Die Werkanalyse herunterladen - Orchestre Philharmonique de

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Die Werkanalyse herunterladen - Orchestre Philharmonique de
Donnerstag, 7. Januar 2016 – 20 Uhr
Samstag, 9. Januar 2016 – 20 Uhr
Straßburg, PMC Salle Érasme
Carlos Miguel Prieto Leitung
James Ehnes Violine
Ana Gabriella Schwedhelm Sopran
Leonard Bernstein (1918-1990)
Divertimento für Orchester
Sir William Walton (1902-1983)
Konzert für Violine und Orchester g-Moll
Andante tranquillo
Presto capriccioso alla Napolitana
Vivace
►
Manuel de Falla (1876 - 1946)
El sombrero de tres picos (Der Dreispitz), Ballett
Introducción und La tarde
Danza de la molinera
Danza del corregidor und Finale
Danza de los vecinos
Danza del molinero
Danza final
15’
31’
32’
Bernstein, Walton und de Falla sind drei große Komponisten des 20. Jahrhunderts,
die in ihren komplexen und virtuosen Werken die musikalischen Traditionen ihrer
jeweiligen Heimat verarbeitet haben. Drei „farbenprächtige“ Kompositionen mit
verblüffendem Erfindungsreichtum stehen heute Abend auf dem Programm.
Leonard Bernstein (1918-1990)
Divertimento für Orchester
Das 1980 komponierte Divertimento entstand anlässlich des hundertjährigen
Bestehens des 1881 von Henry Lee Higginson gegründeten Boston Symphony
Orchestra. Das Orchester kann auf eine stolze Geschichte mit großen Namen an
seiner Spitze zurückblicken: Arthur Nikisch, Henri Rabaud, Pierre Monteux, Serge
Koussevitzky, Charles Münch, Erich Leinsdorf, William Steinberg, Seiji Ozawa,
Bernard Haitink, Michael Tilson Thomas, Sir Colin Davis und James Levine bis zu
seinem gegenwärtigen musikalischen Leiter Andris Nelsons.
Nach Kriegsende nahm Leonard Bernstein im Rahmen seiner Ausbildung an den
Sommerakademien des Orchesters, der berühmten Tanglewood Academy, teil und
wurde so zum Schützling von Serge Koussevitzky, bei dem er Unterricht in
Orchesterleitung erhielt.
Das Divertimento basiert auf zwei Noten, h (bzw. englisch „B“) und c, die für „Boston
Centenary“ stehen, und ständig variiert werden. Die Komposition zerfällt in acht
kurze Abschnitte, die ebenso viele eigene Divertimenti bilden. Im Wechsel zwischen
brillanten und ruhigen Passagen kommen sämtliche Farben des Orchesters zur
Geltung. Dahinter verbergen sich zahlreiche Anspielungen an englische
Musiktraditionen, aber auch an Wagner, Richard Strauss und Bernsteins eigene
berühmte West Side Story aus den fünfziger Jahren. Des Weiteren ertönen ein
Walzer im 7/8 Takt, ein Blues, eine Mazurka für Holzbläser und Harfe, die
zwölftonigen Sphinxes sowie beliebte amerikanische Tänze aus den Jahren um
1900. Das Finale nimmt einen berühmten Marsch von Sousa zum Gesang von „The
BSO Forever“ wieder auf.
Die Uraufführung dirigierte Seiji Ozawa am 25. September 1980.
Sir William Walton (1902-1983)
Konzert für Violine und Orchester g-Moll
Benjamin Britten stellte fast alle anderen englischen Komponisten des
20. Jahrhunderts in den Schatten, so dass neben ihm nur Edward Elgar, Ralph
Vaughan Williams und William Walton Bekanntheit erlangten.
William Walton war Schüler von Ferruccio Busoni und Ernest Ansermet. Er stand in
der romantischen Tradition des vorangegangenen Jahrhunderts und öffnete sich
gleichzeitig der schöpferischen Originalität des 20. Jahrhunderts, wodurch sein Werk
außerordentlich umfassend und vielfältig wurde. Er verfolgte aufmerksam die
ästhetischen Entwicklungen seiner Zeit und sorgte mit seinem Werk Façade, dessen
beißende Ironie von Satie oder der Groupe des Six hätte stammen können, für einen
echten Skandal, blieb aber stets seiner perfektionistischen Kompositionsweise treu.
Seine drei Streichkonzerte für Bratsche (1928), Violine (1939) und Cello (1956)
illustrieren ebenso wie alle anderen Kompositionen seine Entschlossenheit zu einer
gleichzeitig reichhaltigen und klaren Komposition. Die Tatsache, dass Walton in
seinen Kompositionen sämtliche ästhetischen Modelle von Sibelius und Roussel in
der Ersten Sinfonie bis zu neoklassizistischen Momenten im Stil von Strawinsky im
späten Cellokonzert aufgreift, macht sein Werk besonders spannend.
