Adel I. Allgemeines und Nachbarregionen - II. Westslaven
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Adel I. Allgemeines und Nachbarregionen - II. Westslaven
Adel I. Allgemeines und Nachbarregionen - II. Westslaven - III. Ungarn - IV. Südslaven - V. Ostslaven (Kiever Rus') - VI. Balten - VII. Finno-Ugrier URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.0000 I. Allgemeines und Nachbarregionen 1. Allgemeines: Adel (althochdt. adal, altsächs. aðal, altengl. aeðel, altnordisch aðal, dazu poln. szlachta, tsch. slechta in der Bedeutung 'Abstammung, Geschlecht' bzw. 'vornehmes Geschlecht' aus mittelhochdt. slahta), Bezeichung für einen bestimmten Kreis von Familien bzw. Sippen, deren Angehörige eine Vorrangstellung im politischen Leben einnehmen, die auf Besitz und Herrschaft über abhängige Personen beruht. Diese Stellung ist, ohne daß eine kastenartige Abschließung erfolgt, in einem bestimmten Kreis von Geschlechtern erblich, d.h. der Adel tritt stets mehr oder weniger ausgeprägt als Stand in Erscheinung. URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.1000 2. Fränkisches und deutsches Reich: Die Ausbildung des Adels erfolgte bei den germanischen Stämmen im Zusammenhang mit frühen sozialen Differenzierungsprozessen. Bereits Tacitus erwähnte nobiles bei den germanischen Stämmen. Dieser Stammesadel baute seine führende Stellung auf der Basis gefolgschaftlicher Verbände aus, und er wurde in den Eroberungszügen der Völkerwanderungszeit zum führenden Element. Solange die Stammesorganisation Bestand hatte, blieb dieser Adel jedoch in deren Beziehungsgeflecht eingebunden. Mit der Herausbildung eines Königtums, das staatliche Gewalt ausübte, veränderten sich Stellung und Struktur des Adels. Das starke merowingische Königtum unter Chlodwig I. und seinen unmittelbaren Nachfolgern erkannte ein Eigenrecht des fränkischen Adels nicht an: In der Lex Salica erscheinen nur die ingenui als Rechtsstand, der alle Freien (→Freiheit und Unfreiheit←) einschließlich der Adligen umfaßt. Eine Sonderstellung mit erhöhtem Wergeld wird nur den Angehörigen der königlichen →Gefolgschaft← (antrustiones) zuerkannt (Lex Salica, LXIV, 4, S. 188; LXX,1 - 2, S. 190). Die Ausrottungstheorie (u.a. K. BRUNNER), derzufolge das merowingische Königtum den fränkischen Stammesadel weitgehend eliminiert habe, wird heute nicht mehr anerkannt. Teils vermutet man eine Kontinuität des Adel (z.B. F. IRSIGLER), teils nimmt man an, daß damals überhaupt kein Adelsstand existierte, sondern nur eine Oberschicht innerhalb des Rechtsstandes der Freien (so H. GRAHN-HOEK, F. GRAUS, H. K. SCHULZE). Große Teile des fränkischen Stammesadels behaupteten wohl innerhalb der königlichen Gefolgschaft eine Vorrangstellung, ohne daß die ständische Adelsqualität zugunsten eines Dienstverhältnisses zurücktrat. Zugleich vermochten aber auch besonders im 6. Jahrhundert Nichtadlige im Dienst der Könige in solchem Maße Besitz anzuhäufen und politischen Einfluß zu gewinnen, daß ihre Nachkommen in den Adel aufstiegen. Das Königtum trug durch stetige Landschenkungen an Gefolgsleute dazu bei, daß Grundbesitz zur entscheidenden wirtschaftlichen Basis des Adels wurde. Als Grundherren besaßen die Adligen zugleich Herrengewalt über Unfreie, Freigelassene und "Halbfreie" (Liten), und mit der allmählichen Ausprägung der →Immunität← beanspruchten sie auch Gerichtsrechte über andere auf ihrem Besitz ansässige Bauern. Die Entwicklung der adligen →Grundherrschaft← förderte so gesellschaftliche Differenzierungsprozesse, in deren Verlauf der Stand der Freien weitgehend zersetzt wurde. Die ständige Ausweitung des Großgrundbesitzes, die fortschreitende Einbeziehung von Freien in Abhängigkeitsverhältnisse sowie die monopolartige Ausübung staatlicher Ämter (→Amt/Amtsträger←), insbesondere des Grafenamtes, durch Adlige förderten im 9. Jahrhundert ein kontinuierliches Erstarken des Adels und eine Schwächung des Königtums. Als Oberschicht innerhalb des Adels kristallisierte sich ein Kreis besonders einflußreicher, mit wichtigen staatlichen Ämtern begabte Adelsgeschlechter heraus, die sogenannte fränkische Reichsaristokratie (G. TELLENBACH), deren Angehörige im weiteren Verlauf des 9. Jahrhundert teils mehrere Großfürsten in ihrer Hand vereinigten, teils Großgrafschaften aufbauten oder Herzogtümer unter ihre Herrschaft brachten und sich als Fürsten weitgehend vom Königtum emanzipierten. Zugleich gelang es dem Adel, die höheren kirchlichen Positionen in seine Hand zu bekommen; die Bischofe und Äbte, aber auch die Domherren an den Bischofskirchen waren überwiegend adliger Herkunft. Die Auflösung der karolingischen Grafschaftsverfassung im Laufe des 10. Jahrhundert ebnete den Weg für die Bildung zahlreicher selbständiger Adelsherrschaften, deren Inhaber teils den Titel eines Grafen trugen, teils aber auch ohne solchen Titel eine derartige Stellung gewannen. Als Zentren ihrer regional begrenzten Herrschaftsbereiche wurden Burgen (→Burg←) errichtet, die zum festen Sitz der jeweiligen Adelsfamilien wurden; auch die Einrichtung von Hausklöstern kennzeichnete ihr adliges Selbsverständnis. Mit Hilfe von Gerichtsrechten vermochten diese adligen Herren Streubesitz anderer Herren bzw. kirchlicher Institutionen unter ihre Oberherrschaft zu bringen. Mit der Bildung von Herrschaftsmittelpunkten gewannen die Adelsfamilien festere Konturen; sie vererbten ihre Position nunmehr ausschließlich in agnatischer Linie, während zuvor auch die Verwandtschaft der angeheirateten Frau eine große Rolle gespielt hatte, insbesondere wenn diese einer vornehmen Familie entstammte. Wie die Familien der chatelains in Frankreich begannen auch im deutschen Gebiet im späten 11. Jahrhundert Adelsfamilien, sich nach ihrer Burg zu nennen. Die fortschreitende politische Zersplitterung, die Bildung fürstlicher Herrschaftsbereiche (an der Ostgrenze auch der →Marken←) sowie kleinerer regionaler Adelsherrschaften und die damit verbundenen Machtkämpfe erforderten die Verfügbarkeit eines ausreichenden Gefolges berittener Krieger. Regionale Machthaber ebenso wie der König griffen dafür auch auf Angehörige ihrer →familia←, also auf Unfreie verschiedener Schattierungen, zurück. Diese milites oder ministeriales erhielten kleinere Lehen. Trotz ihrer unfreien Herkunft gelang ihnen bis ins 13. Jahrhundert der Aufstieg in den Adel, wobei allerdings die Abgrenzung zwischen altfreiem Hochadel und dem neuen niederen Adel wirksam blieb. Die seit dem 12./13. Jahrhundert allgemein zu beobachtende Tendenz, diesen neuen Kleinadel gegen Aufstiegsbestrebungen weiterer Elemente abzugrenzen, führte insgesamt zu einer schärferen rechtlichen Abgrenzung des Adelsstandes gegenüber der Masse der Bevölkerung. BERNHARD TÖPFER Lit.: K. SCHMID, Sippe und Geschlecht, Haus und Dynastie beim ma. A., in: Z. für die Gesch. des th th Oberrheins 105, 1957, 1-62; K. LEYSER, The German Aristocracy from the 9 to the Early 12 Century, in: Past and Present 41, 1968, 25 - 53; W. STÖRMER, Früher A. Stud. zur politischen Führungsschicht im Fränk.-Dt. Reich vom 8. bis 11. Jahrhundert, I - II, Stuttgart 1973; J. FLECKENSTEIN, Die Entstehung des niederen A.s und das Rittertum, in: Herrschaft und Stand, hg. Ders., Göttingen 1977, 17 - 39; TH. ZOTZ, A., Oberschicht, Freie. Zur Terminologie der frühma. Sozialgesch., in: Z. für die Gesch. des Oberrheins 125, 1977, 3 - 20; H. K. SCHULZE, Reichsaristokratie, Stammesadel und fränk. Freiheit, in: HZ 227, 1978, 353 - 373; J. P. POLY, E. BOURNAZEL, La mutation féodale. X e - XII e siècles, Paris 1980, 155 - 192; F. IRSIGLER, 2 Untersuchungen zur Gesch. des frühfränk. A.s, Bonn 1981 ; J. HANNING, Consensus fidelium. Frühfeudale Interpretationen des Verhältnisses von Königtum und A. am Beispiel des Frankenreiches, Stuttgart 1982; H.-W. GOETZ, "Nobilis" - Der A. im Selbstverständnis der Karolingerzeit, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgesch. 70, 1983, 153 - 191; R. 2 SCHNEIDER, Das Frankenreich, München 1990 , 131 - 134. URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.1100 3. Skandinavien: Die Herausbildung eines Adels war in Skandinavien, wie überhaupt bei den Germanen, das Ergebnis sozialer Differenzierungsprozesse innerhalb der sich staatlich organisierenden Gemeinschaften. Diese waren in der Wikingerzeit geschichtet, Adlige oder Häuptlinge waren Anführer auf Plünderungs- und Kriegszügen. Vermutlich hatten die Häuptlinge, ähnlich den aus der Landnahmezeit auf Island bekannten Goden, gleichzeitig priesterliche Aufgaben in der vorchristlichen Religion. Eine rechtliche Abgrenzung des Adels von der übrigen freien Bevölkerung war, abgesehen von seiner kriegerischen Tätigkeit, während der Wikingerzeit unbekannt. Die Stellung dieser Oberschicht hat sich mit der Herausbildung des Königtums und der Konsolidierung einer Staatsorganisation (etwa 1000 - 1300) verändert: Der mittelalterliche Adel entwickelte sich zu einem Rechtsstand. Gleichzeitig wandelte sich auch die wirtschaftliche Stellung des Adels bzw. der Oberschicht der Häuptlinge, aus Anführern von Plünderungszügen wurden Großgrundbesitzer. Privilegien grenzten den Adel von der großen Masse der Bauernbevölkerung ab; entscheidend für die mittelalterliche Definition des Adels war sein Verhältnis zur Königsmacht. Für Dienste, vor allem für Kriegsdienst, wurden die Adligen von Steuern und anderen →Abgaben← befreit. Dieser Sachverhalt wurde für Schweden spätestens durch König Magnus Birgersson Ladulås und das Statut von Alsnö (→Adelsö←) um 1280 festgelegt. Die gewöhnliche Bezeichnung für den Adel war im mittelalterlichen Skandinavien frälse, d.h. 