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bb) Schallschutzmaßnahmen an Außenbauteilen nach DIN 4109 ........
9. Publizitätsanforderungen bei Bezugnahme auf DIN-Vorschriften ..............
III. Beurteilung und Bewältigung von Geruchsimmissionen ...............................
1. Grundlagen ..................................................................................
2. VDI-Richtlinien .............................................................................
3. Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) .................................................
a) Verfahren zur Ermittlung der Geruchsbelastung ...............................
b) Beurteilungsparameter ................................................................
c) Tauglichkeit der GIRL ...............................................................
d) Trennungsgebot ........................................................................
e) Quellenbezogener Geruchsimmissionszusatzpegel .............................
IV. Beurteilung und Bewältigung von Luftschadstoffen und Luftverunreinigungen ..................................................................................................
1. 39. BImSchV ................................................................................
a) Anwendungsbereich ...................................................................
b) Bindungswirkung ......................................................................
2. TA Luft .......................................................................................
a) Anwendungsbereich ...................................................................
b) Bindungswirkung ......................................................................
c) Vorgehen zur Beurteilung der Schädlichkeit .....................................
d) Beurteilung der Schädlichkeit .......................................................
3. Bioaerosole ..................................................................................
V. Beurteilung und Bewältigung von Lichtimmissionen ...................................
1. Regelwerke und Bindungswirkung .....................................................
2. Gesamtbetrachtung ........................................................................
B. TA Lärm ................................................................................................
I. Allgemeines .......................................................................................
1. Rechtsnatur und Bindungswirkung der TA Lärm ..................................
2. Wirkung und Messung von Lärm ......................................................
3. Änderungen in der TA Lärm 1998 im Vergleich zur TA Lärm 1968 ..........
II. Bestimmungen der TA Lärm .................................................................
1. Anwendungsbereich .......................................................................
2. Begriffsbestimmungen .....................................................................
a) Schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche (Nr. 2.1) ................
b) Einwirkungsbereich einer Anlage (Nr. 2.2) ......................................
c) Maßgeblicher Immissionsort, m.I.O. (Nr. 2.3) .................................
d) Vor-, Zusatz- und Gesamtbelastung; Fremdgeräusche (Nr. 2.4) ............
e) Stand der Technik zur Lärmminderung (Nr. 2.5) ..............................
f) Schalldruckpegel LAF(t) (Nr. 2.6) .................................................
g) Mittelungspegel LAeq (Nr. 2.7) ....................................................
h) Kurzzeitige Geräuschspitzen (Nr. 2.8) ............................................
i) Taktmaximalpegel LAFT(t), Taktmaximal-Mittelungspegel LAFTeq
(Nr. 2.9) .................................................................................
j) Beurteilungspegel Lr (Nr. 2.10) ....................................................
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3. Allgemeine Grundsätze für genehmigungsbedürftige Anlagen ...................
a) Grundpflichten des Betreibers (Nr. 3.1) ..........................................
b) Prüfung der Einhaltung der Schutzpflicht (Nr. 3.2) ............................
aa) Prüfung im Regelfall ............................................................
bb) Ergänzende Prüfung im Sonderfall (Nr. 3.2.2) ............................
c) Prüfung der Einhaltung der Vorsorgepflicht (Nr. 3.3) ........................
4. Allgemeine Grundsätze für die Prüfung nicht genehmigungsbedürftiger
Anlagen .......................................................................................
a) Grundpflichten des Betreibers (Nr. 4.1) ..........................................
b) Vereinfachte Regelfallprüfung (Nr. 4.2) ..........................................
c) Anforderungen bei unvermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen
(Nr. 4.3) .................................................................................
5. Anforderungen an bestehende Anlagen ...............................................
a) Nachträgliche Anordnungen bei genehmigungsbedürftigen Anlagen
(Nr. 5.1) .................................................................................
b) Anforderungen im Einzelfall bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen (Nr. 5.2) ............................................................................
c) Mehrere zu einer schädlichen Umwelteinwirkung beitragende Anlagen
unterschiedlicher Betreiber (Nr. 5.3) ..............................................
6. Immissionsrichtwerte ......................................................................
a) Immissionsrichtwerte für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden
(Nr. 6.1) .................................................................................
b) Immissionsrichtwerte für Immissionsorte innerhalb von Gebäuden
(Nr. 6.2) .................................................................................
c) Immissionsrichtwerte für seltene Ereignisse (Nr. 6.3) .........................
d) Beurteilungszeiten (Nr. 6.4) .........................................................
e) Zuschlag für Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit (Nr. 6.5) ..........
f) Zuordnung des Immissionsortes (Nr. 6.6) .......................................
g) Gemengelagen (Nr. 6.7) ..............................................................
h) Ermittlung der Geräuschimmissionen (Nr. 6.8) ................................
i) Messabschlag bei Überwachungsmessungen (Nr. 6.9) ........................
7. Besondere Regelungen ....................................................................
a) Ausnahmeregelung in Notsituationen (Nr. 7.1) ................................
b) Bestimmungen für seltene Ereignisse (Nr. 7.2) ..................................
c) Berücksichtigung tieffrequenter Geräusche (Nr. 7.3) ..........................
d) Berücksichtigung von Verkehrsgeräuschen (Nr. 7.4) ..........................
8. Zugänglichkeit der Norm- und Richtlinienblätter (Nr. 8) ........................
9. Aufhebung von Vorschriften (Nr. 9) ...................................................
10. Inkrafttreten (Nr. 10) ......................................................................
III. Anhang zur TA Lärm: Ermittlung der Geräuschimmissionen ........................
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Inhaltsverzeichnis
5. Teil
Anhang
1. Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge
(Bundes-Immissionsschutzgesetz – BImSchG) ..................................................
769
2. Vierte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
(Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen – 4. BImSchV) .....................
789
3. Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
(Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV) .............................................
829
4. Achtzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
(Sportanlagenlärmschutzverordnung – 18. BImSchV) ........................................
849
5. Neununddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen –
39. BImSchV) ..........................................................................................
861
6. Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz
(Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm) ...............................
910
7. Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz
(Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft – TA Luft) ...............................
932
8. Abstände zwischen Industrie- bzw. Gewerbegebieten und Wohngebieten im Rahmen der Bauleitplanung und sonstige für den Immissionsschutz bedeutsame
Abstände (Abstandserlass) .......................................................................... 1072
9. Messung, Beurteilung und Verminderung von Geräuschimmissionen bei Freizeitanlagen .....................................................................................................
1110
10. Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen
(Geruchsimmissions-Richtlinie – GIRL –) ....................................................... 1116
11. Verordnung zur Berechnung der Wohnfläche
(Wohnflächenverordnung – WoFlV) .............................................................
1127
Stichwortverzeichnis ......................................................................................
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Bearbeiterverzeichnis
hat bearbeitet:
Dr. Martin M. Arnold,
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Münster
1. Teil (BauNVO):
§§ 5, 13, 14
Prof. Dr.-Ing. Klaus Beckenbauer,
Bielefeld
4. Teil (ImmSchR):
B. TA Lärm (Rn 215 ff)
Dr. Olaf Bischopink
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Münster
1. Teil (BauNVO):
§§ 10, 11
Dr. Christian Bönker
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Berlin
1. Teil (BauNVO):
Einführung, §§ 1, 7, Anhang zu § 20;
2. Teil (PlanZV);
3. Teil (Bauleitplanung)
Dr. Florian Hartmann,
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Geschäftsführer bei der Architektenkammer NRW, Düsseldorf
1. Teil (BauNVO):
§§ 16, 18; 19, 20 (zs. mit Schilder);
21, 21 a
Dr. Stefan Pützenbacher
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Frankfurt
1. Teil (BauNVO):
§§ 8, 9, 15
Dr. Hendrik Schilder
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Düsseldorf
1. Teil (BauNVO):
§§ 17; 19, 20 (zs. mit Hartmann);
22, 23, 25–27
Dr. Hans Vietmeier
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Münster
1. Teil (BauNVO):
§§ 2, 3, 4, 12
Dr. Jens Wahlhäuser,
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Bundesnetzagentur, Bonn
1. Teil (BauNVO):
§§ 4 a, 6; 4. Teil (ImmSchR):
A. Überblick (Rn 1–214)
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Einführung
BauNVO
n die Wohnflächenverordnung,
n Vorschriften privater Organisationen wie die DIN 277,
n die gif-Richtlinien zur Ermittlung gewerblicher Nutzflächen.
Aus den vorgenannten, im Anhang zu § 20 in ihren Grundzügen erläuterten Regularien hat sich 72
ein besonders für den Abschluss und die Abwicklung von Miet- und Kaufverträgen wichtiges
eigenständiges System der Berechnung von Nutzungsmaßen entwickelt. Auch in der Rechtsprechung hat dieses System Beachtung gefunden wie etwa die maßgebliche Würdigung des Begriffes der „Verkaufsfläche“ im Zusammenhang mit großflächigen Einzelhandelsbetrieben nach
§ 11 Abs. 3 (siehe § 11 Rn 89 ff) oder die bei der Abgrenzung kerngebietstypischer Vergnügungsstätten zugrunde gelegten Flächenansätze (vgl § 7 Rn 83 für Spielhallen) zeigen; eine Harmonisierung der Parameter erscheint mittelfristig wünschenswert.
IV. Entstehungsgeschichte und Inkrafttreten der BauNVO
Die BauNVO 1962 datiert vom 26.6.1962 (BGBl. I S. 429) und ist am 1.8.1962 in Kraft getre- 73
ten.
Seit 1962 gab es sieben Änderungen mit folgenden Eckdaten:
74
n 1. Änderung (BauNVO 1968) vom 26.11.1968 (BGBl. I S. 1233), Bekanntmachung der
Neufassung vom 26.11.1968 (BGBl. I S. 1237, ber. BGBl. I 1969 S. 11),
n 2. Änderung (BauNVO 1977) vom 15.9.1977 (BGBl. I S. 1757), Inkrafttreten am
1.10.1977, Bekanntmachung der Neufassung vom 15.9.1977 (BGBl. I S. 1763),
n 3. Änderung (BauNVO 1987) vom 19.11.1986 (BGBl. I S. 2665), Inkrafttreten am
1.1.1987,
n 4. Änderung (BauNVO 1990) vom 23.1.1990 (BGBl. I S. 127), Inkrafttreten am 27.1.1990,
Bekanntmachung der Neufassung vom 13.1.1990 (BGBl. I S. 132),
n 5. Änderung Kapitel XIV Abschnitt II Nr. 2 des Einigungsvertrages vom 31.8.1990
(BGBl. II S. 889, 1124), Inkrafttreten am 3.10.1990,
n 6. Änderung Artikel 3 Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22.4.1993
(BGBl. I S. 466), Inkrafttreten am 1.5.1993,
n 7. Änderung Artikel 2 des Gesetzes zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und
Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts vom 11.6.2013 (BGBl. I
S. 1548), Inkrafttreten am 20.9.2013.
Die BauNVO-Fassungen und -Novellen korrespondieren durchweg mit der sukzessiven Fort- 75
entwicklung des BBauG/des BauGB: Zu den einzelnen Fassungen und Änderungen ist zu bemerken:
1. BauNVO 1962
Die BauNVO 1962 beruht auf dem BBauG 1960. Strukturell enthielt die BauNVO 1962 bereits 76
alle wesentlichen Vorschriften zur Art und zum Maß der baulichen Nutzung sowie zur Bauweise und den überbaubaren Grundstückflächen, die bis heute gelten.
Inhaltlich folgte die BauNVO der Charta von Athen. Wesentliches Merkmal der BauNVO 77
1962 war demgemäß das Leitbild der Trennung städtebaulicher Funktionen, insbesondere im
Hinblick auf Wohnen, Arbeiten und Freiflächen.61 Das Wohnen war im Kerngebiet weitestgehend ausgeschlossen; die Obergrenzen zum Maß der baulichen Nutzung waren recht niedrig
gehalten und durften nur unter engen Voraussetzungen überschritten werden.62
61 Ziegler in: Brügelmann, BauGB, Vorbem. BauNVO Rn 32.
62 Vgl Söfker in: EZBK, BauGB, Vorb. BauNVO Rn 10.
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BauNVO
Einführung
2. BauNVO 1968
78 Mit der BauNVO 1968 wurden als Reaktion auf die zunehmende Kritik an dem Leitbild der
Trennung städtebaulicher Funktionen die Möglichkeiten der Gemeinde zur Gliederung von
Baugebieten gegenüber der BauNVO 1962 erweitert, spezifische Bestimmungen über Sondergebietsfestsetzungen für Einkaufszentren und Verbrauchermärkte eingeführt und die bis dahin als
zu restriktiv empfundenen Vorschriften zum Maß der baulichen Nutzung gelockert.63
79 Im Einzelnen ging es dabei insbesondere um folgende Regelungen:
n Erweiterung der durch § 8 Abs. 4 und § 9 Abs. 4 BauNVO 1962 auf Gewerbe- und Industriegebiete beschränkten Möglichkeit der horizontalen Gliederung auf Dorfgebiete (§ 5
Abs. 3 BauNVO 1968) und Kerngebiete (§ 7 Abs. 5 BauNVO 1968),
n ergänzende Einführung der Möglichkeit einer vertikalen Gliederung für allgemeine Wohngebiete (§ 4 Abs. 5 BauNVO 1968), Mischgebiete (§ 6 Abs. 4 BauNVO 1968) und Kerngebiete (§ 7 Abs. 4 BauNVO 1968) sowie Garagengeschosse (§ 12 Abs. 4 BauNVO 1968),
n Beschränkung der allgemeinen Zulässigkeit von Tankstellen in Kerngebieten auf Nutzungen
im Zusammenhang mit Parkhäusern und Großgaragen (§ 7 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO 1968);
n Einführung der Möglichkeit, in Kerngebieten Wohnungen oberhalb eines bestimmten Geschosses für allgemein zulässig zu erklären (§ 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO 1968);
n Präzisierung der Verpflichtung zur Ausweisung von Sondergebieten (§ 11 Abs. 1 BauNVO
1968);
n separate Regelung von Sondergebietsfestsetzungen für Einkaufszentren und Verbrauchermärkte außerhalb von Kerngebieten mit gleichzeitiger Klarstellung, dass derartige Nutzungen fortan in Gewerbe- und Industriegebieten nicht mehr allgemein zulässig sein sollten
(§§ 11 Abs. 3, 8 Abs. 2 Nr. 1 und 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1968);
n Präzisierung der Anknüpfungspunkte für Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung
mit erstmaliger Erwähnung der Höhe baulicher Anlagen (§ 16 Abs. 2 BauNVO 1968);
n Erhöhung der Obergrenzen des Maßes der baulichen Nutzung (§ 17 Abs. 1 BauNVO
1968);
n Lockerung der Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Überschreitung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung (§ 17 Abs. 9 BauNVO 1968),
n Änderung von § 19 Abs. 4 BauNVO 1962 im Hinblick auf Balkone, Loggien und Terrassen
sowie Streichung von § 19 Abs. 5 BauNVO 1962;
n Präzisierung von § 20 Abs. 2 und Abs. 3 BauNVO 1962 mit redaktionellen Folgeänderungen unter § 21 Abs. 2 und Abs. 3 BauNVO 1962;
n Einführung einer Sonderregelung für die Berechnung des Maßes der baulichen Nutzung bei
Stellplätzen, Garagen und Gemeinschaftsanlagen (§ 21 a BauNVO 1968);
n Streichung von § 22 Abs. 1 S. 2 BauNVO 1962 und Präzisierung von § 22 Abs. 2 S. 2
BauNVO 1962,
n Einführung der Möglichkeit der geschossweisen Differenzierung nach § 23 Abs. 1 S. 2
BauNVO 1968 und der Regelung des § 23 Abs. 2 S. 3 BauNVO 1968 über „weitere“ Ausnahmen.
3. BauNVO 1977
80 Mit der BauNVO 1977 wurden die Festsetzungsmöglichkeiten der Gemeinde nochmals erweitert. Zur Begründung wurde angeführt, die städtebaulichen Aufgaben konzentrierten sich zunehmend auf die Umgestaltung bebauter Gebiete, so dass es entsprechend differenzierter neuer
Instrumente bedürfe. Ein weiterer Schwerpunkt der Novelle war die Präzisierung der planungsrechtlichen Anforderungen an Einkaufszentren und Verbrauchermärkte.64
63 Vgl zur Mitwirkung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren BR-Drucks. 402/68.
64 Vgl im Einzelnen BR-Drucks. 261/77, S. 13 f.
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Einführung
BauNVO
Insbesondere sind folgende Regelungen der BauNVO 1977 zu erwähnen:
81
n Grundlegende Überarbeitung der allgemeinen Vorschriften für Bauflächen und Baugebiete
unter § 1 mit Erweiterung der Absätze 4 und 5 sowie Einführung neuer Absätze 6 bis 9 anstelle vormaliger gebietsspezifischer Sonderregelungen unter § 4 Abs. 5, 5 Abs. 3, 6 Abs. 4, 7
Abs. 4 und 5, 8 Abs. 4, 9 Abs. 4 BauNVO 1968;
n Präzisierung der Zwei-Wohnungs-Klausel unter § 3 Abs. 4;
n Einführung des besonderen Wohngebiets als neuer Baugebietstyp (§ 4 a BauNVO 1977);
n Präzisierung der Zweckbestimmung von Dorfgebieten und der allgemeinen Zulässigkeit von
Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe sowie von sonstige Wohngebäuden in derartigen Gebieten (§ 5 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 und 3 BauNVO 1977);
n Wegfall des klarstellenden Zusatzes „nicht wesentlich störende“ (Gewerbebetriebe) in § 6
Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1968;
n Einführung von Festsetzungen über verpflichtende Vorgaben zu Wohnungen in Kerngebieten nach § 7 Abs. 4;
n Streichung der Ausnahmeregelung zu Einkaufszentren und Verbrauchermärkten unter § 8
Abs. 2 Nr. 1 und § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1968 mit Blick auf die Neufassung des § 11;
n Umgestaltung und Fortentwicklung der Regelungen zu Wochenendhausgebieten in § 10
BauNVO 1968 zu einer Vorschrift über Sondergebiete, die der Erholung dienen;
n grundlegende Neufassung von § 11 Abs. 2 und 3 BauNVO 1968 im Hinblick auf sonstige
Sondergebiete und detaillierte Anforderungen an die Festsetzung von Sondergebieten für
Einkaufszentren, großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe;
n Umgestaltung und Erweiterung der Vorschriften über Stellplätze und Garagen unter § 12
BauNVO 1968;
n Erweiterung von § 13 BauNVO 1968 im Hinblick auf die Zulässigkeit von Gebäuden in
den Baugebieten nach den §§ 4 a bis 9;
n Fortentwicklung von § 16 Abs. 1 und Abs. 3 BauNVO 1968 in Bezug auf Begrenzungen
und Festsetzungen zur Höhe baulicher Anlagen in Flächennutzungs- und Bebauungsplänen;
n Fortschreibung der Vorschriften über das zulässige Maß der baulichen Nutzung für die neuen Baugebietstypen (§ 17 Abs. 1 und Abs. 7 BauNVO 1977) und Einführung von Sonderegelungen unter § 17 Abs. 3 S. 2 und Abs. 5 BauNVO 1977;
n redaktionelle Änderungen unter § 21 a.
4. BauNVO 1986
Durch die 3. Änderungsverordnung vom 19.12.1986 wurde § 11 Abs. 3 fortentwickelt. Dabei 82
wurden – im Vorgriff auf die umfassende Novelle 1990 – die Voraussetzungen für die Zulassung großflächiger Einzelhandelsbetriebe erneut verschärft.65
Konkret ging es um die Herabsetzung des Flächenwertes unter § 11 Abs. 3 S. 3 von 1.500 qm 83
auf 1.200 qm und die Einführung eines klarstellenden neuen § 11 Abs. 3 S. 4, wonach die Regelvermutung des § 11 Abs. 3 S. 3 nicht gilt, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Auswirkungen bereits unterhalb des dort genannten Schwellenwertes vorliegen oder bei einer größeren
Fläche nicht vorliegen. Vor allem sollte dadurch den unterschiedlichen Strukturen in großen
und kleine Städten und Gemeinden besser Rechnung getragen werden.66
65 Vgl im Einzelnen BR-Drucks. 541/86, abgedruckt bei Söfker in: EZKB, § 11 Rn 14.
66 Vgl Fickert/Fieseler, BauNVO, Einf. Ziff. 7.
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BauNVO
Einführung
5. BauNVO 1990
84 Mit dieser Novelle wurde die BauNVO im Nachgang zur Einführung des BauGB 1986 umfangreich geändert.67 Ziel war wiederum die Anpassung an geänderte städtebauliche Aufgaben. Genannt wurden hier neben der Neuplanung die Innenentwicklung und die Bestandserhaltung,
ferner wurde auf den tiefgreifenden Strukturwandel im ländlichen Raum und in der Landwirtschaft sowie den Schutz und die Entwicklung der natürlichen Lebensgrundlagen hingewiesen.
Besonderes Augenmerk galt darüber hinaus den Vorschriften über die Zulässigkeit von Anlagen
für sportliche Zwecke und Vergnügungsstätten in den Baugebieten. Schließlich sollten die Vorschriften über das Maß der baulichen Nutzung verbessert werden.68
85 Erwähnung verdienen speziell folgende neuen Regelungen:
n Erneute Präzisierung und Erweiterung der allgemeinen Vorschriften über Bauflächen und
Baugebiete durch redaktionelle Änderungen unter § 1 Abs. 1 und Abs. 2, den Hinweis, dass
im Sondergebiet die Abs. 4–10 des § 1 keinen Anwendung finden, und die Erleichterung
von Planungen im Bestand durch den neuen Abs. 10;
n Erweiterte Zulassung des Wohnens in Kleinsiedlungsgebieten (§ 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1
BauNVO 1990);
n Lockerung der Zweckbestimmung reiner Wohngebiete in § 3 Abs. 1 BauNVO 1990, ausnahmsweise Zulassung von Gemeinbedarfseinrichtungen nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO
1990, Entfall der 2-Wohnungs-Klausel unter § 3 Abs. 4 BauNVO 1977 und Klarstellung,
dass zu den nach § 3 Abs. 2 und den §§ 2, 4 bis 7 zulässigen Wohngebäuden auch solche
gehören, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen;
n Erweiterte Zulassung von Anlagen für sportliche Zwecke im allgemeinen Wohngebiet (§ 4
Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 3 BauNVO 1990, analog auch § 4 a Abs. 3 Nr. 2, § 7 Abs. 2
Nr. 4), Entfall der ausnahmsweisen Zulässigkeit von Ställen für Kleintierhaltung unter § 4
Abs. 3 Nr. 6 und der 2-Wohnungsklausel unter § 4 Abs. 4 BauNVO 1977;
n Präzisierung der Zweckbestimmung von besonderen Wohngebieten (§ 4 a Abs. 1 und Klarstellung, dass kerngebietstypische Vergnügungsstätten nur nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 allgemein
zulässig sind (§ 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO 1990, analog unter § 5 Abs. 3, § 6 Abs. 2 Nr. 8
und 3, ausnahmsweise Zulässigkeit aller Vergnügungsstätten im Gewerbegebiet nach 8
Abs. 3 Nr. 3);
n Neufassung der Zweckbestimmung des Dorfgebietes (§ 5 Abs. 1 BauNVO 1990) und der
hier allgemein zulässigen Nutzungen (§ 5 Abs. 2 Nr. 2, 4, 6 und 7 BauNVO 1977) mit Blick
auf den Strukturwandel im ländlichen Raum;
n Erweiterung der Zweckbestimmung des Kerngebiets um die Kultur (§ 7 Abs. 1 und Abs. 4
S. 2 BauNVO 1977), Klarstellung, dass sonstige Gewerbebetriebe im Kerngebiet „nicht wesentlich stören“ dürfen und Änderung von § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO 1977 dahin, dass
sonstige Wohnungen nunmehr nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans zulässig sind;
n Redaktionelle Änderung von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977 und Ergänzung einer Zu- und
Unterordnungsklausel für Betriebswohnungen im Gewerbegebiet unter § 8 Abs. 3 Nr. 1
BauNVO 1977 (analog unter § 9 Abs. 3 Nr. 1 für das Industriegebiet);
n Erweiterung des exemplarischen Zweckbestimmungskataloges für sonstige Sondergebiete
unter § 11 Abs. 2 S. 2 BauNVO 1977 um Fremdenverkehrs- und -beherbergungsgebiete sowie Gebiete für Anlagen zur Erforschung, Entwicklung oder Nutzung erneuerbarer Energien;
67 Zur Vorgeschichte BT-Drucks. 10/4630, 10/6166 und 10/6252; weitere Nachweis bei Ziegler in: Brügelmann,
BauGB, Vorbem. BauNVO Rn 44 ff.
68 Näher BR-Drucks. 354/89, S. 20 ff.
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Einführung
BauNVO
n Ergänzung einer Ausnahmeregelung zur ausnahmsweisen Zulässigkeit von fernmeldetechnischen Anlagen und Anlagen für erneuerbaren Energien als Nebenanlagen unter § 14 Abs. 2
S. 2 BauNVO 1990;
n Neufassung des § 15 BauNVO 1977 im Hinblick auf die Unzulässigkeit von Anlagen, die
Belästigungen oder Störungen ausgesetzt sind (Abs. 1 S. 2), den Verweis auf § 1 Abs. 5
BauGB (Abs. 2) und die Negativabgrenzung zu den Vorschriften des Immissionsschutzrechts (Abs. 3);
n Nochmalige Fortentwicklung der Vorschriften über das Maß der baulichen Nutzung unter
§ 16 mit Präzisierung der Handlungsoptionen der Gemeinde in Abs. 2 und der zwingenden
Festsetzungen in Abs. 3;
n Straffung und teilweise Erweiterung Vorschriften über die Obergrenzen des Maßes der baulichen Nutzung unter § 17 BauNVO;
n Einfügung eines neuen § 18 BauNVO 1990 mit Regelungen zur Höhe baulicher Anlagen,
Überführung der vormaligen Vollgeschossregelung in § 20 Abs. 1 BauNVO 1990;
n Präzisierung der Bestimmungen über die Ermittlung der Grundfläche nach § 19 Abs. 4
BauNVO 1977 mit Blick auf eine Vermeidung unverträglicher Bodenversiegelungen;
n Modifizierung der Regelungen über die Geschossfläche gemäß § 20 Abs. 3 und 4 BauNVO
1990;
n Redaktionelle Überarbeitung und Präzisierung von § 21 BauNVO 1977;
n Neufassung von § 21 a Abs. 3 BauNVO 1977 als Konsequenz der Änderung des § 19 Abs. 4
BauNVO 1977;
n Umformulierung von § 22 Abs. 1 zur Kann-Regelung und redaktionelle Überarbeitung von
§ 22 Abs. 2 BauNVO 1977 mit Entfall des Begriffes „Bauwich“;
n Anpassung von § 23 Abs. 1 S. 2 und von § 23 Abs. 5 BauNVO 1977 mit Entfall des Begriffes „Bauwich“
6. Einigungsvertrag 1990
Mit dem Einigungsvertrag 1990 wurde die spezielle Überleitungsvorschrift des § 26 a einge- 86
führt, um der Ausdehnung des Geltungsbereiches der BauNVO auf die neuen Bundesländer
Rechnung zu tragen (näher dazu unter § 26 a Rn 12 f).
7. Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz 1993
In der Konsequenz der Rechtsprechung des BVerwG zur Reichweite der gesetzlichen Ermächti- 87
gungsgrundlage der BauNVO69 wurden mit dem Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz 1993 die Bestimmungen über Besonderheiten bei der Berechnung des Maßes der baulichen Nutzung beim Ausbau von Vollgeschossen und die Zulässigkeit von Vergnügungsstätten
im unbeplanten Innenbereich unter § 25 c Abs. 2 und 3 BauNVO 1990 aufgehoben.70 Auch die
stattdessen entwickelte Nachfolgevorschrift des § 2 a BauGB-MaßnahmenG lief 1998 aus und
wurde nicht in das Dauerrecht übernommen.71
8. Energiewende und BauNVO 2013
Seit 1993 wurde über eine weitere Novellierung der BauNVO diskutiert.72 Bereits Art. 3 des 88
Bau- und Raumordnungsgesetzes 1998 (BauROG) sah diverse Änderungen vor, die nach kontroverser Auseinandersetzung zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat im Ergebnis nicht
übernommen wurden. Im einzelnen zielte der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor allem auf
69
70
71
72
BVerwG, 27.2.1992, 4 C 43.87.
Vgl BT-Drucks. 12/3944, S. 47 f; zum InvWoBauErlG Krautzberger, UPR 1993, 201 ff.
Söfker in: EZBK, BauGB, Vorb. BauNVO Rn 16.
Zum Diskussionsverlauf Fickert/Fieseler, DVBl. 1996, 329 ff; Ziegler, ZfBR 1996, 187.
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BauNVO
Einführung
eine größere Mischungsfreundlichkeit und Flexibilität der BauNVO ab.73 Er enthielt insbesondere folgende Regelungen:
n Wegfall des Erfordernisses „besonderer städtebaulicher Gründe“ unter den §§ 1 Abs. 7, 4 a
Abs. 4, 7 Abs. 4 S. 1 und 12 Abs. 4 und 5 als notwendige Konsequenz der Änderung von § 9
Abs. 3 BauGB;74
n generelle Öffnung von Kerngebieten für Wohnungen durch entsprechende Neufassung der
Zweckbestimmung unter § 7 Abs. 1, allgemeine Zulassung von Wohnungen durch Änderung von § 7 Abs. 2 Nr. 6, Wegfall von § 7 Abs. 2 Nr. 7 und Abs. 3 Nr. 2 sowie Abs. 4 S. 2;
n Präzisierung von § 11 Abs. 3 S. 1 mit Blick auf die Änderung des Begriffes der Ziele der
Raumordnung durch das ROG;75
n Änderung von § 15 Abs. 1 S. 2 durch Streichung der Wörter „… oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden“ im Interesse der Vermeidung eines „verordneten Selbstschutzes“;
n Umstrukturierung der Obergrenzen des Maßes der baulichen Nutzung nach § 17 Abs. 1 zu
flexiblen „Orientierungswerten“ und Aufhebung der bisherigen Abs. 2 und 3 des § 17;
n Zusammenführung der Überleitungsvorschriften der §§ 25 bis 26 a in einer neu gefassten
Generalklausel unter § 24.