Das Konzert für Violine g-Moll mit seinen drei Sätzen war ein Auftragswerk für
Jascha Heifetz aus dem Jahr 1938. Nachdem er lange mit einer Zusage gezögert
hatte, machte sich Walton schließlich an die Arbeit. Sein Zögern war durch seine
Zweifel bedingt, den Künstler zufriedenstellen zu können, schließlich galt dieser
schon damals als einer der größten Violinisten seiner Zeit. Walton gestand seiner
Frau, dass er sämtliche Aspekte der Instrumentaltechnik in dieses Werk integriert
habe. So konnte er sich im Mai 1939 ruhigen Gewissens nach New York einschiffen,
um Heifetz zu treffen.
Die beiden ersten Sätze waren bereits abgeschlossen, der dritte entstand in den
Vereinigten Staaten. Heifetz regte einige kleine Änderungen an, insbesondere in der
Kadenz des ersten Satzes, den er als zu „leicht“ ansah. Der Komponist gestaltete ihn
daraufhin „jazziger“, mit komplexeren Rhythmen. Die Uraufführung des Konzerts
fand am 7. Dezember 1939 in Cleveland unter der Leitung von Artur Rodziński statt.
Da inzwischen der Krieg ausgebrochen war, konnte der Komponist leider nicht
anreisen und selbst dirigieren.
Das Werk setzt mit einem Andante tranquillo mit tiefromantischem Thema und voller
harmonischer Schönheit ein. Nach und nach kommt die Technik des Solisten immer
beeindruckender zum Vorschein und schafft wunderbar lyrische Momente. Man
denkt unweigerlich an Prokofjews Erstes Violinkonzert, das Walton als Vorbild diente.
Der zweite Satz, Presto capriccioso alla Napolitana, ist eine Hommage an Italien, ein
Land, das der Komponist sehr gut kannte. In der Intensität des Rhythmus, einem
raffinierten Spiel mit Walzer und Tarantella, mit abrupten Kontrastwechseln und
vielfältigen Tanzbewegungen, entfaltet der Solist seine ganze Virtuosität.
Das Finale, vivace, ist von episch-lyrischer Kraft durchdrungen. Die Bläser eröffnen
subtile Dialoge mit dem Solisten, der erneut das Hauptthema des ersten Satzes
erklingen lässt.
Nach der Erstaufführung in Amerika wollte William Walton das Orchestermaterial
mitnehmen, es sollte jedoch England niemals erreichen, da das Schiff unterwegs
sank. Die Atlantikschlacht war in vollem Gange. Der Komponist selbst dirigierte sein
Konzert im November 1941 in seiner englischen Heimat, Henry Holst spielte den
Solopart. 1943 überarbeitete Walton die Komposition und vereinfachte den
Orchesterpart vor der Veröffentlichung.
Manuel de Falla (1876 - 1946)
El sombrero de tres picos (Der Dreispitz), Ballett
Manuel de Falla (mit vollständigem Namen Manuel Maria de Falla y Matheu) war mit
Debussy, Dukas, Albéniz, Strawinsky und Ravel befreundet und lernte während
seines Parisaufenthalts, der mit sieben Jahren etwas länger dauerte als die geplante
Woche, auch Sergei Djagilew, den Gründer der Ballets Russes, kennen. Im
Gegensatz zu Enrique Granados, dessen Inspiration vom Vergnügen an Klangfarben
und Klangspielen beherrscht war, orientierte sich Falla an seinen Vorgängern
(Albéniz und Granados) und warf zugleich einen Blick Richtung Claude Debussy
(1862-1918) auf der anderen Seite der Pyrenäen. So verschmelzen bei ihm die
folkloristischen Reminiszenzen mit dem Impressionismus des neuen Jahrhunderts.
Nach seinem 1915 abgeschlossenen Meisterwerk El Amor Brujo, einem Ballett, das
Zigeunerleben und andalusische Musiktradition vermischt, den Nächten in
spanischen Gärten aus demselben Jahr und der Fantasía bética von 1915 hielt auch
die spanische Musik Einzug im Ästhetikkatalog des 20. Jahrhunderts. Einige Jahre
später veränderte sich Fallas Kompositionsweise auf dem Pfad der spanischen
Mystiker. Er vereint auf einzigartige Weise einen streng erscheinenden Stil mit einer
unwiderstehlichen Empfindsamkeit, in der die Postromantik hörbare Spuren
hinterlassen hat.
