medienwelten die erste - Katholische Landesarbeitsgemeinschaft
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medienwelten die erste - Katholische Landesarbeitsgemeinschaft
Nr. 3/2009 H 9851 THEMA JUGEND MEDIENWELTEN DIE ERSTE MEIN VIRTUELLES LEBEN 2.0 GEWALT UND CYBER-MOBBING COMPUTERSPIELE UND ONLINESUCHT ZEITSCHRIFT FÜR JUGENDSCHUTZ UND ERZIEHUNG www.thema-jugend.de Als „digital natives“ (digitale Eingeborene) werden mittlerweile die Kinder und Jugendlichen bezeichnet, die als erste Generation von klein auf mit den neuen Medien aufgewachsen sind. Ihr Mediennutzungsverhalten wird in diesem Überblicksartikel, der zugleich die Grundlage für die folgenden Beiträge bildet, genauer unter die Lupe genommen. Zudem werden Konsequenzen aus der veränderten Nutzung von Computerspielen, Internet, Handys u.ä. für die Vermittlung von Medienkompetenz deutlich gemacht. 3/2009 Unser Thema: Mein virtuelles Leben 2.0 2 Gewalt und Cyber-Mobbing 5 PC-Spiele – Ursache des Übels? 9 MEIN VIRTUELLES LEBEN 2.0 Computerspiele und Onlinesucht 11 Verherrlichung von Essstörungen im Internet 13 Mediennutzung im Alltag von Kindern und Heranwachsenden Meike Isenberg Material zum Thema: Übersicht über Bücher, Zeitschriften und ein Filmtipp 16 FLIMMO für Fachkräfte 17 Neue Medien als Herausforderung für Eltern 18 Clash of Realities Computerspiele und soziale Wirklichkeit 18 Informationen zum Thema: 12 goldene Suchmaschinen-Regeln 19 Selbstdarstellung Jugendlicher 19 Bücher: So in etwa könnte der Nachmittag eines 15-Jährigen aussehen, dessen Beschreibung sich für viele Erwachsene wie eine Aneinanderreihung von Hieroglyphen liest. Kinder und Jugendliche nutzen Medien und deren Inhalte meist völlig selbstverständlich. TV, Computer, Handy & Co. stellen einen festen Bestandteil in ihrem Alltag dar. Doch welche Medien nutzen Kinder und Jugendliche besonders gerne und intensiv? Welche Medieninhalte sind besonders beliebt? Wie nutzen Kinder und Heranwachsende Medien? Jugend – Migration – Sozialisation – Bildung 20 101 Projektideen gegen Rechtsextremismus 20 Von der Delegation zur Kooperation Bildung in Familie, Schule, Kinderund Jugendhilfe 21 Dialogbereit: Mit Pegah Ferydoni im Gespräch 24 „Mein Islambuch“ 25 Interkulturelle Woche 26 2 THEMA JUGEND Mit den WoW-Gildenmates den nächsten Raid planen. Nebenbei mit einem Klassenkameraden via ICQ gemeinsam Hausaufgaben lösen. Kurz die neuen Mails bei wkw checken und die Fotos der letzten Party kommentieren. Dann noch schnell ein neues Musikvideo auf den iPod und die neueste Folge der Lieblingssoap aufs Handy ziehen und ab zum Kumpel, um gemeinsam auf der PS3 eine Blue Ray anzuschauen. Verschiedene Untersuchungen zum Mediennutzungsverhalten von Heranwachsenden beschäftigen sich mit diesen Fragen. Antworten geben insbesondere die beiden repräsentativen Langzeituntersuchungen des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (mpfs) – die KIM- und JIM-Studien. Die KIM-Studie untersucht die Mediennutzung von 6- bis 13-Jährigen, während sich die JIM-Studie mit dem Medienumgang von 12- bis 19Jährigen befasst. Darüber hinaus gibt es insbesondere zur Computer- und Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen vertiefende Einzelstudien, wie beispielsweise die von der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) beauftragte Studie „Heranwachsen im Social Web“, die das HansBredow-Institut durchgeführt hat. Kinder favorisieren TV Die „KIM-Studie 2008. Kinder und Medien, Computer und Internet“, im Rahmen derer 1.200 Kinder und deren Haupterzieher zu ihrem Mediennutzungsverhalten befragt worden sind, zeigt, dass für Kinder das Fernsehen nach wie vor das Leitmedium ist. Kinder schauen durchschnittlich eineinhalb Stunden täglich fern und bevorzugen den Sender KI.KA, gefolgt von Super RTL, RTL, RTL 2 und Pro Sieben. Besonders gerne schauen Kinder die Sendungen SpongeBob Schwammkopf, Gute Zeiten – Schlechte Zeiten und Die Simpsons. Beachtenswert ist, dass 42 % der befragten Erziehungsberechtigten angeben, dass ihre Kinder ein eigenes Fernsehgerät im Kinderzimmer haben. Neben dem Fernseher spielt der Computer eine zunehmende Rolle im Alltag von Kindern. Die durchschnittliche Nutzungszeit beträgt 40 Minuten. Hier zeigt sich jedoch eine starke Altersdifferenz: Während bei den jüngeren Kindern die Computernutzung seltener zum Alltag gehört, macht bei den 12- bis 13-Jährigen die Nutzung bereits 95 % aus. Knapp ein Drittel der Kinder nutzt fast täglich den Computer, etwa die Hälfte ein- oder mehrmals pro Woche. Kinder nutzen den Computer vornehmlich zum Spielen, gefolgt vom Surfen im Internet und von Arbeiten für die Schule oder der Beschäftigung mit Lernprogrammen. Die Relevanz von Computerspielen nimmt bei Kindern ebenfalls mit dem Alter zu. Während bei den jüngeren Zielgruppen knapp die Hälfte (41 %) zu den Spielern zählen, sind dies bei den 12- bis 13Jährigen schon fast 86 %, die zumindest selten spielen. Es ist eine Tendenz festzustellen, dass sowohl die Anzahl der Spieler als auch die Nutzungsintensität zunehmen. Gespielt wird nicht nur am Computer, sondern auch an mobilen Konsolen, wie Nintendo DS, Playstation, XBox oder Wii. Zu den beliebtesten Spielen zählen Super Mario, Die Sims und das Fußballspiel FIFA. Insgesamt zeigt sich, dass Jungen häufiger und länger als Mädchen spielen. Jungen bevorzugen sehr viel häufiger als Mädchen Sport-, Adventure- und Actionspiele, wohingegen Mädchen sich eher für Strategie-, Fun- bzw. Gesellschafts- und Lernspiele begeistern. Darüber hinaus hat der Computer für Kinder mit Blick auf die Internetnutzung eine Bedeutung. Hier zeigt die KIM-Studie 2008: Fast 60 % der Kinder nutzen das Internet zumindest selten. Wie schon bei der Computer(spiel-)nutzung zeigt sich auch hier eine Nutzungsintensivierung mit zunehmendem Alter: Während bei den 6bis 7-Jährigen ca. 20 % Erfahrungen mit der Internetnutzung haben, sind es bei den der 12- bis 13-Jährigen schon 86 %. Fast die Hälfte aller befragten Kinder hat eine Lieblingsseite im Internet. Genannt wurden das Internetangebot des Kinderkanals KI.KA (www.kika.de), das Filmportal Youtube, das Internetangebot des Fernsehsenders Super RTL (www.toggo.de) sowie die Online-Community SchülerVZ. Bei Jugendlichen angesagt – Computer & TV Während bei Kindern der Fernseher ganz klar das Medium Nummer Eins ist, teilen sich TV und Computer bei Jugendlichen Platz Eins in der Beliebtheits- und Nutzungsskala. Zu diesem Ergebnis kommt die repräsentative „JIM-Studie 2008. Jugend, Information, (Multi-)Media“, im Rahmen derer 1.200 12- bis 19-Jährige zu ihrem Medienverhalten befragt wurden. 89 % der Befragten nutzen täglich oder mehrmals wöchentlich das Fernsehgerät und den Computer. 61 % der 12- bis 19Jährigen besitzen ein eigenes Fernsehgerät. Die durchschnittliche Nutzungsdauer beträgt gut zwei Stunden täglich. Besonders beliebt sind bei Jugendlichen Fernsehprogramme der privaten Sender, wie Pro Sieben, gefolgt von RTL, MTV, VIVA und RTL 2. Dem Computer kommt ein vergleichbarer Stellenwert zu. Fast alle Jugendlichen (97 %) nutzen den Computer mindestens einmal im Monat. Bei der Offline-Nutzung steht das Arbeiten für die Schule an erster Stelle, gefolgt von Computerspiele spielen, Texte schreiben, Musik-CDs zusammenstellen, Bild-/Fotobearbeitung und DVDs anschauen. Geschlechtsspezifische Abweichungen in der generellen Nutzung oder Differenzen in den unterschiedlichen Altersgruppen oder dem Bildungshintergrund sind ohne weitere Bedeutung. Ein anderes Bild ergibt sich bei der Nutzung von Computerspielen. 60 % der Jungen besitzen eine Spielkonsole für Computer und Fernsehgerät, bei den Mädchen sind es hingegen nur 29 %. Die Hälfte der Mädchen gehört zu den Nicht-Nutzern von Computerspielen. Geschlechtspezifische Unterschiede zeigen sich auch mit Blick auf die Spielinhalte. Mädchen mögen Spiele wie Die Sims, Solitär und SingStar, Jungen präferieren Spiele wie das Fußballspiel FIFA, das Autorennspiel Need for Speed, das Actionspiel Grand Theft Auto, den Taktik-Shooter Counterstrike und das Online-Rollenspiel World of Warcraft. Ein vergleichbares Bild ergibt sich für die Internetnutzung. 97 % der Jugendlichen nutzen das Internet mindestens selten. Auch hier zeigen sich keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Altersgruppen, dem Geschlecht und dem Bildungshintergrund. Fast alle Jugendlichen (96 %) verfügen zuhause über einen Internetzugang, die Hälfte davon sogar im eigenen Zimmer. Die Nutzungsdauer beträgt pro Tag durchschnittlich zwei Stunden. Jugendliche nutzen im Internet regelmäßig insbesondere Suchmaschinen, Instant Messaging, Online-Communities, E-Mails und Chats. Hier zeigt sich deutlich, dass Kommunikation im Mittelpunkt der OnlineAktivitäten von Jugendlichen steht. Besonders beliebt – Web 2.0 Jugendliche nutzen besonders intensiv Online-Communities. Zu diesem Ergebnis kommt die JIM-Studie, die im Jahr 2008 einen Untersuchungsschwerpunkt auf die Nutzung solcher Web 2.0-Anwendungen und dem damit verbundenen Umgang mit persönlichen Daten gelegt hat. Aufgrund der zunehmenden Relevanz solcher Angebote untersucht die aktuelle LfMStudie „Heranwachsen mit dem Social Web. Zur Rolle von Web 2.0 –Angeboten im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ im Rahmen einer Repräsentativbefragung vertiefend den Umgang von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 12 bis 24 Jahren mit dem sogenannten Social Web. Zu den beliebtesten und am häufigsten genutzten Angeboten zählen Netzwerkplattformen wie SchülerVZ, StudiVZ und MySpace, die Videoplattform YouTube, Instant-Messaging-Dienst, wie ICQ oder MSN sowie die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Netzwerkplattformen nehmen eine Schlüsselposition in der Internetnutzung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein, da sie in besonderem Maße auf die Kommunikationswünsche und den jugendlichen Bedarf an sozialer Vernetzung zugeschnitten sind. Wie die Untersuchung zeigt, erreicht die Nutzung von Netzwerkplattformen ihren Höhepunkt im Alter von 16 Jahren. Wie diese als auch die JIM-Studie 2008 zeigen, gehen Jugendliche oftmals sehr unbedarft mit persönlichen Angaben im Internet und insbesondere in Web 2.0Anwendungen um. Die Mehrzahl der Internetnutzer, so die JIM-Studie, veröffentlicht online Informationen zu ihren Vorlieben oder Hobbies, stellt Bild- oder Fotomaterial, die eigene E-Mail-Adresse oder Liebe Leserinnen und Leser! Wenn auch Vergleiche oft hinken, so können sie dennoch für die Auseinandersetzung hilfreich sein, so Kardinal Lehmann (Mainz) in einem Fachaufsatz zum Thema „Medienkompetenz und Verantwortung“. Folgenden Vergleich bietet er seiner Leserschaft an: „Der Jugendmedienschutz und die Vermittlung von Medienkompetenz verhalten sich auf den ersten Blick in gewissem Sinn zueinander wie die Straßenverkehrsordnung und der Führerschein.“ Gesetze geben die Regeln vor, um deren Beachtung und Einhaltung es geht. Der Führerschein ist der Nachweis dafür, dass die Fähigkeit erlernt wurde, sich in bestimmten Rahmenbedingungen frei und verantwortlich zu bewegen. So ist es auch – wie Kardinal Lehmann es sieht – mit dem gesetzlichen Jugendmedienschutz und der Vermittlung von Medienkompetenz. In dieser (und der nächsten) Ausgabe von THEMA JUGEND geht es um die Mediennutzung im Alltag von Kindern und Jugendlichen, um bestehende Gefährdungen und um den verantwortlichen Umgang mit neuen Medien (siehe Führerschein). Uns sind bei der Planung dieser Ausgabe so viele verschiedene Aspekte in den Blick gekommen, dass wir uns entschlossen haben, zwei Themenhefte zum „Tatort Computer“ herauszugeben. Also … Fortsetzung folgt! Ein Dank den Autorinnen und Autoren, auch denen im Redaktionsbeirat von THEMA JUGEND, die mitgeplant haben und vor allem Gesa Bertels, Referentin der Landesarbeitsgemeinschaft, die die Gesamtplanung beider Themenhefte (3/2009 und 4/2009) übernommen hatte. Und ein Dank an Claudia Gerstenberg, die die Redaktion kräftig unterstützt. Sie sorgt dafür, dass die Manuskripte eine lesbare Form erhalten. Schließlich mein Dankeschön an alle Leserinnen und Leser unserer Zeitschrift, die uns Rückmeldungen geben. Herzliche Grüße aus der Redaktion Georg Bienemann THEMA JUGEND 3 die Nummer ihres Instant Messengers ein. Das Ergebnis, dass bei gut einem Drittel der Web 2.0-Nutzer diese persönlichen Daten ungeschützt für alle Internetnutzer einsehbar sind und dass bei knapp zwei Dritteln nur „Freunde“ an diese Informationen gelangen können, zeigt, dass es Jugendlichen oftmals an Sensibilität für den Schutz der eigenen und der anderer Daten fehlt. Die genannten Studien zeigen einmal mehr, dass Heranwachsende sich häufig nicht bewusst darüber sind, dass das Internet ein öffentlicher, für jedermann einsehbarer Raum ist und dass mitunter Gesetze und Rechte (ihre eigenen und die anderer) verletzt werden. Beispielsweise können die bei studiVZ, wer-kennt-wen oder meinVZ eingestellten Bilder, die einen selbst auf einer feucht fröhlichen Party zeigen, mitunter auch noch Jahre später von anderen eingesehen werden – so auch möglicherweise vom Lehrer oder Vorgesetzten. Der vermeintlich gleichaltrige süße Typ, den man bei ICQ oder MSN kennengelernt hat, kann in der Realität alles andere als gleichaltrig und „süß“ sein und möglicherweise mit unlauteren Absichten eine falsche Identität vorgegeben haben. Auch das nach eigenem Befinden lustige Video vom Nachbarn, der seinen neuen Sportwagen rückwärts gegen die Litfaßsäule gesetzt hat, und das nun von jedermann bei YouTube abrufbar ist, verletzt, da keine Einwilligung der dargestellten Person vorliegt, Persönlichkeitsrechte. All die Beispiele zeigen – Heranwachsende brauchen eine altersgerechte Begleitung ihrer Mediennutzung. Gefragt sind hier die Erwachsenen – Eltern, Pädagogen und Personen mit Beratungsfunktion gegenüber Familien. Medienkompetenz kompetent vermitteln Unbestritten verfügen Heranwachsende oftmals über ein hohes Maß an Technikkompetenz, ihre Kompetenz zum kritisch-reflektierenden Umgang mit Medien hingegen muss gefördert werden. Mit Blick auf den skizzierten Stellenwert von Medien im Alltag von Kindern und Jugendlichen stellen sich immer wieder – sowohl in der öffentlichen Diskussion, als auch ganz praktisch für Eltern, Pädagogen und Personen mit Beratungsfunktion gegenüber Familien – die Fragen: Welche Kompetenzen benötigen Kinder und Jugendliche, um mit Medien und ihren Inhalten kompetent und selbstbestimmt umgehen zu können? Und: An wen kann man sich mit Fragen wenden oder wenn man Informationen benötigt? Informationsangebote kennen und nutzen Was also können Eltern und Personen, die mit Kindern und Jugendlichen Umgang 4 THEMA JUGEND haben, tun? Es mag auf den ersten Blick vielleicht überflüssig erscheinen, darauf überhaupt zu verweisen, wenn man auffordert: Zeig Interesse an den Medien und Medieninhalten, die Heranwachsende nutzen! Nimm die Interessen der Heranwachsenden ernst! Such das Gespräch und frag, was daran fasziniert! Nimm aktiv teil und erlebe die Medieninhalte gemeinsam! Auf diese Weise wird die „jugendliche Medienwelt“ auch für Erwachsene nachvollziehbar und es gelingt ein Gesprächseinstieg, der eine Basis dafür schaffen kann, Jugendliche für die Risiken der Mediennutzung zu sensibilisieren. FLIMMO gibt Eltern von Kindern zwischen 3 und 13 Jahren Orientierungshilfen zum aktuellen Fernsehprogramm, indem FLIMMO Sendungen bewertet, die Kinder gerne sehen oder mit denen sie als Mitseher in Berührung kommen. Die Broschüre erscheint dreimal jährlich und wird bundesweit kostenlos an Kindergärten, Schulen, Apotheken, Beratungsstellen, Bibliotheken und andere Einrichtungen verteilt. Das nichtkommerzielle Informationsangebot Handysektor informiert Jugendliche über Risiken bei der Handynutzung. Zu den Fotos in diesem Heft Die 72-Stunden-Aktion der Jugendverbände ist ein gutes Beispiel für „Lernen durch Tun“. Nicht der Bildschirm wird zur bestimmenden Größe. Die Aktion mit der Gruppe öffnet neue Erfahrungsräume und fördert ein selbstbestimmtes und ereignisvolles Leben. Das ist Leben live (siehe auch den Kommentar auf Seite 22). Um aber auch das eigene Wissen über einzelne Medien(-inhalte) und deren Chancen und Gefahren zu erweitern oder auch um Unterstützung in der Medienerziehung zu erfahren, gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Beratungsangeboten. Beispielsweise findet man kompetente Ansprechpartner in den Jugendämtern, in den Familienbildungseinrichtungen und den örtlichen Medienzentren. Darüber hinaus sind die Landesmedienanstalten der einzelnen Bundesländer, zu deren Aufgaben die Förderung von Medienkompetenz gehört, ein zentraler Ansprechpartner für alle Fragen rund um das Thema Medienerziehung, sowohl für Eltern als auch für Multiplikatoren. Diese halten viele, häufig kostenlose und nach verschiedenen Medien sowie Altersgruppen aufbereitete Informationen und Materialien bereit, die Eltern, Pädagogen und Pädagoginnen sowie Personen mit Beratungsfunktion gegenüber Familien in der Medienerziehung unterstützen. Einige beispielhafte Informations- und Beratungsangebote der Landesmedienanstalten sind das Internet-ABC, klicksafe, FLIMMO und Handysektor. Das Internet-ABC will Internetkompetenz auf breiter gesellschaftlicher Ebene fördern. Die werbefreie Plattform richtet sich an Kinder von 5 bis 12 Jahren, Eltern und Pädagogen und bietet zielgruppenspezifisch aufbereitetes Basiswissen sowie konkrete Hilfestellung und Informationen über den sicheren Umgang mit dem Internet an. klicksafe ist der deutsche Knotenpunkt im Safer Internet Programm der Europäischen Union und bietet umfassende Informationen zu verschiedenen Aspekten der sicheren Internetnutzung, darunter beispielsweise zum Umgang mit Urheberrechten, zum Datenschutz im Netz sowie zum Thema Chat, Instant Messaging, Onlinespiele und Spielkonsolen. Eine Übersicht der Medienkompetenz- und Forschungsaktivitäten der Landesmedienanstalten sowie eine Übersicht der Informations- und Beratungsangebote finden sich auf den Seiten der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM). Projekte und Angebote zur Förderung von Medienkompetenz in NordrheinWestfalen werden im Medienkompetenzportal NRW bereitgestellt. 쏋 Literatur: Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.): JIM 2008. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart 2008 (http://www.mpfs.de/ fileadmin/JIM-pdf08/JIM-Studie 2008.pdf). Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.): KIM-Studie 2008. Kinder und Medien Computer und Internet. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger in Deutschland. Stuttgart 2009 (http://www.mpfs.de/fileadmin/KIMpdf08/KIM08.pdf). Schmidt, Jan-Hinrik/Paus-Hasebrink, Ingrid u. Hasebrink, Uwe: Heranwachsen mit dem Social Web. Zur Rolle von Web 2.0 – Angeboten im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Kurzfassung des Endberichts für die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), April 2009 (http://www.lfmnrw.de/downloads/zusammenfassung socialweb.pdf). Im Text genannte Medienkompetenzprojekte und Informationsangebote: FLIMMO: www.flimmo.de Handysektor: www.handysektor.de Internet-ABC: www.internet-abc.de Klicksafe: www.klicksafe.de Medienkompetenzangebote der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland: http://www.alm.de/250.html Medienkompetenzportal NRW: www.medienkompetenz-nrw.de Dr. Meike Isenberg ist Referentin für Forschung und Medienkompetenz bei der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) (www.lfm-nrw. de, www.medienkompetenz-nrw.de). Kontakt: [email protected] Durch das Internet sehen sich Kinder und Jugendliche heute mehr denn je mit grausamen Formen fiktionaler wie auch realer Gewalt konfrontiert. Aber was ist wirklich neu an der Gewalt im Web 2.0? Wie wirken diese Gewaltdarstellungen auf Kinder und Jugendliche? Welche Empfehlungen leiten sich daraus für den Jugendmedienschutz ab? Antworten auf diese und andere Fragen bietet die aktuelle Studie „Gewalt im Web 2.0“. GEWALT UND CYBERMOBBING IM WEB 2.0 Schattenseiten der Vernetzung Petra Grimm „Ja wie gesagt, schon das Militärvideo, also das von YouTube, das ist das erste, an was ich mich sofort erinnere mit Gewalt, (…) also weil das eben so brutal ist.“ (Marlon) Das Zitat des 17-jährigen Marlon, der sich an ein Tötungsvideo auf dem Videoportal YouTube erinnert, zeigt exemplarisch, dass extreme reale Gewaltdarstellungen bei Jugendlichen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen können. Vor dem Hintergrund, dass das Web 2.0 mittlerweile ein integraler Bestandteil der jugendlichen Alltagswelt ist, verwundert es nicht, dass Jugendliche ungewollt oder gewollt auch mit den Schattenseiten des Web 2.0 – u.a. gewalthaltigen Videos und Cyber-Mobbing – konfrontiert werden. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene sind im Web 2.0 vertreten: Jugendliche kommunizieren über Instant-Messenger, suchen Informationen im Netz, sehen sich bei YouTube Videos an, spielen in Online-Games und veröffentlichen in Social Communities ihre privaten Interessen und Vorlieben. Das heißt, es gibt für Jugendliche kaum mehr einen Raum, in dem sie sich medienunabhängig bewegen können. Wie keine Generation zuvor müssen sie im Umgang mit den Medien kompetent handeln. Welche Herausforderungen sich ihnen dabei stellen, wird im Folgenden anhand der Befunde der „Gewalt im Web 2.0“Studie (2008) erläutert. Diese Studie entstand im Auftrag von sechs Landesmedienanstalten (NLM, BLM, LMK, MAHSH, MSA, TLM) und umfasst eine quantitative Untersuchung (n = 804) von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 19 Jahren, eine qualitative Befragung internet-vertrauter Jugendlicher sowie eine rechtliche Einordnung der Gewaltproblematik. Was ist neu am Phänomen Gewalt im Web 2.0? Im Zuge der Entwicklung des Internets zum Web 2.0 hat sich auch das Phänomen der medialen Gewalt verändert: Nicht Landjugendliche und Messdiener aus Ascheberg-Herbern verschönerten das Gelände des Hildegardis-Kindergartens und bauten dort unter anderem ein Gartenhaus. Foto: Lena Stratmann mehr allein die Rezeption von gewalthaltigen Inhalten, sondern auch deren Produktion, Bearbeitung, Verbreitung im Internet (Verlinkung und Verschlagwortung) sowie deren ständige Verfügbarkeit auf dem Handy sind für die aktuelle Gewaltproblematik signifikant. Das Zusammenspiel von Handy und Internet im Kontext von gewalthaltigen Inhalten kann als „violente Konvergenz“ (Grimm/Rhein 2007) bezeichnet werden. Des Weiteren kann die Grenze zwischen „Mediengewalt“ und „realer“ Gewalt fließend sein, da aggressive Kommunikationsbotschaften – wie z.B. Cyberthreats – via Internet auch in den privaten Raum Einlass finden und ggf. reale Gewalt zur Folge haben, wenn Jugendliche sich zu Prügeleien verabreden. Nutzung des Web 2.0 – Zuhause Der Hauptort der Internetnutzung der Jugendlichen ist das eigene Zuhause. Gefragt nach dem Ort der häufigsten Internetnutzung nennt fast die Hälfte der Kinder und Jugendlichen das eigene Zimmer. Die Kinder und Jugendlichen, die einen eigenen Computer und Internetzugang haben, nutzen demnach den PC auch hauptsächlich in ihrem Zimmer. Daraus lässt sich folgern, dass der Computer Teil ihres privaten Refugiums ist, zu dem die Eltern nicht ohne Weiteres Zugang finden. Wenn Eltern mit ihren Kindern über Risiken im Internet ins Gespräch kommen wollen (und dies auch sollen), ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass das Handy wie auch der PC bei zahlreichen Jugendlichen analog dem Tagebuch als „total privat“ gilt. Fragt man die Jugendlichen nach möglichen Schutzmaßnahmen, so sehen sie jedoch die Eltern als Dreh- und Angelpunkt für die Eindämmung der Internetgewaltnutzung in der Pflicht. Gerade für Jüngere, die sie für besonders schutzbedürftig halten, stellen Eltern eine Autorität dar; auch der Einsatz von Kindersicherungen für die Jüngeren wird von den befragten Jugendlichen als sinnvoll eingestuft. In diesem Kontext ist auch die mangelnde elterliche Kontrolle zu problematisieren: Mehr als zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen werden von ihren Eltern, was die Dauer der Internetnutzung betrifft, nie oder selten limitiert. Was den Inhalt der genutzten Seiten betrifft, geben sogar 80 % der Kinder und Jugendlichen an, dass ihre Eltern nie oder selten die Seiten kontrollieren, die sie im Internet nutzen. Nur bei rund einem Drittel der Kinder und Jugendlichen sind einige Seiten durch Software gesperrt. Die meisten Eltern beaufsichtigen also den Internetkonsum sowohl hinsichtlich der Dauer als auch der Inhalte nie oder nur selten. THEMA JUGEND 5 von „Nazis“ bedroht werden) stark identifizieren können. Sie berichten in den Interviews angesichts dieser, größtenteils sehr drastischen, Videos und Fotos glaubwürdig von starken emotionalen Reaktionen wie Ekel, Schock und Angst, die bei ihren Schilderungen richtiggehend noch einmal aufleben. In allen Gruppen äußern Jugendliche Empörung und Unverständnis über die Täter und die gezeigte Tat, aber auch über diejenigen, die die Tat filmen und im Internet weiterverbreiten. Eine kritische Haltung zur Nutzung entsprechender Inhalte – und insbesondere eine kritische Haltung zur eigenen Nutzung dieser Angebote – wird allerdings nur vereinzelt zum Ausdruck gebracht, am Pranger stehen v. a. die Täter und die Akteure auf Seiten der Produktion. Hier wäre ein geeigneter Ansatzpunkt für die Medienpädagogik, um mit den Jugendlichen ihr eigenes Medienverhalten zu reflektieren und damit ggf. gewaltpräventive Maßnahmen zu initiieren. Einen neuen Friedhofsweg legten hier Mitglieder der Landjugend und Kolpingjugend sowie Ministranten aus dem oldenburgischen Emstek an. Foto: Marius Meyer Mit welcher Art von Gewalt werden sie konfrontiert? stellungen bekannt sind wie ogrish.com oder rotten.com. Immerhin ein Viertel der 12- bis 19Jährigen, die das Internet nutzen, gibt an, schon einmal Gewalt im Netz gesehen zu haben. Fast doppelt so viele und damit fast die Hälfte der 12- bis 19-Jährigen hat Freunde oder Mitschüler, denen gewalthaltige Seiten bekannt sind. Es sind also immerhin 48 % der Kinder und Jugendlichen, in deren engerem sozialen Umfeld Gewalt im Netz eine Rolle spielt. Die meisten von denen, die gewalthaltige Internetseiten kennen, sind mit fiktionaler Gewalt, wie Bilder aus Horrorfilmen (81,7 %), Gewalt in Spielfilmen (73,3 %) oder nachgestellter extremer Gewalt (66,8 %), konfrontiert worden. Vor dem Hintergrund, dass reale bzw. realistische Gewaltdarstellungen ein höheres Wirkungsrisiko bei Kindern und Jugendlichen haben, ist der relativ hohe Anteil der Befragten, die Fotos bzw. Videos mit Krieg, Folter und/oder Hinrichtungen (42,3 %) sowie Darstellungen von echter extremer/brutaler Gewalt (40,6 %) gesehen haben, als problematisch einzustufen. Wie wirkt Gewalt im Web 2.0 auf die Jugendlichen? Dass gewalthaltige Internet-Inhalte in der Peergroup eine Rolle spielen, lässt sich daraus ableiten, dass sie ihre Information über solche Seiten vor allem von Freunden oder von der Clique beziehen. Zu finden sind die violenten Internetinhalte auf Videooder Fotoportalen – zum Teil auf den gängigen und meistgenutzten Seiten youtube.com, myspace.de oder clipfish.de, zum Teil auf Seiten, die für die entsprechenden gewalthaltigen Inhalte und extremen Dar- 6 THEMA JUGEND Dass die Gewaltdarstellungen im Internet eine andere Qualität und Wirkung als die des regulierten Fernsehens aufweisen, wird von den Jugendlichen übereinstimmend bestätigt. So stufen sie das Gewaltprofil im Internet im Vergleich zum Fernsehen als drastischer ein. Als wichtiges Unterscheidungsmerkmal für die Gewalt im Internet nennen die Jugendlichen deren höheren Grad an Gewalthaltigkeit – in ihren Worten: „heftiger“, „krasser“ bzw. „brutaler“. Bezogen auf das Gesamtsystem Fernsehen wird der Anteil der Gewalt im Internet kritischer gesehen, insbesondere von den bildungsnahen Gruppen. Als weiteres relevantes Unterscheidungskriterium wird die Unzensiertheit der Filme genannt. Ebenso wird die Gewalt im Internet als „echter“ eingestuft. Als Bezugspunkt für die dem Internet zugeordnete tendenzielle „Echtheit“ dienen den Jugendlichen die von den Usern selbst ins Internet gestellten Videos. Unabhängig von ihrer eigenen Affinität zu gewalthaltigen Inhalten, zeigen sich die Jugendlichen besonders nachhaltig beeindruckt von Darstellungen extremer realer Gewalt (z. B. Enthauptungen, Tötungen, Selbstverstümmelungen) und extremer realer Verletzungen sowie von Szenen, bei denen sie sich mit dem gezeigten Opfer (z. B. Migrant, Mädchen) oder der Situation (z. B. einer Übermacht gegenüberstehen, Cyber-Mobbing ist psychische Gewalt Die 16-jährige Melli versteht unter CyberMobbing „psychische Gewalt“: „Na ja, zum Beispiel Videos von Leuten reinstellen, die eigentlich privat sind, intim sind, das ist ja in irgendeiner Form psychische Gewalt. Und dann halt dummmachen und so was also. Ja. Gerüchte verbreiten oder Fototakes reinstellen von irgendwelchen Leuten.“ Aggressivität via Internet, die von den Kindern und Jugendlichen nach eigenen Aussagen als „psychische Gewalt“ wahrgenommen wird, ist kein Einzelfall. So ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die laut unserer Studie im Internet schon einmal unangenehme Erfahrungen gemacht haben, mit einem Drittel relativ hoch. Gewalt via Internet wird von den Jugendlichen auch beschrieben als „schriftliche Gewalt“, „Gewalt in Textform“ oder das Hineinstellen von peinlichen Bildern von Leuten, die nichts davon wissen und/oder auch nicht gefragt wurden, ob sie damit einverstanden sind. Die Grenze zwischen Schul-Mobbing und Cyber-Mobbing ist fließend. So wird durch das Cyber-Mobbing erst ermöglicht, dass das Mobbing nicht mehr nur auf den Schulbereich begrenzt bleibt, sondern zeitund raumunabhängig fortgesetzt werden kann. Bei Cyber-Mobbing handelt es sich um teils anonyme Formen eines aggressiven Verhaltens, die online gegenüber anderen Nutzern ausgeübt werden – sei es in Chatforen, via Instant Messenger oder E-Mail sowie in Social Communities (z. B. SCHÜLERVZ, SCHÜLERCC) oder auch in Online-Computerspielen. Cyber-Mobbing kann nicht nur in schriftlicher Form erfolgen, auch mittels Fotos und Videos kann jemand erpresst, gehänselt, bloßgestellt oder sexuell belästigt werden. Was kommt am häufigsten vor? Als häufigste Form von Mobbing nannten die männlichen Jugendlichen in unseren Interviews Beleidigungen und Beschimpfungen (Flaming). Auch von Cyberthreats berichteten sie, das heißt von OnlineDrohungen, bei denen Übergriffe auf sie angekündigt werden. Bei den Mädchen stehen hingegen sexuelle Belästigungen, denen sie ausgesetzt sind, im Vordergrund. Zum Teil wurden sie aufgefordert, vor der Webcam zu strippen, zum Teil wurden ihn eindeutige Angebote gemacht. Sowohl Mädchen als auch Jungen erzählten von sog. Impersonation-Aktionen als eine weitere Form des Cyber-Mobbings, d. h. bei denen jemand ein gefälschtes Profil einsetzt, um andere zu täuschen. Dies reicht von relativ harmlosen Streichen bis hin zu gezielten Täuschungsversuchen. Es könnte jeden treffen Das Risiko, Opfer von Cyber-Mobbing zu werden, ist größer als beim „herkömmlichen“ Mobbing, da für die Täter die Schwelle zum Mobben geringer ist, weil sie glauben, anonym bleiben zu können. So kann es schon genügen, dass eine Freundschaft oder Beziehung geplatzt ist, um ggf. ein Opfer von CyberMobbing zu werden. Ebenso ist unreflektierten Tätern möglicherweise gar nicht die Wirkung bewusst, die sie durch ihr mediales Handeln beim Opfer verursachen. Kinder, die Opfer von Cyber-Mobbing geworden sind, sollten unbedingt ihren Eltern oder einem Erwachsenen, zu dem sie vertrauen haben, davon erzählen. Je nachdem, wo und wie Mobbing stattfindet, kann man sich auch direkt wehren; z. B. sich bei den Social Communities (wie SCHÜLERVZ) an den Betreiber wenden und die Attacken melden, sodass die Täter gesperrt werden können. Handelt es sich bei den Tätern um Schüler/innen, sollten sich die Opfer auch an einen Lehrer bzw. an eine Lehrerin wenden. Empfehlungen – ein Maßnahmenkatalog Forderung und Förderung technischer Schutzmaßnahmen technische Konfigurationen und Sicherheitstools verbessern (insbesondere für die Social-NetworkCommunities bzw. vergleichbare Angebote) und in Form konkret formulierter Mindeststandards verbindlich vorgeben Anreize für Anbieter schaffen, um die technischen Schutzstandards zu verbessern, Motivation der Industrie zur Bereitstellung von Know-how Zum Beispiel: sichere Grundeinstellungen im Hinblick auf Privatsphäre und Kontakte I intelligente Filtersysteme (z. B. BadWord-Filter für Nicknames und Gruppen, Dialogfilter zur Vorbeugung sexueller Übergriffe) I Log-Funktionen zur Dokumentation von Verstößen („Spurensicherung“) I leicht zu bedienende Ignorier- und Notruf-Funktionen zur Sperrung und Verfolgung von Belästigern bzw. zum Herbeiholen schneller Hilfe (Einschreiten durch den Anbieter/Moderator) I Subventionierung oder/und steuerliche Erleichterungen für Investitionen in die Entwicklung und Anschaffung entsprechender Hard- und Software (verlässliche Filtersysteme und Systeme zur Identitätsund Altersverifikation bei Minderjährigen) Festschreibung von Kontrollpflichten Verpflichtung der Anbieter zur Prävention: konkrete Begleit- und Kontrollpflichten, um die Sicherheit der jugendlichen Nutzer bei der Nutzung von Social Communities und Videoportalen zu verbessern I Kodifizierung von Mindestausstattungen von Moderations- und Supportteams (Anzahl, Qualifikation, zeitliche Verfügbarkeit) I Festlegung von Kontrollpflichten/-intervallen bei unmoderierten Chats und bei sonstigen von den Nutzern eingestellten Inhalten (Fotos, Videos u. dgl.) I Bereitstellung eines bestimmten, qualifizierten Mitarbeiterstabes (in Relation zum Umfang des Angebotes/der Größe der Community) I regelmäßige Stichprobenkontrollen (z. B. Recherche mit szenetypischen Begriffen – z. B. „Opfer“ – in der Gruppen- und Profilsuche) Stärkung der Selbstkontrolle der User Reflexionsprozesse im Hinblick auf Gewalt im Web 2.0 und das eigene Mediennutzungsverhalten in Gang setzen Kompetent machen im Umgang mit Cyber-Mobbing und Hilfsangebote zur Verfügung stellen (auch via Netz) Wie bekommen wir das Gewaltproblem des Web 2.0 in den Griff? Positive und aktive Zugänge zum Web 2.0 eröffnen Rechtlich werden gewalthaltige Internetangebote in Deutschland durch das Strafrecht und die Spezialregelungen des Jugendmedienschutzrechts sehr gut erfasst. Das deutsche Jugendmedienschutzrecht gilt als wegweisend in Europa. Dennoch stößt es in der Praxis auch an Grenzen, da jugendgefährdende Inhalte sich nicht selten auf den Seiten ausländischer Anbieter finden. Was können wir konkret in der Medienpraxis tun, um Kinder und Jugendliche vor problematischen Inhalten im Rahmen der fak- Mobilisierung der Selbstkontrolle der Nutzer tischen Möglichkeiten zu schützen und sie kompetent zu machen im Umgang mit diesen Inhalten? In der folgenden Übersicht werden Empfehlungen für den Jugendschutz aufgeführt (vgl. ausführlich dazu die Handlungsempfehlungen, die in der „Gewalt im Web 2.0“-Studie 2008, 283-291 von Clausen-Muradian beschrieben wurden): I Thematisierung ethischer Regelkodices (Netiquette) auf Jugendportalen I Unrechtsbewusstsein der Kinder und Jugendlichen im Hinblick auf ihren persönlichen Umgang mit solchen Inhalten fördern I Schulung von jugendlichen Internetscouts, die jüngeren Usern bei Cybermobbing helfen I Wettbewerbe für kreative Videos, Fotos und Texte I Diskussionsforen zu jugendlichen Themen I Kennzeichnung von problematischen/ nicht veröffentlichungswürdigen Inhalten Literatur: Grimm, Petra/Rhein, Stefanie/Clausen-Muradian, Elisabeth: Gewalt im Web 2.0: Der Umgang Jugendlicher mit gewalthaltigen Inhalten und Cyber-Mobbing sowie die rechtliche Einordnung der Problematik. Schriftenreihe der NLM, Bd. 23. Berlin 2008. Grimm, Petra/Rhein, Stefanie: Slapping, Bullying, Snuffing! Zur Problematik von gewalthaltigen und pornografischen Videoclips auf Mobiltelefonen von Jugendlichen. Schriftenreihe der Medienanstalt Hamburg/ Schleswig-Holstein (MA HSH). Bd. 1. Berlin 2008. THEMA JUGEND 7 Kampagne watch your web stärkt Jugendliche im Umgang mit persönlichen Daten im Netz Verankerung von verbindlichen Aufklärungspflichten für Anbieter der Community-Plattformen: Informationen über Gefahren und Risiken VIVA unterstützt zusammen mit weiteren Partnern die Online-Initiative der Bundesregierung für sicheres Surfen Unterrichtung über mögliche Strafbarkeit und deren Konsequenzen 쏋 Nach dem Start der Kampagne watch your web im Juni 2009 hat sich die Internetkampagne bei den 12- bis 16-Jährigen rasend schnell verbreitet. „Die virale Strategie, also die Jugendlichen direkt im Netz anzusprechen, greift sehr gut“, so Daniel Poli, Koordinator des Projektes Jugend online. „Eine halbe Million Jugendliche haben sich über ein Profil bei SchülerVZ zum Thema Datensicherheit informiert.“ Jugendliche im Umgang mit ihren Daten im Netz zu sensibilisieren, das ist das Ziel der von Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) und Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderten und durch Kooperationspartner unterstützten Netzinitiative watch your web. Auf der Kampagnen-Webseite www.watchyourweb.de finden Jugendliche praktische Tipps, einen Webtest und eine Pinwand, wo sie ihre Interneterfahrungen mitteilen können. Sie können sich Filme anschauen, die ihnen die Botschaften vermitteln: „Das Internet vergisst nichts! Was einmal im Internet steht, kann sich schnell verbreiten! Virtuelles ist real! Im Internet ist man nicht immer ungestört!“ Die Filme, die allein bei youtube.com 280.000 Mal aufgerufen wurden, sensibilisieren die Jugendlichen für die Gefahren im Netz und fordern sie zu einem kritischen und verantwortungsvollen Handeln auf. Haben die Jugendlichen Fragen oder Ängste in Bezug auf die Internetnutzung, so können sie sich anonym an die Comicfigur Webman wenden. Er beantwortete bereits 4.000 Fragen persönlich. Er setzt sich für das Gute im Netz ein. Dadurch werden Jugendliche aller Schulformen und Bildungsmilieus von Anfang an auf Augenhöhe in die Kampagne einbezogen und sie erleben sich selbst als Träger von Informationen und nicht als Objekt von Belehrungen und Verboten. Gefördert wird die Kampagne von BMELV und BMFSFJ sowie vielen weiteren Kooperationspartnern. Dazu zählen beispielsweise die sozialen Netzwerke SchülerVZ, Facebook, wer kennt wen und Lokalisten oder der Medienpartner VIVA. Ebenso unterstützen Vereine, Verbände und Unternehmen aus den Bereichen Datensicherheit, Medien- und Jugendpädagogik und Bildungspolitik die Jugendkampagne watch your web. 