oder Kapitalverkehrsfreiheit Der Fall Fidium Finanz AG

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oder Kapitalverkehrsfreiheit Der Fall Fidium Finanz AG
Europäisches und Internationales Aktienrecht
Teil 4
Prof. Dr. Rolf Sethe, LL.M.
Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Der Fall Fidium Finanz AG
 Fidium Finanz AG ist AG nach Schweizer Recht.
 Vertrieb von Kleinkrediten im Ausland
 Daher in CH keine Erlaubnis als Bank notwendig
 Sie hat keine Niederlassung in D.
 Im April 2002 ändert deutsche Aufsicht ihren
Standpunkt. Anstelle der physischen Präsenz im
Inland ist nun das Auswirkungsprinzip massgebend.
Es kommt auf den Marktort bzw. den Vertrieb im
Inland an.
 Die BaFin verbietet der Fidium Finanz AG die
Tätigkeit in D nach § 37 KWG.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Der Fall Fidium Finanz AG
 Die Fidium Finanz AG klagt gegen den Bescheid.
 Das VG Frankfurt legt den Fall nach Art. 234 EG
dem EuGH vor (Verwaltungsgericht Frankfurt/Main,
WM 2005, 503 ff.).
 Problem: Anwendung von Verwaltungsrecht auf
grenzüberschreitende Sachverhalte.
 Frage: Ist die Dienstleistungs- und/oder
Kapitalverkehrsfreiheit betroffen?
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Das massgebliche deutsche Recht
§ 32 I KWG
„Wer im Inland gewerbsmässig oder in einem Umfang,
der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten
Geschäftsbetrieb erfordert, Bankgeschäfte betreiben
oder Finanzdienstleistungen erbringen will, bedarf der
schriftlichen Erlaubnis der Bundesanstalt.“
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Das massgebliche deutsche Recht
 Historische Auslegung
• 1961 wollte der Gesetzgeber bewusst keine
ausländischen Kreditinstitute erfassen
(Bundestagsdrucksache III 884).
• Meinungsumschwung 2002 im Diskussionsentwurf zum 4. Finanzmarktförderungsgesetz:
„wenn der Erbringer oder Empfänger seinen Sitz
oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“.
Diese Änderung liess sich nicht durchsetzen.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Das massgebliche deutsche Recht
 Systematische Auslegung
• Gesetz gibt keine Anhaltspunkte. Nur Regelung
zu EU- und EWR-Banken, aus denen sich aber
kein Rückschluss ziehen lässt, da es sich um
einen speziellen Fall handelt, der nicht
verallgemeinerungsfähig ist.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Das massgebliche deutsche Recht
 Teleologische Auslegung
• gewandelte Marktbedingungen
• technischer Fortschritt
• erhebliche Gefährdung der Einleger
• Auswirkungsprinzip setzt sich im Wirtschaftsrecht
international immer mehr durch (Kartellrecht,
Wertpapierhandelsrecht, Übernahmerecht)
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Das massgebliche deutsche Recht
 Wortlaut „im Inland“ kann also als Präsenz des
Anbieters oder als Auswirkung im Inland
interpretiert werden.
 Wendet sich der Kunde dagegen von sich aus an
einen ausländischen Anbieter, unterfällt der
Vorgang dessen Aufsichtsrecht.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Das EuGH-Urteil
 Die RL 88/361/EG erfasst auch Bankdarlehen
(EuGH, v. 14.11.1995, Rs. C-484/93 N.10. –
Svensson & Gustavsson; EuGH, Urt. v. 09.07.1997,
Rs. C-222/95 N. 8 – Parodi)
 Schweiz unterfällt der Kapitalverkehrsfreiheit, da sie
auch für Drittstaaten gilt.
 Aber: Verdrängt die Dienstleistungsfreiheit die
Kapitalverkehrsfreiheit?
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Das EuGH-Urteil
 Die Rechtsprechung des EuGH ist uneinheitlich
zum Verhältnis der beiden Grundfreiheiten
• Die Kapitalverkehrsfreiheit hat nach Art. 50 EG
Vorrang (EuGH, Urt. v. 09.07.1997, Rs. C222/95 N. 8, 10 – Parodi).
• Die Kapitalverkehrsfreiheit hat keinen Vorrang
(EuGH, Urt. v. 28.04.1998, Rs. C-118/96 N. 35 –
Safir).
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Das EuGH-Urteil
 Im Entscheid Fidium stellt der EuGH klar, dass Art.
50 EG nur dazu dient, einen Auffangtatbestand zu
schaffen, falls man nicht weiss, wie die wirtschaftliche Tätigkeit einzuordnen ist (Auffangtatbestand).