'befreit' (von königlichen oder staatlichen Steuern). Der skandinavische Adel hatte unterschiedliche Wurzeln und war deshalb keine homogene Schicht. Stormänner und Häuptlinge hatten eigene Gefolgschaften und unternahmen bis in das 12. oder 13. Jahrhundert in allen drei skandinavischen Königreichen auf eigene Rechnung Kriegs- und Plünderungszüge. Diese Gefolgschaften wurden allmählich in die königliche Ledung (leiđangr) eingegliedert; die Gruppe der Stormänner büßte durch ihr Verhältnis zur Königsmacht ihre unabhängige Stellung ein, erhielt aber dafür bestimmte Vorrechte. Andere Gruppen, die zum Adel aufsteigen konnten, waren die ministeriales, Königsbedienstete und Angehörige der königlichen Gefolgschaften, v.a. aber vermögende Bauern, die Kriegsdienst zu Pferd leisteten und dafür Adelsbriefe erhielten (→Heeresorganisation←). THOMAS LINDKVIST Lit.: ST. BOLIN, Ledung och frälse, Lund 1934; A. E. CHRISTENSEN, Kongemakt og aristokrati, Kopenhagen 1945; J. ROSÉN, Kring Alsnö stadga, in: Festskrift till Gottfrid Carlsson, Lund 1952; C. G. ANDRÆ, Kyrka och frälse i Sverige under äldre medeltid, Uppsala 1960. URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.1200 4. Byzantinisches Reich: Die Angehörigen des byzantinischen Adels werden als οι τω̃ν ευ̉ γεγονότων, α̉νδρες ευ̉γενε̃ις oder auch οι δυνατοι bezeichnet, seltener als οι α̉ριοτοι bzw. οι α̉ριοτετι̃ς. Der alte Adel der spätrömischen Zeit verschwand im 7. Jahrhundert infolge der Umwälzungen, die mit der Invasion der Slaven auf die Balkanhalbinsel einhergingen, eine neue Aristokratie wird ab dem 8./9. Jahrhundert erkennbar. Gemeinhin unterscheidet man den eher an Konstantinopel gebundenen "Beamtenadel", dem auch die Geistlichkeit zuzurechnen ist, und den auf die Themenorganisation gestützten "Militäradel" der Provinzen; beiden war ein starkes Streben nach Grundbesitz gemein, dem die freien Bauern genau wie die Inhaber der ab dem 7./8. Jahrhundert entstandenen Militärgüter schrittweise zum Opfer fielen. Ab dem 10. Jahrhundert versuchten die byzantinischen Kaiser dieser Entwicklung, die eine Reduzierung der steuer- und kriegsdienstpflichtigen Bevölkerung für den Staat bedeutete, durch gezielte Gesetze entgegenzuwirken, doch blieben sie letztlich erfolglos. Unter den dem Militäradel entstammenden Komnenenkaisern vergrößerte sich die Macht des Adels noch durch die immer stärker werdende Verbreitung von (Steuer-) Immunitäten (ε̉ ξκουσει̃α), ab dem 12. Jahrhundert auch durch das Pronoiawesen. ANDREAS KÜLZER Lit.: R. GUILLAND, La Noblesse de race à Byzance, in: ByzSlav 9, 1947/48, 307 - 314; G. OSTROGORSKY, Observations on the Aristocracy in Byzantium, in: DOP 25, 1971, 1 - 32; L. MAKSIMOVIĆ, Adel. D. Byzanz, in: LdM I, 1980, 131 - 133; The Byzantine Aristocracy, IX to XIII centuries, hg. M. ANGOLD, Oxford 1984. URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.1300 II. Westslaven 1. Böhmen und Mähren - 2. Polen - 3. Elbslaven - 4. Pomoranen URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.2000 1. Böhmen und Mähren: Einen Adel im fränkisch-deutschen Sinne hat es in Böhmen bis zum 13. Jahrhundert nicht gegeben. Die slavische Gentilgesellschaft kannte von altersher, schon vor den Wanderungen des 6. - 7. Jahrhundert, eine mehr oder weniger ausgeprägte Aristokratie, eine Schicht von Großen, deren Vertreter offenbar v.a. velъmožъ ('sehr reicher, sehr mächtiger Mann') genannt wurden. Ihre Vorrangstellung stützte sich auf Reichtum und Prestige, war jedoch nicht durch Recht und die strengen Regeln des Konnubiums geschützt. Noch die Quellen des 10. 12. Jahrhundert zeigen, daß diese Aristokratie ihre Höfe durch unfreies Gesinde bewirtschaften ließ, keinesfalls aber Großgrundbesitz und Hörige besaß, und daß ihr Reichtum v.a. in beweglicher Habe bestand. Die Unterschiede zwischen den Großen und den Freien waren mehr quantitativer als qualitativer Natur. Eine kleine Gruppe nahm jedoch schon in der Gentilgesellschaft eine besondere Stellung ein. Es waren die duces (kъnędzъ), die es, z.T. in beträchtlicher Zahl, bei mehreren slavischen Stämmen gab; 845 sind z.B. mehr als 14 von ihnen bezeugt (AnnRegFranc, 120). Es kann sich dabei nicht um Stammesoberhäupter gehandelt haben, denn der Stamm der Čechen (gens Bohemanorum; →Čechische Stämme←) bildete im 9. Jahrhundert noch eine ethnische und teilweise auch politische Einheit, die durch die Gesamtheit der Fürsten repräsentiert wurde. Einem einzelnen Fürsten schematisch einen Teilstamm oder ein Stammesfürstentum zuzuteilen, ist kaum möglich. In der Regel saßen die Fürstenfamilien auf ihren →Burgen←, unterhielten →Gefolgschaften← und bezogen →Abgaben← und →Dienste← von der Bevölkerung, wirkliche Herrscher waren sie jedoch nicht. Sie erscheinen an der Wende des 8. zum 9. Jahrhundert im ganzen mittleren Donauraum. Reiche Gräberfelder (→Blatnica←, →Mikulčice←, →Nin←, →Kouřim←), der einsetzende Burgenbau und der Übergang zur Körperbestattung spiegeln einen raschen Aufstieg mächtiger Fürstensippen wider, der in Mähren, Kroatien und Karantanien unmittelbar in die Entstehung von Staaten mündete. In Böhmen versuchten die Fürsten einzeln und in ständiger Rivalität miteinander ihre Macht im engen lokalen Rahmen zu festigen. Erst der Přemyslidenstaat unter →Boleslav I.← (929 - 971/72) beseitigte den rivalisierenden Adel in den 40er - 90er Jahren des 10. Jahrhundert Ob dies durch Ausrottung oder Mediatisierung geschah, wissen wir nicht; der Fall der →Slavnikiden← gibt darüber wenig Auskunft, da dieses Geschlecht vermutlich ein Nebenzweig der →Přemysliden← war. Bisher ist es jedenfalls nicht gelungen, auch nur Spuren einer Kontinuität zwischen der alten Aristokratie und dem Dienstadel der Přemysliden nachzuweisen. Der Prozeß der Herausbildung des Adels begann im staatlichen Rahmen auf neuen Grundlagen. In den Quellen zeichnet sich das nun wirkende Prinzip klar ab; es ist die Beziehung zum Herrscher, die eine privilegierte Stellung, Ansehen und v.a. Einkünfte brachte. Die alten Großen traten in den Dienst des přemyskidischen Herrschers und es gelang den nobiles, obwohl der Herrscher zunächst anscheinend keine Rücksicht auf die Herkunft seiner Diener nahm und auch Unfreie (→Freiheit und Unfreiheit←) einsetzte, sich im Laufe der Zeit ein gewisses Anrecht auf die wichtigen und ertragreichen Ämter (→Amt/Amtsträger←) zu sichern. Der neue Dienstadel deckte sich also weitgehend mit den Amtsträgern; die Einkünfte, die ihm aus dieser Stellung zuflossen, bildeten die Grundlage seiner Macht und seines Reichtums. Da diese Einkünfte nichts anderes waren als ein Teil der Feudalrente, die der Fürst von der Bevölkerung bezog, war der Dienstadel Teilhaber am Obereigentum des Herrschers am Boden und an der Herrschaft über Personen, war also in diesem Sinne feudal. Einen wirklichen Großgrundbesitz des Adels gab es jedoch nicht. Erst seit der Mitte des 12. Jahrhundert lassen sich wichtige Änderungen beobachten, die auf den ersten Blick als eine gewisse verstärkte Seßhaftigkeit des Adels auf dem Lande erscheinen. So nahm schlagartig und massiv die Anzahl neuer steinerner Kirchen an ländlichen Höfen des Adels zu, in den 30er Jahren begann eine Welle von Klostergründungen durch den Adel und schließlich setzte sich die Sitte der Benennung der Adelsfamilien nach ihrem Sitz durch. Es war offenbar eine Folge des raschen wirtschaftlichen Aufstiegs, v.a. der Produktivität der Landwirtschaft, daß zur Befriedigung der Bedürfnisse des Herrn schon ein bedeutend kleineres Landgut und eine kleine Anzahl von Leuten genügte. Der Adel bekam erst jetzt die Möglichkeit zu wirtschaften, statt Beute und Reichtümer zu sammeln. Wir können diesen Adel auch konkret fassen. Es ist eine geschlossene Gruppe von Sippen, die sich ständig in der Umgebung des Fürsten aufhielt und unter sich die Ämter in Rotation teilte. Man nannte sie nun nobiles (voher war der Amtstitel comes üblich), und es taucht auch die alte heimische Bezeichnung →Župan← auf. Die Ämter, jetzt beneficium oder župa genannt, wurden in der jeweiligen Sippe der Amtsträgers erblich. Ein Vergleich der mächtigen Geschlechter zeigt, daß es im 13. - 14. Jahrhundert eben dieselben Geschlechter sind, die schon in der 2. Hälfte des 12. Jahrhundert eine geschlossene Gruppe bildeten und daß ihr Landbesitz dort liegt, wo diese Geschlechter im 12. Jahrhundert Ämter innehatten. Ihre Güter sind also durch Usurpation ehemaliger fürstlicher Güter entstanden und nur z.T. aus Landschenkungen hervorgegangen. Die Folge aber war, daß sich die Eigentumsrechte des Adels an Grund und Boden im 13. Jahrhundert äußerst verworren darstellten. Der König betrachtete den überwiegenden Teil des Grundbesitzes des Adels als sein Eigentum und noch Přemysl Otakar II. versuchte, dies geltend zu machen, was jedoch zu seinem Sturze führte. Der wichtigste Schritt zur Emanzipation des Adels wurde nicht durch die Bemühungen einzelner Geschlechter, sondern im 13. Jahrhundert durch die Konstituierung der Landgemeinde getan, die nach 1278 auch das Landesgericht und die Landtafel beherrschte. Damit wurde jedes Mitglied der Landgemeinde (zeměnín), das seine Güter in die Landtafel eingetragen hatte, zum vollwertigen Eigentümer seiner Güter, die dadurch als allodial galten (→Allod←). Den letzten Schritt tat Wenzeslaus II. (Václav), der strikt die Sphäre seiner direkten Herrschaft, das dominium speciale, von der Sphäre der Landgemeinde, dem dominium generale, trennte. Hinzu kamen die Einflüsse der ritterlichen Kultur mit ihren standesgemäßen Attributen, wie dem Wappen, dem Burgenbau u.a., die schnell absorbiert wurden. Der neue Adel, die šlechta (aus dem Mittelhochdeutschen entlehnt), beschränkte sich aber nicht auf einzelne Geschlechter der Župane des 12. Jahrhundert Zum Mitglied der Landgemeinde war - zumindest theoretisch - jeder Freie geworden, was auch den Resten der freien Bauern, v.a. der Schicht der gemeinen freien Krieger, den milites secundi ordinis, Möglichkeiten zum Aufstieg in den Adel bot. So entstand der niedere Adel, der aber nicht so zahlreich wie in Polen war. Der Prozeß der Adelsbildung war an der Wende des 13./14. Jahrhundert keineswegs abgeschlossen, die ständische Absonderung des Adels dauerte noch lange an. DUSAN TŘEŠTÍK Lit.: A. SEDLÁČEK, Gedanken über den Ursprung des böhm.