Das Geheimnis der Päpstin
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Das Geheimnis der Päpstin
Das Geheimnis der Päpstin Gab es die Päpstin Johanna? Historiker kommen zu dem Schluss: Auf dem Heiligen Stuhl saß niemals eine Frau. Doch enthüllt die Geschichte ihrer Legende, dass Fiktion mitunter mehr über die Vergangenheit verrät, als Fakten es je könnten. Von Klaus Herbers 50 epoc 04/2010 Geschichte des Papsttums auf eInen b li cK Mächtiger Mythos 1 Die Legende von einer Päpstin Johanna aus dem Jahr 855 entstand im 13. Jahrhundert und wurde bis in die Neuzeit hinein für wahr gehalten. 2 Historisch-kritisch arbeitende Forscher bezweifeln ihre Echtheit. Der wichtigste Grund: Die Ereignisse des 9. Jahrhunderts sind so gut dokumentiert, dass der Pontifikat einer Frau praktisch ausgeschlossen ist. 3 PA / MAXPPP (Illustration in »Histoire de la papesse Jeanne«, M. de Spanheim, La Haye 1720) Dass die Fabel bis heute Anlass zu Verschwörungstheorien gibt, erklären Historiker mit der Sprengkraft, die der Johannamythos über die Zeiten hinweg besaß. Seine vielen Fassetten spiegeln Sehnsüchte aus den Epochen wider, in denen er gepflegt wurde. epoc.de Während einer Prozession durch Rom im Jahr 855 soll der beliebte Papst Johannes Anglicus plötzlich zusammengebrochen sein und ein Kind geboren haben. So erzählt es zumindest die Legende. 51 52 Kern. Und dennoch ist sie von enormer historischer Aussagekraft. Derzeit interessiert Wissenschaftler vor allem, welche Wünsche und Sehnsüchte sich auf die Vita einer mittelalterlichen Päpstin richteten. Verbunden mit neueren Überlegungen zum kulturellen Gedächtnis erforschen wir, wann welche Bilder der römischen Bischöfin entstanden und wie sie die jeweiligen Vorstellungen von der Vergangen- Die Legende von einer Päpstin namens Johanna spielte im Volksglauben lange eine wichtige Rolle. Hier ziert sie eine Tarotkarte aus dem Jahr 1450. AKG Berlin »J ohanna, ein junges Mädchen mit überragenden Geistesgaben, wächst im Frankenreich des 9. Jahrhunderts heran. Als Tochter eines strenggläubigen Vaters und einer heidnischen Mutter gelingt ihr, was allen Mädchen im Mittelalter verwehrt blieb: Sie erhält eine heilkundliche und philosophische Ausbildung. Doch Johanna weiß, dass ihr als Frau die letzten Tore der Weisheit verschlossen bleiben, ja, dass sie kaum überleben wird. Als Mönch verkleidet tritt sie zunächst ins Kloster Fulda ein und macht sich Jahre später auf den Weg nach Rom. Dort gelangt sie als Leibarzt des Papstes innerhalb kurzer Zeit zu großer Berühmtheit. Und schließlich ist sie es selbst, die die Geschicke der katholischen Kirche leitet: Als Johannes Anglicus besteigt sie den päpstlichen Thron.« Mit diesen Worten wirbt der Klappentext für den Roman »Die Päpstin« von Donna W. Cross. Weiter heißt es: Die Autorin präsentiere »die faszinierende Geschichte einer der außergewöhnlichsten Frauengestalten der abendländischen Geschichte: das Leben der Johanna von Ingelheim, deren Existenz bis ins 17. Jahrhundert allgemein bekannt war und erst dann aus den Manuskripten des Vatikans entfernt wurde.« Das 1996 erschienene Buch stürmte die Bestsellerlisten Europas und erfreut sich bis heute großer Beliebtheit. 2009 wurde der Stoff sogar von Regisseur Sönke Wortmann verfilmt – von Zweifel an der realen Existenz der Päpstin Johanna keine Spur. Ein Blick in die 1998 erschienenen »Regesta Imperii« – ein kritisches Quellenwerk, in dem sämtliche Könige und Päpste des Mittelalters aufgeführt sind – vermerkt unter der Nummer 335 der »Papstregesten 844 – 858« allerdings nur den kurzen Satz: »Angeblicher Pontifikat der Päpstin Johanna.