Morde ohne Sühne. Zentrum der Gewalt: Ciudad Juarez in Mexiko

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Morde ohne Sühne. Zentrum der Gewalt: Ciudad Juarez in Mexiko
Wo bleibt die
Gerechtigkeit?
Erinnerung an
ermordete Frauen
Morde ohne Sühne
Am 8. März jährt sich der Internationale Frauentag zum 100. Mal. Gelegenheit,
auch auf die strukturellen Ursachen von Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu
machen. Wohl nirgends in Lateinamerika tritt der Zusammenhang von Gewalt und
Arbeitsrechten in einer solchen Zuspitzung auf wie in Ciudad Juarez an der Nordgrenze Mexikos. Text: Johanna Fincke (CIR)
C
iudad Juarez ist traurige Geburtsstadt
des Kampfes gegen Frauenmorde. Sie gilt
als eine der gefährlichsten Städte der Welt
und sinkt täglich tiefer in den Sumpf von Gewalt, Korruption, Drogen und Hoffnungslosigkeit. Im vergangenen Jahr gab es 3000
Morde in der Grenzstadt. Das sind im Durchschnitt acht Morde am Tag. Mit steigender
Tendenz. Ursache hierfür ist Straflosigkeit
und der Kampf zweier Drogenkartelle um
lukrative Grenzübergänge in die USA. Frauenorganisationen kritisieren, dass über den mexikanischen Kampf gegen den Drogenterror
die erkämpfte Aufmerksamkeit für die Frauenmorde derzeit wieder in Vergessenheit gerät.
Dabei würde die Subsumierung der Gewalt
gegen Frauen unter die gesamtgesellschaftliche Gewalt das Problem weit verfehlen.
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Zeichen der Trauer und
des Zorns: Holzkreuze
für ermordete Frauen in
Ciudad Juarez
In der Zweimillionenstadt leben über 60
Prozent MigrantInnen, die aus Zentralamerika oder dem Süden Mexikos stammen und ihr
Glück in den USA suchen müssen, weil es keinerlei Perspektiven in ihren Ländern gibt. Unter
ihnen viele junge Frauen. Sie sind die perfekten
Arbeitskräfte für die zahlreichen Weltmarktfabriken, die schon fast auf US-amerikanischem
Boden stehen, aber in Mexiko für die Hälfte
der eigentlichen Herstellungskosten produzieren können. Durch vermehrte Ansiedlung
von Montagefabriken für (hoch-)technische
Geräte und die Abwanderung der klassischen
Nähfabriken in die zentralamerikanischen
Länder mit noch niedrigeren Löhnen ist die
Feminisierung der Arbeit im Norden Mexikos
zurückgegangen. Vermehrt werden seit Ende
der 90-er Jahre auch wieder Männer eingestellt. An den strukturellen Problemen in den
Weltmarkfabriken hat sich trotz dieser Verschiebung nichts geändert. Gewerkschaften
sind selten, die Löhne reichen nicht zum Überleben. In der Regel endet das Arbeitsverhältnis der Frauen in den Fabriken mit 35 Jahren.
Manchmal auch früher. Aufgrund eines nicht
natürlichen Todes.
An das erinnern, was noch fehlt
Sandra Ramos,
Movimiento de
Mujeres Maria
Elena Cuadra
(MEC), Nicaragua
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Den Internationalen Tag der Frau zu begehen, bedeutet, unsere
Stimme zu erheben und die Welt daran zu erinnern, was fehlt, um
Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen zu erreichen. Außerdem
müssen wir Frauen uns selbst in Erinnerung rufen, dass immer noch einiges zu
tun ist, und warum wir kämpfen.
Das Movimiento de Mujeres Maria Elena Cuadra (MEC), eine Bewegung
arbeitender und arbeitsloser Frauen, bestärkt an diesem Tag seine Verpflichtung, für die Rechte der Frauen und gegen Diskriminierung zu kämpfen, gegen
Ausbeutung und sexuelle Unterdrückung, gegen wirtschaftliche, physische
und psychische Gewalt. Wir kämpfen für die Abschaffung des sexistischen,
rassistischen und in Klassen teilenden Patriarchats und mahnen, dass dieser
Kampf von allen Frauen und Männern geteilt werden muss.
