Rundbrief
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Rundbrief
Liebe Freunde, Verwandte und Bekannte! Bevor ich diesen ersten Rundbrief starte, hoffe ich, dass Ihr und Sie alle ein ganz besonders gesegnetes und frohes Weihnachtsfest hattet und wünsche allen ein gesundes und munteres neues Jahr 2012. Die Zeit fliegt vorbei, wenn man jeden Tag spannende und neue Dinge erlebt. Deshalb hat er lange auf sich warten lassen, doch hier ist er: Mein erster Rundbrief. Seit ungefähr drei Monaten bin ich nun in den USA und ich habe so viele unterschiedlichste Geschichten zu erzählen… Von neuen Freundschaften, meinen vielen „ amerikanischen Großeltern“ oder von meinem Job für das nächste Jahr und all den damit verbundenen Herausforderungen. Aber jetzt erst einmal der Reihe nach: Meine erste Station, nachdem ich Hannover verlassen hatte, war der Staat Maryland an der Ostküste der USA. Für drei Wochen habe ich mich dort mit all den anderen Freiwilligen, die mit dem Brethren Volunteer Service in die ganze Welt aufbrechen wollten, zusammen auf mein Jahr als Friedensdienstler vorbereitet. Schon nach dieser nur sehr kurzen Zeit, hatte ich eine ganze Menge erlebt: Zu aller erst war bemerkenswert, wie schnell eine so bunt zusammen gewürfelte Gruppe zu einer richtigen Gemeinschaft zusammen wächst. Auf dem Seminar waren größtenteils Deutsche und Amerikaner, aber auch ein Ire. Jeder kam von einem eigenen Hintergrund und mit völlig verschiedener Motivation zu dem Seminar, was diese erste Zeit so interessant gemacht hat. Wir haben gekocht, geredet, gelacht und eine ganze Menge Sport gemacht. Die große Freiwilligengruppe vor dem Aufbruch in die verschieden Projekte Wichtiger Bestandteil und Teil der Vorbereitung war der erste Kontakt mit dem „Simple Life“, an dessen Idee wir uns als Freiwillige für die kommenden 12 Monate auch orientieren sollten. Dazu gehörte das Kochen mit einem Budget von 2 Dollar am Tag pro Person. Dafür wurde jeder einer kleinen Gruppe zugeteilt. Mit dieser Gruppe wurde dann in regelmäßigen Abständen für alle gekocht. Eine wirklich große Herausforderung und oft bin ich in diesen ersten drei Wochen hungrig ins Bett gegangen. ;-) Aber es hat funktioniert und das war auf jeden Fall eine tolle erste Erfahrung. Außerdem dienten, über unsere gesamte Zeit an der Ostküste verteilte, „Arbeitstage“ als Eingewöhnung an all das was da kommen sollte. So waren wir beispielsweise einen Tag lang auf einer Farm und haben Süßkartoffeln geerntet oder Unkraut in Erdbeerfeldern gejätet. Darüber hinaus hatten wir jeden Tag ganz verschiedene Einheiten: Zur Gewaltlosigkeit, der Rolle eines Freiwilligen im Projekt, unserem eigenen Verständnis oder unseren Erwartungen an unser freiwilliges Jahr, zu Konfliktlösungen in sehr angespannten Situationen im Projekt und einfach das Kennenlernen der Church of the Brethren. Diese Lernphasen wurden von ganz unterschiedlichen Rednern geleitet, die uns von den unterschiedlichsten Orten Amerikas für 1 oder 2 Tage besuchten. Die vielen verschiedenen Gesichter haben das Programm sehr viel interessanter und angenehmer gemacht. Der wahrscheinlich wichtigste Teil der gesamten Orientierungsphase waren die ersten eineinhalb Wochen, in denen sich entschied, in welchem Projekt und damit auch in welcher Stadt wir die gesamte Zeit in Amerika verbringen sollten. Die Besonderheit war nämlich, dass fast keiner der dreißig Freiwilligen vor dem Beginn des Seminars wusste, wo und wie er den Dienst verbringen würde. Dazu wurde uns eine ganze Menge Material zur Verfügung gestellt. Zu jedem verfügbaren Projekt gab es eine Mappe mit Fotomaterial oder unterschiedlichsten Erfahrungsberichten, die uns die Wahl etwas erleichterten. Nach einer Woche sollten wir uns dann für drei Projekte entschieden haben, damit die Projektverteilung beginnen konnte. Doch dieser Prozess sollte so einige Schwierigkeiten bergen. Weil wir die letzte von drei Orientations im Jahr 2011 waren, war