Auch ältere Flieger sind heute sicher

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Auch ältere Flieger sind heute sicher
Samstag, 30. August 2008 / Nr. 200
TA G E S T H E M A 3
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Luftfahrt
«Auch ältere Flieger sind heute sicher»
EXPRESS
Trotz härterem Konkurrenzkampf sei die Fliegerei sehr
sicher, sagt Airline-Manager
und Pilot Bruno Dobler. Und
appelliert auch an die Verantwortung der Passagiere.
Bei den Fluggesellschaften
habe ein Umdenken statt
gefunden, sagt der Experte.
Sie würden heute
viel offener über Pannen
informieren.
INTERVIEW VON SVEN GALLINELLI
ZWISCHENFALL
Bruno Dobler, vor zehn Tagen ist eine
Maschine der Fluggesellschaft Spanair
abgestürzt, einer Airline, die sich gerade
in einer Restrukturierungsphase befand.
Kann die Flugsicherheit in Zeiten eines
immer härter werdenden Marktes noch
gewährleistet werden?
Bruno Dobler: Die Sicherheit im Flugverkehr ist das höchste Gut einer jeden
Airline, denn sie ist der Dreh- und
Angelpunkt des Flugbetriebes. Eines ist
sich nämlich jede Fluggesellschaft bewusst: Nichts ist so teuer wie ein Unfall –
eine saubere Wartung der Flotte kommt
da viel billiger zu stehen.
Flugzeug musste
in Rom notlanden
Ein Passagierflugzeug der Fluggesellschaft Ryanair ist gestern in Rom
notgelandet, nachdem ein Warnlicht
ein Problem mit dem Fahrgestell
angezeigt hatte. Das Flugzeug sei auf
dem Flughafen Leonardo da Vinci
sicher gelandet, und niemand sei
verletzt worden, teilte ein AirportSprecher mit. Eine Untersuchung habe ergeben, dass es trotz der Warnanzeige kein Problem mit dem Fahrgestell gegeben habe, hiess es weiter.
Die Boeing 737-800 war in Bergamo mit 160 Menschen an Bord zum
römischen Flughafen Ciampino geap
startet.
Trotzdem: Eine Restrukturierung führt
zu Verunsicherung, Arbeitnehmer bangen um ihren Job. Das kann die Arbeitsqualität beeinflussen.
Dobler: Restrukturierungen sind immer einschneidend und führen zu Unsicherheiten beim Personal. Mitarbeiter
einer Airline sollten aber nie vergessen,
wem sie schlussendlich verpflichtet sind:
nämlich allein sich selber. Wenn ein
Techniker einen Fehler macht, der zu
einem Flugzeugabsturz führt, dann wird
man ihn zur Verantwortung ziehen. Jedem Mitarbeiter, egal ob Techniker, Pilot,
Flight Attendant oder Bodenpersonal,
kommt also grosse Verantwortung zu.
Dazu gehört, dass man keine Kompromisse eingeht, dass man Rückgrat zeigt
und eben auch einmal Nein sagt, wenn
man etwas nicht verantworten kann.
ten menschlich sind und dass die
Gesellschaft diese fördert, weil man
daraus lernen kann? Wohl kaum. Man
darf nicht stolz sein auf die Fehler, die
man macht. Um sie zu verhindern,
braucht es Disziplin, gute Ausbildung
und die richtige Einstellung zum Beruf.
Nun hört man aber in der Fliegerei
immer wieder von Beispielen, in denen
das Personal enorm beansprucht wird, Zwei Mechaniker montieren das Triebwerk eines Airbus-Langstreckenflugzeuges.
etwa beim irischen Billigflieger Ryanair.
Nach Ankunft an einem Flughafen hat
das Personal gerade knappe dreissig Körpers, darunter auch das Gehirn, mit Von welcher Gefahr sprechen Sie?
Minuten Zeit, um den Flieger für den zu wenig Blut versorgt. Um das zu
Dobler: Von plötzlichen Turbulenzen,
nächsten Abflug bereit zu machen; nö- verhindern, ist rasches Handeln durch die in gewissen Flughöhen einsetzen und
tig wäre aber mindestens eine Stunde. die Cockpitbesatzung zwingend.
alles im Flugzeug durcheinanderwirbeln
Gestresstes Personal ist nicht gerade
können – auch die Passagiere. Jährlich
eine gute Voraussetzung, wenn es in der Ein anderes Beispiel: Ein Flugzeug befin- erleiden viele Passagiere böse VerletzunLuft zu einem Ernstfall kommt.
det sich im Landeanflug. Kurz bevor der gen, und das aus einem einzigen Grund:
Dobler: Andererseits müssen Flug- Pilot auf die Piste aufsetzt, ist die weil sie sich nicht angeschnallt haben.
linien zweifellos sehr effizient organi- Maschine kräftigen Winden ausgesetzt
siert sein. Diese Tatsache kann sich und steht plötzlich quer zur Landebahn. Wie fest kann ein Passagier der kompleauch positiv auf die Flugsicherheit aus- Wie gefährlich ist diese Situation?
xen Flugzeugtechnik vertrauen?
wirken. Alle Airlines
Dobler: Die Maschinen sind sehr zuDobler: Ein Landestehen unter Daueranflug ist streng re- verlässig, wenn sie korrekt gewartet
«Nichts ist für eine Airline
beobachtung
der
glementiert. Turbu- werden. Jedes System in einem Flugzeug
so teuer wie ein Unfall.