« Zugeordnet ist diese Notiz dem Jahr 855. Glühenden Verfechtern der Existenz einer Päpstin, die der römischen Kurie eine Fälschung der Manuskripte vorwerfen, stehen historischkritisch arbeitende Wissenschaftler gegenüber, die dem Wahrheitsgehalt der Notiz auf den Grund gehen. Die Brisanz dieser Forschungen liegt auf der Hand, schließlich hätte der Pontifikat einer Frau eine enorme Signalwirkung etwa auch in der Debatte um die Ordination von Frauen in der katholischen Kirche. Gibt es Ar gumente, die das Wirken einer Päpstin zumindest wahrscheinlich erscheinen lassen? Immerhin ist Johanna in zahlreichen Geschichten verewigt worden. Die Antwort der Geschichtsforscher fällt eindeutig aus: Die Legende hat keinen wahren epoc 04/2010 Gerangel um den papstthron Das Papsttum bestand von der Antike über das Mittelalter bis in die heutige Zeit kontinuierlich fort. Von einer schwierigen Stellung im noch heidnischen Rom avancierte es zu einer Ordnungsmacht vor allem nach dem Untergang des Römischen Reichs. Päpste wie Gregor der Große (590– 604) standen nicht nur an der Spitze einer kirchlichen Organisation, sondern übernahmen auch zunehmend Herrschafts-, Ordnungs- und Verwaltungsaufgaben in Rom und Mittelitalien. Obwohl noch bis ins 8./9. Jahrhundert vom oströmisch-byzantinischen Herrscher abhängig, entwickelte sich das Papsttum zu einer der wichtigsten politischen Kräfte südlich der Alpen. Wegen der Bedrohung durch die Langobarden im 8. Jahrhundert und der wenig effektiven Hilfe aus Byzanz setzten die Päpste immer stärker auf die Emporkömmlinge nördlich der Alpen: die Karolinger. Die Kaiserkrönung Karls im Jahr 800 wurde zum Markstein dieses neuen Bündnisses zwischen kirchlicher und weltlicher Macht. Der damalige Papst Leo III. war allerdings in Rom nicht unumstritten und bei einem Attentat 799 fast ums Leben gekommen. Offenbar wollten römische Adlige ihn gewaltsam absetzen. Nach seiner Flucht ins Frankenreich halfen Karl der Große und weitere einflussreiche Persönlichkeiten des Karolingerreichs, die Herrschaft Leos III. in Rom wieder zu stabilisieren. Diese Ereignisse zeigen, wie sehr die Position der Päpste damals von den jeweiligen Machtkonstellationen in Rom abhing. Das Gerangel konkurrierender Kräfte prägte auch das gesamte 9. Jahrhundert. Immer wieder meldeten Gegenpäpste Anspruch auf den römischen Bischofsstuhl an. Im Jahr 844 stritt etwa ein Diakon Johannes mit dem späteren Sergius II. um epoc.de Ges chi ch t s t r äch t iges Missv er s tä nd nis Jene enge Gasse, die vom Lateran palast zum Vatikan führte, hieß tatsächlich einmal »vicus Papissae« – was auf eine dort bis ins 10. Jahrhundert residierende Adelsfamilie zurückgeht, nicht auf eine angebliche Päpstin. Die Straße wird bis heute gemieden (die Linie zeigt den neuen Prozessionsweg). Forschern zufolge ist nicht die anstößige Legende von der päpstlichen Niederkunft der Grund, sondern schlicht Platzmangel. aus: Die Päpstin johanna, Biografie einer Legende, Max Kerner und Klaus Herbers, Böhlau 2010≠ heit beeinflussten. Es geht also keineswegs um die Frage, welcher Wahrheitsgehalt in dieser Geschichte enthalten sein könnte. Fiktionen sollten wir eher so lesen, dass sie für nicht verstandene Entwicklungen ihrer Zeit ein Sinnangebot bereithielten. Wer die Überlieferungsgeschichte und die historische Aussagekraft der Johannalegende