die Vielfalt an Projekten begrenzt und verschiedene Freiwillige waren an ein und demselben Projektplatz interessiert. Diese Erfahrung sollte auch ich bald machen: Für mich hatten sich nach vielem Lesen in Projektmappen, einiger Internetrecherche und Gesprächen mit unsren Gruppenleitern und anderen Freiwilligen besonders drei Projekte herauskristallisiert. Ich entschied mich ein vollkommen neues Projekte in Portland, ein Obdachlosenkaffee in der Innenstadt Portlands, als meine Erstwahl anzugeben. Weil noch zwei andere Freiwillige an dem Projekt meiner ersten Wahl interessiert waren, wurde relativ schnell klar, dass ich dieses Projekt nicht bekommen würde. Ich ertappte mich selbst dabei, wie sehr ich alle Gedanken und Hoffnungen auf meine erste Wahl, dieses Obdachlosenkaffee in Portland, konzentriert hatte und dementsprechend groß war die Enttäuschung. Es war nicht nur das Projekt, sondern auch die Tatsache, dass die Stadt Portland als besonders sehens- und lebenswert gilt, was mein Interesse geweckt hatte. Im Nachhinein war es sicher ein großer Fehler, mich so schnell so sehr auf dieses Projekt zu versteifen. Glücklicherweise schien mir nach einiger Zeit noch ein anderes, brandneues Projekt in Portland sehr attraktiv zu sein. Und so musste ich mich, mit nur wenigen Informationen ausgestattet, entscheiden. Doch leicht fiel die Entscheidung nicht. Ich hatte auch die Idee, einfach ein alt bewährtes und mit vielen Erfahrungsberichten ausgestattetes Projekt zu wählen. Am Ende half mir der Gedanke, dass ich dieses ganze Jahr doch ganz besonders wegen der neuen Erlebnisse und der ungewohnten Herausforderungen gewählt hatte. Deshalb machte ich den Schritt ins Ungewisse: Zur Organisation Human Solutions in Portland, als erster BVS Freiwilliger. Ich wusste lediglich, dass ich in Portland in einem kleinen „Community House“ mit zwei oder drei anderen Freiwilligen zusammenleben würde und in meinem Projekt Familien mit geringem Einkommen dabei helfen würde, ihre Rechnungen zu bezahlen. Viel mehr Informationen konnte ich nicht bekommen, was mir so einige schlaflose Nächte bereitete. Und dennoch machte ich mich nach drei Wochen an der Ostküste, total gespannt und aufgeregt, mit Andy, einem anderen deutschen Freiwilligen, der in dem Obdachlosenkaffee in Portland arbeiten würde, auf den Weg zu meiner zweiten Station: Die Westküste von Amerika. Hier begann nun also mein Leben als BVSer. Übermüdet von einer langen Reise, war ich überglücklich, als wir in dem kleinen Haus am Stadtrand Portlands ankamen. Ein kleines, grünes Häuschen, in dem ich mit Andy und noch 1 weiteren Freiwilligen fürs Erste wohnen sollte, würde nun also mein Zuhause für die nächste Zeit sein. Das BVS „Community- House” in Portland, Oregon Schon bald stellte ich fest, dass ich mit Bus und Bahn ungefähr eine Stunde brauche, um die schöne Innenstadt Portlands zu erreichen. Zwar hat Portland mit Sicherheit eines der besten öffentlichen Verkehrsanbindungsnetze unter den Großstädten der Vereinigen Staaten. Man muss aber bedenken, dass wir um die 8 Meilen von der Innenstadt entfernt leben und so ist es oft sehr schwer, nach der Arbeit noch nach Downtown zu fahren, um sich eines der zahlreichen Konzerte anzuhören oder einfach durch die in der Weihnachtszeit so nett beleuchteten Straßen zu laufen. Unsere Nachbarschaft ist dafür bekannt, dass hier viele arme Familien, oftmals mit Migrationhintergrund, wohnen. Es ist also nicht der schönste Teil der Stadt, aber ich finde diese Wohnsituation passt besser zum „Simple Life“, als wenn wir in einem der wohlhabenden Viertel wohnten. Wir leben also mit den Menschen, wegen denen wir auch hier sind, um zu helfen und für die wir unsere Zeit einsetzen. Portland an sich ist eine tolle Stadt. Durch die vielen Colleges und Universitäten in der Umgebung, sieht man eine Menge junge Leute auf den Straßen. Mit Sicherheit werden die auch dadurch in die Stadt gelockt, dass Portland als eine der