Behörden,
aber
lenzen im Landean- ist mehrfach abgesichert. Die Untersuauch der Öffentlichflug sind normal, je- chung von Flugunfällen zeigt: In drei
Eine saubere Wartung der
keit und der Konder Pilot wird darauf Viertel aller Fälle war es menschliches
Flotte kommt da billiger.»
kurrenz: Heute, wo
trainiert. Klar: Wenn Versagen, das zum Unfall führte. Was
jeder Flugpassagier
der Passagier aus aber in keiner Statistik erwähnt wird, ist,
ein Handy mit Videofunktion besitzt, dem Fenster schaut und plötzlich fest- dass viele Unfälle verhindert werden
können Sie sicher sein, dass jeder stellt, dass die Maschine fast quer zur konnten, weil ein Mensch eine Situation
Vorfall in einem Flieger dokumentiert Landebahn anfliegt, erscheint ihm das richtig eingeschätzt, richtig gespürt hat.
wird. Das hat in den letzten Jahren zu dramatisch. Dabei kreuzt die Maschine
einem Umdenken in der Fliegerei ge- lediglich gegen den Seitenwind auf, was Der Volksmund sagt: Wo gearbeitet
führt. Heute informieren Unternehmen zu diesem Bild führt. Der Pilot kennt wird, da passieren Fehler. Das ist auch in
proaktiv, wenn sich Unregelmässigkei- die Limiten eines Flugzeugs, für ihn ist der Fliegerei nicht anders.
ten ergeben haben.
Dobler: Würden Sie einer Fluglinie
das nichts Unübliches. Ohnehin gibt es
viel unmittelbarere Gefahren, welche vertrauen, die stolz und öffentlich heZurück zum Spanair-Absturz: Der Un- die Passagiere direkt betreffen.
rausposaunt, dass Fehler auch bei Piloglücksflieger war eine MD-82, ein etwas
älterer Flieger. Hat das Alter eines
Flugzeuges auch Auswirkungen auf die
Sicherheit?
Dobler: Auch 20 Jahre alte Flugzeuge
sind auf einem technisch sehr guten
Was kann man tun, um sich als rungen nicht genügen. Weiter gibt es im
Stand. Ältere Flieger werden laufend mit
Flugpassagier sicher zu fühlen? Die Internet Seiten, die Daten über alle
den neuesten Systemen nachgerüstet.
Grundregel ist eigentlich banal: sich Vorkommnisse sammeln und auswerFür die Flugsicherheit ist vor allem eines
informieren. «Viele Passagiere inte- ten; dazu gehört www.aerosecure.de.
entscheidend: Disziplin. Sie ist quasi das
ressieren sich erst für die Sicherheit, Hier kann über viele Airlines ein SicherGegengift gegen alle Zwischenfälle. In
wenn sie ein Flugzeug betreten – heitsprofil bestellt werden, allerdings ist
der Luftfahrt ist alles reglementiert, die
beim Buchen hingegen ist meist der dieser Service kostenpflichtig.
Anwendung und Einhaltung der Regeln
Preis ausschlaggebend und nicht der
erfordert aber ein hohes Mass an DiszipSicherheitsgedanke», sagt LuftfahrtSicherheitskarte lesen
lin – nicht nur vom Management einer
experte Bruno Dobler.
Schliesslich sollte man als Passagier
Airline, auch vom Piloten, vom Technifür einen sicheren Flug ein paar Regeln
ker und allen involvierten Kreisen.
Schwarze Liste der EU
beherzigen:
Generell gilt: In Europa und den ● Sich mental auf einen Flug vorbereiGehen wir eine Extremsituation durch:
USA gehört die Fliegerei zu den am ten und früh genug am Flughafen
Diese Woche wurde ein Vorfall bekannt,
dichtesten reglementierten Verkehrs- eintreffen, um Stress zu vermeiden.