-mähr. A.s, in: Věstnik Královské české společnosti nauk, třida historická-filosofická 1891; A. N. JASINSKIJ, Padenie zemskogo stroja v češkom gosudarstve (X - XIII vv), Kiev 1895; J. LIPPERT, Sozialgesch. Böhmens in vorhussitischer Zeit I, Prag 1896, 249 ff.; R. KOSS, Zur Frage der Entstehung und Entwicklung des böhm. Herrenstandes, Prag 1920; ST. ZHÁNĚL, Jak vznikla staročeská šlechta?, Brno 1930; F. KLOSS, Das räumliche Bild der Grundherrschaft in Böhmen, in: Mitt. des Vereins für Gesch. der Deutschen in Böhmen 70,1932, 187 - 220; V. VANĚČEK, Dvě studie k otázce právního postavení klášterů a klášterního velkostatku ve starém českém státě, Praha 1938, 5 - 17; F. GRAUS, Raně středověké družiny a jejich význam při vzniku státu ve střední Evropě, in: ČČH 13, 1965, 1 - 17; S. RUSSOCKI, Z badań nad czeskim systemem beneficjalnym, in: CzasPrawHist 23, 1971, H. 1, 33 - 46; D. TŘEŠTÍK, K sociální struktuře přemyslovských Čech, in: ČČH 19, 1971, 537 - 567; R. NOVÝ, Přemyslovský stát 11. a 12. století, Praha 1972, 32 ff., 105 ff. (dt. Resümee); S. RUSSOCKI, Protoparlamentaryzm Czech do pozątku XV wieku, Warszawa 1973, 24 - 81; A. FIEDLEROVÁ u.a., Ze staročeské terminologie sociálních vztahů (pán), in: Slovo a slovesnost 38, 1977, 53 - 61; V. CHLÁDKOVÁ u.a., Ze staročeské terminologie sociálních vztahů (šlechta a šlechtic), in: ebd. 38, 1977, 229 - 233; J. ŽEMLIČKA, K charakteristice středověké kolonizace v Čechách, in: ČČH 26, 1978, 58 - 81; D. TŘEŠTÍK, Proměny české společnosti ve 13. století, in: FolHistBoh 1, 1979, 131 - 154; DERS., M. POLÍVKA, Nástin vývoje české šlechty do konce 15. století, in: Struktura feudální společnosti na území Československa a Polska do přelomu 15. a 16. století, Praha 1984, 99 133. Die Großen in Mähren, die zunächst vielfach auch durch die Herkunftsbezeichnung "Mährer" (Moravjane, Marvani, Maravenses, Marahenses, Moravi) beschrieben wurden, erscheinen in den Quellen als nobiles, viri, optimates, velicii, velъmǫži. Die so Bezeichneten waren reiche (bogatii), edelgeborene (mǫži dobrorodъnii) und ehrenvolle Männer (mǫži cъstъnii/cъstivi). Zu ihnen zählten auch die vermögenden Gefährten des Herrschers (druzi bogatii), die seine Ehrengefolgschaft (→Gefolgschaft←; čedъ) bildeten. Als Inhaber von Höfen und Sklaven wurden sie auch 'Herr' (gospodъe, gospodini) genannt; einzelne begegnen auch unter der Bezeichnung →Župan←. Zur Schicht der Privilegierten gehörten weiter die Krieger zu Pferde (milites), die sog. Bediensteten (slugy), die nötigenfalls als berittene Krieger dienten, und schließlich die Leibwächter und persönlichen Diener (otroci). Die für das 9. Jahrhundert als Fürsten (kъnędzi, principes) erwähnten Rastislaw und Svatopluk können sowohl Angehörige der Dynastie der Mojmiriden (→Mojmir/Mojmiriden←) gewesen sein, als auch die Häupter vornehmer Familien. Funde von insgesamt 44 Schwertern, die in Mähren Symbole der Herrschaft waren, sind vielleicht als ungefährer Hinweis auf die Zahl der im Laufe von 120 bis 150 Jahren herrschenden Fürsten zu deuten. Im Jahr 1055 wurde der mähr. A. (primates) weitgehend entmachtet, als etwa 300 der vornehmsten Großen (meliores et nobiliores, Cosmas, II,15) aus den mähr. Burgstädten durch den böhm. Herzog Spythiněv gefangengenommen wurden. Man kerkerte diese Großen auf Burgen in Böhmen ein und enteignete sie; das Schicksal ihrer Gefolgsleute ist unbekannt. Die bisher in der Hand des mähr. A.s befindlichen Ämter (→Amt/Amtsträger←) vergab der böhm. Herzog mit Teilen des Besitzes an Vertraute aus dem böhm. A. Schon nach drei Generationen nannten sich die Vertreter dieses neuen A.s ebenso wie die des noch verbliebenen altmähr. A.s "Mährer" (Moravi, Moravienses). Zu Beginn der Přemyslidenherrschaft wurde der A. mit den Bezeichnungen primates, nobilis viri, nobiles Moraviae versehen. Dabei offenbart sich eine Unterscheidung in den Hoch-A. (nobiles viri maiores) und den Klein-A. (minores), der mit den berittenen Kriegern bzw. Rittern (milites) gleichzusetzen ist. Der Hoch-A. verfügte über die verschiedenen Landes- und Gauämter (castellanus, camerarius, iudex u.a.). Wie dieser erhielt auch der Klein-A. Besitz, welcher erst 1189 zum Erbgut erklärt wurde (Statuten des Herzogs Konrad Otto III., in: CDBohem I, 329 332, Nr. 322, 323, 326). Lubomír E. Havlík Lit.: V. NOVOTNÝ, České dějiny I/3, Praha 1928; ST. ZHÁNĚL, Jak vznikla staročeská šlechta?, Brno 1930; L. E. HAVLÍK, Morava v 9. a 10. století, Praha 1978 (Studie Československá Akademie Věd 7); DERS., Moravská společnost a stát v 9. století II, in: SlavAnt 28, 1981/1982, 71 - 112; DERS., Proměny společnosti a postavení Moravy v 10. - 12. století, in: MoravHistSbor (Moravica Historica), Brno 1986, 46 – 71. URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.2100 2. Polen: In der polnischen wissenschaftlichen Literatur werden zwei unterschiedliche Termini zur Bezeichnung des Adels in Polen benutzt, die zeitlich voneinander abgegrenzt sind: 1) Bis zum 14. Jahrhundert wird von rycerstwo 'Rittertum' gesprochen, womit - im Unterschied zum Deutschen - der polnische Adel in seiner Gesamtheit gemeint ist. In der altpolnischen Terminologie hießen die Adligen włodyken (K. BUCZEK, H. ŁOWMIAŃSKI, 1984). 2) Vom 14. Jahrhundert an wird für den Adel das polnische Wort szlachta (von mittelhochdt. slahte 'Geschlecht, Herkunft, Gattung, Art') verwendet, das seit damals in Gebrauch war (durch böhmische Vermittlung). Die lateinischsprachigen polnischen Quellen sprechen von nobiles und milites. Als milites bezeichnete man sowohl Ritter, d.h. diejenigen die den Rittergürtel trugen, als auch (nach deutscher Terminologie) Knappen. Fremde Quellen, z.B. päpstliche Urkunden, die polnische Verhältnisse darstellen, unterscheiden dagegen milites und armigeri (d.h. domicelli). Außergewöhnlich ist der hohe Anteil des polnischen Adels an der Bevölkerung (ca. 10 % einer Generation). Quellen zur Frühzeit des Adels fehlen weitgehend, so daß seine Entstehung nach wie vor kontrovers diskutiert wird. Zum einen vertritt man die These, daß der polnische Adel auf einen "Ur-Adel" (praszlachta) zurückgeht, zum anderen glaubt man, daß freie Grundbesitzer, die Heeresdienst leisteten und auch in der Landwirtschaft tätig waren, in den Adel aufstiegen. Dies wird mit der Überlieferung des →Gallus Anonymus← begründet, der für das 11. Jahrhundert milites gregarii und nobiles unterschied (Gallus Anonymus I,20); den nobiles schrieb er das Gewohnheitsrecht auf bestimmte Ämter zu (→Amt/Amtsträger←). Damit stimmt überein, daß →Widukind← von Corvey (III,69) das Begriffspaar vulgus und optimates für das Heer →Mieszkos I.← verwendete. Wahrscheinlich setzte sich der polnische Adel aus verschiedenen Elementen zusammen: Nachkommen des alten Adels, fremde Adlige aus der →Gefolgschaft← der Fürsten, Repräsentanten der freien Bevölkerung. Diesen Prozeß belegt eine Urkunde Herzog Kasimirs von Kujawien von 1252, die den milites de genere militari die milites ficticii gegenüberstellt (Preussisches UB I/1, Königsberg 1882, Nachdr. 