 Die Vorschrift diene aber nicht dazu, das Verhältnis
der Grundfreiheiten zu ordnen (Subsidiarität).
 Wenn beide Grundfreiheiten berührt seien, müsse
geprüft werden, welche Grundfreiheit im
Vordergrund stehe (Schwerpunkttheorie).
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Das EuGH-Urteil
 Im vorliegenden Fall waren nach Ansicht des EuGH
beide Grundfreiheiten berührt:
• Durch die Pflicht zur Zulassung wird zumindest
indirekt die Kreditgewährung erschwert, so dass
die Kapitalverkehrsfreiheit berührt sei.
• Die Frage der Zulassung im Inland zwingt die
Fidium zu einer Niederlassung nach § 33 KWG.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Das EuGH-Urteil
 Aber die Kapitalverkehrsfreiheit trete hinter der
Dienstleistungsfreiheit deutlich zurück ("völlig
zweitrangig" ), so dass allein die Dienstleistungsfreiheit zugunsten der Fidium ins Feld geführt
werden könne.
 Da die Fidium aber aus einen Drittstaat stamme,
könne sie sich nicht auf die Dienstleistungsfreiheit
berufen.
 Im Ergebnis setzte sich damit die BaFin durch.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Kritik
 Das Urteil unterliegt heftiger Kritik. Warum die
zweite betroffene Grundfreiheit nicht geprüft werde,
erläutert der EuGH nicht.
 Ausserdem erklärt der EuGH nicht, nach welchen
Kriterien er den Schwerpunkt der Tätigkeit
bestimmen will.
 Bei der Kreditgewährung ist fraglich, ob nicht der
Schwerpunkt gerade auf der Kapitalverkehrsfreiheit
liegt, da die Beratung nicht im Vordergrund steht.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Kritik
 Zwei Gegenauffassungen werden vertreten:
• Der Schwerpunkt liege gerade auf die
Kapitalverkehrsfreiheit.
• Art. 50 EG enthalte einen Anwendungsvorrang der
Kapitalverkehrsfreiheit (Subsidiaritätsregelung).
 In beiden Fällen stellt die Forderung der BaFin nach
Zulassung der Fidium eine Beschränkung der
Kapitalverkehrsfreiheit dar.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Kritik
 Die Beschränkung in § 32 KWG müsste
gerechtfertigt sein. Es kommt Art. 58 Abs. 1 lit. b EG
in Betracht, wonach Art. 56 EGV nicht das Recht der
Mitgliedstaaten berührt, „die unerlässlichen
Massnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen
gegen innerstaatliche Rechts- und
Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem
Gebiet […] der Aufsicht über Finanzinstitute, zu
verhindern“.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Kritik
 Die Erlaubnispflicht ist nicht diskriminierend.
 Sie dient dem Schutz der Allgemeinheit durch
• Schutz der Kreditnehmer vor unseriösen
Vertragsbedingungen,
• Schutz des Marktes vor einer unkontrollierten
Vergabe von Grosskrediten durch finanziell
mangelhaft ausgestattete Finanzdienstleister,
• Überwachung der Einhaltung von Beratungs-,
Informations- und Prüfungspflichten,
• Verhinderung der Geldwäsche.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Kritik
 Die Erlaubnispflicht ist zur Verwirklichung der Ziele
geeignet.
 Es gibt kein milderes Mittel. Die blosse Anzeigepflicht
würde der BaFin nicht erlauben, bei Kundengefährdung einzugreifen.
 Damit ist die Zulassungspflicht gerechtfertigt.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Kritik
 Erfordernis eines Sitzes im Inland (§ 33 Abs. 1 S. 1
Nr. 6 KWG) ebenfalls gerechtfertigt?
• EuGH, Urt. v. 23.09.2003, Rs. C-452/01 N. 54 –
Ospelt, hat für den Erwerb von
landwirtschaftlichen Grundstücken entschieden,
dass das Erfordernis des ständigen Wohnsitzes
am Ort des Betriebes unverhältnismässig ist und
damit gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstösst.
• Ebenso in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit
EuGH, Urt. v. 11.03.2004, Rs. C-496/01 N. 69 –
Kommission/Frankreich; Urt. v. 06.06.1996, Rs. C101/94 N. 29 ff. – Kommission/Italien.
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Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit
Kritik
 Milderes Mittel wäre eine Aufsicht durch den
Heimatstaat und die blosse Vorlage von
Aufzeichnungen und Unterlagen.
 Da die Fidium in der Schweiz keiner Aufsicht
unterliegt, gibt es kein milderes Mittel als eine Pflicht
zur Niederlassung im Inland.
 Im Ergebnis würde auch die Gegenauffassung die
Position der BaFin teilen.
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