Die Politik Georgiens

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Die Politik Georgiens
Die Politik Georgiens
Der Präsident hat eine starke Stellung gegenüber Regierung und Parlament. Er ist das
Oberhaupt des Staates und der Exekutive. Er repräsentiert Georgien in den auswärtigen
Beziehungen und bildet die Regierung und benennt hohe Beamte. Er kann auch lokale
Regierungsvertreter suspendieren oder ablösen und Volksabstimmungen einleiten. Er wird für
fünf Jahre in direkten Wahlen bestimmt. Präsidenten dürfen sich nur einmal der Wiederwahl
stellen.
In einer am 6. Februar 2004 beschlossenen Verfassungsänderung ist die Machtposition des
Präsidenten zu Lasten des Parlaments und des Premierministers weiter gestärkt worden. Der
Präsident darf jede von ihm nicht für verfassungsgemäß gehaltene Parlamentsentscheidung
blockieren. Er kann das Parlament auflösen, wenn die Legislative das von seiner Regierung
vorgelegte Staatsbudget nach dreimaliger Abstimmungen nicht annimmt. Wenn das
Parlament die Zusammensetzung der Regierung und das Staatsbudget innerhalb von sechs
Monaten nach der Wahl des Staatspräsidenten nicht bestätigt, darf er die Minister per Dekret
ernennen und das Budget in Kraft setzen. Das Innen-, Verteidigungs- und
Sicherheitsministerium wurden aus dem Verantwortungsbereich des Premierministers
herausgenommen und unterstehen direkt dem Präsidenten.
Präsident Georgiens ist Micheil Saakaschwili. Seine Vorgänger waren Swiad Gamsachurdia
und Eduard Schewardnadse.
Die georgische Staatskanzlei in TiflisRegierungschef ist der Premierminister. Er wird
gemeinsam mit dem Kabinett auf Vorschlag des Präsidenten vom Parlament gewählt. Das
Innen-, Verteidigungs- und Sicherheitsministerium unterstehen nicht dem Premier, sondern
direkt dem Präsidenten. Die Regierung und hohe Beamte können vom Parlament mit einer
Drei-Fünftelmehrheit abgewählt werden.
Das gegenwärtige Kabinett ist seit dem am 17. Februar 2004 im Amt. Es hat einen jungen
Altersdurchschnitt. Fast alle Minister haben im westlichen Ausland studiert oder gearbeitet.
2004 und 2005 gab es mehrere Umbesetzungen. Nach dem Tod Premierminister Surab
Schwanias übernahm Finanzminister Surab Noghaideli das Amt. Von den 15 Ministern und
fünf Staatsministern, die im Februar 2004 gewählt wurden, waren im Herbst 2006 nur noch
drei im Amt.
Georgische Parlament (georgisch Sakartwelos Parlamenti, auch "Oberster Rat" Umaghiesi
Sabcho) wird alle vier Jahre gewählt und kontrolliert die Regierung. Es hat das Recht, die
Regierung und hohe Beamte mit einer Drei-Fünftelmehrheit abzuberufen. Es kann auch den
Präsidenten ablösen, wenn er die Verfassung bricht. Die Parlamentspräsidentin Nino
Burdschanadse ist nach der Verfassung die ranghöchste Amtsperson nach dem Präsidenten
und amtiert im Fall von Ablösung, Rücktritt oder Tod.
Das Parlament hat 235 Mitglieder. 150 Abgeordnete wurden am 28. März 2004 nach dem
Verhältniswahlrecht gewählt, 75 Parlamentarier am 2. November 2003 nach dem
Mehrheitswahlrecht in Wahlkreisen. Zehn Mandate gehören Exil-Politikern der Autonomen
Republik Abchasien. 91% der Parlamentarier sind Männer, 9% sind Frauen.
Das Parlament hat acht Fraktionen. Größte Fraktion ist die Nationale Bewegung Demokraten (Vorsitzende: Maia Nadiradse). Sie hat 128 Mitglieder und damit die Mehrheit.
Mit ihr verbunden ist die 20-köpfige Fraktion der Wahlkreisabgeordneten der Nationalen
Bewegung - Demokraten (Vorsitzender: Besik Jugeli). Oppositionsfraktionen sind die
konservativ orientierte Rechte Opposition (Vorsitzender: David Gamkrelidse) mit zehn
Sitzen, die Industrialisten (Vorsitzender: Surab Tkemaladse) mit zehn Abgeordneten und die
Demokratische Front (Vorsitzender: David Surabischwili) mit 15 Mitgliedern. Daneben
besteht die 19-köpfige Fraktion der Unabhängigen Wahlkreisabgeordneten (Vorsitzender:
Iwane Tschchartischwili) und die 10-köpfige Fraktion Regionen Georgiens. Ihre Mitglieder
entstammen mehrheitlich dem früheren Schewardnadsebündnis Für ein neues Georgien und
der aufgelösten Union für Demokratische Wiedergeburt. Weitere vier direkt gewählte
Abgeordnete gehören keiner Fraktion an. Sie kommen aus der Arbeiterpartei oder der
Politischen Union Einheit.