1961, Nr. 260, S. 199); auf letztere ist wohl der kleine Adel zurückzuführen. Seit dem 13. Jahrhundert war der polnische Adel in Geschlechtern organisiert, deren Genese ebenfalls umstritten ist. Die Vermutung, daß kleinadlige Familien das Wappen einer mächtigen Familie, mit der sie nicht verwandt waren, deren Schutz sie aber dadurch erlangten, übernahmen, steht der Auffassung (der Thorner genealogischen Schule) gegenüber, daß die meisten Adelsgeschlechter auf dem Wege natürlicher Abstammung aus dem alten Adel hervorgingen. Für die Abstammung der Geschlechter vom alten Adel spricht die Verwendung der Termini genealogia, stirps, parentela, cognatio und (altpoln.) plemie ('Abstammung, Geschlecht') in den Quellen sowie eine Formulierung in der Satzung Kasimirs des Großen: nobilitates stirps ex progenitoribus earum originem semper ducunt. Im Gegensatz zu den meisten slavischen Ländern existierte in Polen ein einheitliches Standesrecht für den Adel. Noch vor der späteren Serie königlicher Privilegien stand dem Adel das sog. ius militare zu, das nach K. BUCZEK bis ins 11. Jahrhundert zurückreicht. Es bestimmte: 1) das erbliche Eigentum an Grund und Boden, auf dem die Pflicht zum Heeresdienst zu Pferde (gegenüber dem Herrscher) lastete, 2) die Befreiung des Allodialbesitzes vom größten Teil der Leistungen des fürstlichen Rechts (→ius ducale←, →Abgaben←), 3) den freien →Zehnt←, wonach der Zehnt vom Allodialbesitz an eine beliebige Kirche geleistet werden konnte, und 4) ein höheres →Wergeld← (poln. główszczyzna) einschließlich einer Zusatzbuße, das an den geschädigten Adligen oder dessen Familie erbracht wurde. Janusz Bieniak Lit.: Z. WOJCIECHOWSKI, L'Etat polonais au Moyen âge, Paris 1949, bes. 171 - 182; A. GĄSIOROWSKI, Rycerstwo, in: SSS IV, 1970, 620 - 624 (mit älterer Lit.); J. PAKULSKI, Z metodologii i metodyki badań nad rodami rycerskimi w średniowieczu, in: Acta Universitatis Nicolai Copernici. Historia 8, 1973, 23 - 37; A. GIEYSZTOR, Le lignage et la famille nobiliaire en e e e Pologne aux XI , XII et XIII siècles, in: Famille et parenté dans l'occident médiéval, Rome 1977, 299 - 308; A. BOGUCKI, "Rittermeszig man" w najstarszym zwodzie prawa polskiego, in: PrzeglHist 69, 1978, 121 - 125; M. CETWIŃSKI, Rycerstwo śląskie do końca XIII w., pochodzenie - gospodarka - polityka, Wrocław 1980; S. RUSSOCKI, The Origins of Estate Consciousness of the Nobility of Central Europe, in: ActaPolHist 46, 1982, 31 - 45; J. BARDACH, La formation et les e e structures de l'Etat polonais du X jusqu'au XII siècle, in: Gli Slavi occidentalie meridionali, Spoleto 1983, 201 - 242 , bes. 223 - 230 (Settimane 30); A. GĄSIOROWSKI, Czynniki rozwarstwienia stanu szlacheckiego w Średniowiecznej Polsce, in: Struktura feudalní společnosti na území Československa a Polska do přelomu 15. a 16. století, Praha 1984, 61 - 98; The Polish Nobility in the Middle Ages, hg. A. GĄSIOROWSKI, Wrocław 1984; O. KOSSMANN, Polen im MA II, Marburg/L. 1985, 156 - 216; J. BIENIAK, Jeszcze w sprawie genezy rodów rycerskich w Polsce, in: Społeczeństwo Polski Średniowiecznej V, Warszawa, 1992, 45 – 55. URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.2200 3. Elbslaven: Eine herausgehobene soziale Schicht tritt in den slavischen Gebieten westlich der Oder seit dem 8./9. Jahrhundert hervor, dabei je nach Region und Zeit in unterschiedlicher Intensität (Belege bei J. BRANKAČK, 1964). Ihre Vorrangstellung, die erblich war, beruhte wohl auf besonderen politischen, administrativen und militärischen Herrschaftsrechten sowie auf ihren - im Vergleich zum Gros der Bevölkerung - größeren Anteil an Grund und Boden und beweglichem Eigentum. Doch gibt es über die materielle Basis des Adels bei den Elbslaven für die Frühzeit keine Nachrichten (H. ŁOWMIAŃSKI). Drei Phasen in der Entwicklung des elbslavischen Adels lassen sich unterscheiden (nach G. LABUDA): In der ersten Periode, im 8. - 9. Jahrhundert, erwähnen die Quellen für fast alle Stämme (→Sorben←, →Wilzen←, →Obodriten←) Stammesfürsten (reges oder duces), und neben ihnen wird eine Gruppe zahlreicher einflußreicher Adliger faßbar (reguli, principes, primores, seniores, meliores), deren Stellung aber im einzelnen kaum bestimmbar ist: die Stammesaristokratie (→Stamm← [esverband]). Sie spielte nicht nur in den politischen Verbänden eine herausragende Rolle, sondern auch in den Außenbeziehungen, v.a. zum Frankenreich. Dabei verfolgten Repräsentanten des Adels zwar eigenständige Interessen, doch handelten sie mitunter im Dienst der Nachbarmächte. In der 2. Phase, im 10. und 11 Jahrhundert, verlor die Stammesaristokratie in einigen Gebieten ihre Bedeutung. Das Anwachsen der Macht von Fürsten, wie bei den Obodriten, und der Volksversammlung, wie bei den Lutizen (→Wilzen←), wird dabei eine Rolle gespielt haben, und gleichzeitig vollzog sich vielleicht die Vereinigung kleinerer Gebiete zu größeren Territorien. In der letzten Phase, als im 12. Jahrhundert die Unabhängigkeit der Slaven zwischen Elbe und Oder ein Ende fand, trat wieder eine Schicht von Adligen hervor, nun angepaßt an die neuen feudalen Verhältnisse (→Staat/Staatsbildung, -organisation←). Eine scharfe Abgrenzung des Adels von den Familien der Stammesfürsten ist nicht sichtbar. Zumindest nahm der Adel auf ihre Einsetzung Einfluß, ebenso wie auf die Entscheidungen der →Volksversammlungen←. Auch waren die Übergänge zu einer gehobenen bäuerlichen Schicht fließend. Die Interpretation der archäologischen Quellen hat insbesondere die Bedeutung der Burgen (→Burg/Burgwall←, Befestigung) erkennen lassen. Größe, Innenbebauung und Anlage beweisen eine Funktionalität zugunsten der Fürsten und Adligen (Verteidigung, militärische und administrative Kontrolle, Repräsentation). "Fürstengräber" (→Bestattung/Bestattungssitten←) zeichnen sich durch prächtige Konstruktion und eine Ausstattung mit Schwertern und Sporen aus. Vom Grundeigentum einzelner Adliger wird erst für das 11. Jahrhundert, d.h. unter den Bedingungen deutschen Oberherrschaft, berichtet: Nach einer Urkunde aus dem Jahre 1071 übergab der Ritter Bor aus Meißen dem dortigen Bistum fünf Dörfer (CDSax I/1, Nr. 142); unter den Zeugen der Urkunde, die Ritter des Markgrafen von Meißen waren, überwiegen die slavischen Namen (Quellenzeugnisse für slavischen Adel gibt es auch für Thüringen und das nordöstliche Bayern). Die Erwähnungen solcher Adliger häufen sich dann in den nördlichen Gebieten - Mecklenburg, Pommern, Rügen - nach ihrer Eingliederung in die Grenzen des Reichs. Die Haltung der elbslavischen Großen gegenüber den deutschen Oberherren war nicht einheitlich, doch passten sie sich der neuen politischen und wirtschaftlichen Ordnung z.T. schnell an und übernahmen Sprache und Kultur der Eroberer. Die Kluft zur bäuerlichen Bevölkerung vertiefte sich, was die aus den Grabungsfunden gewonnen Daten zum Durchschnittsalter (J. HERRMANN, 1986) erkennen lassen: Während die Lebenserwartung der meisten Menschen zwischen dem 9. und 11./12. Jahrhundert auf 35 Jahre sank (vorher 40 Jahre), erhöhte sich das Alter des Adels um ca 5 % auf 44 bis 47 Jahre. Jerzy Strzelczyk Lit.: K. TYMIENIECKI, Społeczeństwo Słowian lechickich. Ród i plemię, Lwów 1928, 139 ff.; R. KÖTZSCHKE, Zur Sozialgesch. der Westslawen, in: Jbb. für Kultur und Gesch. der Slawen, NF 8, 1932, 5 - 36; Siedlung und Verfassung der Slawen zwischen Elbe, Saale und Oder, hg. H. LUDAT, Gießen 1960 (darin Beitrr. von W. Schlesinger, M. Hellmann, W. H. Fritze); J. BRANKAČK, Stud. zur Wirtschafts- und Sozialstruktur der Westslawen zwischen Elbe-Saale und Oder aus der Zeit vom 9. bis zum 12. Jahrhundert, Bautzen 1964, 157 - 178, 184 - 193; H. ŁOWMIAŃSKI, Początki Polski III, Warszawa 1967, 464 - 512; G. LABUDA, Możni u Słowian, VI. Słowiańszczyzna połabska, in: SSS III, 1967, 320 - 323; J. HERRMANN, Siedlung, Wirtschaft und ges. Verhältnisse der slaw. Stämme zwischen Oder/Neiße und Elbe, Berlin 1968, 174 - 212, 245 - 248; H. JAKOB, Zur Gentilaristokratie der Main- und Regnitzwenden, in: Archiv für Gesch. und Altertumskunde von Oberfranken 62, 1982, 13 -21; Slawen in Dtld.; Welt der Slawen. Gesch. - Ges. - Kultur, hg. J. HERRMANN, Berlin 1986, 286 – 288. URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.2300 4. Pomoranen: Die schriftlichen Quellen zum pomoranischen Adel fließen dürftig. Aus der Chronik des →Gallus Anonymus← lassen sich gewisse Rückschlüsse auf die Sozialstruktur des östlichen Teils des pomoranischen Siedlungsgebietes, aus den Viten des heiligen →Otto von Bamberg← auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im westlichen Teil gewinnen. Allerdings spiegeln die Otto-Viten Verhältnisse einer Zeit wider, in der die fürstliche Gewalt bereits gestärkt war. Ebenso waren weite Gebiete der Lutizen (→Wilzen←) westlich der Oder in das pomoranische Herrschaftsgebiet einbezogen, dessen Schwerpunkt sich dadurch von der Persante-Gegend in den Odermündungsbereich verlagert hatte. Für die Zeit ab der Mitte des 12. Jahrhundert stehen Urkunden zur Verfügung, die in Pommern geschrieben wurden. Im 9. Jahrhundert waren in Folge einer Machtverdichtung im pomoranischen Siedlungsgebiet an Siedlungsmittelpunkten wie →Kolberg← und →Belgard← Hauptburgen entstanden. Die Herren dieser Burgen mögen Vorfahren der späteren pomoranischen Führungsschicht gewesen sein; auch die späteren pommerschen Fürsten, deren erster bezeugter Vertreter, →Wartislaw I.←, allerdings nicht ohne Zweifel genealogisch mit den duces des 12. und 13. Jahrhundert in Verbindung stehen, stammten wohl aus dem Persante-Raum. In den Otto-Viten werden principes (terre), (natu) maiores, primates (plebis), nobiles, sapientiores, honorabiles de terra genannt; die Urkunden sprechen von (viri) nobiles und nobiliores. Bei der Entscheidung über die Annahme des Christentums gaben diese "Führer des Volkes", die oft schon vorher durch Berührung mit den Sachsen für das Christentum gewonnen waren, den Ausschlag (→Mission←). In den →Volksversammlungen← mußten sie sich allerdings den Einfluß mit den heidnischen Priestern teilen. Durch nobilitas (generis), divitiae, potentia, gloria erhoben sie sich gegenüber der Masse, honor und reverentia wurden ihnen entgegengebracht. Ihre Stellung in der Verwaltung kennzeichnen Termini wie precones et magistratus, barones et capitanei tocius provincie. Edle hatten sich schon im Gefolge Wartislaws I. befunden. Die vermögenden Adligen leisteten unter Stellung von Reitern und Pferden Kriegsdienste. Ihre wirtschaftliche Potenz basierte auf ausgedehntem Grundbesitz, auf der Teilhabe am Handel, dessen Zentren die großen frühstädtischen Siedlungen wie Kolberg, →Kammin← und →Pyritz← waren, und auf der Beteiligung an der Ostseepiraterie. Die Besitzungen auf dem Lande waren grundherrschaftlich organisiert und wurden von Hintersassen bewirtschaftet. Die Quellen lassen auf erblichen Besitz ganzer Dorfsiedlungen schließen. Mit der Festigung staatlicher Strukturen unter der Dynastie der Greifen (→Pomoranen←) entstand eine Landesverwaltung, die sich auf Kastellaneiburgen stützte. Als →Kastellane← ihre Vertreter werden tribuni genannt - und Burgmannen wurden pomoranische und lutizische Adlige in die fürstliche Administration einbezogen (zu 1159 erste Erwähnung eines Kastellans im lutizischen Usedom). An den Fürstenhöfen versahen einheimische Adlige nach deutschen Vorbild eingerichtete Hofämter (pincerna, dapifer, camerarius). Im ostpommerschen Herzogtum der Samboriden (Pommerellen), das die Länder Schlawe und Stolp einschloß, fanden sich bis zum Aussterben des samboridischen Herrschergeschlechts (1294) in der Landes- und Hofverwaltung auch Amtsbezeichnungen, die ein eher slavische Gepräge tragen (palatinus = woiwoda, woiski [= tribunus], podschesle, podstole [= subdapifer], podkomor [= subcamerarius], iudex = sanda). Der →Landesausbau← mit Hilfe deutscher Siedler bewirkte eine Krise des pomoranischen Adels. Ab 1228/30 sind slavische Angehörige des Ritterstandes im Greifenherzogtum bezeugt, zuerst unter lutizischen Adligen. 