verstehen will, muss sich mit zwei verschiedenen Zeiträumen auseinandersetzen: zum einen mit der Epoche, aus der die Erzählung stammt und in der sie populär wurde – das 13. Jahrhundert. Zum anderen mit der Periode, in die der Pontifikat der Päpstin von ihren Überlieferern datiert wurde – das 9. Jahrhundert. die Papstwürde, 855 kämpfte Anastasius Bibliothecarius gegen Benedikt III., und am Ende des Jahrhunderts kam es innerhalb kürzester Abstände zu sehr vielen umstrittenen Erhebungen, bei denen wir heute oft kaum noch wissen, welcher Kandidat nun der »rechtmäßige« war. Eine weitere Entwicklung während der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts ist wichtig: Weil das fränkische Reich infolge von Erbstreitigkeiten mehr und mehr zersplitterte, gewann das Papsttum als Ordnungsmacht im lateinischen Westen an Gewicht. Die überlieferte päpstliche Korrespondenz aus dieser Zeit verrät den großen Einfluss eines Kreises von herausragenden Gelehrten im Umfeld der Kirchenfürsten. Zu ihnen gehörte jener Anastasius, der 855 selbst erfolglos um die Papstwürde gerungen hatte und drei Jahre später begann, die Politik der Päpste Nikolaus I. und seines Nachfolgers Hadrians II. maßgeblich mitzugestalten. Um 879 muss er gestorben sein, denn sein Einfluss als harter Politiker im Machtkampf zwischen Rom und Byzanz scheint gegen Ende der 870er Jahre zurückgegangen zu sein: Zumindest legte sein dritter und letzter Dienstherr, Papst Johannes VIII., eine gemäßigtere Haltung im Streit um die Vorherrschaft innerhalb der Kirche an den Tag als seine Vorgänger. Spätere Kritiker warfen ihm jedenfalls vor, dass er kaum wie ein Mann reagiert habe. Als eine Schlüsselepisode für die Situation in Rom und die divergierenden Interessen, die am Ende des Pontifikats von Johannes VIII. wieder besonders deutlich hervortraten, kann der Bericht über seinen Tod 882 gelten. Nach der Notiz Glühende Verfechter der Existenz einer Päpstin werfen der römischen Kurie eine Fälschung der Manuskripte vor 53 2.eine etwa zwei bis drei Jahrzehnte währende Blüte spätantik-christlicher Gelehrsamkeit, aus: Die Päpstin johanna, Biografie einer Legende, Max Kerner und Klaus Herbers, Böhlau 2010 3.eine insgesamt bis 882 relativ dichte Überlieferung, die nicht nur die außerordentlich hohe Bildung erkennen lässt, sondern auch Funktion und Politik der Päpste im 9. Jahrhundert wesentlich besser erschließt als in den nachfolgenden anderthalb Jahrhunderten. Im Hochmittelalter wurde ein neuer Papst unmittelbar nach der Wahl zu solch einem Thron im Latern geführt – um darauf sitzend den Beweis seiner Männlichkeit anzutreten. in den Jahrbüchern von Fulda, die im ostfränkischen Karolingerreich etwa zur selben Zeit verfasst wurden, soll der Papst vergiftet worden sein. Weil das Gift nicht schnell genug wirkte, half man angeblich noch mit dem Hammer nach. Ob wahr oder nicht, diese Darstellung vermittelt einen zeitgenössischen Eindruck der chaotischen Verhältnisse in Rom. Adelskämpfe und Konkurrenz bestimmten mittlerweile in noch größerem und undurchsichtigerem Maß das Bild. Historiker lassen das so genannte »dunkle Jahrhundert der Papstgeschichte« deshalb oft mit dem Tod Johannes’ VIII. beginnen. Im Blick auf die Wahrscheinlichkeit eines Pontifikats der Johanna im 9. Jahrhundert ergeben sich aus den überlieferten Fakten jener Zeit somit drei wichtige Charakteristika: 1.die Existenz konkurrierender Kräfte und eine teilweise unübersichtliche Nachfolge im Papstamt, 54 Eine