Das Parlament tritt im Frühjahr und Herbst zu Sitzungen zusammen. Die Frühjahrssitzungen
werden am ersten Dienstag im Februar eröffnet und am letzten Freitag im Juni geschlossen.
Die Herbstsitzungen starten am ersten Dienstag im September und schließen am dritten
Freitag im Dezember. Verabschiedete Gesetze werden im Gesetzblatt (georgisch:
Sakanonmdeblo Matsne) veröffentlicht.
]Georgiens Parteien haben den Charakter von Honoratiorenparteien, sind stark auf das
Führungspersonal zugeschnitten. Von 1995 bis November 2003 war die von Präsident Eduard
Schewardnadse angeleitete Bürgerunion Georgiens die einflussreichste Partei im Land. Bei
den Parlamentswahlen am 31. Oktober 1999 errang die Bürgerunion mit 41,85% der Stimmen
die absolute Mehrheit. Der gegenwärtige Präsident, der Premierminister und die
Parlamentspräsidenten gehörten ursprünglich zu dieser Partei. Zwischen dem Herbst 2001 und
Sommer 2002 entzweiten sie sich mit Schewardnadse, was zu einer grundlegenden
Umstrukturierung des georgischen Parteiensystems führte. Nach der Rosenrevolution und
dem Rücktritt Schewardnadses im November 2003 ist die Bürgerunion vollständig zerfallen.
Ihre 19 Parlamentarier unterstützen die neue Regierung.
Die neue starke Kraft in Georgien ist die Nationale Bewegung - Demokraten. Bei den
Parlamentswahlen am 28. März 2004, errang die frühere Opposition einen Erdrutschsieg mit
66,24% der Wählerstimmen. Die Partei eint die Träger der samtenen Revolution in Georgien.
Vorsitzender und Leitfigur ist Präsident Micheil Saakaschwili. Seine Anhänger verfügen in
der Partei über die Mehrheit. Die Anhänger von Premierminister Surab Schwania und
Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse bilden die Minderheit.
Allein das mitte-rechts orientierte Wahlbündnis Rechte Opposition konnte 2004 mehr als
sieben Prozent der Wähler mobilisieren. Sie verfügt über eine ausreichende
Stammwählerschaft in der georgischen Bildungsmittelschicht und erhielt bei den Wahlen
7,96% der Stimmen. Alle anderen Parteien und Wahlbündnisse blieben unter der SiebenProzent-Klausel.
Eine wichtige politische Rolle spielt das Oberste Gericht Georgiens. Es hat Verfassungsrang.
Seine Mitglieder und der Gerichtsvorsitzende werden auf Vorschlag des Präsidenten vom
Parlament für zehn Jahre gewählt. Im November 2003 annullierte das Oberste Gericht die
Wahl von 150 nach dem Verhältniswahlrecht gewählten Parlamentsabgeordneten am 2.
November 2003 wegen Wahlbetrugs.
Politische und bürgerliche Rechte sowie die Gewaltenkontrolle werden in Georgien immer
wieder eingeschränkt. Der Europarat und das US-Außenministerium haben mehrfach dazu
aufgefordert, Demokratie und Menschenrechte in Georgien fester zu verwurzeln. Im Oktober
2004 warnten 14 führende georgische Menschenrechtler in einem offenen Brief an Präsident
Saakaschwili vor einem Heraufziehen neuer autoritärer Herrschaftsstrukturen.
Georgiens Parlament hat im September 2004 einen staatlichen Ombudsman eingesetzt, um die
Einschränkungen von Bürgerrechten einzudämmen. In fünf Abteilungen soll seine Behörde
das Gerichtssystem, den Strafvollzug, die Staatspolizei, Informations- und Religionsfreiheit,
Bürgerrechte, soziale und Verwaltungsfragen sowie die Armee durchleuchten. Allein in den
Monaten Januar bis Juli 2005 stellte er 893 mal eine Verletzung der Rechte Beschuldigter und
Angeschuldigter durch die georgische Polizei fest. Dabei handelte es sich um 815
Menschenrechtsverletzungen und 78 Verletzungen des Strafprozessrechts.
2004 hatte die Polizei mehrfach Demonstrationen unzufriedener Bürger in Tiflis gewaltsam
aufgelöst. Im Juli trieb sie Taxifahrer und Rentner vor dem Rathaus auseinander, im
September Einwohner der Stadt Terdschola, die sich vor der Staatskanzlei versammelt hatten.