bei dem der Pilot eines Linienfliegers
trägern. Kritischer wird es bei man- ● Auch wenn man das Prozedere schon
nach einem Druckabfall in der Kabine
chen afrikanischen oder auch asiati- Dutzende Male durchgemacht hat:
einen Sturzflug von 4000 Metern einleischen Fluglinien. Hilfreich für die Dem Flugpersonal sollte Beachtung getete. Dabei wurden mehrere Passagiere
Beurteilung einer Airline kann die schenkt werden, wenn es die Sicherleicht verletzt. Wie gefährlich ist dieser
schwarze Liste der Europäischen Uni- heitsmassnahmen erläutert. Zudem
Vorgang?
on (EU) sein. Sie listet alle diejenigen sollte die Sicherheitskarte in der SitzDobler: Aus Sicht der Passagiere ist ein
Airlines auf, die ein Start- und Lande- tasche aufmerksam gelesen werden –
solcher Notabstieg dramatisch. Die Optik
verbot in Europa haben, da sie den vor allem, wenn man neben einem
des Piloten präsentiert sich ganz anders.
hier geltenden Sicherheitsanforde- Notausgang sitzt.
Wenn der Kabinendruck abnimmt, dann
werden die Systeme des menschlichen
KEYSTONE
Bruno Dobler, bis vor kurzem CEO der
KEYSTONE
Fluglinie Helvetic Airways.
Diese Regeln sollte man sich beherzigen
● Regelmässig trinken: Die Kabinen-
luft auf der Reiseflughöhe ist sehr
trocken, und das sollte man am
besten mit nicht kohlesäurehaltigem
Wasser ausgleichen. Als Faustregel
gilt: ein halber Liter pro Stunde.
● Anschnallen, auch wenn das Anschnallzeichen erloschen ist. Heftige
Turbulenzen in der Luft können innert Sekunden eintreten.
● Gerade bei Langstreckenflügen
sollte man sich regelmässig die Beine
vertreten.
● Während eines Fluges sollte man
nicht über Flugunfälle sprechen.
«Machen Sie sich besser Gedanken
über die Gegenden, die überflogen
sg
werden», rät Bruno Dobler.
Bonus: Links zur schwarzen Liste der EU und zu
weiteren Seiten rund um die Flugsicherheit gibt
es auf www.zisch.ch/bonus
Viele Piloten klagen, sie müssten Kompromisse eingehen, weil ihre Arbeitgeber nicht tolerieren, wenn ein Flieger aus
etwelchen Gründen nicht starten kann.
Dobler: Auch der Pilot muss sich
fragen: Wem gegenüber ist er hauptsächlich verpflichtet? Die Antwort ist: sich
selbst. Dem Kapitän kommt die Verantwortung zu, sich durchzusetzen. Was der
Kapitän sagt, das gilt. Und das soll er mit
gutem Recht tun, schon aus purem
Eigeninteresse. Ein Pilot wird heute ständig überwacht: Jede Drehung in der Luft,
die Rollgeschwindigkeit auf dem Boden,
die Erhöhung des Schubes, das alles wird
aufgezeichnet, und man kann Piloten für
Verfehlungen zur Rechenschaft ziehen.
Die Fliegerei hatte einst den Nimbus des
Speziellen, heute ist sie Massenware
geworden. Schadet diese Wahrnehmung dem Ruf der Fliegerei?
Dobler: Es ist schade, dass die philosophische Komponente des Fliegens an
Wert verloren hat. Überlegen Sie sich
doch mal, wie viele Länder und Städte
Sie auf einem mehrstündigen Flug
überfliegen, wie viele verschiedene Kulturwelten sich unter Ihnen abspielen.
Der Fluggast von heute macht sich
solche Gedanken nicht mehr. Dabei hat
auch das Einfluss auf die Sicherheit:
Wer als Passagier das Fliegen ernst
nimmt, befasst sich mental mit allen
Aspekten, auch der Sicherheit. Fliegerei
ist ein wertvolles Gut, es ermöglicht uns
das Reisen in der dritten Dimension.
Dieses Gut sollten wir schätzen.
ZUR PERSON
Bruno Dobler
Wenn Bruno Dobler übers Fliegen
spricht, dann tut er das aus Leidenschaft. Und genau so präsentiert sich
auch die bisherige Karriere des 55Jährigen. Bis vor kurzem war der
gebürtige Emmer CEO der Schweizer
Fluglinie Helvetic Airways.
Nach einer kaufmännischen Lehre
liess sich Dobler zum Fluglehrer ausbilden und verkaufte danach Flugzeuge
in Europa und Afrika. Dann wurde er
Linienpilot bei Crossair und schliesslich
Chefpilot. Dobler war Gründer der
Flugschule Horizon Swiss Flight Academy in Bülach und baute ebenfalls das
Unternehmen Classic Air auf, das Flüge
mit Flugzeug-Oldtimern anbietet. Dobler ist weiter Prüfungsexperte des
Bundesamtes für Zivilluftfahrt. An der
Uni St. Gallen erlangte er zudem
das MBA (Nachdiplomstudium Untersg
nemensführung).
HINWEIS
www.dobler.ch