Frau im Amt Petri wird in den Quellen jener Tage jedoch nirgends erwähnt. Erste Hinweise dafür finden sich erst in Texten aus dem 13. Jahrhundert. So etwa in der so genannten »Kaiser-Papst-Chronik« des Martin von Troppau (gestorben 1278). Der Geschichtsschreiber schiebt den Pontifikat einer Päpstin zwischen Leo IV. (847 – 855) und Benedikt III. (855 – 58) ein: »Nach diesem Leo herrschte Johannes Anglicus aus Mainz zwei Jahre, sieben Monate und vier Tage. Er starb zu Rom, und das Papsttum blieb für einen Monat vakant. Dieser Johannes war, wie behauptet wird (dicitur), eine Frau, die als junges Mädchen in Männerkleidern von ihrem Liebhaber nach Athen gebracht wurde, dort auf verschiedenen Wissensgebieten derart glänzte, dass sich niemand mit ihr messen konnte, so dass sie dann in Rom, als sie Vorlesungen in Rhetorik und anderen Disziplinen hielt, viele Magister als Schüler und Hörer hatte. Und als sie durch ihr Leben und ihr Wissen in der Stadt großes Ansehen erworben hatte, wurde sie einstimmig zum Papst gewählt. Aber als Papst wurde sie von ihrem Vertrauten geschwängert. Den Zeitpunkt der Niederkunft nicht ahnend, gebar sie, als sie sich von Sankt Peter zum Lateran begab, in dem engen Gässchen zwischen Kolosseum und der Kirche des Heiligen Clemens, und nach ihrem Tod fand sie dort, wie gesagt wird, ihr Grab. Und weil der Herr und Papst seitdem diesen Weg immer meidet, wird von den meisten angenommen, dass er das aus Abscheu vor dieser Tat macht. Sie wird bis jetzt nicht im Verzeichnis der Päpste aufgeführt, weil man ihr weibliches Geschlecht als Makel empfindet.« Dies ist zwar nicht die früheste Quellennotiz, in der von einer Päpstin berichtet wird, doch sie enthält fast alle wesentlichen Punkte der Geschichte, die weitere spätmittelalterliche Chroniken übernahmen. Frühere Erwähnungen waren meist knapper und variieren in ihren Akzenten. Sowohl Johannes von Mailly (gestorben um 1260) als auch der wohl von ihm abhängige Stephan von Bourbon (gestorben 1261) ordnen die Päpstin nicht wie Martin von Troppau ins 9. epoc 04/2010 Kritik an der Echt heit des Pontifikats einer Frau wurde im Spätmittelalter nur vereinzelt und obendrein ver halten formuliert Jahrhundert, sondern ins ausgehenden 11. Jahrhundert ein. Johannes von Mailly berichtet über ihre Niederkunft folgendermaßen: »Als sie eines Tages ein Pferd bestiegen habe, gebar sie einen Sohn, wurde an ein Pferd gebunden und dann vom Volk gesteinigt. Dort, wo sie verschieden sei, habe man einen Grabstein errichtet, dessen sechs P man folgendermaßen auflösen könnte: ›petre, pater patrum papisse prodito partum‹ (Petrus, Vater der Väter, enthülle die Geburt der Päpstin).« VOn bösen Mächten Verführt Bei Stephan von Bourbon erlangte die spätere Päpstin durch einen Pakt mit dem Teufel das Kardinalsamt und erlitt als Strafe ein schmachvolles Ende. Die Chronik eines Erfurter Mönchs aus den Jahren um 1260 datiert die Geschichte der namenlosen Päpstin auf das Jahr 897 in den Zusammenhang von erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern des posthum verurteilten Papstes Formosus. Hier ist es der Teufel selbst, der im Konsistorium (Kirchengericht) die Worte der »sechs P« verkündet. Wenngleich bereits die frühen Notizen aus dem 13. Jahrhundert inhaltliche Variationen überliefern, scheint damals kaum jemand an der Existenz einer Päpstin gezweifelt zu ha- ben. Mit ein Grund dafür dürfte eine damals verbreitete Interpretation von zwei eigentümlichen Stühlen aus Porphyr (Vulkangestein) sein, die bis heute im Lateranpalast stehen (vergleiche Foto links). Seit Papst Paschalis II. (1099 – 1118) wurde nachweislich jeder neue Amtsträger unmittelbar nach seiner Wahl zu einem dieser Steinsessel geführt, deren Sitzfläche einem Toilettensitz ähnelt. Der Geistliche Robert von Uzès erwähnt in einem Buch aus dem Jahr 1291 den angeblichen Zweck der Stühle: Ein hoher Kirchendiener prüfte damit unter Anwesenheit von Zeugen, ob der Gewählte denn auch wirklich männlich sei. Im selben Zeitraum nennt auch Gottfried von Courlon die Prüfung des Geschlechts und begründet das Ritual sogar mit der schmählichen Erfahrung, dass einmal eine Päpstin die Kathedra Petri bestiegen habe. Inzwischen glauben Forscher jedoch, dass es sich bei den Porphyrstühlen um Gebärstühle handelt, wie sie bei Römern, Juden und Griechen seit der Antike in Gebrauch waren. Was aber veranlasste die päpstliche Kurie dann, diese Sessel in die Zeremonie der Papstwahl einzu- ANZEIGE MAX KERNER | KLAUS HERBERS DIE PÄPSTIN JOHANNA BIOG RAPHIE EINER LEG ENDE epoc.de 2010. 173 S. 52 ABB. GB. MIT SU € 19,90 [ D ] | ISBN 978-3-412-20469-3 Die Lektüre ist ein vergnüglicher und AKG Berlin (Handkolorierter Holzschnitt einer mittelalterlichen Illustration) Einige Versionen der Johannalegende berichten von einem Pakt mit dem Teufel. Ihm habe die einfache Frau ihre enorme Gelehrsamkeit verdankt – und das Amt Petri. verschlungener Spaziergang zwischen Schein und Wirklichkeit. Aachener Zeitung WWW.BOEHLAU.DE 55 beziehen? Darüber geben mehrere liturgische Texte des 11. Jahrhunderts Aufschluss. Ihnen zufolge musste sich der Neuerwählte quasi iacens, also halb sitzend und halb liegend wie eine Frau bei der Geburt, auf dem Gebärstuhl niederlassen. Diese Symbolik sollte daran erinnern, dass die Kirche mit jedem neuen Papst gewissermaßen auf dem Felsen Petri neu begründet wird – daher das Material Porphyr. Zugleich gab der Ritus die Kirche als Mutter aller Gläubigen zu erkennen. Zahlreiche Geschichtsschreiber des 14. Jahrhunderts wiederholten die Hinweise auf eine Päpstin, wobei die ausgesprochen weit verbreitete Chronik des Martin von Troppau eine gewisse Leitfunktion erhielt. Auf dieser Basis wurde die Notiz schließlich auch in ein Manuskript des Papstbuchs »Liber pontificalis« integriert. Kritik an der Echtheit des Pontifikats einer Frau wurde im Spätmittelalter nur vereinzelt und obendrein verhalten formuliert. Die für Historiker entscheidende Frage lautet nun: Welche Funktionen und Ziele verfolgten die unterschiedlichen Versionen des Mythos der Päpstin? Um dies zu beantworten, will ich auf die Zusammenhänge zu sprechen kommen, in denen die Geschichte der Päpstin Johanna zu verschiedenen Zeiten gebraucht und missbraucht wurde. Dazu fünf Thesen: 1.Den ersten Zeugen war offenbar nur wichtig, dass es überhaupt einmal eine Päpstin gegeben habe. Denn sie fügen die Legende an den unterschiedlichsten Zeitpunkten der Papstgeschichte ein. Manche zeigten überhaupt kein Interesse, sie chronologisch eindeutig in die Reihe der Würdenträger einzuordnen. 2.Die frühen Quellen betonten fast immer die außergewöhnliche Bildung der Päpstin. Einige Berichte führen diese auf die Hilfe des Teufels zurück. Insofern verwundert nicht, dass spätere Autoren wie Martin von Troppau die Legende in das von großer Gelehrsamkeit geprägte 9. Jahrhundert datierten. 