Das für Georgien zuständige Beobachterkommitee des Europarats kritisierte im Dezember
2005 eine "Kultur der Gewalt und der Folter in Gefängnissen und
Untersuchungsgefängnissen". Nach Angaben amnesty internationals foltern die Strafverfolger
vor allem mit Elektroschocks, über den Kopf gestülpten Plastiktüten, brennenden Zigaretten
und Kerzen, Schlägen sowie Drohungen gegen die Familie. Allein zwischen Dezember 2003
und Oktober 2004 meldeten sich 558 Menschen, die von georgischen Behörden gefoltert und
geschlagen wurden.
Der frühere Vorsitzende der staatlichen Kontrollkommission, Sulchan Molaschwili, wurde im
April 2004 wegen angeblicher Unterschlagung staatlicher Gelder verhaftet. Er wurde im
georgischen Innenministerium mit Elektroschocks und glühenden Zigaretten gefoltert. Der
Tifliser Staatsanwalt versprach ihn freizulassen, wenn er 265.000 US-Dollar an die
Staatskasse zahle. Molaschwili zahlte die Summe, wurde aber nicht freigelassen. Er wurde im
März 2006 zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Als der regierungsnahe Fernsehsender Rustawi 2 am 8. Juni 2004 wegen Millionenschulden
vor dem Bankrott stand, erließ ihm die georgische Regierung Steuerschulden in Höhe von 2,2
Millionen US-Dollar. Präsident Michail Saakaschwili sagte, er werde keine
Fernsehgesellschaft in den Bankrott treiben, egal, welche Summe sie schulde. 10% der
Rustawi-2-Aktien gehörten dem damals stellvertretenden Außenminister Georgiens, Nika
Tabatadse, der früher Generaldirektor der Fernsehstation war.
Umstritten ist auch die Auswahl der Zentralen Wahlkommission, die für eine saubere
Durchführung der Parlamentswahlen sorgen soll. Zwar konnte sich jeder Georgier für diese
Kommission bewerben. Die Mitglieder wurden jedoch im Mai und Juni 2005 von einem
Gremium unter dem Vorsitz des Chefs der Präsidialverwaltung, Giorgi Ugulawa, ermittelt
und dem Parlament vom Präsidenten vorgeschlagen. Vorsitzender wurde ein früherer
Geschäftsfreund Premierminister Surab Nogaidelis, Gia Kawtaradse. Beide waren von 2002
bis 2003 Partner in einer Rechts- und Finanzberatungfirma.
Die Außenpolitik Georgiens ist von dem Wunsch geprägt, seine Unabhängigkeit von
Russland unumkehrbar zu machen. Demgegenüber stehen starke Gruppen in der russischen
Politik, die Georgien als Vasallenstaat betrachten. Unmittelbar nach der Gründung Georgiens
1991 unterstützte Russland separatistische Bewegungen in Abchasien, Südossetien und
Adscharien. Die in der Folgezeit entstandenen, von Russland abhängigen Staaten, sind ein
Druckmittel, mit dem Einfluss auf die georgische Innenpolitik ausgeübt werden kann. 1994
vermochte Russland Georgien zum Beitritt in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS)
zu drängen.
Bis 1995 kümmerte sich der Westen wenig um Georgien. Verstärkte Ölförderungen in
Turkmenistan und Aserbaidschan rückten den Staat im südlichen Kaukasus als Transitland
zur Verschiffung des schwarzen Goldes Mitte der 1990er Jahre wieder in den Blickpunkt.
Georgien sieht sich seither in einer geopolitischen Filetlage.
Inzwischen wird Georgien durch Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF), der
Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung unterstützt. Die
NATO schloss mit Georgien eine strategische Partnerschaft ab und unterhält in Tiflis eine
Vertretung. Es wurde Mitglied im Europarat und gehört zu den EU-Programmen Europäische
Nachbarschaftspolitik (ENP) sowie TRASECA. Georgien will sich bis 2008 auf den Beitritt
zur Europäischen Union vorbereiten.
Ein besonderes Verhältnis pflegt Georgien neben der Ukraine und Aserbaidschan mit Estland,
Lettland, Litauen, Polen und Rumänien. Seit 2006 baut Georgien seine Verbindungen zum
Iran und zur arabischen Welt aus. Es knüpft dabei an seine traditionelle Rolle als Mittler
zwischen Orient und Okzident an.
Ende September 2006 verschlechterten sich die georgisch-russischen Beziehungen
dramatisch, als die georgischen Behörden vier Offiziere der Spionage für die russische
Föderation verdächtigte, verhaftete und einem OSZE-Vermittler übergab.