쏋 Kontakt: Andrea Heiliger Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Jugend online IJAB - Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. Godesberger Allee 142 – 148 53175 Bonn Telefon: (0228) 9506-157 Telefax: (0228) 9506-199 E-Mail: [email protected] www.ijab.de, www.jugend.info www.watchyourweb.de 8 THEMA JUGEND Erhöhung der Aufklärungspflichten Platzierung von aufklärenden Hinweisen bereits auf der Eingangsseite I I I z. B. bei Änderung der Konfigurationen oder Nutzung riskanter Features bei Mittäterschaft durch Verbreitung und Zugänglichmachung entsprechender Inhalte oder durch „Empfehlung“ problematischer Links wie z. B. bei der Community-Plattform SCHÜLERVZ praktiziert Informationen für Eltern verbindlich machen, so dass die Eltern das Angebot und seine Risiken für ihr Kind beurteilen können Labeling der Web 2.0-Angebote für Eltern nach Risikofaktoren Selbstkontrolle der Anbieter entsprechende Maßnahmen als konkrete Selbstverpflichtungen in Kodizes aufnehmen I Vorteil von Regelungen im Rahmen der Selbstkontrolle: Anbieter können selbst kreative individuelle Lösungen entwikkeln, die dem Jugendschutzanspruch einerseits und marktwirtschaftlichen Interessen gerecht werden Intensivierung der Medienerziehung in der Schule und Förderung der Medienkompetenz der Eltern Aufwertung der schulischen Medienerziehung durch Einrichtung eines eigenständigen Unterrichtsfaches „Medienkunde“ Stärkung der Medienkompetenz der Lehrer als eigenständiger Bildungsauftrag Erstellung von Lehrmaterialien (auch für jugendschutzrelevante und medienethische Themen des Web 2.0) Stärkung der schulischen medienpädagogischen Elternarbeit I I I I wie z.B. in Thüringen: eigenständiges schulisches Ausbildungsfach mit der Dokumentation des erreichten Ausbildungsstandes in einem sog. Medienpass als verbindlicher Anlage des Schulzeugnisses Intensivierung der medienpädagogischen Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte wie z. B. von klicksafe.de zum Thema „Cybermobbing“ z. B. im Rahmen von Schulveranstaltungen, Elternabenden 쏋 Prof. Dr. Petra Grimm ist als Medienwissenschaftlerin an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart lehrend tätig. Sie ist Dekanin der Fakultät Electronic Media. Gewalthaltige PC-Spiele haben ein Image-Problem. Ihre Kritiker monieren die brutalen Darstellungen, die von den Spielern konsumiert werden sowie die von ihnen aktiv auszuübenden aggressiven Handlungen. Der Jugendmedienschutz fordert vielfach eine Verschärfung der Freigabepraxis. Die Nutzer selber kritisieren wiederum die Kritiker und ihre oftmals einseitige Darstellung möglicher Auswirkungen. In dieser Kakophonie erscheint es lohnenswert, besonders auf die Stimme der Medienwirkungsforschung zu hören, um den Blick zu objektivieren und mögliche Ansatzpunkte für Präventionsstrategien ausfindig zu machen. PC-SPIELE – URSACHE DES ÜBELS? Gewalt in Computerspielen und ihre Wirkungen Christoph Klimmt „Unser Begleiter instruiert uns, den linken Gegner anzuvisieren und auf sein Zeichen zu warten. Als er den anderen Feind im Fadenkreuz hat, gibt er das Kommando ‚Abdrücken!’ Zwei leise ‚Fupp’ lösen sich aus unseren schallgedämpften Sturmgewehren, gefolgt vom Geräusch zweier auf den Schnee plumpsender Körper. Die Typen hatten nicht einmal den Hauch einer Ahnung, wer oder was sie getroffen hat“. Mit diesen Worten beschreibt ein sichtlich begeisterter Redakteur der Fachzeitschrift „PC Games“ (Heft 07/2009, 36) die ersten Spielszenen, die ihm von einem neuen Titel „Call of Duty: Modern Warfare II“ gezeigt wurden. Sie sind beispielhaft für die öffentliche Debatte, die gerade mit Blick auf den Jugendmedienschutz über gewalthaltige Computerspiele geführt wird. Auf der einen Seite stehen Spieler, die sich für „realistische“ Darstellungen und „tolles Gameplay“ begeistern können. Auf der anderen Seite stehen viele (ältere) Erwachsene, die selbst kaum Spielerfahrung besitzen, aber angesichts der Gewaltdarstellungen auf dem Bildschirm zwischen Fassungslosigkeit und Empörung schwanken. In der Tat macht sich der enorme technische Fortschritt der Spielesoftware gerade auch bei den Gewaltdarstellungen in den „Spielen für Erwachsene“ bemerkbar: Menschliche Figuren sehen immer echter aus, die Verletzungen und Verstümmelungen, die ihnen im virtuellen Kampf beigebracht werden, auch. Die Videovorschau auf ein anderes neues „Call of Duty“-Spiel („World at War“) zeigt Weltkrieg-II-Infanteristen, die bei lebendigem Leib verbrennen – in High Definition. Explizitheit und immense Brutalität in den Gewaltdarstellungen ist ein Argument, mit dem die Problematik gewalthaltiger Computerspiele begründet wird. Interaktivität ist zumeist das zweite: Die Spieler (es sind fast ausschließlich Jungen und junge Männer, die sich für die gewalthaltigsten Genres begeistern) würden schließlich nicht nur bei medialen Gewaltdarstellungen zuschauen, wie das bei Film und Fernsehen der Fall ist. Vielmehr verüben sie die Pixel-Massaker selbst, die Spieler bewirken all die Rohheiten, die auf dem Bildschirm zu sehen sind. Dass müsste – so die häufig geäußerte Besorgnis – doch noch viel schlimmer für die jugendliche Moral sein als das vergleichsweise passive Anschauen von Kriegsfilmen (die im Übrigen mindestens so brutale Szenen enthalten wie die brutalsten Computerspiele, aber dazu später). Erklärung für das Unerklärbare Die Diskussion über gewalthaltige Computerspiele wird nicht nur von diesen Eigenschaften und Trends des Mediums selbst befeuert. Äußere Anlässe für die Debatte, wie mit gewalthaltigen Computerspielen umzugehen sei, liefern zumeist extreme Gewalttaten männlicher Jugendlicher, nämlich so genannte High School Shootings oder Amokläufe. Bei mehreren Tätern wurde im Nachhinein eine Vorliebe für gewalthaltige Computerspiele entdeckt. Ein (kausaler) Zusammenhang erscheint da plausibel, eine Erklärung für das Unerklärbare scheint gefunden. Der mediale Widerhall von Amokläufen scheint dabei vor allem durch die schiere Häufigkeit, mit der die Frage thematisiert wurde („Waren Killerspiele die Ursache?“) in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer Reifikation (Vergegenständlichung) der Verursachungsannahme geführt zu haben: Computerspiele gehören in das Erklärungsraster, so dass sich Computerspiele-Experten in der merkwürdigen Situation wiederfinden, ausgerechnet nach einem High School Shooting von Journalisten interviewt zu werden. Computerspiele haben also wegen der Gewaltthematik ein Image-Problem. Das wird auch daran erkennbar, dass der Jugendmedienschutz im Bereich Computerspiele in den vergangenen Jahren sehr viel stärker kritisiert und sehr viel argwöhnischer beäugt wurde als die Jugendschutzinstitutionen, die sich etwa um Film und Fernsehen kümmern. Die Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK), die die Alterskennzeichnungen neuer Spiele vornimmt (und diese auf ein international nahezu einzigartig aufwändiges Prüfverfahren stützt) wurde wiederholt angegangen, ihre Freigabepraxis sei zu lasch und würde das offenkundige Problem mit den Gewaltspielen noch verschärfen. Die Evaluation der USK-Tätigkeit durch das Hamburger Hans Bredow-Institut für Medienforschung hat zwar diese Vorwürfe nicht bestätigt. Dennoch zeigt der teilweise harsche Ton, der gegenüber der USK angeschlagen wurde, wie stark die Empörung über „den Spaß am virtuellen Töten“ in Teilen von Politik und Gesellschaft zu sein scheint. Auch die öfters wiederholten Forderungen nach Verboten von gewalthaltigen Computerspielen – nichts anderes als Zensur, in Bezug auf Kriegsfilme oder -bücher hierzulande undenkbar – ist ein Indikator für diese emotional aufgeladene Herangehensweise. Und dann sind da noch ein paar Millionen Spieler, vorwiegend männliche Jugendliche und junge Erwachsene. Sie beschweren sich über die Art der Debatte, weil sie sich zu Unrecht kriminalisiert fühlen. Sie werfen Journalisten mangelnden Sachverstand und Einseitigkeit in der Darstellung vor, und sie können das etwa mit YouTube-Videos auch belegen. In diese Beschwerden mischt sich vielfach auch eine der kritischen Berichterstattung diametral entgegengesetzte Vermutung zur Wirkung von gewalthaltigen Computerspielen. Offenkundig wohlgeratene Jugendliche verweisen auf ihre Begeisterung für „Shooter“-Spiele, die sie nicht an einem guten Schulabschluss, hoher Soziabilität oder ehrenamtlichen Engagement hindert. Von Aggressivität als Spielewirkung keine Spur bei mir! Die Forschung erlaubt genauere Aussagen In dieser Gemengelage öffentlicher Interessen operiert die Medienwirkungsforschung über Computerspiele. Sie wird im Wesentlichen von Sozial- und Medienpsychologie sowie der Kommunikationswissenschaft betrieben, wobei die psychologischen Ansätze die Frage stärker von der Perspektive der Aggression(sförderung) angehen, die Kommunikationswissenschaft demgegenüber die Eigenschaften des Mediums (zum Beispiel seine Interaktivität) in den Mittelpunkt stellt. Der Forschungsstand ist in den letzten Jahren beachtlich angewachsen, die An- THEMA JUGEND 9 zahl und – wichtiger noch – die methodische Vielfalt der thematischen Studien haben erheblich zugenommen. Wir können daher heute weiterhin vorläufige, aber längst nicht mehr spekulative Aussagen zum Wirkungspotenzial gewalthaltiger Computerspiele treffen. Allerdings kann die Medienwirkungsforschung keine seriösen Antworten für Einzelfall-Ereignisse wie einen Amoklauf anbieten. Mit sozialwissenschaftlichen Methoden ist eine Ursachenwirkung am Einzelfall nicht nachweisbar. Die Forschung konzentriert sich vielmehr auf sogenannte konzeptionelle Effekte, also Wirkungsprozesse, die grundsätzlich bei allen Menschen auftreten können. Sie interessiert sich daher weniger für vereinzelte extreme Gewalttaten, sondern vielmehr für alltägliche, bei sehr vielen Menschen (freilich in unterschiedlichen Intensitäten) auftretende Formen von Aggressivität, etwa feindseliges Denken, verbale Aggressivität, gesagt Spieler in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine Gruppe nutzt ein gewalthaltiges Spiel, während die andere Gruppe ein weniger oder gar nicht gewalthaltiges, ansonsten aber möglichst ähnliches Spiel erhält. Nach einer festgelegten Spieldauer, zum Beispiel 15 Minuten, werden dann die Spieler hinsichtlich bestimmter Aspekte von Aggressivität untersucht, beispielsweise das Ausmaß feindseligen Denkens in einer Entscheidungsaufgabe. Eine aggressivitätssteigernde Wirkung von Gewaltspielen wird in dieser Untersuchungsanlage daran sichtbar, dass die Spieler, die das Gewaltspiel genutzt haben, im Durchschnitt ein höheres Ausmaß an Aggressivität aufweisen als die Vergleichsgruppe, die ein weniger gewalthaltiges Spiel genutzt hat. Eine zweite wichtige methodische Säule der Medienwirkungsforschung sind längsschnittliche Studien. Forscher beobachten (zumeist) Jugendliche über einen längeren Die KLJB Hopsten legte einen 15 Meter langen Schienenstrang an, auf dem später ein Denkmal mit einer Grubenbahn entstehen sollte. Foto: Marius Meyer Reizbarkeit, mangelnde Bereitschaft zur friedlichen Konfliktbeilegung oder Bullying. Insbesondere Wirkungen auf aggressionsbezogenes und antisoziales Denken werden intensiv untersucht, weil Vorstellungen, Einstellungen und Denkroutinen in vielen sozialen Situationen das Handeln steuern. Vorgehen der Medienforschung In methodischer Hinsicht ruhen die Befunde der Wirkungsforschung vornehmlich auf sogenannten experimentellen Vorgehensweisen. Dabei werden vereinfacht 10 THEMA JUGEND Zeitraum (zum Beispiel ein Jahr) und sammeln zu mehreren Zeitpunkten Informationen über den Gebrauch von Gewaltspielen und das Ausmaß an Aggressivität (z. B. aus Lehrerbeurteilungen). Durch die zeitbezogene Auswertung kann ermittelt werden, ob der Gebrauch von Gewaltspielen einem höheren Maß von Aggressivität vorausgeht oder aber ob ein erhöhtes Maß an Aggressivität eine stärkere Nutzung von Gewaltspielen nach sich zieht. Ersteres würde man als Wirkung der Gewaltspiele begreifen, letzteres als einen umgekehrten Zusammenhang, wonach das bestehende Ausmaß an Aggressivität die Medienwahlentscheidungen von Ju- gendlichen beeinflusst. Diese Art von Studien ist wesentlich aufwändiger als Experimente; es hat daher auch länger gedauert, bis solche Untersuchungen für das vergleichsweise junge Medium Computerspiel vorlagen. Einige Ergebnisse Nimmt man die Befunde solcher experimentellen und längsschnittlichen Feldstudien zusammen, ergibt sich ein relativ klares Bild. Der Gebrauch von Gewaltspielen hat einen aggressionsförderlichen Effekt. Er ist insbesondere für feindseliges Denken (z. B. Reizbarkeit, Ausbildung aggressionsbefürwortender Normen und Einstellungen) belegt. Die durchschnittliche Stärke dieser Wirkung ist nicht beeindruckend, aber sie ist auch definitiv größer als Null. Mit „nicht beeindruckend“ ist gemeint, dass man auch in dem intensiven Gebrauch von Gewaltspielen keine neue universelle Hauptursache für die flächendeckende Verrohung der Jugend sehen kann. Die Wirkungen von Gewaltspielen sind also ein Problemfaktor unter vielen anderen. Wichtig ist nun die weiterführende Erkenntnis, dass sich hinter dem geringen Durchschnittseffekt Spielergruppen mit sehr unterschiedlicher Anfälligkeit verbergen. Manche Spieler bleiben trotz langjähriger intensiver Auseinandersetzung mit Gewaltspielen freundlich und geradezu lammfromm, während andere Spieler schon mit vergleichsweise geringem Konsum von Gewaltspielen merklich konfliktfreudiger und sozial unverträglicher werden. Es gibt also Risikogruppen, um die man sich besondere Sorgen machen muss. Längsschnittergebnisse von Michael Slater (Universität Columbus, USA) zeigen, dass insbesondere Jugendliche mit schwierigem Elternhaus (Scheidung, häusliche Gewalt), Schulleistungsproblemen und/oder häufiger Zurückweisung im Freundeskreis („peer victimization“) als Risikogruppe gelten müssen, bei denen bereits mäßige Gewaltspielnutzung einen relevanten Netto-Effekt auf die GesamtAggressivität hat. Dem stehen wohlbehütete Jugendliche mit intakten Elternhäusern und Peergroups gegenüber, die nach dieser Studie deutlich weniger anfällig für aggressionsförderliche Effekte sind. So bietet sich die Metapher eines kleinen Zahnrads im Getriebe der Persönlichkeitsentwicklung an: Für sich genommen ist der Einfluss von Gewaltspielen eher schwach, aber im Zusammenspiel mit anderen Faktoren können Gewaltspiele ein Problem aggressiver Denk- und Verhaltensmuster erheblich verschärfen. Es kommt dabei auf die Gesamtressourcen der Jugendlichen an: Verfügen sie über ein stabiles, positives und unterstützendes Umfeld, verfügen sie offenbar über ausreichend Ressourcen, so dass aggressionsförderliche Effekte von Gewaltspielen gewissermaßen an ihnen abprallen. Verfügen Jugendliche jedoch über nur wenige Ressourcen (weil ihre Lebensumstände sie damit nicht ausgestattet haben), bestehen erhebliche Risiken unerwünschter Medienwirkungen. Die Wahrheit liegt in der Mitte Diese Befundlage legt den Schluss nahe, dass alle Seiten in der öffentlichen Debatte über „Killerspiele“ ein bisschen Recht haben. Es gibt problematische Wirkungen von gewalthaltigen Computerspielen und die Institutionen der Erwachsenenwelt sind gefordert, sich damit aktiv auseinanderzusetzen. Auf der anderen Seite bestehen diese Wirkungen längst nicht für alle Spieler. Insofern beschweren sich viele Spieler zu Recht darüber, dass sie zu Unrecht kriminalisiert werden. Der Forschungsstand zeigt, dass die Wahrheit in der Mitte liegt. Es gilt daher, die Risiken angemessen und ohne moralischen Impetus einzuschätzen, also weder das Problem zu trivialisieren noch überzogene Maßnahmen zu fordern. Verbote sind nicht nur mit Blick auf die Meinungs- und Medienfreiheit unsinnig, sie lassen sich aus wissenschaftlicher Sicht auch nicht mit dem Wirkungspotenzial des Mediums rechtfertigen. Überdies sind die Wirkungen gewalthaltiger Filme und Fernsehsendungen seit langer Zeit bekannt und bewegen sich statistisch in vergleichbaren Dimensionen wie die Effekte von gewalthaltigen Computerspielen. Die jetzige Entscheidergeneration hätte aber nie gefordert, Steven Spielberg den Dreh von „Der Soldat James Ryan“ zu untersagen oder die Ausstrahlung von „Resident Evil“ (dem Film zum HorrorComputerspiel) zu verbieten. Die harsche Kritik an Gewaltspielen hat also einen Geschmack von zweierlei Maß, und sie zeigt, dass die jetzt erwachsene Entscheidergeneration mit den ihr gut vertrauten Medien differenzierter umgeht als mit dem „neuen“ Medium Computerspiel. Die Wirkungsforschung liefert jedoch keine Argumente dafür, das bestehende Jugendschutzsystem zu verschärfen: Die USK mit ihrem ausgefeilten Prüfsystem leistet das, was institutioneller Jugendmedienschutz leisten kann, nämlich Altersfreigaben gemäß des „Härtegrads“ der Gewaltdarstellungen in Computerspielen abzustufen. Was also tun? Das Interesse gerade männlicher Jugendlicher an „Call of Duty“ und seinen Konkurrenzprodukten lässt sich nicht verbieten. Und die Risikogruppen sind aus der Perspektive der Jugendarbeit und -hilfe wieder einmal die üblichen Verdächtigen: „Unterschichtskinder“ in prekären Lebenslagen mit wenigen eigenen Ressourcen. Ressourcen sind aber auch das Schlüsselwort für die gesellschaftlichen Konsequenzen, die man aus der Wirkungsforschung ziehen sollte. Denn wenn ein Mehr an Ressourcen zu einem Weniger an problematischen Wirkungen führt, existiert hier ein Ansatzpunkt für die Prävention. Verschiedene Forscherteams, etwa Barbara Krahé und Ingrid Möller (Universität Potsdam) erproben bereits Konzepte, wie die Ressourcen von Jugendlichen gestärkt werden können, um das Wirkpotenzial von Gewaltspielen zu dämpfen. Medienkompetenz ist die längst noch nicht veraltete Zielgröße. Die Daueraufgabe der Jugendarbeit – Ressourcen aufbauen, Chancen eröffnen – sollte also um den Aspekt „Computerspiele“ ergänzt werden. Gelingt die Hilfe zum besseren Selbstschutz, lässt sich das Wirkpotenzial von Gewaltspielen in den Risikogruppen womöglich bändigen. Und nebenbei eröffnen sich für Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen durch die Mischung aus großer Games-Erfahrung und gestärkter Medienkompetenz vielleicht ganz neue Partizipationschancen in der Informationsgesellschaft, die sie bisher mangels Bildungsressourcen meistens gar 쏋 nicht mitspielen lässt. Dr. Christoph Klimmt ist als Juniorprofessor am Institut für Publizistik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz tätig. In der internationalen Forschungsliteratur gibt es bisher keine Einigkeit, inwieweit der Begriff „Onlinesucht“ die verschiedenen interaktiven Handlungen des exzessiven Chattens zusammenfasst. Feststellbar sind bedenkliche Folgen wie Kontrollverlust und Leistungseinbuße. Und auffallend sind, ähnlich wie bei Abhängigkeitserkrankungen, „erlaubniserteilende