medienwelten die erste - Katholische Landesarbeitsgemeinschaft

Transcrição

medienwelten die erste - Katholische Landesarbeitsgemeinschaft
Nr. 3/2009 H 9851
THEMA
JUGEND
MEDIENWELTEN
DIE ERSTE
MEIN VIRTUELLES
LEBEN 2.0
GEWALT UND
CYBER-MOBBING
COMPUTERSPIELE
UND ONLINESUCHT
ZEITSCHRIFT FÜR JUGENDSCHUTZ UND ERZIEHUNG
www.thema-jugend.de
Als „digital natives“ (digitale Eingeborene) werden mittlerweile die Kinder und
Jugendlichen bezeichnet, die als erste Generation von klein auf mit den neuen
Medien aufgewachsen sind. Ihr Mediennutzungsverhalten wird in diesem
Überblicksartikel, der zugleich die Grundlage für die folgenden Beiträge bildet,
genauer unter die Lupe genommen. Zudem werden Konsequenzen aus der
veränderten Nutzung von Computerspielen, Internet, Handys u.ä. für die
Vermittlung von Medienkompetenz deutlich gemacht.
3/2009
Unser Thema:
Mein virtuelles Leben 2.0
2
Gewalt und Cyber-Mobbing
5
PC-Spiele – Ursache des Übels?
9
MEIN VIRTUELLES
LEBEN 2.0
Computerspiele und Onlinesucht 11
Verherrlichung von Essstörungen
im Internet
13
Mediennutzung im Alltag von Kindern und
Heranwachsenden
Meike Isenberg
Material zum Thema:
Übersicht über Bücher,
Zeitschriften und ein Filmtipp
16
FLIMMO für Fachkräfte
17
Neue Medien
als Herausforderung für Eltern
18
Clash of Realities
Computerspiele
und soziale Wirklichkeit
18
Informationen zum Thema:
12 goldene
Suchmaschinen-Regeln
19
Selbstdarstellung Jugendlicher
19
Bücher:
So in etwa könnte der Nachmittag eines
15-Jährigen aussehen, dessen Beschreibung sich für viele Erwachsene wie eine
Aneinanderreihung von Hieroglyphen liest.
Kinder und Jugendliche nutzen Medien
und deren Inhalte meist völlig selbstverständlich. TV, Computer, Handy & Co.
stellen einen festen Bestandteil in ihrem
Alltag dar. Doch welche Medien nutzen
Kinder und Jugendliche besonders gerne
und intensiv? Welche Medieninhalte sind
besonders beliebt?
Wie nutzen Kinder und
Heranwachsende Medien?
Jugend – Migration –
Sozialisation – Bildung
20
101 Projektideen
gegen Rechtsextremismus
20
Von der Delegation zur Kooperation
Bildung in Familie, Schule, Kinderund Jugendhilfe
21
Dialogbereit:
Mit Pegah Ferydoni
im Gespräch
24
„Mein Islambuch“
25
Interkulturelle Woche
26
2 THEMA
JUGEND
Mit den WoW-Gildenmates den
nächsten Raid planen. Nebenbei mit
einem Klassenkameraden via ICQ gemeinsam Hausaufgaben lösen. Kurz die neuen
Mails bei wkw checken und die Fotos der
letzten Party kommentieren. Dann noch
schnell ein neues Musikvideo auf den iPod
und die neueste Folge der Lieblingssoap
aufs Handy ziehen und ab zum Kumpel,
um gemeinsam auf der PS3 eine Blue Ray
anzuschauen.
Verschiedene Untersuchungen zum Mediennutzungsverhalten von Heranwachsenden beschäftigen sich mit diesen
Fragen. Antworten geben insbesondere die
beiden repräsentativen Langzeituntersuchungen des Medienpädagogischen
Forschungsverbundes Südwest (mpfs) –
die KIM- und JIM-Studien. Die KIM-Studie
untersucht die Mediennutzung von 6- bis
13-Jährigen, während sich die JIM-Studie
mit dem Medienumgang von 12- bis 19Jährigen befasst. Darüber hinaus gibt es
insbesondere zur Computer- und Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen
vertiefende Einzelstudien, wie beispielsweise die von der Landesanstalt für Medien
NRW (LfM) beauftragte Studie „Heranwachsen im Social Web“, die das HansBredow-Institut durchgeführt hat.
Kinder favorisieren TV
Die „KIM-Studie 2008. Kinder und Medien,
Computer und Internet“, im Rahmen derer
1.200 Kinder und deren Haupterzieher zu
ihrem Mediennutzungsverhalten befragt
worden sind, zeigt, dass für Kinder das
Fernsehen nach wie vor das Leitmedium
ist. Kinder schauen durchschnittlich eineinhalb Stunden täglich fern und bevorzugen den Sender KI.KA, gefolgt von Super
RTL, RTL, RTL 2 und Pro Sieben. Besonders gerne schauen Kinder die Sendungen
SpongeBob Schwammkopf, Gute Zeiten –
Schlechte Zeiten und Die Simpsons.
Beachtenswert ist, dass 42 % der befragten Erziehungsberechtigten angeben, dass
ihre Kinder ein eigenes Fernsehgerät im
Kinderzimmer haben.
Neben dem Fernseher spielt der Computer
eine zunehmende Rolle im Alltag von
Kindern. Die durchschnittliche Nutzungszeit beträgt 40 Minuten. Hier zeigt sich
jedoch eine starke Altersdifferenz: Während bei den jüngeren Kindern die Computernutzung seltener zum Alltag gehört,
macht bei den 12- bis 13-Jährigen die
Nutzung bereits 95 % aus. Knapp ein
Drittel der Kinder nutzt fast täglich den
Computer, etwa die Hälfte ein- oder mehrmals pro Woche. Kinder nutzen den
Computer vornehmlich zum Spielen,
gefolgt vom Surfen im Internet und von
Arbeiten für die Schule oder der Beschäftigung mit Lernprogrammen. Die
Relevanz von Computerspielen nimmt bei
Kindern ebenfalls mit dem Alter zu.
Während bei den jüngeren Zielgruppen
knapp die Hälfte (41 %) zu den Spielern
zählen, sind dies bei den 12- bis 13Jährigen schon fast 86 %, die zumindest
selten spielen. Es ist eine Tendenz festzustellen, dass sowohl die Anzahl der Spieler
als auch die Nutzungsintensität zunehmen.
Gespielt wird nicht nur am Computer, sondern auch an mobilen Konsolen, wie
Nintendo DS, Playstation, XBox oder Wii.
Zu den beliebtesten Spielen zählen Super
Mario, Die Sims und das Fußballspiel FIFA.
Insgesamt zeigt sich, dass Jungen häufiger
und länger als Mädchen spielen. Jungen
bevorzugen sehr viel häufiger als Mädchen
Sport-, Adventure- und Actionspiele, wohingegen Mädchen sich eher für Strategie-, Fun- bzw. Gesellschafts- und Lernspiele begeistern.
Darüber hinaus hat der Computer für
Kinder mit Blick auf die Internetnutzung
eine Bedeutung. Hier zeigt die KIM-Studie
2008: Fast 60 % der Kinder nutzen das
Internet zumindest selten. Wie schon bei
der Computer(spiel-)nutzung zeigt sich
auch hier eine Nutzungsintensivierung mit
zunehmendem Alter: Während bei den 6bis 7-Jährigen ca. 20 % Erfahrungen mit
der Internetnutzung haben, sind es bei den
der 12- bis 13-Jährigen schon 86 %. Fast
die Hälfte aller befragten Kinder hat eine
Lieblingsseite im Internet. Genannt wurden
das Internetangebot des Kinderkanals
KI.KA (www.kika.de), das Filmportal Youtube, das Internetangebot des Fernsehsenders Super RTL (www.toggo.de) sowie
die Online-Community SchülerVZ.
Bei Jugendlichen angesagt –
Computer & TV
Während bei Kindern der Fernseher ganz
klar das Medium Nummer Eins ist, teilen
sich TV und Computer bei Jugendlichen
Platz Eins in der Beliebtheits- und Nutzungsskala. Zu diesem Ergebnis kommt
die repräsentative „JIM-Studie 2008.
Jugend, Information, (Multi-)Media“, im
Rahmen derer 1.200 12- bis 19-Jährige
zu ihrem Medienverhalten befragt wurden.
89 % der Befragten nutzen täglich oder
mehrmals wöchentlich das Fernsehgerät
und den Computer. 61 % der 12- bis 19Jährigen besitzen ein eigenes Fernsehgerät. Die durchschnittliche Nutzungsdauer beträgt gut zwei Stunden täglich.
Besonders beliebt sind bei Jugendlichen
Fernsehprogramme der privaten Sender,
wie Pro Sieben, gefolgt von RTL, MTV, VIVA
und RTL 2.
Dem Computer kommt ein vergleichbarer
Stellenwert zu. Fast alle Jugendlichen
(97 %) nutzen den Computer mindestens
einmal im Monat. Bei der Offline-Nutzung
steht das Arbeiten für die Schule an erster
Stelle, gefolgt von Computerspiele spielen,
Texte schreiben, Musik-CDs zusammenstellen, Bild-/Fotobearbeitung und DVDs
anschauen. Geschlechtsspezifische Abweichungen in der generellen Nutzung
oder Differenzen in den unterschiedlichen
Altersgruppen oder dem Bildungshintergrund sind ohne weitere Bedeutung.
Ein anderes Bild ergibt sich bei der Nutzung von Computerspielen. 60 % der Jungen besitzen eine Spielkonsole für Computer und Fernsehgerät, bei den Mädchen
sind es hingegen nur 29 %. Die Hälfte der
Mädchen gehört zu den Nicht-Nutzern von
Computerspielen. Geschlechtspezifische
Unterschiede zeigen sich auch mit Blick auf
die Spielinhalte. Mädchen mögen Spiele
wie Die Sims, Solitär und SingStar, Jungen
präferieren Spiele wie das Fußballspiel
FIFA, das Autorennspiel Need for Speed,
das Actionspiel Grand Theft Auto, den
Taktik-Shooter Counterstrike und das
Online-Rollenspiel World of Warcraft.
Ein vergleichbares Bild ergibt sich für die
Internetnutzung. 97 % der Jugendlichen
nutzen das Internet mindestens selten.
Auch hier zeigen sich keine bedeutsamen
Unterschiede zwischen den Altersgruppen,
dem Geschlecht und dem Bildungshintergrund. Fast alle Jugendlichen (96 %)
verfügen zuhause über einen Internetzugang, die Hälfte davon sogar im eigenen
Zimmer. Die Nutzungsdauer beträgt pro
Tag durchschnittlich zwei Stunden. Jugendliche nutzen im Internet regelmäßig
insbesondere Suchmaschinen, Instant
Messaging, Online-Communities, E-Mails
und Chats. Hier zeigt sich deutlich, dass
Kommunikation im Mittelpunkt der OnlineAktivitäten von Jugendlichen steht.
Besonders beliebt – Web 2.0
Jugendliche nutzen besonders intensiv
Online-Communities. Zu diesem Ergebnis
kommt die JIM-Studie, die im Jahr 2008
einen Untersuchungsschwerpunkt auf die
Nutzung solcher Web 2.0-Anwendungen
und dem damit verbundenen Umgang mit
persönlichen Daten gelegt hat. Aufgrund
der zunehmenden Relevanz solcher
Angebote untersucht die aktuelle LfMStudie „Heranwachsen mit dem Social
Web. Zur Rolle von Web 2.0 –Angeboten
im Alltag von Jugendlichen und jungen
Erwachsenen“ im Rahmen einer Repräsentativbefragung vertiefend den Umgang
von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 12 bis 24 Jahren mit
dem sogenannten Social Web.
Zu den beliebtesten und am häufigsten
genutzten Angeboten zählen Netzwerkplattformen wie SchülerVZ, StudiVZ und
MySpace, die Videoplattform YouTube,
Instant-Messaging-Dienst, wie ICQ oder
MSN sowie die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Netzwerkplattformen nehmen eine
Schlüsselposition in der Internetnutzung
von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein, da sie in besonderem Maße auf
die Kommunikationswünsche und den jugendlichen Bedarf an sozialer Vernetzung
zugeschnitten sind. Wie die Untersuchung
zeigt, erreicht die Nutzung von Netzwerkplattformen ihren Höhepunkt im Alter
von 16 Jahren.
Wie diese als auch die JIM-Studie 2008
zeigen, gehen Jugendliche oftmals sehr
unbedarft mit persönlichen Angaben im
Internet und insbesondere in Web 2.0Anwendungen um. Die Mehrzahl der Internetnutzer, so die JIM-Studie, veröffentlicht online Informationen zu ihren Vorlieben
oder Hobbies, stellt Bild- oder Fotomaterial, die eigene E-Mail-Adresse oder
Liebe Leserinnen und Leser!
Wenn auch Vergleiche oft hinken, so können sie dennoch für die Auseinandersetzung hilfreich sein, so Kardinal Lehmann
(Mainz) in einem Fachaufsatz zum Thema
„Medienkompetenz und Verantwortung“.
Folgenden Vergleich bietet er seiner Leserschaft an: „Der Jugendmedienschutz und
die Vermittlung von Medienkompetenz verhalten sich auf den ersten Blick in gewissem Sinn zueinander wie die Straßenverkehrsordnung und der Führerschein.“
Gesetze geben die Regeln vor, um deren
Beachtung und Einhaltung es geht. Der
Führerschein ist der Nachweis dafür, dass
die Fähigkeit erlernt wurde, sich in bestimmten Rahmenbedingungen frei und
verantwortlich zu bewegen.
So ist es auch – wie Kardinal Lehmann es
sieht – mit dem gesetzlichen Jugendmedienschutz und der Vermittlung von
Medienkompetenz.
In dieser (und der nächsten) Ausgabe
von THEMA JUGEND geht es um die
Mediennutzung im Alltag von Kindern
und Jugendlichen, um bestehende
Gefährdungen und um den verantwortlichen Umgang mit neuen Medien
(siehe Führerschein).
Uns sind bei der Planung dieser Ausgabe
so viele verschiedene Aspekte in den Blick
gekommen, dass wir uns entschlossen
haben, zwei Themenhefte zum „Tatort
Computer“ herauszugeben. Also … Fortsetzung folgt!
Ein Dank den Autorinnen und Autoren,
auch denen im Redaktionsbeirat von
THEMA JUGEND, die mitgeplant haben
und vor allem Gesa Bertels, Referentin der
Landesarbeitsgemeinschaft, die die Gesamtplanung beider Themenhefte (3/2009
und 4/2009) übernommen hatte. Und ein
Dank an Claudia Gerstenberg, die die
Redaktion kräftig unterstützt. Sie sorgt
dafür, dass die Manuskripte eine lesbare
Form erhalten.
Schließlich mein Dankeschön an alle Leserinnen und Leser unserer Zeitschrift, die
uns Rückmeldungen geben.
Herzliche Grüße aus der Redaktion
Georg Bienemann
THEMA
JUGEND
3
die Nummer ihres Instant Messengers ein.
Das Ergebnis, dass bei gut einem Drittel
der Web 2.0-Nutzer diese persönlichen
Daten ungeschützt für alle Internetnutzer
einsehbar sind und dass bei knapp zwei
Dritteln nur „Freunde“ an diese Informationen gelangen können, zeigt, dass es
Jugendlichen oftmals an Sensibilität für den
Schutz der eigenen und der anderer Daten
fehlt.
Die genannten Studien zeigen einmal mehr,
dass Heranwachsende sich häufig nicht
bewusst darüber sind, dass das Internet
ein öffentlicher, für jedermann einsehbarer
Raum ist und dass mitunter Gesetze und
Rechte (ihre eigenen und die anderer) verletzt werden. Beispielsweise können die bei
studiVZ, wer-kennt-wen oder meinVZ eingestellten Bilder, die einen selbst auf einer
feucht fröhlichen Party zeigen, mitunter
auch noch Jahre später von anderen eingesehen werden – so auch möglicherweise
vom Lehrer oder Vorgesetzten.
Der vermeintlich gleichaltrige süße Typ, den
man bei ICQ oder MSN kennengelernt hat,
kann in der Realität alles andere als gleichaltrig und „süß“ sein und möglicherweise
mit unlauteren Absichten eine falsche
Identität vorgegeben haben. Auch das
nach eigenem Befinden lustige Video vom
Nachbarn, der seinen neuen Sportwagen
rückwärts gegen die Litfaßsäule gesetzt
hat, und das nun von jedermann bei
YouTube abrufbar ist, verletzt, da keine
Einwilligung der dargestellten Person vorliegt, Persönlichkeitsrechte.
All die Beispiele zeigen – Heranwachsende
brauchen eine altersgerechte Begleitung
ihrer Mediennutzung. Gefragt sind hier die
Erwachsenen – Eltern, Pädagogen und
Personen mit Beratungsfunktion gegenüber Familien.
Medienkompetenz
kompetent vermitteln
Unbestritten verfügen Heranwachsende
oftmals über ein hohes Maß an Technikkompetenz, ihre Kompetenz zum kritisch-reflektierenden Umgang mit Medien
hingegen muss gefördert werden. Mit Blick
auf den skizzierten Stellenwert von Medien
im Alltag von Kindern und Jugendlichen
stellen sich immer wieder – sowohl in der
öffentlichen Diskussion, als auch ganz
praktisch für Eltern, Pädagogen und Personen mit Beratungsfunktion gegenüber
Familien – die Fragen: Welche Kompetenzen benötigen Kinder und Jugendliche, um
mit Medien und ihren Inhalten kompetent
und selbstbestimmt umgehen zu können?
Und: An wen kann man sich mit Fragen
wenden oder wenn man Informationen
benötigt?
Informationsangebote
kennen und nutzen
Was also können Eltern und Personen, die
mit Kindern und Jugendlichen Umgang
4 THEMA
JUGEND
haben, tun? Es mag auf den ersten Blick
vielleicht überflüssig erscheinen, darauf
überhaupt zu verweisen, wenn man auffordert: Zeig Interesse an den Medien und
Medieninhalten, die Heranwachsende nutzen! Nimm die Interessen der Heranwachsenden ernst! Such das Gespräch
und frag, was daran fasziniert! Nimm aktiv
teil und erlebe die Medieninhalte gemeinsam! Auf diese Weise wird die „jugendliche
Medienwelt“ auch für Erwachsene nachvollziehbar und es gelingt ein Gesprächseinstieg, der eine Basis dafür schaffen
kann, Jugendliche für die Risiken der
Mediennutzung zu sensibilisieren.
FLIMMO gibt Eltern von Kindern zwischen 3 und 13 Jahren Orientierungshilfen
zum aktuellen Fernsehprogramm, indem
FLIMMO Sendungen bewertet, die Kinder
gerne sehen oder mit denen sie als
Mitseher in Berührung kommen. Die Broschüre erscheint dreimal jährlich und wird
bundesweit kostenlos an Kindergärten,
Schulen, Apotheken, Beratungsstellen,
Bibliotheken und andere Einrichtungen verteilt.
Das nichtkommerzielle Informationsangebot Handysektor informiert Jugendliche
über Risiken bei der Handynutzung.
Zu den Fotos in diesem Heft
Die 72-Stunden-Aktion der Jugendverbände ist ein gutes Beispiel für „Lernen durch
Tun“. Nicht der Bildschirm wird zur bestimmenden Größe. Die Aktion mit der Gruppe
öffnet neue Erfahrungsräume und fördert ein selbstbestimmtes und ereignisvolles
Leben. Das ist Leben live (siehe auch den Kommentar auf Seite 22).
Um aber auch das eigene Wissen über einzelne Medien(-inhalte) und deren Chancen
und Gefahren zu erweitern oder auch um
Unterstützung in der Medienerziehung zu
erfahren, gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Beratungsangeboten. Beispielsweise findet man kompetente Ansprechpartner in den Jugendämtern, in den
Familienbildungseinrichtungen und den
örtlichen Medienzentren. Darüber hinaus
sind die Landesmedienanstalten der einzelnen Bundesländer, zu deren Aufgaben
die Förderung von Medienkompetenz gehört, ein zentraler Ansprechpartner für alle
Fragen rund um das Thema Medienerziehung, sowohl für Eltern als auch für
Multiplikatoren. Diese halten viele, häufig
kostenlose und nach verschiedenen Medien sowie Altersgruppen aufbereitete
Informationen und Materialien bereit, die
Eltern, Pädagogen und Pädagoginnen sowie Personen mit Beratungsfunktion gegenüber Familien in der Medienerziehung
unterstützen.
Einige beispielhafte Informations- und Beratungsangebote der Landesmedienanstalten sind das Internet-ABC, klicksafe,
FLIMMO und Handysektor.
Das Internet-ABC will Internetkompetenz
auf breiter gesellschaftlicher Ebene fördern.
Die werbefreie Plattform richtet sich an
Kinder von 5 bis 12 Jahren, Eltern und
Pädagogen und bietet zielgruppenspezifisch aufbereitetes Basiswissen sowie konkrete Hilfestellung und Informationen über
den sicheren Umgang mit dem Internet an.
klicksafe ist der deutsche Knotenpunkt im
Safer Internet Programm der Europäischen
Union und bietet umfassende Informationen zu verschiedenen Aspekten der sicheren Internetnutzung, darunter beispielsweise zum Umgang mit Urheberrechten, zum
Datenschutz im Netz sowie zum Thema
Chat, Instant Messaging, Onlinespiele und
Spielkonsolen.
Eine Übersicht der Medienkompetenz- und
Forschungsaktivitäten der Landesmedienanstalten sowie eine Übersicht der
Informations- und Beratungsangebote finden sich auf den Seiten der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten
(ALM). Projekte und Angebote zur Förderung von Medienkompetenz in NordrheinWestfalen werden im Medienkompetenzportal NRW bereitgestellt.
쏋
Literatur:
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest
(Hrsg.): JIM 2008. Jugend, Information, (Multi-)Media.
Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in
Deutschland. Stuttgart 2008 (http://www.mpfs.de/
fileadmin/JIM-pdf08/JIM-Studie 2008.pdf).
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest
(Hrsg.): KIM-Studie 2008. Kinder und Medien
Computer und Internet. Basisuntersuchung zum
Medienumgang 6- bis 13-Jähriger in Deutschland.
Stuttgart 2009 (http://www.mpfs.de/fileadmin/KIMpdf08/KIM08.pdf).
Schmidt, Jan-Hinrik/Paus-Hasebrink, Ingrid u. Hasebrink, Uwe: Heranwachsen mit dem Social Web. Zur
Rolle von Web 2.0 – Angeboten im Alltag von
Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Kurzfassung
des Endberichts für die Landesanstalt für Medien
Nordrhein-Westfalen (LfM), April 2009 (http://www.lfmnrw.de/downloads/zusammenfassung socialweb.pdf).