89 Im Ergebnis des BauROG-1998-Gesetzgebungsverfahrens wurde die Bundesregierung gebeten,
die Baunutzungsverordnung nicht lediglich auf punktuelle Modifikationen, sondern vielmehr
im Hinblick auf eine umfassende Neuregelung zu überprüfen.76
90 Im Zuge des Europarechtsanpassungsgesetzes Bau (EAG Bau) 2004 wurde der erteilte Prüfauftrag nicht aufgegriffen.77
91 Auch im Rahmen des 2006 verabschiedeten Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben
für die Innenentwicklung der Städte wurde die BauNVO nicht thematisiert.78
92 Gemäß CDU/CSU/FDP-Koalitionsvereinbarung von 2009 sollte die BauNVO erneut umfassend geprüft werden.79 Zur Umsetzung dieses Prüfauftrages hat das Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung das Deutsche Institut für Urbanistik mit der Vorbereitung
und Durchführung von Expertengesprächen beauftragt; die Ergebnisse der Expertengespräche
sind veröffentlicht.80
93 Zentrales Argument gegen eine breit angelegte Novellierung der BauNVO war danach, wie
schon in Vergangenheit, die Problematik sogenannter „Schichten-Bebauungspläne“.81 Allerdings wurde mittelfristig eine Neubewertung der maßgeblichen städtebaulichen Leitbilder vor
dem Hintergrund der Entwicklung von der Charta von Athen zur Charta von Leipzig und der
inzwischen europaweit angestrebten nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung angeregt.82 Hier seien
73 Vgl im Einzelnen BT-Drucks. 13/6392, S. 33 und 88 ff.
74 Fickert/Fieseler, BauNVO, Einf. Ziff. 3 d.
75 Zum Begriff der Ziele der Raumordnung nach dem novellierten ROG Hoppe in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 4 Rn 10 ff.
76 Söfker in: EZBK, BauGB, Vorb. BauNVO Rn 17; Ziegler in: Brügelmann, BauGB, Vorbem. BauNVO
Rn 52 ff.
77 Zum EAG Bau siehe Krautzberger, UPR 2004, 241 ff
78 Zur BauGB-Novelle 2006/2007 Krautzberger/Stüer, DVBl. 2007, 160 ff; zur Bedeutung der BauNVO für die
Innenentwicklung Mitschang, ZfBR 2009, 10 ff.
79 Koalitionsvereinbarung, Seite 42, <www.cdu.de>.
80 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung/Deutsches Institut für Urbanistik, Berliner Gespräche zum Städtebaurecht, Band I: Bericht und Band II: Dokumentation Festveranstaltung/Materialien,
2010, <www.bmvbs.de>, zur BauNVO siehe Band I, S. 33 ff und Band II, S. 95 ff.
81 Vgl Bunzel/Löhr, ZfBR 2000, 307 ff; Stemmler, DVBl. 1996, 714.
82 Vgl im Einzelnen die Leipzig Charta zur nachhaltigen Europäischen Stadt vom 24.5.2007, <www.bmvbs.de>.
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n
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BauNVO
die Erfordernisse des Klimaschutzes,
der demografische Wandel,
der wirtschaftliche Strukturwandel,
der Denkmalschutz und
die Baukultur
zu berücksichtigen.
Im Bereich der Baugebietsvorschriften wurde von einer grundsätzlichen Neukonzeption der Ge- 94
bietstypologie ohne vorherige wissenschaftliche Untersuchungen abgeraten.83 Unbeschadet dessen bestand Einigkeit, dass Kindertageseinrichtungen in allen Baugebieten allgemein zugelassen
werden sollen.84 Befürwortet wurde außerdem eine Erweiterung von § 14 Abs. 2 im Hinblick
auf Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien.85
Vorgeschlagen wurde die Einführung eines bundeseinheitlichen Vollgeschossbegriffs im Rah- 95
men der Vorschriften über das Maß der baulichen Nutzung.86 Hinzu kommen könne eine Erleichterung der Möglichkeiten zur Überschreitung der Obergrenze des Maßes der baulichen
Nutzung in § 17 Abs. 2.87
Mit dem 2011 im Zuge der sog. Energiewende beschlossenen Gesetz zur Förderung des Klima- 96
schutzes bei der Entwicklung der Städte und Gemeinden88 wurde der BauNVO-Prüfauftrag gemäß Koalitionsvereinbarung 2009 zunächst noch nicht umgesetzt. Schwerpunkte der Novelle
waren – unter dem Eindruck des Reaktorunglücks von Fukushima – die Aufwertung des Klimaschutzes in der Bauleitplanung, die Erweiterung der Vorschriften über die Zulassung von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien und die Modernisierung der Vorschriften über den
Stadtumbau.89 Der zweite Teil der avisierten Bauplanungsrechtsnovelle mit den Prioritäten
Stärkung der Innenentwicklung und Anpassung der BauNVO wurde verschoben.
Am 25.4.2013 wurde das Gesetz zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Ge- 97
meinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts beschlossen. Das Gesetz ist in seinen wesentlichen Teilen zum 20.9.2013 in Kraft getreten. Es handelt sich um ein Artikelgesetz,
das Änderungen des BauGB und der BauNVO enthält und im Wesentlichen auf den Empfehlungen aus den vorangegangenen „Expertengesprächen“ beruht.90
Ziele des Gesetzes sind nach der Begründung die Fortführung und Ergänzung der 2006 mit 98
dem Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte getroffenen Regelungen sowie die Anpassung der BauNVO. Während im Bereich des BauGB dabei insbesondere die Reduzierung der Flächenneuinanspruchnahme, die Darstellung zentraler
Versorgungsbereiche im Flächennutzungsplan, die Steuerung der Ansiedlung von Vergnügungsstätten, Abweichungen vom Gebot des Einfügens, Vereinfachungen des gesetzlichen Vorkaufsrechts, die Neuregelung des Erschließungsvertrages und die Themen Rückbaugebot sowie – ergänzend – gewerbliche Tierhaltungsanlagen aufgegriffen werden, lassen sich die wenigen Änderungen der BauNVO überblicksartig wie folgt darstellen:
n nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 sind im WR nunmehr Anlagen zur Kinderbetreuung, die den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen, allgemein zulässig, „sonstige Anlagen für soziale
Zwecke“ sind nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 ausnahmsweise zulässig;
83
84
85
86
87
88
89
90
Siehe exemplarisch das Thesenpapier von Heitfeld-Hagelgans in: BMVBS/DiFU (Fn 12), Band II, S. 107 ff.
Vgl dazu bereits den Koalitionsvertrag CDU/CSU/FDP, <www.cdu.de>, S. 68; siehe ferner § 3 Rn 71 ff.
Dazu das Thesenpapier von Mitschang in: BMVBS/DiFU (Fn 12), Band II, S. 73 ff.
Fickert/Fieseler, BauNVO, Einf. Ziff. 12 und 13.
Dazu das Thesenpapier von Reidt in: BMVBS/DiFU (Fn 12), Band II, S. 129 ff.
BGBl. I v. 29.7.2011, S. 1509.
Vgl dazu BT-Drucks. 17/6076; BR-Drucks. 344/11 und BT-Drucks. 17/6357.
Siehe die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, BT-Drucks.
17/13272; zum Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 17/11468.
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BauNVO
Einführung
n als Folgeänderung wird die Feindifferenzierungsregelung unter § 1 Abs. 5 auch auf § 3 erstreckt;
n unter § 14 Abs. 1 S. 2 wird klargestellt, dass die „Tierhaltung“ auch die „Kleintiererhaltungszucht“ umfasst;
n die Zulässigkeit von baulich untergeordneten Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie in, an oder auf Dach- und Außenwandflächen wird nach Maßgabe des neuen § 14
Abs. 3 für den Fall erweitert, dass die erzeugte Energie vollständig oder überwiegend in das
öffentliche Netz eingespeist wird;
n nach § 17 Abs. 2 können die Obergrenzen des Maßes der baulichen Nutzung nach § 17
Abs. 1 künftig in weitergehenderem Umfang als bisher überschritten werden;
n § 17 Abs. 3 wurde aufgehoben;
n die Überleitungsvorschriften unter § 25 d und § 26 a sind neu gefasst.
9. Weitere Novellierungsdiskussion
99 Eine über die punktuellen Änderungen in 2013 hinaus gehende grundlegende Überarbeitung
der BauNVO ist weiterhin nicht in Sicht. Entsprechende Überlegungen zur Novellierung der
BauNVO werden in Teilen der Literatur und von verschiedenen Kommunen angestellt. Zum
einen wird darauf aufmerksam gemacht, dass der durchgängige „Baugebietstypenzwang“ der
BauNVO nicht unbedingt zeitgemäß erscheine und – wie beim vorhabenbezogenen Bebauungsplan – eine flexiblere Handhabung wünschenswert sei.91 Auch die Steuerung des Einzelhandels
– ober- wie unterhalb der Großflächigkeitsschwelle – wird von den Kommunen nach wie vor
als problematisch angesehen. 92 Schließlich wird auf teilweise antiquierte, widersprüchliche oder
unklare Begrifflichkeiten in der BauNVO hingewiesen.93
100 In der Tat ist festzustellen, dass eine Modernisierung und Flexibilisierung der BauNVO auch
jenseits der Novelle 2013 sinnvoll erscheint.94 So dürften sich etwa die gängigen und kaum
noch zu überschauenden Diskussionen über die Feindifferenzierung nach § 1 Abs. 4 ff erübrigen, wenn der Gemeinde lediglich ein unverbindliches Regel-Schema für die Ausübung ihrer
Planungshoheit vorgegeben würde. Auch das starre Festhalten an der Gebietstypologie der
§§ 2 ff sollte kein Dogma sein; vielmehr haben die Erfahrungen mit vorhabenbezogenen Bebauungsplänen gezeigt, dass die Gemeinden auch ohne zwingende Bindung an einen fixen Gebietskatalog sachgerechte Lösungen finden. Dadurch könnte nicht zuletzt die Vielfalt städtebaulicher Strukturen gefördert und ein Beitrag zur Innenentwicklung geleistet werden.
10. Anwendung unterschiedlicher BauNVO-Fassungen
101 Die Übergangs- und Schlussvorschriften der BauNVO legen fest, welche BauNVO-Fassung auf
einen eingeleiteten Planungsprozess anzuwenden ist. Regel ist insoweit, dass die vormalige Fassung fortgilt, wenn der Plan bei Inkrafttreten der Novelle bereits nach Maßgabe des BBauG/des
BauGB öffentlich ausgelegt ist (§ 25 Rn 3 ff).
102 Bereits aufgestellte Bauleitpläne werden durch später in Kraft tretende BauNVO-Novellen nicht
berührt.95 Der Gesetz- und Verordnungsgeber kann also immer nur für künftige Pläne neue Be-
91 Vgl etwa Boeddinghaus, BauR 2010, 998 ff.
92 Bunzel, Novellierungsbedarf bei der BauNVO, Ergebnisse einer Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik und des Deutschen Städtetags, 2010, S. 31 f
93 Anschaulich Kirchberg/König, BauR 2010, 1686 ff; Fickert/Fieseler, BauNVO, Einf. Ziff. 12 am Ende zu dem
obsoleten Verweis der BauNVO auf § 9 Abs. 2 BauGB aF.
94 Vgl zur Diskussion im Gesetzgebungsverfahren 2012/2013 den Antrag „Baugesetzbuch wirklich novellieren“,
BT-Drucks. 17/10846 und den Entschließungsantrag BT-Drucks. 17/13281, wonach vor allem Fragen des
Einzelhandels und der Innenentwicklung in einer „Studie“ bis spätestens 2014 vertieft geprüft werden sollen.
95 Vgl etwa BVerwG, 15.3.1996, 4 B 302.95, NVwZ 1996, 893; für nach § 173 Abs. 3 BbauG 1960 übergeleitete Bebauungspläne BVerwG, 17.12.1998, 4 C 9/98, BauR 1999, 730 mwN.
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Einführung
BauNVO
stimmungen treffen, ein rückwirkender Eingriff in Rechtspositionen aufgrund „alten“ Rechts
ist ihm untersagt.96
Daraus ergibt sich die in Rechtsprechung und Literatur vielfach erörterte Problematik soge- 103
nannter Schichten-Bebauungspläne. So können in einer Gemeinde mehrere Bebauungspläne
existieren, die wegen ihres jeweiligen Aufstellungszeitpunktes unterschiedlichen BauNVO-Fassungen unterliegen. Ferner kann etwa ein Bebauungsplan, der unter der Geltung der BauNVO
1968 aufgestellt und nach Inkrafttreten der BauNVO 1990 geändert worden ist, differenzierte
Rechtsfolgen begründen. In einem solchen Bebauungsplan enthaltene Festsetzungen, die (noch)
auf der BauNVO 1968 beruhen, sind entsprechend den dazu entwickelten Grundsätzen auszulegen; analog und gesondert sind die Änderungsfestsetzungen nach der BauNVO 1990 zu beurteilen.
Bei mehrfachen Änderungen können sich in solchen Fällen erhebliche Auslegungsschwierigkei- 104
ten ergeben. Seitens der planenden Gemeinde sind deswegen die erforderlichen Abgrenzungen
präzise vorzunehmen und angemessen, insbesondere in der Bebauungsplanbegründung, zu dokumentieren. Der Gemeinde steht es dabei frei, – unter Beachtung von eventuellen Bestandsschutzaspekten – einen nach der BauNVO 1968 aufgestellten Bebauungsplan komplett aufzuheben und einen neuen Bebauungsplan nach der BauNVO 1990 zu beschließen.97 Erweist sich
die Neuplanung jedoch als fehlerhaft, kann das „alte“ Recht wieder aufleben; zu prüfen sein
kann außerdem, ob und inwieweit eine vormalige Planung funktionslos und daher obsolet ist.98
V. Gesetzgebungskompetenz und Ermächtigungsgrundlage
Die BauNVO ist eine Rechtsverordnung und damit ein materielles Gesetz. Art. 80 GG regelt die 105
verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen. Danach ist der Gesetzgeber berechtigt, im Wege
der Verordnungsermächtigung Entscheidungen auf die Exekutive zu delegieren. Die Verordnungsermächtigung muss allerdings hinreichend bestimmt sein, die Verordnungsinhalte müssen
sich im Rahmen der Ermächtigung halten.99
Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Hinblick auf die planungsrechtli- 106
chen Regelungen des BauGB und der BauNVO ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG. Danach ist der Bund für das Bodenrecht zuständig, also für alle Vorschriften, die die rechtliche
Beziehung des Menschen zum Grund und Boden regeln.100 Nicht zuständig ist der Bund hingegen für Vorschriften zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen.101
Von seiner Gesetzgebungskompetenz für das Bodenrecht hat der Bund umfassenden Gebrauch 107
gemacht, so dass Raum für entsprechende Landesgesetzgebung nicht besteht.102 Problematisiert
hat die Rechtsprechung vor diesem Hintergrund die Zuständigkeitsabgrenzung insbesondere
für Werbeanlagen und Stellplatzregelungen. Zu beiden Regelungskomplexen finden sich sowohl im Bundesrecht des BauGB und der BauNVO als auch im Bauordnungsrecht der Länder
spezifische Vorgaben.103
96
97
98
99
100
101
König in: König/Roeser/Stock, BauNVO, Einl. Rn 15 unter Verweis auf Pietzcker, NVwZ 1989, 601.
Fickert/Fieseler, BauNVO, Einf. Ziff. 2 b.
Dazu Bönker in: Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 5 Rn 279.
König in: König/Roeser/Stock, BauNVO, Einl. Rn 15.
Vgl BVerfG, 16.6.1954, 1 PBvB 2/52, BVerfGE 3, 407, 430 ff.
BVerfG, 28.10.1975, 2 BvL 9/74, BVerfGE 40, 261, 266; BVerwG, 11.10.2007, 4 C 8.06, DVBl. 2008,
258 ff (Verunstaltungsverbot).
102 Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Einleitung Rn 10.
103 Zu Werbeanlagen BVerwG, 11.10.2007, 4 C 8.06, DVBl. 2008, 258 ff; BVerwG, 3.12.1992, 4 C 27.91,
BVerwGE 91, 234; BVerwG, 28.4.1972, 4 C 11.69, BVerwGE 40, 94; BVerwG, 25.6.1965, 4 C 73.65,
BVerwGE 21, 251; BVerwG, 28.6.1955, 1 C 146.53, BVerwGE 2, 172; zu Stellplätzen BVerwG, 31.5.2005,
4 B 14.05, BauR 2005, 1768.
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BauNVO
Einführung
108 Flächenbezogene planungsrechtliche Regelungen und objektbezogenes Landesrecht können im
Einzelfall durchaus ähnliche gesetzgeberische Ziele verfolgen. Neben bloßen Klarstellungen wie
§ 12 Abs. 7 wird demgemäß der Verweis auf Landesbauordnungsrecht in der BauNVO – etwa
im Hinblick auf in den Abstandsflächen zulässige Anlagen (§ 23 Abs. 5 S. 2) – als unbedenklich
angesehen. De lege ferenda werden hier aber bundeseinheitliche Regelungen gefordert.104
109 Ursprüngliche Ermächtigungsgrundlage für die BauNVO 1962 war § 2 Abs. 10 BBauG 1960.
Die Vorschrift lautete:
Der Bundesminister für Wohnungsbau wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates
durch Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen über
1. Darstellungen und Festsetzungen in den Bauleitplänen über
a) die Art der baulichen Nutzung,
b) das Maß der baulichen Nutzung und seine Berechnung,
c) die Bauweise sowie die überbaubaren und nicht überbaubaren Grundstücksflächen,
d) die Mindestgröße der Baugrundstücke;
2. die in den Baugebieten zulässigen baulichen und sonstigen Anlagen;
3. die Zulässigkeit von Festsetzungen nach Nummer 1, wenn Bebauungspläne nicht aufgestellt
sind oder Festsetzungen nach Nummer 1 nicht enthalten;
4. die Ausarbeitung der Bauleitpläne einschließlich der dazugehörigen Unterlagen sowie über
die Darstellung des Planinhaltes, insbesondere über die dabei zu verwendenden Planzeichen
und ihre Bedeutung.
110 Mit § 2 Abs. 8 BBauG 1976 wurde die Ermächtigungsgrundlage für die BauNVO fortentwickelt. Zuständig war nunmehr der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau; die Nr. 1 und 2 blieben unverändert, die vormalige Nr. 4 wurde Nr. 5. Nach § 2 Abs. 8
Nr. 3 BBauG 1976 konnte der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Vorschriften erlassen über die Zulässigkeit von Festsetzungen nach Maßgabe des § 9 Abs. 3
BBauG 1976 über verschiedenartige Baugebiete oder verschiedenartige in den Baugebieten zulässige bauliche und sonstige Anlagen. § 2 Abs. 8 Nr. 4 BBauG 1976 ermächtigte zudem zum
Erlass von Vorschriften über die entsprechende Anwendung der Vorschriften, die aufgrund der
in § 2 Abs. 8 BBauG enthaltenen Ermächtigung erlassen wurden, soweit nicht bereits in § 34
BBauG 1976 eine Regelung getroffen war. Diese Festlegung beruhte auf der höchstrichterlichen
Feststellung der Nichtigkeit von § 24 Abs. 2 und 3 BauNVO 1962.105
111 Mit § 2 Abs. 5 BauGB 1986 wurde das vormalige Recht erneut modifiziert. Vor dem Hintergrund der Anpassung von § 34 Abs. 2 BauGB entfiel § 2 Abs. 8 Nr. 4 BBauG 1976. Überdies
wurde die Ermächtigungsgrundlage für Darstellungen und Festsetzungen in den Bauleitplänen
über die Mindestgröße der Baugrundstücke in § 2 Abs. 8 Nr. 1 d) BBauG 1976 aufgehoben; diese Variante ist jetzt in § 9 Abs. 1 Nr. 3 BauGB geregelt.106
112 § 2 Abs. 5 BauGB 1986 wurde mit dem EAG Bau 2004 in § 9 a BauGB überführt. Nach § 9 a
BauGB kann das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit Zustimmung
des Bundesrates durch Rechtsverordnung nunmehr Vorschriften erlassen über
1. Darstellungen und Festsetzungen in den Bauleitplänen über
a) die Art der baulichen Nutzung,
b) das Maß der baulichen Nutzung und seine Berechnung,
c) die Bauweise sowie die überbaubaren und die nicht überbaubaren Grundstücksflächen;
2. die in den Baugebieten zulässigen baulichen und sonstigen Anlagen;
104 Ziegler in: Brügelmann, BauGB, Vorbem. BauNVO Rn 18; Fickert/Fieseler, BauNVO, Einf. Ziff. 12 und 13.
105 BVerwG, 23.4.1969, IV C 12.67, BVerwGE 32, 31.
106 Vgl Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 a Rn 2.
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Allgemeine Vorschriften für Bauflächen und Baugebiete
§ 1 BauNVO
3. die Zulässigkeit der Festsetzung nach Maßgabe des § 9 Abs. 3 über verschiedenartige Baugebiete oder verschiedenartige in den Baugebieten zulässige bauliche und sonstige Anlagen;
4. die Ausarbeitung der Bauleitpläne einschließlich der dazugehörigen Unterlagen sowie über
die Darstellung des Planinhalts, insbesondere über die dabei zu verwendenden Planzeichen
und ihre Bedeutung.
Besonderheit ist hier, dass § 9 a BauGB unter den Nr. 1 und 2 keine explizite gesetzliche Er- 113
mächtigung zu Festsetzungen über die – in § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB besonders erwähnte – Stellung baulicher Anlagen enthält und die BauNVO dazu im Detail ebenfalls nichts besagt; dennoch ist anerkannt, dass die Gemeinde die Stellung baulicher Anlagen über die §§ 22 und 23
kraft Bundesrechts maßgeblich steuern kann.107
Von der Ermächtigung in § 9 a Nr. 3 BauGB hat der Gesetzgeber durch § 1 Abs. 7 und § 18 Ge- 114
brauch gemacht. Durch die Bezugnahme auf § 9 Abs. 3 BauGB ist klargestellt, dass sich die Ermächtigung auf Festsetzungen über die Höhenlage (§ 9 Abs. 3 S. 1 BauGB) und die vertikale
Differenzierung innerhalb von Baugebieten (§ 9 Abs. 3 S. 2) bezieht; ob es einer solchen Ergänzung der Nr. 1 und 2 des § 9 a BauGB bedarf, erscheint zweifelhaft, da sich die in Rede stehenden Festsetzungen zwanglos als Regelungen der Art und des Maßes der baulichen Nutzung von
Grundstücken verstehen lassen.108
Auf der Basis von § 9 a Nr. 4 BauGB hat der Gesetzgeber 1990 die Planzeichenverordnung 115
(PlanZV) erlassen. Auf die diesbezüglichen Erläuterungen im 2. Teil (PlanZV) wird verwiesen.
Erster Abschnitt
Art der baulichen Nutzung
§ 1 Allgemeine Vorschriften für Bauflächen und Baugebiete
(1) Im Flächennutzungsplan können die für die Bebauung vorgesehenen Flächen nach der allgemeinen Art ihrer baulichen Nutzung (Bauflächen) dargestellt werden als
1.
2.
3.
4.
Wohnbauflächen
gemischte Bauflächen
gewerbliche Bauflächen
Sonderbauflächen
(W)
(M)
(G)
(S).
(2) Die für die Bebauung vorgesehenen Flächen können nach der besonderen Art ihrer baulichen Nutzung (Baugebiete) dargestellt werden als
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
Kleinsiedlungsgebiete
reine Wohngebiete
allgemeine Wohngebiete
besondere Wohngebiete
Dorfgebiete
Mischgebiete
Kerngebiete
Gewerbegebiete
Industriegebiete
Sondergebiete
(WS)
(WR)
(WA)
(WB)
(MD)
(MI)
(MK)
(GE)
(GI)
(SO).
107 Vgl etwa Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rn 17.
108 Siehe etwa Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, § 9 a BauGB Rn 1, der eine differenzierte Zurückführung einzelner BauNVO-Vorschriften auf bestimmte Tatbestände des § 9 a BauGB offenbar für entbehrlich hält.
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BauNVO § 1
Erster Abschnitt | Art der baulichen Nutzung
(3) 1Im Bebauungsplan können die in Absatz 2 bezeichneten Baugebiete festgesetzt werden.
die Festsetzung werden die Vorschriften der §§ 2 bis 14 Bestandteil des Bebauungsplans, soweit nicht aufgrund der Absätze 4 bis 10 etwas anderes bestimmt wird. 3Bei Festsetzung von Sondergebieten finden die Vorschriften über besondere Festsetzungen nach den Absätzen 4 bis 10 keine Anwendung; besondere Festsetzungen über die Art der Nutzung können
nach den §§ 10 und 11 getroffen werden.
2Durch
(4) 1Für die in den §§ 4 bis 9 bezeichneten Baugebiete können im Bebauungsplan für das jeweilige Baugebiet Festsetzungen getroffen werden, die das Baugebiet
1. nach der Art der zulässigen Nutzung,
2. nach der Art der Betriebe und Anlagen und deren besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften
gliedern. 2Die Festsetzungen nach Satz 1 können auch für mehrere Gewerbegebiete einer Gemeinde im Verhältnis zueinander getroffen werden; dies gilt auch für Industriegebiete. 3Absatz
5 bleibt unberührt.
(5) Im Bebauungsplan kann festgesetzt werden, daß bestimmte Arten von Nutzungen, die nach
den §§ 2 bis 9 und 13 allgemein zulässig sind, nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt
bleibt.
(6) Im Bebauungsplan kann festgesetzt werden, daß alle oder einzelne Ausnahmen, die in den
Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 vorgesehen sind,
1. nicht Bestandteil des Bebauungsplans werden oder
2. in dem Baugebiet allgemein zulässig sind, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt.
(7) In Bebauungsplänen für Baugebiete nach den §§ 4 bis 9 kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Abs. 3 des Baugesetzbuchs), festgesetzt werden, daß in bestimmten Geschossen, Ebenen oder sonstigen Teilen baulicher Anlagen
1. nur einzelne oder mehrere der in dem Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen zulässig
sind,
2. einzelne oder mehrere der in dem Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen unzulässig
sind oder als Ausnahme zugelassen werden können oder
3. alle oder einzelne Ausnahmen, die in den Baugebieten nach den §§ 4 bis 9 vorgesehen sind,
nicht zulässig oder, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt,
allgemein zulässig sind.
(8) Die Festsetzungen nach den Absätzen 4 bis 7 können sich auch auf Teile des Baugebiets beschränken.
(9) Wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen, kann im Bebauungsplan bei Anwendung der Absätze 5 bis 8 festgesetzt werden, daß nur bestimmte Arten der in den Baugebieten allgemein oder ausnahmsweise zulässigen baulichen oder sonstigen Anlagen zulässig oder
nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können.
(10) 1Wären bei Festsetzung eines Baugebiets nach den §§ 2 bis 9 in überwiegend bebauten Gebieten bestimmte vorhandene bauliche und sonstige Anlagen unzulässig, kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, daß Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen dieser Anlagen allgemein zulässig sind oder ausnahmsweise zugelassen werden können.
2Im Bebauungsplan können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. 3Die
allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets muß in seinen übrigen Teilen gewahrt bleiben.
4Die Sätze 1 bis 3 gelten auch für die Änderung und Ergänzung von Bebauungsplänen.
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Allgemeine Vorschriften für Bauflächen und Baugebiete
I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Bedeutung und Entstehungsgeschichte . . . . . .
1. Planungsrechtliches Grundvokabular . . .
2. Feindifferenzierung bei bauleitplanerischen Darstellungen und Festsetzungen
3. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Darstellung von Bauflächen im Flächennutzungsplan (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Darstellung von Baugebieten (Abs. 2) . . . . . .
V. Festsetzung von Baugebieten in Bebauungsplänen (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Baugebietsfestsetzung (Abs. 3 S. 1) . . . . .
2. §§ 2 bis 14 als Bestandteil des Bebauungsplans (Abs. 3 S. 2 Hs 1) . . . . . . . . . . . .
3. Feindifferenzierung über Abs. 4 bis 10
(Abs. 3 S. 2 Hs 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Besondere Festsetzungen über die Art
der Nutzung in Sondergebieten
(Abs. 3 S. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI. Gliederung von Baugebieten (Abs. 4) . . . . . . .
1. Gliederungsfähige Baugebiete
(Abs. 4 S. 1 Hs 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Gliederung nach der Art der zulässigen
Nutzung (Abs. 4 S. 1 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . .
3. Gliederung nach der Art der Betriebe
und Anlagen und deren besonderen
Bedürfnissen und Eigenschaften
(Abs. 4 S. 1 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Festsetzungen für mehrere Gewerbeund Industriegebiete einer Gemeinde
(Abs. 4 S. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Verhältnis zwischen Abs. 4 und Abs. 5
(Abs. 4 S. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII. Ausschluss und Beschränkung bestimmter
Arten von Nutzungen (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . .
1. Nach den §§ 2 bis 9 und 13 allgemein
zulässige Arten von Nutzungen . . . . . . . . .