Kognitionen“. Insgesamt steht die Forschung am Anfang, auch wenn es derzeit einige neuere Studien gibt. – Der Autor setzt sich mit dem Abhängigkeitsbegriff und den Kriterien für Abhängigkeit auseinander, ferner mit der aktuellen Studienlage und dem Suchtpotential von Online-Rollenspielen. COMPUTERSPIELE UND ONLINESUCHT Süchtig nach einer virtuellen Welt? Klaus Wölfling Seit geraumer Zeit häufen sich Fallberichte aus der stationären und ambulanten allgemeinpsychiatrischen Versorgung, aus Sucht- und Erziehungsberatungsstellen sowie aus der allgemeinmedizinischen Praxis über einen exzessiven Gebrauch elektronischer Medien – vor allem das suchtartige Computerspielverhalten bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Grundsätzlich herrscht in der internationalen Forschungsliteratur bisher noch keine Einigkeit darüber, inwieweit der Begriff Onlinesucht, der verschiedene interaktive Handlungen, wie z. B. exzessives Chatten, Pornographie, Surfen oder Informationssuche sinnvoll zusammenfasst. Bislang gibt es im deutschen Sprachraum auch noch wenig empirische wissenschaftliche Belege, inwieweit moderne interaktive Medien von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen kompetent beziehungsweise dysfunktional genutzt werden. Gerade Online-Rollenspiele, die sogenannten MMORPGs (Massive Multiplayer Online Role Play Games), scheinen ein hohes Suchtpotenzial in sich zu bergen; empirische Untersuchungen weisen daraufhin, dass die überwiegende Mehrheit der psychopathologisch auffälligen Spieler diese Spielform nutzen (Wölfling et al. 2008). Betrachtet man die vielfältigen psychischen Wirkungen von MMORPGs, so fällt auf, dass die hohe Spielanbindung der Nutzer durch die ständige und nicht pausierbare Verfügbarkeit der virtuellen Welten, das mit dem (enormen) zeitlichen Einsatz korrelierende steigende soziale Prestige und die Vertiefung sozialer Bindungen und Verpflichtungen innerhalb der Spielergemeinschaften (Gilden) erreicht wird. Letzteres führt aufgrund des Spieldesigns der meisten Online-Rollenspiele dazu, dass Verpflichtungen und Versäumnisängste gegenüber den virtuellen Kontakten bei den Nutzern entstehen, da zahlreiche für das THEMA JUGEND 11 Spiel notwendige Aufgaben nur im sozialen Gruppengefüge lösbar sind. Die Möglichkeit, in diesen virtuellen Welten unkompliziert unzählige nicht-reale Beziehungen einzugehen, die Verdichtung bzw. die Ausweitung von Zeiterleben während der Spielhandlung, der Verlust an Orientierung im virtuellen Raum (der sogenannte „Tunnelblick“ vor dem Monitor) sowie die Chance sozialen Status unabhängig von materiellen oder persönlichen Voraussetzungen zu erringen, einer exzessiven bzw. suchtartigen Nutzung dieser Spiele Vorschub zu leisten. So zeigt sich, dass je mehr die virtuelle Welt für den Computerspieler im Verlauf an Attraktivität zunimmt (und dabei parallel der Selbstwertsteigerung dient) es umso schwieriger für die exzessiven Nutzer wird, sich mit den alltäglichen Problemen der realen Welt auseinanderzusetzen. Bedenkliche Folgen – Zwänge entstehen Die reale Welt verliert im Verlauf der Abhängigkeitsentwicklung mehr und mehr an Attraktivität gegenüber dem virtuellen Universum. Als Folgen dieses exzessiv ausgeführten Verhaltens werden vor allem der Kontrollverlust über die Spielzeit, merkliche Leistungseinbußen im schulischen oder beruflichen Bereich und vegetative Symptome bei Verhinderung des Computerspielens (Nervosität, Unruhe, Mangeloder Fehlernährung) von Betroffenen oder Angehörigen berichtet. Einhergehend sind häufig Tendenzen von Vereinsamung und Ängsten in „realen“ sozialen Beziehungen im Verlauf der Zunahme der Spielzeiten sowie raptusartige aggressive Spannungsabfuhr bei Reduktion bzw. Verhinderung des Computerspielens feststellbar. Gleichzeitig ist bei betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen häufig die Einsicht in die Relevanz des Problemverhaltens und dessen Folgen herabgesetzt. Das Spielverhalten rückt im Rahmen der Störungsgenese mit großem Abstand zu alternativen Beschäftigungen in den Mittelpunkt des Verhaltensspektrums der Betroffenen. Typischerweise werden, ähnlich zu den substanzbezogenen Abhängigkeitserkrankungen, von erlaubniserteilenden Kognitionen berichtet, die das Spielverhalten in seiner gesteigerten Frequenz und Dauer dem Betroffenen – entgegen aufkommenden Einsichtsprozessen – genehmigen. Das Computerspielverhalten wird somit mehr und mehr zu einer unter dem Druck des Verlangens nach dem Spiel ausgeführten Tätigkeit. Patienten berichten häufig, dass der anfänglich positiv und befreiend erlebte Unterhaltungseffekt, im Verlauf exzessiver Spielzeiten einem Druck oder Zwang spielen zu müssen, weicht. Grundsätzlich entwickeln sich im Verlauf der Zunahme für den Betroffenen spürbare Veränderungen im psycho-sozialen Funktionsniveau, die im Kasten (unten) ausführlicher dargestellt sind. Ergebnisse neuerer Studien Zum weiter gefassten Begriff des Störungsbildes „Internetabhängigkeit“ oder „Pathologischer Internetgebrauch“ liegen aktuell noch sehr wenige gesicherte Ergebnisse über die Verbreitung in der deutschen Bevölkerung vor. Einen ersten Schätzwert für „Internetsucht“ in der deutschen Gesamtbevölkerung gaben Hahn & Jerusalem 2001 mit 2,7 % an. Korrespondierend gehen Bakken und Kollegen 2009 in Norwegen von einer Auftretens- wahrscheinlichkeit von Internetabhängigkeit von 1 % und zusätzlich 5,2 % problematischen (risikoreichen) Nutzern aus. Die Autoren betonen hierbei, dass die Auftretenshäufigkeiten stark alters- und geschlechtsabhängig sind. So zeigen sich bei 1.000 Befragten im Alter von 16 bis 74 Jahren die höchsten Werte bei jungen Männern. Aktuelle Ergebnisse verschiedener nationaler wie internationaler Studien zeigen, dass ca. 2 bis 7 % der regelmäßigen Internetnutzer einen problematischen Umgang bis hin zu internetsüchtigem Verhalten zeigen (Bathyany und Kollegen 2009). Diese Tendenz lässt sich ebenso anhand von Fallzahlen aus dem Suchthilfesystem untermauern (Wessel et al. 2009). Aus Fallschilderungen zum Syndrom wird deutlich, dass überwiegend männliche Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betroffen sind. In einer aktuellen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (Rehbein et al. 2009) wurden 44.610 Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse mittels eines strukturierten Interviews befragt. 3 % der männlichen und 0,3 % der weiblichen Schüler erfüllten die Kriterien einer Computerabhängigkeit. Aufgrund der großen inhaltlichen Heterogenität von exzessiver Computer- und Internetnutzung erscheint es notwendig, den Ausprägungsgrad und die Pathologie der einzelnen Handlungen im Internet (Computerspiel, Kaufen, Informationssuche, Sex, Glücksspiel) getrennt voneinander zu erfassen und dabei missbräuchliches und abhängiges Nutzungsverhalten diagnostisch zu differenzieren. Unter Berücksichtigung der Klassifikationskriterien für stoffgebundene Störungen, Psychische, gesundheitliche und soziale Folgen der Computerspielsucht: 䊏 Einengung des Verhaltensmusters: Durch die herausragende Bedeutung wird das Computerspielen zur wichtigsten Aktivität im Leben des Betroffenen und dominiert sein Denken (andauernde gedankliche Beschäftigung, auch verzerrte Wahrnehmung und Gedanken in Bezug auf das Computerspielen), seine Gefühle (unstillbares und unwiderstehliches Verlangen, das Computerspiel wird automatisiert oder bewusst zur Gefühlsregulation eingesetzt) und sein Verhalten. 䊏 Regulation von negativen Gefühlszuständen (Affekten): Durch die beim Computerspielen verspürte Erregung (Kick- oder Flow-Erlebnisse) oder Entspannung („Abtauchen“) werden negative affektive Zustände im Sinne einer vermeidenden Stressbewältigungsstrategie verdrängt. 12 THEMA JUGEND 䊏 Toleranzentwicklung: Die gewünschte Wirkung durch das Computerspielen kann nur durch zunehmend häufigere oder längere Computerspielzeiten (möglicherweise auch durch immer extremere Spielinhalte) erzielt werden. Bei gleichbleibenden Spielzeiten bleibt der gewünschte affektregulierende Nutzen vom Computerspielen aus. 䊏 Anklingende Entzugserscheinungen: Bei verhindertem oder reduziertem Computerspielen treten diese in Form von Nervosität, Unruhe und/ oder vegetativer Symptomatik (Zittern, Schwitzen etc.) auf. 䊏 Kontrollverlust: Das Computerspielverhalten kann in Bezug auf zeitliche Begrenzung und Umfang nicht mehr kontrolliert werden. 䊏 Rückfall: Nach Zeiten der Abstinenz oder Phasen kontrollierten Computerspielverhaltens kommt es beim Betroffenen zu einer Wiederaufnahme des unkontrollierten, exzessiven Computerspielens. 䊏 Durch eindeutig schädliche Konsequenzen für Beruf, soziale Kontakte und Hobbys aufgrund des exzessiven Computerspielens kommt es zu zwischenmenschlichen Konflikten zwischen Betroffenem und der sozialen Umwelt beziehungsweise innerpsychischen Problemen beim Betroffenen selbst. wurde von Wölfling und Kollegen [OSVScreener, submitted for publication] ein klinisch-diagnostisches Instrument entwikkelt, mit welchem eine Klassifikation des gezeigten internetbezogenen Verhaltens möglich ist. Das parallele Auftreten von Symptomen pathologischer exzessiver Computernutzung wird in der Literatur mit anderen psychiatrischen Erkrankungen (z. B. affektive Störungen oder Angststörungen), dahingehend in Verbindung gebracht, dass „die pathologische Internetnutzung“ nur eine Komorbidität – also eine Begleiterscheinung – der von den Autoren als Primärdiagnose verstandenen psychiatrischen Erkrankung sei (Kratzer et al. 2007; Yellowlees et al. 2007). Die Diagnose von substanzbezogenen Störungen – also den klassischen Abhängigkeitserkrankungen führt jedoch im Regelfall dazu, dass das klinische Gesamtbild des Patienten durch die Vergabe mehrerer Diagnosen detailreicher beschrieben wird, was letztlich zur Identifizierung der Grundkonflikte und des Heilerfolges nur positiv beitragen kann. Aus der Perspektive des Klinikers zeigt sich heute die Situation, dass eine „Computerspielsucht“ nur in Anlehnung an die Einordnung des „Pathologischen Spielens“ als „Störung der Impulskontrolle, nicht andernorts klassifiziert“ zu diagnostizieren ist. Diese Diagnose ist jedoch im Hinblick auf neurobiologische (Thalemann et al. 2008), differentialdiagnostische, präventive und therapeutische Implikationen völlig unzureichend. Konsequenzen für die therapeutische Praxis Insgesamt sollten die genaue Charakterisierung der Symptome und die Entwicklung klarer phänomenologischer Kriterien in der Praxis zu mehr diagnostischer Sicherheit führen und das gegenwärtig bestehende diagnostische Defizit im Zusammenhang mit „Computerspiel-/Internetsucht“ aufheben. Ebenso sollte mit Hinblick auf Präventionsund Interventionsmaßnahmen für dieses Störungsbild die Entwicklung von Leitlinien zur Behandlung (z. B. durch die AWMF, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V.) erfolgen. Insgesamt weisen die geschilderten ersten Ergebnisse zur Online- und Computerspielsucht auf einen eindeutigen Bedarf an geeigneten Präventionsmaßnahmen hin und lassen erkennen, dass auch die Entwicklung neuer psychologischer Interventionsansätze angestrebt werden sollte. Zudem ergeben sich aus den identifizierten psychosozialen, psychopathologischen und psychopädagogischen Einflussfaktoren für zukünftige Forschungsbemühungen wichtige und interessante Ansatzpunkte zur Vervollkommnung des nach wie vor unvollständigen Bildes über das Störungsbild der Computerspielsucht. 쏋 Weitere Informationen: www.verhaltenssucht.de www.drogenbeauftragte.de www.fv-medienabhaengigkeit.de www.kfn.de www.lfm-nrw.de www.aktiv-gegen-mediensucht.de Literatur: Bakken I.J./Wenzel H.G./Götestam K.G./Johansson A./Oren A.: Internet addiction among Norwegian adults: A stratified probability sample study, Scandinavian Journal of Psychology, Volume 50, Number 2, April 2009, 121-127. Hahn A./Jerusalem M.: Internetsucht: Jugendliche gefangen im Netz. In: Raithel, J. (Hrsg.). Risikoverhaltensweisen Jugendlicher. Erklärungen, Formen und Prävention. Opladen 2001. Kratzer S./Hegerl U.: Ist „Internetsucht“ eine eigenständige Erkrankung? Eine Untersuchung von Menschen mit exzessiver Internetnutzung. Psychiatrische Praxis 35, 80-83, 2008. Rehbein F./Kleimann M./Mößle T.: Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter - Empirische Befunde zu Ursachen, Diagnostik und Komorbiditäten unter besonderer Berücksichtigung spielimmanenter Abhängigkeitsmerkmale. Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. Forschungsbericht Nr. 108, 2009. Thalemann R./Wölfling K./Güsser S.M.: Specific cuereactivity on computer game related cues in excessive gamers. Behavioral Neuroscience 121, 614-618, 2007. Wessel, T./Müller, K.W./Wölfling, K.: Computerspielsucht: Erste Fallzahlen aus der Suchtkrankenhilfe. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) (Hrsg.). DHS Jahrbuch Sucht 2009. Geesthacht 2009. Wölfling K./Thalemann R./Grüsser S.M.: Computerspielsucht: Ein psychopathologischer Symptomkomplex im Jugendalter. Psychiatrische Praxis 35, 226-232, 2008. Yellowlees, P.M./Shayna, M.: Problematic Internet use or Internet addiction? Computers in Human Behavior 23, 1447-1453, 2007. Klaus Wölfling, Dipl.-Psychologe, ist psychologischer Leiter der Ambulanz für Spielsucht an der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz. „Erlaubt mir, mich selbst vorzustellen. Mein Name – oder wie mich die sogenannten Ärzte nennen – ist Anorexia. Anorexia Nervosa ist mein voller Name, aber du kannst mich Ana nennen.“ – so beginnt Anas Brief, ein fester Bestandteil vieler Internetforen, in denen Essstörungen verherrlicht werden und die Magersucht bzw. Bulimie als einzige „beste Freundin“ personifiziert in Erscheinung tritt. Die Autorin, Mitarbeiterin bei jugendschutz.net, stellt diese Webseiten und ihr Gefährdungspotenzial vor, legt aber auch mögliche Handlungsoptionen dar. VERHERRLICHUNG VON ESSSTÖRUNGEN IM INTERNET Recherche und Aktivitäten von jugendschutz.net Katja Rauchfuss Essgestörte Jugendliche nutzen das Internet immer mehr zur Propagierung ihrer Krankheit als idealen „Lifestyle". Seit 2006 recherchiert jugendschutz.net, die Zentralstelle der Länder für den Jugendschutz im Internet, Websites, die Essstörungen verharmlosen und verherrlichen, bewertet diese und geht gegen unzulässige Inhalte vor. Pro-Ana & Pro-Mia Magerwahn als Lifestyle Anhänger der sogenannten Pro-Ana/MiaBewegung eifern einem extremen Schlankheitsideal nach und sind bereit, dafür auch lebensbedrohliche Maßnahmen zu ergreifen. Von Anfang an hat die Pro-Ana/Mia- Szene ihre eigene Terminologie entwickelt. Ana (Abk. für Anorexie = Magersucht) und Mia (Abk. für Bulimie = Ess-Brech-Sucht) sind bewusst verniedlichende Kosenamen, die für die idealisierte Personifikation der Essstörung als beste Freundin stehen (Abbildung 1). Die wichtigsten Selbstdarstellungs- und Kommunikationsmittel der Pro-Ana/MiaBewegung sind Blogs, Foren, Chats sowie Social-Communities und Videoplattformen. Diese Internetdienste lassen sich sehr unkompliziert nutzen, was sie besonders bei Jugendlichen beliebt macht. Wie viele Pro-Ana/Mia-Angebote es tatsächlich gibt, ist schwer zu sagen, da eine (bitte umblättern) THEMA JUGEND 13 hohe Fluktuation besteht. Täglich kommen neue Angebote hinzu. Websites, die heute noch online sind, können jedoch morgen schon gesperrt oder aufgegeben sein. Anhand der bei jugendschutz.net recherchierten Websites kann man jedoch eine kontinuierlich steigende Anzahl ablesen (siehe Abbildung 5). Seit 2006 hat jugendschutz.net bereits über 700 ProAna/Mia-Angebote bearbeitet und ist gegen unzulässige Inhalte vorgegangen (Stand Juli 2009). Laut Statistik besteht für Mädchen im Jugendalter eine erhöhte Gefahr für die Ausprägung einer Essstörung (Holtkamp/ Herpertz-Dahlmann 2005, 50). Die Auswertung von User-Profilen durch jugendschutz. net spiegelt wider, dass die Betreiber und Nutzer von Pro-Ana/Mia-Angeboten genau dieser Risikogruppe angehören. Die erhobene Altersstruktur gipfelt zwischen 14 und 17 Jahren, wobei alle recherchierten Angebote von Mädchen betrieben wurden und nur sehr vereinzelt männliche Nutzer aufwiesen (Abbildung 2). Abbildung 2: Altersangaben auf von jugendschutz.net recherchierten ProAna/Mia-Websites typische Inhalte Beschreibung Beispiel Ana's- / Mia's Bief die Essstörung wird als einzig wahre Freundin personifiziert Ich erwarte eine ganze Menge von dir. Du darfst nicht viel essen. Es wird langsam anfangen: Gebote, Gesetze, Psalm, Glaubensbekenntnis Verhaltensanweisungen in Form von Glaubensregeln Dünn sein ist wichtiger als gesund sein! Thinspirations Darstellungen von extrem dünnen Frauen als Idealbilder Suche Dir schöne Bilder von dünnen Promis heraus und versuche dünner zu sein! Tipps & Tricks zum Abnehmen, Ablenkung vom Hunger, zur Geheimhaltung Mach Geschirr dreckig, damit deine Eltern denken, dass du schon gegessen hast. Motivationsvertrag, Thin-, Triggerlines Motivationstexte und Leitsprüche Du wirst noch dicker, wenn du heute isst. Schieb es noch einen Tag weiter auf. Diary Ess- und Gewichtstagebuch Montag: Hipp Milde Früchte Pfirsiche, Wasser 5l, Insgesamt: 109 kcal / Dienstag: … Contests Abnehm- bzw. HungerWettbewerbe Jeden Monat findet ein "Miss Perfection" Contest statt. Sieger ist, wer in einem Monat am meisten abnimmt. Twin-Suche Suche nach Abnehmpartnern Ich suche jemanden zum Austausch und der einen motiviert. Ich bin 14 Jahre alt und seit 1½ Jahren Ana. Wiege z. Z. 44kg bei 1,65m (!!!) Also FETT!!! (geschlossenes) Forum Austausch mit anderen ProAna/Mia-Anhängern Jede Bewerberin muss einen Anmeldebogen senden. Es kommt nur rein, wer glaubhaft versichert Pro zu sein. Es gilt Anwesenheitspflicht. Abbildung 3: Typische Inhalte auf Pro-Ana/Mia-Websites „Du bist niemals zu dünn!