Im Text genannte Medienkompetenzprojekte und Informationsangebote:
FLIMMO: www.flimmo.de
Handysektor: www.handysektor.de
Internet-ABC: www.internet-abc.de
Klicksafe: www.klicksafe.de
Medienkompetenzangebote der Arbeitsgemeinschaft
der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik
Deutschland: http://www.alm.de/250.html
Medienkompetenzportal NRW:
www.medienkompetenz-nrw.de
Dr. Meike Isenberg ist Referentin für
Forschung und Medienkompetenz bei
der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) (www.lfm-nrw.
de, www.medienkompetenz-nrw.de).
Kontakt: [email protected]
Durch das Internet sehen sich Kinder und Jugendliche heute mehr denn je mit
grausamen Formen fiktionaler wie auch realer Gewalt konfrontiert. Aber was ist
wirklich neu an der Gewalt im Web 2.0? Wie wirken diese Gewaltdarstellungen
auf Kinder und Jugendliche? Welche Empfehlungen leiten sich daraus für den
Jugendmedienschutz ab? Antworten auf diese und andere Fragen bietet die
aktuelle Studie „Gewalt im Web 2.0“.
GEWALT UND CYBERMOBBING IM WEB 2.0
Schattenseiten der Vernetzung
Petra Grimm
„Ja wie gesagt, schon das Militärvideo, also das von YouTube, das ist
das erste, an was ich mich sofort erinnere
mit Gewalt, (…) also weil das eben so brutal ist.“ (Marlon)
Das Zitat des 17-jährigen Marlon, der sich
an ein Tötungsvideo auf dem Videoportal
YouTube erinnert, zeigt exemplarisch, dass
extreme reale Gewaltdarstellungen bei
Jugendlichen einen nachhaltigen Eindruck
hinterlassen können. Vor dem Hintergrund,
dass das Web 2.0 mittlerweile ein integraler Bestandteil der jugendlichen Alltagswelt
ist, verwundert es nicht, dass Jugendliche
ungewollt oder gewollt auch mit den
Schattenseiten des Web 2.0 – u.a. gewalthaltigen Videos und Cyber-Mobbing – konfrontiert werden. Vor allem Jugendliche und
junge Erwachsene sind im Web 2.0 vertreten: Jugendliche kommunizieren über
Instant-Messenger, suchen Informationen
im Netz, sehen sich bei YouTube Videos an,
spielen in Online-Games und veröffentlichen in Social Communities ihre privaten
Interessen und Vorlieben.
Das heißt, es gibt für Jugendliche kaum
mehr einen Raum, in dem sie sich medienunabhängig bewegen können. Wie keine
Generation zuvor müssen sie im Umgang
mit den Medien kompetent handeln.
Welche Herausforderungen sich ihnen
dabei stellen, wird im Folgenden anhand
der Befunde der „Gewalt im Web 2.0“Studie (2008) erläutert. Diese Studie entstand im Auftrag von sechs Landesmedienanstalten (NLM, BLM, LMK,
MAHSH, MSA, TLM) und umfasst eine
quantitative Untersuchung (n = 804) von
Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 19 Jahren, eine qualitative
Befragung internet-vertrauter Jugendlicher
sowie eine rechtliche Einordnung der
Gewaltproblematik.
Was ist neu am Phänomen
Gewalt im Web 2.0?
Im Zuge der Entwicklung des Internets zum
Web 2.0 hat sich auch das Phänomen
der medialen Gewalt verändert: Nicht
Landjugendliche und Messdiener aus Ascheberg-Herbern verschönerten das
Gelände des Hildegardis-Kindergartens und bauten dort unter anderem ein
Gartenhaus.
Foto: Lena Stratmann
mehr allein die Rezeption von gewalthaltigen Inhalten, sondern auch deren Produktion, Bearbeitung, Verbreitung im Internet (Verlinkung und Verschlagwortung)
sowie deren ständige Verfügbarkeit auf
dem Handy sind für die aktuelle Gewaltproblematik signifikant. Das Zusammenspiel von Handy und Internet im Kontext
von gewalthaltigen Inhalten kann als „violente Konvergenz“ (Grimm/Rhein 2007)
bezeichnet werden. Des Weiteren kann die
Grenze zwischen „Mediengewalt“ und
„realer“ Gewalt fließend sein, da aggressive
Kommunikationsbotschaften – wie z.B.
Cyberthreats – via Internet auch in den
privaten Raum Einlass finden und ggf.
reale Gewalt zur Folge haben, wenn
Jugendliche sich zu Prügeleien verabreden.
Nutzung des Web 2.0 –
Zuhause
Der Hauptort der Internetnutzung der
Jugendlichen ist das eigene Zuhause.
Gefragt nach dem Ort der häufigsten
Internetnutzung nennt fast die Hälfte der
Kinder und Jugendlichen das eigene
Zimmer. Die Kinder und Jugendlichen, die
einen eigenen Computer und Internetzugang haben, nutzen demnach den PC
auch hauptsächlich in ihrem Zimmer.
Daraus lässt sich folgern, dass der
Computer Teil ihres privaten Refugiums
ist, zu dem die Eltern nicht ohne Weiteres Zugang finden. Wenn Eltern mit ihren
Kindern über Risiken im Internet ins Gespräch kommen wollen (und dies auch sollen), ist es hilfreich, sich bewusst zu
machen, dass das Handy wie auch der
PC bei zahlreichen Jugendlichen analog
dem Tagebuch als „total privat“ gilt. Fragt
man die Jugendlichen nach möglichen
Schutzmaßnahmen, so sehen sie jedoch
die Eltern als Dreh- und Angelpunkt für
die Eindämmung der Internetgewaltnutzung in der Pflicht.
Gerade für Jüngere, die sie für besonders
schutzbedürftig halten, stellen Eltern eine
Autorität dar; auch der Einsatz von
Kindersicherungen für die Jüngeren wird
von den befragten Jugendlichen als sinnvoll eingestuft.
In diesem Kontext ist auch die mangelnde
elterliche Kontrolle zu problematisieren:
Mehr als zwei Drittel der Kinder und
Jugendlichen werden von ihren Eltern, was
die Dauer der Internetnutzung betrifft, nie
oder selten limitiert. Was den Inhalt der
genutzten Seiten betrifft, geben sogar
80 % der Kinder und Jugendlichen an,
dass ihre Eltern nie oder selten die Seiten
kontrollieren, die sie im Internet nutzen. Nur
bei rund einem Drittel der Kinder und
Jugendlichen sind einige Seiten durch
Software gesperrt. Die meisten Eltern
beaufsichtigen also den Internetkonsum
sowohl hinsichtlich der Dauer als auch der
Inhalte nie oder nur selten.
THEMA
JUGEND
5
von „Nazis“ bedroht werden) stark identifizieren können. Sie berichten in den Interviews angesichts dieser, größtenteils sehr
drastischen, Videos und Fotos glaubwürdig von starken emotionalen Reaktionen
wie Ekel, Schock und Angst, die bei ihren
Schilderungen richtiggehend noch einmal
aufleben.
In allen Gruppen äußern Jugendliche Empörung und Unverständnis über die Täter
und die gezeigte Tat, aber auch über diejenigen, die die Tat filmen und im Internet
weiterverbreiten.
Eine kritische Haltung zur Nutzung entsprechender Inhalte – und insbesondere eine
kritische Haltung zur eigenen Nutzung dieser Angebote – wird allerdings nur vereinzelt zum Ausdruck gebracht, am Pranger
stehen v. a. die Täter und die Akteure auf
Seiten der Produktion. Hier wäre ein geeigneter Ansatzpunkt für die Medienpädagogik, um mit den Jugendlichen ihr eigenes
Medienverhalten zu reflektieren und damit
ggf. gewaltpräventive Maßnahmen zu initiieren.
Einen neuen Friedhofsweg legten hier Mitglieder der Landjugend und Kolpingjugend sowie Ministranten aus dem oldenburgischen Emstek an.
Foto: Marius Meyer
Mit welcher Art von Gewalt
werden sie konfrontiert?
stellungen bekannt sind wie ogrish.com
oder rotten.com.
Immerhin ein Viertel der 12- bis 19Jährigen, die das Internet nutzen, gibt an,
schon einmal Gewalt im Netz gesehen zu
haben. Fast doppelt so viele und damit fast
die Hälfte der 12- bis 19-Jährigen hat
Freunde oder Mitschüler, denen gewalthaltige Seiten bekannt sind. Es sind also
immerhin 48 % der Kinder und Jugendlichen, in deren engerem sozialen Umfeld
Gewalt im Netz eine Rolle spielt.
Die meisten von denen, die gewalthaltige
Internetseiten kennen, sind mit fiktionaler
Gewalt, wie Bilder aus Horrorfilmen
(81,7 %), Gewalt in Spielfilmen (73,3 %)
oder nachgestellter extremer Gewalt
(66,8 %), konfrontiert worden. Vor dem
Hintergrund, dass reale bzw. realistische
Gewaltdarstellungen ein höheres Wirkungsrisiko bei Kindern und Jugendlichen
haben, ist der relativ hohe Anteil der
Befragten, die Fotos bzw. Videos mit Krieg,
Folter und/oder Hinrichtungen (42,3 %)
sowie Darstellungen von echter extremer/brutaler Gewalt (40,6 %) gesehen
haben, als problematisch einzustufen.
Wie wirkt Gewalt im Web 2.0
auf die Jugendlichen?
Dass gewalthaltige Internet-Inhalte in der
Peergroup eine Rolle spielen, lässt sich
daraus ableiten, dass sie ihre Information
über solche Seiten vor allem von Freunden
oder von der Clique beziehen. Zu finden
sind die violenten Internetinhalte auf Videooder Fotoportalen – zum Teil auf den gängigen und meistgenutzten Seiten youtube.com, myspace.de oder clipfish.de, zum
Teil auf Seiten, die für die entsprechenden
gewalthaltigen Inhalte und extremen Dar-
6 THEMA
JUGEND
Dass die Gewaltdarstellungen im Internet
eine andere Qualität und Wirkung als die
des regulierten Fernsehens aufweisen, wird
von den Jugendlichen übereinstimmend
bestätigt. So stufen sie das Gewaltprofil im
Internet im Vergleich zum Fernsehen als
drastischer ein. Als wichtiges Unterscheidungsmerkmal für die Gewalt im Internet
nennen die Jugendlichen deren höheren
Grad an Gewalthaltigkeit – in ihren Worten:
„heftiger“, „krasser“ bzw. „brutaler“. Bezogen auf das Gesamtsystem Fernsehen
wird der Anteil der Gewalt im Internet kritischer gesehen, insbesondere von den bildungsnahen Gruppen.
Als weiteres relevantes Unterscheidungskriterium wird die Unzensiertheit der Filme
genannt. Ebenso wird die Gewalt im
Internet als „echter“ eingestuft. Als Bezugspunkt für die dem Internet zugeordnete tendenzielle „Echtheit“ dienen den
Jugendlichen die von den Usern selbst ins
Internet gestellten Videos.
Unabhängig von ihrer eigenen Affinität zu
gewalthaltigen Inhalten, zeigen sich die
Jugendlichen besonders nachhaltig beeindruckt von Darstellungen extremer realer
Gewalt (z. B. Enthauptungen, Tötungen,
Selbstverstümmelungen) und extremer
realer Verletzungen sowie von Szenen, bei
denen sie sich mit dem gezeigten Opfer
(z. B. Migrant, Mädchen) oder der Situation
(z. B. einer Übermacht gegenüberstehen,
Cyber-Mobbing
ist psychische Gewalt
Die 16-jährige Melli versteht unter CyberMobbing „psychische Gewalt“: „Na ja, zum
Beispiel Videos von Leuten reinstellen, die
eigentlich privat sind, intim sind, das ist
ja in irgendeiner Form psychische Gewalt.
Und dann halt dummmachen und so
was also. Ja. Gerüchte verbreiten oder
Fototakes reinstellen von irgendwelchen
Leuten.“
Aggressivität via Internet, die von den
Kindern und Jugendlichen nach eigenen
Aussagen als „psychische Gewalt“ wahrgenommen wird, ist kein Einzelfall. So ist
der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die
laut unserer Studie im Internet schon einmal unangenehme Erfahrungen gemacht
haben, mit einem Drittel relativ hoch.
Gewalt via Internet wird von den Jugendlichen auch beschrieben als „schriftliche Gewalt“, „Gewalt in Textform“ oder
das Hineinstellen von peinlichen Bildern
von Leuten, die nichts davon wissen
und/oder auch nicht gefragt wurden, ob sie
damit einverstanden sind.
Die Grenze zwischen Schul-Mobbing und
Cyber-Mobbing ist fließend. So wird durch
das Cyber-Mobbing erst ermöglicht, dass
das Mobbing nicht mehr nur auf den
Schulbereich begrenzt bleibt, sondern zeitund raumunabhängig fortgesetzt werden
kann. Bei Cyber-Mobbing handelt es sich
um teils anonyme Formen eines aggressiven Verhaltens, die online gegenüber
anderen Nutzern ausgeübt werden – sei
es in Chatforen, via Instant Messenger oder
E-Mail sowie in Social Communities (z. B.
SCHÜLERVZ, SCHÜLERCC) oder auch in
Online-Computerspielen. Cyber-Mobbing
kann nicht nur in schriftlicher Form erfolgen, auch mittels Fotos und Videos kann
jemand erpresst, gehänselt, bloßgestellt
oder sexuell belästigt werden.
Was kommt
am häufigsten vor?
Als häufigste Form von Mobbing nannten
die männlichen Jugendlichen in unseren
Interviews Beleidigungen und Beschimpfungen (Flaming). Auch von Cyberthreats
berichteten sie, das heißt von OnlineDrohungen, bei denen Übergriffe auf sie
angekündigt werden. Bei den Mädchen
stehen hingegen sexuelle Belästigungen,
denen sie ausgesetzt sind, im Vordergrund. Zum Teil wurden sie aufgefordert,
vor der Webcam zu strippen, zum Teil
wurden ihn eindeutige Angebote gemacht.
Sowohl Mädchen als auch Jungen erzählten von sog. Impersonation-Aktionen als
eine weitere Form des Cyber-Mobbings,
d. h. bei denen jemand ein gefälschtes
Profil einsetzt, um andere zu täuschen.
Dies reicht von relativ harmlosen Streichen bis hin zu gezielten Täuschungsversuchen.
Es könnte jeden treffen
Das Risiko, Opfer von Cyber-Mobbing
zu werden, ist größer als beim „herkömmlichen“ Mobbing, da für die Täter
die Schwelle zum Mobben geringer ist,
weil sie glauben, anonym bleiben zu
können. So kann es schon genügen,
dass eine Freundschaft oder Beziehung
geplatzt ist, um ggf. ein Opfer von CyberMobbing zu werden. Ebenso ist unreflektierten Tätern möglicherweise gar
nicht die Wirkung bewusst, die sie durch
ihr mediales Handeln beim Opfer verursachen.
Kinder, die Opfer von Cyber-Mobbing
geworden sind, sollten unbedingt ihren
Eltern oder einem Erwachsenen, zu dem
sie vertrauen haben, davon erzählen. Je
nachdem, wo und wie Mobbing stattfindet,
kann man sich auch direkt wehren; z. B.
sich bei den Social Communities (wie
SCHÜLERVZ) an den Betreiber wenden
und die Attacken melden, sodass die Täter
gesperrt werden können. Handelt es sich
bei den Tätern um Schüler/innen, sollten
sich die Opfer auch an einen Lehrer bzw.
an eine Lehrerin wenden.
Empfehlungen – ein Maßnahmenkatalog
Forderung und Förderung technischer Schutzmaßnahmen
technische Konfigurationen und
Sicherheitstools verbessern
(insbesondere für die Social-NetworkCommunities bzw. vergleichbare
Angebote) und in Form konkret
formulierter Mindeststandards verbindlich
vorgeben
Anreize für Anbieter schaffen, um die
technischen Schutzstandards zu
verbessern,
Motivation der Industrie zur Bereitstellung
von Know-how
Zum Beispiel:
sichere Grundeinstellungen im Hinblick
auf Privatsphäre und Kontakte
I intelligente Filtersysteme (z. B. BadWord-Filter für Nicknames und
Gruppen, Dialogfilter zur Vorbeugung
sexueller Übergriffe)
I Log-Funktionen zur Dokumentation von
Verstößen („Spurensicherung“)
I leicht zu bedienende Ignorier- und
Notruf-Funktionen zur Sperrung und
Verfolgung von Belästigern bzw. zum
Herbeiholen schneller Hilfe (Einschreiten
durch den Anbieter/Moderator)
I
Subventionierung oder/und steuerliche
Erleichterungen für Investitionen in die
Entwicklung und Anschaffung entsprechender Hard- und Software (verlässliche
Filtersysteme und Systeme zur Identitätsund Altersverifikation bei Minderjährigen)
Festschreibung von Kontrollpflichten
Verpflichtung der Anbieter zur Prävention:
konkrete Begleit- und Kontrollpflichten,
um die Sicherheit der jugendlichen Nutzer
bei der Nutzung von Social Communities
und Videoportalen zu verbessern
I
Kodifizierung von Mindestausstattungen
von Moderations- und Supportteams
(Anzahl, Qualifikation, zeitliche
Verfügbarkeit)
I Festlegung von Kontrollpflichten/-intervallen bei unmoderierten Chats und bei
sonstigen von den Nutzern eingestellten
Inhalten (Fotos, Videos u. dgl.)
I Bereitstellung eines bestimmten, qualifizierten Mitarbeiterstabes (in Relation
zum Umfang des Angebotes/der Größe
der Community)
I regelmäßige Stichprobenkontrollen
(z. B. Recherche mit szenetypischen
Begriffen – z. B. „Opfer“ – in der
Gruppen- und Profilsuche)
Stärkung der Selbstkontrolle der User
Reflexionsprozesse im Hinblick auf Gewalt
im Web 2.0 und das eigene Mediennutzungsverhalten in Gang setzen
Kompetent machen im Umgang mit
Cyber-Mobbing und Hilfsangebote zur
Verfügung stellen (auch via Netz)
Wie bekommen wir das
Gewaltproblem des Web 2.0
in den Griff?
Positive und aktive Zugänge zum Web 2.0
eröffnen
Rechtlich werden gewalthaltige Internetangebote in Deutschland durch das
Strafrecht und die Spezialregelungen des
Jugendmedienschutzrechts sehr gut erfasst. Das deutsche Jugendmedienschutzrecht gilt als wegweisend in Europa.
Dennoch stößt es in der Praxis auch
an Grenzen, da jugendgefährdende Inhalte sich nicht selten auf den Seiten
ausländischer Anbieter finden. Was können wir konkret in der Medienpraxis tun,
um Kinder und Jugendliche vor problematischen Inhalten im Rahmen der fak-
Mobilisierung der Selbstkontrolle der
Nutzer
tischen Möglichkeiten zu schützen und sie
kompetent zu machen im Umgang mit
diesen Inhalten? In der folgenden Übersicht
werden Empfehlungen für den Jugendschutz aufgeführt (vgl. ausführlich dazu die
Handlungsempfehlungen, die in der „Gewalt im Web 2.0“-Studie 2008, 283-291
von Clausen-Muradian beschrieben wurden):
I
Thematisierung ethischer Regelkodices
(Netiquette) auf Jugendportalen
I Unrechtsbewusstsein der Kinder und
Jugendlichen im Hinblick auf ihren persönlichen Umgang mit solchen Inhalten
fördern
I Schulung von jugendlichen
Internetscouts, die jüngeren Usern bei
Cybermobbing helfen
I
Wettbewerbe für kreative Videos, Fotos
und Texte
I Diskussionsforen zu jugendlichen
Themen
I
Kennzeichnung von problematischen/
nicht veröffentlichungswürdigen Inhalten
Literatur:
Grimm, Petra/Rhein, Stefanie/Clausen-Muradian, Elisabeth: Gewalt im Web 2.0: Der Umgang Jugendlicher
mit gewalthaltigen Inhalten und Cyber-Mobbing sowie
die rechtliche Einordnung der Problematik. Schriftenreihe der NLM, Bd. 23. Berlin 2008.
Grimm, Petra/Rhein, Stefanie: Slapping, Bullying,
Snuffing! Zur Problematik von gewalthaltigen und pornografischen Videoclips auf Mobiltelefonen von Jugendlichen. Schriftenreihe der Medienanstalt Hamburg/
Schleswig-Holstein (MA HSH). Bd. 1. Berlin 2008.
THEMA
JUGEND
7
Kampagne watch your web
stärkt Jugendliche im
Umgang mit persönlichen
Daten im Netz
Verankerung von verbindlichen
Aufklärungspflichten für Anbieter der
Community-Plattformen: Informationen
über Gefahren und Risiken
VIVA unterstützt zusammen mit weiteren
Partnern die Online-Initiative der Bundesregierung für sicheres Surfen
Unterrichtung über mögliche Strafbarkeit
und deren Konsequenzen
쏋 Nach dem Start der Kampagne watch your
web im Juni 2009 hat sich die Internetkampagne bei den 12- bis 16-Jährigen rasend schnell verbreitet. „Die virale Strategie,
also die Jugendlichen direkt im Netz anzusprechen, greift sehr gut“, so Daniel Poli, Koordinator des Projektes Jugend online. „Eine
halbe Million Jugendliche haben sich über ein
Profil bei SchülerVZ zum Thema Datensicherheit informiert.“
Jugendliche im Umgang mit ihren Daten
im Netz zu sensibilisieren, das ist das Ziel der
von Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV)
und Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderten
und durch Kooperationspartner unterstützten
Netzinitiative watch your web. Auf der Kampagnen-Webseite
www.watchyourweb.de
finden Jugendliche praktische Tipps, einen
Webtest und eine Pinwand, wo sie ihre Interneterfahrungen mitteilen können. Sie können
sich Filme anschauen, die ihnen die Botschaften vermitteln: „Das Internet vergisst
nichts! Was einmal im Internet steht, kann
sich schnell verbreiten! Virtuelles ist real! Im
Internet ist man nicht immer ungestört!“ Die
Filme, die allein bei youtube.com 280.000 Mal
aufgerufen wurden, sensibilisieren die Jugendlichen für die Gefahren im Netz und fordern sie zu einem kritischen und verantwortungsvollen Handeln auf.