2. Ausschluss von Nutzungen
(Abs. 5 Var. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Nur ausnahmsweise Zulassung von
Nutzungen (Abs. 5 Var. 2) . . . . . . . . . . . . . .
4. Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets . . . . . . . . . . . . . . .
VIII. Abweichende Festsetzungen zu Ausnahmen
(Abs. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. In den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9
vorgesehene Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Festsetzungen zu allen oder einzelnen
Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Ausnahmen kein Bestandteil des Bebauungsplans (Abs. 6 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Ausnahmen in dem Baugebiet allgemein zulässig (Abs. 6 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . .
5. Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets . . . . . . . . . . . . . . .
IX. Vertikale Gliederung (Abs. 7) . . . . . . . . . . . . . . .
1. Bebauungspläne für Baugebiete nach
den §§ 4 bis 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Rechtfertigung durch besondere städtebauliche Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
7
8
11
18
34
44
57
58
66
70
83
89
93
98
103
109
115
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123
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132
135
139
142
147
149
151
152
156
§ 1 BauNVO
3. Bestimmte Geschosse, Ebenen oder
sonstige Teile baulicher Anlagen . . . . . . . .
4. Festsetzung der Zulässigkeit nur einzelner oder mehrerer der in dem Baugebiet
allgemein zulässiger Nutzungen
(Abs. 7 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Ausschluss oder Beschränkung einzelner oder mehrerer in dem Baugebiet allgemein zulässiger Nutzungen
(Abs. 7 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Festsetzung der Unzulässigkeit oder allgemeinen Zulässigkeit aller oder einzelner in dem Baugebiet vorgesehener
Ausnahmen (Abs. 7 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . .
7. Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets . . . . . . . . . . . . . . .
X. Beschränkung von Festsetzungen nach
Abs. 4 bis 7 auf Teile des Baugebiets
(Abs. 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI. Erweiterte Zulassung, Ausschluss und
Beschränkung bestimmter Arten allgemein
oder ausnahmsweise zulässiger baulicher
oder sonstiger Anlagen (Abs. 9) . . . . . . . . . . . . .
1. Bauliche und sonstige Anlagen . . . . . . . . .
2. Bestimmte Arten allgemein oder ausnahmsweise zulässiger Anlagen . . . . . . . . .
3. Erweiterte Zulassung von Anlagen . . . . .
4. Ausschluss von Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Nur ausnahmsweise Zulassung von
Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Rechtfertigung durch besondere städtebauliche Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Verhältnis zwischen Abs. 4 bis 8 und
Abs. 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XII. Erweiterte oder ausnahmsweise Zulassung
von Maßnahmen im Bestand (Abs. 10) . . . . .
1. Anwendungsbereich
(Abs. 10 S. 1 Hs 1 und S. 4) . . . . . . . . . . . . .
a) Aufstellung, Änderung und Ergänzung von Bebauungsplänen
(Abs. 10 S. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Überwiegend bebaute Gebiete . . . . . .
c) Unzulässigkeit vorhandener baulicher oder sonstiger Anlagen bei
Festsetzung eines Baugebiets nach
den §§ 2 bis 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen von
Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Allgemeine oder ausnahmsweise Zulassung andernfalls unzulässiger Maßnahmen (Abs. 10 S. 1 Hs 2) . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit (Abs. 10 S. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets in seinen
übrigen Teilen (Abs. 10 S. 3) . . . . . . . . . . . .
XIII. Frühere BauNVO-Fassungen . . . . . . . . . . . . . . .
172
177
180
183
184
186
189
192
194
204
205
208
210
214
217
220
221
223
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BauNVO § 1
Erster Abschnitt | Art der baulichen Nutzung
I. Überblick
1 § 1 formuliert Rahmenvorschriften für Darstellungen und Festsetzungen zur Art der baulichen
Nutzung. Dabei gelten
n Abs. 1 und 2 allein für Darstellungen im Flächennutzungsplan,
n Abs. 3 bis 10 ausschließlich für Festsetzungen in Bebauungsplänen.
2 Mit dieser Differenzierung greift die BauNVO die Zweistufigkeit der Bauleitplanung nach § 1
Abs. 2 BauGB auf (dazu 3. Teil, Bauleitplanung, Rn 152 ff).
3 Adressatin von § 1 ist die planende Gemeinde. Ihr wird mit § 1 ein vielfältiges Instrumentarium
an die Hand gegeben, um im Zuge des Planungsprozesses
n Bauflächen und Baugebiete festzulegen sowie
n besondere städtebauliche Zielsetzungen in Abweichung von der Regel-Rechtslage zu verwirklichen.
4 § 1 enthält durchweg „Kann-Vorschriften“. Dies korrespondiert mit dem Planungsermessen der
Gemeinde nach § 1 BauGB. Zu einer (objektiven) Planungspflicht kann sich das Planungsermessen der Gemeinde nur ganz ausnahmsweise einmal verdichten;1 selbst wenn dies der Fall ist,
steht es der Gemeinde frei, in welcher Weise und in welchem Umfange sie von den Darstellungs- und Festsetzungsvarianten nach § 1 Gebrauch macht.
5 § 1 ist von erheblicher Bedeutung für die Reichweite des durch Bebauungsplanfestsetzungen begründeten Nachbarschutzes. So kann etwa die Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets
Nachbarschutz gegen Sportanlagen vermitteln, wenn solche Anlagen von der Gemeinde nach
§ 1 Abs. 5 oder 6 ausgeschlossen sind.2 Da die Feindifferenzierungen nach Abs. 4 bis 10 des § 1
allerdings in erster Linie städtebaulich begründet werden müssen, kann jedoch von einer
„Nachbarschutzautomatik“ keine Rede sein.3
6 Kritisch ist zu bemerken, dass die einzelnen Tatbestände des § 1 vor allem bei extensiver Anwendung in der Praxis nicht selten erhebliche Auslegungsschwierigkeiten verursachen. So erlaubt es § 1 der Gemeinde, entgegen verbreiteter Annahme, keinesfalls, missliebige Nutzungen
wie etwa Vergnügungsstätten automatisch und in allen Gebietstypen zu verbieten. Ebenso wenig ist es zulässig, die durch die BauNVO „vorgeprägten“ Baugebiete auf breiter Linie für bestimmte, tendenziell dem Gebietscharakter widersprechende Nutzungsarten zu öffnen.
II. Bedeutung und Entstehungsgeschichte
7 § 1 enthält allgemeine Vorschriften für die Darstellung und Festsetzung von Bauflächen und
Baugebieten. In Flächennutzungsplänen kann die Gemeinde beide Darstellungsvarianten wählen, in Bebauungsplänen können lediglich Baugebiete festgesetzt werden.
1. Planungsrechtliches Grundvokabular
8 Aus § 1 ergibt sich zunächst ein planungsrechtliches „Grundvokabular“, das mit den Detaillierungen in den nachfolgenden §§ 2 ff korrespondiert. Zentrale Begriffe sind
n
n
n
n
n
die Bauflächen,
die Baugebiete und ihre allgemeine Zweckbestimmung,
die Art der (allgemein oder ausnahmsweise zulässigen) Nutzung,
die Art der Betriebe und Anlagen,
die in den Baugebieten vorgesehenen Ausnahmen,
1 BVerwG, 8.3.2006, 4 BN 56/05; BVerwG, 17.9.2003, 4 C 14.01, DVBl. 2004, 239 ff.
2 So bereits BVerwG, 21.9.1982, 4 B 179/82; vgl auch OVG Lüneburg, 18.2.2009, 1 ME 281/08.
3 So zutreffend VGH München, 23.2.2012, 14 ZB 11.1591, BayVBl 2013, 310 f für den Ausschluss von Spielhallen, Sexshops und Diskotheken im MK.
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Allgemeine Vorschriften für Bauflächen und Baugebiete
n
n
n
n
§ 1 BauNVO
bestimmte Geschosse, Ebenen und sonstige Teile baulicher Anlagen,
bestimmte Arten zulässiger baulicher oder sonstiger Anlagen,
bestimmte vorhandene bauliche oder sonstige Anlagen,
Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen von Anlagen.
Legaldefinitionen der vorgenannten Begriffe enthält die BauNVO leider nicht durchgängig. 9
Strukturell lässt sich aber feststellen, dass
n die „allgemeine Zweckbestimmung“ der Baugebiete jeweils in Abs. 1 der §§ 2 bis 9 dargestellt ist,
n die in den Baugebieten „allgemein“ zulässigen Nutzungen sich aus dem jeweiligen Abs. 2
der §§ 2 bis 9 ergeben,
n für die einzelnen Baugebiete im jeweiligen Abs. 3 der §§ 2 bis 9 diejenigen Nutzungen beschrieben sind, die „ausnahmsweise“ zugelassen werden können.
In Rechtsprechung und Literatur besteht Einigkeit, dass die in der BauNVO verwendeten Be- 10
griffe – unter Berücksichtigung des BauGB als gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage – planungsrechtlich auszulegen sind. Städtebauliche Anknüpfungspunkte für die nach § 1 getroffenen Regelungen müssen daher stets dargelegt werden.
2. Feindifferenzierung bei bauleitplanerischen Darstellungen und Festsetzungen
Regel ist nach § 1 Abs. 4 S. 2, dass die Vorschriften der §§ 2 bis 14 durch Festsetzung von Bau- 11
gebieten Bestandteil von Bebauungsplänen werden. Dies gilt allerdings nur, soweit nicht aufgrund der Absätze 4 bis 10 des § 1 von der Gemeinde etwas anderes bestimmt wird; durch eine
planungsrechtliche Feindifferenzierung kann die Gemeinde also die vorgegebenen Strukturen in
einem ebenfalls vorgezeichneten Umfange modifizieren.
§ 1 enthält in den Absätzen 4 bis 10 „vor die Klammer gezogene“ spezifische Handlungsoptio- 12
nen, von denen die Gemeinde Gebrauch machen kann, wenn sie der Auffassung ist, dass eine
herkömmliche Gebietsfestsetzung mit den Rechtsfolgen nach den §§ 2 ff planerisch nicht sinnvoll ist. In diesem Fall kann die Gemeinde das ihr an die Hand gegebene Grundsystem abwandeln und Prioritäten besser verdeutlichen.
Mit den Handlungsoptionen und Abwandlungsvarianten geht naturgemäß ein Missbrauchsrisi- 13
ko einher. So dürfen Feindifferenzierungen nach § 1 keinesfalls dazu führen, dass der durch die
BauNVO definierte Gebietscharakter verlassen wird, etwa dergestalt, dass in einem Kerngebiet
substanzielle Wohnnutzungen zugelassen werden, obwohl dies nach der Zweckbestimmung in
§ 7 Abs. 1 kein prägendes Merkmal dieses Gebietstyps ist.4 Auch im Übrigen ist sorgfältig zu
prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der individuellen „Abweichungsermächtigung“ gegeben sind und die entsprechende Abwägungsentscheidung der Gemeinde planungsrechtlich hinreichend begründet ist.5
Je mehr die Gemeinde von dem „Standard-Schema“ der BauNVO-Gebietstypen abweicht, des- 14
to mehr wird sich neben dem Aspekt der Wahrung des Gebietscharakters die Frage nach der
Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes stellen. Auch wenn die Absätze 4 bis 10 des § 1 eine
planungsrechtliche Feindifferenzierung erlauben, muss die Gemeinde die genauen Anforderungen präzise erfassen und ihren Regelungswillen unmissverständlich zum Ausdruck bringen.
Im Einzelnen können im Rahmen einer Feindifferenzierung
15
n Baugebiete nach den §§ 4 bis 9 nach der Art der zulässigen Nutzung, der Betriebe und Anlagen gegliedert werden (Abs. 4),
4 Vgl etwa OVG Münster, 18.3.2004, 7 a D 52/03.NE, BauR 2005, 1520.
5 Vgl BVerwG, 27.3.2013, 4 CN 7/11.
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n nach den §§ 2, 4 bis 9 und 13 allgemein zulässige Arten von Nutzungen ausgeschlossen
oder nur ausnahmsweise zugelassen werden (Abs. 5),
n in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 vorgesehene Ausnahmen variiert werden (Abs. 6),
n für Baugebiete nach den §§ 4 bis 9 Festsetzungen für bestimmte Geschosse, Ebenen oder
sonstige Teile baulicher Anlagen getroffen werden (Abs. 7),
n im Zuge der Überplanung überwiegend bebauter Gebiete bestandsschützende Festsetzungen
für vorhandene bauliche und sonstige Anlagen erfolgen (Abs. 10).
16 Abs. 8 stellt klar, das sich die Festsetzungen nach Abs. 4 bis 7 auch auf Teile des Baugebiets
beschränken können. Eine weitere Klarstellung in Abs. 9 dokumentiert, dass Feindifferenzierungen nach Abs. 5 bis 8 sich nicht notwendig auf alle Arten der in den Baugebieten zulässigen
baulichen oder sonstigen Anlagen beziehen müssen, sondern Festsetzungsgegenstand durchaus
nur bestimmte einzelne Nutzungs(unter-)arten sein können.
17 Auf die Sondergebiete nach den §§ 10 und 11 sind die Absätze 4 bis 10 des § 1 nach Abs. 3 S. 3
Hs 1 nicht anwendbar. Besondere Festsetzungen über die Art der Nutzungen können in diesem
Bereich nach den dortigen Spezialregelungen getroffen werden.
3. Historische Entwicklung
18 In der Ursprungsfassung von 1962 hatte § 1 lediglich vier Absätze. Abs. 1 regelte seit jeher die
Darstellung von Wohnbauflächen, gemischten Bauflächen, gewerblichen Bauflächen und Sonderbauflächen in Flächennutzungsplänen; Abs. 2 sah eine „Gliederung“ der Bauflächen in zehn
verschiedene Baugebiete einschließlich des mit der BauNVO-Novelle 1977 abgeschafften Wochenendhausgebietes vor. Darstellung und Gliederung von Bauflächen hatten nach dem Verordnungstext zu erfolgen, „soweit es erforderlich ist“.
19 Abs. 3 entsprach bereits weitgehend dem heutigen Verordnungstext. Abs. 4 war eine Vorläuferregelung zu dem nunmehr geltenden Abs. 6 Nr. 1.
20 Mit der BauNVO 1968 wurde Abs. 2 neu gefasst. Dort ist seither nicht mehr von einer „Gliederung“ von Bauflächen, sondern allgemein von einer Darstellung als Baugebiet die Rede; die –
einschränkende – verbindliche Zuordnung bestimmter Baugebiete zu bestimmten Bauflächen ist
entfallen.6
21 Als weitere Neuregelung kam mit der BauNVO 1968 Abs. 5 hinzu. Diese Vorschrift ging später
in veränderter Gestaltung in Abs. 6 Nr. 2 auf; Ziel war es, der Gemeinde die Möglichkeit zu
geben, die in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 vorgesehenen Ausnahmen in Bebauungsplänen zu modifizieren.
22 Mit der BauNVO 1977 wurden dann die Absätze 4 bis 9 anstelle der vormaligen Absätze 4
und 5 eingefügt und die Verweisungsnorm in Abs. 3 S. 2 angepasst. Unter Abs. 2 Nr. 4 wurde
der Verweis auf das neu eingeführte besondere Wohngebiet (§ 4 a) aufgenommen. Ferner wurde
die Überschrift dahin geändert, dass nunmehr von „allgemeinen Vorschriften für Bauflächen
und Baugebiete“ gesprochen wurde.
23 Im Detail wurden vor allem die Feindifferenzierungsregelungen erheblich präzisiert und erweitert. So regelte Abs. 4 ab 1977 die allgemeinen Vorgaben für die Gliederung von Baugebieten.
Ziel war es dabei insbesondere, die bis dahin auf Gewerbe- und Industriegebiete beschränkten
Gliederungsvorschriften zu vereinheitlichen und auch für andere Gebietstypen zu öffnen.7
24 Abs. 5 sieht – als wohl wichtigste Neuregelung der BauNVO-Novelle 1977 – Festsetzungen
zum Ausschluss allgemein zulässiger Arten von Nutzungen vor. Damit soll der Gemeinde nach
6 Vgl Roeser in: König/Roeser/Stock, BauNVO, § 1 Rn 4.
7 BT-Drucks. 261/77, S. 15 f; vgl zur Rechtslage nach der BauNVO 1968 BVerwG, 30.6.1989, 4 C 16/88, ZfBR
1990, 27.
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§ 1 BauNVO
der Begründung zur Novelle 1977 – unter Wahrung der Zweckbestimmung des Baugebiets und
des Abwägungsgebotes – die Möglichkeit gegeben werden, gerade bei recht vielfältigen Gebietstypen – der Verordnungsgeber nennt beispielhaft das Dorfgebiet – einen engeren Rahmen für
die planungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben abzustecken und städtebauliche Fehlentwicklungen zu vermeiden.8
Abs. 6 vereinigte die Festsetzungsvarianten nach den vormaligen Absätzen 4 und 5 zu aus- 25
nahmsweise zulässigen Nutzungen. Klargestellt werden sollte in diesem Zusammenhang vor allem, dass sich die in Rede stehenden Festsetzungen auf Teile des Gebietes oder auf bestimmte
Ausnahmen beziehen können.9
Abs. 7 ermöglichte ab 1977 zusätzlich die sog. vertikale Gliederung von Baugebieten.10 Gleich- 26
zeitig wurde betont, dass für Regelungen zu einer „Schichtung“ von Baugebieten nach dem damaligen § 2 Abs. 3 Nr. 3 BBauG, später § 2 Abs. 5 Nr. 3 BauGB, heute § 9 a Nr. 3 BauGB kein
Bedürfnis bestehe.11
Der neue Abs. 8 sollte ferner verdeutlichen, dass sich Festsetzungen nach den Absätzen 4 bis 7 27
auf Teile des Gebiets beschränken können.
Abs. 9 sollte, ergänzend zu den Absätzen 5 bis 8, ein flexibles und selektives Vorgehen beim 28
Ausschluss bestimmter Arten der in den Baugebieten allgemein zulässigen oder ausnahmsweise
zulässigen baulichen oder sonstigen Anlagen gewährleisten; nach der Verordnungsbegründung
ist es nicht immer notwendig, alle unter eine bestimmte allgemein oder ausnahmsweise zulässige Nutzungsart fallenden Nutzungen vollständig auszuschließen.12
Mit der BauNVO 1990 wurden unter § 1 vornehmlich redaktionelle Klarstellungen vorgenom- 29
men. Wichtigste Neuregelung war die Einführung der recht komplizierten Bestandsschutzregelung im neuen Abs. 10. Durch sie sollen in überwiegend bebauten Gebieten Festsetzungen zugunsten von Nutzungen getroffen werden können, die nach der vorgesehenen Baugebietsvorschrift nicht zulässig sind; beispielhaft nennt der Verordnungsgeber die erweiterte Zulässigkeit
von nicht gebietstypischen Geschäftshäusern, Verwaltungseinrichtungen und Gewerbebetrieben
im Zusammenhang mit der Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets.13
Unter den Absätzen 1 und 2 wurde durch die geänderte Textfassung in Erinnerung gerufen, 30
dass die BauNVO lediglich mögliche Darstellungen und Bauleitpläne nennt und das „ob“ und
das „wie“ der Planung sich vorrangig nach § 1 BauGB richten. Analoges wurde für Festsetzungen in Bebauungspläne in Abs. 3 S. 1 hervorgehoben.14
Unter Abs. 3 S. 2 knüpfte der Verordnungsgeber an eine Entscheidung des BVerwG15 an und 31
dokumentierte vorsorglich noch einmal die Spezifika von Sondergebieten nach den §§ 10
und 11. Besondere Festsetzungen in derartigen Gebieten unterliegen nicht den Absätzen 4
bis 10 des § 1. Deswegen wurde auch der Verweis auf § 11 in Abs. 4 und Abs. 7 eliminiert.16
Die BauNVO 2013 hat die Differenzierungsregelung des Abs. 5 nunmehr auch auf reine Wohn- 32
gebiete erstreckt. Es handelt sich um eine Folgeänderung zu dem neuen § 3 Abs. 2, der die allgemeine Zulässigkeit von Anlagen zur Kinderbetreuung zur Deckung der Bedürfnisse der Bewohner des Gebiets klarstellt.17
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
BT-Drucks. 261/77, S. 17 ff.
BT-Drucks. 261/77, S. 16.
BT-Drucks. 261/77, S. 20.
Vgl dazu Söfker in: EZKB, BauGB, § 1 BauNVO Rn 29.
BT-Drucks. 261/77, S. 21.
BT-Drucks. 354/89, S. 24 f und 42 f.
BT-Drucks. 354/89, S. 40.
BVerwG, 7.9.1984, 4 N 3.84.
BT-Drucks. 354/89, S. 41 f.
Vgl BT-Drucks. 17/11468; BR-Drucks. 474/12, S. 40 f.
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33 Schließlich ist auch im Zusammenhang mit § 1 darauf hinzuweisen, dass die BauNVO ohne
Planänderung auf alte (Bauleit-)Pläne keine Anwendung findet.18 Übergeleitete Bebauungspläne
nach § 173 Abs. 3 S. 1 BBauG können allerdings auch ohne Festsetzung von Baugebieten Gegenstand von Festsetzungen nach den Absätzen 4 ff sein.19
III. Darstellung von Bauflächen im Flächennutzungsplan (Abs. 1)
34 Abs. 1 bezieht sich allein auf Darstellungen in Flächennutzungsplänen. Dazu gehören auch
sachliche Teilflächennutzungspläne nach § 5 Abs. 2 b BauGB (vgl 3. Teil, Bauleitplanung,
Rn 38 f). Auf Bebauungspläne ist die Regelung nicht anwendbar.
35 Nach Abs. 1 können die für die Bebauung vorgesehenen Flächen nach der allgemeinen Art ihrer
baulichen Nutzung (= Bauflächen) dargestellt werden. Möglich sind Darstellungen als
n
n
n
n
Wohnbauflächen (W),
gemischte Bauflächen (M),
gewerbliche Bauflächen (G) und
Sonderbauflächen (S).
36 Andere Darstellungen von Bauflächen sind nach der BauNVO nicht zulässig. Zwar legt § 5
Abs. 2 BauGB mit dem darin enthaltenen nicht abschließenden Katalog von Darstellungsvarianten („insbesondere“) auf den ersten Blick die Annahme eines erweiterten Gestaltungsspielraums nahe; die BauNVO definiert den Begriff der „Bauflächen“ aber im Sinne eines „Typenzwanges“ ohne Öffnung für alternative Formulierungen.20
37 Bauflächen sind städtebaulich zusammenhängende Areale. Eine Straße oder topografische Besonderheiten heben den städtebaulichen Zusammenhang nicht unbedingt auf, erforderlich ist
jeweils eine Einzelfallbetrachtung, wie sie auch bei der Abgrenzung des Geltungsbereiches von
Bebauungsplänen nach § 9 Abs. 7 BauGB anzustellen ist. Ein Flächennutzungsplan kann auch
mehrere Wohnbauflächen oder gewerbliche Bauflächen ausweisen.
38 Abs. 1 ist nicht zu entnehmen, dass die Gemeinde im Flächennutzungsplan stets Bauflächen
darstellen muss. Die Inhalte und Darstellungen des Flächennutzungsplans sind vielmehr nach
Maßgabe der §§ 1 ff BauGB zu prüfen und abzuwägen. Die Prüfung und Abwägung kann, je
nach den Umständen, dazu führen, dass eine Darstellung von Baugebieten nach Abs. 2 gegenüber Bauflächen vorzugswürdig erscheint.21
39 Bauflächen- und Baugebietsdarstellungen können im Flächennutzungsplan miteinander kombiniert werden.
40 Ein kompletter Verzicht auf jegliche Bauflächen- und Baugebietsdarstellungen in Flächennutzungsplänen dürfte dagegen kaum jemals in Betracht kommen.
41 Über die konkrete Anordnung von Bauflächen besagt Abs. 1 nichts. Die Strukturierung der
Darstellungen vollzieht sich nach den Vorschriften des BauGB, in erster Linie anhand des planungsrechtlichen Abwägungsgebotes. Diesbezüglich ist die BauNVO „neutral“, die Gemeinde
hat demnach ein städtebaulich schlüssiges Konzept zu entwickeln und dieses mithilfe des ihr
zur Verfügung gestellten Instrumentariums umzusetzen.
18 BVerwG, 6.10.1967, IV C 96.65.
19 BVerwG, 15.8.1991, 4 N 1/89, NVwZ 1992, 879 für § 1 Abs. 9.
20 So auch Söfker in: EZBK, BauGB, § 1 BauNVO Rn 34 a; Roeser in: König/Roeser/Stock, BauNVO, § 1 Rn 13,
allerdings unter Verweis auf die nicht unmittelbar einschlägige Rechtsprechung zum Nichtbestehen eines – auf
Bebauungspläne bezogenen – “Festsetzungsfindungsrecht“ der Gemeinde.
21 Söfker in: EZBK, BauGB, § 1 BauNVO Rn 35 b.
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§ 1 BauNVO
Bei der Darstellung von Sonderbauflächen ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine 42
individuelle Zweckbestimmung anzugeben, um dem Bestimmtheitserfordernis Rechnung zu tragen.22
Abgrenzungsfragen können sich ergeben, wenn Darstellungen von Bauflächen sich mit Darstel- 43
lungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 ff BauGB überschneiden, etwa weil innerhalb von gemischten Bauflächen Flächen für Versorgungsanlagen dargestellt werden sollen. Oberste Regel ist hier, dass
der Anwendungsbereich der BauNVO begrenzt ist; überdies muss die Gemeinde die einzelnen
Nutzungen zeichnerisch und textlich so beschreiben, dass eine eindeutige Unterscheidung der
jeweiligen rechtlichen Verhältnisse möglich ist. Eine sog. Doppeldarstellung wird im Ergebnis
nur in Betracht kommen, wenn die in Rede stehende Nutzung im Bereich der konkreten Baufläche zulässig ist.23
IV. Darstellung von Baugebieten (Abs. 2)
Von den Bauflächenarten nach Abs. 1 zu unterscheiden sind die Baugebiete nach Abs. 2. Zwar 44
besteht seit der BauNVO 1968 keine zwingende Verknüpfung dergestalt, dass etwa im Bereich
gemischter Bauflächen keine Wohngebiete ausgewiesen werden dürfen; dennoch signalisieren
die in Abs. 1 wie in Abs. 2 verwendeten Buchstabenkürzel „W“, „M“, „G“ und „S“ unverändert, dass der Regelfall in einer Ableitung der Gebietstypen aus den korrespondierenden Bauflächenarten bestehen wird.24
Soweit Baugebiete nach Abs. 2 „dargestellt“ werden können, belegt dies, dass die Regelung sich 45
ausschließlich auf den Flächennutzungsplan bezieht. Festsetzungen von Baugebieten in Bebauungsplänen sind dagegen nach Abs. 3 S. 1 zu treffen.
Nach der besonderen Art ihrer baulichen Nutzung können Wohnbauflächen spezifiziert werden 46
als
n
n
n
n
Kleinsiedlungsgebiete (WS),
reine Wohngebiete (WR),
allgemeine Wohngebiete (WA),
besondere Wohngebiete (WB).
Gemischte Bauflächen können nach Abs. 2 dargestellt werden als
47
n Dorfgebiete (MD),
n Mischgebiete (MI),
n Kerngebiete (MK).
Gewerbliche Bauflächen können nach Abs. 2 dargestellt werden als
48
n Gewerbegebiete (GE),
n Industriegebiete (GI).
Schließlich können nach Abs. 2 Sonderbauflächen als Sondergebiete (SO) ausgewiesen werden.
49
Nach dem Verordnungstext hat der Katalog der Baugebiete – wie die Aufzählung der Bauflä- 50
chen in Abs. 1 – abschließenden Charakter. Andere Arten von Baugebieten darf die Gemeinde
im Flächennutzungsplan daher nicht darstellen.25
Eine Verpflichtung zur Ausweisung von Baugebieten besteht nicht. Die Gemeinde kann es also 51
bei der Darstellung von Bauflächen belassen und die Konkretisierung einer nachfolgenden Bebauungsplanung vorbehalten. Nach § 5 Abs. 1 BauGB soll der Flächennutzungsplan die beabsichtigte städtebauliche Entwicklung und Ordnung nur in ihren Grundzügen beschreiben; die
22
23
24
25
BVerwG, 18.2.1994, 4 C 4.92, BVerwGE 95, 123, 125, Sonderbaufläche großflächiger Einzelhandel.
Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn 39 f.
So wohl auch Söfker in: EZBK, BauGB, § 1 BauNVO Rn 35 a.
Söfker in: EZBK, BauGB, § 1 BauNVO Rn 34 a.
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Gemeinde kann daher erforderlichenfalls auch jenseits des § 1 Abs. 1 und Abs. 2 geeignete Instrumente entwickeln, um ihre städtebaulichen Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen.
52 Zu beachten ist dabei allerdings, dass verbindliche Bebauungspläne nach § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB
aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln sind. Es muss also eine nachvollziehbare Ableitung des jeweiligen Bebauungsplaninhaltes aus dem Flächennutzungsplan möglich sein. Soweit
die in § 1 Abs. 2 aufgeführten Baugebiete nach § 1 Abs. 3 S. 1 im Bebauungsplan verbindlich
festgesetzt werden, gilt als Richtschnur die vom Verordnungsgeber zugrunde gelegte Kategorisierung der Bauflächen und Baugebiete. Danach setzt etwa die Festsetzung eines allgemeinen
Wohngebietes in einem Bebauungsplan regelmäßig die Darstellung der in Rede stehenden Flächen als Wohnbauflächen als Wohnbauflächen zum Flächennutzungsplan voraus. Eine Kerngebietsfestsetzung erfordert gemeinhin eine Darstellung als gemischte Baufläche im Flächennutzungsplan.