Thema
Gewalt gegen Frauen
Foto: Christliche Initiative Romero, Nuestra hijas de regreso a casa, griterio-Autonomo de Resistencia, El Silencio
Seit Anfang der 90-er Jahre sind Schätzungen zufolge zwischen 400 und 1000 Frauen
in Ciudad Juarez umgebracht worden. Der mexikanische Staat geht dabei bewusst und aufgrund von Verstrickungen der Politik und der
Sicherheitskräfte mit den Drogenkartellen so
schlampig mit der Aufklärung um, dass er im
vergangenen Jahr in dem verschleppten Fall
dreier ermordeter Frauen vor der Organisation
Amerikanischer Staaten verurteilt wurde.
Statistik des Schreckens
In einem Artikel in der Tageszeitung Jungle
World legt die Journalistin Kathrin Zeiske dar,
wie die mexikanische Regierung Ermittlungen
in Fällen von Feminizid nicht nur schleifen
ließ, sondern bewusst sabotierte. „Der Drogenhandel hat die Institutionen korrumpiert
und ist verknüpft mit Frauenhandelsringen. Er
bietet der politischen Klasse jegliche illegale
Vergnügungen, die sie sich wünscht. Statistik
des Schreckens. Dieses Gefüge von Macht und
Geld verhindert häufig die Aufklärung der Verbrechen“, zitiert sie Mariana Berlanga, eine
Journalistin aus Mexiko.
Dabei machen nicht nur die Verstrickungen
von Sicherheitskräften und Mafia deutlich,
dass der Ruf nach einer erhöhten Präsenz von
Polizei und Militär die Situation nur noch verschlimmert. Sowohl infolge des Putsches in
Honduras als auch in den militarisierten Gebieten in Mexiko kommt es zu einer dramatischen Erhöhung von Gewalt an Frauen und
Frauenmorden. Daraus lässt sich schließen,
dass eine Militarisierung der Gesellschaft in
den meisten Fällen zur Reproduktion der Gewalt gegen Frauen führt und Straflosigkeit
garantiert.
Opfer nicht vergessen
Frauenrechtsorganisationen dürfen sich deshalb nicht von dem Ruf nach Militär zur Verhinderung und Aufklärung von Frauenmorden
im Rahmen des Kampfes gegen den Drogen-
terror einlullen lassen. Frauenmorde sind niemals nur Folge einer gesamtgesellschaftlich
ansteigenden Gewalt. Sie haben immer eine
geschlechtspezifische Dimension in Verbindung mit anderen Herrschaftsstrukturen wie
Herkunft und Ethnizität. In Nordmexiko wird
nicht irgendeine Frau umgebracht. Es sind meistens arme, junge, indigene oder zentralamerikanische Frauen, die in den Norden migriert
sind und dort in prekären Arbeitsverhältnissen
schuften. Diese Frauen dürfen über den Kampf
gegen die Drogen nicht vergessen werden.
Für Arbeits- und
Menschenrechte
D
as Unabhängige Monitoring-Team
Honduras (EMIH) ist ein wichtiger
Partner der Christlichen Initiative Romero
in Mittelamerika. Zentrales Tätigkeitsfeld
von EMIH sind die unabhängige Überprüfung (Monitoring) von Arbeitsrechten
und von Verhaltenskodizes multinationaler Konzerne sowie Untersuchungen
zu Arbeitsbedingungen im Exportsektor.
Darüber hinaus hat sich EMIH von Anfang
an am Widerstand gegen den Staatsstreich in Honduras beteiligt.
Die unabhängige Überprüfung von
Arbeitsbedingungen durch EMIH stellt
eine Alternative zu den üblichen Monitoring-Verfahren durch von den Unternehmen bezahlte Audit-Firmen dar. Das Engagement von EMIH für demokratische
Strukturen in Honduras bleibt weiterhin
wichtig.
Wenn auch Sie die wertvolle
Arbeit von EMIH unterstützen
wollen, bitten wir um Ihre Spende.
Stichwort »EMIH«
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