Haben die Jugendlichen Fragen oder
Ängste in Bezug auf die Internetnutzung, so
können sie sich anonym an die Comicfigur
Webman wenden. Er beantwortete bereits
4.000 Fragen persönlich. Er setzt sich für das
Gute im Netz ein. Dadurch werden Jugendliche aller Schulformen und Bildungsmilieus
von Anfang an auf Augenhöhe in die Kampagne einbezogen und sie erleben sich selbst
als Träger von Informationen und nicht als
Objekt von Belehrungen und Verboten.
Gefördert wird die Kampagne von BMELV
und BMFSFJ sowie vielen weiteren Kooperationspartnern. Dazu zählen beispielsweise
die sozialen Netzwerke SchülerVZ, Facebook, wer kennt wen und Lokalisten oder der
Medienpartner VIVA. Ebenso unterstützen
Vereine, Verbände und Unternehmen aus den
Bereichen Datensicherheit, Medien- und
Jugendpädagogik und Bildungspolitik die
Jugendkampagne watch your web.
쏋
Kontakt: Andrea Heiliger
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Jugend online
IJAB - Fachstelle für Internationale
Jugendarbeit der Bundesrepublik
Deutschland e.V.
Godesberger Allee 142 – 148
53175 Bonn
Telefon: (0228) 9506-157
Telefax: (0228) 9506-199
E-Mail: [email protected]
www.ijab.de, www.jugend.info
www.watchyourweb.de
8 THEMA
JUGEND
Erhöhung der Aufklärungspflichten
Platzierung von aufklärenden Hinweisen
bereits auf der Eingangsseite
I
I
I
z. B. bei Änderung der Konfigurationen
oder Nutzung riskanter Features
bei Mittäterschaft durch Verbreitung
und Zugänglichmachung entsprechender Inhalte oder durch „Empfehlung“
problematischer Links
wie z. B. bei der Community-Plattform
SCHÜLERVZ praktiziert
Informationen für Eltern verbindlich
machen, so dass die Eltern das Angebot
und seine Risiken für ihr Kind beurteilen
können
Labeling der Web 2.0-Angebote für Eltern
nach Risikofaktoren
Selbstkontrolle der Anbieter
entsprechende Maßnahmen als konkrete
Selbstverpflichtungen in Kodizes aufnehmen
I
Vorteil von Regelungen im Rahmen der
Selbstkontrolle: Anbieter können selbst
kreative individuelle Lösungen entwikkeln, die dem Jugendschutzanspruch
einerseits und marktwirtschaftlichen
Interessen gerecht werden
Intensivierung der Medienerziehung in der Schule und
Förderung der Medienkompetenz der Eltern
Aufwertung der schulischen
Medienerziehung durch Einrichtung eines
eigenständigen Unterrichtsfaches
„Medienkunde“
Stärkung der Medienkompetenz der
Lehrer als eigenständiger Bildungsauftrag
Erstellung von Lehrmaterialien (auch für
jugendschutzrelevante und medienethische Themen des Web 2.0)
Stärkung der schulischen medienpädagogischen Elternarbeit
I
I
I
I
wie z.B. in Thüringen: eigenständiges
schulisches Ausbildungsfach mit der
Dokumentation des erreichten
Ausbildungsstandes in einem sog.
Medienpass als verbindlicher Anlage
des Schulzeugnisses
Intensivierung der medienpädagogischen Aus- und Fortbildung der
Lehrkräfte
wie z. B. von klicksafe.de zum Thema
„Cybermobbing“
z. B. im Rahmen von
Schulveranstaltungen, Elternabenden
쏋
Prof. Dr. Petra Grimm ist als Medienwissenschaftlerin an der Hochschule der
Medien (HdM) in Stuttgart lehrend tätig. Sie ist Dekanin der Fakultät Electronic
Media.
Gewalthaltige PC-Spiele haben ein Image-Problem. Ihre Kritiker monieren die
brutalen Darstellungen, die von den Spielern konsumiert werden sowie die von
ihnen aktiv auszuübenden aggressiven Handlungen. Der Jugendmedienschutz
fordert vielfach eine Verschärfung der Freigabepraxis. Die Nutzer selber kritisieren wiederum die Kritiker und ihre oftmals einseitige Darstellung möglicher
Auswirkungen. In dieser Kakophonie erscheint es lohnenswert, besonders auf
die Stimme der Medienwirkungsforschung zu hören, um den Blick zu objektivieren und mögliche Ansatzpunkte für Präventionsstrategien ausfindig zu machen.
PC-SPIELE –
URSACHE DES ÜBELS?
Gewalt in Computerspielen und ihre Wirkungen
Christoph Klimmt
„Unser Begleiter instruiert uns, den
linken Gegner anzuvisieren und auf
sein Zeichen zu warten. Als er den anderen
Feind im Fadenkreuz hat, gibt er das
Kommando ‚Abdrücken!’ Zwei leise ‚Fupp’
lösen sich aus unseren schallgedämpften
Sturmgewehren, gefolgt vom Geräusch
zweier auf den Schnee plumpsender
Körper. Die Typen hatten nicht einmal den
Hauch einer Ahnung, wer oder was sie
getroffen hat“.
Mit diesen Worten beschreibt ein sichtlich
begeisterter Redakteur der Fachzeitschrift
„PC Games“ (Heft 07/2009, 36) die ersten
Spielszenen, die ihm von einem neuen Titel
„Call of Duty: Modern Warfare II“ gezeigt
wurden. Sie sind beispielhaft für die öffentliche Debatte, die gerade mit Blick auf den
Jugendmedienschutz über gewalthaltige
Computerspiele geführt wird. Auf der einen
Seite stehen Spieler, die sich für „realistische“ Darstellungen und „tolles Gameplay“ begeistern können. Auf der anderen
Seite stehen viele (ältere) Erwachsene, die
selbst kaum Spielerfahrung besitzen, aber
angesichts der Gewaltdarstellungen auf
dem Bildschirm zwischen Fassungslosigkeit und Empörung schwanken.
In der Tat macht sich der enorme technische Fortschritt der Spielesoftware gerade
auch bei den Gewaltdarstellungen in den
„Spielen für Erwachsene“ bemerkbar:
Menschliche Figuren sehen immer echter
aus, die Verletzungen und Verstümmelungen, die ihnen im virtuellen Kampf beigebracht werden, auch. Die Videovorschau
auf ein anderes neues „Call of Duty“-Spiel
(„World at War“) zeigt Weltkrieg-II-Infanteristen, die bei lebendigem Leib verbrennen – in High Definition.
Explizitheit und immense Brutalität in den
Gewaltdarstellungen ist ein Argument, mit
dem die Problematik gewalthaltiger Computerspiele begründet wird. Interaktivität ist
zumeist das zweite: Die Spieler (es sind fast
ausschließlich Jungen und junge Männer,
die sich für die gewalthaltigsten Genres
begeistern) würden schließlich nicht nur bei
medialen Gewaltdarstellungen zuschauen,
wie das bei Film und Fernsehen der Fall ist.
Vielmehr verüben sie die Pixel-Massaker
selbst, die Spieler bewirken all die Rohheiten, die auf dem Bildschirm zu sehen
sind. Dass müsste – so die häufig geäußerte Besorgnis – doch noch viel schlimmer für
die jugendliche Moral sein als das
vergleichsweise passive Anschauen von
Kriegsfilmen (die im Übrigen mindestens so
brutale Szenen enthalten wie die brutalsten
Computerspiele, aber dazu später).
Erklärung für das
Unerklärbare
Die Diskussion über gewalthaltige Computerspiele wird nicht nur von diesen
Eigenschaften und Trends des Mediums
selbst befeuert. Äußere Anlässe für die
Debatte, wie mit gewalthaltigen Computerspielen umzugehen sei, liefern zumeist
extreme Gewalttaten männlicher Jugendlicher, nämlich so genannte High School
Shootings oder Amokläufe. Bei mehreren
Tätern wurde im Nachhinein eine Vorliebe
für gewalthaltige Computerspiele entdeckt.
Ein (kausaler) Zusammenhang erscheint da
plausibel, eine Erklärung für das Unerklärbare scheint gefunden. Der mediale Widerhall von Amokläufen scheint dabei vor
allem durch die schiere Häufigkeit, mit der
die Frage thematisiert wurde („Waren Killerspiele die Ursache?“) in der öffentlichen
Wahrnehmung zu einer Reifikation (Vergegenständlichung) der Verursachungsannahme geführt zu haben: Computerspiele
gehören in das Erklärungsraster, so dass
sich Computerspiele-Experten in der merkwürdigen Situation wiederfinden, ausgerechnet nach einem High School Shooting
von Journalisten interviewt zu werden.
Computerspiele haben also wegen der
Gewaltthematik ein Image-Problem. Das
wird auch daran erkennbar, dass der
Jugendmedienschutz im Bereich Computerspiele in den vergangenen Jahren
sehr viel stärker kritisiert und sehr viel argwöhnischer beäugt wurde als die Jugendschutzinstitutionen, die sich etwa um
Film und Fernsehen kümmern. Die Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle
(USK),
die die Alterskennzeichnungen neuer Spiele vornimmt (und diese auf ein international
nahezu einzigartig aufwändiges Prüfverfahren stützt) wurde wiederholt angegangen, ihre Freigabepraxis sei zu lasch und
würde das offenkundige Problem mit den
Gewaltspielen noch verschärfen.
Die Evaluation der USK-Tätigkeit durch das
Hamburger Hans Bredow-Institut für Medienforschung hat zwar diese Vorwürfe
nicht bestätigt. Dennoch zeigt der teilweise
harsche Ton, der gegenüber der USK angeschlagen wurde, wie stark die Empörung
über „den Spaß am virtuellen Töten“ in
Teilen von Politik und Gesellschaft zu sein
scheint. Auch die öfters wiederholten Forderungen nach Verboten von gewalthaltigen Computerspielen – nichts anderes
als Zensur, in Bezug auf Kriegsfilme oder
-bücher hierzulande undenkbar – ist ein
Indikator für diese emotional aufgeladene
Herangehensweise.
Und dann sind da noch ein paar Millionen
Spieler, vorwiegend männliche Jugendliche
und junge Erwachsene. Sie beschweren
sich über die Art der Debatte, weil sie sich
zu Unrecht kriminalisiert fühlen. Sie werfen
Journalisten mangelnden Sachverstand
und Einseitigkeit in der Darstellung vor, und
sie können das etwa mit YouTube-Videos
auch belegen. In diese Beschwerden
mischt sich vielfach auch eine der kritischen Berichterstattung diametral entgegengesetzte Vermutung zur Wirkung von
gewalthaltigen Computerspielen.
Offenkundig wohlgeratene Jugendliche
verweisen auf ihre Begeisterung für
„Shooter“-Spiele, die sie nicht an einem
guten Schulabschluss, hoher Soziabilität
oder ehrenamtlichen Engagement hindert.
Von Aggressivität als Spielewirkung keine
Spur bei mir!
Die Forschung erlaubt
genauere Aussagen
In dieser Gemengelage öffentlicher Interessen operiert die Medienwirkungsforschung über Computerspiele. Sie wird im
Wesentlichen von Sozial- und Medienpsychologie sowie der Kommunikationswissenschaft betrieben, wobei die psychologischen Ansätze die Frage stärker von
der Perspektive der Aggression(sförderung) angehen, die Kommunikationswissenschaft demgegenüber die Eigenschaften des Mediums (zum Beispiel seine
Interaktivität) in den Mittelpunkt stellt.
Der Forschungsstand ist in den letzten
Jahren beachtlich angewachsen, die An-
THEMA
JUGEND
9
zahl und – wichtiger noch – die methodische Vielfalt der thematischen Studien
haben erheblich zugenommen. Wir können
daher heute weiterhin vorläufige, aber
längst nicht mehr spekulative Aussagen
zum Wirkungspotenzial gewalthaltiger
Computerspiele treffen.
Allerdings kann die Medienwirkungsforschung keine seriösen Antworten für
Einzelfall-Ereignisse wie einen Amoklauf
anbieten. Mit sozialwissenschaftlichen Methoden ist eine Ursachenwirkung am
Einzelfall nicht nachweisbar. Die Forschung
konzentriert sich vielmehr auf sogenannte
konzeptionelle Effekte, also Wirkungsprozesse, die grundsätzlich bei allen
Menschen auftreten können. Sie interessiert sich daher weniger für vereinzelte
extreme Gewalttaten, sondern vielmehr für
alltägliche, bei sehr vielen Menschen (freilich in unterschiedlichen Intensitäten) auftretende Formen von Aggressivität, etwa
feindseliges Denken, verbale Aggressivität,
gesagt Spieler in zwei Gruppen aufgeteilt:
Die eine Gruppe nutzt ein gewalthaltiges
Spiel, während die andere Gruppe ein
weniger oder gar nicht gewalthaltiges,
ansonsten aber möglichst ähnliches Spiel
erhält. Nach einer festgelegten Spieldauer,
zum Beispiel 15 Minuten, werden dann die
Spieler hinsichtlich bestimmter Aspekte
von Aggressivität untersucht, beispielsweise das Ausmaß feindseligen Denkens in
einer Entscheidungsaufgabe. Eine aggressivitätssteigernde Wirkung von Gewaltspielen wird in dieser Untersuchungsanlage daran sichtbar, dass die Spieler, die
das Gewaltspiel genutzt haben, im
Durchschnitt ein höheres Ausmaß an
Aggressivität aufweisen als die Vergleichsgruppe, die ein weniger gewalthaltiges
Spiel genutzt hat.
Eine zweite wichtige methodische Säule
der Medienwirkungsforschung sind längsschnittliche Studien. Forscher beobachten
(zumeist) Jugendliche über einen längeren
Die KLJB Hopsten legte einen 15 Meter langen Schienenstrang an, auf dem später ein Denkmal mit einer Grubenbahn entstehen sollte.
Foto: Marius Meyer
Reizbarkeit, mangelnde Bereitschaft zur
friedlichen Konfliktbeilegung oder Bullying.
Insbesondere Wirkungen auf aggressionsbezogenes und antisoziales Denken werden intensiv untersucht, weil Vorstellungen,
Einstellungen und Denkroutinen in vielen
sozialen Situationen das Handeln steuern.
Vorgehen der
Medienforschung
In methodischer Hinsicht ruhen die Befunde der Wirkungsforschung vornehmlich
auf sogenannten experimentellen Vorgehensweisen. Dabei werden vereinfacht
10 THEMA
JUGEND
Zeitraum (zum Beispiel ein Jahr) und sammeln zu mehreren Zeitpunkten Informationen über den Gebrauch von Gewaltspielen und das Ausmaß an Aggressivität
(z. B. aus Lehrerbeurteilungen). Durch die
zeitbezogene Auswertung kann ermittelt
werden, ob der Gebrauch von Gewaltspielen einem höheren Maß von Aggressivität vorausgeht oder aber ob ein erhöhtes Maß an Aggressivität eine stärkere
Nutzung von Gewaltspielen nach sich
zieht. Ersteres würde man als Wirkung der
Gewaltspiele begreifen, letzteres als einen
umgekehrten Zusammenhang, wonach
das bestehende Ausmaß an Aggressivität
die Medienwahlentscheidungen von Ju-
gendlichen beeinflusst. Diese Art von
Studien ist wesentlich aufwändiger als
Experimente; es hat daher auch länger
gedauert, bis solche Untersuchungen für
das vergleichsweise junge Medium Computerspiel vorlagen.
Einige Ergebnisse
Nimmt man die Befunde solcher experimentellen und längsschnittlichen Feldstudien zusammen, ergibt sich ein relativ
klares Bild. Der Gebrauch von Gewaltspielen hat einen aggressionsförderlichen
Effekt. Er ist insbesondere für feindseliges
Denken (z. B. Reizbarkeit, Ausbildung aggressionsbefürwortender Normen und
Einstellungen) belegt. Die durchschnittliche
Stärke dieser Wirkung ist nicht beeindruckend, aber sie ist auch definitiv größer als
Null. Mit „nicht beeindruckend“ ist gemeint,
dass man auch in dem intensiven Gebrauch von Gewaltspielen keine neue universelle Hauptursache für die flächendeckende Verrohung der Jugend sehen kann.
Die Wirkungen von Gewaltspielen sind also
ein Problemfaktor unter vielen anderen.
Wichtig ist nun die weiterführende Erkenntnis, dass sich hinter dem geringen
Durchschnittseffekt Spielergruppen mit
sehr unterschiedlicher Anfälligkeit verbergen. Manche Spieler bleiben trotz langjähriger intensiver Auseinandersetzung mit
Gewaltspielen freundlich und geradezu
lammfromm, während andere Spieler
schon mit vergleichsweise geringem Konsum von Gewaltspielen merklich konfliktfreudiger und sozial unverträglicher werden. Es gibt also Risikogruppen, um die
man sich besondere Sorgen machen
muss. Längsschnittergebnisse von Michael
Slater (Universität Columbus, USA) zeigen,
dass insbesondere Jugendliche mit
schwierigem Elternhaus (Scheidung, häusliche Gewalt), Schulleistungsproblemen
und/oder häufiger Zurückweisung im
Freundeskreis („peer victimization“) als
Risikogruppe gelten müssen, bei denen
bereits mäßige Gewaltspielnutzung einen
relevanten Netto-Effekt auf die GesamtAggressivität hat. Dem stehen wohlbehütete Jugendliche mit intakten Elternhäusern
und Peergroups gegenüber, die nach dieser Studie deutlich weniger anfällig für
aggressionsförderliche Effekte sind.
So bietet sich die Metapher eines kleinen
Zahnrads im Getriebe der Persönlichkeitsentwicklung an: Für sich genommen
ist der Einfluss von Gewaltspielen eher
schwach, aber im Zusammenspiel mit
anderen Faktoren können Gewaltspiele ein
Problem aggressiver Denk- und Verhaltensmuster erheblich verschärfen. Es
kommt dabei auf die Gesamtressourcen
der Jugendlichen an: Verfügen sie über ein
stabiles, positives und unterstützendes
Umfeld, verfügen sie offenbar über ausreichend Ressourcen, so dass aggressionsförderliche Effekte von Gewaltspielen gewissermaßen an ihnen abprallen. Verfügen
Jugendliche jedoch über nur wenige
Ressourcen (weil ihre Lebensumstände sie
damit nicht ausgestattet haben), bestehen
erhebliche Risiken unerwünschter Medienwirkungen.
Die Wahrheit
liegt in der Mitte
Diese Befundlage legt den Schluss nahe,
dass alle Seiten in der öffentlichen Debatte
über „Killerspiele“ ein bisschen Recht
haben. Es gibt problematische Wirkungen
von gewalthaltigen Computerspielen und
die Institutionen der Erwachsenenwelt sind
gefordert, sich damit aktiv auseinanderzusetzen. Auf der anderen Seite bestehen
diese Wirkungen längst nicht für alle
Spieler. Insofern beschweren sich viele
Spieler zu Recht darüber, dass sie zu
Unrecht kriminalisiert werden.
Der Forschungsstand zeigt, dass die
Wahrheit in der Mitte liegt. Es gilt daher, die
Risiken angemessen und ohne moralischen Impetus einzuschätzen, also weder
das Problem zu trivialisieren noch überzogene Maßnahmen zu fordern. Verbote sind
nicht nur mit Blick auf die Meinungs- und
Medienfreiheit unsinnig, sie lassen sich aus
wissenschaftlicher Sicht auch nicht mit
dem Wirkungspotenzial des Mediums
rechtfertigen.
Überdies sind die Wirkungen gewalthaltiger
Filme und Fernsehsendungen seit langer
Zeit bekannt und bewegen sich statistisch
in vergleichbaren Dimensionen wie die
Effekte von gewalthaltigen Computerspielen. Die jetzige Entscheidergeneration
hätte aber nie gefordert, Steven Spielberg
den Dreh von „Der Soldat James Ryan“ zu
untersagen oder die Ausstrahlung von
„Resident Evil“ (dem Film zum HorrorComputerspiel) zu verbieten. Die harsche
Kritik an Gewaltspielen hat also einen
Geschmack von zweierlei Maß, und sie
zeigt, dass die jetzt erwachsene Entscheidergeneration mit den ihr gut vertrauten
Medien differenzierter umgeht als mit dem
„neuen“ Medium Computerspiel.
Die Wirkungsforschung liefert jedoch keine
Argumente dafür, das bestehende Jugendschutzsystem zu verschärfen: Die
USK mit ihrem ausgefeilten Prüfsystem leistet das, was institutioneller Jugendmedienschutz leisten kann, nämlich Altersfreigaben gemäß des „Härtegrads“ der
Gewaltdarstellungen in Computerspielen
abzustufen.
Was also tun?
Das Interesse gerade männlicher Jugendlicher an „Call of Duty“ und seinen Konkurrenzprodukten lässt sich nicht verbieten. Und die Risikogruppen sind aus der
Perspektive der Jugendarbeit und -hilfe
wieder einmal die üblichen Verdächtigen:
„Unterschichtskinder“ in prekären Lebenslagen mit wenigen eigenen Ressourcen.
Ressourcen sind aber auch das Schlüsselwort für die gesellschaftlichen Konsequenzen, die man aus der Wirkungsforschung
ziehen sollte. Denn wenn ein Mehr an
Ressourcen zu einem Weniger an problematischen Wirkungen führt, existiert hier
ein Ansatzpunkt für die Prävention.
Verschiedene Forscherteams, etwa Barbara Krahé und Ingrid Möller (Universität
Potsdam) erproben bereits Konzepte, wie
die Ressourcen von Jugendlichen gestärkt
werden können, um das Wirkpotenzial von
Gewaltspielen zu dämpfen. Medienkompetenz ist die längst noch nicht veraltete
Zielgröße.
Die Daueraufgabe der Jugendarbeit –
Ressourcen aufbauen, Chancen eröffnen –
sollte also um den Aspekt „Computerspiele“ ergänzt werden. Gelingt die Hilfe
zum besseren Selbstschutz, lässt sich das
Wirkpotenzial von Gewaltspielen in den
Risikogruppen womöglich bändigen. Und
nebenbei eröffnen sich für Jugendliche aus
schwierigen Verhältnissen durch die Mischung aus großer Games-Erfahrung und
gestärkter Medienkompetenz vielleicht
ganz neue Partizipationschancen in der
Informationsgesellschaft, die sie bisher
mangels Bildungsressourcen meistens gar
쏋
nicht mitspielen lässt.
Dr. Christoph Klimmt ist als Juniorprofessor am Institut für Publizistik
der Johannes-Gutenberg-Universität
Mainz tätig.