53 Verlässt die Gemeinde das vom Verordnungsgeber festgelegte Schema, ist im Einzelfall zu prüfen, ob den Umständen des Entwicklungsgebotes nach § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB noch hinreichend
Rechnung getragen ist. So kann etwa die Entwicklung eines Mischgebietes städtebaulich noch
vertretbar sein, wenn im Flächennutzungsplan Wohnbauflächen dargestellt sind; die Grenze
dürfte aber überschritten sein, wenn etwa ein reines Wohngebiet festgesetzt werden soll und der
Flächennutzungsplan gewerbliche Bauflächen ausweist.
54 Ist die beabsichtigte Baugebietsfestsetzung mit den Darstellungen im Flächennutzungsplan nicht
kompatibel, muss im Zuge eines entsprechenden Planungsvorhabens neben der Aufstellung des
Bebauungsplanes auch der Flächennutzungsplan geändert werden. § 8 Abs. 2 S. 2 BauGB und
§ 8 Abs. 3 BauGB enthalten hier spezifische Regelungen; sichergestellt werden soll so, dass Flächennutzungs- und Bebauungsplanung durchgängig in einem städtebaulich schlüssigen Verhältnis zueinander stehen (vgl 3. Teil, Bauleitplanung, Rn 152 ff).
55 Baugebiete müssen – wie Bauflächen – städtebaulich zusammenhängende Areale sein. Mindestgrößen von Baugebieten sind nicht vorgeschrieben, diese können sich daher durchaus auch auf
ein einzelnes Grundstück im zivilrechtlichen Sinne oder Teile davon beziehen, wenn eine entsprechende städtebauliche Begründung existiert.26
56 Schließlich besagt Abs. 2 nichts darüber, wie Baugebiete anzuordnen sind. Die in diesem Kontext zu prüfenden Fragen des Immissionsschutzes und der Bewältigung anderer Konflikte sind
im BauGB geregelt. Ergänzend ist auf den Trennungsgrundsatz nach § 50 BImSchG hinzuweisen.
V. Festsetzung von Baugebieten in Bebauungsplänen (Abs. 3)
57 Abs. 3 regelt Baugebietsfestsetzungen in Bebauungsplänen. Es kann sich dabei um einfache oder
qualifizierte Bebauungspläne handeln (3. Teil, Bauleitplanung, Rn 41 ff), weiter um Bebauungspläne der Innenentwicklung nach § 13 a BauGB (3. Teil, Bauleitplanung, Rn 62 ff); die Festsetzungsermächtigungen unter § 9 Abs. 2 a und 2 b ermöglichen hingegen keine Baugebietsregelungen (3. Teil, Bauleitplanung, Rn 68 ff). Auf Flächennutzungspläne findet Abs. 3 ebenfalls keine
Anwendung
1. Baugebietsfestsetzung (Abs. 3 S. 1)
58 Nach Abs. 3 S. 1 können im Bebauungsplan die in Abs. 2 bezeichneten Baugebiete festgesetzt
werden. Abs. 3 S. 1 ermächtigt die Gemeinde nicht zur Darstellung oder Festsetzung von Bauflächen im Sinne von Abs. 1 in Bebauungsplänen.
26 BVerwG, 23.6.1992, 4 B 55.92, NVwZ-RR 1993, 456; BVerwG, 16.8.1993, 4 NB 29.93, ZfBR 1994, 101.
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§ 1 BauNVO
In Bezug auf den Bebauungsplan ist ferner allgemein anerkannt, dass die Gemeinde kein „Fest- 59
setzungsfindungsrecht“ hat. Sie darf ausschließlich auf die vom Verordnungsgeber definierten
Gebietstypen nach den §§ 2 bis 11 zurückgreifen und keine neuen Gebiete kreieren. „Passt“ der
in Betracht kommende Gebietstyp nicht unmittelbar, wird die Gemeinde daher eine Feindifferenzierung nach Abs. 4 bis 10 oder die Festsetzung eines Sondergebietes nach den §§ 10 und 11
erwägen müssen; daneben kann von Interesse sein, dass beim vorhabenbezogenen Bebauungsplan nach § 12 BauGB keine strenge Bindung an die BauNVO besteht und deswegen größere
Handlungsspielräume vorhanden sind.
Bei Änderung übergeleiteter Bebauungspläne muss der Katalog der Gebietstypen nach Abs. 2 60
ebenfalls beachtet werden. Deklaratorische Gebietsbezeichnungen zur Beschreibung von Arealen, in denen Einschränkungen nach Abs. 9 gelten sollen, können aber verwendet werden.27
Abs. 3 S. 1 stellt die Gebietsfestsetzung in das planerische Ermessen der Gemeinde. Es besteht 61
keine Verpflichtung, in jedem Bebauungsplan Baugebiete festzusetzen. Ebenso wenig ist in der
BauNVO festgelegt, wo welche Baugebiete zu platzieren sind Welche Festsetzungen ein Bebauungsplan insoweit enthalten kann, ergibt sich aus § 9 BauGB; die Anforderungen an das Planungsverfahren sind den §§ 1 ff BauGB zu entnehmen.
Materiell gilt insbesondere das bereits erwähnte Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB 62
(oben Rn 52 ff). Danach wird in der Praxis regelmäßig zu prüfen sein, ob die mit einem Bebauungsplan festgesetzten Baugebiete plausibel aus vorangegangenen Darstellungen des Flächennutzungsplans abgeleitet sind. Ist dies nicht der Fall, muss mit der Aufstellung des Bebauungsplans auch der Flächennutzungsplan geändert werden.
Für den Begriff des „Baugebietes“ gilt im Übrigen das zu Abs. 2 Gesagte analog. Es muss ein 63
städtebaulicher Zusammenhang gegeben sein, andernfalls sind mehrere voneinander getrennte
Baugebiete auszuweisen. In der Praxis werden diese Baugebiete vielfach mit Ziffern spezifiziert,
etwa „GE 1, GE 2 und WA“.
Die Grenzen des Baugebietes müssen im Bebauungsplan eindeutig gekennzeichnet sein. Dazu 64
bedarf es regelmäßig einer präzisen Zeichnung. Auf die nachfolgenden Ausführungen zur
PlanZV wird Bezug genommen (vgl 2. Teil, PlanZV, Anlage zur PlanZV, Rn 4 ff).
Bei der Festsetzung von Sondergebieten ist auch im Zuge der Bebauungsplanung durch die Ge- 65
meinde eine individuelle Zweckbestimmung vorzunehmen. Andernfalls wird es an der notwendigen Bestimmtheit der Planung fehlen.28
2. §§ 2 bis 14 als Bestandteil des Bebauungsplans (Abs. 3 S. 2 Hs 1)
Durch die Festsetzung des jeweiligen Baugebietes werden die Vorschriften der §§ 2 bis 14 Be- 66
standteil des Bebauungsplanes, soweit nicht aufgrund der Absätze 4 bis 10 des § 1 etwas anderes bestimmt wird (Abs. 3 S. 2). Dies betrifft insbesondere
n die Zweckbestimmung des Baugebietes,
n die im Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen und
n die im Baugebiet nur ausnahmsweise zulässigen Nutzungen.
Durch die Festsetzung per Bebauungsplan werden die Baugebietsvorschriften der BauNVO als 67
planungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für spätere bauaufsichtliche Prüfungen fixiert. Die im
festgesetzten Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen sind bei gesicherter Erschließung genehmigungsfähig, die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen sind nach § 31 Abs. 1 BauGB zu
beurteilen.
27 BVerwG, 15.8.1991, 4 N 1/89, ZfBR 1992, 87.
28 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn 73.
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68 § 15 gilt bei der bauaufsichtlichen Prüfung ergänzend zu den Baugebietsfestsetzungen, so dass
eine Erwähnung in § 1 Abs. 3 nicht erforderlich war. Auch die übrigen BauNVO-Vorschriften
zum Maß der baulichen Nutzung (§§ 16 bis 21), zur Bauweise (§ 22) und zu den überbaubaren
Grundstücksflächen (§ 23) sind – selbstverständlich – zu beachten, wenn zu prüfen ist, inwieweit die Gemeinde von der eingeräumten Festsetzungsermächtigung Gebrauch gemacht hat und
welche Rechtsfolgen sich ergeben.29
69 Indirekt folgt aus Abs. 3 ferner, das bei Änderung von Bebauungsplänen die jeweils aktuelle
BauNVO-Fassung Bestandteil des geänderten Plans wird. In welchem Umfang die Gemeinde
auf neues Recht „umstellen“ will, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln.30
3. Feindifferenzierung über Abs. 4 bis 10 (Abs. 3 S. 2 Hs 2)
70 Will die Gemeinde das nach den §§ 2 bis 9 und 12 bis 14 vorgegebene System modifizieren,
kann und muss sie nach § 1 Abs. 4 bis Abs. 10 abweichende Bestimmungen treffen. In diesem
Zusammenhang wird von einer planungsrechtlichen Feindifferenzierung gesprochen.
71 Hintergrund der Regelungen unter Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 bis 10 ist, dass das idealtypische
BauNVO-System – naturgemäß – nicht allen Planungssituationen gerecht werden kann. Die
Gemeinde soll deswegen einerseits verpflichtet sein, das vorgegebene System zu beachten, sie
soll andererseits aber Variationen im Detail vornehmen können.
72 Alle Feindifferenzierungen nach den Absätzen 4 bis 10 müssen aus städtebaulichen Gründen
erfolgen. Dies ergibt sich bereits aus § 9 Abs. 1 BauGB.31 Rein wirtschaftlich oder ökologisch
motivierte Regelungen können nach den Absätzen 4 bis 10 nicht getroffen werden.
73 Analog zu § 1 BauGB darf die Gemeinde aber „Städtebaupolitik“ betreiben.32 Dazu gehören etwa der planungsrechtliche Denkmal- und Umweltschutz sowie eine übergreifende Lenkung des
ruhenden und des fließenden Verkehrs, auch wenn in diesen Bereichen spezielle Vorschriften
und Fachbehörden existieren.33
74 Es liegt auf der Hand, dass die Grenzen planungsrechtlicher Feindifferenzierung gerade bei atypischen Festsetzungen überschritten sein können. Da die Gemeinde kein „Festsetzungsfindungsrecht“ hat, sind die Ausnahmeregelungen unter Abs. 4 bis 10 restriktiv auszulegen.
75 Wird die individuell herangezogene Ermächtigungsgrundlage verkannt, ist zunächst zu prüfen,
ob die Festsetzung im Wege der Auslegung aufrechterhalten werden kann. Dies kann etwa
dann der Fall sein, wenn die Gemeinde sich auf Abs. 6 des § 1 bezogen hat, obwohl Abs. 5 als
Rechtsgrundlage für eine Festsetzung eingreift und die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind.34
76 Die Reichweite eines eventuellen Nutzungsausschlusses ist ebenfalls durch Auslegung zu ermitteln. Fraglich ist dabei jeweils, ob und in welchem Umfange die Gemeinde, etwa durch
Ausschluss einzelner Nutzungen, andere Nutzungen gezielt „schützen“ wollte. Fehlen entsprechende Anhaltspunkte, kann dies bedeuten, dass die Festsetzungen allein im öffentlichen Interesse getroffen worden sind und mithin keine subjektiven Rechte für Nachbarn daraus abzuleiten sind.35
29
30
31
32
33
Zutreffend Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, § 1 BauNVO Rn 7 f.
Vgl VGH München, 23.12.1998, 26 N 98.1675, BauR 1999, 873.
Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, § 1 BauNVO Rn 3.
Dazu bereits BVerwG, 14.8.1995, 4 NB 21.95.
Vgl BVerwG, 26.1.2010, 4 B 43.09, BauR 2010, 871; BVerwG, 28.1.1999, 4 CN 5.98, BVerwGE 108, 248;
BVerwG, 22.4.1997, 4 BN 1.97.
34 Vgl etwa BVerwG, 14.12.1995, 4 N 2/95, BauR 1996, 358.
35 Vgl OVG Lüneburg, 18.2.2009, 1 ME 281/09 für einen teilweisen Ausschluß von Vergnügungsstätten wegen
Trading-down-Effekts; siehe ferner VGH München, 23.2.2012, 14 ZB 11.1591; VGH München, 17.10.2002,
15 CS 02.2068, BayVBl. 2002, 307; OVG Koblenz, 14.1.2000, 1 A 11751/99, BauR 2000, 527.
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§ 1 BauNVO
Auch Kombinationen von Festsetzungen nach den Absätzen 4 bis 10 sind grundsätzlich mög- 77
lich.36 So knüpft Abs. 9 ohnehin ausdrücklich an die Absätze 5 bis 8 an. Die übrigen Differenzierungsinstrumente können ebenfalls – bei Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes – nebeneinander eingesetzt werden.
Ist die Festsetzung auch im Wege der Auslegung nicht zu begründen, führt dies zu einer Fehler- 78
haftigkeit des Bebauungsplanes. Welche Rechtsfolgen sich aus der Fehlerhaftigkeit ergeben, ist
anhand der §§ 212 ff BauGB zu ermitteln. Gerade bei Festsetzungsmängeln in Anwendung der
BauNVO kann ein ergänzendes Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB in Betracht kommen, um
Fehler, die nicht den Kern der bauleitplanerischen Abwägung berühren, zu korrigieren.37
Soweit eine Fehlerbehebung im ergänzenden Verfahren ausscheidet, ist fraglich, ob aufgrund 79
des Fehlers lediglich eine Teil- oder eine Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans eintritt.
Entscheidend ist hier, ob das gemeindliche Regelungskonzept auch ohne die fehlerhafte Bestimmung sinnvoll umgesetzt werden kann und dies dem (hypothetisch zu ermittelnden) gemeindlichen Willen entspricht.38 Die diesbezüglich in der obergerichtlichen Rechtsprechung zugrunde
gelegten Maßstäbe sind allerdings sehr unterschiedlich: Während von einigen Gerichten Bebauungspläne trotz erheblicher Fehler bei der Feindifferenzierung – zumeist mit recht lakonischer
Begründung – teilweise aufrechterhalten werden,39 wird von anderer Seite – vielfach ebenfalls
ohne detaillierte Auseinandersetzung mit der Sach- und Rechtslage – als Regel in solchen Fällen
offenbar die Gesamtunwirksamkeit der Planung angenommen.40 Der zuletzt genannten Auffassung dürfte allein deswegen beizupflichten sein, weil es nicht Sache der Normenkontrollinstanzen sein kann, tatsächlich oder mutmaßlich tragfähige „Ersatzplanungen“ zu erfinden; vielmehr
kann und sollte die Gemeinde nach der gerichtlichen Unwirksamerklärung in dem gesetzlich
vorgeschriebenen Verfahren erneut in eine Sachverhaltsermittlung und Abwägung eintreten, um
sodann zu entscheiden, ob und mit welchem Inhalt eine neue fehlerfreie Planung aufzustellen
ist.
Eine Feindifferenzierung nach Abs. 4 bis 10 ist von der Gemeinde zeichnerisch und textlich 80
sorgfältig aufzubereiten. Die Planzeichnung muss das Gewollte erkennen lassen. Die textlichen
Festsetzungen müssen auf die relevanten Normen bezogen und zweifelsfrei formuliert werden.
Die Bebauungsplanbegründung hat die einzelnen Feindifferenzierungen nach Abs. 4 bis 10 auf- 81
zugreifen und – ohne Widerspruch zu zeichnerischen oder textlichen Festsetzungen – nachvollziehbar zu erläutern. Die städtebaulichen Erwägungen der Gemeinde müssen transparent sein;
fehlt es an einer ordnungsgemäßen Begründung, muss dies zwar nicht sogleich zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen, eine Vermutung spricht jedoch für das Vorliegen eines Abwägungsfehlers.
Ein einzelnes konkretes Vorhaben darf die Gemeinde über die Absätze 4 bis 9 des § 1 nicht pla- 82
nen.41 Dies bleibt Regelungen nach Absatz 10 und vorhabenbezogenen Bebauungsplänen nach
§ 12 BauGB vorbehalten.
36 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn 2.
37 Vgl Battis in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 214 Rn 25 unter Verweis auf BT-Drucks. 13/6392, S. 74.
38 Vgl BVerwG, 23.4.2009, 4 CN 5.07, BVerwGE 133, 377; Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO,
§ 30 BauGB Rn 103 ff mwN.
39 Vgl etwa VGH München, 30.7.2013, 1 N 11.821; OVG Berlin-Brandenburg, 21.3.2013, 10 A 1.10.
40 So zuletzt etwa VGH Mannheim, 5.7.2013, 8 S 1784/11, unter Verweis auf BVerwG, 24.4.2013, 4 BN 22.13;
wohl auch OVG Münster, 24.4.2013, 7 D 24/12.NE, BauR 2013, 1073 ff.
41 So bereits BVerwG, 6.5.1993, 4 NB 32/92, BauR 1993, 693; BVerwG, 22.5.1987, 4 C 77.84, BVerwGE 77,
317.
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4. Besondere Festsetzungen über die Art der Nutzung in Sondergebieten (Abs. 3 S. 3)
83 Bei Festsetzung von Sondergebieten findet die Vorschrift über besondere Festsetzungen nach
den Absätzen 4 bis 10 des § 1 nach Abs. 3 S. 3 Hs keine Anwendung; besondere Festsetzungen
über die Art der Nutzung können nach den §§ 10 und 11 getroffen werden.
84 Mit dieser klarstellenden, im Zuge der BauNVO-Novelle 1990 eingeführten Regelung soll die
Atypik von Sondergebietsfestsetzungen aufgegriffen werden.42 Bei solchen Festsetzungen erweist sich das in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 übliche Schema Zweckbestimmung – allgemein zulässige Nutzungsarten – ausnahmsweise unzulässige Nutzungsarten als nicht sachgerecht. Es obliegt daher der Gemeinde, die diesbezüglich gewünschten und gebotenen Regelungen im Bebauungsplan präzise zu definieren.
85 Für die Zulässigkeit von Sondergebietsfestsetzungen ist es unerheblich, welche Differenzierungsmöglichkeiten die Gemeinde bei den herkömmlichen Gebietstypen über die Absätze 4
bis 10 des § 1 hat. Hier kommt es auf die abstrakten Zweckbestimmungen der Gebiete an.43
86 Probleme werden bei besonderen Festsetzungen über die Art der Nutzung in Sondergebieten
nicht entstehen, wenn und soweit eine der Art nach konkrete Nutzungsstruktur beabsichtigt ist,
so etwa bei Sondergebietsfestsetzungen für den großflächigen Einzelhandel. Geht es aber um
unterschiedliche Nutzungsarten, bauliche und sonstige Anlagen, ist sorgfältig zu prüfen, inwieweit es – analog zu den §§ 2 bis 9 – einer spezifischen Zweckbestimmung bedarf und die allgemein und/oder ausnahmsweise zulässigen Vorhaben von der Gemeinde genau zu beschreiben
sind.
87 Abs. 3 S. 3 ist kein Einfallstor für diffuse städtebauliche Bestimmungen.44 Ist das von der Gemeinde formell und materiell Gewollte im Bebauungsplan nicht angemessen definiert, kann
auch dies einen Rechtsfehler des Bebauungsplans begründen. Es handelt sich in diesem Fall um
einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, der, insbesondere nach § 11 Abs. 2, – selbstverständlich – auch für Sondergebietsfestsetzungen gilt.45
88 Eine analoge Anwendung von Feindifferenzierungsinstrumenten nach den Absätzen 4 bis 10 in
Sondergebieten scheidet nach der hier vertretenen Auffassung mangels planwidriger Regelungslücke aus.46 Dies schließt allerdings nicht aus, insbesondere Erwägungen zur Bestimmtheit von
Festsetzungen nach den Absätzen 4 bis 10 auf Sondergebiete zu übertragen. Im Ergebnis wird
die rechtliche Beurteilung der Sondergebietsfestsetzungen sich dann nicht unbedingt von „herkömmlichen“ Feindifferenzierungen unterscheiden müssen; bei der Auslegung ist aber zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber der Gemeinde ausweislich des Abs. 3 S. 3 in Sondergebieten einen weiteren Regelungsspielraum eingeräumt hat, der nicht durch faktische Gleichbehandlung mit Festsetzungen nach den Absätzen 4 bis 10 nivelliert werden darf.
VI. Gliederung von Baugebieten (Abs. 4)
89 Abs. 4 regelt die sog. horizontale Gliederung von Baugebieten. Demgegenüber hat die Gemeinde die Möglichkeit einer vertikalen Gliederung über Abs. 7.
90 Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal von Abs. 4 ist die Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des (gegliederten) Baugebietes. Auch wenn dieses Merkmal in Abs. 4, anders als in
den Absätzen 5, 6, 7 und 10 des § 1 nicht ausdrücklich erwähnt wird, weisen Rechtsprechung
42 BVerwG, 7.9.1984, 4 N 3/84, BauR 1985, 173.
43 BVerwG, 7.7.1997, 4 BN 11/97, BauR 1997, 972.
44 Vgl BVerwG, 3.4.2008, 4 CN 3/07, BVerwGE 131, 86 für baugebietsbezogene, vorhabenunabhängige Verkaufsflächenobergrenzen; vgl auch OVG Münster, 8.7.2009, 3 S 1432/07.
45 BVerwG, 9.2.2011, 4 BN 43.10; VGH München, 26.3.2013, 15 ZB 12.2674; OVG Koblenz, 1.6.2011, 8 A
10399/11, BauR 2011, 1624 für Sortimentsbeschränkungen nach § 11 Abs. 2 S. 1.
46 AA etwa VGH München, 11.4.2011, 9 N 10.373, 9 N 10.1124 und 9 N 10.2478 für die Festsetzung immissionswirksamer flächenbezogener Schallleistungspegel nach § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2.
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§ 1 BauNVO
und Literatur zutreffend darauf hin, dass das Baugebiet den ihm zugewiesenen Charakter durch
die planerische Feindifferenzierung nicht verlieren darf.47
Eine unvertretbare Beeinträchtigung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebietes dürfte 91
dann gegeben sein, wenn gebietsfremde Nutzungen im Zuge einer Gliederung in erheblichem
Umfange zugelassen oder das vom Verordnungsgeber bei den einzelnen Gebietstypen vorausgesetzte Mischungsverhältnis der Nutzungen aus dem Gleichgewicht gebracht wird.48 Dabei
hängt es von den Umständen Einzelfalls ab, wie sich das Baugebiet in seiner Gesamtheit darstellt und wie Teile des Baugebiets zu beurteilen sind; auch wenn die Gemeinde punktuelle Prioritäten setzen kann, darf etwa ein Mischgebiet weder ganz noch teilweise rein gewerblich oder
auf Wohnnutzungen ausgerichtet werden. Ein Industriegebiet darf ebenso wenig durch Festsetzung der Umweltstandards eines Gewerbegebiets und allgemeine Zulassung von Betriebswohnungen „zweckentfremdet“ werden.49
Durchgreifende Bedenken gegen eine horizontale Gliederung nach Abs. 4 können sich auch er- 92
geben, wenn komplexe Bestandssituationen neu überplant werden sollen. In derartigen Fällen
ist genau zu prüfen, ob die Entwicklungsmöglichkeiten aller bestehenden Nutzungen angemessen berücksichtigt sind; gegebenenfalls sind Festsetzungen nach Abs. 10 in Betracht zu ziehen.50
1. Gliederungsfähige Baugebiete (Abs. 4 S. 1 Hs 1)
Für die in den §§ 4 bis 9 bezeichneten Baugebiete können im Bebauungsplan nach Abs. 4 S. 1 93
besondere Festsetzungen über eine Gliederung getroffen werden. Nach seinem klaren Wortlaut
gilt Abs. 4 S. 1 nicht für Kleinsiedlungsgebiete (§ 2) und reine Wohngebiete (§ 3). In Sondergebieten nach den §§ 10 und 11 ist § 1 Abs. 4 von vornherein nicht anwendbar (Abs. 3 S. 3).
Die Vorschriften über
94
n Stellplätze und Garagen (§ 12),
n Gebäude und Räume für freie Berufe (§ 13) und
n Nebenanlagen (§ 14)
sind einer horizontalen Gliederung ebenfalls nicht zugänglich.
§ 15 gilt ergänzend zu den Baugebietsvorschriften und war deswegen unter Abs. 4 nicht zu erwähnen.
Festsetzungen nach Abs. 4 müssen sich auf das jeweilige Baugebiet beziehen. Sie dürfen sich 95
mithin nicht auf mehrere Baugebiete erstrecken, und zwar unabhängig davon, ob die Baugebiete mit dem selben Bebauungsplan festgesetzt werden sollen oder Gegenstand unterschiedlicher
Bebauungspläne sind.
Das Baugebiet muss als solches festgesetzt sein. Dies setzt einen entsprechenden verbindlichen 96
Bebauungsplan voraus. Ein bloßes faktisches Baugebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB reicht
nicht aus.51
Die Festsetzungen nach Abs. 4 S. 1 können das jeweilige Baugebiet gliedern nach
97
n der Art der zulässigen Nutzung (Abs. 4 S. 1 Nr. 1) und
n der Art der Betriebe und Anlagen und deren besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften
(Abs. 4 S. 1 Nr. 2).
47 Vgl bereits BVerwG, 22.12.1989, 4 NB 32/89, BauR 1990, 186; zum Schutz vorhandener Nutzungen OVG
Koblenz, 7.12.2011, 1 C 11407/10.
48 Vgl zu dem dann in Betracht kommenden (einklagbaren) Gebietserhaltungsanspruch BVerwG, 18.12.2007, 4
B 55/07, BauR 2008, 793; BVerwG, 22.12.1989, 4 NB 32.89, Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 8; OVG
Münster, 17.6.2009, 8 B 1864/08, BauR 2009, 1560.
49 VGH München, 11.7.2008, 22 A 07.40058, NVwZ-RR 2009, 11.
50 Vgl OVG Koblenz, 1.12.2011, 1 C 11407/10.
51 BVerwG, 23.4.2009, 4 CN 5/07, BVerwGE 133, 377.
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2. Gliederung nach der Art der zulässigen Nutzung (Abs. 4 S. 1 Nr. 1)
98 Zunächst ist die Gliederung nach der Art der zulässigen Nutzung möglich (Abs. 4 S. 1 Nr. 1).
Hier geht es nicht um vorhandene, sondern um (allgemein oder ausnahmsweise) zulässige Nutzungen.
99 Mit der „Nutzung“ im Sinne von Abs. 4 ist nicht die andernorts in der BauNVO angesprochene „bauliche Nutzung“ gemeint. Welche Nutzungen in den jeweiligen Baugebieten zulässig
sind, ergibt sich vielmehr aus den Abs. 2 und 3 der §§ 4 bis 9. Dabei kommen als Anknüpfungspunkte für eine Gliederung alle einzelnen und sämtliche Nummern der in den jeweiligen
Absätzen genannten Nutzungen in Frage. Für das allgemeine Wohngebiet sind dies beispielsweise
n nach § 4 Abs. 2 Wohngebäude, die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schankund Speisewirtschaften sowie nicht störenden Handwerksbetriebe, Anlagen für kirchliche,
kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke sowie
n nach § 4 Abs. 3 Betriebe des Beherbergungsgewerbes, sonstige nicht störende Gewerbebetriebe, Anlagen für Verwaltungen, Gartenbaubetriebe und Tankstellen.
100 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 verwendet den Begriff der „Nutzung“ als Oberbegriff für
n die unter Abs. 4 S. 1 Nr. 2 behandelten „Betriebe und Anlagen“,
n die „bestimmten Arten von Nutzungen“ nach Abs. 5,
n die „baulichen und sonstigen Anlagen“ nach Abs. 7 und 9.52
101 Welche nutzungsbezogene Gliederung die Gemeinde – unter Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets – wählt, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen.53 Eine
Schaffung von „Reservaten“ für einzelne Nutzungen ist zumindest dann unzulässig, wenn der
Gebietscharakter dadurch partiell außer Kraft gesetzt wird. Nach Abs. 5 ist vorzugehen, wenn
zulässige Nutzungen in dem Baugebiet ausgeschlossen werden sollen; „Gliederung“ im Sinne
von Abs. 4 bedeutet, dass alle in dem Baugebiet zulässigen Nutzungen im Rahmen eines abgestuften Systems ihren Platz behalten.54
102 Allgemein anerkannt ist, dass die Festsetzungsmöglichkeiten nach Abs. 4 S. 1 Nr. 1 und 2 unabhängig voneinander sind und von der Gemeinde auch nebeneinander eingesetzt werden dürfen.55
3. Gliederung nach der Art der Betriebe und Anlagen und deren besonderen Bedürfnissen und
Eigenschaften (Abs. 4 S. 1 Nr. 2)
103 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 ermöglicht eine Gliederung nach der Art der Betriebe und Anlagen und deren
besonderen Bedürfnisse und Eigenschaften. Vorrangiges Ziel ist die Vermeidung von Nutzungskonflikten, etwa aufgrund von Immissionen. So verursachen Handwerks-, Gewerbe- und Industriebetriebe vielfach Lärm und Luftverunreinigungen; andere in diesem Baugebiet zulässige
Nutzungen haben dies zu respektieren, können aber ihrerseits ein gebietsadäquates Schutzniveau beanspruchen.
104 Der Begriff „Betriebe“ ist funktional auszulegen. Darunter wird in der Rechtsprechung die organisatorische Zusammenfassung von Betriebsanlagen und Betriebsmitteln zu einem bestimmten Betriebszweck verstanden.56 Freiberufliche Tätigkeiten sollen dagegen nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung nicht unter den Betriebsbegriff fallen.57
52 Siehe zur Parallelformulierung unter § 9 a Nr. 2 BauGB (vormals § 2 Abs. 5 Nr. 2 BauGB) Roeser in: König/
Roeser/Stock, BauNVO, § 1 Rn 55.