1236/37 wurde aber am Demminer (→Demmin←) Hofe →Wartislaws III.← die slavische Umgebung durch deutsche Ritter ersetzt. Z.T. mußten slavische Adlige dem neuen Siedelwerk weichen (z.B. die Bahner Erben), z.T. waren sie in Hinterpommern in den Landesausbau eingebunden. Eheliche Verbindungen zwischen deutschen und pomoranischen Adel kamen vor, waren westlich des Gollen-Berges (östlich Köslin) aber selten. Hier hielten sich nur wenige pomoranische Geschlechter, wie die Borcken und Vidanten, die Kameke und Natzmer - hier wird das Kamminer Stiftsland zu einem "Rückzugsgebiet"; östlich des Gollens dagegen blieben mehrere pomoranische Geschlechter (die Bonin, Kleist, Puttkamer, Zitzewitz u.a.) durch die Zeit der deutschen Siedlung erhalten. In Sprache und ritterlicher Lebensweise glichen sie sich jedoch an, ein neuer pommerscher Lehns- und Landesadel entstand. Rudolf Benl Lit.: L. QUANDT, Zur Urgeschichte der Pomoranen, in: BaltStud 22, 1868, 121 - 213; E. SAUER, Der A. während der Besiedlung Ostpommerns (der Länder Kolberg, Belgard, Schlawe, Stolp) 1250 - 1350, Stettin 1939, bes. 198 - 254; M. SCZANIECKI, Główne linie rozwoju feudalnego państwa zachodnio-pomorskiego, in: CzasPrawHist 7, H. 1, 1955, 49 - 91; H. BOLLNOW, Stud. zur Gesch. der pommerschen Burgen und Städte im 12. und 13. Jahrhundert, Köln - Graz 1964 (Veröff. der Hist. Kommission für Pommern V, 7); A. GĄSIOROWSKI, Możny u Słowian III, 3, in: SSS III, 1967, 314; K. SŁASKI, Kształtowanie się wczesnofeudalnego państwa zachodnio2 pomorskiego (1124 - 1220), in: Historia Pomorza I, red. G. Labuda, Teil 2, Poznań 1972 , 19 83, bes. 32 - 42; W. ŁOSIŃSKI, Początki wczesnosredniowiecznego osadnictwa grodowego w dorzeczu dolnej Parsęty (VII - X/XI w.), Wrocław u.a. 1972, 294 - 310; L. SOBEL, Ruler and Society in Early Medieval Western Pomerania, in: Antemurale 25, 1981, bes. 43 - 56, 86 - 124; R. BENL, Untersuchungen zur Personen- und Besitzgeschichte des hoch- und spätma. Pommern, in: Balt-Stud NF 71, 1985, 7 - 45, bes. 8 - 18, 44; DERS., Die Gestaltung der Bodenrechtsverhältnisse in Pommern vom 12. bis zum 14. Jahrhundert, Köln - Wien 1986, bes. 9 - 142 (Mitteldt. Forsch. 93). URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.2400 III. Ungarn Die altungarische Gesellschaft setzte sich im wesentlichen aus drei Schichten zusammen. Die Elite bestand aus den sieben Stammesfürsten der ungarischen Stämme und den Söhnen →Árpáds←, die als Fürsten der angeschlossenen drei Stämme der chazarischen →Kavaren← fungierten; zu diesen Vornehmen sind auch die reichen Sippenoberhäupter zu zählen. Im archäologischen Material sind sie durch Grabbeigaben aus Gold repräsentiert. Die Mittelschicht bestand aus den bewaffneten Jobagionen (milites), Mitgliedern der militärischen →Gefolgschaft← der Fürsten und der Sippenoberhäupter, die in Einzelgräbern oder kleineren Grabgruppen mit silbernen Beigaben bestattet wurden. Die Zahl der berittenen Krieger (arab. faris, persisch suvar) betrug vor der Landnahme (um 870) 20 000 (al-Gardīzī, Ibn Rusta). Nach der Landnahme (→Ungarn← III. 2.) findet sich die Reiterei im 10. Jahrhundert in oft nach ungarischen und kavarischen Stämmen benannten Dörfern (je 30 - 40, genannt in Urkunden seit 1009), die später im Dienst der älteren Komitats-Burgen (→Komitate←) standen oder zu Besitzungen solcher königlicher Kirchenstifte gehörten, die ursprünglich Hofdomänen der →Árpáden← gewesen waren. Die Jobagionen waren die Nachfolger von Gefolgsleuten der früheren Stammesfürsten. Sie hatten an den ungarischen Streifzügen (→Ungarneinfälle←) teilgenommen, waren aber im 10. Jahrhundert (besonders um 945) durch die Árpádensöhne besiegt und an militärisch wichtigen Punkten angesiedelt worden; später gehörten sie zum Personal der Árpáden bei der Staats- und Kirchengründung. Diese bewaffnete Mittelschicht der Freien (milites oder liberi) erscheint aber ebenso auf den Domänen der ältesten von den ungarischen Königen im 11. Jahrhundert gegründeten und ausgestatteten Bistümer und Abteien. Die neue Aristokratie, die sich teilweise aus bekehrten ungarischen und kavarischen Sippenoberhäuptern, teilweise aus schwäbischen und bayerischen Rittern (hospites), die gepanzerte Ritter mitbrachten, zusammensetzte, sollte sich auch auf ungarische Krieger stützen, weshalb das Gesetz →Stephans I.← auch die milites der Großen behandelt. Die Nachfolger der neuen Grundbesitzer, die ihre Güter von König Stephan I. erhielten oder als ungarische Häuptlinge die Gegenden ihrer alten Winterquartiere behalten durften, werden in den späteren lateinischen Texten als de genere X. bezeichnet, nach jenem, der zur Zeit der Staatsgründung Güter erhalten hatte; dagegen sind nur einige Jobagio-Sippen nach Stammesnamen benannt. Die Namen der ältesten Grundbesitzer wurden so bis zum Beginn des 14. Jahrhundert überliefert und bezeugen die Bedeutung ihrer Träger. Die damals begründete sog. Sippengrundherrschaft der genera, die Vererbung nur innerhalb der Sippe gestattete, war, da sie vom "Heiligen König" stammte, von dem ius regia nicht tangiert. Durch dieses fiel Grundbesitz, der aus späteren Donationen stammte, in die Hand des Königs zurück, wenn es keinen direkten Erben gab. Darauf basierte die außerordentliche Macht des Königs über den Ungarn, die →Otto von Freising← nachdrücklich beschrieb (I,33). Unter solchen Verhältnissen gab es in Ungarn bis zur 2. Hälfte des 13. Jahrhundert keine riesigen Privatdomänen, abgesehen von denen zweier genera, deren Ahnen zur Familie der Árpáden gehörten, der Sippen der →Aba← und der →Csák←. Die Struktur der Aristokratie wandelte sich nach dem Tod →Bélas III.←, als seine Söhne, Emmerich und →Andreas II.←, den fremden Höflingen der Königinnen (Konstanza von Aragon und Gertrud von Meran) große Domänen schenkten; die mit dem Titel "Baron" versehenen etwa zwei Dutzend Magnaten-Familien teilten sich zudem die Hofwürden und erlangten außerdem die Einkünfte einiger Komitate. Die lateinische Bezeichnung servientes regis für die Mittelschicht des ungarischen Ungarns bildete und verbreitete sich im 13. Jahrhundert seit der Zeit der "Goldenen Bulle" (1222). Dies steht mit dem Erwerb der großen Domänen durch die fremde neue Aristokratie im Zusammenhang, sowie mit dem Versuch der Magnaten, den Kleinadel mit den freien bewaffneten Burgjobagionen in den Vasallenstand zu zwingen. Die servientes regis organisierten sich in den Komitaten gegen die Macht der Barone; mit ihren Namen betonten sie, daß sie direkt vom König abhingen und in seinem Heer kämpften. Es gelang ihnen, sich in den Komitaten unter einem gewählten vicecomes mit je vier iudices servientium zu organisieren und eine fast autonome Organisation des Mitteladels zu bilden sowie in den Komitatsversammlungen Rechtsprechung auszuüben. In den Urkunden sind die congregationes servientium seit 1232 belegt. Die Bewegung führte unter König Andreas II. zur Vereinigung der Königsfreien und Burgjobagionen und zur Herausbildung eines einheitlichen Adelsstandes, der zunächst direkt gegen die mächtigen Magnatengruppen auftrat, später aber mit den Vornehmen der sächsischen, bayerischen, kumanischen und walachischen hospites juristisch eine Einheit bildete (una eademque nobilitas). Eine stärkere Konzentration von privatem Grundbesitz und der öffentlichen Würden ist nach dem Tatarensturm zu beobachten, als König →Béla IV.