In der internationalen Forschungsliteratur gibt es bisher keine Einigkeit, inwieweit der Begriff „Onlinesucht“ die verschiedenen interaktiven Handlungen des
exzessiven Chattens zusammenfasst. Feststellbar sind bedenkliche Folgen wie
Kontrollverlust und Leistungseinbuße. Und auffallend sind, ähnlich wie bei
Abhängigkeitserkrankungen, „erlaubniserteilende Kognitionen“. Insgesamt
steht die Forschung am Anfang, auch wenn es derzeit einige neuere Studien
gibt. – Der Autor setzt sich mit dem Abhängigkeitsbegriff und den Kriterien für
Abhängigkeit auseinander, ferner mit der aktuellen Studienlage und dem
Suchtpotential von Online-Rollenspielen.
COMPUTERSPIELE UND
ONLINESUCHT
Süchtig nach einer virtuellen Welt?
Klaus Wölfling
Seit geraumer Zeit häufen sich Fallberichte aus der stationären und
ambulanten allgemeinpsychiatrischen Versorgung, aus Sucht- und Erziehungsberatungsstellen sowie aus der allgemeinmedizinischen Praxis über einen exzessiven Gebrauch elektronischer Medien – vor
allem das suchtartige Computerspielverhalten bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Grundsätzlich herrscht
in der internationalen Forschungsliteratur
bisher noch keine Einigkeit darüber, inwieweit der Begriff Onlinesucht, der verschiedene interaktive Handlungen, wie z. B.
exzessives Chatten, Pornographie, Surfen
oder Informationssuche sinnvoll zusammenfasst. Bislang gibt es im deutschen
Sprachraum auch noch wenig empirische
wissenschaftliche Belege, inwieweit moderne interaktive Medien von Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen kompetent beziehungsweise dysfunktional genutzt werden.
Gerade Online-Rollenspiele, die sogenannten MMORPGs (Massive Multiplayer Online
Role Play Games), scheinen ein hohes
Suchtpotenzial in sich zu bergen; empirische Untersuchungen weisen daraufhin,
dass die überwiegende Mehrheit der psychopathologisch auffälligen Spieler diese
Spielform nutzen (Wölfling et al. 2008).
Betrachtet man die vielfältigen psychischen
Wirkungen von MMORPGs, so fällt auf,
dass die hohe Spielanbindung der Nutzer
durch die ständige und nicht pausierbare
Verfügbarkeit der virtuellen Welten, das mit
dem (enormen) zeitlichen Einsatz korrelierende steigende soziale Prestige und die
Vertiefung sozialer Bindungen und Verpflichtungen innerhalb der Spielergemeinschaften (Gilden) erreicht wird. Letzteres
führt aufgrund des Spieldesigns der meisten Online-Rollenspiele dazu, dass Verpflichtungen und Versäumnisängste gegenüber den virtuellen Kontakten bei den
Nutzern entstehen, da zahlreiche für das
THEMA
JUGEND
11
Spiel notwendige Aufgaben nur im sozialen
Gruppengefüge lösbar sind. Die Möglichkeit, in diesen virtuellen Welten unkompliziert unzählige nicht-reale Beziehungen
einzugehen, die Verdichtung bzw. die
Ausweitung von Zeiterleben während der
Spielhandlung, der Verlust an Orientierung
im virtuellen Raum (der sogenannte
„Tunnelblick“ vor dem Monitor) sowie die
Chance sozialen Status unabhängig von
materiellen oder persönlichen Voraussetzungen zu erringen, einer exzessiven bzw.
suchtartigen Nutzung dieser Spiele Vorschub zu leisten. So zeigt sich, dass je
mehr die virtuelle Welt für den Computerspieler im Verlauf an Attraktivität zunimmt
(und dabei parallel der Selbstwertsteigerung dient) es umso schwieriger für die
exzessiven Nutzer wird, sich mit den alltäglichen Problemen der realen Welt auseinanderzusetzen.
Bedenkliche Folgen –
Zwänge entstehen
Die reale Welt verliert im Verlauf der
Abhängigkeitsentwicklung mehr und mehr
an Attraktivität gegenüber dem virtuellen
Universum. Als Folgen dieses exzessiv
ausgeführten Verhaltens werden vor allem
der Kontrollverlust über die Spielzeit, merkliche Leistungseinbußen im schulischen
oder beruflichen Bereich und vegetative
Symptome bei Verhinderung des Computerspielens (Nervosität, Unruhe, Mangeloder Fehlernährung) von Betroffenen oder
Angehörigen berichtet. Einhergehend sind
häufig Tendenzen von Vereinsamung und
Ängsten in „realen“ sozialen Beziehungen
im Verlauf der Zunahme der Spielzeiten
sowie raptusartige aggressive Spannungsabfuhr bei Reduktion bzw. Verhinderung
des Computerspielens feststellbar.
Gleichzeitig ist bei betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen häufig die
Einsicht in die Relevanz des Problemverhaltens und dessen Folgen herabgesetzt. Das Spielverhalten rückt im Rahmen
der Störungsgenese mit großem Abstand
zu alternativen Beschäftigungen in den
Mittelpunkt des Verhaltensspektrums der
Betroffenen.
Typischerweise werden, ähnlich zu den
substanzbezogenen Abhängigkeitserkrankungen, von erlaubniserteilenden Kognitionen berichtet, die das Spielverhalten in seiner gesteigerten Frequenz und Dauer dem
Betroffenen – entgegen aufkommenden
Einsichtsprozessen – genehmigen. Das
Computerspielverhalten wird somit mehr
und mehr zu einer unter dem Druck des
Verlangens nach dem Spiel ausgeführten
Tätigkeit. Patienten berichten häufig, dass
der anfänglich positiv und befreiend erlebte
Unterhaltungseffekt, im Verlauf exzessiver
Spielzeiten einem Druck oder Zwang spielen zu müssen, weicht. Grundsätzlich entwickeln sich im Verlauf der Zunahme für
den Betroffenen spürbare Veränderungen
im psycho-sozialen Funktionsniveau, die
im Kasten (unten) ausführlicher dargestellt
sind.
Ergebnisse neuerer Studien
Zum weiter gefassten Begriff des Störungsbildes „Internetabhängigkeit“ oder
„Pathologischer Internetgebrauch“ liegen
aktuell noch sehr wenige gesicherte Ergebnisse über die Verbreitung in der deutschen Bevölkerung vor. Einen ersten
Schätzwert für „Internetsucht“ in der deutschen Gesamtbevölkerung gaben Hahn &
Jerusalem 2001 mit 2,7 % an. Korrespondierend gehen Bakken und Kollegen
2009 in Norwegen von einer Auftretens-
wahrscheinlichkeit von Internetabhängigkeit von 1 % und zusätzlich 5,2 % problematischen (risikoreichen) Nutzern aus. Die
Autoren betonen hierbei, dass die Auftretenshäufigkeiten stark alters- und geschlechtsabhängig sind. So zeigen sich bei
1.000 Befragten im Alter von 16 bis 74
Jahren die höchsten Werte bei jungen
Männern.
Aktuelle Ergebnisse verschiedener nationaler wie internationaler Studien zeigen,
dass ca. 2 bis 7 % der regelmäßigen
Internetnutzer einen problematischen Umgang bis hin zu internetsüchtigem Verhalten zeigen (Bathyany und Kollegen
2009). Diese Tendenz lässt sich ebenso
anhand von Fallzahlen aus dem Suchthilfesystem untermauern (Wessel et al.
2009). Aus Fallschilderungen zum Syndrom wird deutlich, dass überwiegend
männliche Kinder, Jugendliche und junge
Erwachsene betroffen sind.
In einer aktuellen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (Rehbein et al. 2009) wurden 44.610
Schülerinnen und Schüler der neunten
Klasse mittels eines strukturierten Interviews befragt. 3 % der männlichen und
0,3 % der weiblichen Schüler erfüllten die
Kriterien einer Computerabhängigkeit. Aufgrund der großen inhaltlichen Heterogenität von exzessiver Computer- und
Internetnutzung erscheint es notwendig,
den Ausprägungsgrad und die Pathologie
der einzelnen Handlungen im Internet
(Computerspiel, Kaufen, Informationssuche, Sex, Glücksspiel) getrennt voneinander zu erfassen und dabei missbräuchliches und abhängiges Nutzungsverhalten
diagnostisch zu differenzieren.
Unter Berücksichtigung der Klassifikationskriterien für stoffgebundene Störungen,
Psychische, gesundheitliche und soziale Folgen der Computerspielsucht:
䊏 Einengung des Verhaltensmusters:
Durch die herausragende Bedeutung
wird das Computerspielen zur wichtigsten Aktivität im Leben des Betroffenen
und dominiert sein Denken (andauernde
gedankliche Beschäftigung, auch verzerrte Wahrnehmung und Gedanken in
Bezug auf das Computerspielen), seine
Gefühle (unstillbares und unwiderstehliches Verlangen, das Computerspiel wird
automatisiert oder bewusst zur Gefühlsregulation eingesetzt) und sein Verhalten.
䊏 Regulation von negativen Gefühlszuständen (Affekten): Durch die beim
Computerspielen verspürte Erregung
(Kick- oder Flow-Erlebnisse) oder Entspannung („Abtauchen“) werden negative affektive Zustände im Sinne einer vermeidenden Stressbewältigungsstrategie
verdrängt.
12 THEMA
JUGEND
䊏 Toleranzentwicklung: Die gewünschte
Wirkung durch das Computerspielen
kann nur durch zunehmend häufigere
oder längere Computerspielzeiten (möglicherweise auch durch immer extremere
Spielinhalte) erzielt werden. Bei gleichbleibenden Spielzeiten bleibt der gewünschte affektregulierende Nutzen
vom Computerspielen aus.
䊏 Anklingende
Entzugserscheinungen: Bei verhindertem oder reduziertem
Computerspielen treten diese in Form
von Nervosität, Unruhe und/ oder vegetativer Symptomatik (Zittern, Schwitzen
etc.) auf.
䊏 Kontrollverlust: Das Computerspielverhalten kann in Bezug auf zeitliche
Begrenzung und Umfang nicht mehr
kontrolliert werden.
䊏 Rückfall: Nach Zeiten der Abstinenz
oder Phasen kontrollierten Computerspielverhaltens kommt es beim Betroffenen zu einer Wiederaufnahme des
unkontrollierten, exzessiven Computerspielens.
䊏 Durch eindeutig schädliche Konsequenzen für Beruf, soziale Kontakte
und Hobbys aufgrund des exzessiven
Computerspielens kommt es zu zwischenmenschlichen Konflikten zwischen
Betroffenem und der sozialen Umwelt
beziehungsweise innerpsychischen Problemen beim Betroffenen selbst.
wurde von Wölfling und Kollegen [OSVScreener, submitted for publication] ein
klinisch-diagnostisches Instrument entwikkelt, mit welchem eine Klassifikation des
gezeigten internetbezogenen Verhaltens
möglich ist.
Das parallele Auftreten von Symptomen
pathologischer exzessiver Computernutzung wird in der Literatur mit anderen
psychiatrischen Erkrankungen (z. B. affektive Störungen oder Angststörungen),
dahingehend in Verbindung gebracht, dass
„die pathologische Internetnutzung“ nur
eine Komorbidität – also eine Begleiterscheinung – der von den Autoren als
Primärdiagnose verstandenen psychiatrischen Erkrankung sei (Kratzer et al. 2007;
Yellowlees et al. 2007).
Die Diagnose von substanzbezogenen
Störungen – also den klassischen Abhängigkeitserkrankungen führt jedoch im
Regelfall dazu, dass das klinische Gesamtbild des Patienten durch die Vergabe mehrerer Diagnosen detailreicher
beschrieben wird, was letztlich zur Identifizierung der Grundkonflikte und des Heilerfolges nur positiv beitragen kann.
Aus der Perspektive des Klinikers zeigt sich
heute die Situation, dass eine „Computerspielsucht“ nur in Anlehnung an die Einordnung des „Pathologischen Spielens“ als
„Störung der Impulskontrolle, nicht andernorts klassifiziert“ zu diagnostizieren ist.
Diese Diagnose ist jedoch im Hinblick auf
neurobiologische (Thalemann et al. 2008),
differentialdiagnostische, präventive und
therapeutische Implikationen völlig unzureichend.
Konsequenzen für die
therapeutische Praxis
Insgesamt sollten die genaue Charakterisierung der Symptome und die Entwicklung klarer phänomenologischer Kriterien in der Praxis zu mehr diagnostischer
Sicherheit führen und das gegenwärtig
bestehende diagnostische Defizit im Zusammenhang mit „Computerspiel-/Internetsucht“ aufheben.
Ebenso sollte mit Hinblick auf Präventionsund Interventionsmaßnahmen für dieses
Störungsbild die Entwicklung von Leitlinien
zur Behandlung (z. B. durch die AWMF,
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
e. V.) erfolgen.
Insgesamt weisen die geschilderten ersten
Ergebnisse zur Online- und Computerspielsucht auf einen eindeutigen Bedarf an
geeigneten Präventionsmaßnahmen hin
und lassen erkennen, dass auch die
Entwicklung neuer psychologischer Interventionsansätze angestrebt werden sollte.
Zudem ergeben sich aus den identifizierten
psychosozialen,
psychopathologischen
und psychopädagogischen Einflussfaktoren für zukünftige Forschungsbemühungen
wichtige und interessante Ansatzpunkte
zur Vervollkommnung des nach wie vor
unvollständigen Bildes über das Störungsbild der Computerspielsucht.
쏋
Weitere Informationen:
www.verhaltenssucht.de
www.drogenbeauftragte.de
www.fv-medienabhaengigkeit.de
www.kfn.de
www.lfm-nrw.de
www.aktiv-gegen-mediensucht.de
Literatur:
Bakken I.J./Wenzel H.G./Götestam K.G./Johansson
A./Oren A.: Internet addiction among Norwegian adults:
A stratified probability sample study, Scandinavian
Journal of Psychology, Volume 50, Number 2, April
2009, 121-127.
Hahn A./Jerusalem M.: Internetsucht: Jugendliche
gefangen im Netz. In: Raithel, J. (Hrsg.). Risikoverhaltensweisen Jugendlicher. Erklärungen, Formen
und Prävention. Opladen 2001.
Kratzer S./Hegerl U.: Ist „Internetsucht“ eine eigenständige Erkrankung? Eine Untersuchung von Menschen
mit exzessiver Internetnutzung. Psychiatrische Praxis
35, 80-83, 2008.
Rehbein F./Kleimann M./Mößle T.: Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter - Empirische
Befunde zu Ursachen, Diagnostik und Komorbiditäten
unter besonderer Berücksichtigung spielimmanenter
Abhängigkeitsmerkmale. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. Forschungsbericht Nr. 108,
2009.
Thalemann R./Wölfling K./Güsser S.M.: Specific cuereactivity on computer game related cues in excessive
gamers. Behavioral Neuroscience 121, 614-618, 2007.
Wessel, T./Müller, K.W./Wölfling, K.: Computerspielsucht: Erste Fallzahlen aus der Suchtkrankenhilfe. In:
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS)
(Hrsg.). DHS Jahrbuch Sucht 2009. Geesthacht 2009.
Wölfling K./Thalemann R./Grüsser S.M.: Computerspielsucht: Ein psychopathologischer Symptomkomplex im Jugendalter. Psychiatrische Praxis 35, 226-232,
2008.
Yellowlees, P.M./Shayna, M.: Problematic Internet use
or Internet addiction? Computers in Human Behavior
23, 1447-1453, 2007.
Klaus Wölfling, Dipl.-Psychologe, ist
psychologischer Leiter der Ambulanz
für Spielsucht an der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz.
„Erlaubt mir, mich selbst vorzustellen. Mein Name – oder wie mich die sogenannten Ärzte nennen – ist Anorexia. Anorexia Nervosa ist mein voller Name,
aber du kannst mich Ana nennen.“ – so beginnt Anas Brief, ein fester Bestandteil vieler Internetforen, in denen Essstörungen verherrlicht werden und die
Magersucht bzw. Bulimie als einzige „beste Freundin“ personifiziert in Erscheinung tritt.
Die Autorin, Mitarbeiterin bei jugendschutz.net, stellt diese Webseiten und ihr
Gefährdungspotenzial vor, legt aber auch mögliche Handlungsoptionen dar.
VERHERRLICHUNG VON ESSSTÖRUNGEN IM INTERNET
Recherche und Aktivitäten von jugendschutz.net
Katja Rauchfuss
Essgestörte Jugendliche nutzen das
Internet immer mehr zur Propagierung ihrer Krankheit als idealen „Lifestyle". Seit 2006 recherchiert jugendschutz.net, die Zentralstelle der Länder für
den Jugendschutz im Internet, Websites,
die Essstörungen verharmlosen und verherrlichen, bewertet diese und geht gegen
unzulässige Inhalte vor.
Pro-Ana & Pro-Mia
Magerwahn als Lifestyle
Anhänger der sogenannten Pro-Ana/MiaBewegung eifern einem extremen Schlankheitsideal nach und sind bereit, dafür auch
lebensbedrohliche Maßnahmen zu ergreifen. Von Anfang an hat die Pro-Ana/Mia-
Szene ihre eigene Terminologie entwickelt.
Ana (Abk. für Anorexie = Magersucht) und
Mia (Abk. für Bulimie = Ess-Brech-Sucht)
sind bewusst verniedlichende Kosenamen,
die für die idealisierte Personifikation der
Essstörung als beste Freundin stehen
(Abbildung 1).
Die wichtigsten Selbstdarstellungs- und
Kommunikationsmittel der Pro-Ana/MiaBewegung sind Blogs, Foren, Chats sowie
Social-Communities und Videoplattformen. Diese Internetdienste lassen sich sehr
unkompliziert nutzen, was sie besonders
bei Jugendlichen beliebt macht.
Wie viele Pro-Ana/Mia-Angebote es tatsächlich gibt, ist schwer zu sagen, da eine
(bitte umblättern)
THEMA
JUGEND
13
hohe Fluktuation besteht. Täglich kommen
neue Angebote hinzu. Websites, die heute
noch online sind, können jedoch morgen
schon gesperrt oder aufgegeben sein.
Anhand der bei jugendschutz.net recherchierten Websites kann man jedoch eine
kontinuierlich steigende Anzahl ablesen
(siehe Abbildung 5). Seit 2006 hat
jugendschutz.net bereits über 700 ProAna/Mia-Angebote bearbeitet und ist
gegen unzulässige Inhalte vorgegangen
(Stand Juli 2009).
Laut Statistik besteht für Mädchen im
Jugendalter eine erhöhte Gefahr für die
Ausprägung einer Essstörung (Holtkamp/
Herpertz-Dahlmann 2005, 50). Die Auswertung von User-Profilen durch jugendschutz.
net spiegelt wider, dass die Betreiber und
Nutzer von Pro-Ana/Mia-Angeboten genau
dieser Risikogruppe angehören. Die erhobene Altersstruktur gipfelt zwischen 14 und
17 Jahren, wobei alle recherchierten Angebote von Mädchen betrieben wurden
und nur sehr vereinzelt männliche Nutzer
aufwiesen (Abbildung 2).
Abbildung 2: Altersangaben auf von jugendschutz.net recherchierten ProAna/Mia-Websites
typische Inhalte
Beschreibung
Beispiel
Ana's- / Mia's Bief
die Essstörung wird als einzig
wahre Freundin personifiziert
Ich erwarte eine ganze Menge von dir. Du darfst
nicht viel essen. Es wird langsam anfangen:
Gebote, Gesetze, Psalm,
Glaubensbekenntnis
Verhaltensanweisungen in Form
von Glaubensregeln
Dünn sein ist wichtiger als gesund sein!
Thinspirations
Darstellungen von extrem
dünnen Frauen als Idealbilder
Suche Dir schöne Bilder von dünnen Promis
heraus und versuche dünner zu sein!
Tipps & Tricks
zum Abnehmen, Ablenkung vom
Hunger, zur Geheimhaltung
Mach Geschirr dreckig, damit deine Eltern denken,
dass du schon gegessen hast.
Motivationsvertrag,
Thin-, Triggerlines
Motivationstexte und
Leitsprüche
Du wirst noch dicker, wenn du heute isst. Schieb
es noch einen Tag weiter auf.
Diary
Ess- und Gewichtstagebuch
Montag: Hipp Milde Früchte Pfirsiche, Wasser 5l,
Insgesamt: 109 kcal / Dienstag: …
Contests
Abnehm- bzw. HungerWettbewerbe
Jeden Monat findet ein "Miss Perfection" Contest
statt. Sieger ist, wer in einem Monat am meisten
abnimmt.
Twin-Suche
Suche nach Abnehmpartnern
Ich suche jemanden zum Austausch und der einen
motiviert. Ich bin 14 Jahre alt und seit 1½ Jahren
Ana. Wiege z. Z. 44kg bei 1,65m (!!!) Also FETT!!!
(geschlossenes) Forum
Austausch mit anderen ProAna/Mia-Anhängern
Jede Bewerberin muss einen Anmeldebogen
senden. Es kommt nur rein, wer glaubhaft
versichert Pro zu sein. Es gilt Anwesenheitspflicht.
Abbildung 3: Typische Inhalte auf Pro-Ana/Mia-Websites
„Du bist niemals zu dünn!“
Abbildung 1:
Personifizierung von „Ana“ als beste
Freundin (© 2006 Ruth Gwily)
Während der Pubertät sind junge Mädchen auf der Suche nach Verhaltensund Lebensmodellen. Die Darstellung von
Ana und Mia als erstrebenswerten Lifestyle greift diese Sinnsuche auf. Eine
Umfrage unter belgischen Schülerinnen
und Schülern zeigt, dass für gefährdete
junge Mädchen die Nutzung von ProAna/Mia-Websites normal und attraktiv
erscheint (Custers/Van den Bulck 2009).
Pro-Ana/Mia-Angebote sind daher nicht
nur unter Essgestörten sehr populär. Sie
ziehen auch junge Mädchen ohne Essstörung auf der Suche nach dem perfekten
Lifestyle in ihren Bann.
14 THEMA
JUGEND
Während Essgestörte ihr krankhaftes
Verhalten in der realen Welt verheimlichen,
weil sie befürchten zur Aufgabe und
Therapie der Essstörung gedrängt zu werden, legen sie es im Internet offen dar. Auf
den sehr jugendaffin gestalteten Angeboten finden sich immer wiederkehrende
typische Inhalte, die stetig weiter verbreitet
werden, indem sie von anderen ProAnas/Mias kopiert und in die eigene Webseite eingefügt werden (Abbildung 3).