53 Beispiel: Gliederung nach „Haupt- und Nebengebäuden“, VGH München, 8.2.2013, 15 NE 12.2464.
54 Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, § 1 BauNVO Rn 28.
55 Roeser in: König/Roeser/Stock, BauNVO, § 1 Rn 50.
56 BVerwG, 27.11.1987, 4 B 230 und 231/87, BRS 47 Nr. 36.
57 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn 80.1.
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§ 1 BauNVO
„Anlagen“ im Sinne von Abs. 4 S. 1 Nr. 2 können etwa Einzelhandelsbetriebe, Schank- und 105
Speisewirtschaften oder Teile solcher Betriebe sein.58
Mit den „besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften“ von Betrieben und Anlagen sind insbe- 106
sondere Erschließungsanforderungen und Umweltauswirkungen angesprochen. Für emittierende Betriebe kann insoweit auf Vorschriften über Abstände und andere Umweltstandards abgestellt werden.59 Typisches Beispiel für eine Festsetzung nach Abs. 4 S. 1 Nr. 2 ist der sog. flächenbezogene Schallleistungspegel, also die Festsetzung eines Emissionsgrenzwertes;60 eine modifizierte Variante ist der von der Rechtsprechung ebenfalls als zulässig erachtete immissionswirksame flächenbezogene Schallleistungspegel.61 Letzterer zielt darauf ab, einer bestimmten
Fläche über eine Schallausbreitungsberechnung eine definierte Schallleistung zuzuordnen.
Unzulässig sind dagegen reine Immissionsgrenzwerte oder sog. Zaunwerte als Summenpegel. 107
Gleiches gilt für Emissionskontingente für komplette Baugebiete.62 Solche Gestaltungen sind
einer Präzisierung in einem der Planung nachgelagerten Genehmigungsverfahren nicht zugänglich und zudem praktisch nicht kontrollierbar.63
Generell sollte sich die Gemeinde im Zuge der Bebauungsplan nicht als Umweltbehörde gerie- 108
ren. Es bedarf stets einer städtebaulichen, den Gebietscharakter wahrenden Begründung, um
Gliederungen nach Abs. 4 S. 1 Nr. 2 zu legitimieren.64 Außerdem müssen die in Bezug genommenen Flächen und Messverfahren hinreichend bestimmt bezeichnet werden.65 Der pauschale
Verweis auf nicht näher spezifizierte, der Öffentlichkeit möglicherweise nicht ohne Weiteres zugängliche DIN-Vorschriften genügt insoweit nicht.66
4. Festsetzungen für mehrere Gewerbe- und Industriegebiete einer Gemeinde (Abs. 4 S. 2)
Nach Abs. 4 S. 2 können die Festsetzungen nach Abs. 4 S. 1 auch für mehrere Gewerbe- und In- 109
dustriegebiete einer Gemeinde im Verhältnis zueinander getroffen werden. Damit soll eine baugebietsübergreifende horizontale Gliederung der Gemeinde ermöglicht werden; Abs. 4 S. 1 erlaubt eine Gliederung dagegen nur innerhalb eines (!) festgesetzten Baugebiets.
Gewerbe- und Industriegebiete verursachen naturgemäß nicht selten Immissionskonflikte. 110
Weist eine Gemeinde mehrere Gewerbe- und Industriegebiete aus, können sich Belastungen
summieren und Unverträglichkeiten auch zwischen den einzelnen Gebieten entstehen. Deswegen soll die Gemeinde durch Abs. 4 S. 2 erweiterte Gliederungsoptionen erhalten.
Die Gliederungsoptionen beschränken sich auf das Verhältnis von Gewerbegebieten und Indus- 111
triegebieten untereinander. Eine kombinierende Gliederung nach beiden Gebietstypen ist in der
BauNVO nicht vorgesehen.
58 Vgl BVerwG, 22.5.1987, 4 N 4.86, BVerwGE 77, 308.
59 Zu sog. Abstandserlassen und zur Staffelung von emittierenden Anlagen nach Abstandsklassen OVG Münster, 17.6.2009, 8 B 1864/08, BauR 2009, 1560.
60 BVerwG, 7.3.1997, 4 NB 38.96, NVwZ-RR 1997, 522; zur VDI 45691 Fischer/Tegeder, BauR 2007, 323.
61 Vgl BVerwG, 27.1.1998, 4 NB 3.97, BauR 1998, 744; BVerwG, 12.6.2008, 4 BN 8/08, BauR 2008, 689; vgl
zur Situation in Sondergebieten BVerwG, 20.5.2003, 4 BN 57/02, BauR 2003, 1688; BVerwG, 28.2.2002, 4
CN 5.01, NVwZ 2002, 1114.
62 OVG Koblenz, 2.5.11, 8 C 11261/10, NVwZ-RR 2011, 858.
63 BVerwG, 16.12.1999, 4 CN 7/98, BVerwGE 110, 193; BVerwG, 10.8.1993, 4 NB 2.93, NVwZ-RR 1994,
138; OVG Münster, 3.2.2011, 2 A 1416/09, BauR 2011, 1631; OVG Münster, 15.10.1992, 7 a D 80/91 NE,
UPR 1993, 152.
64 Zur Beschränkung des Störgrades von Betrieben im GE auf Misch- bzw Dorfgebietsverträglichkeit BVerwG,
8.11.2004, 4 BN 39.04, NVwZ 2005, 324 ff; VGH Mannheim, 5.6.2012, 3 S 724/11.
65 VGH München, 14.7.2009, 1 N 07.2977, BauR 2010, 54; zur Anwendung der DIN 18005 Teil 1 VGH München, 15.5.2009, 1 NE 08.366; OVG Berlin-Brandenburg, 10.12.2008, 2 A 7.08 und 2 A 9.08.
66 VGH München, 11.4.2011, 9 N 10.2478 für die DIN-ISO 9613-2; vgl auch zu den rechtsstaatlichen Publizitätsanforderungen BVerwG, 29.7.2010, 4 BN 21.10.
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112 Die Gliederung hat anlässlich der Aufstellung eines Bebauungsplans zu erfolgen. Die Festsetzungen der anderen betroffenen Baugebiete müssen damit korrespondieren; es muss eine wechselseitige Bezugnahme der Planungen erkennbar sein.67 Faktische Baugebiete haben entgegen
einer teilweise vertretenen Auffassung außer Betracht zu bleiben.68
113 Abs. 4 S. 2 legt eine „Verteilung“ unterschiedlich emittierender Betrieb und Anlagen auf die
Baugebiete nahe.69 Dazu gehört naturgemäß, dass alle in den Gewerbe- und Industriegebieten
zulässigen Nutzungen bei einer Gesamtschau der aufeinander bezogenen Gebietsfestsetzungen
in der Gemeinde ihren Platz haben. In jedem Falle wird es umfangreicher Immissionsuntersuchungen bedürfen, um das für die Festsetzungen notwendige gemeindeübergreifende Tatsachenmaterial zu beschaffen; da eine gemeindeübergreifende Betrachtung typischerweise komplex ist,
dürfte der Anwendungsbereich von Abs. 4 S. 2 auf substanziell gewerblich oder industriell geprägte Kommunen beschränkt bleiben.
114 Nach Auffassung des BVerwG können auch Gewerbe- und Industriegebiete, die der BauNVO
1962/1968 unterliegen, entsprechend Abs. 4 S. 2 untereinander gegliedert werden.70 Diese Auffassung erscheint zweifelhaft, weil die Rechtsgrundlage für die Feindifferenzierung im Zeitpunkt der maßgeblichen Planungen noch nicht existierte; wie dargelegt, ist Abs. 4 in seiner heutigen Fassung erst mit der BauNVO 1977 eingeführt worden.
5. Verhältnis zwischen Abs. 4 und Abs. 5 (Abs. 4 S. 3)
115 Abs. 4 S. 3 stellt klar, dass Abs. 5 unberührt bleibt. Soweit die Gemeinde eine horizontale Differenzierung vornimmt, ist sie demnach außerdem berechtigt, bestimmte Arten von Nutzungen,
die nach den §§ 4 bis 9 allgemein zulässig sind, im Bebauungsplan als nicht zulässig oder nur
ausnahmsweise zulässig festzusetzen.71
116 Eine Kombination von Festsetzungen nach Abs. 4 und 5 ist städtebaulich im Einzelnen zu begründen. Auch dies wird in der Regel nur auf Basis fundierter Immissionsuntersuchungen
machbar sein.
VII. Ausschluss und Beschränkung bestimmter Arten von Nutzungen (Abs. 5)
117 Nach dem mit der Novelle 1977 eingeführten Abs. 5 kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass bestimmte Arten von Nutzungen, die nach den §§ 2 bis 9 und 13 allgemein zulässig
sind, nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebietes gewahrt bleibt. Unterschieden werden also zwei Festsetzungsvarianten:
n Zum einen kann festgesetzt werden, dass nach der BauNVO allgemein zulässige Nutzungsarten nicht zulässig sind;
n zum anderen kann festgesetzt werden, dass nach der BauNVO allgemein zulässige Nutzungsarten nur ausnahmsweise zugelassen werden können.
118 In beiden Varianten bedarf es – wie bei allen Feindifferenzierungsinstrumenten des § 1 – einer
städtebaulichen Begründung der Gemeinde. Eine solche Begründung kann sich – etwa beim
Ausschluss von Einzelhandelsbetrieben in einem Mischgebiet – aus der von der Gemeinde ge-
67 BVerwG, 23.4.2009, 4 CN 5.07, BVerwGE 133, 377; OVG Koblenz, 8.6.2011, 1 C 11199/10; OVG
Koblenz, 2.5.2011, 8 C 11261/10, NVwZ-RR 2011, 858.
68 Anders Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, § 1 BauNVO Rn 34 unter Verweis auf VGH München, 16.7.1991, 20 N 91.557, BRS 52 Nr. 10.
69 OVG Münster, 13.10.2011, 2 D 119/09.NE.
70 BVerwG, 30.6.1989, 4 C 16.88, BRS 49 Nr. 30.
71 Roeser in: König/Roeser/Stock, BauNVO, § 1 Rn 63.
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wünschten Stärkung von Zentren durch Konzentration des Einzelhandels ergeben.72 Ein weiteres Argument kann die Stärkung des produzierenden Gewerbes in einem Gewerbegebiet durch
Ausschluss potenziell konfligierender Nutzungen sein. 73Der bloße Hinweis, dass Nutzungen
„unerwünscht“ sind, genügt dagegen als städtebauliche Begründung nicht; dies gilt insbesondere dann, wenn die Gemeinde keine erkennbare positive Perspektive verfolgt, um ausgeschlossenen Nutzungen an anderer Stelle eine Ansiedelung zu ermöglichen. Ein solches Vorgehen würden den Wertungen der BauNVO zuwider laufen; auch wenn einzelne Nutzungsarten wie Vergnügungsstätten, Gewerbe- und Einzelhandelsbetriebe sich gelegentlich auf breiter Linie erheblichen Widerständen ausgesetzt sehen, darf die Gemeinde diesbezüglich keine generelle „Boykottpolitik“ betreiben.
Andererseits ist nicht zu fordern, dass (drohende) Beeinträchtigungen einzelner Nutzungen von 119
der Gemeinde konkret nachzuweisen sind. Entsprechend den Anforderungen an die Erforderlichkeit der Bauleitplanung nach § 1 Abs. 3 BauGB genügt es vielmehr, wenn die städtebauliche
Begründung nachvollziehbar und plausibel dargelegt ist; eine „Unentbehrlichkeit“ oder eine
zwingende Notwendigkeit der Festsetzungen muss nicht gegeben sein.74 Dies gilt auch bei Bebauungsplänen, die ausschließlich Festsetzungen nach § 9 Abs. 2 a BauGB enthalten.75
Durch den Verweis auf Abs. 5 in Abs. 4 S. 3 ist dokumentiert, dass Baugebietsgliederungen mit 120
Ausschlüssen allgemein zulässiger Nutzungen kombiniert werden können.
Nach Abs. 8 können die Ausschlüsse sodann auf Teile eines Baugebiets beschränkt werden.
121
Über Abs. 9 kann die Gemeinde eine noch weitergehende Spezifizierung betreiben: aus besonde- 122
ren städtebaulichen Gründen können die Festsetzungen auch so gestaltet werden, dass sie sich
ausschließlich auf bestimmte Arten der in den Baugebieten zulässigen baulichen und sonstigen
Anlagen beschränken. Von diesem Instrument wird im Kontext mit Abs. 5 häufig Gebrauch gemacht; so können etwa Kinos als Unterfall von Vergnügungsstätten im Kerngebiet ausgeschlossen werden, wenn dies städtebaulich geboten erscheint. Festsetzungstechnisch spielt es dabei
keine Rolle, ob die Gemeinde die auszuschließenden Nutzungen oder Nutzungsarten in Form
eines Positivkatalogs benennt oder diejenigen Nutzungen oder Nutzungsarten bezeichnet, die
zulässig sein sollen.76
1. Nach den §§ 2 bis 9 und 13 allgemein zulässige Arten von Nutzungen
Abs. 5 bezieht sich auf nach den §§ 2 bis 9 und 13 allgemein zulässige Nutzungsarten. Es han- 123
delt sich also – analog zu Abs. 4 – um alle einzelnen in den jeweiligen Absätze 2 der §§ 2 bis 9
beschriebenen Nutzungen.77 Soll insoweit eine noch feinere Untergliederung stattfinden, muss
auf Abs. 9 zurückgegriffen werden; eines Rückgriffs auf Abs. 9 bedarf es indessen nicht, wenn
etwa in einem Mischgebiet Einzelhandelsbetriebe ausgeschlossen und diese Festsetzung durch
„Rückausnahmen“ teilweise wieder zurückgenommen wird.78
Die ausnahmsweise zulässigen Nutzungen nach den Absätzen 3 der §§ 2 bis 9 sind kein taugli- 124
cher Gegenstand von Festsetzungen nach Abs. 5.
72 BVerwG, 26.3.2009, 4 C 21/07, BVerwGE 133, 310; zur EU-Rechtskonformität BVerwG, 30.5.2013, 4 B
3/13, NVwZ 2013, 1085.
73 BVerwG, 1.7.2013, 4 BN 11/13; BVerwG, 11.5.1999, 4 BN 15.99; vgl auch BVerwG, 25.4.2002, 4 BN
20/02.
74 Vgl bereits BVerwG, 29.7.1991, 4 B 80/91, BauR 1991, 713; vgl auch OVG Münster, 29.12013, 2 D 102.11
NE.
75 BVerwG, 6.8.2013, 4 BN 8 und 9/13; BVerwG, 15.5.2013, 4 BN 1.13.
76 BVerwG, 18.2.2009, 4 B 54/08, BauR 2009, 1102 für Einzelhandelsbetriebe mit innenstadtrelevantem Sortiment.
77 Vgl bereits BVerwG, 22.5.1987, 4 N 4/86, BVerwGE 77, 308.
78 BVerwG, 26.3.2009, 4 C 21/07, BVerwGE 133, 310.
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125 § 13 enthält mit Blick auf Gebäude und Räume für freie Berufe lediglich ergänzende Klarstellungen. Aus der Einbeziehung des § 13 in § 1 Abs. 5 ergibt sich, dass solche Gebäude und Räume, soweit sie in Baugebieten allgemein zulässig sind, Gegenstand von Ausschlüssen oder nur
ausnahmsweise zugelassen werden können.
126 In Sondergebieten sind die Absätze 4 bis 10 des § 1 von vornherein nicht einschlägig (Abs. 3
S. 3).
127 Auch auf Stellplätzen und Garagen nach § 12 ist § 1 Abs. 5 nicht anwendbar. Hier können Differenzierungen nach § 12 Abs. 2 bis 6 vorgenommen werden.
128 Auf Nebenanlagen nach § 14 wirkt sich die Regelung nicht aus. Insoweit eröffnet § 14 Abs. 1
S. 3 Differenzierungsmöglichkeiten.
2. Ausschluss von Nutzungen (Abs. 5 Var. 1)
129 Die Gemeinde kann allgemein zulässige Nutzungen nach Abs. 5 Var. 1 durch Festsetzung im
Bebauungsplan für unzulässig erklären. Sie muss die in Rede stehenden Nutzungen dann konkret bestimmen.
130 Das Bestimmungsrecht wird durch textliche Bezeichnung der Nutzungsart ausgeübt.
131 Der Ausschluss bewirkt, dass der planungsrechtliche Prüfungsmaßstab sich gegenüber der herkömmlichen Gebietsfestsetzung ändert. Die eigentlich allgemein zulässigen Nutzungen sind
nunmehr unzulässig.
3. Nur ausnahmsweise Zulassung von Nutzungen (Abs. 5 Var. 2)
132 Var. 2 des Abs. 5 ist, dass die Gemeinde allgemein zulässige Nutzungsarten durch Festsetzung
im Bebauungsplan als nur ausnahmsweise zulässig qualifiziert.
133 Auch in diesem Fall muss die in Rede stehende Nutzung durch textliche Bezeichnung eindeutig
definiert werden.
134 Rechtsfolge ist, dass der planungsrechtliche Prüfungsmaßstab sich jetzt nach § 31 Abs. 1
BauGB richtet. Es besteht ein Ermessen, ob die Ausnahme erteilt wird. Insofern kann es der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebieten, bei der Bebauungsplanaufstellung die Var. 2 des
Abs. 5 als milderes Mittel gegenüber einem kategorischen Ausschluss der Nutzungsart nach der
Var. 1 des Abs. 5 in Betracht zu ziehen.79
4. Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets
135 Voraussetzung für Festsetzungen nach Abs. 5 ist stets, dass die allgemeine Zweckbestimmung
des Baugebiets gewahrt bleibt. Die allgemeine Zweckbestimmung wird durch die jeweiligen Absätze 1 der §§ 2 bis 9 definiert.
136 Die Beachtung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets ist bei allen Differenzierungsvarianten des § 1 – unabhängig von ihrer expliziten Erwähnung im Verordnungstext –
zentrales Tatbestandsmerkmal.80
137 „Gewahrt“ bleibt die allgemeine Zweckbestimmung, wenn und soweit die für den jeweiligen
Gebietstyp prägenden und damit unverzichtbaren Nutzungsarten hinreichend repräsentiert
sind.81 So hält die Rechtsprechung einen Ausschluss von Vergnügungsstätten im Kerngebiet für
zulässig.82 Auch soll es zulässig sein, in einem Gewerbegebiet nach § 8 verarbeitendes und produzierendes Gewerbe auszuschließen, so dass dort im Ergebnis nur Geschäfts-, Büro- und Ver79
80
81
82
80
So auch Roeser in: König/Roeser/Stock, BauNVO, § 1 Rn 68.
Vgl etwa BVerwG, 6.5.1996, 4 NB 16/96.
BVerwG, 15.4.1987, 4 B 71/87, NVwZ 1987, 970 für das sog. „eingeschränkte“ Gewerbegebiet.
BVerwG, 22.5.1987, 4 N 4.86, BVerwGE 77, 308, 311.
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§ 1 BauNVO
waltungsgebäude zulässig sind.83 Demgegenüber wäre etwa ein genereller Ausschluss von
Wohngebäuden und/oder Wohnungen in Mischgebieten mit § 6 Abs. 1 nicht vereinbar;84 es ist
aber eine Frage des Einzelfalls, durch welche Festsetzungen die Zweckbestimmung des Baugebietes unvertretbar beeinträchtigt wird und der Gebietscharakter – möglicherweise in Richtung
eines anderen BauNVO-Gebietstyps – „umkippt“.85
Nicht gewahrt ist die Zweckbestimmung des Baugebiets, wenn aus einem allgemeinen Wohnge- 138
biet durch einen Ausschluss aller Nicht-Wohnnutzungen ein reines Wohngebiet wird.86 Umgekehrt scheidet ein Ausschluss aller Wohnnutzungen in einem allgemeinen Wohngebiet gleichermaßen aus.87
VIII. Abweichende Festsetzungen zu Ausnahmen (Abs. 6)
Nach Abs. 6 kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass alle oder einzelne Ausnahmen, 139
die in dem Baugebiet nach den §§ 2 bis 9 vorgesehen sind,
n nicht Bestandteil des Bebauungsplans werden oder
n in dem Baugebiet allgemein zulässig sind, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt.
Die Festsetzungen können sich nach Abs. 8 auf Teile des Baugebiets beschränken.
140
Wie bei allen Feindifferenzierungsinstrumenten des § 1 sind von der Gemeinde auch im Rah- 141
men von Abs. 6 städtebauliche Gründe darzulegen. Dies gilt gleichermaßen, wenn Ausnahmen
nicht Bestandteil eines Bebauungsplans werden sollen, wie dann, wenn Ausnahmen als allgemein zulässig festgesetzt werden.
1. In den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 vorgesehene Ausnahmen
Abs. 6 bezieht sich allein auf die Baugebiete nach den §§ 2 bis 9.
142
In Sondergebieten nach den §§ 10 und 11 findet § 1 Abs. 6 keine Anwendung (Abs. 3 S. 3).
143
Auch die Vorschriften über Stellplätze und Garagen, Räume und Gebäude für freie Berufe so- 144
wie Nebenanlagen (§§ 12 bis 14) sind nach zutreffender Auffassung als „Annexregelungen“ zu
den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 Festsetzungen nach § 1 Abs. 6 grundsätzlich zugänglich,
soweit sie „Ausnahmen“ enthalten und keine speziellen Normen existieren. Die §§ 12 und 13
enthalten indessen keine Ausnahmen; § 14 Abs. 1 S. 3 ermächtigt die Gemeinde zudem, individuell für die in § 14 Abs. 1 S. 1 erwähnten untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen
sowie Kleintierhaltungsanlagen nach § 14 Abs. 1 S. 2 einschränkende oder ausschließende Bestimmungen zu treffen.
Soweit § 14 Abs. 2 S. 1 die ausnahmsweise Zulassung von der Versorgung der Baugebiete mit 145
Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser sowie zur Ableitung von Abwasser dienenden Nebenanlagen ermöglicht, ist streitig, ob derartige Anlagen nach Abs. 6 ausgeschlossen oder für allgemein
zulässig erklärt werden können; dies betrifft auch die fernmeldetechnischen Nebenanlagen und
die Anlagen für erneuerbare Energien nach § 14 Abs. 2 S. 2.88 Nach zutreffender Auffassung
dürfte jedenfalls ein städtebaulich gerechtfertigter baugebietsbezogener Ausschluss solcher An-
83 BVerwG, 8.11.2004, 4 BN 39/04, BauR 2005, 513.
84 VGH München, 16.10.2009, 2 N 08.1463.
85 Für den Ausschluß einzelner störender land- und forstwirtschaftlicher Betriebe in Teilbereichen eines Dorfgebiets VGH Mannheim, 7.5.2008, 3 S 2602/08, VBlBW 2009, 143; Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/
BauNVO, § 1 BauNVO Rn 23 unter Verweis auf VGH München, 3.8.2000, 1 B 98.3122, BauR 2001, 208;
VGH München, 12.9.2000, 1 B 98.3122.
86 BVerwG, 8.2.1999, 4 BN 1/99, BauR 1999, 1435.
87 Vgl Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, § 1 BauNVO Rn 19 mwN.
88 Vgl Roeser in: König/Roeser/Stock, BauNVO, § 1 Rn 73.
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lagen zulässig sein;89 die Festsetzung einer allgemeinen Zulässigkeit der Anlagen wird dagegen
kaum jemals in Betracht kommen.
146 Die in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 vorgesehenen Ausnahmen ergeben sich im Übrigen
aus den jeweiligen Absätzen 3 der einschlägigen Vorschrift. Über Abs. 9 kann, wie im Bereich
des Abs. 5, eine erweiterte Feindifferenzierung dahin erfolgen, dass nur Unterarten der in der
BauNVO ausdrücklich genannten ausnahmsweise zulässigen Nutzungsarten kein Bestandteil
des Bebauungsplans werden oder allgemein zulässig sind.
2. Festsetzungen zu allen oder einzelnen Ausnahmen
147 Abs. 6 bezieht sich ausdrücklich auf alle oder einzelne in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9
vorgesehene Ausnahmen. Mithin kann die Gemeinde die Baugebiete hinsichtlich ausnahmsweise zulässiger Vorhaben in toto modifizieren oder lediglich punktuelle Veränderungen vornehmen.90
148 Es liegt auf der Hand, dass Festsetzungen zu allen Ausnahmen tendenziell problematisch sind
und den Gebietscharakter erheblich beeinflussen können. Die Gemeinde muss ihre Regelungsmotive in diesem Kontext daher besonders präzise beschreiben.
3. Ausnahmen kein Bestandteil des Bebauungsplans (Abs. 6 Nr. 1)
149 Abs. 6 Nr. 1 regelt eine Ausnahme von Abs. 3 S. 2. Durch eine entsprechende Festsetzung der
Gemeinde wird bewirkt, dass die in Bezug genommenen Ausnahmen nicht Bestandteil des Bebauungsplans werden. Rechtsfolge ist, dass die entsprechenden Nutzungsarten nicht im Wege
der Ausnahme zugelassen werden können.
150 Ob eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht kommt, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Da die BauNVO-Systematik die Zulässigkeit von Vorhaben sehr detailliert
beschreibt, dürfte eine Festsetzung nach Abs. 6 Nr. 1 nicht nur die Gewährung einer Ausnahme,
sondern regelmäßig auch die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 3 BauGB ausschließen.
4. Ausnahmen in dem Baugebiet allgemein zulässig (Abs. 6 Nr. 2)
151 Nach Abs. 6 Nr. 2 kann die Gemeinde festsetzen, dass nach den §§ 2 bis 9 vorgesehenen Ausnahmen in dem Baugebiet allgemein zulässig sind. Dies ermöglicht einen erweiterten Nutzungsmix. Gerade bei denjenigen Baugebieten, die eine Vielzahl von vorgezeichneten Ausnahmen
kennen, geht damit indessen das Risiko einer Beeinträchtigung der allgemeinen Zweckbestimmung einher.91
5. Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets
152 Voraussetzung für eine Festsetzung nach Abs. 6 Nr. 2 ist – analog zu Abs. 5 –, dass die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt. Insbesondere bei Festsetzungen, die
alle nach den §§ 2 bis 9 vorgesehenen Ausnahmen betreffen, kann dies zweifelhaft sein. So
kann etwa über Abs. 6 Nr. 2 nicht die allgemeine Zulässigkeit von im Kerngebiet nach § 7
Abs. 3 Nr. 2 ausnahmsweise zulässigen Wohnungen festgesetzt werden, weil dies mit der
Zweckbestimmung des Kerngebietes nach § 7 Abs. 1 nicht vereinbar ist.92 Als weiteres Beispiel
wird in der Literatur die Festsetzung aller Ausnahmen des § 3 Abs. 3 als allgemein zulässig genannt, weil dadurch das reine Wohngebiet zum allgemeinen Wohngebiet werde.93
89 Vgl VGH München, 23.11.2010, 1 BV 10.1332 für Mobilfunkanlagen.
90 Vgl etwa OVG Schleswig, 24.7.2008, 1 MB 11/08, NordÖR 2008, 495 zur Festsetzung der allgemeinen Zulässigkeit kleiner Beherbergungsbetriebe nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 in einem reinen Wohngebiet.
91 Vgl für Spielhallen im Gewerbegebiet VGH Mannheim, 12.7.2011, 3 S 698/11.
92 Vgl OVG Münster, 13.12.1993, 11 a D 24/92 NE, UPR 1994, 276.
93 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn 108.
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§ 1 BauNVO
Ob die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets (noch) gewahrt ist, muss anhand der Um- 153
stände des Einzelfalls festgestellt werden. Je geringer die Zahl und der Umfang der als allgemein
zulässig erklärten Ausnahmen sind, umso weniger wahrscheinlich dürfte ein unerwünschtes
„Umkippen“ des Gebietscharakters sein.
Bei Regelungen, die nur Teile eines Baugebiets betreffen, ist die Wahrung der Zweckbestim- 154
mung in einer Gesamtschau des Gebiets und nicht durch eine „Binnenbetrachtung“ der jeweiligen Teile festzustellen.94 Auch eine Würdigung von Teilen des Baugebiets kann Bedenken hervorrufen, wenn und soweit dort die Zweckbestimmung des Gesamtgebiets nicht mehr prägend
ist.
Im Bereich von Abs. 6 Nr. 1 ist die Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Bauge- 155
biets ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Soweit Ausnahmen ausgeschlossen werden, wird
dies die Zweckbestimmung des Baugebiets indessen regelmäßig nicht in Frage stellen können;
die allgemein zulässigen Nutzungen werden dadurch nicht berührt.95
IX. Vertikale Gliederung (Abs. 7)
Abs. 7 regelt die vertikale Gliederung von Baugebieten. Die Vorschrift ist vor dem Hintergrund 156
von § 9 Abs. 3 S. 2 BauGB zu sehen.96 Danach können Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB
auch „für übereinanderliegende Geschosse und Ebenen und sonstige Teile baulicher Anlagen
gesondert getroffen werden; dies gilt auch, soweit Geschosse, Ebenen und sonstige Teile baulicher Anlagen unterhalb der Geländeoberfläche vorgesehen sind.“
Abs. 7 unterscheidet drei Festsetzungsvarianten. Nach der Vorschrift kann festgesetzt werden, 157
dass in bestimmten Geschossen, Ebenen oder sonstigen Teilen baulicher Anlagen
n nur einzelne oder mehrere der in dem Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen zulässig
sind (Nr. 1 – Variante 1),
n einzelne oder mehrere der in dem Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen unzulässig sind
oder als Ausnahmen zugelassen werden können (Nr. 2 – Variante 2) oder
n alle oder einzelne Ausnahmen, die in dem Baugebiet nach den §§ 4 bis 9 vorgesehen sind,
nicht zulässig oder, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebietes gewahrt
bleibt, allgemein zulässig sind (Nr. 3 – Variante 3).