“ Abbildung 1: Personifizierung von „Ana“ als beste Freundin (© 2006 Ruth Gwily) Während der Pubertät sind junge Mädchen auf der Suche nach Verhaltensund Lebensmodellen. Die Darstellung von Ana und Mia als erstrebenswerten Lifestyle greift diese Sinnsuche auf. Eine Umfrage unter belgischen Schülerinnen und Schülern zeigt, dass für gefährdete junge Mädchen die Nutzung von ProAna/Mia-Websites normal und attraktiv erscheint (Custers/Van den Bulck 2009). Pro-Ana/Mia-Angebote sind daher nicht nur unter Essgestörten sehr populär. Sie ziehen auch junge Mädchen ohne Essstörung auf der Suche nach dem perfekten Lifestyle in ihren Bann. 14 THEMA JUGEND Während Essgestörte ihr krankhaftes Verhalten in der realen Welt verheimlichen, weil sie befürchten zur Aufgabe und Therapie der Essstörung gedrängt zu werden, legen sie es im Internet offen dar. Auf den sehr jugendaffin gestalteten Angeboten finden sich immer wiederkehrende typische Inhalte, die stetig weiter verbreitet werden, indem sie von anderen ProAnas/Mias kopiert und in die eigene Webseite eingefügt werden (Abbildung 3). Die Inhalte spiegeln typische Symptome von Magersucht und Bulimie als psychische Störungen wider: Die Krankheit als solche wird geleugnet. Essgestörte Handlungen, Risiken und Folgen werden verharmlost, indem sie als normal und akzeptabel dargestellt werden. Zudem wird suggeriert, dass man nur durch Ana bzw. Mia zu Anerkennung und Erfolg gelangt. Die krankhaften Verhaltensweisen erscheinen dadurch besonders nachahmenswert. Gefährdend für Kinder und Jugendliche Erste Studien zur Wirkung von Pro-AnaAngeboten zeigen, dass die Nutzung der Websites nicht ohne Risiko ist. Sogar gesunde Frauen wiesen nach Sichtung der Angebote ein erheblich negativeres Selbstbild auf, was sich durch ein geringeres Selbstwertgefühl, ein verzerrtes Körperempfinden und ein gesteigertes Nachdenken über das eigene Gewicht sowie Abnehmpläne äußerte (BardoneCone/Cass 2006, 2007). Vergleichbare Effekte ergaben sich bei Heranwachsenden, insbesondere bei jungen Mädchen (Custers/Van den Bulck 2009). Übertragen auf (junge) Betroffene hieße das: Tauschen sich Essgestörte unkontrolliert ohne entsprechende Beratung mit Leidgenossen aus, kann dies ihr negatives Selbstbild und die bereits verzerrte KörperWahrnehmung verstärken. Ein lebensge- fährlicher Teufelskreis entsteht, der die Betroffenen immer weiter in den Strudel der Krankheit treibt, indem er zur Geheimhaltung animiert, zu weiterem krankhaften Essverhalten ermutigt und Hilfe wie Beratung oder Therapie ablehnt. Als Teil einer solch bestärkenden Gruppe fällt es schwer die Krankheit als solche zu erkennen, die Gemeinschaft aufzugeben und Heilung anzustreben (Csipke/Horne 2007, 203). Heranwachsende vermögen aufgrund fehlender Erfahrungen, eines noch nicht gefestigten Wertebildes und einer teils noch nicht voll entwickelten Reflexions- und Einsichtsfähigkeit die Tragweite selbstgefährdender Verhaltensweisen nicht derart einzuschätzen, wie dies Erwachsene können (Liesching 2009, 16). Die einseitige Propagierung von Essstörungen ist für sie daher besonders gefährlich. Von jugendgefährdend bis beeinträchtigend Abbildung 4: Von jugendschutz.net erstellte Platzhalterseite www.anaundmia.de Für die Bewertung einzelner Websites, die Essstörungen verherrlichen, gelten die Vorgaben §§ 4 und 5 JMStV des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) für jugendgefährdende oder beeinträchtigende Angebote. Die konkrete Beurteilung der Jugendschutzrelevanz ist stets von der Gestaltung des Einzelfalles abhängig. Ein Angebot ist als jugendgefährdend einzustufen, wenn es suggestiv fordernd auf Kinder und Jugendliche einwirkt, um sie zu Lebensweisen zu drängen, welche dem Erziehungsauftrag, der auch die Sorge um das körperliche Wohl umfasst, widersprechen (BPjM 2009, 3). Dieser Tatbestand ist erfüllt, wenn ein Angebot die oben aufgezeigten typischen Pro-Ana/Mia-Inhalte aufweist, Essstörungen einseitig verherrlicht und Jugendliche zur Nachahmung animiert. Derartigen Websites muss ein geeignetes Altersverifikationssystem (AVS) vorgeschaltet werden, damit Minderjährige nicht darauf zugreifen können. Demgegenüber sind Inhalte in Pro-Ana/ Mia-Angeboten als beeinträchtigend einzustufen, wenn sie die Essstörung verharmlosen und verherrlichen, aber noch unterhalb der Schwelle zur Jugendgefährdung liegen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die drastischen Inhalte fehlen, die Essstörung aber noch immer einseitig als positiv dargestellt wird und die User nicht über Wege aus der Essstörung informiert werden. Bei derartigen Angeboten muss dafür gesorgt werden, dass die Webseite von Kindern oder Jugendlichen üblicherweise nicht wahrgenommen wird. Schließlich gibt es neben jugendschutzrechtlich unbedenklichen sogar empfehlenswerte, fachlich betreute, niederschwellige Beratungsangebote, die der Krankheitsbewältigung dienen und Betroffenen konkrete Hilfe anbieten. Abbildung 5: Pro-Ana/Mia-Recherche von jugendschutz.net 2006 - 2008 Vorgehen bei unzulässigen Inhalten Gibt ein Pro-Ana/Mia-Angebot konkrete Anleitungen zu einem selbstgefährdenden Essverhalten und verharmlost oder verherrlicht Essstörungen, ist Handeln geboten. Je nach Einschätzung eines Angebotes ergeben sich unterschiedliche Handlungsoptionen. I Beanstandung und Information der Anbieter Um eine schnelle Beseitigung zu erreichen, wendet sich jugendschutz.net zunächst an den Anbieter oder den Service-Provider und bittet um Abhilfe. Die Verantwortlichen erhalten so die Möglichkeit, im Vorfeld eines förmlichen Verfahrens die Verstöße zu beseitigen oder einen ausreichenden Altersschutz vorzuschalten. Darüber hinaus animiert jugendschutz.net zu weitergehenden Maßnahmen. Zum Beispiel können Provider nach Sperrung eines Pro-Ana/ Mia-Angebotes auf einen eigens dafür erstellten Platzhalter weiterleiten, der Betroffene zu positiven Hilfsangeboten hinführt (Abbildung 4). I Weiterleitung an die Medienaufsicht Sollte die direkte Ansprache des Anbieters ohne Erfolg bleiben, leitet jugendschutz.net den Fall an die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) weiter. Diese entscheidet über ein mögliches aufsichtsrechtliches Verfahren. THEMA JUGEND 15 I Anregung einer Indizierung bei der BPjM Bei einfach jugendgefährdenden Inhalten aus dem In- und Ausland regt jugendschutz.net über die KJM eine Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien an. Wurde ein Angebot indiziert (BPjM 2008, 2009), darf die Webseite Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht, verlinkt oder beworben werden. Auch geben deutsche Suchmaschinen auf Basis einer Selbstverpflichtung indizierte Websites nicht mehr als Treffer aus (FSM 2004, 2). Hierdurch wird zumindest die Auffindbarkeit von jugendgefährdenden Inhalten verringert. I Weiterleitung an Partner-Hotlines / ausländische Provider Da Pro-Ana/Mia-Angebote im Ausland nur selten sanktioniert werden, gestaltet sich die Durchsetzung von Maßnahmen hier schwierig. Dennoch versucht jugendschutz.net im Kontakt mit Providern und über das internationale Hotline-Netzwerk INHOPE grenzüberschreitende Lösungen voranzubringen. Acht von zehn an INHOPE-Partner oder Provider weitergeleitete Verstöße wurden daraufhin beseitigt. Schlussbemerkung Bei über 80 Prozent der Pro-Ana/MiaAngebote, die jugendschutz.net recherchiert und bewertet hat, bestand dringender Handlungsbedarf. Viele Angebote waren einzig und allein darauf angelegt, die Essstörung als erstrebenswerten Lebensinhalt zu verherrlichen, Erkrankte oder potentiell Gefährdete in ihrem Vorhaben zu bestätigen, weiter Gewicht zu verlieren und den Austausch über gesundheitsgefährdende Abnehmmethoden zu fördern. Für diese Angebote wurden die oben skizzierten Maßnahmen umgesetzt mit dem Ergebnis, dass bei 8 von 10 Websites unmittelbar nach der Beanstandung durch jugendschutz.net ausreichende Veränderungen vorgenommen wurden (Abbildung 5). Auch in Zukunft wird jugendschutz.net das Phänomen im Blick behalten und bei jugendgefährdenden oder beeinträchtigenden Websites tätig werden. Beschwerden über bedenkliche Angebote können per Web-Formular unter www.jugendschutz. net/hotline oder per E-Mail an hotline@ jugendschutz.net gesendet werden. 쏋 Literatur: Bardone-Cone, A. M./Cass, K. M.: What Does Viewing a Pro-Anorexia Website Do? An Experimental Examination of Website Exposure and Moderating Effects. In: International Journal of Eating Disorders 2007, 40:6, 537-548. Bardone-Cone, A. M./Cass, K. M.: Investigating the Impact of Pro-Anorexia Websites. A Pilot Study. In: European Eating Disorders Review 2006, 14, 256-262. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien: Indizierung eines deutschsprachigen Pro-MagersuchtBlog zum Thema Anorexia nervosa. In: BPjM-Aktuell 1/2009, 3-14. 16 THEMA JUGEND Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien: Indizierungsentscheidung: http://ana-hanna-blogspot. com. Entscheidung vom 04.12.2008, Nr. 5601. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien: „ProAnorexie-Internet-Angebote" und deren Bewertung durch das BPjM 12er-Gremium. In: BPjM-Aktuell 2/2008, 19-24. Csipke, E./Horne O.: Pro-Eating Disorder Websites: Users’ Opinions. In: European Eating Disorders Review 2007, 15, 196-206. Custers, K./Van den Bulck, J.: Viewership of pro-anorexia websites in seventh, ninth and eleventh graders. In: European Eating Disorders Review 2009, 17, 214-219. Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V.: Verhaltenssubkodex für Suchmaschinenanbieter der FSM, 3 Seiten: http://www.fsm.de/inhalt.doc/Verhaltenssubkodex SuMa.pdf (Stand 21.12.2004). Holtkamp, K./Herpertz-Dahlmann, B.: Anorexia und Bulimia nervosa im Kindes- und Jugendalter. In: Deutsches Ärzteblatt 2006, 102/1-2, 50-58, 2005. Liesching, M.: Kommentar zur Entscheidung der BPjM. In: BPjM-Aktuell 1/2009, 15f. Materialien für pädagogische Fachkräfte: Gegen Verherrlichung von Essstörungen im Internet. Ein Ratgeber für Eltern, pädagogische Fachkräfte und Provider. Broschüre herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2009. Wer ist Ana? Verherrlichung von Essstörungen im Internet. Faltblatt herausgegeben von jugendschutz.net, 2009. Katja Rauchfuss (M.A.) ist Medienwissenschaftlerin, Hotline-Expertin und Junior-Rechercheurin bei jugendschutz.net (Mainz). MATERIAL ZUM THEMA Bücher Julia Riebel Spotten, Schimpfen, Schlagen… Gewalt unter Schülern – Bullying und Cyberbullying Verlag Empirische Pädagogik, Landau 2008. Dieses Buch beschäftigt sich mit einer speziellen Erscheinungsform schulischer Gewalt, dem „Bullying“, auch als „Mobbing“ bekannt. Zudem wird ein neueres Phänomen genauer betrachtet: Was steckt hinter Cyberbullying, bei dem sich Schüler über das Internet beschimpfen oder bedrohen? Ist es nur eine weitere von vielen Spielarten schulischer Gewalt oder haben wir es hier mit einem völlig neuartigen Problem zu tun? Als eine der (bislang noch) wenigen Publikationen zu diesem Thema versucht das Buch, diese Fragen zu beantworten. Petra Grimm / Stefanie Rhein / Elisabeth Clausen-Muradian Gewalt im Web 2.0 Der Umgang Jugendlicher mit gewalthaltigen Inhalten und Cyber-Mobbing sowie die rechtliche Einordnung der Problematik Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM), Berlin 2008. Die Studie liefert Erkenntnisse darüber, welche gewalthaltigen Inhalte von Kindern und Jugendlichen im Web 2.0 genutzt werden, wie sie dazu Zugang bekommen, warum sie diese nutzen und wie sie die Gewalt verarbeiten. Ebenso werden aktuelle Befunde zur Gewalt via Internet (Beschimpfungen, Belästigungen, Mobbing), zur Kontrolle der Eltern und zu möglichen Maßnahmen vorgelegt. Ergänzend werden jugendschutzrelevante Aspekte und der Handlungsbedarf definiert sowie eine rechtliche Einordnung der Gewalt im Internet vorgenommen. Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Computerspiele. Jugendschutz und Altersfreigaben BAJ, Berlin, Dossier Computerspiele 1/2009. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinderund Jugendschutz hat in einem Dossier den derzeitigen Stand der gesetzlichen Regelungen in Bezug auf die Altersfreigaben von (Online)Computerspielen zusammengefasst. Darüber hinaus werden pädagogische Empfehlungen für Eltern zum Umgang mit Computerspielen gegeben. Das Dossier kann kostenlos (auch in höherer Stückzahl) über die Homepage der BAJ (www.bag-jugendschutz.de) oder über die Adresse: Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V., Mühlendamm 3, 10178 Berlin, material @bag-jugendschutz.de bestellt werden. Es steht darüber hinaus auch zum Download bereit unter www.bag-jugendschutz.de. Wolfgang Antes / Eva Rothfuß Web 2.0 für Jugendliche Jugendbildung und Medienpädagogik am Beispiel von jugendnetz.de Juventa-Verlag, Weinheim und München 2008. Am Beispiel von jugendnetz.de, einer der meistbesuchten Jugendinformationsseiten in Deutschland, werden die zentralen Fragen gestellt: Was wollen Jugendliche im Internet? Wie kann und soll eine Plattform aussehen, die von und für Jugendliche gemacht wird? Im ersten Teil des Buches setzt Wolfgang Antes dazu neueste Forschungsstudien, eigene Erhebungen und bildungspolitische Entwicklungen zueinander in Beziehung. Im zweiten Teil ergänzt Eva Rothfuß diese Ergebnisse um eine detaillierte Darstellung der aktuellen Tools, Features und Module von jugendnetz.de. Ben Bachmair Medienwissen für Pädagogen Medienbildung in riskanten Erlebniswelten VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009. Mit diesem Lehrbuch erhalten Studierende und pädagogische Fachkräfte die Möglichkeit, Bildungschancen in der heutigen Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen zu entdecken. Das Buch analysiert Lifestyle-Events wie die Love Parade oder Handy-Videos im Internet mit dem Ziel, Medien als Bildungsressourcen zu nutzen. Eine Neuinterpretation der Bildungstheorie zeigt, wie Orientierung und Qualität oder auch Lernen mit dem Handy möglich sind. Thomas Dörken-Kucharz (Hrsg.) Medienkompetenz Zauberwort oder Leerformel des Jugendmedienschutzes? Nomos, Baden-Baden 2008. „In Debatten um den wirkungsvollen Jugendmedienschutz steht meist der Begriff ‚Medienkompetenz’ wie eine Zauberformel im Mittelpunkt.“ Diese These bildete die Überschrift für eine Tagung von ARD, ZDF und den Rundfunkreferaten der Evangelischen und Katholischen Kirche, die 2006 durchgeführt wurde. Zu dieser Veranstaltung erschien der hier vorliegende Tagungsband, der zehn verschiedene Beiträge vereint, die das Verhältnis von Jugendmedienschutz, Medienbildung und Medienkompetenzvermittlung ausloten. Zeitschriften proJugend Nr. 2/2009 Generation Web 2.0 – Herausforderungen für den Jugendschutz Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern, München 2009. Jugendliche Internetnutzer sind begeisterte Anwender der Angebote des Web 2.0. Viele sind sich dabei jedoch der Gefahren und negativen Folgen eines unreflektierten Umgangs mit dem Internet nicht oder zu wenig bewusst. Auch das Angebot von jugendschutzrelevanten oder strafrechtlichen Inhalten stellt ein zunehmendes Problem des expandierenden Internetangebots dar. Mit den Beiträgen in diesem Heft werden diese Themen aufgegriffen, aber auch Anregungen für pädagogische Projekte vorgestellt. Die Zeitschrift ist zum Preis von 2,80 Euro (zzgl. Porto/Versand) unter der Bestell-Nr. 23301 zu beziehen bei: Aktion Jugendschutz Landesarbeitsstelle Bayern e.V. Fasaneriestraße 17 80636 München Telefon: (089) 121573-11 E-Mail: [email protected] Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis (KJuG) 2/2009 Cybermobbing Reinhardt Verlag, München 2009. Das Thema Mobbing im virtuellen Raum stellt Eltern, Lehrer, Pädagogen und Psychologen vor eine schwierige Aufgabe. In diesem Heft zeigen die Autorinnen und Autoren das Ausmaß und die spezifischen Formen des Mobbings im Internet anhand eigener Studien auf und nehmen eine rechtliche Einordnung der „Taten“ vor. Sie nehmen die Täter in den Blick, zeigen die Folgen für die Opfer auf und erläutern Herangehensweisen und Präventionsmöglichkeiten. Die Ausgabe kann zum Preis von 16 Euro bestellt werden beim: Ernst Reinhardt Verlag Kemnatenstr. 46, 80639 München E-Mail: [email protected] Film Medienprojekt Wuppertal Play life Wuppertal 2007. Der Film porträtiert verschiedene Computerspieler im Alter von 15 bis 25 Jahren. Sie beschreiben, was und wie häufig sie spielen und was sie motiviert: Neben den jugendlichen Spielern kommen auch Eltern zu Wort. Sie problematisieren die Vernachlässigung sozialer Kontakte und der schulischen Leistungen ihrer Kinder. In einem Interview mit dem Medienwissenschaftler Jürgen Sorg beschreibt dieser zudem Computerspiele als kulturelles Repertoire der Neuzeit mit der Einladung zum Mitgestalten. 40 Minuten, freigegeben ab 12 Jahren, als DVD oder Video erhältlich. Kaufpreis jeweils 30 Euro, Ausleihe 10 Euro, www.medienprojekt-wuppertal.de BDKJ-Journal Was bedeutet die medial aktive Gesellschaft für Glaube und Kirche? Und was für die katholische Jugendverbandsarbeit? Jugendliche sind im Internet noch um einiges aktiver und auch fitter als Erwachsene. Das BDKJ-Journal hat einigen Autorinnen und Autoren die Fragen gestellt, welche Auswirkungen die neuen Medien auf den Glauben junger Menschen haben. Nutzen Verbände und Kirchenleitung die Medien, um junge Leute zu erreichen? Und was spricht wen an? Gebrauchen Jugendliche unterschiedlicher Milieus das Internet in anderer Weise? Antworten geben die Artikel der Ausgabe Juli/August 2009 des BDKJJournals, Postfach 32 05 20, 40420 Düsseldorf. FLIMMO für Fachkräfte FLIMMO hat für Fachkräfte ein neues Fachportal zur Medienerziehung eröffnet. Dort finden pädagogische Fachkräfte, Eltern und andere Interessierte zahlreiche Tipps zur Medienarbeit mit Kindern. Spiele und Anregungen zur gestalterischen Aufarbeitung von Medieninhalten sind dort genauso aufgeführt, wie fundierte wissenschaftliche Basisliteratur oder Tipps zur medienpädagogischen Elternarbeit. Im umfangreichen Servicebereich stehen zahlreiche Materialien zu den verschiedensten Medien zum Bestellen und Downloaden bereit: Infos unter: www.flimmo-fachportal.de THEMA JUGEND 17 BÜCHER Jürgen Holtkamp Verblöden unsere Kinder? Neue Medien als Herausforderung für Eltern 쏋 Längst haben Medien die Kinderzimmer erobert. SchülerVZ, Chatrooms, E-Mails und Handys sind für Kinder und Jugendliche selbstverständliche Wegbegleiter in ihrem Alltag. Viele Eltern fühlen sich angesichts der Medienflut überfordert und können kaum noch mithalten. Welchen Einfluss haben die Medien auf die Erziehung? Sind sie gar die heimlichen Erzieher? Wenn Kinder in einer Gesellschaft aufwachsen, in der Multimedia, Fernsehen, Computer und Internet selbstverständlich sind, kann die Alternative nicht lauten, Kinder davon fernzuhalten. Die eigentliche pädagogische Herausforderung lautet: Erziehung der Kinder zur Medienkompetenz! 쏋 240 Seiten, Preis: 17,90 Euro, gebunden, ISBN 978-3-7666-1286-1, Kevelaer 2009. Winfried Kaminski / Martin Lorber Clash of Realities Computerspiele und soziale Wirklichkeit 쏋 Computer- und Medienspiele sind als Unterhaltungsmedium weit verbreitet. Als nicht nur jugendkulturelles Phänomen stehen sie im Fokus der Diskussion, spätestens immer wieder dann, wenn Gewalteskalationen die Öffentlichkeit schockieren und in kausalen Zusammenhang gebracht werden. Das Buch „Computerspiele und soziale Wirklichkeit“ ist eine Dokumentation ausgewählter Beiträge einer Fachtagung unter dem Titel „Clash of Realities“ zu Computerund Videospielen im März 2006 in Köln. Ausgerichtet wurde die Tagung gemeinsam von der Fachhochschule Köln und der Firma Electronic Arts. Die beiden unterschiedlichen Veranstalter lassen vermuten und ein Blick in das Autorenverzeichnis zeigt, dass hier sehr unterschiedliche Disziplinen aus verschiedenen Perspektiven das Thema ins Blickfeld nehmen. 