3.Während die frühesten Autoren den Bericht über die angebliche Päpstin eher als Beispiele (exempla) in Werke eingefügten, die zur Belehrung oder Erbauung dienten, berücksichtigt von Troppaus Papst-Kaiser-Chronik genaue Pontifikatszeiten. Deshalb musste er eine Lücke finden, um die Päpstin in den Ablauf der Geschichte einzuordnen. Das von Machtkämpfen gekennzeichnete 9. Jahrhundert schien auch in dieser Hinsicht naheliegend. 56 4.Die Quellen, die die Päpstin ins ausgehende 13. Jahrhundert datieren, sind unabhängig von der Überlieferung um von Troppau zu verstehen. Sie spielen auf den 1294 nach langer Vakanz zum Papst gewählten Peter de Morrone an, den man wegen seiner asketischen Frömmigkeit als Engelspapst bezeichnete. Viele Zeitgenossen hatten in ihm den Hoffnungsträger einer kirchlichen Erneuerung gesehen, doch er dankte nach nur wenigen Wochen wieder ab. Mit ihm wird eine tiefe Spiritualität verbunden, wie sie sich auch in manchen Versionen der Johannaerzählung findet, in denen sie oft als Johannes Anglicus (von angelus, lateinisch Engel) bezeichnet wird. Die Geschichte der Päpstin war keines falls nur eine unter haltsame Anekdote. Sie diente in vorrefor matorischer Zeit so gar als Argument für eine grundlegende Kritik an Papsttum und Kirche 5.Im Lauf des 14. und 15. Jahrhunderts wird die Legende zunehmend im Zusammenhang mit einer gewissen Kirchenkritik erwähnt. Der Reformer John Wiclifs deutete Johanna 1382 als Zeichen für die Fehlbarkeit der Kurie: Wenn die Kardinäle sogar eine Frau wählen konnten, so wären sie auch in der Lage, sich vom Teufel täuschen zu lassen und diesen zum Papst zu wählen. Ähnlich argumentierte Johannes Hus auf dem Konstanzer Konzil 1415. Er sah in Johanna ein Symbol für die mangelnde Kohärenz in der römischen Kirche. So habe diese bereits zur Zeit der Päpstin durch ihre Glieder von der Gnade Christi gelebt und bedürfe deshalb keiner »monströsen Köpfe«, also keiner Päpste. Die Geschichte der Päpstin war demnach keinesfalls nur eine unterhaltsame Anekdote. Sie bündelte vielmehr verschiedene Vorstellun- gen der jeweiligen Epoche und diente in vorreformatorischer Zeit schließlich sogar als Argu- R ät selhaf t e Zei chen Bei der Kirche San Clemente in der »vicus Papissae« fand man eine Inschrift mit den lateinischen Buchstaben P.P.P.P.P.P. Die frühesten Quellen zitieren sie als Beleg für die Geschichte von der Päpstin und deuten die Buchstaben als petre, pater patrum papisse prodito partum: »Petrus, Vater der Väter, enthülle die Geburt der Päpstin«. Archäologen vermuten jedoch, dass die ersten drei P eine Abkürzung für einen üblichen antiken Weihespruch seien: proprie pecunia posuit. Zwei weitere P könnten für pater patrum stehen – ein Hohe-Priester-Titel des im antiken Rom weit verbreiteten Mithraskults. Damit würde die Übersetzung lauten: Ein unbekannter Mithraspriester namens »P., der Pater Patrum, stellte die notwendigen Mittel zur Verfügung«. epoc 04/2010 Kein Platz für eine frau Bis heute scheint die Legende der Johanna allerdings so attraktiv, dass ihre reale Existenz nicht einmal mehr hinterfragt wird. So weist Bestsellerautorin Donna W. Cross im Nachwort des eingangs zitierten Romans darauf hin, dass der Vatikan die Quelle zur Päpstin einfach vernichtet hätte. Sie stellt damit eine Verschwörungs theorie auf, die schlichtweg nicht haltbar ist, will man nicht konspirative Aktionen an verschiedenen Enden der damals bekannten Welt, also in Rom, Byzanz und anderswo annehmen. epoc.de Bridgeman Berlin ment für eine grundlegende Kritik an Papsttum und Kirche. Neben den skizzierten Ansätzen gab es noch