Mit Abs. 7 korrespondieren die speziellen Gliederungsvorschriften des § 4 a Abs. 4 Nr. 1 (vgl 158
§ 4 a Rn 104 ff) und des § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 (vgl § 7 Rn 143 ff). Hier geht es um die Stärkung
von Wohnnutzungen in besonderen Wohngebieten und Kerngebieten.
Die einzelnen Festsetzungsvarianten des Abs. 7 können für eines oder mehrere Geschosse oder 159
unterschiedliche Ebenen oder sonstige Teile baulicher Anlagen nebeneinander oder ergänzend
angewendet werden.
Auch kann die vertikale Gliederung nach Abs. 8 auf Teile des Baugebiets beschränkt werden.
160
Ferner kann Abs. 7 in Verbindung mit Abs. 9 genutzt werden, um lediglich bestimmte Arten 161
baulicher oder sonstiger Anlagen und nicht die gesamten Nutzungsarten den in Rede stehenden
Festsetzungen zu unterwerfen.
Abs. 7 wird trotz der vielfältigen Anwendungsvarianten in der Praxis relativ geringe Bedeutung 162
beigemessen.97 Gerade die Vielzahl der Anwendungsvarianten und die daraus naturgemäß re-
94 VGH Mannheim, 12.7.2011, 3 S 698/11.
95 VGH Kassel, 12.5.2011, 4 C 308/10, 4 C 308/10.N, IBR 2011, 611 für Gemeinbedarfsanlagen und Vergnügungsstätten im Gewerbegebiet; Roeser in: König/Roeser/Stock, BauNVO, § 1 Rn 75.
96 Dazu Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rn 104 ff.
97 Vgl den aktuellen Bericht DiFU, Novellierungsbedarf bei der BauNVO, S. 14 f.
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sultierenden Begründungsanforderungen dürften es indessen sein, die manche Kommune vor
einer vertikalen Differenzierung zurückschrecken lassen.
1. Bebauungspläne für Baugebiete nach den §§ 4 bis 9
163 Abs. 7 bezieht sich auf die Baugebiete nach den §§ 4 bis 9.
164 Kleinsiedlungsgebiete nach § 2 und reine Wohngebiete nach § 3 sind von der Vorschrift nicht
erfasst.
165 Auch in Sondergebieten nach den §§ 10 und 11 ist eine vertikale Gliederung nicht ausdrücklich
vorgesehen (Abs. 3 S. 3), bei Wahrung der Bestimmtheitsanforderungen im Zuge der planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde aber andererseits nicht ausgeschlossen.98
166 Die Vorschriften über Stellplätze und Garagen sind einer Gliederung ebenfalls nicht zugänglich.
Im Bereich von § 12 gehen die speziellen Regelungen unter den dortigen Absätzen 4 und 5 § 1
Abs. 7 vor.
167 Im Bereich von § 13 können Räume und Gebäude für freie Berufe Gegenstand einer Gliederung
nach § 1 Abs. 7 sein, soweit diese in dem jeweiligen Baugebiet nach den §§ 4 bis 9 zulässig sind.
168 Bei Nebenanlagen im Sinne von § 14 stellt sich die Frage nach einer vertikalen Gliederung
nicht.
2. Rechtfertigung durch besondere städtebauliche Gründe
169 Die vertikale Gliederung ist an die einschränkende Voraussetzung besonderer städtebaulicher
Gründe geknüpft. Die in Bezug genommene Vorschrift unter § 9 Abs. 3 BauGB existiert allerdings nicht mehr in ihrer vormaligen Form.
170 Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss
n einerseits deutlich sein, warum eine Feindifferenzierung erfolgt,
n andererseits belegt werden, warum gerade die vertikale Gliederung als Differenzierungsinstrument gewählt wird.
171 Als ausreichend ist die Begründung angesehen worden, in einem Misch- und Kerngebiet durch
Festsetzung einer ausschließlichen Wohnnutzung oberhalb eines bestimmten Geschosses eine
vorhandene Mischstruktur zu erhalten und dem Veröden des betreffenden Stadtteils entgegenzuwirken;99 der bloße Verweis auf die gewünschte Bereitstellung stadtnahen Wohnraums soll
hingegen nicht genügen.100
3. Bestimmte Geschosse, Ebenen oder sonstige Teile baulicher Anlagen
172 Die Festsetzungen nach § 1 Abs. 7 können sich auf bestimmte Geschosse, Ebenen oder sonstigen Teilen baulicher Anlagen beziehen.
173 Soweit es um „Geschosse“ geht, muss es sich nicht notwendig um Vollgeschosse handeln. In
Betracht kommen vielmehr etwa auch Keller- und Dachgeschosse. Hinsichtlich des Geschossbegriffes sind – mangels bundeseinheitlicher Definitionen – bauordnungsrechtliche Regelungen, je
nach den lokalen Gegebenheiten, entsprechend anzuwenden.
174 Gleiches gilt für „Ebenen“. Dabei handelt es sich um vertikal abgrenzbare Teile baulicher Anlagen, die nicht dem Geschossbegriff unterfallen.
175 Der Begriff der „sonstigen Teile baulicher Anlagen“ ist nicht klar abgegrenzt. Prozentuale Anteile an Gebäudeflächen genügen dafür nicht, wie sich im Umkehrschluss aus den Spezialrege98 AA offenbar Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 9 Rn 106.
99 Vgl bereits BVerwG, 22.5.1987, 4 C 77.84, BVerwGE 77, 317, 320.
100 BVerwG, 4.6.1991, 4 NB 35.89, BVerwGE 88, 268, 275 f.
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§ 1 BauNVO
lungen unter § 4 a Abs. 4 Nr. 2 und § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 ergibt;101 entscheidend sind das „Übereinanderliegen“ der Flächen und ihre genaue Beschreibung.
„Bestimmt“ werden die Geschosse, Ebenen oder sonstigen Teile baulicher Anlagen von der Ge- 176
meinde. Diese muss präzise bezeichnen, auf welche Bereiche sich die Festsetzung erstrecken soll.
4. Festsetzung der Zulässigkeit nur einzelner oder mehrerer der in dem Baugebiet allgemein
zulässiger Nutzungen (Abs. 7 Nr. 1)
Variante 1 bezieht sich auf die in dem Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen. Um welche 177
Nutzungen es sich handeln kann, ist den jeweiligen Abs. 2 der §§ 4 bis 9 zu entnehmen. Über
Abs. 9 ist eine erweiterte Differenzierung dahin möglich, dass lediglich bestimmte (Unter-)Arten
von Nutzungen zulässig sind.
Abweichend von der Regelsystematik der §§ 4 bis 9 kann die Gemeinde nach Abs. 7 Nr. 1 fest- 178
legen, dass nur einzelne oder mehrere der allgemein zulässigen Nutzungen zulässig sind. Indirekt bedeutet dies zugleich, dass die anderen allgemein zulässigen Nutzungen
n unzulässig oder
n nur ausnahmsweise zulässig
sind.
Festsetzungen nach Abs. 7 Nr. 1 dürfen regelmäßig nicht alle in dem Baugebiet allgemein zuläs- 179
sigen Nutzungen in Bezug nehmen, weil anderenfalls der Charakter des Baugebietes in Frage
gestellt würde. Inwieweit allerdings bei einer bereichsweisen Differenzierung eine abweichende
Gesamtwürdigung vertretbar erscheinen kann, bedarf der Prüfung im Einzelfall.102
5. Ausschluss oder Beschränkung einzelner oder mehrerer in dem Baugebiet allgemein
zulässiger Nutzungen (Abs. 7 Nr. 2)
Nach Abs. 7 Nr. 2 können einzelne oder mehrere der in dem Baugebiet nach den Absätzen 2 180
der §§ 4 bis 9 allgemein zulässigen Nutzungen als unzulässig festgesetzt werden. Alternativ
kann festgesetzt werden, dass die vorgenannten Nutzungen nur als Ausnahme zugelassen werden können.
Abs. 7 Nr. 2 korrespondiert mit Abs. 7 Nr. 1. Die Vorschrift ermöglicht es der Gemeinde, ein- 181
zelne oder mehrere Nutzungen zu beschränken. Mindestens eine allgemein zulässige Nutzung
muss jedoch zulässig bleiben, weil andernfalls jedwede Verwendung des Geschosses oder der
Ebene ausschiede.103
Wie im Bereich von Abs. 5 ist von der Gemeinde unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit 182
jeweils zu prüfen, ob ein Ausschluss von Nutzungen erforderlich ist oder eine Festsetzung als
ausnahmsweise zulässig zu Erreichung der verfolgten städtebaulichen Ziele ausreichend ist.
6. Festsetzung der Unzulässigkeit oder allgemeinen Zulässigkeit aller oder einzelner in dem
Baugebiet vorgesehener Ausnahmen (Abs. 7 Nr. 3)
Schließlich ermöglicht Abs. 7 Nr. 3 Festsetzungen dahin, dass alle oder einzelne Ausnahmen, 183
die in dem Baugebiet nach den §§ 4 bis 9 vorgesehen sind, nicht zulässig, oder, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebietes gewahrt bleibt allgemein zulässig sind. Dies betrifft
die jeweiligen Abs. 3 der §§ 4 bis 9.
101 BVerwG, 12.12.1991, 4 NB 13.90, NVwZ-RR 1991, 455, 456.
102 Als Beispiel vgl VGH München, 30.7.2013, 1 N 11.821 (Ausschluss Wohnnutzung im EG eines Gebäudes
im MI).
103 Roeser in: König/Roeser/Stock, BauNVO, § 1 Rn 88.
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Möglich sind
n ein Ausschluss von Ausnahmen oder
n eine allgemeine Zulassung der ansonsten nur ausnahmsweise zulässigen Nutzungen.
Abs. 7 Nr. 3 ist eine Parallelvorschrift zu Abs. 6. Die dortigen Hinweise gelten daher für die
vertikale Gliederung unter Veränderung der durch die BauNVO vorgesehenen gebietsspezifischen Ausnahmen analog (oben Rn 147 ff).
7. Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets
184 Voraussetzung für Festsetzungen nach Abs. 7 Nr. 3 ist, dass die allgemeine Zweckbestimmung
des Baugebiets gewahrt bleibt. Die insoweit anzustellenden Überlegungen entsprechen denjenigen Vorgaben, die im Zusammenhang mit Abs. 5 und Abs. 6 Nr. 2 zu beachten sind (vgl
Rn 135 ff und 152 ff). Dies gilt insbesondere dann, wenn alle in dem Baugebiet vorgesehenen
Ausnahmen als allgemein zulässig festgesetzt werden und das Baugebiet mithin eine substanziell
veränderte Prägung erfährt.
185 Auch im Zusammenhang mit Abs. 7 Nr. 1 und 2 ist die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets zu beachten. Dieser ungeschriebene Grundsatz gilt für alle Feindifferenzierungen nach
den Absätzen 4 bis 10 des § 1.
X. Beschränkung von Festsetzungen nach Abs. 4 bis 7 auf Teile des Baugebiets
(Abs. 8)
186 Die Festsetzungen nach den Absätzen 4 bis 7 des § 1 können sich nach Abs. 8 auch auf Teile
des Baugebietes beschränken. Der Begriff der „Teile des Baugebiets“ ist räumlich zu verstehen.
Auf Grundstücks- oder Flurstücksgrenzen kommt es nicht an. Je nach den Umständen kann
sich eine Regelung nach Abs. 8 allerdings auf ein einzelnes Grundstück beschränken, wenn dies
städtebaulich zu begründen ist.104
187 Die betroffenen Bereiche des Baugebiets sind von der Gemeinde präzise zu beschreiben.
188 Soweit sich Abs. 8 auf Teile des Baugebietes bezieht, bleibt Abs. 4 S. 2 unberührt. Es können
also auch Teile mehrerer Gewerbe- und Industriegebiete der Gemeinde Gegenstand von Festsetzungen nach Abs. 4 und Abs. 8 sein.
XI. Erweiterte Zulassung, Ausschluss und Beschränkung bestimmter Arten
allgemein oder ausnahmsweise zulässiger baulicher oder sonstiger Anlagen
(Abs. 9)
189 Nach Abs. 9 kann im Bebauungsplan bei Anwendung der Absätze 5 bis 8 festgesetzt werden,
dass nur bestimmte Arten der in den Baugebieten allgemein oder ausnahmsweise zulässigen
baulichen oder sonstigen Anlagen zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden. Mit dieser Regelung sollen die Handlungsoptionen der Gemeinde in Bezug auf
Ausschlüsse nach Abs. 5, Regelungen zu Ausnahmen nach Abs. 6 und vertikale Differenzierungen nach Abs. 7 erweitert werden. Eines Rückgriffs auf Abs. 9 bedarf es nicht, wenn bereits
Abs. 5 den Ausschluss einer Nutzung im Sinne der §§ 2 bis 9 ermöglicht.105
190 Im Einzelfall kann fraglich sein, ob sich die Gemeinde unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit, insbesondere anstelle eines in Betracht kommenden „Totalausschlusses“ von Nutzungen, auf Regelungen zu einzelnen Arten solcher Nutzungen nach Abs. 9 beschränken kann oder
muss. Indirekt kann in diesem Zusammenhang die Frage nach der Teilbarkeit von Bebauungs-
104 Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn 125.
105 BVerwG, 3.5.1993, 4 N 13/93.
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planfestsetzungen aufgeworfen werden; hier gilt in besonderer Weise die schon erwähnte
höchstrichterliche Rechtsprechung zur Teilunwirksamkeit von Bebauungsplänen (vgl Rn 79).106
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber mit § 9 Abs. 2 a BauGB das Leitbild 191
des Abs. 9 für Regelungen zum Schutz zentraler Versorgungsbereiche durch einfache Bebauungspläne im unbeplanten Innenbereich aufgegriffen hat. Eine ähnlich strukturierte Vorschrift
gibt es seit 2013 außerdem unter § 9 Abs. 2 b BauGB für Vergnügungsstätten (vgl 3. Teil, Bauleitplanung, Rn 75 ff). Für derartige Bebauungspläne gelten die folgenden Ausführungen deswegen entsprechend:107
1. Bauliche und sonstige Anlagen
Abs. 9 bezieht sich sowohl auf die in den Baugebieten allgemein als auch auf die nur ausnahms- 192
weise zulässigen baulichen oder sonstigen Anlagen. Zugrunde zu legen sind demnach die Beschreibungen in den jeweiligen Absätzen 2 und 3 der einschlägigen Baugebietsregelungen.
Mit den unter Abs. 9 angesprochenen „baulichen und sonstigen Anlagen“ sind Unterarten der 193
Nutzungen nach den Absätzen 2 und 3 der §§ 2 bis 9 gemeint. Die Vorschrift korrespondiert
insoweit mit § 9 a Nr. 2 und 3 BauGB.
2. Bestimmte Arten allgemein oder ausnahmsweise zulässiger Anlagen
Abs. 9 bezieht sich auf „bestimmte Arten“ der in den Baugebieten zulässigen baulichen oder 194
sonstigen Anlagen. Gegenüber dem in Abs. 5 verwendeten Begriff der Arten von Nutzungen
enthält Abs. 9 eine Spezifizierung.
Abs. 9 bezieht sich auf Arten
195
n der in den Baugebieten allgemein zulässigen und
n der in den Baugebieten ausnahmsweise zulässigen
Nutzungen.
Daraus ergeben sich mehrere Festsetzungsvarianten:
196
n Einmal kann festgesetzt werden, dass bestimmte Arten der in den Baugebieten allgemein
zulässigen Nutzungen nach Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 8 nicht zulässig sind oder nur
ausnahmsweise zugelassen werden können;
n Sodann kann nach Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 8 festgesetzt werden, dass bestimmte Arten der in den Baugebieten ausnahmsweise zulässigen Nutzungen nicht zulässig oder allgemein zulässig sind;
n Schließlich kann eine vertikale Gliederung nach Abs. 7 in Verbindung mit Abs. 9 vorgenommen werden.
Die Gemeinde muss die von ihr mit der Festsetzung geregelten Arten baulicher oder sonstiger 197
Anlagen bei Anwendung der Absätze 5 bis 8 des § 1 „bestimmen“. Den jeweils in Bezug genommenen Anlagentyp muss die Gemeinde also genau definieren. Entscheidend ist dabei, dass
eine objektive Abgrenzung zu anderen in Betracht kommenden Anlagentypen derselben Nutzungsart möglich ist.
Medien der Beschreibung sind der Bebauungsplan mit seinen textlichen und zeichnerischen 198
Festsetzungen und seiner Begründung. In diesem Rahmen müssen Gattungsbegriffe oder typisierende Beschreibungen nach Ausstattungsmerkmalen gewählt werden. Eine eigene Planung
darf die Gemeinde im Zuge der Feindifferenzierung nach Abs. 9 nicht betreiben.
106 Vgl hierzu BVerwG, 18.2.2009, 4 B 54/08, BauR 2009, 1102; BVerwG, 22.1.2008, 4 B 5/08, BRS 73
Nr. 22; zur Teilunwirksamkeit BVerwG, 19.9.2002, 4 CN 1.02, BVerwGE 117, 58.
107 Vgl OVG Münster, 2.9.2009, 8 A 11057/08, BauR 2010, 49; BT-Drucks. 16/2496, S. 10 ff.
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199 Im Allgemeinen wird es ergänzender gutachterlicher Untersuchungen zu den jeweiligen örtlichen Verhältnissen bedürfen, um die nach Abs. 9 gewählte Spezifizierung transparent zu machen und zu begründen. Gegenüber einem Nutzungsausschluss nach Abs. 5, der bereits durch
eine breiter angelegte gemeindliche „Städtebaupolitik“ getragen sein kann, bestehen insoweit
weitergehende Darlegungs- und Nachweisanforderungen.108
200 Vor allem im Bereich von Sortimentsbeschränkungen des Einzelhandels wird ein Anwendungsfeld von Abs. 9 gesehen.109 Dabei müssen kommunale Einzelhandelskonzepte konsistent gehandhabt werden, wenn sie zur Begründung von Nutzungsausschlüssen herangezogen werden
sollen.110 Die diesbezüglichen Darlegungsanforderungen können aber variieren, je nachdem, ob
es um die Entwicklung neuer Versorgungsbereiche oder den Schutz bestehender Strukturen
geht.111 Generell ist der Gemeinde ein weiter planerischer Gestaltungsspielraum zuzubilligen,
da informelle Planungen allein wegen § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB – nur – in der Abwägung „zu
berücksichtigen“ sind und folglich bei der differenzierten Aufstellung und Umsetzung von Konzeption und Bauleitplanungen nicht etwa ein „Alles-oder-nichts-Prinzip“ gilt.112
201 Daneben bietet sich der Rückgriff auf landesspezifische Einzelhandelserlasse oder andere Orientierungshilfen an.113 In der Rechtsprechung wird im Ergebnis auf die „Marktüblichkeit“ abgestellt, so dass Auslegungsspielräume in der Praxis verbleiben.114 Inzwischen soll nach wohl
überwiegender Auffassung etwa der Begriff des „innenstadtrelevanten Hauptsortiments“ eine
hinreichende Typisierungsqualität gewonnen haben, wenn er in Kombination mit hinreichend
bestimmten und konkreten Sortimentslisten verwendet wird; auch werden zu Recht die Konkretisierungskompetenzen der Bauaufsichtsbehörden bei einzelnen Genehmigungsentscheidungen in Erinnerung gerufen. 115
202 Rein quantitative Kriterien, etwa Verkaufsflächengrenzen oder gewerberechtliche Betriebsbeschränkungen, dürften zumeist als Instrumente einer Bestimmung von Arten baulicher oder
sonstiger Anlagen nach Abs. 9 ausscheiden.116 Etwas anderes gilt nur, wenn die Begrenzung generell oder unter den gegebenen örtlichen Bedingungen einen bestimmten Anlagentyp charakterisiert.117
203 Beispiele für bestimmte Arten baulicher und sonstiger Anlagen im Sinne von Abs. 9 sind:
n Bordelle und bordellartige Betriebe als Unterfall von Vergnügungsstätten oder Gewerbebetrieben,118
108 OVG Hamburg, 13.4.2011, 2 E 6/08.N mit Hinweis auf BVerwG, 26.3.2009, 4 C 21.07, BVerwGE 133,
310.
109 BVerwG, 4.10.2007, 4 BN 39/07, ZfBR 2008, 72; BVerwG, 10.11.2004, 4 BN 33.04, BauR 2005, 818.
110 BVerwG, 26.3.2009, 4 C 21.07, BVerwGE 133, 310; OVG Münster, 13.10.2011, 2 D 119/09.NE; OVG
Münster, 22.11.2010, 7 D 1/09.NE; VGH Mannheim, 27.10.2010, 5 S 875/09.
111 Vgl OVG Münster, 6.9.2011, 2 A 59/10; OVG Münster, 19.7.2011, 10 D 131/08.NE; VGH Mannheim,
5.5.2011, 8 S 2773/08, BauR 2011, 1628; OVG Berlin-Brandenburg, 9.5.2012, 2 A 17.10.
112 So zuletzt BVerwG, 27.3.2013, 4 CN 6/11, 4 CN 7/11, BauR 2013, 1402.
113 BVerwG, 27.7.1998, 4 BN 31.98, BauR 1998, 1197; BVerwG, 4.10.2001, 4 BN 45.01, ZfBR 2002, 597.
114 Vgl BVerwG, 30.1.2006, 4 BN 55.05, BRS 70 Nr. 12; BVerwG, 27.7.1998, 4 NB 31.98, ZfBR 1998, 317.
115 Vgl BVerwG, 27.3.2013, 4 CN 6/11, 4 CN 7/11, BauR 2013, 1402; vorgehend siehe BVerwG, 29.11.2011,
4 B 8.11 (4 C 13.11), mit Zulassung der Revision gegen OVG Münster, 7.12.2010, 10 A 332/08, zur Klärung der Frage der Anforderungen an die städtebauliche Rechtfertigung von Festsetzungen zur Stärkung zentraler Versorgungsbereiche.
116 Zur Unzulässigkeit vorhabenunabhängiger Verkaufsflächenobergrenzen BVerwG, 3.4.2008, 4 CN 3.07,
BauR 2008, 981; OVG Münster, 30.9.2009, 10 B 8/08.NE; Mampel, BauR 2009, 435; zum Sonderfall eines
aus einem Grundstück bestehenden Baugebiets OVG Berlin-Brandenburg, 22.9.2011, 2 A 8.11.
117 BVerwG, 8.11.2004, 4 BN 39.04, BauR 2005, 513 für einen Einzelhandelsbetrieb mit einer Nutzfläche von
höchstens 400 qm als “Nachbarschaftsladen“; vgl auch BVerwG, 26.7.2011, 4 BN 9.11, BauR 2012, 205;
BVerwG, 23.10.2006, 4 BN 1/06; OVG Koblenz, 17.4.2013, 8 C 11067/12; VGH Mannheim, 25.9.2007, 3
S 1492/06.
118 BVerwG, 1.8.2007, 4 BN 34/07; VGH München, 31.3.2009, 14 ZB 08.2705; Janning, BauR 2005, 958.
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Isolierter Einzelhandel als Unterfall von Einzelhandelsbetrieben,119
Mobilfunkanlagen als Unterarten von Gewerbebetrieben,120
Sexshops als Art von Einzelhandelsbetrieben,
Spielhallen als Unterfall von Vergnügungsstätten,121
Werbeanlagen der Außenwerbung für Fremdwerbung als Unterart gewerblicher Nutzungen.122
3. Erweiterte Zulassung von Anlagen
Die Gemeinde kann über Abs. 6 Nr. 2 und Abs. 9 festlegen, dass bestimmte Arten der in dem 204
Baugebiet zulässigen Anlagen nicht lediglich ausnahmsweise, sondern allgemein zulässig sind.
Mit einer solchen erweiterten Zulassung von Anlagen wird in besonderer Weise die Frage nach
der Wahrung der Zweckbestimmung des Baugebiets aufgeworfen werden. Deswegen dürfte
eine erweiterte Zulassung von Anlagen in der Praxis eher selten vorkommen.
4. Ausschluss von Anlagen
Ferner kann der Ausschluss von (allgemein oder ausnahmsweise) zulässigen Anlagen bestimmt 205
werden. Rechtsgrundlage eines solchen Ausschlusses ist für allgemein zulässige Nutzungen
Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 9, für ausnahmsweise zulässige Nutzungen Abs. 6 Nr. 1 mit
Abs. 9.
Dieses Modell wird häufig praktiziert. Unter Aspekten der Verhältnismäßigkeit kann aber im 206
Einzelfall zu prüfen sein, ob Festsetzungen über eine ausnahmsweise Zulassung der in Rede stehenden Anlagen ausreichen, um die von der Gemeinde beabsichtigten städtebaulichen Ziele zu
erreichen.
Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB wird bei einer gemeindlichen Ausschlussentscheidung 207
nach Abs. 9 regelmäßig nicht (mehr) in Betracht kommen.
5. Nur ausnahmsweise Zulassung von Anlagen
Letzte Variante des Abs. 9 ist, bei Anwendung des Abs. 5 festzusetzen, dass bestimmte Arten 208
allgemein zulässiger Anlagen lediglich ausnahmsweise zulässig sind. Diese relativ begrenzte
Veränderung des planungsrechtlichen Zulässigkeitsmaßstabes dürfte vielfach ausreichen, um
die von der Gemeinde gewollte Steuerung der städtebaulichen Entwicklung zu erreichen.
Zu beachten bleibt allerdings, dass dann nach § 31 Abs. 1 BauGB ein Rechtsanspruch auf Ge- 209
nehmigungserteilung bestehen kann, wenn keine städtebaulichen Hinderungsgründe ersichtlich
sind. Dieses Ergebnis kann für einen Ausschluss sprechen.
6. Rechtfertigung durch besondere städtebauliche Gründe
Abs. 9 setzt eine Rechtfertigung der Festsetzungen durch besondere städtebauliche Gründe vor- 210
aus. Anders als unter Abs. 7 wird jedoch nicht auf die obsolete Vorschrift des § 9 Abs. 3 BauGB
verwiesen. Sachlich gelten dennoch die Ausführungen zur Darlegung der besonderen städtebaulichen Gründe unter Abs. 7 für Abs. 9 analog (vgl oben Rn 169 ff).
Wie im Bereich des Abs. 7 ergibt sich aus den besonderen städtebaulichen Gründen kein indivi- 211
duelles zusätzliches Prüfungsprogramm.123 Alle Feindifferenzierungen nach § 1 müssen von auf
119 BVerwG, 18.12.1989, 4 NB 26/89, BauR 1990, 185.
120 VGH München, 23.11.2010, 1 BV 10.1332.
121 BVerwG, 21.12.1992, 4 B 182.92, BRS 55 Nr. 42; BVerwG, 5.1.1995, 4 B 270/94; BVerwG, 26.10.1998, 4
BN 43/98.
122 VGH Mannheim, 16.4.2008, 3 S 3005/06, VBlBW 2008, 445; vgl auch BVerwG, 3.12.1992, 4 C 27/91,
BVerwGE 91, 234.
123 Vgl BVerwG, 29.2.2009, 4 C 16/07, BVerwGE 133, 98.
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den konkreten Fall bezogenen städtebaulichen Erwägungen getragen sein; eine Unterscheidung
zwischen „allgemeinen“ oder „einfachen“ und „besonderen“ städtebaulichen Gründen ist in
diesem Kontext nicht angezeigt. Im Vergleich zu Abs. 5 muss bei einer Anwendung von Abs. 9
deutlich werden, warum die noch feinere Differenzierung städtebaulich begründet ist;124 eine
den Anforderungen des Absatzes 9 genügende Begründung für einen Nutzungsausschluss rechtfertigt daher erst recht eine Feindifferenzierung (nur) nach Abs. 5.125
212 Rechtsprechung und Literatur haben das Vorliegen besonderer städtebaulicher Gründe im Sinne von Abs. 9 in folgenden Konstellationen bejaht:
n Ausschluss von Vergnügungsstätten, insbesondere Spielhallen, wegen eines sog. Tradingdown-Effektes;126
n Ausschluss von Bordellen und bordellartigen Betrieben zur Vermeidung einer Verdrängung
von Einzelhandels- und Dienstleistungsgeschäften,127
n Ausschluss von zentrumsbildenden Nutzungsarten in der Peripherie mit dem Ziel, diese in
der innerstädtischen Kernzone zu konzentrieren;128
n Ausschluss von Einzelhandel im GE zur Sicherung von Flächen für Handwerk und Gewerbe;129
n Erweiterte Zulassung von Diskotheken als Jugendeinrichtungen.130
213 Zu verneinen sind besondere städtebauliche Gründe, wenn die Gemeinde keine plausiblen planerischen Überlegungen angestellt hat. Dies kann etwa der Fall sein, wenn willkürliche und
nicht begründbare Differenzierungen vorgenommen werden.131 Gleiches gilt, wenn sich die Bebauungsplanbegründung auf reine Leerformeln wie „Zentrenschutz“ oder „Gefahr der Bildung
von Rotlichtvierteln“ beschränkt.132
7. Verhältnis zwischen Abs. 4 bis 8 und Abs. 9
214 Die horizontale Gliederung nach Abs. 4 kann nach dem Wortlaut des Abs. 9 nicht mit einer erweiterten Feindifferenzierung nach dieser Regelung kombiniert werden.