← ein Burgenbauprogramm verkündete, das zur Herausbildung privater Burgdomänen führte und innere Kämpfe zwischen den Magnaten-Parteien auslöste. Zwar gelang dem ersten Anjou-König, Karl Robert, und seiner Partei nach dem Tod des mächtigsten Oligarchen Matthaeus de genere Csák († 1321), alle seine Gegner zu besiegen (mit Ausnahme seiner beiden, anfänglich treu, nach 1330 - 1340 infidelis gewordenen walachischen Woiwoden Bazarab und Bogdan). Doch bildeten sich neue Koalitionen der Barone, die sich auch unter den Nachfolgern Karl Roberts bekämpften. Den Mitgliedern des mittleren Ungarns gelang es dadurch, als familiaris-Vasallenschicht der Großen ihren Adelsstand zu retten. György Györffy Lit.: B. HÓMAN, Gesch. des ung. MA, I - II, Berlin 1940 - 1943; GY. GYÖRFFY, Wirtschaft und Ges. der Ungarn um die Jahrtausendwende, Wien - Köln - Graz 1983, 102 ff.; J. SZÜCS, Az utolsó Árpádok, Budapest 1993, passim. URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.3000 IV. Südslaven 1. Kärnten, Steiermark, Krain; Istrien - 2. Dalmatien, Kroatien, Slawonien - 3. Bosnien, Serbien - 4. Bulgarien URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.4000 1. Kärnten, Steiermark, Krain; Istrien: Beitrag von Dušan Kos liegt in slowenischer Sprache vor. 2. Dalmatien, Kroatien, Slawonien: Die ersten Hinweise auf eine soziale Differenzierung bei den Kroaten bieten archäologische Funde aus der Zeit um das Jahr 800. Fränkische Schwerter und Luxuswaren belegen die Entstehung einer Führungsschicht im Zusammenhang mit den Eroberungen Karls des Großen, und in den ersten erhaltenen Urkunden aus dem 9. Jahrhundert treten die župani (→Župan←) im Gefolge des Fürsten auf. Es ist aber bisher nicht möglich, den Ursprung dieses Adels zu klären. Drei Thesen stehen für Kroatien nebeneinander: 1. Der Adel entwickelte sich unter dem Einfluß des ungarischen Feudalismus erst nach 1102; 2. der Adel ist von Oberhäuptern der verschiedenen Stämme (die kroatische Bezeichnung für Adel - plemstvo kommt von pleme 'Stamm') herzuleiten; 3. "Kroate" und "Adliger" sind Synonyme; älteren Auffassungen nach wurden die Kroaten nämlich nach der Landnahme im 7. Jahrhundert Herrscher über andere Slaven in Dalmatien/ Kroatien - neuere Forschungen zur kroatischen Ethnogenese betrachten die Kroaten nicht als ethnische, sondern als soziale Gruppe mit kriegerischer Tradition, die erst im 9. Jahrhundert ihren Namen den dalmatinischen Slaven aufzwingen konnte. Neben den schon erwähnten župani entwickelte sich bis Ende des 11. Jahrhundert auch die Schicht der nobiles (plemići), das waren Kleinadlige in größeren Gemeinschaften (→Stämmen, Sippen←), die über eigene Länder (plemenšćina, baština) verfügten. Die Oberhäupter dieser Gemeinschaften erhielten im Laufe des 11. Jahrhundert von den Königen besondere Privilegien und gewannen als Grundherren über das ehemalige territorium regale bedeutend an Macht. Man kann vermuten, daß einige von ihnen schon in der 2. Hälfte des 11. Jahrhundert ganze Županien als Erbgüter verwalteten. Die Entwicklung des Adels kann man als eine Synthese aus der fürstlichen →Gefolgschaft← und der Stammesführung ansehen. Unter den Árpádenkönigen (→Árpáden←), die nur geringe Macht in Kroatien ausübten, spielten die erblichen Župane und andere Großadelige eine wichtige Rolle. V.a. gelang es dem Geschlecht der Šubič von Bribir, in der 2. Hälfte des 13. Jahrhundert eine fast völlig selbständige Herrschaft in Kroatien, Dalmatien und teilweise Bosnien aufzubauen. Neben der Bestätigung des erblichen Titels comes (župan) von Bribir erreichten sie die Erblichkeit des Titel banus von Kroatien. Die Kleinadeligen, die seit dem 12. Jahrhundert (wenn nicht früher) in mehreren Stämmen/Sippen lebten, versuchten sich gegen den Druck der Großadeligen zu wehren. Ihre Gemeinschaft, nobiles duodecim generationum regni Croatiae genannt, entstand jedoch wahrscheinlich erst im 14. Jahrhundert (erste Erwähnung 1350/51). Eine Besonderheit stellten die comites von Krk dar. Unter venezianischer Herrschaft wurden sie im 12. Jahrhundert zu erblichen Fürsten (comites, knezovi) von Krk ernannt. Ende dieses Jahrhunderts wurden sie von König →Béla III.← mit der Gespanschaft →Modruš← belehnt, später auch mit →Vinodol←. In ihrem Bereich nobilitierten sie ihre Untertanen im 13. Jahrhundert durch Befreiung von Steuerzahlungen. Über den Adel im frühmittelalterlichen Slawonien ist nichts bekannt. Die ersten Adelsfamilien kamen in der Zeit des Beginns der Árpádenherrschaft aus Ungarn nach Slawonien. Das Geschlecht der Acha erhielt z.B. große Besitzungen in der Nähe von Zagreb. Auch andere ausländische Geschlechter, wie die von Güssing (Gisingovci) oder Gut-Keled, spielten, besonders in Ostslawonien, eine bedeutende Rolle. Im 13. Jahrhundert entwickelten sich durch königliche Schenkungen auch einheimische Adelsgeschlechter, unter denen die comites von Blagaj (auch Baboniči genannt) am wichtigsten waren. Seit der Zeit König Andreas' II. (III) werden die Magnaten als nobiles regni oder nobiles terrae bezeichnet. Das ganze Land wurde in Entsprechung zu Ungarn seit dem Anfang des 12. Jahrhundert in königliche Gespanschaften (županije) unter comites aufgeteilt. In der Umgebung der königlichen →Burgen←, die die Verwaltungszentren dieser Gespanschaften bildeten, entwickelte sich die Schicht der jobagiones castri, die neben den servientes regis die freie Bevölkerung ausmachten. Mit dem Zerfall des Systems der königlichen Gespanschaften verloren einige von ihnen ihre Freiheit, andere aber stiegen zum Kleinadel auf. Sie lebten in Gemeinschaften (communitas nobilium), meistens als Bauern, obwohl manche von ihnen auch Leibeigene besaßen. Auf den kirchlichen Besitzungen, die mit Militärdienst belastet wurden, entstand die Schicht der nobiles praedialisti, die ebenfalls zu den Kleinadeligen gehörten. Im Jahre 1273 versammelten sich die Kleinadeligen zum erstenmal zu einer Generalversammlung (sabor, congregatio regni Sclavonie generali). Natürlich konnte der König Personen auch wegen ihrer Verdienste adeln. Im letzten Viertel des 13. Jahrhundert verarmten viele Groß- und Kleinadelige infolge des Bevölkerungswachstums, und die Kirche und einige reiche Kaufleute erwarben ihre Güter. In Dalmatien kann man einen Zusammenhang zwischen den spätantiken und dem mittelalterlichen Patriziat vermuten. Die ersten Angaben über eine Führungsschicht stammen aus dem 7. und frühen 8. Jahrhundert aus →Split← und Trogir. Seit dem Anfang des 10. Jahrhundert ist das Geschlecht der Madier in →Zadar← zu verfolgen, das der Stadt und der Provinz mehrere priores, Bischöfe, proconsules, tribunes u.a. gab. Ähnliche Geschlechter finden sich im 11. Jahrhundert auch in Split und Dubrovnik. In den Urkunden des 11. Jahrhundert wird die Bevölkerung Dalmatiens in maiores und minores unterteilt, wofür nicht rechtliche, sondern Vermögensverhältnisse entscheidend waren; zur gleichen Zeit erscheint der Terminus nobiles in einer Dubrovniker Urkunde von 1023. Im Laufe des 12. und 13. Jahrhundert bildete sich eine Schicht von Wohlhabenden heraus, deren Mitglieder (consiliarii, iudices, consules) im wesentlichen die Macht ausübten (kroat. vlastela zu vlast 'Macht, Herrschaft' als Bezeichnung für Patrizier). Die Herausbildung eines rechtlich definierten Patriziats durch den Ausschluß aller Nichtpatrizier aus dem städtischen Rat fällt erst ins 14. Jahrhundert Neven Budak Qu.: F. RAČKI, Documenta historiae croaticae periodum antiquam illustrantia, Zagreb 1877; CDCroat I - VII, 1904 - 1909, 1976. Lit.: V. MAŽURANIĆ, Prinosi za hrvatski pravno-povjestni rječnik, Zagreb 1908 - 1922; F. ŠIŠIĆ, Povijest Hrvata u doba narodnih vladara, Zagreb 1925; A. DABINOVIĆ, Hrvatska državna i pravna povijest, Zagreb 1940; N. KLAIĆ, Povijest Hrvata u ranom srednjem vijeku, Zagreb 1971; DIES., Povijest Hrvata u razvijenom srednjem vijeku, Zagreb 1976; Enciklopedija hrvatske povijesti i kulture, ed. I. KARAMAN, Zagreb 1980; L. STEINDORFF, Die dalmat. Städte im 12. Jahrhundert, Köln - Wien 1984. URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.4200 3. Bosnien, Serbien: vorgesehen mit 120 Zeilen. 4. Bulgarien: Als Ergebnis eines allmählichen Zerfalls gentiler Bindungen und der damit verbundenen sozialen und ökonomischen Differenzierung bildete sich die Adelsschicht bei Slaven und Protobulgaren schon seit vorstaatlicher Zeit heraus. Aus der Mitte der Stammesaristokratie, die an der Spitze der Militärorganisation der Stämme (→Stamm← [esverband]) stand, wählte man den Anführer: knjaz (Fürst) bei den Slaven, Khan (→Herrschertitel←) bei den Protobulgaren. Bekannte Adelsgeschlechter der Protobulgaren, die in der "Bulgarischen Fürstenliste" (→Inschriften←), aber auch in Steininschriften aus dem 9. Jahrhundert erwähnt werden, sind →Dulo←, Vokil, Ugain, Ermiar, Čakarar u.a. Die Niederlassung von Slaven und Protobulgaren auf der Balkanhalbinsel und die Gründung des Bulgarischen Staates stärkte die Rolle des Adels, da ein bedeutender Teil des eroberten Bodens und der Kriegsbeute in die Hand der Krieger gelangte. Die protobulgarische Aristokratie bestand im 8. - 9. Jahrhundert aus zwei Schichten - Boïlen und Bagaïnen. Aus der Mitte der Boïlen wurden die wichtigsten militärischen und zivilen Würdenträger bestimmt, den Bagaïnen überließ man weniger bedeutende Verwaltungsposten. Neben dem protobulgarischen Adel, dessen Repräsentanten Schlüsselpositionen im Staat innehatten, gab es in den einzelnen Slavinien weiterhin lokale slavische Fürsten. Es handelt sich um einen spezifischen administrativen Dualismus, der sowohl dem protobulgarischen als auch dem slavischen Adel Machtbefugnisse einräumte. Mit dem Voranschreiten ethnogenetischer Prozesse beschleunigte sich die Verschmelzung beider Adelsgruppen. Um die Mitte des 9. Jahrhundert war der Dualismus bereits überwunden. Allmählich verschwanden die Slavinien endgültig, an ihre Stelle traten Komitate. Es bildete sich der Stand der →Bojaren← heraus, der Vertreter des protobulgarischen und des slavischen Adels umfaßte. In Quellen aus dem 9. - 10. Jahrhundert werden z.B. von Konstantin Porphyrogennetos zwei Arten von Bojaren erwähnt - "innere", denen Posten in der