18 THEMA JUGEND Die Spanne reicht von Beiträgen aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive über kommunikationswissenschaftlichen, soziologischen, psychologischen bis hin zu spiel- und kulturtheoretischen Blickwinkeln. Die Vorträge gliedern sich in vier Abschnitte. Der erste, eher theoretische Teil „Digitale Aneignung der Umwelt“ bettet die Computerspiele-Erforschung ein in verschiedene akademische Traditionen wissenschaftlicher Erforschung von Spielen. Ein Kinderpsychologe legt dar, wie Kinder sich in hochkomplexen Spiel- und virtuellen Welten üben. Weiterhin wird in einem Beitrag die Forschung hinsichtlich einer narrativen Ästhetik digitaler Sprache vorgestellt, ebenso wie spieletheoretische Untersuchungen von Strategiespielen als Gesellschafts-Simulation. Der zweite Teil „Virtuelle und reale Welten“ wird konkreter und versucht, Antworten auf Fragen nach den Gründen für die Attraktivität von Computerspielen zu geben. Noch große Erkenntnischancen werden in der Weiterentwicklung der Neurowissenschaften gesehen. Forschungen zur Erfassung und Entschlüsselung von Spielespaß werden thematisiert, nicht ohne auch gesundheitliche Konsequenzen wie Bewegungsmangel zu erwähnen. Ein Beitrag aus der empirischen Kommunikationsforschung befasst sich mit dem Thema Gewaltspiele und Aggression. Was sind gewalthaltige Computerspiele? Wie lässt sich ihr Einfluss messen? Gibt es neben in zahlreichen Studien erwiesenen Hinweisen auf kurzfristige Förderung aggressiver Gemütszustände auch langfristige Wirkungen im Hinblick auf Förderung von Aggression oder Abschwächung prosozialer Verhaltensweisen? Wie bedingen sich eine aggressive Persönlichkeit und Nutzung gewalthaltiger Computerspiele gegenseitig? Die Faszinationskraft von nie stillstehenden Online-Spielen am Beispiel der Spielewelt „Ogame“ wird im dritten Teil „Rollenspiele: Virtuell und real“ anschaulich vermittelt. Ein bekennender Computerspieler führt in die Welt der MMORPGs („Massively Multiplayer Online Role Playing Games“), erklärt das Genre anhand des massiv erfolgreichen Spiels „World of Warcraft“. Auch wenn er zumindest suchtähnliches Nutzungsverhalten zugesteht, sieht er für die meisten Spieler, die darin lediglich eine entspannende Freizeitbeschäftigung suchen, auch deren Potential an kreativen Möglichkeiten. Ein medienkultureller Beitrag verneint die Frage, ob Computerspiele ein jugendkulturelles Referenzmedium sind: die Mehrzahl der Spieler sind eher postadoleszente Twens, Amerika verzeichnet bereits eine Zunahme Spiele-begeisterter Senioren. Wie werden weibliche Gameheldinnen repräsentiert? Die Weiblichkeitsmodelle als Kombination von Hyperweiblichkeit und skrupelloser Aggressivität for- dert eine weibliche Fankultur heraus, sich in „Lookalikes“ nach dem Vorbild virtueller Heldinnen selber zu inszenieren und mit Bildern ins Internet zu stellen. Ein viertes Kapitel widmet sich dem Handlungsfeld Schule. Sind durch elektronische Bildschirmspiele nur Lern- oder auch Bildungsprozesse möglich? Als wichtiger als die Frage nach der Spielwahl („Was spielst Du?“), wird die Frage nach der Spielpraxis („Wie spielst Du?“) gesehen. Ein Blick in die moderne Musikpädagogik; die den Schülern nicht ihre Musik ausredet, sondern ihre identitätsbildende Funktion akzeptiert und für neue Zugänge zu anderer Musik nutzt, könnte hier hilfreich sein. In einer guten Spielpraxis könnte auch eine Lernchance liegen. Aus der Schulpraxis werden Anregungen gegeben zur Vermittlung von Medienkompetenz: Elternaufklärung, Positiv-Listen mit Spielen, Diskussion über problematische Inhalte, Begleitung der Spieler in der Schule am Beispiel von schulischen LAN-Parties u.a. LisszNet als Kommunikations-, Informations- und Lernplattform für Mädchen trägt der Tatsache geschlechtsspezifischer Unterschiede im Umgang mit neuen Medien Rechnung. Ein letzter Beitrag geht der Spur multimedialer Inszenierung kinderliterarischer Stoffe am Beispiel der Bilder- und Kinderbücher von Janosch nach. Das Buch gibt viele Anregungen zu Diskussionen zwischen den Wissenschaftsdisziplinen. Erwartungsgemäß differieren die Meinungen. Die unterschiedlichen Beiträge öffnen vielseitige Blickwinkel auf das Thema. Weder wird es verharmlost, noch dominieren einseitige Warnungen vor Computerspielen als bloßes Übel. Ziel der Tagung und des Buches ist es, die Diskussion zu versachlichen und begründet zu argumentieren. Jede Wissenschaft hat ihre eigene Fachsprache, die für den Laien nicht immer einfach zu verstehen ist, so dass die Lektüre einiger Beiträge einer gewissen Anstrengung bedarf. Dem Computerspiele-Unkundigen (zu denen die Rezensentin sich zählt) wird die Welt der Computer- und Medienspiele vielleicht erstmals kaleidoskopartig erschlossen. Der Insider profitiert von den Forschungskenntnissen und der Sichtweise der jeweils anderen Fachdisziplin. Insgesamt gelingt der Tagung und dem Buch der Versuch der Annäherung an ein komplexes, gesellschaftlich sehr aktuelles Thema, das noch lange nicht ausdiskutiert sein wird. Mögen Tagungen und Bücher wie diese dazu beitragen, einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser Spieleform zu lernen! Dr. Eva Bolay 쏋 253 Seiten, Preis: 16,80 Euro, ISBN-13: 978-3-938028-44-5, München 2009. INFORMATIONEN ZUM THEMA Heranwachsen mit dem Social Web tionsdienst mit der Geschäftsstelle am Ehrenfelder Helmholtzplatz. Die Rolle von Web 2.0-Angeboten im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben das Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg und der Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg in einer Studie für die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) untersucht. Die der Öffentlichkeit vorgestellte Studie stützt sich auf eine Analyse der wesentlichen Angebotsmerkmale des so genannten Social Web, Gruppendiskussionen und Einzelinterviews mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie eine Repräsentativbefragung unter zwölf- bis 24-jährigen Online-Nutzern in Deutschland. Dem Begriff Social Web werden dabei vor allem Netzwerkplattformen (z. B. SchülerVZ, StudiVZ), Videoplattformen (z. B. You-Tube), Instant Messaging-Dienste (z. B. ICQ, MSN) sowie Weblogs und Wikis zugerechnet. Eine ausführliche Zusammenfassung ist als PDF-Datei verfügbar unter: http://www.lfm-nrw.de/downloads/ zusammenfassung socialweb.pdf Zusätzlich zu diesem Angebot soll jmd4you diejenigen Jugendlichen ansprechen, die bislang nicht von der face-to-face-Beratung der Jugendmigrationsdienste erreicht wurden und die zunächst bevorzugen, anonym Fragen stellen wollen. Die Plattform jmd4you ist das erste Angebot dieser Art, denn es richtet sich gezielt an junge Menschen mit Migrationshintergrund im Alter zwischen 12 und 27 Jahren. Die Online-Begleiter/innen sind langjährige Beratungsprofis aus den Jugendmigrationsdiensten, die unabhängig von öffentlichen Institutionen wie zum Beispiel dem Jugendamt oder der Ausländerbehörde arbeiten. Gefördert wird das Projekt jmd4you aus Mitteln des Europäischen Integrationsfonds und durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Stell deine Fragen! – online, anonym und kostenlos Trägerübergreifende Plattform zur Begleitung von jungen Migrantinnen und Migranten jetzt online jmd4you heißt die neue Online-Anlaufstelle für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Unter www.jmd4you.de können junge Menschen ihre ganz persönlichen Fragen stellen: - „Wie finde ich mit meinen Zeugnissen einen Ausbildungsplatz in Deutschland?“ - „Wo kann ich mich zu einem Sprachkurs anmelden?“ sind zum Beispiel solche Fragen. „Was gefällt mir in Deutschland?“ oder „Wie ist das mit meinem Aufenthaltsstatus?“ sind weitere Themen, die junge Migrantinnen und Migranten berühren und die sie auch in Chats mit anderen Jugendlichen und den professionellen Online-Begleitern von jmd4you in verschiedenen Sprachen diskutieren können. Die Online-Plattform wurde als Ergänzung zur Beratung von jungen Migrantinnen und Migranten in den Jugendmigrationsdiensten entwickelt. Seit vielen Jahren werden junge Menschen mit Migrationshintergrund bundesweit in rund 400 Jugendmigrationsdiensten von interkulturell ausgebildeten Fachkräften individuell beraten und in ihrer sozialen und beruflichen Integration unterstützt. In Köln unterhält das Katholische Jugendwerk Köln e.V. den Jugendmigra- Weitere Informationen erhalten Sie bei Ihren Ansprechpartnern: Daniel Könen Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Katholische Jugendwerke Köln e.V. Telefon: (0221) 921335-24 Markus Kaufmann Fachbereichsleiter Migration und Integration Katholische Jugendwerke Köln e.V. Telefon: (0221) 9332929 12 goldene Suchmaschinen-Regeln Ende April ist die 2. aktualisierte Auflage der Broschüre der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) „12 goldene SuchmaschinenRegeln“ erschienen: Mit ihr will die LfM zu mehr Sicherheit im Umgang mit Suchmaschinen und dem Internet beitragen. Angesichts der überwältigenden Fülle von Angeboten im Internet haben die Suchmaschinen eine zentrale Rolle für das Finden von Informationen. Aber auch Suchmaschinen weisen oft Ergebnisse aus, die für die individuelle Suchanfrage nicht passen. Während andere Handreichungen lediglich Tipps zur effizienten Suche im Internet geben, will die LfM-Broschüre zusätzlich den Blick auf mögliche Probleme bei der Nutzung von Suchmaschinen schärfen: Wie erkennt man z. B. versteckte Werbung in Suchmaschinen? Was müssen Eltern bei der Eingabe von Suchbegriffen wissen, damit ihre Kinder nicht auf für sie ungeeignete Internetseiten stoßen? Die neue Information versteht sich dabei als nutzerfreundliches Angebot. Download unter: http://www.lfm-nrw.de/downloads/ ratgeber-suchmaschinen-farbe.pdf Partnerportale von netzcheckers.net 쏋 Ab dem 1. März 2009 können Einrichtungen der Jugendarbeit und Medienzentren mit einem Partnerportal eine eigene interaktive Internetseite mit pädagogischem Anspruch gestalten, die alle Möglichkeiten des Web 2.0 bietet. Die Netzwerk-Partner erhalten medienpädagogischen Service, der von der Teilnahme an Fachveranstaltungen und Spielaktionen über Beratung bis hin zu Methoden-Sets für Medienprojekte reicht. Darüber hinaus können sich die Netzwerk-Partner in Qualifizierungskursen und durch den Austausch im Netzwerk fortbilden. Mit den Partnerportalen will das Jugendportal netzcheckers.de die Jugendarbeit in Deutschland vernetzen, bestehende Kooperationen stärken und medienpädagogische Angebote ausweiten. Das Angebot richtet sich an Medienzentren und Einrichtungen der Jugendarbeit, die an einen Träger der Jugendhilfe angeschlossen sind, mit anderen Mitgliedern des Partnernetzes kooperieren wollen und aktive Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen entwickeln möchten. Einen Eindruck von der Partnerportalsoftware und ihren Möglichkeiten erhalten Interessenten unter www.netzcheckers.net. Für Jugendeinrichtungen sind die Partnerportale in der Regel kostenlos. 쏋 Selbstdarstellung Jugendlicher 쏋 Das „Mitmach-Internet“ wartet mit neuen Möglichkeiten auf: Jugendliche können in Web 2.0-Angeboten eigene Werke produzieren, sich selbst präsentieren und sich mit anderen über das eine wie das andere austauschen. „Wie zeige ich mich selbst und was kann ich?“ ist in der heutigen Jugendgeneration eine wichtige Frage geworden. Eine besondere Auffälligkeit: In ihren Selbstdarstellungen beziehen sich die Heranwachsenden häufig auf massenmediale Inhalte und stellen diese in neue Zusammenhänge. Nun wurden die Ergebnisse des ersten Teils der Studie „Das Internet als Rezeptions- und Präsentationsplattform für Jugendliche“ vorgestellt. Die Ergebnisse sind unter dem Titel „Web 2.0 als Rahmen für Selbstdarstellung und Vernetzung Jugendlicher“ veröffentlicht und abrufbar unter: www.jff.de und www.blm.de 쏋 Perspektivwechsel www.grenzenlos-spielen.de – Die Seite der ginko Stiftung für Prävention bietet drei verschiedene Blickwinkel auf das Thema Computerspiele. Die Elternperspektive („Wir machen uns Sorgen“) trägt Erfahrungsberichte von Eltern zusammen, geht auf typische Fragen ein und bietet OnlineKurse, Buchempfehlungen und Verweise auf Selbsthilfeangebote an. Die Perspek- THEMA JUGEND 19 tive der Jugendlichen („meine Eltern dramatisieren mein Computerspielen“) vertreten erfahrene Spieler, die von ihrer Faszination erzählen. Zudem gibt es (bislang nur zwei) Spielebeschreibungen, Top-10Listen und Links auf Spieler-Foren. Auf der Expertenseite werden Forschungsergebnisse und die Bewertung der USK vorgestellt, aber auch Tests zur Einschätzung des Selbstverhaltens sowie weiterführende Literatur- und Linktipps angeboten. 101 Projektideen gegen Rechtsextremismus letzung, Demütigung, Erniedrigung usw. anderer angemessen reagieren können?” In dem Handbuch 101 Projektideen gegen Rechtsextremismus werden zahlreiche, in der Praxis erprobte Projekte mit Mut machendem Charakter vorgestellt, um dem Rechtsextremismus das Wasser abzugraben. Studie zu „Augen auf! Werbung“ 쏋 Die Ergebnisse der nun fertig gestellten Studie zum Lerntransfer der Unterrichtsmaterialen, die Media Smart in Kooperation mit dem Institut für Medienforschung und Medienpädagogik der FH Köln an vier Grundschulen in NRW durchgeführt hat, sprechen mit ihren durchaus positiven Ergebnissen für den weiteren Einsatz der Materialien im Grundschulunterricht. Die Studie bezieht in ihre qualitative Untersuchung Aussagen von Lehrern, Eltern und Kindern ein und erzielt damit eine alltagsnahe Betrachtung der Materialien. Zusammengefasst hat die Evaluierung zeigen können, dass es grundsätzlich möglich ist, mit dem Einsatz der Materialien Lernprozesse bei Grundschulkindern zu aktivieren. Dabei ist vor allem den Eltern eine alltags- sowie lebensweltbezogene Auseinandersetzung mit der medialen Wirklichkeit äußerst wichtig. Sie begrüßen den Einsatz realer Werbespots und sehen darin eine notwendige Voraussetzung, Kinder in ihrer Medienkompetenz zu stärken. Weitere konkrete Ergebnisse der Evaluation können in einer Zusammenfassung auf der Internetseite http://www.mediasmart-lehrer.de/ content/view/26/68/ nachgelesen werden. 쏋 BÜCHER 228 Seiten, 14 x 14 cm, ISBN: 978-3-00027320-9, Schwerte 2009. (Preise: 1 Ex. 5,- Euro / ab 30 Ex. je Ex. 4,Euro / ab 100 Ex. Preis auf Anfrage) Die wirksame Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus beginnt nicht erst, wenn Rechtsextremisten aktiv werden oder aufmarschieren. Sie beginnt im Elternhaus, im Kindergarten, in der Schule und insbesondere in der Jugendarbeit. Weil Demokratie eine andauernde Herausforderung und Provokation für Rechtsextremisten und Neonazis ist und sie erklärterweise unsere Demokratie stürzen wollen, geht es vor allem darum, sich mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu verständigen und um möglichst mit allen Sinnen zu begreifen, zu erfahren und zu verstehen, was Sinn macht, Wert hat, als Regel taugt und deshalb für alle gelten soll und kann. Themen wie Demokratieentwicklung, Erinnerungsarbeit, Gewaltdeeskalation, Rassismus, Menschenrechte, Antisemitismus, Sexismus usw. und die reflektierende, gelebte Praxis von Demokratie stehen dabei ebenso im Vordergrund wie die Frage: „Was brauchen Kinder, Jugendliche und Erwachsene, damit sie auf die Ver- Bestellungen: Gewalt Akademie Villigst Haus Villigst, 58239 Schwerte E-Mail: [email protected] Telefon: (02304) 755190 Telefax: (02304) 755248 www.gewaltakademie.de Christina Fischer / Alexis Athemeliotis (Hrsg.) Jugend – Migration – Sozialisation – Bildung Festschrift zum 65. Geburtstag von Hartmut M. Griese 쏋 In der vorliegenden Festschrift versammeln sich ehemalige Doktoranden und Mitarbeiter von empirischen Projekten des Migrationssoziologen, Jugendforschers, Erwachsenenbildners und Sozialisationstheoretikers Prof. Dr. Hartmut M. Griese von der Leibniz Universität Hannover mit pädagogischen, erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Beiträgen, die in einem thematischen Kontext zu den Forschungen und Publikationen des Jubilars stehen. Die Jugend der Pfarrgemeinde St. Benedikt in Münster renovierte einen Spielplatz und organisierte ein Spielfest für die Kinder des nahe gelegenen Asylbewerberheims. Foto: Jürgen Wiltink 20 THEMA JUGEND Der inhaltliche Reigen geht dabei von biographisch-persönlichen Annäherungen (z.B. zu Erwachsenensozialisation und Lebenslauf) über pädagogische Überlegungen (zur Transzendenz, zur Kinder- und Jugendarbeit, zu Mentoríng und zu Liebe im Alter) und mündet schließlich in mehreren theoretischen Aufsätzen zu Kompetenzen von Migranten, zu aktuellen Jugendkulturen, zu Fragen von Migration, Identität und Integration sowie zu aktuellen Diskursen über Interkulturalität, Transkulturation und Transmigration, wobei eine postmoderne essayistische Perspektive im Mittelpunkt steht. Besonders erwähnenswert ist die Tatsache, dass sich in dieser Festschrift Beiträge von Wissenschaftlern und Praktikern aus unterschiedlichen Herkunftsländern finden. Neben Ost- und Westdeutschland schreiben auch Autorinnen und Autoren aus Polen, Russland, Türkei, Iran und Kurdistan, was auch die ausgeprägte international-interkulturelle bzw. kooperative Ausrichtung der wissenschaftlichen Aktivitäten von Hartmut M. Griese dokumentiert. 쏋 288 Seiten, Preis: 24,90 Euro, ISBN 978-3643-10088-7, Berlin 2009. Bildungsverständnis, in dem gleichberechtigte Partner miteinander kooperieren. In ihrem thesenartig formulierten, nicht immer ganz leicht zugänglichen Beitrag geht dann Martina Richter insbesondere auf den Zusammenhang von Familie und Bildung ein. Sie verweist u.a. kritisch auf die Zusammenhänge von sozialer Herkunft und Bildungsabschluss, und stellt die provokante Frage „Bilden Eltern ‚richtig?’