215 Ein Abstellen auf bestimmte Arten zulässiger Anlagen ist ansonsten in allen Varianten des
Abs. 5, der Nr. 1 und 2 des Abs. 6 sowie bei der vertikalen Gliederung nach Abs. 7 möglich.
216 Eine Beschränkung der entsprechenden Festsetzungen auf Teile des Baugebietes ist aufgrund
der Verweisung auf Abs. 8 in Abs. 9 ebenfalls machbar.
XII. Erweiterte oder ausnahmsweise Zulassung von Maßnahmen im Bestand
(Abs. 10)
217 Abs. 10 soll die Überplanung überwiegend bebauter Gebiete erleichtern und Bestandsanlagen
schützen. Im Unterschied zu den Absätzen 4 bis 9 ermöglicht Abs. 10 explizit eine anlagenbezogene Planung.133
124 BVerwG, 10.11.2004, 4 BN 33/04, BauR 2005, 818; vgl auch BVerwG, 21.12.1992, 4 B 182.92; BVerwG,
22.5.1987, 4 C 77.84, BVerwGE 77, 317.
125 BVerwG, 3.5.1993, 4 NB 13/93; BVerwG, 18.12.1989, 4 NB 26.89, ZfBR 1990, 99 für den Ausschluss von
Einzelhandelsbetrieben iSv § 5 Abs. 2 Nr. 5, § 6 Abs. 2 Nr. 3 und § 7 Abs. 2 Nr. 2.
126 Zuletzt BVerwG, 4.9.2008, 4 BN 9/08, BauR 2009, 76 mwN; ferner BVerwG, 21.12.1992, 4 B 182/92.
127 Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, § 1 BauNVO Rn 64.
128 BVerwG, 10.11.2004, 4 BN 33/04, BauR 2005, 818; VGH Kassel, 16.12.2010, 4 C 1272/10.N, BauR 2011,
630.
129 OVG Münster, 12.6.2013, 7 A 1028/11.
130 VGH Mannheim, 27.10.2010, 5 S 1292/10.
131 Vgl etwa VGH Mannheim, 5.7.2013, 8 S 1784/12.
132 Vgl die weiteren Beispiele bei Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn 129.1.
133 Roeser in: König/Roeser/Stock, BauNVO, § 1 Rn 101; vgl auch Fischer, DVBl. 2002, 950 f.
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Die Vorschrift setzt voraus, dass bei Festsetzung eines Baugebietes nach den §§ 2 bis 9 in über- 218
wiegend bebauten Gebieten bestimmte vorhandene bauliche und sonstige Anlagen unzulässig
wären. Es muss also eine hypothetische Zulässigkeitsprüfung erfolgen, die das Inkrafttreten
einer „gedachten“ Planung unterstellt.134
Abs. 10 wurde mit der BauNVO-Novelle 1990 eingeführt und hat wegen seines begrenzten An- 219
wendungsbereiches bis heute wenig praktische Relevanz entfaltet.135 Als typischer Anwendungsfall wird vom Verordnungsgeber die erweiterte Zulässigkeit von nicht gebietstypischen
Geschäftshäusern, Verwaltungseinrichtungen und Gewerbebetrieben im Zuge der Festsetzung
eines allgemeinen Wohngebietes genannt.136 Zuletzt hat der Gesetzgeber mit § 34 Abs. 3 a
BauGB eine ähnliche Vorschrift für den unbeplanten Innenbereich geschaffen.137
1. Anwendungsbereich (Abs. 10 S. 1 Hs 1 und S. 4)
Nach der Rechtsprechung ist Abs. 10 S. 1 im Zusammenhang mit § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB zu 220
sehen. Hiernach sind bei der Aufstellung von Bauleitplänen die Erhaltung, Erneuerung und
Fortentwicklung vorhandener Ortsteile zu berücksichtigen.138
a) Aufstellung, Änderung und Ergänzung von Bebauungsplänen (Abs. 10 S. 4)
Abs. 10 S. 4 stellt klar, dass sich die Sätze 1 bis 3 des Abs. 10 nicht nur auf die Aufstellung, son- 221
dern auch die Änderung und Ergänzung von Bebauungsplänen beziehen.
Die Festsetzungen müssen ein Baugebiet im Sinne der §§ 2 bis 9 zum Gegenstand haben.139 222
Eine analoge Anwendung von Abs. 10 auf Waldgebiete und darin befindliche Waldsiedlungen
scheidet aus.140
b) Überwiegend bebaute Gebiete
Das Baugebiet muss in einem „überwiegend bebauten“ Gebiet geplant sein. Überwiegend be- 223
baut sind Gebiete, in denen die überwiegende Zahl der Grundstücke baulich genutzt wird.141
Es gilt insoweit das zu § 4 a Gesagte analog (vgl § 4 a Rn 15 ff); in der Regel wird es sich um die
im Zusammenhang bebauten Ortsteilen im Sinne von § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB handeln.
Das zu berücksichtigende „Gebiet“ ist nach dem Wortlaut der BauNVO nicht mit dem mit der 224
Festsetzung avisierten Baugebiet identisch. Über den Geltungsbereich des Bebauungsplans hinaus sind vielmehr auch angrenzende Bereiche in die Prüfung einzubeziehen, soweit ein städtebaulicher Zusammenhang besteht.142
Stichtag für die Prüfung der überwiegenden Bebauung ist das Inkrafttreten des Bebauungsplans, 225
der die Differenzierung nach Abs. 10 enthält. Es können mithin auch Gebiete in Bezug genommen werden, die erst sukzessive bebaut werden.
c) Unzulässigkeit vorhandener baulicher oder sonstiger Anlagen bei Festsetzung eines
Baugebiets nach den §§ 2 bis 9
Es bedarf einer hypothetischen Prüfung, ob und inwieweit vorhandene und sonstige Anlagen 226
bei Festsetzung des Baugebiets unzulässig wären. Eine fiktive Form wählt Abs. 10 dabei, weil
134
135
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141
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Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, § 1 BauNVO Rn 67.
Vgl dazu die entsprechenden Umfrageergebnisse des DiFU, Novellierungsbedarf bei der BauNVO, S. 14 f.
BT-Drucks. 354/89, S. 43; weitere Beispiele bei Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn 141.
Dazu Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 34 Rn 56.
BVerwG, 11.5.1999, 4 BN 15.99, BRS 62 Nr. 19; BVerwG, 6.3.2002, 4 BN 11.02, BRS 65 Nr. 41.
Söfker in: EZBK, BauGB, § 1 BauNVO Rn 106 a.
BVerwG, 27.10.2011, 4 CN 7/10.
BVerwG, 6.3.2002, 4 BN 11/02, BauR 2002, 1665.
Fickert/Fieseler, BauNVO, § 1 Rn 138.
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BauNVO § 1
Erster Abschnitt | Art der baulichen Nutzung
die Anlagen trotz der Festsetzung des Bebauungsplans – selbstverständlich – Bestandsschutz genießen würden. Zulässig wären indessen dann lediglich Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen ohne Auswirkungen auf die Bausubstanz; würde insbesondere bei Änderungen die
Genehmigungsfrage neu aufgeworfen, wäre die Grenze des Bestandsschutzes erreicht.
227 Von einer fiktiven Unzulässigkeit ist auszugehen, wenn die baulichen und sonstigen Anlagen
nach den jeweiligen Absätzen 2 und 3 der §§ 2 bis 9 weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig wären.143 Eine Unzulässigkeit kann sich ferner ergeben, wenn die vorausgesetzte Planung
einschlägige Nutzungsausschlüsse nach Abs. 5 und 9 enthält.144 Außerdem kann die Unzulässigkeit aus § 15 folgen, wenn und soweit durch das Nebeneinander der Bestandsnutzung und
der aufgrund der Planung neu hinzukommenden Nutzungen ein unauflöslicher Konflikt entsteht, der zur Beendigung der Bestandsnutzung führen muss.145
228 Der Begriff der bestimmten „baulichen und sonstigen Anlagen“ entspricht dem Sprachgebrauch
des Abs. 9 (dazu oben Rn 193). Es kommt demnach nicht auf die Nutzungsarten nach den Absätzen 2 und 3 der §§ 2 bis 9 an, es reicht aus, wenn einzelnen Unterarten dieser Nutzungen bei
unterstellter Gebietsfestsetzung unzulässig wären. Die „gebietsfremden“ Anlagen müssen allerdings konkret bezeichnet und von den übrigen Nutzungen im Baugebiet abgegrenzt werden.146
229 Die Anlagen müssen „vorhanden“ sein. Auf das Vorliegen einer Genehmigung kommt es nach
dem Wortlaut der BauNVO nicht an.147 Gleichzeitig ist aber zu beachten, dass Abs. 10 keinen
Bestandsschutz für illegale Nutzungen begründet.148
230 Abzustellen ist ferner auf die Zeit „bei Festsetzung“ des Bebauungsplans. Die Aufstellung des
Bebauungsplans muss also die Unzulässigkeit bewirken; für eine einschränkende Auslegung von
Abs. 10 besteht kein Anlass.149
2. Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen von Anlagen
231 Abs. 10 S. 1 ermöglicht Festsetzungen im Bebauungsplan dahin, dass Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen vorhandener baulicher und sonstiger Anlagen allgemein zulässig sind oder ausnahmsweise zugelassen werden können. Insoweit verfolgt die
BauNVO ein ähnliches Regelungsanliegen wie die Bestandsschutzklauseln unter den §§ 34
Abs. 3 a und 35 Abs. 4 BauGB.150
232 Die Gemeinde kann sich im Rahmen ihrer Festsetzungen darauf beschränken, nur einzelne bestandsschützende Vorgaben, etwa im Hinblick auf Änderungen und Erneuerungen, zuzulassen.
Sie muss die Vorgaben im Bebauungsplan hinreichend bestimmt beschreiben. Entscheidend ist,
dass der städtebauliche Zusammenhang mit den vorhandenen Anlagen gewahrt bleibt; werden
diese beseitigt, erlischt der nach Abs. 10 festgesetzte besondere Bestandsschutz.151
233 Der Begriff „Erweiterung“ ist den § 34 Abs. 3 a S. 1 Nr. 1 und 35 Abs. 4 Nr. 5 und 6 BauGB
entlehnt. Gemeint damit sind Ergänzungen des Bestandes.152
143 Vgl BVerwG, 6.5.1993, 4 NB 32/92, BauR 1993, 693.
144 Vgl BVerwG, 11.5.1999, 4 BN 15.99, BRS 62 Nr. 19.
145 Söfker, in: EZBK, BauGB, § 1 BauNVO Rn 109 unter Verweis auf BVerwG, 6.3.2002, 4 BN 11/02, BauR
2002, 1665 und BVerwG, 30.10.2007, 4 BN 38/07, BauR 2008, 326.
146 VGH Mannheim, 9.8.2013, 8 S 2145/12; OVG Münster, 7.5.2007, 7 D 64/06.NE, NVwZ-RR 2008, 13;
VGH Mannheim, 29.10.2008, 3 S 1318/07; OVG Magdeburg, 21.2.2008, 2 K 258/06.
147 BVerwG, 30.10.2007, 4 BN 38/07, BauR 2008, 326; BVerwG, 11.5.1999, 4 BN 15/99, BauR 1999, 1136.
148 Vgl BVerwG, 21.12.1999, 4 BN 48/99, BauR 2000, 854.
149 BVerwG, 30.10.2007, 4 BN 38/07, BauR 2008, 326.
150 Vgl dazu Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, § 34 BauGB Rn 103 ff und § 35 BauGB
Rn 121 ff.
151 Söfker in: EZBK, BauGB, § 1 BauNVO Rn 113 f.
152 Vgl Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 34 Rn 57 und § 35 Rn 109.
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Allgemeine Vorschriften für Bauflächen und Baugebiete
§ 1 BauNVO
„Änderungen“ sind analog zu § 29 Abs. 1 BauGB insbesondere Maßnahmen, die die Substanz 234
der Anlage modifizieren.153
„Nutzungsänderungen“ sind – wiederum analog zu § 29 Abs. 1 BauGB – vom Nutzer veran- 235
lasste abweichende Nutzungsverhältnisse, die die Genehmigungsfrage aufgrund anderer baurechtlicher Anforderungen neu aufwerfen.154 Hier kann sich ein Spannungsverhältnis zu den
Bestandsschutzerwägungen ergeben, die Abs. 10 voraussetzt; die Vorschrift ist kein Einfallstor
für substanzielle Umnutzungen ohne Kontinuität zum vorherigen Zustand.
Unter „Erneuerungen“ wird die „Neuerrichtung“ von Gebäuden im Sinne von § 35 Abs. 4 S. 1 236
Nr. 2 und 3 BauGB verstanden. Ein identischer Begriff wird auch in § 34 Abs. 3 a S. 1 Nr. 1
BauGB verwendet;155 zu fordern ist auch hier, dass der Bestand der Sache nach fortgeführt
wird.
3. Allgemeine oder ausnahmsweise Zulassung andernfalls unzulässiger Maßnahmen
(Abs. 10 S. 1 Hs 2)
Nach Abs. 10 kann festgesetzt werden, dass Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen 237
und Erneuerungen von Anlagen
n allgemein zulässig sind oder
n ausnahmsweise zugelassen werden können.
Vor welcher Variante die Gemeinde Gebrauch macht, muss anhand der Umstände des Einzel- 238
falls geprüft und festgelegt werden. Fraglich ist dabei, wie weit der Bestandsschutz für die jeweils vorhandenen Anlagen im Ergebnis reichen soll.
4. Nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit (Abs. 10 S. 2)
Abs. 10 S. 2 sieht vor, dass im Bebauungsplan nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit ge- 239
troffen werden können. Der Begriff der näheren Bestimmungen über die Zulässigkeit wird in
der Literatur zu Recht als unbestimmt kritisiert. Der BauNVO ist nicht im einzelnen zu entnehmen, wie es sich mit der Reichweite der Bestimmungen verhalten soll.156
In der Begründung zur BauNVO-Novelle 1990 wird dargestellt, nach Abs. 10 S. 2 könne die 240
Gemeinde festsetzen, unter welchen Voraussetzungen Vorhaben im Zusammenhang mit den
vorhandenen Anlagen zulässig seien.157 Beispielhaft werden ferner Änderungen des Umfeldes
der Anlagen genannt,158 in Kombination mit Abs. 7 werden Betriebsbeschränkungen angeführt.159
Es handelt sich um eine Kann-Vorschrift, so dass die Bestimmungen im Ermessen der planen- 241
den Gemeinde stehen. Auch dies bewirkt eine Unschärfe, die bei der Überplanung komplexer
Bestandssituationen nur durch eine Einzelfallabwägung unter Wahrung des planungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes aufgelöst werden kann.160
153
154
155
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158
159
160
Vgl Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 29 Rn 18.
Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 29 Rn 20 mwN.
Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 34 Rn 57.
Vgl Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB/BauNVO, § 1 BauNVO Rn 71.
BT-Drucks. 354/89, S. 43.
Söfker in: EZBK, BauGB, § 1 BauNVO Rn 116.
Roeser in: König/Roeser/Stock, BauNVO, § 1 Rn 107.
Problematisch insoweit VGH München, 23.4.2013, 15 N 11.178, wonach eine Festsetzung, nach der bei bestehenden Einzelhandelsbetrieben mit nicht zentrenrelevanten Sortimenten Erweiterungen, Änderungen,
Nutzungsänderungen und Erneuerungen baulicher und sonstiger Anlagen „in untergeordnetem Umfang“ zugelassen werden können, rechtlich vertretbar sein soll.
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BauNVO § 1
Erster Abschnitt | Art der baulichen Nutzung
5. Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets in seinen übrigen Teilen
(Abs. 10 S. 3)
242 Abs. 10 S. 3 stellt klar, dass die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets „in seinen übrigen Teilen“ trotz eventueller Festsetzungen und Bestimmungen nach Abs. 10 S. 1 und 2 gewahrt bleiben muss. Hinsichtlich der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets kann auf
das zu Abs. 5, Abs. 6 Nr. 2 und Abs. 7 Nr. 3 Gesagte Bezug genommen werden (oben Rn 135 ff,
152 ff und 184 f).
243 Besonderheit von Abs. 10 S. 3 ist, dass die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets partiell
– gezielt – durchbrochen ist, soweit bestandsschützende Festsetzungen getroffen werden. In der
Gesamtschau müssen die Festsetzungen aber nach wie vor dem jeweils gewollten Gebietstyp
entsprechen; Abs. 10 ermächtigt die Gemeinde nicht, durch einseitige Privilegierung von Bestandsbauten im Zuge einer Gebietsfestsetzung einen von der BauNVO definierten Gebietstyp
in seinen prägenden Merkmalen außer Kraft zu setzen.161
244 Weitergehend wird sogar in der Begründung zu der BauNVO-Novelle 1990 von einem „Verschlechterungsverbot“ hinsichtlich der gegebenen städtebaulichen Ausgangssituation gesprochen.162 Gemeint damit ist allerdings wohl nur, dass Festsetzungen nach Abs. 10 den Anforderungen des § 1 BauGB entsprechen müssen; in diesem Rahmen können sich über wechselseitige
Rücksichtnahmepflichten durchaus komplexe Beziehungen zwischen vorhandenen und neu hinzukommenden Nutzungen ergeben.163
XIII. Frühere BauNVO-Fassungen
245 Entsprechend der historischen Entwicklung (dazu Rn 18 ff) kann § 1 in unterschiedlichen Fassungen Anwendung finden. Dabei ist vor allem von Bedeutung, dass der Verordnungsgeber neben einigen redaktionell motivierten Umstellungen, Präzisierungen und Klarstellungen speziell
das Differenzierungsinstrumentarium in den heutigen Absätzen 4 bis 10 sukzessive entwickelt
und ausgebaut hat. Soweit die Rechtsgrundlagen für die jeweils in Rede stehende Differenzierung im Zeitpunkt der Bauleitplanung (noch) nicht existierten, können sich daraus Bedenken
gegen im Einzelfall gleichwohl erfolgte entsprechende Festlegungen ergeben. Bloße Klarstellungen oder Folgeänderungen zu anderweitigen BauNVO-Vorschriften – wie zuletzt 2013 die Erstreckung von Abs. 5 auch auf § 3 wegen der dortigen neuen Bestimmungen zu Anlagen zur
Kinderbetreuung – ändern dagegen an dem materiellen Regelungsgehalt von § 1 nichts.
246 Während die BauNVO 1962 in Abs. 4 des § 1 lediglich die Möglichkeit vorsah, in den §§ 2
bis 9 vorgesehene Ausnahmen ganz oder teilweise auszuschließen, kam mit der BauNVO 1968
in dem dortigen Abs. 5 allerdings die Option hinzu, ausnahmsweise zulässige Anlagen in den
Baugebieten für allgemein zulässig zu erklären.
247 Eine substanzielle Erweiterung brachte dann die BauNVO 1977: Für die auf dieser Grundlage
erlassenen Bebauungspläne wurde die generelle Zulässigkeit der (horizontalen) Gliederung von
Baugebieten nach Abs. 4 eingeführt; außerdem wurde mit Abs. 5 die Chance eröffnet, auch allgemein zulässige Nutzungen in den benannten Baugebieten auszuschließen oder zu beschränken. Zusätzlich wurde die vertikale Gliederung nach Abs. 7 zugelassen. Über den neuen Abs. 9
wurden die Differenzierungsvarianten nach den Absätzen 5 bis 8 nochmals auf bestimmte Arten von Anlagen ausgedehnt, um der Gemeinde eine kleinteiligere Steuerung des Gebietscharakters zu erlauben.
161 OVG Münster, 28.5.2009, 10 D 33/07.NE für einen Gartenbaubetrieb; vgl auch VGH Mannheim,
5.6.2012, 3 S 724/11 („individuell untergeordneter Fremdkörperschutz“).
162 BT-Drucks. 354/89, S. 42 f.
163 Söfker in: EZBK, BauGB, § 1 BauNVO Rn 115.
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Allgemeine Vorschriften für Bauflächen und Baugebiete
§ 1 BauNVO
Wichtigste und im Bereich von § 1 letzte signifikante Neuregelung der BauNVO 1990 war der 248
jetzige Abs. 10. Dadurch sollte die Überplanung überwiegend bebauter Gebiete in weitergehendem Umfang legitimiert werden.
Frühere Fassungen des § 1:
249
BauNVO 1990:
[Abs. 1, 2, 3, 4 wie Fassung 2013]
(5) Im Bebauungsplan kann festgesetzt werden, daß bestimmte Arten von Nutzungen, die nach
den §§ 2, 4 bis 9 und 13 allgemein zulässig sind, nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise
zugelassen werden können, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt
bleibt.
[Abs. 7, 8, 9, 10 wie Fassung 2013]
BauNVO 1977:
250
(1) Im Flächennutzungsplan sind, soweit es erforderlich ist, die für die Bebauung vorgesehenen
Flächen (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 des Bundesbaugesetzes) nach der allgemeinen Art ihrer baulichen
Nutzung (Bauflächen) darzustellen als
1. Wohnbauflächen (W)
2. gemischte Bauflächen (M)
3. gewerbliche Bauflächen (G)
4. Sonderbauflächen (S)
(2) Soweit es erforderlich ist, sind die für die Bebauung vorgesehenen Flächen nach der besonderen Art ihrer baulichen Nutzung (Baugebiete) darzustellen als
1. Kleinsiedlungsgebiete (WS)
2. reine Wohngebiete (WR)
3. allgemeine Wohngebiete (WA)
4. besondere Wohngebiete (WB)
5. Dorfgebiete (MD)
6. Mischgebiete (MI)
7. Kerngebiete (MK)
8. Gewerbegebiete (GE)
9. Industriegebiete (GI)
10. Sondergebiete (SO)
(3) Im Bebauungsplan sind, soweit es erforderlich ist, die in Absatz 2 bezeichneten Baugebiete
festzusetzen. Durch die Festsetzung werden die Vorschriften der §§ 2 bis 14 Bestandteil des Bebauungsplans, soweit nicht aufgrund der Absätze 4 bis 9 etwas anderes bestimmt wird.
(4) Für die in den §§ 4 bis 9 und 11 bezeichneten Baugebiete können im Bebauungsplan für das
jeweilige Baugebiet Festsetzungen getroffen werden, die das Baugebiet
1. nach der Art der zulässigen Nutzung,
2. nach der Art der Betriebe und Anlagen und deren besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften gliedern. Die Festsetzungen nach S. 1 können auch für mehrere Gewerbegebiete einer
Gemeinde im Verhältnis zueinander getroffen werden; dies gilt auch für Industriegebiete.
Absatz 5 bleibt unberührt.
[Abs. 5 und 6 wie Fassung 1990]
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BauNVO § 1
Erster Abschnitt | Art der baulichen Nutzung
(7) In Bebauungsplänen für Baugebiete nach den §§ 4 bis 9 und 11 kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Abs. 3 des Bundesbaugesetzes), festgesetzt werden,
daß in bestimmten Geschossen, Ebenen oder sonstigen Teilen baulicher Anlagen
1. nur einzelne oder mehrere der in dem Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen zulässig
sind,
2. einzelne oder mehrere der in dem Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen unzulässig sind
oder als Ausnahme zugelassen werden können oder
3. alle oder einzelne Ausnahmen, die in den Baugebieten nach den §§ 4 bis 9 vorgesehen sind,
nicht zulässig oder, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt,
allgemein zulässig sind.
[Abs. 8 und 9 wie Fassung 1990]
251 BauNVO 1968: Gliederung in Bauflächen und Baugebiete
(1) Im Flächennutzungsplan sind, soweit es erforderlich ist, die für die Bebauung vorgesehenen
Flächen (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Bundesbaugesetz) nach der allgemeinen Art ihrer baulichen Nutzung
(Bauflächen) darzustellen als
1. Wohnbauflächen (W)
2. gemischte Bauflächen (M)
3. gewerbliche Bauflächen (G)
4. Sonderbauflächen (S)
(2) Soweit es erforderlich ist, sind die für die Bebauung vorgesehenen Flächen nach der besonderen Art ihrer baulichen Nutzung (Baugebiete) darzustellen als
1. Kleinsiedlungsgebiete (WS)
2. reine Wohngebiete (WR)
3. allgemeine Wohngebiete (WA)
4. Dorfgebiete (MD)
5. Mischgebiete (MI)
6. Kerngebiete (MK)
7. Gewerbegebiete (GE)
8. Industriegebiete (GI)
9. Wochenendhausgebiete (SW)
10. Sondergebiete (SO)
(3) Im Bebauungsplan sind, soweit es erforderlich ist, die in Absatz 2 bezeichneten Baugebiete
festzusetzen. Durch die Festsetzung werden die Vorschriften der §§ 2 bis 10 und 12 bis 14 Bestandteil des Bebauungsplans, soweit nicht aufgrund der Absätze 4 und 5 etwas anderes bestimmt wird.
(4) Im Bebauungsplan kann festgesetzt werden, daß Ausnahmen, die in den einzelnen Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 vorgesehen sind, ganz oder teilweise nicht Bestandteil des Bebauungsplanes werden.
(5) Im Bebauungsplan kann festgesetzt werden, daß Anlagen, die in den einzelnen Baugebieten
nach den §§ 2 bis 9 ausnahmsweise zugelassen werden können, in dem jeweiligen Baugebiet
ganz oder teilweise allgemein zulässig sind, sofern die Eigenart des Baugebietes im allgemeinen
gewahrt bleibt.
252 BauNVO 1962:
(1) [wie Fassung 1968]
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§ 2 BauNVO
Kleinsiedlungsgebiete
(2) Soweit es erforderlich ist, sind die Bauflächen nach der besonderen Art ihrer baulichen Nutzung in Baugebiete (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 Bundesbaugesetz) zu gliedern, und zwar:
1. die Wohnbauflächen in
a) Kleinsiedlungsgebiete (WS)
b) reine Wohngebiete (WR)
c) allgemeine Wohngebiete (WA)
2. die gemischten Bauflächen in
a) Dorfgebiete (MD)
b) Mischgebiete (MI)
c) Kerngebiete (MK)
3. die gewerblichen Bauflächen in
a) Gewerbegebiete (GE)
b) Industriegebiete (GI)
4. die Sonderbauflächen in
a) Wochenendhausgebiete (SW)
b) Sondergebiete (SO)
[Abs. 3, 4, 5 wie Fassung 1968]
§ 2 Kleinsiedlungsgebiete
(1) Kleinsiedlungsgebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Kleinsiedlungen einschließlich Wohngebäuden mit entsprechenden Nutzgärten und landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen.
(2) Zulässig sind
1. Kleinsiedlungen einschließlich Wohngebäude mit entsprechenden Nutzgärten, landwirtschaftliche Nebenerwerbsstellen und Gartenbaubetriebe,
2. die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie
nicht störenden Handwerksbetriebe.
(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden
1. sonstige Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen,
2. Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke,
3. Tankstellen,
4. nicht störende Gewerbebetriebe.
I. Allgemeine Zweckbestimmung, Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Zulässige Nutzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Kleinsiedlungen einschließlich Wohngebäude mit entsprechenden Nutzgärten
2. Landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Gartenbaubetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Gebietsversorgende Läden . . . . . . . . . . . . . .
5. Gebietsversorgende Schank- und Speisewirtschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Nicht störende Handwerksbetriebe . . . . .
1
8
10
23
28
31
32
33
III. Ausnahmsweise zulässigen Nutzungen . . . . .
1. Sonstige Wohngebäude mit nicht mehr
als zwei Wohnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Anlagen für kirchliche, kulturelle,
soziale, gesundheitliche und sportliche
Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Tankstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Nicht störende Gewerbebetriebe . . . . . . . .
IV. Stellplätze und Garagen, Räume für Freiberufler, Nebenanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Frühere BauNVO-Fassungen . . . . . . . . . . . . . . .
34
34
39
40
41
43
45
I. Allgemeine Zweckbestimmung, Entstehungsgeschichte
Nach Art der baulichen Nutzung ist das Kleinsiedlungsgebiet ein Wohnbaugebiet (vgl § 1 1
Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1: „WS“) mit entsprechendem Schutzanspruch. Es dient vorwiegend
der Unterbringung der in § 2 Abs. 1 genannten Hauptnutzungen, den Kleinsiedlungen und den
Vietmeier
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4. Teil:
Immissionsschutzrecht
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A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Bedeutung des Trennungsgebots als
Abwägungsdirektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Abstandserlasse und Leitfaden KAS-18
II. Beurteilung und Bewältigung von Lärmimmissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Grundlagen und technische Regelwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. DIN 18005 (Schallschutz im Städtebau) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Anwendung auf Bauleitpläne . . . . . . .
c) Einzelfallbeurteilung und Überschreitung der Orientierungswerte
3. TA Lärm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Einzelne Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Gemengelagen und Zwischenwertbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
f) Spielräume bei Bestimmung der
Zumutbarkeitsgrenze . . . . . . . . . . . . . . .
4. 16. BImSchV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Vorgehen bei der Beurteilung von
Verkehrslärm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) „Schienenbonus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. 18. BImSchV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Vorgehen bei der Beurteilung von
Sportlärm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Einzelfallbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Zulassung von Vorhaben . . . . . .
bb) Bauleitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Beurteilung und Bewältigung von Freizeitlärm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Beurteilung und Bewältigung atypischer
Geräusche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Maßnahmen zur Vermeidung unzumutbarer Lärmimmissionen . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gliederung nach
§ 1 Abs. 4 BauNVO . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Festsetzung von Emissionskontingenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Festsetzungen auf Zeit
(§ 9 Abs. 2 BauGB) . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . .
bb) Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
cc) Insbesondere: bedingte Festsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Maßnahmen des aktiven Schallschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Maßnahmen des passiven Schallschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bb) Schallschutzmaßnahmen an
Außenbauteilen nach
DIN 4109 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9. Publizitätsanforderungen bei Bezugnahme auf DIN-Vorschriften . . . . . . . . . . .