Die Inhalte spiegeln typische Symptome
von Magersucht und Bulimie als psychische Störungen wider: Die Krankheit als
solche wird geleugnet. Essgestörte
Handlungen, Risiken und Folgen werden
verharmlost, indem sie als normal und
akzeptabel dargestellt werden. Zudem wird
suggeriert, dass man nur durch Ana bzw.
Mia zu Anerkennung und Erfolg gelangt.
Die krankhaften Verhaltensweisen erscheinen dadurch besonders nachahmenswert.
Gefährdend für Kinder und
Jugendliche
Erste Studien zur Wirkung von Pro-AnaAngeboten zeigen, dass die Nutzung der
Websites nicht ohne Risiko ist. Sogar
gesunde Frauen wiesen nach Sichtung
der Angebote ein erheblich negativeres
Selbstbild auf, was sich durch ein geringeres Selbstwertgefühl, ein verzerrtes
Körperempfinden und ein gesteigertes
Nachdenken über das eigene Gewicht
sowie Abnehmpläne äußerte (BardoneCone/Cass 2006, 2007). Vergleichbare
Effekte ergaben sich bei Heranwachsenden, insbesondere bei jungen Mädchen
(Custers/Van den Bulck 2009).
Übertragen auf (junge) Betroffene hieße
das: Tauschen sich Essgestörte unkontrolliert ohne entsprechende Beratung mit
Leidgenossen aus, kann dies ihr negatives
Selbstbild und die bereits verzerrte KörperWahrnehmung verstärken. Ein lebensge-
fährlicher Teufelskreis entsteht, der die
Betroffenen immer weiter in den Strudel der
Krankheit treibt, indem er zur Geheimhaltung animiert, zu weiterem krankhaften Essverhalten ermutigt und Hilfe wie
Beratung oder Therapie ablehnt. Als Teil
einer solch bestärkenden Gruppe fällt es
schwer die Krankheit als solche zu erkennen, die Gemeinschaft aufzugeben und
Heilung anzustreben (Csipke/Horne 2007,
203).
Heranwachsende vermögen aufgrund fehlender Erfahrungen, eines noch nicht gefestigten Wertebildes und einer teils noch
nicht voll entwickelten Reflexions- und
Einsichtsfähigkeit die Tragweite selbstgefährdender Verhaltensweisen nicht derart
einzuschätzen, wie dies Erwachsene können (Liesching 2009, 16). Die einseitige
Propagierung von Essstörungen ist für sie
daher besonders gefährlich.
Von jugendgefährdend
bis beeinträchtigend
Abbildung 4: Von jugendschutz.net erstellte Platzhalterseite www.anaundmia.de
Für die Bewertung einzelner Websites, die
Essstörungen verherrlichen, gelten die Vorgaben §§ 4 und 5 JMStV des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) für
jugendgefährdende oder beeinträchtigende Angebote. Die konkrete Beurteilung der
Jugendschutzrelevanz ist stets von der
Gestaltung des Einzelfalles abhängig.
Ein Angebot ist als jugendgefährdend einzustufen, wenn es suggestiv fordernd auf
Kinder und Jugendliche einwirkt, um sie zu
Lebensweisen zu drängen, welche dem
Erziehungsauftrag, der auch die Sorge um
das körperliche Wohl umfasst, widersprechen (BPjM 2009, 3). Dieser Tatbestand ist
erfüllt, wenn ein Angebot die oben aufgezeigten typischen Pro-Ana/Mia-Inhalte aufweist, Essstörungen einseitig verherrlicht
und Jugendliche zur Nachahmung animiert. Derartigen Websites muss ein geeignetes Altersverifikationssystem (AVS) vorgeschaltet werden, damit Minderjährige
nicht darauf zugreifen können.
Demgegenüber sind Inhalte in Pro-Ana/
Mia-Angeboten als beeinträchtigend einzustufen, wenn sie die Essstörung verharmlosen und verherrlichen, aber noch unterhalb
der Schwelle zur Jugendgefährdung liegen.
Dies kann etwa der Fall sein, wenn die drastischen Inhalte fehlen, die Essstörung aber
noch immer einseitig als positiv dargestellt
wird und die User nicht über Wege aus der
Essstörung informiert werden. Bei derartigen Angeboten muss dafür gesorgt werden, dass die Webseite von Kindern oder
Jugendlichen üblicherweise nicht wahrgenommen wird.
Schließlich gibt es neben jugendschutzrechtlich unbedenklichen sogar empfehlenswerte, fachlich betreute, niederschwellige Beratungsangebote, die der Krankheitsbewältigung dienen und Betroffenen
konkrete Hilfe anbieten.
Abbildung 5: Pro-Ana/Mia-Recherche von jugendschutz.net 2006 - 2008
Vorgehen bei
unzulässigen Inhalten
Gibt ein Pro-Ana/Mia-Angebot konkrete
Anleitungen zu einem selbstgefährdenden
Essverhalten und verharmlost oder verherrlicht Essstörungen, ist Handeln geboten.
Je nach Einschätzung eines Angebotes
ergeben sich unterschiedliche Handlungsoptionen.
I Beanstandung und Information der
Anbieter
Um eine schnelle Beseitigung zu erreichen,
wendet sich jugendschutz.net zunächst an
den Anbieter oder den Service-Provider
und bittet um Abhilfe. Die Verantwortlichen
erhalten so die Möglichkeit, im Vorfeld
eines förmlichen Verfahrens die Verstöße
zu beseitigen oder einen ausreichenden
Altersschutz vorzuschalten. Darüber hinaus animiert jugendschutz.net zu weitergehenden Maßnahmen. Zum Beispiel können
Provider nach Sperrung eines Pro-Ana/
Mia-Angebotes auf einen eigens dafür
erstellten Platzhalter weiterleiten, der Betroffene zu positiven Hilfsangeboten hinführt (Abbildung 4).
I Weiterleitung an die Medienaufsicht
Sollte die direkte Ansprache des Anbieters
ohne Erfolg bleiben, leitet jugendschutz.net
den Fall an die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) weiter. Diese entscheidet über ein mögliches aufsichtsrechtliches Verfahren.
THEMA
JUGEND
15
I Anregung einer Indizierung bei der
BPjM
Bei einfach jugendgefährdenden Inhalten
aus dem In- und Ausland regt jugendschutz.net über die KJM eine Indizierung
durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien an. Wurde ein Angebot
indiziert (BPjM 2008, 2009), darf die Webseite Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht, verlinkt oder beworben
werden. Auch geben deutsche Suchmaschinen auf Basis einer Selbstverpflichtung indizierte Websites nicht mehr als
Treffer aus (FSM 2004, 2). Hierdurch wird
zumindest die Auffindbarkeit von jugendgefährdenden Inhalten verringert.
I Weiterleitung an Partner-Hotlines /
ausländische Provider
Da Pro-Ana/Mia-Angebote im Ausland nur
selten sanktioniert werden, gestaltet sich
die Durchsetzung von Maßnahmen hier
schwierig. Dennoch versucht jugendschutz.net im Kontakt mit Providern und
über das internationale Hotline-Netzwerk
INHOPE grenzüberschreitende Lösungen
voranzubringen. Acht von zehn an INHOPE-Partner oder Provider weitergeleitete
Verstöße wurden daraufhin beseitigt.
Schlussbemerkung
Bei über 80 Prozent der Pro-Ana/MiaAngebote, die jugendschutz.net recherchiert und bewertet hat, bestand dringender Handlungsbedarf. Viele Angebote
waren einzig und allein darauf angelegt, die
Essstörung als erstrebenswerten Lebensinhalt zu verherrlichen, Erkrankte oder
potentiell Gefährdete in ihrem Vorhaben zu
bestätigen, weiter Gewicht zu verlieren und
den Austausch über gesundheitsgefährdende Abnehmmethoden zu fördern. Für
diese Angebote wurden die oben skizzierten Maßnahmen umgesetzt mit dem
Ergebnis, dass bei 8 von 10 Websites
unmittelbar nach der Beanstandung durch
jugendschutz.net ausreichende Veränderungen vorgenommen wurden (Abbildung 5).
Auch in Zukunft wird jugendschutz.net das
Phänomen im Blick behalten und bei
jugendgefährdenden oder beeinträchtigenden Websites tätig werden. Beschwerden
über bedenkliche Angebote können per
Web-Formular unter www.jugendschutz.
net/hotline oder per E-Mail an hotline@
jugendschutz.net gesendet werden.
쏋
Literatur:
Bardone-Cone, A. M./Cass, K. M.: What Does Viewing
a Pro-Anorexia Website Do? An Experimental Examination of Website Exposure and Moderating Effects. In:
International Journal of Eating Disorders 2007, 40:6,
537-548.
Bardone-Cone, A. M./Cass, K. M.: Investigating the
Impact of Pro-Anorexia Websites. A Pilot Study. In:
European Eating Disorders Review 2006, 14, 256-262.
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien: Indizierung eines deutschsprachigen Pro-MagersuchtBlog zum Thema Anorexia nervosa. In: BPjM-Aktuell
1/2009, 3-14.
16 THEMA
JUGEND
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien:
Indizierungsentscheidung: http://ana-hanna-blogspot.
com. Entscheidung vom 04.12.2008, Nr. 5601.
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien: „ProAnorexie-Internet-Angebote" und deren Bewertung
durch das BPjM 12er-Gremium. In: BPjM-Aktuell
2/2008, 19-24.
Csipke, E./Horne O.: Pro-Eating Disorder Websites:
Users’ Opinions. In: European Eating Disorders Review
2007, 15, 196-206.
Custers, K./Van den Bulck, J.: Viewership of pro-anorexia websites in seventh, ninth and eleventh graders. In:
European Eating Disorders Review 2009, 17, 214-219.
Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter
e.V.: Verhaltenssubkodex für Suchmaschinenanbieter
der FSM, 3 Seiten: http://www.fsm.de/inhalt.doc/Verhaltenssubkodex SuMa.pdf (Stand 21.12.2004).
Holtkamp, K./Herpertz-Dahlmann, B.: Anorexia und
Bulimia nervosa im Kindes- und Jugendalter. In:
Deutsches Ärzteblatt 2006, 102/1-2, 50-58, 2005.
Liesching, M.: Kommentar zur Entscheidung der BPjM.
In: BPjM-Aktuell 1/2009, 15f.
Materialien für pädagogische Fachkräfte:
Gegen Verherrlichung von Essstörungen im
Internet. Ein Ratgeber für Eltern, pädagogische Fachkräfte und Provider. Broschüre
herausgegeben vom Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
2009.
Wer ist Ana? Verherrlichung von Essstörungen im Internet. Faltblatt herausgegeben von jugendschutz.net, 2009.
Katja Rauchfuss (M.A.) ist Medienwissenschaftlerin, Hotline-Expertin und
Junior-Rechercheurin bei jugendschutz.net (Mainz).
MATERIAL ZUM THEMA
Bücher
Julia Riebel
Spotten, Schimpfen, Schlagen…
Gewalt unter Schülern – Bullying und
Cyberbullying
Verlag Empirische Pädagogik, Landau
2008.
Dieses Buch beschäftigt sich mit einer speziellen Erscheinungsform schulischer Gewalt, dem „Bullying“, auch als „Mobbing“
bekannt. Zudem wird ein neueres Phänomen genauer betrachtet: Was steckt
hinter Cyberbullying, bei dem sich Schüler
über das Internet beschimpfen oder bedrohen? Ist es nur eine weitere von vielen
Spielarten schulischer Gewalt oder haben
wir es hier mit einem völlig neuartigen
Problem zu tun? Als eine der (bislang noch)
wenigen Publikationen zu diesem Thema
versucht das Buch, diese Fragen zu beantworten.
Petra Grimm / Stefanie Rhein / Elisabeth
Clausen-Muradian
Gewalt im Web 2.0
Der Umgang Jugendlicher mit gewalthaltigen Inhalten und Cyber-Mobbing sowie die
rechtliche Einordnung der Problematik
Niedersächsische
Landesmedienanstalt
(NLM), Berlin 2008.
Die Studie liefert Erkenntnisse darüber,
welche gewalthaltigen Inhalte von Kindern
und Jugendlichen im Web 2.0 genutzt
werden, wie sie dazu Zugang bekommen,
warum sie diese nutzen und wie sie die
Gewalt verarbeiten. Ebenso werden aktuelle Befunde zur Gewalt via Internet (Beschimpfungen, Belästigungen, Mobbing),
zur Kontrolle der Eltern und zu möglichen
Maßnahmen vorgelegt. Ergänzend werden
jugendschutzrelevante Aspekte und der
Handlungsbedarf definiert sowie eine
rechtliche Einordnung der Gewalt im
Internet vorgenommen.
Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und
Jugendschutz
Computerspiele. Jugendschutz und
Altersfreigaben
BAJ, Berlin, Dossier Computerspiele
1/2009.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinderund Jugendschutz hat in einem Dossier
den derzeitigen Stand der gesetzlichen
Regelungen in Bezug auf die Altersfreigaben von (Online)Computerspielen zusammengefasst. Darüber hinaus werden
pädagogische Empfehlungen für Eltern
zum Umgang mit Computerspielen gegeben.
Das Dossier kann kostenlos (auch in höherer Stückzahl) über die Homepage der
BAJ (www.bag-jugendschutz.de) oder
über die Adresse: Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V.,
Mühlendamm 3, 10178 Berlin, material
@bag-jugendschutz.de bestellt werden. Es
steht darüber hinaus auch zum Download
bereit unter www.bag-jugendschutz.de.
Wolfgang Antes / Eva Rothfuß
Web 2.0 für Jugendliche
Jugendbildung und Medienpädagogik
am Beispiel von jugendnetz.de
Juventa-Verlag, Weinheim und München
2008.
Am Beispiel von jugendnetz.de, einer der
meistbesuchten Jugendinformationsseiten
in Deutschland, werden die zentralen
Fragen gestellt: Was wollen Jugendliche im
Internet? Wie kann und soll eine Plattform
aussehen, die von und für Jugendliche
gemacht wird? Im ersten Teil des Buches
setzt Wolfgang Antes dazu neueste
Forschungsstudien, eigene Erhebungen
und bildungspolitische Entwicklungen zueinander in Beziehung. Im zweiten Teil
ergänzt Eva Rothfuß diese Ergebnisse um
eine detaillierte Darstellung der aktuellen
Tools, Features und Module von jugendnetz.de.
Ben Bachmair
Medienwissen für Pädagogen
Medienbildung in riskanten Erlebniswelten
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009.
Mit diesem Lehrbuch erhalten Studierende
und pädagogische Fachkräfte die Möglichkeit, Bildungschancen in der heutigen
Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen
zu entdecken. Das Buch analysiert Lifestyle-Events wie die Love Parade oder
Handy-Videos im Internet mit dem Ziel,
Medien als Bildungsressourcen zu nutzen.
Eine Neuinterpretation der Bildungstheorie
zeigt, wie Orientierung und Qualität oder
auch Lernen mit dem Handy möglich sind.
Thomas Dörken-Kucharz (Hrsg.)
Medienkompetenz
Zauberwort oder Leerformel des Jugendmedienschutzes?
Nomos, Baden-Baden 2008.
„In Debatten um den wirkungsvollen
Jugendmedienschutz steht meist der
Begriff ‚Medienkompetenz’ wie eine
Zauberformel im Mittelpunkt.“ Diese These
bildete die Überschrift für eine Tagung von
ARD, ZDF und den Rundfunkreferaten der
Evangelischen und Katholischen Kirche,
die 2006 durchgeführt wurde. Zu dieser
Veranstaltung erschien der hier vorliegende
Tagungsband, der zehn verschiedene
Beiträge vereint, die das Verhältnis von
Jugendmedienschutz, Medienbildung und
Medienkompetenzvermittlung ausloten.
Zeitschriften
proJugend Nr. 2/2009
Generation Web 2.0 – Herausforderungen für den Jugendschutz
Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle
Bayern, München 2009.
Jugendliche Internetnutzer sind begeisterte
Anwender der Angebote des Web 2.0.
Viele sind sich dabei jedoch der Gefahren
und negativen Folgen eines unreflektierten
Umgangs mit dem Internet nicht oder zu
wenig bewusst. Auch das Angebot von
jugendschutzrelevanten oder strafrechtlichen Inhalten stellt ein zunehmendes
Problem des expandierenden Internetangebots dar. Mit den Beiträgen in diesem
Heft werden diese Themen aufgegriffen,
aber auch Anregungen für pädagogische
Projekte vorgestellt.
Die Zeitschrift ist zum Preis von 2,80 Euro
(zzgl. Porto/Versand) unter der Bestell-Nr.
23301 zu beziehen bei:
Aktion Jugendschutz
Landesarbeitsstelle Bayern e.V.
Fasaneriestraße 17
80636 München
Telefon: (089) 121573-11
E-Mail: [email protected]
Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft
und Praxis (KJuG) 2/2009
Cybermobbing
Reinhardt Verlag, München 2009.
Das Thema Mobbing im virtuellen Raum
stellt Eltern, Lehrer, Pädagogen und
Psychologen vor eine schwierige Aufgabe.
In diesem Heft zeigen die Autorinnen und
Autoren das Ausmaß und die spezifischen
Formen des Mobbings im Internet anhand
eigener Studien auf und nehmen eine
rechtliche Einordnung der „Taten“ vor. Sie
nehmen die Täter in den Blick, zeigen die
Folgen für die Opfer auf und erläutern
Herangehensweisen und Präventionsmöglichkeiten.
Die Ausgabe kann zum Preis von 16 Euro
bestellt werden beim:
Ernst Reinhardt Verlag
Kemnatenstr. 46, 80639 München
E-Mail: [email protected]
Film
Medienprojekt Wuppertal
Play life
Wuppertal 2007.
Der Film porträtiert verschiedene Computerspieler im Alter von 15 bis 25 Jahren. Sie
beschreiben, was und wie häufig sie spielen und was sie motiviert: Neben den
jugendlichen Spielern kommen auch Eltern
zu Wort. Sie problematisieren die Vernachlässigung sozialer Kontakte und der schulischen Leistungen ihrer Kinder. In einem
Interview mit dem Medienwissenschaftler
Jürgen Sorg beschreibt dieser zudem
Computerspiele als kulturelles Repertoire
der Neuzeit mit der Einladung zum Mitgestalten.
40 Minuten, freigegeben ab 12 Jahren, als
DVD oder Video erhältlich.
Kaufpreis jeweils 30 Euro, Ausleihe 10 Euro,
www.medienprojekt-wuppertal.de
BDKJ-Journal
Was bedeutet die medial aktive Gesellschaft für Glaube und Kirche? Und was für
die katholische Jugendverbandsarbeit?
Jugendliche sind im Internet noch um einiges aktiver und auch fitter als Erwachsene.
Das BDKJ-Journal hat einigen Autorinnen
und Autoren die Fragen gestellt, welche
Auswirkungen die neuen Medien auf den
Glauben junger Menschen haben. Nutzen
Verbände und Kirchenleitung die Medien,
um junge Leute zu erreichen? Und was
spricht wen an? Gebrauchen Jugendliche
unterschiedlicher Milieus das Internet in
anderer Weise?
Antworten geben die Artikel der
Ausgabe Juli/August 2009 des BDKJJournals, Postfach 32 05 20, 40420
Düsseldorf.
FLIMMO für Fachkräfte
FLIMMO hat für Fachkräfte ein neues
Fachportal zur Medienerziehung eröffnet.
Dort finden pädagogische Fachkräfte,
Eltern und andere Interessierte zahlreiche
Tipps zur Medienarbeit mit Kindern. Spiele
und Anregungen zur gestalterischen Aufarbeitung von Medieninhalten sind dort
genauso aufgeführt, wie fundierte wissenschaftliche Basisliteratur oder Tipps zur
medienpädagogischen Elternarbeit. Im
umfangreichen Servicebereich stehen zahlreiche Materialien zu den verschiedensten
Medien zum Bestellen und Downloaden
bereit:
Infos unter: www.flimmo-fachportal.de
THEMA
JUGEND
17
BÜCHER
Jürgen Holtkamp
Verblöden
unsere
Kinder?
Neue Medien als
Herausforderung
für Eltern
쏋 Längst haben Medien die Kinderzimmer
erobert. SchülerVZ, Chatrooms, E-Mails
und Handys sind für Kinder und
Jugendliche selbstverständliche Wegbegleiter in ihrem Alltag. Viele Eltern fühlen
sich angesichts der Medienflut überfordert
und können kaum noch mithalten.
Welchen Einfluss haben die Medien auf die
Erziehung? Sind sie gar die heimlichen
Erzieher?
Wenn Kinder in einer Gesellschaft aufwachsen, in der Multimedia, Fernsehen,
Computer und Internet selbstverständlich
sind, kann die Alternative nicht lauten,
Kinder davon fernzuhalten. Die eigentliche
pädagogische Herausforderung lautet:
Erziehung der Kinder zur Medienkompetenz!
쏋
240 Seiten, Preis: 17,90 Euro, gebunden,
ISBN 978-3-7666-1286-1, Kevelaer 2009.
Winfried Kaminski /
Martin Lorber
Clash of
Realities
Computerspiele
und soziale
Wirklichkeit
쏋 Computer- und Medienspiele sind als
Unterhaltungsmedium weit verbreitet. Als
nicht nur jugendkulturelles Phänomen stehen sie im Fokus der Diskussion, spätestens immer wieder dann, wenn Gewalteskalationen die Öffentlichkeit schockieren
und in kausalen Zusammenhang gebracht
werden.
Das Buch „Computerspiele und soziale
Wirklichkeit“ ist eine Dokumentation ausgewählter Beiträge einer Fachtagung unter
dem Titel „Clash of Realities“ zu Computerund Videospielen im März 2006 in Köln.
Ausgerichtet wurde die Tagung gemeinsam von der Fachhochschule Köln und der
Firma Electronic Arts.
Die beiden unterschiedlichen Veranstalter
lassen vermuten und ein Blick in das
Autorenverzeichnis zeigt, dass hier sehr
unterschiedliche Disziplinen aus verschiedenen Perspektiven das Thema ins
Blickfeld nehmen.
18 THEMA
JUGEND
Die Spanne reicht von Beiträgen aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive über
kommunikationswissenschaftlichen, soziologischen, psychologischen bis hin zu
spiel- und kulturtheoretischen Blickwinkeln.
Die Vorträge gliedern sich in vier Abschnitte. Der erste, eher theoretische Teil
„Digitale Aneignung der Umwelt“ bettet die
Computerspiele-Erforschung ein in verschiedene akademische Traditionen wissenschaftlicher Erforschung von Spielen.