Falla war von der Vielfalt der in Paris ab dem beginnenden 20. Jahrhundert
gegebenen Ballettaufführungen beeindruckt, ganz besonders von Sergei Djagilews
Balletts Russes, so dass er sein Mimodrama (El Corregidor y la molinera) in eine
Choreographie zu andalusischen Motiven verwandelte. Djagilews (1872–1929)
Ballets Russes gaben am 22. Juli 1919 unter der Leitung von Ernest Ansermet
(1883-1969) die Uraufführung Des Dreispitz in der Londoner Alhambra. In den
Hauptrollen brillierten der Tänzer und Choreograph Léonide Massine sowie Leon
Wojcikowski und Tamara Karsawina. Bühnenbild und Kostüme schuf kein geringerer
als Pablo Picasso.
Grundlage für die Farce bildet die Erzählung von Pedro de Alarcón (1833-1891), die
von den Abenteuern eines alten Amtmanns handelt, der sich in eine Müllerin verliebt.
Im Mittelpunkt steht das Thema Machtmissbrauch, doch der Amtmann wird von der
Müllerin und ihrem Mann schließlich der Lächerlichkeit preisgegeben. Falla schrieb
dazu zwei sinfonische Suiten, die acht Nummern des Originalwerks entsprechen.
Ein Bläserensemble (für das Ballett bleibt der Vorhang so lange geschlossen) spielt
die Introducción, danach führt eine Mezzosopranistin in die Handlung ein: eine
Hochzeit in einem kleinen andalusischen Dorf. Sie wird von Händeklatschen,
Kastagnetten und Olé-Rufen begleitet.
Am Nachmittag, La tarde, hebt sich der Vorhang. Der Müller und seine Frau, tanzen
verliebt. Dann erscheint der Amtmann mit seinem Gefolge und verliebt sich
seinerseits in die Müllerin.
Sie vollführt einen Fandango, die Danza de la molinera. Die Schritte sind auf dem
Boden markiert und die schöne Müllerin gibt zunächst vor, den Amtmann nicht zu
sehen, den sie mit Trauben (Las uvas) reizt. Müller und Müllerin machen sich über
ihn lustig, er verschwindet unter Ausstoß von Drohungen.
Der Tanz der Nachbarn, Danza de los vecinos (Seguidilla), spielt am Vorabend des
Johannistags. Man feiert mit den Nachbarn und tanzt die Seguidilla, für die sich Falla
von einer Zigeunerweise aus Granada inspirieren ließ.
Die Danza del molinero ist eine Farruca und wird von der Ankunft der Polizisten
unterbrochen, die den Müller abholen. Nunmehr alleine, wird die Müllerin in der
Danza del Corregidor erneut vom Amtmann belästigt. Er fällt ins Wasser, sie bedroht
ihn mit einem Gewehr und flieht. Der Amtmann trocknet seine Kleider, zieht sich
wieder an und legt sich in das Bett des Müllers. Diesem ist die Flucht gelungen, er
glaubt nun, seine Frau habe ihn betrogen, während die zurückgekehrten Polizisten
den Amtmann für den entflohenen Müller halten. In der Verwirrung wird dem Müller
und seiner Frau das Missverständnis klar. Alles endet mit der Jota, der Danza final.
Das Ballett verbindet Klassizismus, Modernismus und typisch Spanisches sowohl in
der Musik als auch in Bühnenbild und Choreographie und erfordert auf allen Ebenen
echtes Teamwork. Zahlreiche Passagen gelten inzwischen als klassische
Bestandteile des Repertoires, unter anderem die abschließende Jota, ein wahres
Bravurstück.
Diskografische Empfehlungen
Bernstein, Divertimento
Israel Philharmonic Orchestra, Leitung: Leonard Bernstein [Deutsche Grammophon]
City of Birmingham Symphony Orchestra, Leitung: Paavo Järvi [Emi Classics]
BBC Symphony Orchestra, Leitung: Leonard Slatkin [Chandos Records]
Walton, Konzert für Violine und Orchester
• James Ehnes (Violine), Vancouver Symphony Orchestra, Leitung: Bramwell
Towey [Onyx]
• Berl Senofsky (Violine), New Zealand Symphony Orchestra, Leitung: Sir William
Walton [Bridge]
• Jascha Heifetz (Violine), Philharmonia Orchestra, Leitung: Sir William Walton [RCA
Red Seal].
Falla, Der Dreispitz
• New York Philharmonic Orchestra, Leitung: Leonard Bernstein [Sony Classical]
• New York Philharmonic Orchestra, Leitung: Pierre Boulez [Sony Classical]
• Philharmonia Orchestra, Leitung: Rafaël Frühbeck de Burgos [Emi Classics]