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III. Beurteilung und Bewältigung von Geruchsimmissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. VDI-Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) . .
a) Verfahren zur Ermittlung der
Geruchsbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Beurteilungsparameter . . . . . . . . . . . . . .
c) Tauglichkeit der GIRL . . . . . . . . . . . . . .
d) Trennungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Quellenbezogener Geruchsimmissionszusatzpegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Beurteilung und Bewältigung von Luftschadstoffen und Luftverunreinigungen . . . .
1. 39. BImSchV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. TA Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Vorgehen zur Beurteilung der
Schädlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Beurteilung der Schädlichkeit . . . . . . .
3. Bioaerosole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Beurteilung und Bewältigung von Lichtimmissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Regelwerke und Bindungswirkung . . . . .
2. Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. TA Lärm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Rechtsnatur und Bindungswirkung der
TA Lärm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Wirkung und Messung von Lärm . . . . . .
3. Änderungen in der TA Lärm 1998 im
Vergleich zur TA Lärm 1968 . . . . . . . . . . .
II. Bestimmungen der TA Lärm . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Schädliche Umwelteinwirkungen
durch Geräusche (Nr. 2.1) . . . . . . . . . .
b) Einwirkungsbereich einer Anlage
(Nr. 2.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Maßgeblicher Immissionsort,
m.I.O. (Nr. 2.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Vor-, Zusatz- und Gesamtbelastung; Fremdgeräusche (Nr. 2.4) . . . .
e) Stand der Technik zur Lärmminderung (Nr. 2.5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
f) Schalldruckpegel LAF(t) (Nr. 2.6) . .
g) Mittelungspegel LAeq (Nr. 2.7) . . . .
h) Kurzzeitige Geräuschspitzen
(Nr. 2.8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
i) Taktmaximalpegel LAFT(t), Taktmaximal-Mittelungspegel LAFTeq
(Nr. 2.9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
j) Beurteilungspegel Lr (Nr. 2.10) . . . . .
3. Allgemeine Grundsätze für genehmigungsbedürftige Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Grundpflichten des Betreibers
(Nr. 3.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Prüfung der Einhaltung der Schutzpflicht (Nr. 3.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
aa) Prüfung im Regelfall . . . . . . . . . . .
(1) Akzeptorbezogene Bewertung (Nr. 3.2.1 Abs. 1) . . . . .
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A. Überblick
(2)
Irrelevanzkriterium
(Nr. 3.2.1 Abs. 2) . . . . . . . . . . .
(3) Ständige Richtwertüberschreitung um 1 dB (A)
(Nr. 3.2.1 Abs. 3) . . . . . . . . . . .
(4) Sanierung mit zeitweiliger
Richtwertüberschreitung
(Nr. 3.2.1 Abs. 4) . . . . . . . . . . .
(5) Ständig vorherrschende
Fremdgeräusche
(Nr. 3.2.1 Abs. 5) . . . . . . . . . . .
(6) Prognose (Nr. 3.2.1 Abs. 6)
bb) Ergänzende Prüfung im Sonderfall (Nr. 3.2.2) . . . . . . . . . . . . . .
c) Prüfung der Einhaltung der Vorsorgepflicht (Nr. 3.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Allgemeine Grundsätze für die Prüfung
nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Grundpflichten des Betreibers
(Nr. 4.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Vereinfachte Regelfallprüfung
(Nr. 4.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Anforderungen bei unvermeidbaren
schädlichen Umwelteinwirkungen
(Nr. 4.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Anforderungen an bestehende Anlagen
a) Nachträgliche Anordnungen bei
genehmigungsbedürftigen Anlagen
(Nr. 5.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Anforderungen im Einzelfall bei
nicht genehmigungsbedürftigen
Anlagen (Nr. 5.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Mehrere zu einer schädlichen
Umwelteinwirkung beitragende
Anlagen unterschiedlicher Betreiber
(Nr. 5.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6. Immissionsrichtwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Immissionsrichtwerte für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden
(Nr. 6.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Immissionsrichtwerte für Immissionsorte innerhalb von Gebäuden
(Nr. 6.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Immissionsrichtwerte für seltene
Ereignisse (Nr. 6.3) . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Beurteilungszeiten (Nr. 6.4) . . . . . . . .
e) Zuschlag für Tageszeiten mit
erhöhter Empfindlichkeit (Nr. 6.5)
f) Zuordnung des Immissionsortes
(Nr. 6.6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
g) Gemengelagen (Nr. 6.7) . . . . . . . . . . . .
h) Ermittlung der Geräuschimmissionen (Nr. 6.8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
i) Messabschlag bei Überwachungsmessungen (Nr. 6.9) . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Besondere Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Ausnahmeregelung in Notsituationen (Nr. 7.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bestimmungen für seltene Ereignisse (Nr. 7.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Berücksichtigung tieffrequenter
Geräusche (Nr. 7.3) . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Berücksichtigung von Verkehrsgeräuschen (Nr. 7.4) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Zugänglichkeit der Norm- und Richtlinienblätter (Nr. 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9. Aufhebung von Vorschriften (Nr. 9) . . . .
10. Inkrafttreten (Nr. 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Anhang zur TA Lärm: Ermittlung der
Geräuschimmissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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360
A. Überblick
I. Ausgangslage
1 Nahezu jeder Bauleitplan wirft Immissionskonflikte auf, die gemäß § 1 Abs. 7 BauGB von der
Gemeinde sachgerecht abwägend zu bewältigen sind. Dabei spielt insbesondere der Abwägungsleitsatz des § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB, wonach die allgemeinen Anforderungen an gesunde
Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung bei der
Abwägung zu berücksichtigen sind, eine gewichtige Rolle.
1. Bedeutung des Trennungsgebots als Abwägungsdirektive
2 Bei der Zuordnung von Nutzungsarten zu Flächen ist der Plangeber nicht vollständig frei. In
diesem Zusammenhang kommt dem in § 50 BImSchG verankerten Trennungsgebot besondere
Bedeutung zu, das im Sinne des Vorsorgeprinzips der planerischen Vermeidung schädlicher
Umwelteinwirkungen durch die Trennung emittierender Betriebe und schützenswerter Gebiete
dient. Erfasst werden dabei alle Immissionen, in erster Linie Lärm und Luftverunreinigungen.1
3 § 50 BImSchG enthält mehrere Gebote in Bezug auf die (nicht notwendig nur räumliche) Trennung von emittierenden Nutzungen gegenüber anderen Flächen. Die in § 50 BImSchG bezeichneten Maßnahmen sind Vorsorgemaßnahmen. Die Norm behandelt zunächst die Sicherung
1 Jarass, BImSchG, Kommentar, 8. Aufl. 2010, § 50 Rn 20 mwN § 50 Rn 12; Koch in: Koch/Pach/Scheuing/
Schulze-Fielitz, GK-BImSchG, Stand: 2010, § 50 Rn 96.
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I. Ausgangslage
ImmSchR
schutzbedürftiger Gebiete gegen schädliche Umwelteinwirkungen allgemein und dann speziell
vor Störfallfolgen (§ 50 S. 1 BImSchG).
Im ersten Fall liegt in Gestalt des Trennungsgebotes eine planungsrechtliche Abwägungsdirekti- 4
ve vor, die bereits bei der konzeptionellen Ausgestaltung der Planung unter dem Gesichtspunkt
der generellen räumlichen Zuordnung potenziell unverträglicher Nutzungen Berücksichtigung
finden muss.2 Der Trennungsgrundsatz besagt, dass Bereiche mit emissionsträchtigen Nutzungen und solche mit immissionsempfindlichen Nutzungen räumlich so zu trennen sind, dass
schädliche Umwelteinwirkungen so weit wie möglich vermieden werden.
Eine Bauleitplanung ist regelmäßig verfehlt, wenn sie unter Verstoß gegen den Trennungs- 5
grundsatz des § 50 BImSchG dem Wohnen dienende Gebiete anderen Gebieten so zuordnet,
dass schädliche Umwelteinwirkungen auf die Wohngebiete nicht so weit wie möglich vermieden werden.3 Der Trennungsgrundsatz gilt vor allem im Verhältnis von Wohngebieten zu Gewerbe- und Industriegebieten. Der Grundsatz der zweckmäßigen Zuordnung von unverträglichen Nutzungen ist ein wesentliches Element geordneter städtebaulicher Entwicklung und damit ein elementares Prinzip städtebaulicher Planung.
Die Anwendung des § 50 BImSchG setzt eine Abwägung aller beteiligten Belange, § 50 S. 1 6
Alt. 1 BImSchG für seine Anwendung eine gründliche Prognose der schädlichen Umwelteinwirkungen voraus.4
Der Trennungsgrundsatz gemäß § 50 S. 1 Alt. 1 BImSchG stellt jedoch kein zwingendes Gebot 7
dar, sondern er kann als Abwägungsdirektive im Rahmen der planerischen Abwägung durch
andere Belange von hohem Gewicht überwunden werden.5 Der Rechtsprechung zu § 50
BImSchG ist nicht zu entnehmen, dass eine Zurückstellung immissionsschutzrechtlicher Belange
nur dann abwägungsfehlerfrei ist, wenn die Planung durch entgegenstehende Belange mit hohem Gewicht „zwingend“ geboten ist. Ob sich eine Abwägungsdirektive wie der Grundsatz der
Trennung unverträglicher Raumnutzungen in der Abwägung durchsetzt, entscheidet sich erst in
einer Bewertung der konkreten Einzelfallumstände.6
Vom Trennungsgrundsatz sind Ausnahmen zulässig, wenn sichergestellt werden kann, dass von 8
der projektierten Nutzung im Plangebiet nur unerhebliche Immissionen ausgehen, und wenn im
Einzelfall städtebauliche Gründe von besonderem Gewicht hinzutreten, die es rechtfertigen,
eine planerische Vorsorge durch räumliche Trennung zurücktreten zu lassen.7 Im Falle der
Neuansiedlung eines Störfallbetriebes in der Nähe schutzwürdiger Gebiete bildet der Trennungsgrundsatz jedoch eine grundsätzlich nur schwer überwindbare Schranke der Abwägung.8
Das Trennungsgebot des § 50 BImSchG und die entsprechende Konfliktlösungsmethode nach 9
§ 1 Abs. 7 BauGB finden jedoch keine Anwendung, wenn es um die Überplanung einer vorhan-
2 BVerwG, 26.3.2007, 7 B 73.06, NVwZ 2007, 833; OVG Münster, 3.9.2009, 10 D 121/07.NE, BauR 2010,
572.
3 BVerwG, 23.1.2002, 4 BN 3.02, BRS 55 Nr. 9.
4 Koch in: Koch/Pach/Scheuing/Schulze-Fielitz, GK-BImSchG, Stand 2010, § 50 Rn 42.
5 BVerwG, 13.5.2009, 9 A 71.07, Städte- und Gemeinderat 2009 Nr. 7-8, 30; BVerwG, 25.5.2011, 9 A 15.10;
BVerwG, 28.1.1999, 4 CN 5.98, BVerwGE 108, 248.
6 BVerwG, 16.3.2006, 4 A 1075.04, BVerwGE 125, 116.
7 BVerwG, 19.4.2012, 4 CN 3/11, BVerwGE 143, 24; BVerwG, 5.12.2008, 9 B 28.08, UPR 2009, 154;
BVerwG, 22.3.2007, 4 CN 2.06, BVerwGE 128, 238; BVerwG, 28.1.1999, 4 CN 5.98, BVerwGE 108, 248;
BVerwG, 22.3.1985, 4 C 73.82, BVerwGE 71, 163; OVG Münster, 12.12.2012, 10 D 85/10.NE, BauR 2013,
741; zusammenfassend: Moench/Hennig, DVBl 2009, 807, 808.
8 OVG Münster, 6.3.2008, 10 D 103/06.NE, ZUR 2008, 434; OVG Lüneburg, 25.6.2001, 1 K 1850/00, NVwZRR 2002, 172; Louis/Wolf, NuR 2007, 1, 4; Weidemann, DVBl 2006, 1143.
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A. Überblick
denen Gemengelage geht.9 Eine Gemengelage ist durch ein bereits vorhandenes Nebeneinander
grundsätzlich unverträglicher Nutzungen gekennzeichnet.10
10 Soweit das Trennungsgebot demnach keine strikte Beachtenspflicht entfaltet, sind Ausnahmen
denkbar, wenn sichergestellt werden kann, dass von einem Industrie- bzw Gewerbegebiet nur
unerhebliche Immissionen ausgehen, und besondere Umstände des Einzelfalls hinzutreten. Im
Übrigen ist die Trennung unverträglicher Nutzungen durch das Einhalten von Abständen im
Hinblick auf die vielfältigen Festsetzungsmöglichkeiten nur eine von mehreren Möglichkeiten
zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen, so dass je nach der räumlichen Situation
auch sonstige Maßnahmen wie zB die gezielte Festsetzung von Schutzmaßnahmen nach § 9
Abs. 1 BauGB genutzt werden können (vgl dazu auch Rn 120 ff).11
11 Eine strikte Auslegung des in § 50 BImSchG verankerten Trennungsgrundsatzes wäre außerdem
unvereinbar mit dem in § 1 a Abs. 2 S. 1 BauGB niedergelegten Grundsatz des sparsamen und
schonenden Umgangs mit Grund und Boden. Stellt sich heraus, dass im konkreten Fall unter
Beachtung der getroffenen Festsetzungen keine Unzuträglichkeiten zwischen den Gewerbebetrieben und der Wohnnutzung zu erwarten sind, kann die Gemeinde dies bei der Abwägung
auch dahin gehend berücksichtigen, dass zB das Nebeneinander im Bebauungsplan ausgewiesen
wird.12
2. Abstandserlasse und Leitfaden KAS-18
12 Zur Beurteilung, welcher Abstand zwischen schutzwürdiger Wohnbebauung und industriellen
bzw gewerblichen Nutzungen zur Wahrung gesunder Wohnverhältnisse einzuhalten ist, haben
zahlreiche Bundesländer zur Konkretisierung des Trennungsgebots sog. Abstandserlasse verordnet.
13 So hat zB in Nordrhein-Westfalen das Ministerium für Umwelt- und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW mit Runderlass vom 6.6.2007 – Abstände zwischen Industrie- bzw Gewerbegebieten und Wohngebieten im Rahmen der Bauleitplanung und sonstige für
den Immissionsschutz bedeutsame Abstände (Abstandserlass, V-3-8804.25.1 v. 6.6.2007)13 –
festgelegt, welche Mindestabstände zwischen emittierenden Anlagen und angrenzender Wohnbebauung in der Planung einzuhalten sind. In der Abstandsliste 2007, Anlage 1 zu diesem
Runderlass, werden die jeweils notwendigen Mindestabstände in Abhängigkeit vom jeweiligen
Störgrad der Anlage festgelegt. Der Abstandserlass NRW geht davon aus, dass es trotz dem
Stand der Technik und trotz entsprechender Schutzvorkehrungen auch bei bestimmungsgemäßem Betrieb von Anlagen zu Gefahren und erheblichen Belästigungen kommen kann (Abstandserlass Ziff. 2.1) und hält deswegen eine vorsorgende räumliche Trennung für ggf sinnvoll.
14 Verfahrensmäßig empfiehlt der Abstandserlass NRW (Ziff. 2.4.1.2/3), bei bekannter Nutzungsart im Plangebiet diejenigen Nutzungen durch Festsetzung im Plan auszuschließen, bei denen
die als Regel empfohlenen Abstände unterschritten werden. Sollen die Anlagen trotz Abstandsunterschreitung zugelassen werden, so wird die Einholung eines Gutachtens empfohlen, das
klärt, ob der Abstand im Einzelfall ausreichen wird, um Gefahren, erhebliche Nachteile und Belästigungen zu vermeiden.
9 BVerwG, 21.7.2008, 1 MN 7/08, BauR 2009, 465; Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 1
Rn 111.
10 Schrödter in: Schrödter, BauGB, Kommentar, 7. Aufl. 2006, § 9 Rn 152.
11 OVG Münster, 3.9.2009, 10 D 121/07.NE, BauR 2010, 572; Krautzberger/Söfker in: EZBK, BauGB, § 1
Rn 230.
12 BVerwG, 20.1.1992, 4 B 71/90, NVwZ 1992, 663.
13 GMBl. NRW Nr. 283 (Text s.u. Anhang 8).
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II. Beurteilung und Bewältigung von Lärmimmissionen
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Die Abstandslisten sind für die Bauleitplanung allerdings nicht zwingend, da sie nur Empfeh- 15
lungen enthalten,14 auf sie kann im Regelfall im Sinne einer sachverständigen Empfehlung zurückgegriffen werden. Dies hat zur Folge, dass der Plangeber bei besonderen städtebaulichen
Gründen und Wahrung des Gebotes gesunder Wohnverhältnisse im Plangebiet durchaus auch
von diesen Vorgaben abweichen kann.15
Die in den Abstandserlassen genannten Anforderungen lassen die aus Gründen des Störfall- 16
schutzes erforderlichen Abstände unberührt (vgl dazu etwa S. 13 des Abstandserlasses NRW).
Vergleichbare Hinweise wie die Abstandslisten gibt der – ebenfalls für die Bauleitplanung nicht 17
verbindliche – Leitfaden „Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der
Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung; Umsetzung § 50 BImSchG“ (KAS-18) der Kommission für Anlagensicherheit, der zuletzt im Jahr
2010 überarbeitet worden ist, zur Beurteilung notwendiger Abstände bei Störfallbetrieben.16
Eine Planung, die keine sicheren Detailkenntnisse der Gefahren durch die spätere Nutzung hat,
soll sicherheitshalber größere Abstände festsetzen (Ziff. 2.1). Wie der Abstandserlass NRW
empfiehlt der Leitfaden bei Abstandsunterschreitung eine Einzelfallprüfung. Der Leitfaden setzt
Wohngebiete und Freizeitgebiete bzgl ihres Schutzanspruches gleich.
II. Beurteilung und Bewältigung von Lärmimmissionen
Es steht außer Frage, dass das Interesse, von zusätzlichen Lärmimmissionen verschont zu blei- 18
ben, keineswegs gering und deshalb mit besonderem Gewicht in die planerische Abwägung einzustellen ist. Lärmbelästigungen sind nicht erst dann abwägungsbeachtlich, wenn sie als schädliche Umwelteinwirkungen zu qualifizieren sind oder gar die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung überschreiten.17
Die Baugebietsvorschriften der BauNVO sind nach unterschiedlichem Störgrad der Betriebe 19
und unterschiedlicher Schutzwürdigkeit von Nutzungen, insbesondere der Wohnnutzung, unterteilt. Auch die planungsrechtlichen Zulässigkeitsregelungen stellen in unterschiedlicher Weise
– etwa bei Anwendung des Gebots der Rücksichtnahme in Fällen des § 34 BauGB oder des § 15
Abs. 1 BauNVO – auf zumutbare oder sonst vertretbare Immissionen an Lärm ab.
Grenzwerte und Regeln zur Berechnung von Emissionen und Immissionen sind im Baupla- 20
nungsrecht nicht festgelegt, das BauGB und die BauNVO enthalten hierzu keinerlei Regelungen. Allerdings legt das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) das Maß der gebotenen
Rücksichtnahme von Belästigungen und Störungen durch Umwelteinwirkungen auch mit Wirkung für das Baurecht grundsätzlich allgemein fest. Bewertungsmaßstab für Belästigungen
durch Geräusche (§ 3 Abs. 2 BImSchG) ist daher im Grundsatz, ob sie nach Art, Ausmaß oder
Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 BImSchG).18 Diese Frage ist, sofern rechtlich verbindliche Grenzwerte fehlen, in
umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beantworten.19 In diesem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Immissionsschutzrecht nicht nur den
Schutz vor Gefahren, erheblichen Beeinträchtigungen und erheblichen Belästigungen zum Gegenstand hat (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG), sondern dass der Vorsorgegrundsatz des § 5 Abs. 1
14 OVG Münster, 17.10.1996, 7 a D 122/94.NE, BRS 58 Nr. 30.
15 VerfGH NRW, 11.7.1995, VerfGH 21/93, NVwZ 1996, 262; OVG Münster, 17.10.1996, 7 a D 122/94.NE,
BRS 58 Nr. 30; Mitschang, ZfBR 2009, 538.
16 Abrufbar unter <www.kas-bmu.de/publikationen/kas_pub.htm>.
17 BVerwG, 8.6.2004, 4 BN 19.04, BRS 67 Nr. 19; BVerwG, 17.2.2010, 4 BN 59/09, BauR 2010, 1180.
18 BVerwG, 30.9.1983, 4 C 74/78, BVerwGE 68, 58; BVerwG, 23.9.1999, 4 C 6/98, BVerwGE 109, 314 mwN.
Das gilt auch im Anwendungsbereich des § 15 BauNVO: BVerwG, 24.9.1992, 7 C 7/92, DVBl 1993, 111.
19 BVerwG, 19.1.1989, 7 C 77/87, BVerwGE 81, 197.
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A. Überblick
Nr. 11 BImSchG den Plangeber ebenso dazu verpflichtet, soweit notwendig auch Maßnahmen
zum vorsorgenden Immissionsschutz zu treffen.20
1. Grundlagen und technische Regelwerke
21 Zur Beurteilung von Lärmimmissionen geeignete Grenz-, Orientierungs- und Richtwerte finden
sich in verschiedenen technischen Regelwerken, die für die Bauleitplanung und die bauplanungsrechtliche Beurteilung von zulässigen Vorhaben in den Baugebieten in unterschiedlicher
Weise und teils unmittelbar oder mittelbar von Bedeutung sind.
22 Dies gilt insbesondere für die DIN 18005 (Schallschutz im Städtebau), die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm), die Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV) und die
Achtzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Sportanlagenlärmschutzverordnung – 18. BImSchV).
23 Bei Anwendung dieser verschiedenen technischen Regelwerke ist Folgendes zu beachten: Zum
einen hängt die Wirkung des Lärms auf den Menschen von einem Bündel von Faktoren ab, die
vielfach nur unvollkommen in einen einheitlichen Messwert aggregierend zusammen gefasst
werden können. Dazu gehören etwa die Stärke, die Dauer, die Häufigkeit, die Tageszeit ihres
Auftretens, die Frequenzzusammensetzung, die Auffälligkeit (Lärm nebst Impulshaltigkeit), die
Informationshaltigkeit, die Tonhaltigkeit, die allgemeine Ortsüblichkeit sowie das subjektive
Empfinden des Betroffenen nach psychischen und physischen Merkmalen.21
24 In technischer Hinsicht ist zu beachten, dass bei der Beurteilung des Lärms nach allen technischen Regelwerken Dezibel-Werte die maßgebliche Beurteilungsgröße sind. Die Lärmberechnung beruht also nicht auf arithmetischen, sondern auf logarithmischen Vorgaben. Bei einem
solchermaßen zu gewinnenden Mittelwert müssen zur Bestimmung der Zumutbarkeit zudem
die Ortsüblichkeit und die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, wobei insbesondere
auch die Priorität der entgegenstehenden Nutzungen von Bedeutung ist.22
25 Diese Art der Lärmberechnung hat zur Folge, dass die Verdoppelung der Schallenergie nicht etwa zu einer Verdoppelung des Pegelwertes, sondern nur zu einer Erhöhung um 3 dB(A) führt.
Diese Verdopplung nimmt der Mensch hingegen nur als merkbare Erhöhung der Lautheit
wahr, er nimmt eine Verdopplung subjektiv erst ab einer Veränderung von 8 bis 10 dB(A) als
solche wahr.23
26 Weiter stellen die genannten Regelwerke hinsichtlich der Bewertung der Zumutbarkeit von
Lärmimmissionen grundsätzlich nicht auf Einzelpegel ab (dies ist nur ausnahmsweise, wie etwa
bei der TA Lärm für besondere Spitzenzeiten, der Fall, vgl dazu Rn 60 ff), sondern auf sog. Mittelungspegel. Ziel des Mittelungspegels ist es, für schwankende Geräusche, die über einen Zeitraum auftreten, einen Wert festzulegen, der einem für dieselbe Zeit einwirkenden Dauerpegel
entspricht.24 Außerdem sind in der Regel Außenpegel maßgeblich, so dass zur Ermittlung von
Innenpegeln eine entsprechende Rückrechnung zu erfolgen hat. Soweit von Beurteilungspegeln
die Rede ist, ist damit der nach dem jeweiligen technischen Regelwerk jeweils zulässige Lärmpegel gemeint.
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BVerwG, 28.9.2002, 4 CN 5/01, BauR 2002, 1348.
BVerwG, 20.10.1989, 4 C 12/87, BVerwGE 84, 31.
BVerwG, 7.2.1986, 4 C 49.82, BauR 1986, 414.
Kuschnerus, Der sachgerechte Bebauungsplan, Rn 437 f.
BVerwG, 21.3.1996, 4 C 9/95, NVwZ 1996, 1006.
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II. Beurteilung und Bewältigung von Lärmimmissionen
ImmSchR
2. DIN 18005 (Schallschutz im Städtebau)
a) Anwendungsbereich
Die DIN 18005 (Schallschutz im Städtebau) ist das wichtigste Regelwerk zur Beurteilung der 27
Lärmimmissionen im Rahmen der Bauleitplanung. Sie enthält in ihrem Beiblatt 1 Orientierungswerte als Außenwerte, die der jeweiligen Baugebietsart und den jeweiligen Tageszeiten
entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmte Orientierungswerte zuordnen.
Von den beiden Nachtwerten gilt der erste für den Verkehrslärm, der zweite für den Gewerbe- 28
und Freizeitlärm. Zum Gewerbelärm gehört auch der Verkehrslärm, der durch die Benutzung
einer gewerblichen Anlage (etwa von Pkw auf dem Parkplatz eines Einzelhandelsbetriebes) hervorgerufen wird. Grundstücke, die im Außenbereich liegen, können nur den Schutzanspruch eines Dorf- oder Mischgebietes in Anspruch nehmen.25
Die DIN 18005 normiert selbst kein Berechnungsverfahren, sondern greift dabei auf andere 29
technische Regelwerke (wie etwa die Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen und Schienenwegen – RSL 90, die Parkplatzlärmstudie, die Richtlinien Schall 03 und Akustik 04, das Fluglärmgesetz, die TA Lärm und die 18. BImSchV) zurück.
b) Anwendung auf Bauleitpläne
Ein Bauleitplan muss insbesondere mit Blick auf die Lärmschutzbelange den Anforderungen des 30
Abwägungsgebots nach § 1 Abs. 7 BauGB genügen.
Die Rechtsprechung hat sich bislang nicht abschließend zu der Frage geäußert, ab welchen 31
Außenpegeln einer Lärmbelastung von unzumutbaren Wohnverhältnissen auszugehen ist bzw
wann die Schwelle zur Gesundheitsgefahr überschritten wird. Lediglich im Bereich des Fluglärms ist anerkannt, dass die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung bei einem permanenten Pegel
von 70 dB(A) am Tag anzusetzen ist, weil dann ein wissenschaftlich begründeter und nicht von
der Hand zu weisender Verdacht einer Gesundheitsgefährdung besteht.26 Nach Aussage des
BVerwG handelt es sich dabei jedenfalls um eine kritische Toleranzschwelle.27 Davon ausgehend spricht Vieles dafür, dass eine Bauleitplanung, die als Außenwert einen Wert von mehr als
70 dB(A) zulässt, nicht mehr vertretbar sein und gegen das Abwägungsgebot verstößt.28
Welche Lärmbelastung der schutzwürdigen Wohnnutzung unterhalb der Grenze zu Gesund- 32
heitsgefahren zugemutet werden darf, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Werden
neue Wohngebiete geschaffen, ist die Planung insbesondere auch darauf auszurichten, dass in
dem betreffenden Gebiet ein den berechtigten Wohnerwartungen und Wohngewohnheiten entsprechendes Wohnen gewährleistet ist. Dieses erfasst sowohl das Leben innerhalb der Gebäude
als auch die angemessene Nutzung der Außenwohnbereiche wie Balkone, Terrassen, Hausgärten, Kinderspielplätze und sonstiger Grün- und Freiflächen.29 Die angemessene Befriedigung
der Wohnbedürfnisse setzt insbesondere voraus, dass innerhalb der Gebäude eine durch Außengeräusche nicht beeinträchtigte Entfaltung des Lebens der Bewohner möglich ist.30
Auch wenn die DIN 18005 für die Bauleitplanung keine strikte Verbindlichkeit entfaltet, kön- 33
nen ihre Orientierungswerte zur Bestimmung der zumutbaren Lärmbelastung eines Wohnge-
25 Vgl zum Schutzanspruch von Außenbereichsgrundstücken etwa: OVG Münster, 30.1.2009, 7 D 11/08.NE,
BRS 74 Nr. 33.
26 BVerwG, 16.3.2006, 4 A 1075/04, BVerwGE 125, 116.
27 BVerwG, 16.3.2006, 4 A 1075/04, BVerwGE 125, 116; BVerwG, 9.11.2006, 4 A 2001.06 BVerwGE 127,
95; VGH Kassel, 10.10.2011, 11 B 1834/11.T, DÖV 2012, 80.
28 Zutreffend: Kuschnerus, Der sachgerechte Bebauungsplan, Rn 452.
29 BVerwG, 22.3.2007, 4 CN 2/06, BauR 2007, 1365; VGH Kassel, 22.4.2010, 4 C 306/09.N, BauR 2010,
1531; OVG Münster, 16.12.2005, 7 D 48/04.NE; BVerwG, 21.5.1976, IV C 80.74, NJW 1976, 1760.
30 VGH Kassel, 22.4.2010, 4 C 306/09.N, BauR 2010, 1531.
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