Hauptstadt übertragen wurden, und "äußere", die Verwaltungsposten in der Peripherie bekleideten. Erwähnt werden auch die sog. "Großen Bojaren", die als Beratungsorgan des Herrschers den Hofrat bildeten. Unter byzantinischer Herrschaft (seit 1018) existierte weiterhin ein Teil des bulgarischen Adels; zugleich entstanden neue Adelsgeschlechter, z.B. das Geschlecht der →Aseniden←. Nach der Wiederherstellung des Bulgarischen Reiches (1186) spielte der Adel, dessen Vertreter weiter als Bojaren bezeichnet wurden, eine wichtige Rolle. In seiner Hand befand sich der größere Teil des Bodens und die wichtigsten staatlichen und militärischen Ämter. Aus Urkunden der Zaren aus dem 13. - 14. Jahrhundert und anderen Quellen geht hervor, daß zwischen großen und kleinen Bojaren unterschieden wurde. Aus der Mitte der großen Bojaren wurden die bedeutenden Würdenträger in der Hauptstadt und den Provinzen bestimmt, den kleinen überließ man niedere Dienste. Eine wichtige Funktion nahm weiterhin der Bojarenrat als Beratungsorgan des Herrschers wahr. Als Großgrundbesitzer, die über eine abhängige Bevölkerung und Immunitätsrechte verfügten, aber auch als höhere Staatsbeamte, die mit administrativen Befugnissen ausgestattet waren, begannen einzelne Bojaren nach größerer Selbständigkeit zu streben, was langfristig eine finanzielle und militärische Schwächung des bulgarischen Staates bedeutete. DIMITĂR ANGELOV Qu.: Konstantin Porphyrogennetos, De cerimoniis I, ed. J. J. REISKE, Bonn 1829, 681 - 682; Gramoty bolgarskich carej, Drevnosti, ed. G. IL'INSKIJ, in: Trudy slavjanskoj kommissii Imperatorskogo Moskovskogo Archeologičeskogo Obščestva 5, M. 1911, reed. London 1970. Lit.: S. S. BOBČEV, Istorija na starobălgarskoto pravo, Sofija 1910; JU. TRIFONOV, Kăm văprosa za starobălgarskoto boljarstvo, in: Spisanie na Bălgarskata Akademija na naukite 26, 1923, 1 - 70; M. ANDREEV, Vatopedskata gramota i văprosite na bălgarskoto feodalno pravo, Sofija 1965; M. ANDREEV, D. ANGELOV, Istorija na bălgarskata feodalna dăržava i pravo, Sofija 1972; M. ANDREEV, F. MILKOVA, Istorija na bălgarskata feodalne dăržava i pravo, Sofija 1979; V. BEŠEVLIEV, Părvobălgarski nadpisi, Sofija 1979; DERS., Părvobălgarite. Bit i kultura, Sofia 1981; Istorija na Bălgarija II, Părva bălgarska dăržava, Sofija 1981, 169 - 181; III, Vtora bălgarska dăržava, Sofija 1982, 193. URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.4400 V. Ostslaven (Kiever Rus') Historisch-vergleichende Untersuchungen synchro-stadialer Gesellschaften und lexikologische Forschungen belegen den auf dreierlei Weise möglichen Erwerb des Adelsstatus: durch Erreichen eines bestimmten (hohen) Alters, Zugehörigkeit zu einem 'angesehenen' (znatnyj) Geschlecht oder durch persönliche Tapferkeit. Der Adelsstatus war Voraussetzung für die Wahl in höchste Stammesämter (→Amt/Amtsträger←, Stamm[esverband]), wobei der "Herrscher" oder Fürst (knjaz') aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem "angesehenen" Geschlecht, der militärische Anführer hingegen, der Wojewode (→Heeresorganisation←. voevoda), wegen besonderer Tapferkeitsmerkmale auserkoren wurde. Belege für die Existenz einer herausgehobenen Schicht bei den ostslavischen Stämmen sind spärlich und stammen überwiegend aus einer Zeit, als die Stammesorganisation bereits im Niedergang begriffen und den übergeordneten herrschaftlichen Ansprüchen der Kiever Fürsten unterworfen war. Älteste Termini mit der Wurzel star- (alt-), die die Stammesoberschicht nach Alterskriterien bezeichneten, wurden seit Anfang des 11. Jahrhundert immer seltener verwendet. Ob es sich bei den in Bezug auf die Drevljanen im 10. Jahrhundert belegten "besten" Männer und "Ältesten" um einen ökonomisch von der Masse der übrigen Stammesgenossen abgehobenen und über diese politische Herrschaft ausübenden Adel gehandelt hat oder lediglich um Personen mit gewissen Strafgewaltsbefugnissen und einem besonderen Gewicht bei Beratungen, ist ungeklärt. Versuche, ein Besteuerungssystem zugunsten eines lokalen Stammesadels indirekt aus der Tatsache zu erschließen, daß die von den normannischen Varägern und den →Chazaren← über die Ostslaven errichteten Tributherrschaften auf bereits vorhandenen herrschaftlichen Organisationsformen aufbauten, können nur hypothetisch sein. Hinweise für einen durch Grundbesitz herausgehobenen ostslavischen Adel im 8. und 9. Jahrhundert gibt es weder in den schriftlichen Quellen noch im archäologischen Befund. Ob es sich bei den sog. frühostslavische grady (HolzErde-Befestigungen) um Herrensitze der in den Quellen erwähnten "Fürsten, Ältesten" und "besten" Männer, um befestigte bäuerliche Einzelhöfe, um nicht ständig bewohnte Fluchtburgen oder um Versammlungsorte bzw. Kultstätten im Mittelpunkt siedlungsgeographischer Mikrolandschaften gehandelt hat, ist im Einzelfall umstritten. Institutioneller Ort adligen Lebens und politischen Handelns in der Kiever Rus' war die fürstliche →Gefolgschaft← (družina). Die ältere Gefolgschaft (staršaja družina) versah die wichtigsten Funktionen in der fürstlichen Verwaltung und im Heer. Die jüngere Gefolgschaft (mladšaja družina) rekrutierte sich aus den otroki, detskie und junye (die 'Jungen', vergleichbar den merowingischen pueri) und war mit untergeordneten Aufgaben im Fürsten- und Hofdienst betraut. Die Mitglieder der älteren Gefolgschaft wurden zu Wojewoden, Tausendschaftsführer (tysjackij) und Statthaltern (Posadnik, namestnik) ernannt, die in teilweise beträchtlicher Enfernung vom Zentrum die fürstliche Macht in Städten und Verwaltungsbezirken (volosti) repräsentierten. Charakteristisch ist auch der semantische Aspekt der für die Mitglieder der Gefolgschaft benutzten Termini. So bezeichnet knjažij muž einen erwachsenen Mann, dessen Souverän der Fürst war. Bei otroki und detskie handelt es sich um jüngere, nicht gleichberechtigte Familienmitglieder. Diese von Alterskriterien geprägten Begriffe aus dem familiären Bereich wurden zwecks Kennzeichnung konkreter Rangverhältnisse innerhalb der feudalen Hierarchie auf die Gefolgschaftsstruktur übertragen, was als Ausdruck für das objektive Bedürfnis nach Schaffung einer eigenen feudalen Terminologie, unabhängig von römischen und byzantinischen Traditionen, zu betrachten ist. Es ist jedoch unklar, ob sich diese Gruppen ursprünglich wirklich rein altersmäßig unterschieden oder ob die Altersbezeichnungen von Anfang an auf den unterschiedlichen Rang der einzelnen Gefolgschaftsgruppierungen verwiesen. Im Bedarfsfall versahen alle Gefolgschaftsangehörigen Kriegsdienst. Außerdem gab es innerhalb der družina eine besondere Schicht von Berufskriegern, die gridi (Grið), die als Leibwache des Fürsten agierten und andere, die ausschließlich militärische Funktionen wahrnahmen. Die Gefolgschaft war ein offenes soziales System; sie setzte sich aus Slaven, Finno-Ugriern, Angehörigen von Turkvölkern und skandinavischen Varägern zusammen, die in der Frühphase der Kiever Rus' in ihr dominierten. Der ausgeprägte Synkretismus der Družina-Kultur, die sich deutlich von ihrer Umgebung abhob, ist eine Folge dieser ethnischen Vielfalt. Als besonders sozialer Organismus vereinte die družina in sich militärische, administrative und höfische Elemente, wobei der Dienst für den Fürsten das Grundprinzip bildete. Gleichzeitig war die Gefolgschaft hinsichtlich ihrer Zusammensetzung enger gefaßt als das Militär- und Verwaltungssystem des Kiever Reichs, einschließlich des fürstlichen Hofes, insgesamt. Deshalb kann man die družina als spezifische, auf den Dienst für den Fürsten gegründete Organisationsform des altrussischen Adels betrachten, für die eine vertikale Mobilität ihrer Bestandteile charakteristisch war. Wichtiges, der materiellen Beziehung Fürst - Gefolgschaft (Belohnung - Dienst) übergeordnetes ethisches Element war das durch mündliche Absprache vereinbarte, nach der Christianisierung durch Kreuzkuß bekräftigte, jederzeit beiderseits kündbare Treue- und Freundschaftsverhältnis. Leben und Besitz der Gefolgschaftsmitglieder wurden durch das höchste →Wergeld← (vira) geschützt. Die ökonomische Macht der altrussischen Gefolgschaften beruhte v.a. auf Beutegewinn und im Handel realisierten Tributeinkünften. (→Tribut←). Tribut (dan'), der in mehr oder weniger regelmäßig stattfindenden Umfahrten (poljud'e) eingetrieben wurde, sorgte für ihren Unterhalt und stellte die für den →Handel← (besonders mit Byzanz auf dem "Weg von den Varägern zu den Griechen") erforderlichen Waren (Felle, Honig, Wachs, Pferde usw.) bereit. Die Eintreibung der Abgaben in seit dem 10. Jahrhundert nachweisbaren festen, aus dem übrigen Land für die Fürsten ausgesonderten Bezirken (pogosti), war mit der Gastung, d.h. der Aufnahme und Verpflegung des Fürsten oder seiner Beauftragten verbunden. Neben der aus der besonderen handelsökonomischen Interessenlage des altrussischen Adels erklärbaren Stadtorientiertheit - die Adelshöfe (dvory) waren um die fürstliche Herrenburg (kreml') der befestigten Burgstädte (goroda) (→Burg/Burgwall←, Stadt) gelegen - hat die eigentümliche Senioratserbfolge, die ein häufiges Überwechseln des Fürsten mit seiner Gefolgschaft in verschiedene Herrschaftsbereiche und Länder (zemli) zur Folge hatte, den Prozeß der Herausbildung und Fortentwicklung einer landsässigen, über autogene Herrschaftsrechte verfügenden Aristokratie außerordentlich verzögert. Zweifelsfrei nachweisbar ist adliger Grundbesitz (von Unfreien und halbfreiem Gesinde, [čeljad'], bewirtschaftetes, erbliches, von Dienst unabhängiges Privatland) erst seit der 2. Hälfte des 11. Jahrhundert Die Masse des Landes befand sich jedoch noch im 12. und 13. Jahrhundert in der Hand freier Bauern (smerdy). Ackerbau spielte für die adligen Besitzungen eine untergeordnete Rolle, wichtiger waren Viehzucht (Pferde), die Ausbeutung der tierreichen Wälder und Beutnerei, d.h. für den Handel bedeutsame Wirtschaftszweige. Der Prozeß der Grundbesitzaneignung durch Gefolgschaftsmitglieder fand seinen terminologischen Ausdruck im Auftreten des Begriffs →"Bojaren"←, einer Sammelbezeichnung für die reichen und angesehenen, über Landgüter verfügenden, gewöhnlich aber in der Stadt bzw. im fürstlichen Umkreis lebenden Personen von hohem politischen und sozialen Status. Es ist allerdings nicht sicher, ob der Terminus als Bezeichnung einer bestimmten sozialen Kategorie vor Mitte des 12. Jahrhundert bereits im Gebrauch war. In narrativen Quellen jener Zeit wurden bisweilen unter diesem Begriff sämtliche Kategorien des hohen Adels subsumiert, im Südwesten des Reiches (Halič-Wolynien) hingegen speziell die niederen landbesitzenden Adligen. Daß es neben den Gefolgschaften und Reichen der Städte eine aus der Stammesepoche überkommene eingeborene landbesitzende Oberschicht gegeben habe, die im Laufe der Zeit mit jenen zu einem einheitlichen Adel verschmolz, ist eine zwar in der Forschung verbreitete, allerdings anhand der spärlichen und problematischen Quellen nur schwer zu belegende Hypothese. Einen dem Inhalt nach anderen Integrationsprozeß bildete das Verschmelzen der mladšaja družina mit dem Beamtenapparat des Fürstenhofes. Diese Entwicklung war v.a. dadurch gekennzeichnet, daß die höfischen Beamten verstärkt zur Übernahme von Verwaltungs- und Gerichtsämtern herangezogen wurden, die ursprünglich allein von Angehörigen der jüngeren Gefolgschaft wahrgenommen wurden. Die ökonomische Grundlage dieses Integrationsprozesses bestand in einer forcierten Verbreitung eigener Wirtschaften sowohl bei otroki und detskie als auch anderen Dienstleuten des Fürstenhofes. Begrifflichen Ausdruck fanden diese Entwicklungen in der 2. Hälfte des 12. Jahrhundert mit der Einführung des neuen Terminus dvorjane (dvor 'Hof', 'Hofleute') sowie der weiten Verbreitung des alten Begriffs sluga ('Diener'), teilweise in Verbindung mit dem Adjektiv dvorskij in der Bedeutung von 'Hofdiener'. Diese Termini wurden seit der 1. Hälfte des 13. Jahrhundert als Sammelbezeichnung für alle Gruppierungen der jüngeren Gefolgschaft verwandt. In den nordöstlichen Fürstentümern der Rus' bevorzugte man den Begriff dvorjane, während sluga eher für die südwestliche und westliche Landesteile charakteristisch war. Im 13. Jahrhundert standen die dvorjane im Mittelpunkt weitreichender ökonomischer und sozialer Entwicklungen. Auf eigene Initiative bzw. durch entsprechende Zuweisung des Fürsten erwarben sie Dörfer einschließlich dazugehöriger abhängiger Bevölkerung als Erbgut (Votčina). Neben dem stabilen Allodbesitz der Fürsten und Bojaren schufen auch diese neuen Wirtschaften für die Entwicklung von Kaufmannschaft und zakladničestvo (Kommendation) günstige soziale und ökonomische Bedingungen. Die dvorjane wurden im 13. - 14. Jahrhundert zu einer privilegierten adligen Gruppe deren gesellschaftlicher Status durch den Dienst für den Fürsten, durch Zugehörigkeit zum fürstlichen Verwaltungs-, Gerichts- und Militärapparat bestimmt wurde. In den Fürstentümern →Novgorod← und Pskov im Nordwesten der Rus' bestand eine Besonderheit bei der Herausbildung des Hochadels in dessen bojarisch-kaufmännischen Charakter. In Novgorod hat sich eine aus grundbesitzenden Bojaren, ehemaligen fürstlichen Hof(ogniščane) und Gefolgsleuten (grid'ba) bestehende einheimische Stadtaristokratie herausgebildet, die sich die wichtigsten Ämter (posadnik, tysjackij) und kommunalen Institutionen (Herrenrat) aneignete, die Macht des Fürsten auf die Rolle eines vertraglich gebundenen militärischen Beauftragten und seitens des Posadnik kontrollierten Gerichtsherrn begrenzte und somit die Verfassungsentwicklung Novgorods zu einer oligarchisch bestimmten Stadtrepublik durchsetzte. Im Südwesten der Rus', im Fürstentum Halič-Wolynien, hat sich das landbesitzende Bojarentum gegen die hier schon fast ständisch begriffene Freiheit der Städte (Einflüsse aus Polen und Ungarn) und z.T. auch gegen fürstliche Interessen durchzusetzen vermocht. Das Verhältnis Fürst - Adel barg jedoch objektiv stets mehr Interessenübereinstimmungen als Gegensätze in sich, so daß es zu einer ständischen Entwicklung nicht gekommen ist und die traditionellen kooperativen Gefolgschaftsbeziehungen auch im politischen Milieu verstärkter fürstlicher Machtkonzentratlion ihre Gültigkeit behielten. MICHAIL BORISOVIČ SVERDLOV Hartmut Rüss Lit.: J. PORAJ-KOŠIČ, Očerk istorii russkogo dvorjanstva ot poloviny XI do konca XVIII veka, SPb. 1874; M. JABLOČKOV, Istorija dvorjanskogo soslovija v Rossii, SPb. 1876; V. I. SERGEEVIČ, 3 Drevnosti russkago prava, I - III, SPb. 1903 ; A. E. PRESNJAKOV, Knjažnoe pravo v Drevnej Rusi, SPb. 1909; N. P. PAVLOV-SIL'VANSKIJ, Feodalizm v udel'noj Rusi, SPb. 1910, 348 - 364; M. A. 4 D'JAKONOV, Očerki obščestvennogo i gosudarstvennogo stroja Drevnej Rusi, SPb. 1912 , 74 - 89; 7 M. F. VLADIMIRSKIJ-BUDANOV, Obzor istorii russkogo prava, Petrograd - Kiev 1915 , 44 - 80; I. M. 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Jahrhundert) bezeugt, hatten solche Fürsten bis zu 300 Leute hinter sich. Im 13. Jahrhundert begann ein Prozeß der Konzentration der Adelsmacht auf die Mitglieder einer Familie, was die Dominanz des litauischen Adels im ganzen östlichen Baltikum und z.T. in Kurland begründete. Anfang des 13. Jahrhundert zahlten die →Selen← Tribute an den litauischen Adel, andere ostbaltische Stämme wurden durch litauische Kriegszüge ausgeplündert. Die nach den Fürsten bedeutendste Kategorie des Adels im Baltikum stellten die sog. Kriegsführer. Der Unterschied zwischen beiden bestand in der Wählbarkeit der letzteren, deren Erbrechte auf ein im Vergleich zu den Fürsten kleineres Territorium begrenzt waren. Zu dieser Kategorie des Adels gehörten beispielsweise Thalibald in →Lettgallen← oder Herkus Monte in Preußen. Die Führungsschicht des Adels, Fürsten und Kriegsführer, war im Verhältnis zum Rest der Adligen gering. Die Unterschiede zwischen den einfachen Adligen und den Freien waren im 13. Jahrhundert nicht besonders groß, und zwischen freien Bauern und Adligen waren die Grenzen fließend, was sich an der Größe des Besitzes von Adligen zeigen lässt. Im 13. Jahrhundert besaß ein Adliger in Preußen und Litauen (→Litauer, Litauen←) durchschnittlich nur ca. 3 - 5 Haken (Angaben aus Livland fehlen). Der Adel im Baltikum hatte auch keine Freien auf seinem Besitz. Quelle seiner ökonomischen Macht waren die Unfreien (→Freiheit und Unfreiheit←), die meist aus Kriegsgefangenen rekrutierten. Einfache Adlige konnten ihren Status einbüßen, wenn sie Befehle des Kriegsführers oder Beschlüsse der Stammesversammlung ignorierten. Die Adligen wohnten in befestigten Höfen (noch nicht in Burgen), die aber nur im Besitz der hervorgehobenen Adligen waren. Nach der Entstehung des Ordensstaates in Preußen verlor ein Teil der prußischen Adligen, der Widerstand geleistet hatte, seine gesellschaftliche Stellung, während der andere Teil seine Position wahren und durch neue Verleihungen festigen konnte, wobei er sich assimilierte. In Livland (→Liven, Livland←) war die Lage anders, da hier nur einzelne Adlige ihren Status behielten (eine Ausnahme bildet hier Kurland). ALVYDAS NIKŽENTAITIS Qu.: Scriptores Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft, I - II, hg. T. HIRSCH u.a., Leipzig 1861 - 1863; Livländ. Reimchronik, hg. L. MEYER, Paderborn 1876; Preußisches UB, Politische Abt. I, H. 1 und 2, Königsberg 1882, 1909; Liv-, Est-, Kurländisches UB I, hg. F. G. VON BUNGE, Reval 1853; Heinrich von Lettland. Lit.: A. SCHWABE, Grundriß der Agrargeschichte Lettlands, Riga 1928; H. ŁOWMIAŃSKI, Studia nad poczatkami spoleczeństwa i paÞstwa litewskiego I - II, Wilno 1931 - 1932; Ž. 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Die mächtigsten Angehörigen der livländischen und estnischen Oberschicht werden als princeps ac senior ('Heerführer und Älteste'; →Ako←, →Dabrelus←, →Lembitu←), als senior provinciae ('Provinzälteste') und sogar als rex ('Fürst, Caupo') bezeichnet. Von der eingesessenen Bevölkerung wurde für die örtlichen Machthaber das schon vor Christi Geburt in die ostseefinnischen Sprachen gelangte Wort kuningas ('König') in der Bedeutung "Heerführer" angewandt. Die einzelnen Ältesten, die sich zu allgemeinen Beratungen versammelten, wachten über die öffentlichen Angelegenheiten der Dorfgemeinden, der Gaue und der Landschaften. Nach der deutsch-dänischen Eroberung zu Beginn des 13. Jahrhundert wurden einige livländische und estnische nobiles als Vasallen in das Lehnsystem der Deutschen und Dänen eingegliedert. Jüri Selirand Lit.: H. MOORA, H. LIGI, Wirtschaft und Gesellschaftsordnung der Völker des Baltikums zu Anfang des 13. Jahrhundert, Tallinn 1970; J. SELIRAND, Viron rautakausi. Viron nuoremman rautakauden aineiston pohjalta, in: Studia Archaeologica Septentrionalia 1, Rovaniemi 1989. URL: http://www.uni-leipzig.de/gwzo/wissensdatenbank/artikel.php?ArtikelID=24.7000