eine weitere, weniger historische als vielmehr literarische Projektion. Der Schriftsteller und Humanist Giovanni Boccaccio gedachte der Päpstin um 1360 in seinem Werk »De mulieribus claris« (»Über berühmte Frauen«), womit die Figur in der romanhaften Literatur Fuß fasste. Boccaccio gestaltete ihre Legende dramatisch und wählte eine bis dahin unbekannte Perspektive: Wie schon bei von Troppau strebt Johanna zum höchsten Amt auf Grund von Wissen, Willen und Kraft, doch sie scheitert durch die Schwachheit ihres Fleisches. Der entscheidende Unterschied: Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die Papst wird, weil sie die nötigen Voraussetzungen besitzt. Boccaccio wählte nicht mehr die Sichtweise eines Papstes, der als Frau enttarnt wird. Interessanterweise ist Johannas Verführer ein junger Gelehrter, unter dessen Einfluss sie für die Göttin Venus und die Gelehrsamkeit kämpfte. Bei Boccaccio kündigte sich somit schon ein gewisser feministischer Aspekt an, der sich in anderen Schriften des 15. Jahrhunderts weiterverfolgen lässt – bis hin zur Aussage, durch die Päpstin sei die Eignung der Frauen für die höchsten Ämter erwiesen. Schwangen bei mittelalterlichen Autoren wie Boccaccio also bereits feministisch-kritische Untertöne mit, gewann in der frühen Neuzeit die theologisch-kirchenkritische Argumentationsweise die Oberhand, besonders in der protestantischen Geschichtsschreibung. Die katholische Seite begann nun zunehmend die protestantischen Angriffe abzuwehren und Material gegen die Echtheit der Geschichte zu sammeln. So sehr man die Polemik der konfessio- nellen Auseinandersetzungen vom 16. bis 18. Jahrhundert kritisieren kann, so sehr muss man zugleich betonen, dass diese Diskussionen eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit den Quellen indirekt gefördert haben. Denn die Dokumentation zum 9. Jahrhundert ist so lückenlos, dass eine Päpstin hier beim besten Willen keinen Platz findet. Die zeitgenössische Schriftstellerin Esther Vilar nimmt die Echtheitszweifel an der Legende ernst und versteht es dennoch, mit ihrer Hilfe gegen den Ausschluss von Frauen aus geistlichen Ämtern in der katholischen Kirche zu demonstrieren. In ihrem Zukunftsroman »Antrittsrede der amerikanischen Päpstin« von 1982 nennt sich die am 3. Februar 2024 für vier Jahre gewählte Päpstin Johanna II. – als Hommage an die »Vorgängerin«: »Deshalb will ich diese meine Schwester, sei sie nun eine historische Legende oder nicht, zu meiner Vorgängerin machen. Wie angekündigt wird eine meiner ersten Handlungen darin bestehen, eine Frau zu ehren, die vielleicht niemals existierte.« Eine historische Gestalt – so jedenfalls die neuere Forschung – war die Päpstin Johanna nicht, aber sie existierte als Wunsch- oder Gegenbild und fasste Kritik an der Kurie sowie an männlicher Dominanz zusammen. Sie spiegelt damit Sehnsüchte der Menschen seit dem 13. Jahrhundert wider. Doch obgleich bloße Legende, ist eine solche Geschichte der Vorstellungen manchmal mächtiger als eine der Fakten. Deshalb hat die Päpstin Johanna bis heute nichts an Anziehungskraft eingebüßt. Ÿ Dieser englische Druck aus dem Jahr 1675 wollte die Existenz der Päpstin beweisen und so die katholische Kirche in Verruf bringen. L i t er at urt ipp Max Kerner, Klaus Herbers D ie Pä ps t in J o ha nn a Biographie einer Legende [Böhlau, Köln 2010, € 19,90] www.science-shop.de/epoc Klaus Herbers lehrt mittelalterliche Geschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg. 57