“ Zudem lenkt sie den Blick auf die nötige Neu-Justierung des Verhältnisses von Familie und Schule angesichts der zunehmenden Ganztagsorientierung. Klaus Jürgen Tillmann richtet mit seiner kritischen Beschreibung des deutschen Schulsystems, das seiner Ansicht nach gekennzeichnet ist durch „viel Selektion – wenig Leistung“ den Blick auf immanente Widersprüche, die schon bei Niklas Luhmanns systemtheoretischem Blick auf das Erziehungs- und Bildungssystem zu finden waren und seither sicher nicht viel von ihrer Bedeutung oder Aktualität verloren haben. Angenehm, dass hier mal nicht der stets notwendig erscheinende Blick nach Finnland gewählt, sondern das kanadische Schulsystem als Vergleichsgröße herangezogen wird. Als Fazit dieses Vergleichs fordert der Autor, auch vor seinem Hintergrund als wissenschaftlichem Leiter der Bielefelder Laborschule, ein Umdenken vom „selektiven zum fördernden Schulsystem“. Karin Böllert (Hrsg.) Von der Delegation zur Kooperation Bildung in Familie, Schule, Kinder- und Jugendhilfe 쏋 Bildung hat viele Orte – so könnte man den Ausgangspunkt dieses Bandes in aller Kürze umschreiben. In insgesamt sechs Fachbeiträgen setzen sich verschiedene Autorinnen und Autoren, die mehrheitlich im Hochschulbereich arbeiten, mit der Frage auseinander, wie die im Titel genannten Instanzen angesichts eines umfassenden Bildungsbegriffs zueinander stehen, bzw. miteinander kooperieren können. Dabei wird deutlich, dass eine derartige Kooperation im Bildungsbereich insbesondere in Zeiten biographischer Übergänge von besonderer Relevanz ist. Den Auftakt macht die Herausgeberin selbst. Karin Böllert, Professorin mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Münster, stellt den umfangreichsten Artikel dieses Bandes unter die Überschrift: Bildung ist mehr als Schule. Sie stellt zunächst die Diagnose, dass die verschiedenen Akteure im deutschen Bildungssystem „von einem einheitlichen Bildungsverständnis meilenweit entfernt“ seien, um dann die verschiedenen Bildungsaufträge von Familie, Schule und Kinder- und Jugendhilfe zu skizzieren. Als Fazit plädiert sie für ein umfassendes Einen vertiefenden Blick auf die Bildung in der Kinder- und Jugendhilfe nimmt Werner Thole vor. Er sieht hier insbesondere drei Herausforderungen: a) die Stärkung und Unterstützung des Wunsches nach Autonomie bei Kindern und Jugendlichen, verbunden mit dem Prinzip der Freiwilligkeit, b) die Gestaltung von Bildung im Kontext von sozialer Kontrolle und Dis- ziplinierung sowie c) vor dem Hintergrund der zunehmenden gesellschaftlichen Normalisierung Sozialer Arbeit. Die Genderperspektive bringt Ulrike Graff ein. Sie regt an, Koedukation und Monoedukation gleichberechtigt nebeneinander zu stellen, um so Mädchen- oder Jungenförderung mit ihren speziellen Potentialen zu nutzen und nicht als defizitorientierte Ansätze zu stigmatisieren. Wolfgang Nieke geht schließlich auf den Begriff der Selbstbildung ein. Ausgehend von der Beobachtung, dass Bildung heutzutage oft die Anleitung durch Andere impliziert, obwohl der Begriff eigentlich immanent die Dimension einer Eigentätigkeit enthält, präsentiert er eine wissenschaftstheoretische Skizze für eine Neuordnung und Präzisierung des Verhältnisses von Bildung und Identität. Fazit: Der Bildungsbegriff wird in diesen sechs Beiträgen vielschichtig aufgefächert und entfaltet. So bekommen die potentiellen Leserinnen und Leser (Studierende und Lehrende der Sozial- und Erziehungswissenschaften) einen guten Überblick über den diesbezüglichen theoretischen und empirischen Diskussionsstand. Dabei ist kaum ein Beitrag darunter, der nicht auf die PISA-Daten Bezug nimmt und auf die Notwendigkeit weiterer empirischer Forschung hinweist. Die zentrale Botschaft, Bildung und Erziehung als gemeinsame Querschnittsaufgabe zu verstehen, kommt deutlich heraus. Die Frage danach, wie die Forderung nach „echter“ Kooperation im Detail in der Praxis aussehen kann, muss an anderer Stelle beantwortet werden. Gesa Bertels 쏋 113 Seiten, Preis: 24,90 Euro, ISBN 978-3531-15563-0, Wiesbaden 2008. Bei der KJG St. Arnold Janssen aus Goch drehte sich alles ums leibliche Wohl: Für hungrige Bürger sollten sie ein Spargel-Essen auf den Teller zaubern. Foto: rk THEMA JUGEND 21 KOMMENTAR INFORMATIONEN Die in dieser Rubrik veröffentlichten Meinungen werden nicht unbedingt von der Redaktion und dem Herausgeber geteilt. „Kommentare“ sollen zur Diskussion anregen. Über Zuschriften freut sich die Redaktion von THEMA JUGEND. 13. Kinder- und Jugendbericht: Präventionsansätze besser vernetzen „JUGEND IST MEHR ALS KOMASAUFEN UND KILLERSPIELE“ In der bislang größten 72-Stunden-Sozialaktion machen katholische Jugendliche an 3.000 Orten die Welt ein bisschen besser „Euch schickt der Himmel“ und „IHR seid die Stars“ schallte es den 100.000 Kindern und Jugendlichen vom 7. bis 10. Mai 2009 in vielen Orten und Städten entgegen. Politikerinnen und Politiker, Kirchenvertreterinnen und -vertreter und die Medien zeigten sich beeindruckt von dem, was von Kindern und Jugendlichen in 72 Stunden auf die Beine gestellt worden ist. Und es war auch sehr beeindruckend: 7,2 Millionen Stunden – das sind umgerechnet 182.278 Arbeitswochen (bei 39,5 Stunden), also für einen Menschen 3.505 Jahre Arbeit – und das alles ehrenamtlich. Schätzungen haben ergeben, dass die Jugendlichen mit circa 25.000 Litern Farbe Wände verschönert, über 2 Millionen Liter Rindenmulch verstreut und rund 90.000 Tonnen Kies, Schotter und Erde bewegt haben. Entscheidend war für die Kinder und Jugendlichen dabei immer, dass sie Menschen helfen konnten. Junge Menschen können selbstorganisiert und eigenverantwortlich ihren Sozialraum gestalten und Verantwortung für ihre Mitmenschen übernehmen. Das ist eine Tatsache, die in der „erwachsenen Öffentlichkeit“ gerne übersehen wird. Dort kommen junge Menschen oft nur vor, weil sie Killerspiele spielen und Komasaufen veranstalten. Auch Politikerinnen und Politiker lassen sich von Negativschlagzeilen mehr beindrucken, als von Kindern und Jugendlichen, die sich in der Jugendarbeit täglich engagieren. Politik neigt dazu, junge Menschen mit ihren Defiziten in den 22 THEMA JUGEND Vordergrund zu stellen und übersieht dabei vollkommen ihre Stärken. Das junge Menschen – und nicht nur ein paar, sondern über 100.000 an diesem Wochenende – anders sind und fast alles bewerkstelligen können, hat die 72Stunden-Aktion gezeigt. Und darüber hinaus werden in vielen umgesetzten Projekten die Kontakte bestehen bleiben, wird sich auch über das Wochenende hinaus engagiert. Spielplätze werden weiter instand gehalten, Menschen in Senioreneinrichtungen weiter besucht, Anschlussprojekte mit Kinderheimen vereinbart, der Wald weiter sauber gehalten. Auch die Verlässlichkeit katholischer Jugendverbandsarbeit garantiert Nachhaltigkeit. Ohne dauerhaftes Engagement wäre diese Aktion gar nicht möglich gewesen. Regelmäßigkeit und soziales Engagement sind selbstverständlich in der kirchlichen Jugendarbeit. Es bleibt zu hoffen, dass diese große beeindruckende Aktion bei vielen Erwachsenen und Verantwortlichen ein Umdenken in Gang gesetzt hat und das sie heute ein Bild von jungen Menschen haben, dass sie mit ihren Stärken und Kompetenzen zeigt: junge Menschen die Zukunft gestalten können und wollen – wenn man sie lässt. Barbara Pabst 쏋 Die Autorin ist bis Ende Oktober Landesvorsitzende des BDKJ-NRW und gehört bis dahin auch dem Vorstand der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NW e. V. an. 쏋 Die Bundesregierung hält an ihrem Ziel fest, Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland zu schaffen. Nur gute Rahmenbedingungen ermöglichen ein gerechtes und gesundes Aufwachsen – und zwar von Anfang an. So steht es auch im 13. Kinder- und Jugendbericht. Der Bericht mit dem Titel „Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen – Gesundheitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung in der Kinder- und Jugendhilfe“ verlangt vor allem eine bessere Vernetzung der vorhandenen Angebote und Strukturen. „Entscheidend ist die richtige Gesundheitsvorbeugung von Anfang an“, sagt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Hermann Kues. „Schon heute ist beinahe jeder fünfte Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren übergewichtig. Einige Jugendliche bewegen sich nur noch, wenn sie müssen. Das hat fatale Folgen: Manche von ihnen werden die Pfunde als Erwachsene nicht mehr los – mit allen gesundheitlichen Folgen wie Herz-Kreislauferkrankungen, Gelenkbeschwerden oder Diabetes. Viele Familien wissen oft nicht, dass es Unterstützung gibt und wo es sie gibt. Deswegen müssen wir das Netz der Hilfen – von der Jugendhilfe über das Gesundheitswesen bis hin zur Erziehungs- und Schwangerenberatung – dichter knüpfen“, so Kues. Der 13. Kinder- und Jugendbericht unterstreicht: Es mangelt nicht an guten Konzepten zur Prävention und Gesundheitsförderung. Allerdings sind die Angebote nicht ausreichend koordiniert. Deswegen bleiben sie hinter ihren Möglichkeiten zurück. Dies zeigt sich vor allem für behinderte Kinder und Jugendliche, für die unterschiedliche Leistungssysteme verantwortlich sind. An den Schnittstellen zwischen den Systemen gibt es daher in der Praxis erheblich Zuordnungsprobleme. Auf verlässliche Brücken zwischen Hilfesystemen sind insbesondere die Kinder angewiesen, die unter schwierigen Lebensumständen aufwachsen. An der Schnittstelle von Gesundheitswesen und Kinder- und Jugendhilfe aber auch der Schwangerenberatung sind Frühe Hilfen eine wichtige Unterstützung. Der Bericht bestärkt die Bundesregierung darin, den eingeschlagenen Weg einer verbindlichen Verzahnung dieser Angebote weiterzugehen. „Mit den Frühen Hilfen setzen wir eine zentrale Forderung des Kinder- und Partner dieses Films, der in Münster am 6. und 7.10.2009 für Schulklassen, aber auch in einer öffentlichen Vorführung zu sehen sein wird, sind u.a. das Amt für Kinder, Jugendliche und Familie der Stadt Münster, die Katholische Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NW e.V., die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Gewaltakademie Villigst und das Netzwerk Gewaltprävention Münster. Jugendberichts nach besserer Vernetzung der Angebote schon jetzt konsequent um“, sagt Dr. Hermann Kues. „Mir ist wichtig, dass die Verantwortlichen miteinander kooperieren, damit Kinderschutz nicht dem Zufall überlassen bleibt. Da können und müssen wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Die Bundesregierung hat deshalb das Kinderschutzgesetz auf den Weg gebracht, um zum Beispiel zu verhindern, dass Familien, die auffällig geworden sind, durch einen Umzug einfach abtauchen können.“ 쏋 Kontakt und Informationen: www.diegesellschafter.de oder www.cinema-muenster.de Filmfestival „ueber Macht“ Schulungsfilm zum Jugendschutz „Ich wette, Ihr schafft es nicht, Euch bis 24 Uhr den Alkohol, die Zigaretten und das Ballerspiel zu besorgen, die ihr haben wollt!“ Mit dieser Wette beginnt ein ungefähr 15-minütiger Schulungsfilm für Beschäftigte im Einzelhandel, in der Gastronomie und im Tankstellengewerbe, den die Bundesregierung nun veröffentlichte. Vier Jugendliche versuchen, mit ganz unterschiedlichen Strategien und Tricks die Altersbeschränkungen des gesetzlichen Jugendschutzes zu umgehen. Anhand von typischen Szenen in Supermärkten, Tankstellen, Cafés, Diskos und Videotheken werden Anregungen und Tipps gegeben, wie die jeweiligen Mitarbeiter in solchen Situationen angemessen reagieren können. Der Film kann kostenlos beim Publikationsversand der Bundesregierung bestellt oder unter www.jugendschutzaktiv.de herunter geladen werden. Fortbildung beginnt jetzt: Arbeit mit Sexualtätern Die DGfPI (Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung und -vernachlässigung e.V.) bietet in Kooperation mit dem Forensischen Institut Ostschweiz ab September 2009 eine modularisierte Fortbildung zur pädagogisch-therapeuischen Arbeit mit (Sexual-)Tätern an. Die Fortbildung untergliedert sich in verschiedene Module, die flexibel belegt werden können. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert diese neuartige Fortbildungsstruktur als Modellprojekt. Nähere Infos für Kurzentschlossene unter: www.dgfpi.de 13 Dokumentarfilme regen zum Nachdenken an über die Macht, ihre Kontrolle, über nötige und unnötige Regeln und die besten Wege zu mehr Selbstbestimmung. Die Themen der Filme sind weit gefasst und reichen von der persönlichen Macht, mit der sich jugendliche Gewalttäter Respekt verschaffen wollen, bis zu den kriminellen Machenschaften eines Gentechnikkonzerns, von der Macht der streikenden Studenten auf der Straße bis zur staatlichen Macht, die nach dem 11. September weltweit Bürgerrechte einschränkt. Das Filmfestival „ueber Macht“ ist Teil des Gesellschafter-Projekts der Aktion Mensch und in 2009 in 120 deutschen Städten zu Gast. Rund 30 bundesweite und mehr als 1.000 regionale Verbände und Organisationen der Zivilgesellschaft sind beteiligt, die in den 120 Städten Publikumsdiskussionen und Filmgespräche zu jeder Vorführung organisieren. Damit will das Festival die Vernetzung zivilgesellschaftlicher Initiativen und das Engagement von Ehrenamtlern und Ehrenamtlerinnen fördern. Schulische Bildung und Schulstruktur in NRW In Münster wird das bundesweit tourende Filmfestival „ueber Macht“ vom Verein „Die Linse“ koordiniert. Von September bis Oktober 2009 laufen zehn Filme im Cinema an der Warendorfer Straße. Jeder Film wird von lokalen und überregionalen Gruppen und Organisationen begleitet, die als Filmpartner/innen ein spannendes Rahmenprogramm anbieten. 쏋 Der hier vorgelegte Diskussionsbeitrag konzentriert sich auf die Problematik der Schulstruktur in der Sekundarstufe I in NRW. Dazu skizziert er die Situation, nennt aus christlicher Perspektive Kriterien für die Gestaltung von schulischer Erziehung und stellt erste schulorganisatorische Konsequenzen zur Diskussion. Die Vollversammlung des Diözesankomitees der Katholiken im Bistum Münster hat mit breitester Mehrheit das vorliegende Papier gebilligt und empfiehlt es als Grundlage dieser ebenso dringlichen wie schwierigen Diskussion. Das christliche Menschenbild bleibt auch in dieser Frage wesentliche und verpflichtende Grundlage für unser Handeln in Gesellschaft und Politik. Es verpflichtet dazu, über mangelnde Bildungsgerechtigkeit und ihre Ursachen nicht hinwegzugehen und konkrete Schritte zu mehr Solidarität einzufordern. 쏋 Zu diesen Filmen gehört auch „Faustrecht“, eine Dokumentation, die zwei jugendliche Gewalttäter begleitet: Während Tim unter seinen unkontrollierten Wutausbrüchen selber leidet, setzt Gibran Gewalt kühl kalkulierend als Machtmittel ein, um sich Respekt zu verschaffen. Mitgefühl scheint für ihn ein Fremdwort zu sein – bis es zu einem furchtbaren Zwischenfall mit seiner Freundin kommt. Um die beiden Hauptpersonen zeichnet „Faustrecht“ ein differenziertes Bild von engagierten Helfern, überforderten Therapeuten und Eltern, die zwischen Ratlosigkeit und Desinteresse schwanken. Diese Broschüre kann – auch in größerer Stückzahl – bei den Herausgebern angefordert werden: - Diözesankomitee der Katholiken im Bistum Münster Spiegelturm 4, 48135 Münster Telefon: (0251) 495-563 E-Mail: [email protected] - Katholische Elternschaft Deutschlands KED im Bistum Münster Kardinal-von-Galen-Ring 55 48149 Münster Telefon: (0251) 495-404 E-Mail: [email protected] THEMA JUGEND 23 DIALOGBEREIT Gemeinsamkeiten finden! Pegah Ferydoni im Gespräch THEMA JUGEND: Mit unserem Projekt DIALOGBEREIT bringen wir junge Muslime und junge Christen zusammen. Können Sie diesen Jugendlichen einen Tipp geben, was sie besonders beachten sollten? Pegah Ferydoni: Es ist immer ratsam, bei ersten Gesprächen die Themen Politik oder Religion außen vor zu lassen, denn das schafft häufig Distanz oder gar Missverständnisse, was wir ja vermeiden möchten. Vielmehr wecken Gespräche über alltägliche Sorgen, Träume, Ziele oder gar Liebeskummer den Wunsch, mehr über den anderen erfahren zu wollen. Man entdeckt dabei viel mehr Gemeinsamkeiten, als man vorher ahnte. Ja, und wie kann das gehen? Da sind wir (Jugendliche und Erwachsene in gleicher Weise) doch oft blind wegen eigener Vorurteile? Indem man seinem Gegenüber mit Respekt, Offenheit und gesunder Neugier entgegentritt. Man braucht dabei keine Angst zu haben, zu viel von sich selbst preiszugeben. Wir neigen oft dazu, unsere Gefühle und Gedanken zurückzuhalten. Aber es ist immer wieder erstaunlich, was zurückkommt, wenn wir es zulassen. Ich habe selbst erlebt, wie sich aus anfänglichen Konflikten enge Freundschaften entwickeln konnten. Wie ist es Ihnen selbst ergangen? Als kleines Mädchen sind Sie mit Ihren Eltern als Flüchtling nach Berlin gekommen. Können Sie sich an diese Zeit erinnern? Das war 1985. Damals wurden Flüchtlinge aus dem Iran sehr freundlich aufgenommen. Menschen aus islamischen Ländern standen – anders als heute – nicht unter dem „Generalverdacht“, potentielle Terroristen zu sein. Außerdem hatten und haben die Iraner stets einen ausgezeichneten Ruf. Sie gelten als ein gebildetes und weltgewandtes Volk. Das hat uns geholfen, hier „anzukommen“. Unsere Organisation setzt sich für junge Flüchtlinge ein. Da sind vor allem viele Politikerinnen und Politiker zu „bekehren“. Flüchtlinge haben es bei uns immer noch schwer. Es fehlt Menschlichkeit. Wie sehen Sie dies heute auf dem Hintergrund Ihrer eigenen Geschichte? Ich denke, dass wirtschaftliche Interessen und das Märchen der „Inneren Sicherheit“ – heute mehr denn je – eine größere Rolle spielen, als die Verantwortung „sicherer“ Staaten, Menschen vor Verfolgung und Not in deren Heimatländern zu schützen. Umso wichtiger ist die ehrenamtliche Arbeit nichtstaatlicher Organisationen mit Unterstützung der Bevölkerung und jedes einzelnen Bürgers. Wir bleiben „am Ball“ im Einsatz für junge Flüchtlinge! Gerne möchte ich mit Ihnen noch kurz über unser DialogProjekt sprechen. Übrigens, herzlichen Dank, dass Sie uns dabei unterstützen. – Frage an Sie: Wie kann es möglich sein, dass Menschen, die sagen, sie würden an den Einen Gott glauben, sich gegenseitig misstrauen und auch anfeinden? Dies sind die Schnittstellen von Ignoranz, Angst und gefährlichem Halbwissen. Wir „Besserwisser“ sind in der Pflicht, Aufklärungsarbeit zu leisten. Dialogarbeit ist Friedensarbeit! Sie kennen sich in verschiedenen Kulturen aus, haben sie hautnah erfahren und sind auch jetzt noch in engem Kontakt zu Menschen anderer Herkunft. Was sollten wir bei unserem Projekt DIALOGBEREIT auf jeden Fall beachten? Fragen der Religion und Herkunft sollten eine untergeordnete Rolle spielen. Viel wichtiger ist es, Gemeinsamkeiten zu finden und sie auch als solche zu benennen. In meinen Augen sollten wir davon absehen, die Welt in „wir“ und „die“ zu klassifizieren. Das „WIR“, das absolute Gefühl der Zugehörigkeit muss gestärkt werden. Das wird in dieser Gesellschaft ein schönes Stück Arbeit. Noch eine persönlichere Frage: Sie übernehmen als Schauspielerin die Rolle einer Muslima. Spielen Sie sich dort selbst? Anders gefragt: Haben Sie Nähe zu einer bestimmten Religion oder geht es für Sie ohne dem? Ich bin zu 20 Prozent Atheistin und zu 80 Prozent Agnostikerin. Ich habe mich mit sämtlichen Religionen und Philosophien beschäftigt und bin als Künstlerin zu der Erkenntnis gelangt, dass die Liebe mein Anhaltspunkt ist, nicht das Ritual. Und zum Schluss: Was möchten Sie als Projektpatin unseren Jugendlichen sagen, sozusagen mitgeben? Es hilft nicht, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum die Welt so ungerecht und gemein ist. Wir alle können jeden Tag unseren Beitrag leisten, ein Stück dazutun. Aufeinander zugehen, geben und empfangen, eine gute Zeit mit anderen verbringen. Oder uns gegenseitig die Köpfe einschlagen und unsere Zukunft verspielen. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ihnen ein herzliches Dankeschön für die offenen Worte und für Ihre Unterstützung! „Ich bin für Vielfalt – und nicht für Einfalt. Das Leben wird mit Sicherheit interessanter, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft gut zusammenleben.“ Pegah Ferydoni: Die Schauspielerin Pegah Ferydoni unterstützt das Projekt DIALOGBEREIT. Geboren wurde sie im Iran, flüchtete als kleines Kind mit ihren Eltern nach Deutschland. Foto: ARD/Hardy Spitz 24 THEMA JUGEND Neugierig werden Für die Grundschule: „Mein Islambuch“ ist erschienen 왎 Was sollen muslimische Jungen und Mädchen in den ersten Grundschuljahren über ihre Religion erfahren und lernen? Ich maß mir nicht an, Themen und Glaubensinhalte dieses neuen Religionsbuches zu bewerten und diese kritisch zu rezensieren, so wie dies für eine Buchrezension (eigentlich) gilt. Das steht mir ob meiner eigenen weltanschaulichen Zugehörigkeit nicht zu und ich würde es vermutlich auch nur ungenügend leisten können. Trotzdem einige Anregungen und Anmerkungen von mir: Wünschenswert ist es, dass Kollegen und Kolleginnen, die mit dem Religionsbuch (für Grundschüler/innen) und dem gut gemachten Begleitmaterial für Lehrer/innen arbeiten und ihre Erfahrungen mit diesen Publikationen machen, in einen regen Austausch eintreten – und dies selbstverständlich fachlich-kritisch tun. Dieser Dialog, wenn möglich mit den Kollegen und Kolleginnen der Fächer Katholische und Evangelische Religion, wird für alle Beteiligten nützlich sein. Die Reflexion kann auch unter Hinzunahme der Bücher der christlichen Schüler/innen erfolgen. Also das Prinzip: Miteinander die Arbeitsmaterialien sichten und diskutieren. Dazu bietet sich diese neue Veröffentlichung aus dem Oldenbourg-Schulbuchverlag geradezu an. Wie kann vorgegangen werden, welche Fragen können gestellt werden bzw. worüber ist auf jeden Fall zu sprechen? 