Ein Kinderpsychologe legt dar, wie Kinder
sich in hochkomplexen Spiel- und virtuellen
Welten üben. Weiterhin wird in einem
Beitrag die Forschung hinsichtlich einer
narrativen Ästhetik digitaler Sprache vorgestellt, ebenso wie spieletheoretische Untersuchungen von Strategiespielen als
Gesellschafts-Simulation.
Der zweite Teil „Virtuelle und reale Welten“
wird konkreter und versucht, Antworten
auf Fragen nach den Gründen für die Attraktivität von Computerspielen zu geben.
Noch große Erkenntnischancen werden in
der Weiterentwicklung der Neurowissenschaften gesehen. Forschungen zur Erfassung und Entschlüsselung von Spielespaß werden thematisiert, nicht ohne auch
gesundheitliche Konsequenzen wie Bewegungsmangel zu erwähnen. Ein Beitrag
aus der empirischen Kommunikationsforschung befasst sich mit dem Thema
Gewaltspiele und Aggression. Was sind
gewalthaltige Computerspiele? Wie lässt
sich ihr Einfluss messen? Gibt es neben in
zahlreichen Studien erwiesenen Hinweisen
auf kurzfristige Förderung aggressiver
Gemütszustände auch langfristige Wirkungen im Hinblick auf Förderung von
Aggression oder Abschwächung prosozialer Verhaltensweisen? Wie bedingen sich
eine aggressive Persönlichkeit und Nutzung gewalthaltiger Computerspiele gegenseitig?
Die Faszinationskraft von nie stillstehenden
Online-Spielen am Beispiel der Spielewelt
„Ogame“ wird im dritten Teil „Rollenspiele:
Virtuell und real“ anschaulich vermittelt. Ein
bekennender Computerspieler führt in die
Welt der MMORPGs („Massively Multiplayer Online Role Playing Games“), erklärt
das Genre anhand des massiv erfolgreichen Spiels „World of Warcraft“. Auch
wenn er zumindest suchtähnliches Nutzungsverhalten zugesteht, sieht er für die
meisten Spieler, die darin lediglich eine entspannende Freizeitbeschäftigung suchen,
auch deren Potential an kreativen Möglichkeiten. Ein medienkultureller Beitrag
verneint die Frage, ob Computerspiele ein
jugendkulturelles Referenzmedium sind:
die Mehrzahl der Spieler sind eher postadoleszente Twens, Amerika verzeichnet
bereits eine Zunahme Spiele-begeisterter
Senioren. Wie werden weibliche Gameheldinnen repräsentiert? Die Weiblichkeitsmodelle als Kombination von Hyperweiblichkeit und skrupelloser Aggressivität for-
dert eine weibliche Fankultur heraus, sich in
„Lookalikes“ nach dem Vorbild virtueller
Heldinnen selber zu inszenieren und mit
Bildern ins Internet zu stellen.
Ein viertes Kapitel widmet sich dem
Handlungsfeld Schule. Sind durch elektronische Bildschirmspiele nur Lern- oder
auch Bildungsprozesse möglich? Als wichtiger als die Frage nach der Spielwahl
(„Was spielst Du?“), wird die Frage nach
der Spielpraxis („Wie spielst Du?“) gesehen. Ein Blick in die moderne Musikpädagogik; die den Schülern nicht ihre Musik
ausredet, sondern ihre identitätsbildende
Funktion akzeptiert und für neue Zugänge
zu anderer Musik nutzt, könnte hier hilfreich
sein.
In einer guten Spielpraxis könnte auch eine
Lernchance liegen. Aus der Schulpraxis
werden Anregungen gegeben zur Vermittlung von Medienkompetenz: Elternaufklärung, Positiv-Listen mit Spielen, Diskussion über problematische Inhalte, Begleitung der Spieler in der Schule am
Beispiel von schulischen LAN-Parties u.a.
LisszNet als Kommunikations-, Informations- und Lernplattform für Mädchen trägt
der Tatsache geschlechtsspezifischer Unterschiede im Umgang mit neuen Medien
Rechnung. Ein letzter Beitrag geht der Spur
multimedialer Inszenierung kinderliterarischer Stoffe am Beispiel der Bilder- und
Kinderbücher von Janosch nach.
Das Buch gibt viele Anregungen zu Diskussionen zwischen den Wissenschaftsdisziplinen. Erwartungsgemäß differieren
die Meinungen. Die unterschiedlichen
Beiträge öffnen vielseitige Blickwinkel auf
das Thema. Weder wird es verharmlost,
noch dominieren einseitige Warnungen vor
Computerspielen als bloßes Übel. Ziel der
Tagung und des Buches ist es, die
Diskussion zu versachlichen und begründet zu argumentieren. Jede Wissenschaft
hat ihre eigene Fachsprache, die für den
Laien nicht immer einfach zu verstehen
ist, so dass die Lektüre einiger Beiträge
einer gewissen Anstrengung bedarf. Dem
Computerspiele-Unkundigen (zu denen die
Rezensentin sich zählt) wird die Welt der
Computer- und Medienspiele vielleicht
erstmals kaleidoskopartig erschlossen.
Der Insider profitiert von den Forschungskenntnissen und der Sichtweise der jeweils
anderen Fachdisziplin. Insgesamt gelingt
der Tagung und dem Buch der Versuch
der Annäherung an ein komplexes, gesellschaftlich sehr aktuelles Thema, das noch
lange nicht ausdiskutiert sein wird.
Mögen Tagungen und Bücher wie diese
dazu beitragen, einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser Spieleform zu lernen!
Dr. Eva Bolay 쏋
253 Seiten, Preis: 16,80 Euro, ISBN-13:
978-3-938028-44-5, München 2009.
INFORMATIONEN ZUM THEMA
Heranwachsen mit dem
Social Web
tionsdienst mit der Geschäftsstelle am
Ehrenfelder Helmholtzplatz.
Die Rolle von Web 2.0-Angeboten im Alltag
von Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben das Hans-Bredow-Institut für
Medienforschung an der Universität Hamburg und der Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg
in einer Studie für die Landesanstalt für
Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) untersucht. Die der Öffentlichkeit vorgestellte
Studie stützt sich auf eine Analyse der
wesentlichen Angebotsmerkmale des so
genannten Social Web, Gruppendiskussionen und Einzelinterviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie eine
Repräsentativbefragung unter zwölf- bis
24-jährigen Online-Nutzern in Deutschland. Dem Begriff Social Web werden dabei vor allem Netzwerkplattformen (z. B.
SchülerVZ, StudiVZ), Videoplattformen (z.
B. You-Tube), Instant Messaging-Dienste
(z. B. ICQ, MSN) sowie Weblogs und Wikis
zugerechnet.
Eine ausführliche Zusammenfassung
ist als PDF-Datei verfügbar unter:
http://www.lfm-nrw.de/downloads/
zusammenfassung socialweb.pdf
Zusätzlich zu diesem Angebot soll jmd4you
diejenigen Jugendlichen ansprechen, die
bislang nicht von der face-to-face-Beratung
der Jugendmigrationsdienste erreicht wurden und die zunächst bevorzugen, anonym
Fragen stellen wollen.
Die Plattform jmd4you ist das erste Angebot
dieser Art, denn es richtet sich gezielt an
junge Menschen mit Migrationshintergrund
im Alter zwischen 12 und 27 Jahren. Die
Online-Begleiter/innen sind langjährige Beratungsprofis aus den Jugendmigrationsdiensten, die unabhängig von öffentlichen
Institutionen wie zum Beispiel dem Jugendamt oder der Ausländerbehörde arbeiten.
Gefördert wird das Projekt jmd4you aus
Mitteln des Europäischen Integrationsfonds
und durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Stell deine Fragen! – online,
anonym und kostenlos
Trägerübergreifende Plattform zur Begleitung von jungen Migrantinnen und
Migranten jetzt online
jmd4you heißt die neue Online-Anlaufstelle
für Jugendliche mit Migrationshintergrund.
Unter www.jmd4you.de können junge Menschen ihre ganz persönlichen Fragen stellen:
- „Wie finde ich mit meinen Zeugnissen
einen Ausbildungsplatz in Deutschland?“
- „Wo kann ich mich zu einem Sprachkurs
anmelden?“
sind zum Beispiel solche Fragen.
„Was gefällt mir in Deutschland?“ oder „Wie
ist das mit meinem Aufenthaltsstatus?“ sind
weitere Themen, die junge Migrantinnen
und Migranten berühren und die sie auch
in Chats mit anderen Jugendlichen und
den professionellen Online-Begleitern von
jmd4you in verschiedenen Sprachen diskutieren können.
Die Online-Plattform wurde als Ergänzung
zur Beratung von jungen Migrantinnen und
Migranten in den Jugendmigrationsdiensten entwickelt. Seit vielen Jahren werden
junge Menschen mit Migrationshintergrund
bundesweit in rund 400 Jugendmigrationsdiensten von interkulturell ausgebildeten
Fachkräften individuell beraten und in ihrer
sozialen und beruflichen Integration unterstützt. In Köln unterhält das Katholische
Jugendwerk Köln e.V. den Jugendmigra-
Weitere Informationen erhalten Sie bei
Ihren Ansprechpartnern:
Daniel Könen
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Katholische Jugendwerke Köln e.V.
Telefon: (0221) 921335-24
Markus Kaufmann
Fachbereichsleiter Migration und Integration
Katholische Jugendwerke Köln e.V.
Telefon: (0221) 9332929
12 goldene
Suchmaschinen-Regeln
Ende April ist die 2. aktualisierte Auflage der
Broschüre der Landesanstalt für Medien
NRW (LfM) „12 goldene SuchmaschinenRegeln“ erschienen: Mit ihr will die LfM zu
mehr Sicherheit im Umgang mit Suchmaschinen und dem Internet beitragen. Angesichts der überwältigenden Fülle von Angeboten im Internet haben die Suchmaschinen
eine zentrale Rolle für das Finden von
Informationen. Aber auch Suchmaschinen
weisen oft Ergebnisse aus, die für die individuelle Suchanfrage nicht passen.
Während andere Handreichungen lediglich
Tipps zur effizienten Suche im Internet
geben, will die LfM-Broschüre zusätzlich
den Blick auf mögliche Probleme bei der
Nutzung von Suchmaschinen schärfen:
Wie erkennt man z. B. versteckte Werbung
in Suchmaschinen? Was müssen Eltern bei
der Eingabe von Suchbegriffen wissen,
damit ihre Kinder nicht auf für sie ungeeignete Internetseiten stoßen? Die neue Information versteht sich dabei als nutzerfreundliches Angebot.
Download unter:
http://www.lfm-nrw.de/downloads/
ratgeber-suchmaschinen-farbe.pdf
Partnerportale
von netzcheckers.net
쏋 Ab dem 1. März 2009 können Einrichtungen der Jugendarbeit und Medienzentren mit einem Partnerportal eine eigene
interaktive Internetseite mit pädagogischem Anspruch gestalten, die alle Möglichkeiten des Web 2.0 bietet. Die Netzwerk-Partner erhalten medienpädagogischen Service, der von der Teilnahme an
Fachveranstaltungen und Spielaktionen
über Beratung bis hin zu Methoden-Sets
für Medienprojekte reicht. Darüber hinaus
können sich die Netzwerk-Partner in Qualifizierungskursen und durch den Austausch
im Netzwerk fortbilden.
Mit den Partnerportalen will das Jugendportal netzcheckers.de die Jugendarbeit in
Deutschland vernetzen, bestehende Kooperationen stärken und medienpädagogische Angebote ausweiten. Das Angebot
richtet sich an Medienzentren und Einrichtungen der Jugendarbeit, die an einen
Träger der Jugendhilfe angeschlossen
sind, mit anderen Mitgliedern des Partnernetzes kooperieren wollen und aktive
Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen entwickeln möchten. Einen Eindruck
von der Partnerportalsoftware und ihren
Möglichkeiten erhalten Interessenten unter
www.netzcheckers.net.
Für Jugendeinrichtungen sind die Partnerportale in der Regel kostenlos.
쏋
Selbstdarstellung
Jugendlicher
쏋 Das „Mitmach-Internet“ wartet mit neuen Möglichkeiten auf: Jugendliche können
in Web 2.0-Angeboten eigene Werke produzieren, sich selbst präsentieren und sich
mit anderen über das eine wie das andere
austauschen. „Wie zeige ich mich selbst
und was kann ich?“ ist in der heutigen
Jugendgeneration eine wichtige Frage
geworden. Eine besondere Auffälligkeit: In
ihren Selbstdarstellungen beziehen sich
die Heranwachsenden häufig auf massenmediale Inhalte und stellen diese in neue
Zusammenhänge.
Nun wurden die Ergebnisse des ersten
Teils der Studie „Das Internet als Rezeptions- und Präsentationsplattform für
Jugendliche“ vorgestellt.
Die Ergebnisse sind unter dem Titel
„Web 2.0 als Rahmen für Selbstdarstellung und Vernetzung Jugendlicher“
veröffentlicht und abrufbar unter:
www.jff.de und www.blm.de
쏋
Perspektivwechsel
www.grenzenlos-spielen.de – Die Seite der
ginko Stiftung für Prävention bietet drei
verschiedene Blickwinkel auf das Thema
Computerspiele. Die Elternperspektive
(„Wir machen uns Sorgen“) trägt Erfahrungsberichte von Eltern zusammen, geht
auf typische Fragen ein und bietet OnlineKurse, Buchempfehlungen und Verweise
auf Selbsthilfeangebote an. Die Perspek-
THEMA
JUGEND
19
tive der Jugendlichen („meine Eltern dramatisieren mein Computerspielen“) vertreten erfahrene Spieler, die von ihrer Faszination erzählen. Zudem gibt es (bislang
nur zwei) Spielebeschreibungen, Top-10Listen und Links auf Spieler-Foren. Auf der
Expertenseite werden Forschungsergebnisse und die Bewertung der USK vorgestellt, aber auch Tests zur Einschätzung
des Selbstverhaltens sowie weiterführende
Literatur- und Linktipps angeboten.
101 Projektideen
gegen Rechtsextremismus
letzung, Demütigung, Erniedrigung usw.
anderer angemessen reagieren können?”
In dem Handbuch 101 Projektideen gegen Rechtsextremismus werden zahlreiche, in der Praxis erprobte Projekte mit Mut
machendem Charakter vorgestellt, um
dem Rechtsextremismus das Wasser abzugraben.
Studie zu
„Augen auf! Werbung“
쏋 Die Ergebnisse der nun fertig gestellten
Studie zum Lerntransfer der Unterrichtsmaterialen, die Media Smart in Kooperation
mit dem Institut für Medienforschung und
Medienpädagogik der FH Köln an vier
Grundschulen in NRW durchgeführt hat,
sprechen mit ihren durchaus positiven
Ergebnissen für den weiteren Einsatz der
Materialien im Grundschulunterricht.
Die Studie bezieht in ihre qualitative Untersuchung Aussagen von Lehrern, Eltern und
Kindern ein und erzielt damit eine alltagsnahe Betrachtung der Materialien. Zusammengefasst hat die Evaluierung zeigen
können, dass es grundsätzlich möglich ist,
mit dem Einsatz der Materialien Lernprozesse bei Grundschulkindern zu aktivieren. Dabei ist vor allem den Eltern eine alltags- sowie lebensweltbezogene Auseinandersetzung mit der medialen Wirklichkeit
äußerst wichtig. Sie begrüßen den Einsatz
realer Werbespots und sehen darin eine
notwendige Voraussetzung, Kinder in ihrer
Medienkompetenz zu stärken.
Weitere konkrete Ergebnisse der
Evaluation können in einer Zusammenfassung auf der Internetseite
http://www.mediasmart-lehrer.de/
content/view/26/68/ nachgelesen werden.
쏋
BÜCHER
228 Seiten, 14 x 14 cm, ISBN: 978-3-00027320-9, Schwerte 2009.
(Preise: 1 Ex. 5,- Euro / ab 30 Ex. je Ex. 4,Euro / ab 100 Ex. Preis auf Anfrage)
Die wirksame Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus beginnt nicht erst,
wenn Rechtsextremisten aktiv werden oder
aufmarschieren. Sie beginnt im Elternhaus,
im Kindergarten, in der Schule und insbesondere in der Jugendarbeit.
Weil Demokratie eine andauernde Herausforderung und Provokation für Rechtsextremisten und Neonazis ist und sie erklärterweise unsere Demokratie stürzen wollen, geht es vor allem darum, sich mit
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
zu verständigen und um möglichst mit allen
Sinnen zu begreifen, zu erfahren und zu
verstehen, was Sinn macht, Wert hat, als
Regel taugt und deshalb für alle gelten soll
und kann.
Themen wie Demokratieentwicklung, Erinnerungsarbeit, Gewaltdeeskalation, Rassismus, Menschenrechte, Antisemitismus,
Sexismus usw. und die reflektierende,
gelebte Praxis von Demokratie stehen
dabei ebenso im Vordergrund wie die
Frage: „Was brauchen Kinder, Jugendliche
und Erwachsene, damit sie auf die Ver-
Bestellungen:
Gewalt Akademie Villigst
Haus Villigst, 58239 Schwerte
E-Mail: [email protected]
Telefon: (02304) 755190
Telefax: (02304) 755248
www.gewaltakademie.de
Christina Fischer / Alexis Athemeliotis
(Hrsg.)
Jugend – Migration –
Sozialisation – Bildung
Festschrift zum 65. Geburtstag von
Hartmut M. Griese
쏋 In der vorliegenden Festschrift versammeln sich ehemalige Doktoranden und
Mitarbeiter von empirischen Projekten des
Migrationssoziologen, Jugendforschers,
Erwachsenenbildners und Sozialisationstheoretikers Prof. Dr. Hartmut M. Griese
von der Leibniz Universität Hannover mit
pädagogischen, erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Beiträgen, die in einem
thematischen Kontext zu den Forschungen
und Publikationen des Jubilars stehen.
Die Jugend der Pfarrgemeinde St. Benedikt in Münster renovierte einen Spielplatz und organisierte ein Spielfest für die Kinder des nahe gelegenen Asylbewerberheims.
Foto: Jürgen Wiltink
20 THEMA
JUGEND
Der inhaltliche Reigen geht dabei von
biographisch-persönlichen Annäherungen
(z.B. zu Erwachsenensozialisation und Lebenslauf) über pädagogische Überlegungen (zur Transzendenz, zur Kinder- und
Jugendarbeit, zu Mentoríng und zu Liebe
im Alter) und mündet schließlich in mehreren theoretischen Aufsätzen zu Kompetenzen von Migranten, zu aktuellen Jugendkulturen, zu Fragen von Migration, Identität
und Integration sowie zu aktuellen Diskursen über Interkulturalität, Transkulturation und Transmigration, wobei eine postmoderne essayistische Perspektive im
Mittelpunkt steht.
Besonders erwähnenswert ist die Tatsache, dass sich in dieser Festschrift Beiträge von Wissenschaftlern und Praktikern
aus unterschiedlichen Herkunftsländern
finden. Neben Ost- und Westdeutschland
schreiben auch Autorinnen und Autoren
aus Polen, Russland, Türkei, Iran und
Kurdistan, was auch die ausgeprägte international-interkulturelle bzw. kooperative
Ausrichtung der wissenschaftlichen Aktivitäten von Hartmut M. Griese dokumentiert.
쏋
288 Seiten, Preis: 24,90 Euro, ISBN 978-3643-10088-7, Berlin 2009.
Bildungsverständnis, in dem gleichberechtigte Partner miteinander kooperieren.
In ihrem thesenartig formulierten, nicht
immer ganz leicht zugänglichen Beitrag
geht dann Martina Richter insbesondere
auf den Zusammenhang von Familie und
Bildung ein. Sie verweist u.a. kritisch auf
die Zusammenhänge von sozialer Herkunft
und Bildungsabschluss, und stellt die provokante Frage „Bilden Eltern ‚richtig?’“
Zudem lenkt sie den Blick auf die nötige
Neu-Justierung des Verhältnisses von
Familie und Schule angesichts der zunehmenden Ganztagsorientierung.
Klaus Jürgen Tillmann richtet mit seiner kritischen Beschreibung des deutschen
Schulsystems, das seiner Ansicht nach
gekennzeichnet ist durch „viel Selektion –
wenig Leistung“ den Blick auf immanente
Widersprüche, die schon bei Niklas Luhmanns systemtheoretischem Blick auf das
Erziehungs- und Bildungssystem zu finden
waren und seither sicher nicht viel von
ihrer Bedeutung oder Aktualität verloren
haben. Angenehm, dass hier mal nicht der
stets notwendig erscheinende Blick nach
Finnland gewählt, sondern das kanadische
Schulsystem als Vergleichsgröße herangezogen wird. Als Fazit dieses Vergleichs
fordert der Autor, auch vor seinem Hintergrund als wissenschaftlichem Leiter der
Bielefelder Laborschule, ein Umdenken
vom „selektiven zum fördernden Schulsystem“.
Karin Böllert (Hrsg.)
Von der Delegation
zur Kooperation
Bildung in Familie, Schule, Kinder- und
Jugendhilfe
쏋 Bildung hat viele Orte – so könnte man
den Ausgangspunkt dieses Bandes in aller
Kürze umschreiben. In insgesamt sechs
Fachbeiträgen setzen sich verschiedene
Autorinnen und Autoren, die mehrheitlich
im Hochschulbereich arbeiten, mit der
Frage auseinander, wie die im Titel genannten Instanzen angesichts eines umfassenden Bildungsbegriffs zueinander stehen,
bzw. miteinander kooperieren können.
Dabei wird deutlich, dass eine derartige
Kooperation im Bildungsbereich insbesondere in Zeiten biographischer Übergänge
von besonderer Relevanz ist.
Den Auftakt macht die Herausgeberin
selbst. Karin Böllert, Professorin mit dem
Schwerpunkt Sozialpädagogik am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Münster, stellt den umfangreichsten Artikel dieses Bandes unter die
Überschrift: Bildung ist mehr als Schule.
Sie stellt zunächst die Diagnose, dass
die verschiedenen Akteure im deutschen
Bildungssystem „von einem einheitlichen
Bildungsverständnis meilenweit entfernt“
seien, um dann die verschiedenen Bildungsaufträge von Familie, Schule und
Kinder- und Jugendhilfe zu skizzieren. Als
Fazit plädiert sie für ein umfassendes
Einen vertiefenden Blick auf die Bildung
in der Kinder- und Jugendhilfe nimmt Werner Thole vor. Er sieht hier insbesondere
drei Herausforderungen: a) die Stärkung
und Unterstützung des Wunsches nach
Autonomie bei Kindern und Jugendlichen,
verbunden mit dem Prinzip der Freiwilligkeit, b) die Gestaltung von Bildung im
Kontext von sozialer Kontrolle und Dis-
ziplinierung sowie c) vor dem Hintergrund
der zunehmenden gesellschaftlichen Normalisierung Sozialer Arbeit.
Die Genderperspektive bringt Ulrike Graff
ein. Sie regt an, Koedukation und Monoedukation gleichberechtigt nebeneinander
zu stellen, um so Mädchen- oder Jungenförderung mit ihren speziellen Potentialen
zu nutzen und nicht als defizitorientierte
Ansätze zu stigmatisieren.
Wolfgang Nieke geht schließlich auf den
Begriff der Selbstbildung ein. Ausgehend
von der Beobachtung, dass Bildung heutzutage oft die Anleitung durch Andere
impliziert, obwohl der Begriff eigentlich immanent die Dimension einer Eigentätigkeit
enthält, präsentiert er eine wissenschaftstheoretische Skizze für eine Neuordnung
und Präzisierung des Verhältnisses von
Bildung und Identität.
Fazit: Der Bildungsbegriff wird in diesen
sechs Beiträgen vielschichtig aufgefächert
und entfaltet. So bekommen die potentiellen Leserinnen und Leser (Studierende und
Lehrende der Sozial- und Erziehungswissenschaften) einen guten Überblick
über den diesbezüglichen theoretischen
und empirischen Diskussionsstand. Dabei
ist kaum ein Beitrag darunter, der nicht auf
die PISA-Daten Bezug nimmt und auf die
Notwendigkeit weiterer empirischer Forschung hinweist. Die zentrale Botschaft,
Bildung und Erziehung als gemeinsame
Querschnittsaufgabe zu verstehen, kommt
deutlich heraus. Die Frage danach, wie die
Forderung nach „echter“ Kooperation im
Detail in der Praxis aussehen kann, muss
an anderer Stelle beantwortet werden.
Gesa Bertels 쏋
113 Seiten, Preis: 24,90 Euro, ISBN 978-3531-15563-0, Wiesbaden 2008.
Bei der KJG St. Arnold Janssen aus Goch drehte sich alles ums leibliche Wohl:
Für hungrige Bürger sollten sie ein Spargel-Essen auf den Teller zaubern.
Foto: rk
THEMA
JUGEND
21
KOMMENTAR
INFORMATIONEN
Die in dieser Rubrik veröffentlichten Meinungen werden nicht unbedingt von der
Redaktion und dem Herausgeber geteilt.
„Kommentare“ sollen zur Diskussion anregen. Über Zuschriften freut sich die Redaktion von THEMA JUGEND.
13. Kinder- und Jugendbericht:
Präventionsansätze
besser vernetzen
„JUGEND IST MEHR
ALS KOMASAUFEN
UND KILLERSPIELE“
In der bislang größten 72-Stunden-Sozialaktion machen katholische Jugendliche
an 3.000 Orten die Welt ein bisschen besser
„Euch schickt der Himmel“ und
„IHR seid die Stars“ schallte es den
100.000 Kindern und Jugendlichen vom
7. bis 10. Mai 2009 in vielen Orten und
Städten entgegen. Politikerinnen und
Politiker, Kirchenvertreterinnen und -vertreter und die Medien zeigten sich beeindruckt von dem, was von Kindern und
Jugendlichen in 72 Stunden auf die Beine
gestellt worden ist.
Und es war auch sehr beeindruckend:
7,2 Millionen Stunden – das sind umgerechnet 182.278 Arbeitswochen (bei
39,5 Stunden), also für einen Menschen
3.505 Jahre Arbeit – und das alles ehrenamtlich. Schätzungen haben ergeben,
dass die Jugendlichen mit circa 25.000
Litern Farbe Wände verschönert, über
2 Millionen Liter Rindenmulch verstreut
und rund 90.000 Tonnen Kies, Schotter
und Erde bewegt haben. Entscheidend
war für die Kinder und Jugendlichen dabei
immer, dass sie Menschen helfen konnten.
Junge Menschen können selbstorganisiert und eigenverantwortlich ihren Sozialraum gestalten und Verantwortung für
ihre Mitmenschen übernehmen. Das ist
eine Tatsache, die in der „erwachsenen
Öffentlichkeit“ gerne übersehen wird.
Dort kommen junge Menschen oft nur vor,
weil sie Killerspiele spielen und Komasaufen veranstalten.
Auch Politikerinnen und Politiker lassen
sich von Negativschlagzeilen mehr beindrucken, als von Kindern und Jugendlichen, die sich in der Jugendarbeit täglich
engagieren. Politik neigt dazu, junge
Menschen mit ihren Defiziten in den
22 THEMA
JUGEND
Vordergrund zu stellen und übersieht
dabei vollkommen ihre Stärken.
Das junge Menschen – und nicht nur ein
paar, sondern über 100.000 an diesem
Wochenende – anders sind und fast alles
bewerkstelligen können, hat die 72Stunden-Aktion gezeigt. Und darüber hinaus werden in vielen umgesetzten Projekten die Kontakte bestehen bleiben,
wird sich auch über das Wochenende hinaus engagiert. Spielplätze werden weiter
instand gehalten, Menschen in Senioreneinrichtungen weiter besucht, Anschlussprojekte mit Kinderheimen vereinbart, der
Wald weiter sauber gehalten.
Auch die Verlässlichkeit katholischer Jugendverbandsarbeit garantiert Nachhaltigkeit. Ohne dauerhaftes Engagement
wäre diese Aktion gar nicht möglich
gewesen. Regelmäßigkeit und soziales
Engagement sind selbstverständlich in
der kirchlichen Jugendarbeit.
Es bleibt zu hoffen, dass diese große
beeindruckende Aktion bei vielen Erwachsenen und Verantwortlichen ein
Umdenken in Gang gesetzt hat und das
sie heute ein Bild von jungen Menschen
haben, dass sie mit ihren Stärken und
Kompetenzen zeigt: junge Menschen die
Zukunft gestalten können und wollen –
wenn man sie lässt. Barbara Pabst 쏋
Die Autorin ist bis Ende Oktober
Landesvorsitzende des BDKJ-NRW
und gehört bis dahin auch dem
Vorstand der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und
Jugendschutz NW e. V. an.
쏋 Die Bundesregierung hält an ihrem Ziel
fest, Chancengleichheit für alle Kinder
und Jugendlichen in Deutschland zu schaffen. Nur gute Rahmenbedingungen ermöglichen ein gerechtes und gesundes
Aufwachsen – und zwar von Anfang an.
So steht es auch im 13. Kinder- und
Jugendbericht. Der Bericht mit dem Titel
„Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen
– Gesundheitsbezogene Prävention und
Gesundheitsförderung in der Kinder- und
Jugendhilfe“ verlangt vor allem eine bessere Vernetzung der vorhandenen Angebote
und Strukturen.
„Entscheidend ist die richtige Gesundheitsvorbeugung von Anfang an“, sagt
der Parlamentarische Staatssekretär im
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, Dr. Hermann Kues.
„Schon heute ist beinahe jeder fünfte
Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren
übergewichtig. Einige Jugendliche bewegen sich nur noch, wenn sie müssen. Das
hat fatale Folgen: Manche von ihnen werden die Pfunde als Erwachsene nicht mehr
los – mit allen gesundheitlichen Folgen wie
Herz-Kreislauferkrankungen,
Gelenkbeschwerden oder Diabetes. Viele
Familien wissen oft nicht, dass es Unterstützung gibt und wo es sie gibt. Deswegen müssen wir das Netz der Hilfen –
von der Jugendhilfe über das Gesundheitswesen bis hin zur Erziehungs- und
Schwangerenberatung – dichter knüpfen“,
so Kues.
Der 13. Kinder- und Jugendbericht unterstreicht: Es mangelt nicht an guten Konzepten zur Prävention und Gesundheitsförderung. Allerdings sind die Angebote
nicht ausreichend koordiniert. Deswegen
bleiben sie hinter ihren Möglichkeiten zurück. Dies zeigt sich vor allem für behinderte Kinder und Jugendliche, für die unterschiedliche Leistungssysteme verantwortlich sind. An den Schnittstellen zwischen
den Systemen gibt es daher in der Praxis
erheblich Zuordnungsprobleme. Auf verlässliche Brücken zwischen Hilfesystemen
sind insbesondere die Kinder angewiesen,
die unter schwierigen Lebensumständen
aufwachsen. An der Schnittstelle von Gesundheitswesen und Kinder- und Jugendhilfe aber auch der Schwangerenberatung
sind Frühe Hilfen eine wichtige Unterstützung. Der Bericht bestärkt die Bundesregierung darin, den eingeschlagenen
Weg einer verbindlichen Verzahnung dieser
Angebote weiterzugehen.
„Mit den Frühen Hilfen setzen wir eine
zentrale Forderung des Kinder- und
Partner dieses Films, der in Münster
am 6. und 7.10.2009 für Schulklassen,
aber auch in einer öffentlichen Vorführung zu sehen sein wird, sind u.a.
das Amt für Kinder, Jugendliche und
Familie der Stadt Münster, die Katholische Landesarbeitsgemeinschaft
Kinder- und Jugendschutz NW e.V., die
Friedrich-Ebert-Stiftung, die Gewaltakademie Villigst und das Netzwerk
Gewaltprävention Münster.
Jugendberichts nach besserer Vernetzung
der Angebote schon jetzt konsequent
um“, sagt Dr. Hermann Kues. „Mir ist
wichtig, dass die Verantwortlichen miteinander kooperieren, damit Kinderschutz
nicht dem Zufall überlassen bleibt. Da
können und müssen wir aus den Fehlern
der Vergangenheit lernen. Die Bundesregierung hat deshalb das Kinderschutzgesetz auf den Weg gebracht, um
zum Beispiel zu verhindern, dass Familien,
die auffällig geworden sind, durch einen
Umzug einfach abtauchen können.“
쏋
Kontakt und Informationen:
www.diegesellschafter.de oder
www.cinema-muenster.de
Filmfestival „ueber Macht“
Schulungsfilm
zum Jugendschutz
„Ich wette, Ihr schafft es nicht, Euch bis
24 Uhr den Alkohol, die Zigaretten und
das Ballerspiel zu besorgen, die ihr haben
wollt!“ Mit dieser Wette beginnt ein ungefähr 15-minütiger Schulungsfilm für Beschäftigte im Einzelhandel, in der Gastronomie und im Tankstellengewerbe, den
die Bundesregierung nun veröffentlichte.
Vier Jugendliche versuchen, mit ganz
unterschiedlichen Strategien und Tricks die
Altersbeschränkungen des gesetzlichen
Jugendschutzes zu umgehen. Anhand von
typischen Szenen in Supermärkten, Tankstellen, Cafés, Diskos und Videotheken
werden Anregungen und Tipps gegeben,
wie die jeweiligen Mitarbeiter in solchen
Situationen angemessen reagieren können.
Der Film kann kostenlos beim Publikationsversand der Bundesregierung
bestellt oder unter www.jugendschutzaktiv.de herunter geladen werden.
Fortbildung beginnt jetzt:
Arbeit mit Sexualtätern
Die DGfPI (Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung und -vernachlässigung e.V.)
bietet in Kooperation mit dem Forensischen Institut Ostschweiz ab September
2009 eine modularisierte Fortbildung zur
pädagogisch-therapeuischen Arbeit mit
(Sexual-)Tätern an. Die Fortbildung untergliedert sich in verschiedene Module, die
flexibel belegt werden können. Das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend fördert diese neuartige
Fortbildungsstruktur als Modellprojekt.
Nähere Infos für Kurzentschlossene
unter: www.dgfpi.de
13 Dokumentarfilme regen zum Nachdenken an über die Macht, ihre Kontrolle,
über nötige und unnötige Regeln und die
besten Wege zu mehr Selbstbestimmung.
Die Themen der Filme sind weit gefasst
und reichen von der persönlichen Macht,
mit der sich jugendliche Gewalttäter
Respekt verschaffen wollen, bis zu den
kriminellen Machenschaften eines Gentechnikkonzerns, von der Macht der streikenden Studenten auf der Straße bis zur
staatlichen Macht, die nach dem 11.
September weltweit Bürgerrechte einschränkt.
Das Filmfestival „ueber Macht“ ist Teil des
Gesellschafter-Projekts der Aktion Mensch
und in 2009 in 120 deutschen Städten
zu Gast. Rund 30 bundesweite und mehr
als 1.000 regionale Verbände und Organisationen der Zivilgesellschaft sind beteiligt, die in den 120 Städten Publikumsdiskussionen und Filmgespräche zu jeder
Vorführung organisieren. Damit will das
Festival die Vernetzung zivilgesellschaftlicher Initiativen und das Engagement von
Ehrenamtlern und Ehrenamtlerinnen fördern.
Schulische Bildung und
Schulstruktur in NRW
In Münster wird das bundesweit tourende
Filmfestival „ueber Macht“ vom Verein „Die
Linse“ koordiniert. Von September bis
Oktober 2009 laufen zehn Filme im Cinema
an der Warendorfer Straße. Jeder Film
wird von lokalen und überregionalen
Gruppen und Organisationen begleitet, die
als Filmpartner/innen ein spannendes
Rahmenprogramm anbieten.
쏋 Der hier vorgelegte Diskussionsbeitrag
konzentriert sich auf die Problematik der
Schulstruktur in der Sekundarstufe I in
NRW. Dazu skizziert er die Situation, nennt
aus christlicher Perspektive Kriterien für die
Gestaltung von schulischer Erziehung und
stellt erste schulorganisatorische Konsequenzen zur Diskussion.
Die Vollversammlung des Diözesankomitees der Katholiken im Bistum Münster
hat mit breitester Mehrheit das vorliegende Papier gebilligt und empfiehlt es als
Grundlage dieser ebenso dringlichen wie
schwierigen Diskussion. Das christliche
Menschenbild bleibt auch in dieser Frage
wesentliche und verpflichtende Grundlage
für unser Handeln in Gesellschaft und
Politik. Es verpflichtet dazu, über mangelnde Bildungsgerechtigkeit und ihre Ursachen nicht hinwegzugehen und konkrete Schritte zu mehr Solidarität einzufordern.
쏋
Zu diesen Filmen gehört auch „Faustrecht“, eine Dokumentation, die zwei
jugendliche Gewalttäter begleitet: Während
Tim unter seinen unkontrollierten Wutausbrüchen selber leidet, setzt Gibran
Gewalt kühl kalkulierend als Machtmittel
ein, um sich Respekt zu verschaffen. Mitgefühl scheint für ihn ein Fremdwort zu
sein – bis es zu einem furchtbaren
Zwischenfall mit seiner Freundin kommt.
Um die beiden Hauptpersonen zeichnet
„Faustrecht“ ein differenziertes Bild von
engagierten Helfern, überforderten Therapeuten und Eltern, die zwischen Ratlosigkeit und Desinteresse schwanken.
Diese Broschüre kann – auch in größerer Stückzahl – bei den Herausgebern
angefordert werden:
- Diözesankomitee der Katholiken
im Bistum Münster
Spiegelturm 4, 48135 Münster
Telefon: (0251) 495-563
E-Mail:
[email protected]
- Katholische Elternschaft Deutschlands
KED im Bistum Münster
Kardinal-von-Galen-Ring 55
48149 Münster
Telefon: (0251) 495-404
E-Mail: [email protected]
THEMA
JUGEND
23
DIALOGBEREIT
Gemeinsamkeiten finden!
Pegah Ferydoni im Gespräch
THEMA JUGEND: Mit unserem Projekt
DIALOGBEREIT bringen wir junge
Muslime und junge Christen zusammen. Können Sie diesen Jugendlichen
einen Tipp geben, was sie besonders
beachten sollten?
Pegah Ferydoni: Es ist immer ratsam, bei
ersten Gesprächen die Themen Politik oder
Religion außen vor zu lassen, denn das
schafft häufig Distanz oder gar Missverständnisse, was wir ja vermeiden möchten.
Vielmehr wecken Gespräche über alltägliche Sorgen, Träume, Ziele oder gar Liebeskummer den Wunsch, mehr über den
anderen erfahren zu wollen. Man entdeckt
dabei viel mehr Gemeinsamkeiten, als man
vorher ahnte.
Ja, und wie kann das gehen? Da sind
wir (Jugendliche und Erwachsene in
gleicher Weise) doch oft blind wegen
eigener Vorurteile?
Indem man seinem Gegenüber mit
Respekt, Offenheit und gesunder Neugier
entgegentritt. Man braucht dabei keine
Angst zu haben, zu viel von sich selbst
preiszugeben. Wir neigen oft dazu, unsere
Gefühle und Gedanken zurückzuhalten.
Aber es ist immer wieder erstaunlich, was
zurückkommt, wenn wir es zulassen. Ich
habe selbst erlebt, wie sich aus anfänglichen Konflikten enge Freundschaften entwickeln konnten.
Wie ist es Ihnen selbst ergangen? Als
kleines Mädchen sind Sie mit Ihren
Eltern als Flüchtling nach Berlin gekommen. Können Sie sich an diese
Zeit erinnern?
Das war 1985. Damals wurden Flüchtlinge
aus dem Iran sehr freundlich aufgenommen. Menschen aus islamischen Ländern
standen – anders als heute – nicht unter
dem „Generalverdacht“, potentielle Terroristen zu sein. Außerdem hatten und haben
die Iraner stets einen ausgezeichneten Ruf.
Sie gelten als ein gebildetes und weltgewandtes Volk. Das hat uns geholfen, hier
„anzukommen“.
Unsere Organisation setzt sich für junge Flüchtlinge ein. Da sind vor allem
viele Politikerinnen und Politiker zu
„bekehren“. Flüchtlinge haben es bei
uns immer noch schwer. Es fehlt
Menschlichkeit. Wie sehen Sie dies
heute auf dem Hintergrund Ihrer eigenen Geschichte?
Ich denke, dass wirtschaftliche Interessen
und das Märchen der „Inneren Sicherheit“ –
heute mehr denn je – eine größere Rolle
spielen, als die Verantwortung „sicherer“
Staaten, Menschen vor Verfolgung und Not
in deren Heimatländern zu schützen. Umso
wichtiger ist die ehrenamtliche Arbeit nichtstaatlicher Organisationen mit Unterstützung
der Bevölkerung und jedes einzelnen Bürgers.
Wir bleiben „am Ball“ im Einsatz für
junge Flüchtlinge! Gerne möchte ich
mit Ihnen noch kurz über unser DialogProjekt sprechen. Übrigens, herzlichen Dank, dass Sie uns dabei unterstützen. – Frage an Sie: Wie kann es
möglich sein, dass Menschen, die
sagen, sie würden an den Einen Gott
glauben, sich gegenseitig misstrauen
und auch anfeinden?
Dies sind die Schnittstellen von Ignoranz,
Angst und gefährlichem Halbwissen. Wir
„Besserwisser“ sind in der Pflicht, Aufklärungsarbeit zu leisten.
Dialogarbeit ist Friedensarbeit! Sie
kennen sich in verschiedenen Kulturen aus, haben sie hautnah erfahren
und sind auch jetzt noch in engem
Kontakt zu Menschen anderer Herkunft. Was sollten wir bei unserem
Projekt DIALOGBEREIT auf jeden Fall
beachten?
Fragen der Religion und Herkunft sollten
eine untergeordnete Rolle spielen. Viel wichtiger ist es, Gemeinsamkeiten zu finden und
sie auch als solche zu benennen.
In meinen Augen sollten wir davon absehen,
die Welt in „wir“ und „die“ zu klassifizieren.
Das „WIR“, das absolute Gefühl der Zugehörigkeit muss gestärkt werden. Das wird in
dieser Gesellschaft ein schönes Stück Arbeit.
Noch eine persönlichere Frage: Sie
übernehmen als Schauspielerin die
Rolle einer Muslima. Spielen Sie sich
dort selbst? Anders gefragt: Haben Sie
Nähe zu einer bestimmten Religion
oder geht es für Sie ohne dem?
Ich bin zu 20 Prozent Atheistin und zu 80
Prozent Agnostikerin. Ich habe mich mit
sämtlichen Religionen und Philosophien
beschäftigt und bin als Künstlerin zu der
Erkenntnis gelangt, dass die Liebe mein
Anhaltspunkt ist, nicht das Ritual.
Und zum Schluss: Was möchten Sie als
Projektpatin unseren Jugendlichen
sagen, sozusagen mitgeben?
Es hilft nicht, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum die Welt so ungerecht und
gemein ist. Wir alle können jeden Tag unseren Beitrag leisten, ein Stück dazutun.
Aufeinander zugehen, geben und empfangen, eine gute Zeit mit anderen verbringen.
Oder uns gegenseitig die Köpfe einschlagen und unsere Zukunft verspielen. Das
muss jeder für sich selbst entscheiden.
Ihnen ein herzliches Dankeschön für
die offenen Worte und für Ihre Unterstützung!
„Ich bin für Vielfalt –
und nicht für Einfalt. Das Leben
wird mit Sicherheit interessanter,
wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft gut zusammenleben.“
Pegah Ferydoni:
Die Schauspielerin Pegah Ferydoni unterstützt das Projekt DIALOGBEREIT.
Geboren wurde sie im Iran, flüchtete als kleines Kind mit ihren Eltern nach
Deutschland.
Foto: ARD/Hardy Spitz
24 THEMA
JUGEND
Neugierig werden
Für die Grundschule: „Mein Islambuch“ ist erschienen
왎 Was sollen muslimische Jungen und
Mädchen in den ersten Grundschuljahren
über ihre Religion erfahren und lernen? Ich
maß mir nicht an, Themen und Glaubensinhalte dieses neuen Religionsbuches zu
bewerten und diese kritisch zu rezensieren,
so wie dies für eine Buchrezension (eigentlich) gilt. Das steht mir ob meiner eigenen
weltanschaulichen Zugehörigkeit nicht zu
und ich würde es vermutlich auch nur
ungenügend leisten können.
Trotzdem einige Anregungen und Anmerkungen von mir: Wünschenswert ist es,
dass Kollegen und Kolleginnen, die mit dem
Religionsbuch (für Grundschüler/innen)
und dem gut gemachten Begleitmaterial für
Lehrer/innen arbeiten und ihre Erfahrungen
mit diesen Publikationen machen, in einen
regen Austausch eintreten – und dies
selbstverständlich fachlich-kritisch tun. Dieser Dialog, wenn möglich mit den Kollegen
und Kolleginnen der Fächer Katholische
und Evangelische Religion, wird für alle
Beteiligten nützlich sein.