왎 Welchen Eindruck macht das Buch, wie wird es bei Kindern ankommen, die in unserer Gesellschaft groß werden? Hier geht es um die Gestaltung. Werden Rollen und Lebensweisen durch die Gestaltung festgelegt? Helfen die Bilder die Welt zu verstehen, auch das persönliche Umfeld oder bevorzugen sie ein bestimmtes Milieu und bestimmte Lebensweisen? Oder werden hier eher die erwünschten Lebensweisen der Erwachsenen ins Bild gesetzt? Dokumentieren die Bilder (und Geschichten zu den Bildern) eine vertraute oder erwünschte Welt? Wie ist die Realität? Darüber müsste auf jeden Fall gesprochen werden. 왎 Hilfreich für die Praxis ist das Gespräch über die im Lehrer/innen-Begleitbuch gebrachten Schaubilder, Kopiervorlagen, Ausschneideseiten, Geschichten, Merkkärtchen, Lieder usw., was übrigens genauso für andere Religionsbücher und katechetische Arbeitshilfen gilt. Wie kann damit (religionsübergreifend) gearbeitet werden? Was kommt der Medien- und Methodenvielfalt und dem kollegialen Austausch zugute? Mit welchen Anregungen konnte besonders gut gearbeitet werden? Gibt es Lieder, Geschichten, Spiele, die zum gemeinsamen Besitz der christlichen und muslimischen Schüler/ innen zählen und auf die bei der Gestaltung beispielsweise gemeinsamer Feiern zurückgegriffen werden kann? 왎 Und wie werden die zentralen Inhalte „der Anderen“ vorgestellt? Was lernt ein muslimisch geprägtes Kind über das Leben und den Glauben der christlichen Mitschüler/innen und natürlich auch umgekehrt: Was lernen christlich geprägte Kinder über ihre muslimischen Mitschüler und Mitschülerinnen? Hier geht es um den Abbau von Vorurteilen und Fehlinformationen. Gemeinsames sollte gekannt werden, Trennendes ebenfalls. Der Dialog fördert die Friedensfähigkeit aller Beteiligten. 왎 Welche Ziele werden verfolgt? Um welche Werte geht es? Was soll mit welchen Mitteln bewirkt werden? – An dieser Stelle eine kurze Anmerkung: Wie wichtig sind (gerade aus religionspädagogischer Sicht) bestimmte Lebenskontexte und zentrale Erfahrungen: Freundschaft und geliebt werden, Abschied und Trauer, Scheitern und Neuanfang, Krankheit, Angst, Fehlverhalten, Schuld usw.? In vielen Kinderbüchern und katechetischen Materialien werden diese Themen hervorragend aufge- griffen und das so, dass Kinder nicht überfordert werden. Im Gegenteil: Diese Themenbearbeitung entlastet Kinder, kann also eine kompensatorische Funktion haben. Für „Mein Islambuch“, vorgesehen für die Grundschule (1. und 2. Schuljahr), kann ich mir eine deutlichere Akzentuierung vorstellen. Oder dürfen wir hier schon gespannt auf das Schüler/innenbuch für das 3. und 4. Schuljahr – nebst Lehrer/innen-Materialien – sein? Die großen, übergreifenden Themen des Buches sind die Entfaltung, was die fünf Säulen des Islam bedeuten und wie die sechs Glaubenssätze des Islams lauten. Die fünf Säulen und die sechs Glaubenssätze werden als durchgängige Perspektive behandelt. Zu Beginn des Buches werden die fünf Säulen des Islam auf einer Doppelseite (gestalterisch interessant aufbereitet) vorgestellt. Und zum Abschluss des Buches auf einer Doppelseite geht es um die sechs Glaubenssätze des Islam. In den folgenden Kapiteln werden sie konkretisiert und zwar unter den Überschriften: Ich, Familie, Gemeinschaft – Schöpfung – Mit Gott sprechen und beten – Die Propheten und der Koran – Der Islam und andere Religionen. Im 2. Grundschuljahr wiederholt sich der Durchgang dieser Themen, bis auf das Kapitel „Der Islam und andere Religionen“. In diesem zweiten Durchgang heißt es stattdessen: Feste feiern im Islam und in anderen Religionen. Mit dem, wie die christliche Religion und die christlichen Feste den Kindern nähergebracht werden, erkläre ich mich sehr einverstanden. Mit den Kindern auf die Schulbank Eine Idee möchte ich denen vorschlagen, die sich für das Thema Islam und Islamkunde interessieren. Das müssen ja nicht nur Lehrer/innen sein, die ihr Interesse daran bekunden. Im Projekt DIALOGBEREIT sind es beispielsweise pädagogisch Tätige in Jugendeinrichtungen, Jugendgruppenleiter/innen, Aktive in Ver- In der Mehrzahl der Bundesländer der BRD ist das Fach islamischer Religionsunterricht bzw. islamische Unterweisung oder Islamkunde bereits Bestandteil der schulischen Lehrpläne oder Lehrplanentwürfe. In verschiedenen Modellversuchen findet islamischer Unterricht auch schon in der Grundschule statt. Der Oldenbourg Schulbuchverlag legt das erste Lehrwerk für die Grundschule in deutscher Sprache vor. Band 1/2 für das 1. und 2. Schuljahr ist für Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Niedersachsen zugelassen, d.h. von den Kultusministerien geprüft und für den Unterricht genehmigt und empfohlen. Auch für weitere Bundesländer befindet sich das Lehrwerk in den kultusministeriellen Prüfverfahren. Seit über 10 Jahren bemühen sich zahlreiche Bundesländer einen deutschsprachigen islamischen Religionsunterricht als Wahlpflichtfach unter staatlicher Aufsicht einzuführen. Ziel eines solchen Unterrichts ist es, die Schülerinnen und Schüler auf elementare und altersgemäße Weise in die Glaubensinhalte, -praktiken und Traditionen des Islam einzuführen. Die Kinder sollen in ihrer Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung als Muslime gestärkt werden. Gleichzeitig soll der Unterricht Werte vermitteln, die auf ein friedvolles Zusammenleben von Muslimen und NichtMuslimen in einer demokratisch verfassten Gesellschaft ausgerichtet sind. THEMA JUGEND 25 bänden, Sportvereinen und Kirchengemeinden. Für diese pädagogisch Tätigen werden von uns Arbeitshilfen und Materialien herausgegeben (siehe www. dialogbereit.de). Wie wäre es, wenn wir uns mit den Kindern auf die Schulbank begeben und anhand des Schüler/innenbuchs „Mein Islambuch“ (Grundschule 1/2) nachlesen und darüber nachdenken, was muslimische Kinder lernen sollen, was deren Religionsunterricht vorsieht? Wenn das Schulbuch nicht ausreicht, so wird das Lehrer/innen-Material offene Fragen beantworten und Zusammenhänge deutlich machen. – Und muslimische Fachkräfte, die wissen möchten, was christlich geprägte Kinder im Religionsunterricht lernen, können sich mit deren Schulbüchern befassen. Georg Bienemann 쏋 Mein Islambuch, Grundschule 1/2 von Serap Erkan, Evelin Lubig-Fohsel, Gül Solgun-Kaps, Bülent Ucar mit wissenschaftlicher Begleitung von Bülent Ucar illustriert von Peter Knorr 96 Seiten, mit vielen mehrfarbigen Illustrationen und Bildern Preis: 14,90 Euro ISBN 978-3-637-00553-2 München 2009. Mein Islambuch, Lehrermaterial 1/2 144 Seiten, Format DIN A4 Preis: 18,- Euro ISBN 978-3-637-00657-7 München 2009. Interkulturelle Woche Alle sollen mitmischen „Misch mit“ heißt in diesem Jahr das Motto der „Interkulturellen Woche – Woche der ausländischen Mitbürger“. Es ist eine Aufforderung an alle, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben, sich einzumischen und die Gesellschaft mitzugestalten. In der Woche vom 26. September bis zum 2. Oktober 2009 werden nach Schätzungen des ökumenischen Vorbereitungsausschusses bundesweit etwa 3.500 Veranstaltungen stattfinden, die auf dessen Internetseite dokumentiert werden. Wegen der Bundestagswahlen am 27. September wurde die zentrale Auftaktveranstaltung in München auf den 18. September vorverlegt. Info: Materialheft und Plakate können bestellt werden beim ökumenischen Vorbereitungsausschuss in Frankfurt. Telefon: (069) 230605 E-Mail: [email protected] Internet: www.interkulturellewoche.de 26 THEMA JUGEND Humanitäres Bleiberecht für Flüchtlingskinder sichern! Appell der Aktionsgemeinschaft Junge Flüchtlinge in NRW zum Weltkindertag am 20. September 2009 In Nordrhein-Westfalen leben zahlreiche Mädchen und Jungen, die aufgrund von Krieg und Verfolgung aus ihren Heimatländern flüchten mussten. Viele dieser Kinder und Jugendlichen leben hier schon seit vielen Jahren, sind hier aufgewachsen, besuchen den Kindergarten oder die Schule, sprechen oft besser Deutsch als die Sprache ihrer Eltern und sind sozial integriert. Dennoch fehlt einem großen Teil dieser Mädchen und Jungen unter den 40.000 geduldeten Flüchtlingen in NRW eine gesicherte Aufenthaltsperspektive durch ein gesichertes Bleiberecht. Zum 31. Dezember 2009 läuft die Frist der gesetzlichen Altfallregelung aus. Bedingt auch durch die gegenwärtige Finanzkrise werden viele Flüchtlingsfamilien ihren Lebensunterhalt bis dahin nicht eigenständig sichern können. Damit wird ihnen eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung nicht erteilt. Das bedeutet einen Rückfall in die Zeit vor dem Jahr 2007: Sie sind hier nur „geduldet“, weil sie nicht ohne Weiteres in ihre Heimat abgeschoben werden können. Gleichzeitig droht aber ständig die Abschiebung. Da sich in etlichen Herkunftsländern auch bis heute keine sichere politische Situation entwickelt hat, wird es wieder zu sog. „Kettenduldungen“ kommen. Auf diese Weise können betroffene Kinder und Jugendliche keinerlei Zukunftsperspektiven entwickeln. Kinder und Jugendliche mit einem Duldungsstatus sind in Deutschland rechtlos und weitestgehend schutzlos. Und das, obwohl Deutschland die UN-Konvention über die Rechte des Kindes ratifiziert hat. Sie garantiert allen Kindern die gleichen Rechte und zwar unabhängig von der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft oder des sonstigen Status des Kindes (Artikel 2). Dieser Verstoß gegen die Kinderrechtekonvention wird ermöglicht durch eine Vorbehaltserklärung, mit der die Bundesregierung dem Zuwanderungs- und Asylrecht Vorrang gegenüber den Kinderrechten einräumt. Anlässlich des Weltkindertages fordert die Aktionsgemeinschaft Junge Flüchtlinge in NRW zum wiederholten Mal die Landesregierung auf, sich – wie schon in der Vergangenheit – für die Rücknahme des Vorbehaltes auf Bundesebene stark zu machen und Flüchtlingskindern das ihnen zustehende Recht und ihren Schutz zu garantieren. Für langjährig hier lebende Flüchtlingskinder fordert die Aktionsgemeinschaft Junge Flüchtlinge in NRW eine Verlängerung der Frist für die gesetzliche Altfallregelung sowie ein großzügiges, vor allem humanitäres Bleiberecht. Damit würde dem verbrieften Recht des Kindes, sein Wohl vorrangig bei Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen berücksichtigt zu sehen (Artikel 3 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes), Rechnung getragen. Ausdrücklich unterstützen wir den Aufruf der evangelischen und katholischen Kirche: „Kettenduldungen beenden – humanitäres Bleiberecht sichern“ (www.aktion-bleiberecht.de). Münster, den 20. September 2009 Zur Aktionsgemeinschaft Junge Flüchtlinge in NRW gehören: Das Paritätische Jugendwerk NRW, der Deutsche Kinderschutzbund - Landesverband NRW e. V., die Evangelische Jugend Westfalen, die Flüchtlingssozialdienste der Caritasverbände in NRW, die Katholische Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NW e.V., der Bund der Deutschen Katholischen Jugend NRW e.V. und der Landesjugendring Nordrhein-Westfalen e.V. Rückfragen an: Georg Bienemann, Telefon: (0251) 54027 THEMA JUGEND VEREINS-INTERN Nr. 3 September 2009 Aus dem Vereinsleben: Am 18. August 2009 traf sich der Vorstand der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NW e. V. zu der jährlichen Klausurtagung in der Katholisch-sozialen Akademie Franz Hitze Haus in Münster. Neben der Beratung wichtiger Themen war Zeit für einen Besuch des „Mühlenhofes“. Vorstandsmitglieder und ehemalige Vorstandsmitglieder, Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle und einige Gäste stehen zum Gruppenfoto bereit. THEMA JUGEND Zeitschrift für Jugendschutz und Erziehung erscheint vierteljährlich Herausgeber: Katholische Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NW e.V. Salzstraße 8, 48143 Münster, Telefon (02 51) 5 40 27 Telefax (02 51) 51 86 09 E-Mail: [email protected] www.thema-jugend.de Redaktion: Georg Bienemann (gb), Gesa Bartels Titelfoto: G. Bienemann (weitere Fotohinweise im Heft) Foto: Elisabeth Neuhaus Verabschiedung: Die stellv. Vorsitzende Sigrid Stapel dankt Barbara Pabst (rechts im Bild) für die gute Zusammenarbeit. Sie war 6 Jahre als Vertreterin des BDKJ NRW im Vorstand aktiv. Verabschiedung: Michael Sandkamp fand die richtigen Worte für Josef Pütz (links im Bild), der von 1991 an ehrenamtlich im Vorstand als ein Vertreter der Konferenz der Generalvikare der NRW-Diözesen mitgearbeitet hat. Redaktionsbeirat: Marianne Ammann, Fachhochschule Münster, FB Sozialwesen Dr. Eva Bolay, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Münster Prof. Dr. Joachim Faulde, Kath. Hochschule NRW, Abteilung Paderborn Wilhelm Heidemann, Fachlehrer am August-VetterBerufskolleg, Bocholt Karla Reinbacher-Richter, stellv. Schulleiterin a.D., Recklinghausen Annette Wiggers, Jugendamt der Stadt Rheine Herstellung: Achenbach-Druck Römerstraße 36, 59075 Hamm Tel. (0 23 81) 97 00 40, Fax (0 23 81) 97 00 444 Bezugspreis: Einzelpreis 2,– € Der Bezugspreis für Mitglieder und Mitgliedsverbände der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinderund Jugendschutz NW e.V. ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder. T H E M A J U G E N D wird auf chlorfreiem Papier gedruckt. Durch chlorfreie Bleiche entstehen keine chlorierten organischen Verbindungen mit Spuren von Dioxinen und Furanen, die die Abwässer belasten. Der beste umweltbewusste Umgang mit diesem Heft ist: Bitte weitergeben an andere Interessierte! ISSN 0935-8935 Verabschiedung: Wilhelm Heidemann (links im Bild) gehörte 23 Jahre dem Vorstand an. Vorstandsmitglied Prof. Dr. Bruno W. Nikles dankt ihm für die gute Zusammenarbeit und das langjährige ehrenamtliche Engagement im Kinder- und Jugendschutz. Wilhelm Heidemann wird weiter im Redaktionsbeirat von THEMA JUGEND mitarbeiten. Jubiläum: Claudia Gerstenberg ist nun bereits 20 Jahre als Verwaltungsmitarbeiterin in der Geschäftsstelle in Münster tätig. Der Vorsitzende Prof. Dr. Joachim Faulde dankt ihr für die gute Zusammenarbeit und für die tatkräftige Unterstützung. Fotos: Georg Bienemann Themenschwerpunkt der nächsten Ausgabe: Jugendschutz und neue Medien (2) THEMA JUGEND 27 Katholische LAG Kinder- und Jugendschutz NW e.V. Salzstraße 8 · 48143 Münster Postvertriebsstück, Deutsche Post AG, „Entgelt bezahlt“, H 9851 THEMA JUGEND NACHRICHTEN Angesichts des Jubiläums des Grundgesetzes fordert die internationale katholische Bewegung pax christi eine konsequente Umsetzung des Friedensangebots des Grundgesetzes und ein entschiedenes Nein zu einer Politik militärischer Auslandseinsätze; den Vorrang der Humanität gegenüber Flüchtlingen statt Abschiebung und Abschottung der Bundesrepublik an den EU-Außengrenzen; Solidarität mit den Armen der bundesrepublikanischen Gesellschaft statt der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben. 쏋 Neue BDKJ-Vorsitzende in NRW: Zur hauptamtlichen Vorsitzenden hat die BDKJLandesversammlung Nordrhein-Westfalen im Mai die ehemalige Aachener Diözesanvorsitzende Alexandra Horster (33) gewählt. Sie tritt die Nachfolge von Barbara Pabst an, die nicht wieder kandidiert hat. 쏋 Die Medien bestimmen immer stärker den Alltag der Kinder in Deutschland. Nur noch fünf Prozent der Jungen und Mädchen im Alter zwischen 9 und 14 Jahren haben zu Hause keinen Computer zur Verfügung, 84 Prozent können daheim im Internet surfen, bei jedem dritten Kind stehen PC und Fernsehgerät sogar im Kinderzimmer. Das geht aus dem LBS-Kinderbarometer Deutschland 2009 hervor. Für die repräsentative Untersuchung, die unter der Schirmherrschaft von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen steht, sind bundesweit mehr als 10.000 Kinder dieser Altersgruppe befragt worden. Danach sitzen sie häufig aus Langeweile vor dem Monitor oder Bildschirm, aber auch, um dort Trost oder Entspannung zu finden. 쏋 Der von vielen Schülern und Studierenden organisierte jüngste Bildungsstreik sei „in vielen Orten zu einer Massenbewegung der Jugend für bessere Bildung und Ausbildung geworden“. Die Politiker müssten sich nun mit den Protestierenden an einen Tisch setzen, forderte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Die jungen Menschen haben ein Recht darauf, dass die Politiker sie ernst nehmen, öffentlich mit ihnen über ihre berechtigten Forderungen diskutieren und gemeinsam Lösungsvorschläge entwickeln“, sagte der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne. Bisher hätten „zu viele Politiker die Aktionen heruntergespielt oder gar verunglimpft“. Diese Politiker seien gut beraten umzudenken, sagte (jpd) Thöne. Jedes fünfte nordrhein-westfälische Kind im Alter von 9 bis 14 Jahren wird einer Umfrage zufolge zur Strafe geschlagen. Für zwei Prozent von ihnen ist diese Bestrafung sogar Alltag. Im Verlauf der vergangenen zehn Jahre hat sich die Situation der Kinder mit regelmäßigen Gewalterfahrungen in der Familie nicht verbessert. Das geht aus einem Zehn-Jahres-Vergleich hervor. „Es wird aber weniger geschimpft und stattdessen mehr darüber geredet, wenn Kinder etwas angestellt haben", berichtete Anja Beisenkamp vom ProKids-Institut. Das Institut hat über 18 000 Neun- bis 14Jährige befragt. 쏋 쏋 Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) präsentiert sich seit über 20 Jahren mit „Gib Aids keine Chance“ als dem Markenzeichen der größten Gesundheitskampagne und eines der bekanntesten Logos in Deutschland. Deutschland ist es durch die langfristig und umfassend angelegte Aidsprävention gelungen, dass im letzten Jahr erstmals seit dem Jahr 2000 die Neudiagnosen nicht nennenswert gestiegen sind, sondern sich annähernd auf dem Niveau des Vorjahres bewegen. Innerhalb West-Europas hat Deutschland mit 33,5 HIV-Neudiagnosen pro 1 Million Einwohner die niedrigste Rate an HIV- Neudiagnosen erreicht. Mindestens 50 Prozent der Jugend- und Gesundheitsämter in Deutschland sind im Bereich der Frühen Hilfen bereits aktiv. Das ist das Ergebnis einer ersten bundesweiten Bestandsaufnahme des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH), das in Trägerschaft der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und des Deutschen Jugendinstituts (DJI) steht. Frühe Hilfen sind Angebote, die Familien mit Säuglingen und Kleinkindern in schwierigen Lebenslagen bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben unterstützen und so zur Prävention von Vernachlässigung und Misshandlung beitragen. An der Befragung haben 573 Jugend- und Gesundheitsämter teilgenommen. 쏋 „Kinderrechte ins Grundgesetz“ so lautet ein Beschluss der Bundesversammlung der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG). Die DPSG fordert, die Kinderrechte der UN-Kinderrechtskonvention in das Grundgesetz aufzunehmen. Selbstverständlich müssen die Rechte dann für alle Kinder gelten – auch und gerade für minderjährige Flüchtlinge, so der Jugendverband. 쏋 Die nächste Ausgabe von THEMA JUGEND kommt am 14. Dez. 2009.