Die Reflexion kann auch unter Hinzunahme
der Bücher der christlichen Schüler/innen
erfolgen. Also das Prinzip: Miteinander die
Arbeitsmaterialien sichten und diskutieren.
Dazu bietet sich diese neue Veröffentlichung aus dem Oldenbourg-Schulbuchverlag geradezu an.
Wie kann vorgegangen werden, welche Fragen können gestellt werden
bzw. worüber ist auf jeden Fall zu sprechen?
왎 Welchen Eindruck macht das Buch, wie
wird es bei Kindern ankommen, die in
unserer Gesellschaft groß werden? Hier
geht es um die Gestaltung. Werden Rollen
und Lebensweisen durch die Gestaltung
festgelegt? Helfen die Bilder die Welt zu
verstehen, auch das persönliche Umfeld
oder bevorzugen sie ein bestimmtes Milieu
und bestimmte Lebensweisen? Oder werden hier eher die erwünschten Lebensweisen der Erwachsenen ins Bild gesetzt?
Dokumentieren die Bilder (und Geschichten zu den Bildern) eine vertraute oder
erwünschte Welt? Wie ist die Realität?
Darüber müsste auf jeden Fall gesprochen
werden.
왎 Hilfreich für die Praxis ist das Gespräch
über die im Lehrer/innen-Begleitbuch
gebrachten Schaubilder, Kopiervorlagen,
Ausschneideseiten, Geschichten, Merkkärtchen, Lieder usw., was übrigens genauso für andere Religionsbücher und
katechetische Arbeitshilfen gilt. Wie kann
damit (religionsübergreifend) gearbeitet
werden? Was kommt der Medien- und
Methodenvielfalt und dem kollegialen
Austausch zugute? Mit welchen Anregungen konnte besonders gut gearbeitet
werden? Gibt es Lieder, Geschichten,
Spiele, die zum gemeinsamen Besitz der
christlichen und muslimischen Schüler/
innen zählen und auf die bei der Gestaltung
beispielsweise gemeinsamer Feiern zurückgegriffen werden kann?
왎 Und wie werden die zentralen Inhalte
„der Anderen“ vorgestellt? Was lernt ein
muslimisch geprägtes Kind über das
Leben und den Glauben der christlichen
Mitschüler/innen und natürlich auch umgekehrt: Was lernen christlich geprägte
Kinder über ihre muslimischen Mitschüler
und Mitschülerinnen? Hier geht es um den
Abbau von Vorurteilen und Fehlinformationen. Gemeinsames sollte gekannt werden, Trennendes ebenfalls. Der Dialog fördert die Friedensfähigkeit aller Beteiligten.
왎 Welche Ziele werden verfolgt? Um welche Werte geht es? Was soll mit welchen
Mitteln bewirkt werden? – An dieser Stelle
eine kurze Anmerkung: Wie wichtig sind
(gerade aus religionspädagogischer Sicht)
bestimmte Lebenskontexte und zentrale
Erfahrungen: Freundschaft und geliebt
werden, Abschied und Trauer, Scheitern
und Neuanfang, Krankheit, Angst, Fehlverhalten, Schuld usw.? In vielen Kinderbüchern und katechetischen Materialien
werden diese Themen hervorragend aufge-
griffen und das so, dass Kinder nicht überfordert werden. Im Gegenteil: Diese Themenbearbeitung entlastet Kinder, kann also eine kompensatorische Funktion haben.
Für „Mein Islambuch“, vorgesehen für die
Grundschule (1. und 2. Schuljahr), kann ich
mir eine deutlichere Akzentuierung vorstellen. Oder dürfen wir hier schon gespannt
auf das Schüler/innenbuch für das 3. und
4. Schuljahr – nebst Lehrer/innen-Materialien – sein?
Die großen, übergreifenden Themen des
Buches sind die Entfaltung, was die fünf
Säulen des Islam bedeuten und wie die
sechs Glaubenssätze des Islams lauten.
Die fünf Säulen und die sechs Glaubenssätze werden als durchgängige Perspektive behandelt. Zu Beginn des Buches werden die fünf Säulen des Islam auf einer
Doppelseite (gestalterisch interessant aufbereitet) vorgestellt. Und zum Abschluss
des Buches auf einer Doppelseite geht es
um die sechs Glaubenssätze des Islam. In
den folgenden Kapiteln werden sie konkretisiert und zwar unter den Überschriften:
Ich, Familie, Gemeinschaft – Schöpfung –
Mit Gott sprechen und beten – Die
Propheten und der Koran – Der Islam und
andere Religionen.
Im 2. Grundschuljahr wiederholt sich der
Durchgang dieser Themen, bis auf das
Kapitel „Der Islam und andere Religionen“.
In diesem zweiten Durchgang heißt es
stattdessen: Feste feiern im Islam und in
anderen Religionen.
Mit dem, wie die christliche Religion und die
christlichen Feste den Kindern nähergebracht werden, erkläre ich mich sehr einverstanden.
Mit den Kindern auf die Schulbank
Eine Idee möchte ich denen vorschlagen,
die sich für das Thema Islam und Islamkunde interessieren. Das müssen ja nicht
nur Lehrer/innen sein, die ihr Interesse
daran bekunden. Im Projekt DIALOGBEREIT sind es beispielsweise pädagogisch Tätige in Jugendeinrichtungen,
Jugendgruppenleiter/innen, Aktive in Ver-
In der Mehrzahl der Bundesländer der BRD ist das Fach islamischer Religionsunterricht bzw. islamische Unterweisung oder Islamkunde bereits Bestandteil der
schulischen Lehrpläne oder Lehrplanentwürfe. In verschiedenen Modellversuchen
findet islamischer Unterricht auch schon in der Grundschule statt. Der Oldenbourg
Schulbuchverlag legt das erste Lehrwerk für die Grundschule in deutscher Sprache
vor. Band 1/2 für das 1. und 2. Schuljahr ist für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz,
Bayern und Niedersachsen zugelassen, d.h. von den Kultusministerien geprüft und
für den Unterricht genehmigt und empfohlen. Auch für weitere Bundesländer befindet sich das Lehrwerk in den kultusministeriellen Prüfverfahren.
Seit über 10 Jahren bemühen sich zahlreiche Bundesländer einen deutschsprachigen islamischen Religionsunterricht als Wahlpflichtfach unter staatlicher Aufsicht
einzuführen. Ziel eines solchen Unterrichts ist es, die Schülerinnen und Schüler auf
elementare und altersgemäße Weise in die Glaubensinhalte, -praktiken und Traditionen des Islam einzuführen. Die Kinder sollen in ihrer Persönlichkeits- und
Identitätsentwicklung als Muslime gestärkt werden. Gleichzeitig soll der Unterricht
Werte vermitteln, die auf ein friedvolles Zusammenleben von Muslimen und NichtMuslimen in einer demokratisch verfassten Gesellschaft ausgerichtet sind.
THEMA
JUGEND
25
bänden, Sportvereinen und Kirchengemeinden. Für diese pädagogisch Tätigen werden von uns Arbeitshilfen und
Materialien herausgegeben (siehe www.
dialogbereit.de).
Wie wäre es, wenn wir uns mit den Kindern
auf die Schulbank begeben und anhand
des Schüler/innenbuchs „Mein Islambuch“
(Grundschule 1/2) nachlesen und darüber
nachdenken, was muslimische Kinder lernen sollen, was deren Religionsunterricht
vorsieht? Wenn das Schulbuch nicht ausreicht, so wird das Lehrer/innen-Material
offene Fragen beantworten und Zusammenhänge deutlich machen. – Und muslimische Fachkräfte, die wissen möchten,
was christlich geprägte Kinder im Religionsunterricht lernen, können sich mit
deren Schulbüchern befassen.
Georg Bienemann 쏋
Mein Islambuch, Grundschule 1/2
von Serap Erkan, Evelin Lubig-Fohsel,
Gül Solgun-Kaps, Bülent Ucar
mit wissenschaftlicher Begleitung
von Bülent Ucar
illustriert von Peter Knorr
96 Seiten, mit vielen mehrfarbigen
Illustrationen und Bildern
Preis: 14,90 Euro
ISBN 978-3-637-00553-2
München 2009.
Mein Islambuch, Lehrermaterial 1/2
144 Seiten, Format DIN A4
Preis: 18,- Euro
ISBN 978-3-637-00657-7
München 2009.
Interkulturelle Woche
Alle sollen mitmischen
„Misch mit“ heißt in diesem Jahr das
Motto der „Interkulturellen Woche –
Woche der ausländischen Mitbürger“.
Es ist eine Aufforderung an alle, die in
Deutschland ihren Lebensmittelpunkt
haben, sich einzumischen und die
Gesellschaft mitzugestalten.
In der Woche vom 26. September bis
zum 2. Oktober 2009 werden nach
Schätzungen des ökumenischen Vorbereitungsausschusses bundesweit etwa 3.500 Veranstaltungen stattfinden,
die auf dessen Internetseite dokumentiert werden. Wegen der Bundestagswahlen am 27. September wurde die
zentrale Auftaktveranstaltung in München auf den 18. September vorverlegt.
Info: Materialheft und Plakate können bestellt werden beim ökumenischen Vorbereitungsausschuss in
Frankfurt.
Telefon: (069) 230605
E-Mail: [email protected]
Internet: www.interkulturellewoche.de
26 THEMA
JUGEND
Humanitäres Bleiberecht
für Flüchtlingskinder
sichern!
Appell der Aktionsgemeinschaft Junge Flüchtlinge in NRW
zum Weltkindertag am 20. September 2009
In Nordrhein-Westfalen leben zahlreiche Mädchen und Jungen, die aufgrund von Krieg
und Verfolgung aus ihren Heimatländern flüchten mussten. Viele dieser Kinder und
Jugendlichen leben hier schon seit vielen Jahren, sind hier aufgewachsen, besuchen
den Kindergarten oder die Schule, sprechen oft besser Deutsch als die Sprache ihrer
Eltern und sind sozial integriert. Dennoch fehlt einem großen Teil dieser Mädchen und
Jungen unter den 40.000 geduldeten Flüchtlingen in NRW eine gesicherte Aufenthaltsperspektive durch ein gesichertes Bleiberecht.
Zum 31. Dezember 2009 läuft die Frist der gesetzlichen Altfallregelung aus. Bedingt
auch durch die gegenwärtige Finanzkrise werden viele Flüchtlingsfamilien ihren
Lebensunterhalt bis dahin nicht eigenständig sichern können. Damit wird ihnen eine
dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung nicht erteilt. Das bedeutet einen Rückfall in die
Zeit vor dem Jahr 2007: Sie sind hier nur „geduldet“, weil sie nicht ohne Weiteres in
ihre Heimat abgeschoben werden können. Gleichzeitig droht aber ständig die
Abschiebung. Da sich in etlichen Herkunftsländern auch bis heute keine sichere politische Situation entwickelt hat, wird es wieder zu sog. „Kettenduldungen“ kommen. Auf
diese Weise können betroffene Kinder und Jugendliche keinerlei Zukunftsperspektiven
entwickeln.
Kinder und Jugendliche mit einem Duldungsstatus sind in Deutschland rechtlos und
weitestgehend schutzlos. Und das, obwohl Deutschland die UN-Konvention über die
Rechte des Kindes ratifiziert hat. Sie garantiert allen Kindern die gleichen Rechte und
zwar unabhängig von der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft oder des
sonstigen Status des Kindes (Artikel 2). Dieser Verstoß gegen die Kinderrechtekonvention wird ermöglicht durch eine Vorbehaltserklärung, mit der die Bundesregierung
dem Zuwanderungs- und Asylrecht Vorrang gegenüber den Kinderrechten einräumt.
Anlässlich des Weltkindertages fordert die Aktionsgemeinschaft Junge Flüchtlinge in NRW zum wiederholten Mal die Landesregierung auf, sich – wie schon
in der Vergangenheit – für die Rücknahme des Vorbehaltes auf Bundesebene
stark zu machen und Flüchtlingskindern das ihnen zustehende Recht und ihren
Schutz zu garantieren.
Für langjährig hier lebende Flüchtlingskinder fordert die Aktionsgemeinschaft
Junge Flüchtlinge in NRW eine Verlängerung der Frist für die gesetzliche
Altfallregelung sowie ein großzügiges, vor allem humanitäres Bleiberecht.
Damit würde dem verbrieften Recht des Kindes, sein Wohl vorrangig bei
Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen berücksichtigt zu sehen
(Artikel 3 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes), Rechnung getragen.
Ausdrücklich unterstützen wir den Aufruf der evangelischen und katholischen
Kirche: „Kettenduldungen beenden – humanitäres Bleiberecht sichern“
(www.aktion-bleiberecht.de).
Münster, den 20. September 2009
Zur Aktionsgemeinschaft Junge Flüchtlinge in NRW gehören:
Das Paritätische Jugendwerk NRW, der Deutsche Kinderschutzbund - Landesverband NRW e. V., die Evangelische Jugend Westfalen, die Flüchtlingssozialdienste
der Caritasverbände in NRW, die Katholische Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und
Jugendschutz NW e.V., der Bund der Deutschen Katholischen Jugend NRW e.V. und
der Landesjugendring Nordrhein-Westfalen e.V.
Rückfragen an:
Georg Bienemann, Telefon: (0251) 54027
THEMA JUGEND
VEREINS-INTERN
Nr. 3 September 2009
Aus dem Vereinsleben: Am 18. August 2009 traf sich der Vorstand der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NW e. V. zu der
jährlichen Klausurtagung in der Katholisch-sozialen Akademie Franz Hitze Haus
in Münster. Neben der Beratung wichtiger Themen war Zeit für einen Besuch
des „Mühlenhofes“. Vorstandsmitglieder und ehemalige Vorstandsmitglieder,
Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle und einige Gäste stehen zum Gruppenfoto
bereit.
THEMA JUGEND
Zeitschrift für Jugendschutz und Erziehung
erscheint vierteljährlich
Herausgeber:
Katholische Landesarbeitsgemeinschaft
Kinder- und Jugendschutz NW e.V.
Salzstraße 8, 48143 Münster,
Telefon (02 51) 5 40 27
Telefax (02 51) 51 86 09
E-Mail: [email protected]
www.thema-jugend.de
Redaktion:
Georg Bienemann (gb), Gesa Bartels
Titelfoto:
G. Bienemann
(weitere Fotohinweise im Heft)
Foto: Elisabeth Neuhaus
Verabschiedung: Die stellv. Vorsitzende Sigrid Stapel dankt Barbara Pabst
(rechts im Bild) für die gute Zusammenarbeit. Sie war 6 Jahre als Vertreterin des BDKJ NRW im Vorstand
aktiv.
Verabschiedung: Michael Sandkamp
fand die richtigen Worte für Josef Pütz
(links im Bild), der von 1991 an ehrenamtlich im Vorstand als ein Vertreter
der Konferenz der Generalvikare der
NRW-Diözesen mitgearbeitet hat.
Redaktionsbeirat:
Marianne Ammann, Fachhochschule Münster,
FB Sozialwesen
Dr. Eva Bolay, Fachärztin für Kinder- und
Jugendmedizin, Münster
Prof. Dr. Joachim Faulde, Kath. Hochschule NRW,
Abteilung Paderborn
Wilhelm Heidemann, Fachlehrer am August-VetterBerufskolleg, Bocholt
Karla Reinbacher-Richter, stellv. Schulleiterin a.D.,
Recklinghausen
Annette Wiggers, Jugendamt der Stadt Rheine
Herstellung:
Achenbach-Druck
Römerstraße 36, 59075 Hamm
Tel. (0 23 81) 97 00 40, Fax (0 23 81) 97 00 444
Bezugspreis:
Einzelpreis 2,– €
Der Bezugspreis für Mitglieder und Mitgliedsverbände
der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinderund Jugendschutz NW e.V. ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in
jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder.
T H E M A J U G E N D wird auf chlorfreiem Papier
gedruckt. Durch chlorfreie Bleiche entstehen keine
chlorierten organischen Verbindungen mit Spuren von
Dioxinen und Furanen, die die Abwässer belasten.
Der beste umweltbewusste Umgang mit diesem Heft
ist: Bitte weitergeben an andere Interessierte!
ISSN 0935-8935
Verabschiedung: Wilhelm Heidemann
(links im Bild) gehörte 23 Jahre dem
Vorstand an. Vorstandsmitglied Prof.
Dr. Bruno W. Nikles dankt ihm für die
gute Zusammenarbeit und das langjährige ehrenamtliche Engagement im
Kinder- und Jugendschutz. Wilhelm
Heidemann wird weiter im Redaktionsbeirat von THEMA JUGEND mitarbeiten.
Jubiläum: Claudia Gerstenberg ist nun
bereits 20 Jahre als Verwaltungsmitarbeiterin in der Geschäftsstelle in
Münster tätig. Der Vorsitzende Prof.
Dr. Joachim Faulde dankt ihr für die
gute Zusammenarbeit und für die tatkräftige Unterstützung.
Fotos: Georg Bienemann
Themenschwerpunkt der
nächsten Ausgabe:
Jugendschutz
und neue Medien (2)
THEMA
JUGEND
27
Katholische LAG Kinder- und Jugendschutz NW e.V.
Salzstraße 8 · 48143 Münster
Postvertriebsstück, Deutsche Post AG, „Entgelt bezahlt“, H 9851
THEMA
JUGEND
NACHRICHTEN
Angesichts des Jubiläums des Grundgesetzes fordert die internationale katholische Bewegung pax christi eine konsequente Umsetzung des Friedensangebots
des Grundgesetzes und ein entschiedenes
Nein zu einer Politik militärischer Auslandseinsätze; den Vorrang der Humanität gegenüber Flüchtlingen statt Abschiebung
und Abschottung der Bundesrepublik an
den EU-Außengrenzen; Solidarität mit den
Armen der bundesrepublikanischen Gesellschaft statt der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach
oben.
쏋
Neue BDKJ-Vorsitzende in NRW: Zur
hauptamtlichen Vorsitzenden hat die BDKJLandesversammlung Nordrhein-Westfalen
im Mai die ehemalige Aachener Diözesanvorsitzende Alexandra Horster (33) gewählt. Sie tritt die Nachfolge von Barbara
Pabst an, die nicht wieder kandidiert hat.
쏋
Die Medien bestimmen immer stärker den
Alltag der Kinder in Deutschland. Nur noch
fünf Prozent der Jungen und Mädchen im
Alter zwischen 9 und 14 Jahren haben zu
Hause keinen Computer zur Verfügung, 84
Prozent können daheim im Internet surfen,
bei jedem dritten Kind stehen PC und
Fernsehgerät sogar im Kinderzimmer.
Das geht aus dem LBS-Kinderbarometer
Deutschland 2009 hervor. Für die repräsentative Untersuchung, die unter der
Schirmherrschaft von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen steht, sind bundesweit mehr als 10.000 Kinder dieser
Altersgruppe befragt worden. Danach sitzen sie häufig aus Langeweile vor dem
Monitor oder Bildschirm, aber auch, um
dort Trost oder Entspannung zu finden.
쏋
Der von vielen Schülern und Studierenden
organisierte jüngste Bildungsstreik sei „in
vielen Orten zu einer Massenbewegung der
Jugend für bessere Bildung und Ausbildung geworden“. Die Politiker müssten
sich nun mit den Protestierenden an einen
Tisch setzen, forderte die Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Die
jungen Menschen haben ein Recht darauf,
dass die Politiker sie ernst nehmen, öffentlich mit ihnen über ihre berechtigten Forderungen diskutieren und gemeinsam Lösungsvorschläge entwickeln“, sagte der
GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne. Bisher hätten „zu viele Politiker die Aktionen heruntergespielt oder gar verunglimpft“. Diese Politiker seien gut beraten umzudenken, sagte
(jpd)
Thöne.
Jedes fünfte nordrhein-westfälische Kind
im Alter von 9 bis 14 Jahren wird einer
Umfrage zufolge zur Strafe geschlagen. Für
zwei Prozent von ihnen ist diese Bestrafung
sogar Alltag. Im Verlauf der vergangenen
zehn Jahre hat sich die Situation der Kinder
mit regelmäßigen Gewalterfahrungen in
der Familie nicht verbessert. Das geht aus
einem Zehn-Jahres-Vergleich hervor. „Es
wird aber weniger geschimpft und stattdessen mehr darüber geredet, wenn
Kinder etwas angestellt haben", berichtete
Anja Beisenkamp vom ProKids-Institut.
Das Institut hat über 18 000 Neun- bis 14Jährige befragt.
쏋
쏋
Die Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BZgA) präsentiert sich seit über
20 Jahren mit „Gib Aids keine Chance“
als dem Markenzeichen der größten Gesundheitskampagne und eines der bekanntesten Logos in Deutschland.
Deutschland ist es durch die langfristig und
umfassend angelegte Aidsprävention gelungen, dass im letzten Jahr erstmals seit dem
Jahr 2000 die Neudiagnosen nicht nennenswert gestiegen sind, sondern sich
annähernd auf dem Niveau des Vorjahres
bewegen. Innerhalb West-Europas hat
Deutschland mit 33,5 HIV-Neudiagnosen
pro 1 Million Einwohner die niedrigste Rate
an HIV- Neudiagnosen erreicht.
Mindestens 50 Prozent der Jugend- und
Gesundheitsämter in Deutschland sind im
Bereich der Frühen Hilfen bereits aktiv.
Das ist das Ergebnis einer ersten bundesweiten Bestandsaufnahme des Nationalen
Zentrums Frühe Hilfen (NZFH), das in
Trägerschaft der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und des
Deutschen Jugendinstituts (DJI) steht.
Frühe Hilfen sind Angebote, die Familien
mit Säuglingen und Kleinkindern in schwierigen Lebenslagen bei der Wahrnehmung
ihrer Erziehungsaufgaben unterstützen und
so zur Prävention von Vernachlässigung
und Misshandlung beitragen. An der Befragung haben 573 Jugend- und Gesundheitsämter teilgenommen.
쏋
„Kinderrechte ins Grundgesetz“ so lautet ein
Beschluss der Bundesversammlung der
Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg
(DPSG). Die DPSG fordert, die Kinderrechte
der UN-Kinderrechtskonvention in das
Grundgesetz aufzunehmen. Selbstverständlich müssen die Rechte dann für alle
Kinder gelten – auch und gerade für minderjährige Flüchtlinge, so der Jugendverband.
쏋
Die nächste Ausgabe von
THEMA JUGEND
kommt am 14. Dez. 2009.

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