grünsten und auch fahrradfreundlichsten Städte des gesamten Landes gilt. Viele Leute nutzen also die Möglichkeit der zahlreichen Fahrradwege, um das Auto einfach zu Hause stehen zu lassen und sich auf zwei Rädern zu bewegen. Die Situation mit den Fahrradwegen macht es für mich viel einfacher mobil zu sein, da ich sowieso ohne Auto zu Recht kommen muss. So nutze ich beispielsweise jeden Morgen mein Fahrrad, um zur Bahnhaltestelle zu gelangen, anstatt den nur sehr selten fahrenden Bus zu nehmen, der dann sogar manchmal ohne zu halten an einem vorbei fährt. Gerne würde ich noch viel mehr Fahrrad fahren und das besonders abends, wenn überhaupt keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr hier raus fahren. Die Fahrräder, die hier im Haus bereits vorhanden waren, sind aber leider alle recht klein und daher eher kurzstreckentauglich. Trotz der vielen Radfahrer, die auch im Winter und bei jedem Wetter unterwegs sind, fahren viele Autofahrer leider total rücksichtslos und oft gibt es Unfälle, weil Autofahrer beispielsweise im Verkehr einfach ohne zu gucken auf den Fahrradweg ausweichen. Man muss also schon sehr achtsam sein. Das was mir aber - denke ich - am besten an dieser Stadt gefällt, ist ihre Lage. Mit dem Auto ist es nur 1,5 Stunden zum Pazifischen Ozean und wenn man Richtung Osten fährt, ist es nur eine Stunde in die Berge. An sonnigen und wolkenlosen Tagen kann man diese hohen und beeindruckenden Berge von der Stadt aus sehen, was natürlich eine ganz neue Erfahrung für mich ist, nachdem ich mein Leben lang im flachen Norddeutschland gelebt habe. Jedes Mal aufs Neue ist es ein wunderbarer Anblick, wenn sich besonders der eine, Mountain Hood genannte und 3400m hohe Berg gefühlt in unserem Vorgarten erhebt. Ich bin sicher, dass sich diese Gegend daher im Frühling und Sommer ganz wunderbar zum Wandern eignen wird. Einige Male sind wir sogar schon raus in die Natur gefahren und haben riesige Wasserfälle und tollste Ausblicke genießen können. Noch nie habe ich in einer so beeindruckenden und grünen Natur gestanden. Das Ungewöhnliche ist eben auch, dass man hier in direkter Umgebung so viel ganz vielfältige Natur vorfindet. Natürlich die Berge und den Ozean, aber auch den „Columbia River“, der hier quasi direkt durch Portland fließt. Einer der zahlreichen Wasserfälle, die ich in meinen ersten Wochen bereits bewundern durfte Eng verbunden ist diese grüne und so frische Natur aber auch mit dem, was die meisten Portlander als einziges an dieser Stadt wirklich stört: Der Regen. Ohne den wäre die Natur natürlich nicht halb so beeindruckend und doch kann der Regen, glaube ich, besonders im Winter auf die Dauer wirklich auf das Gemüt schlagen. Wie die Freiwilligen, die in dem Jahr vor uns in diesem Haus zu berichten wussten, kann es hier in manchen Jahren von November bis Mai so gut wie „durchregnen“ und dass man dabei seine gute Laune verliert, kann ich mir durchaus vorstellen. Noch haben wir mit dem Wetter aber großes Glück, denn Portland erlebt im Moment den trockensten Dezember in der Geschichte mit vielen sehr sonnigen und ziemlich warmen Tagen. Hoffen wir doch einfach mal, dass das so weiter geht. Und wenn dann irgendwann der Dauerregen einsetzen sollte, weiß ich ja, dass die Natur im Sommer dafür umso atemberaubender sein wird. Das Haus, in dem wir leben, besteht aus 3 Betträumen, einem Badezimmer, einer Küche, einem Wohnzimmer und hat einen wirklich schönen Garten. Die Schlichtheit und Überschaubarkeit macht das Haus besonders an Regentagen zu einem sehr gemütlichen Ort, auch wenn es beispielsweise ohne Fernseher, Radio oder Internet sehr einfach eingerichtet ist. Doch die wichtigsten Dinge sind definitiv vorhanden. Ein wirklicher Pluspunkt ist, dass wir alle im Moment (noch) unser eigenes Schlafzimmer haben, wir die Räume also nicht aufteilen müssen. Normalerweise sollen hier nämlich vier Personen Platz haben, was das Teilen der Betträume zur Folge hätte. BVS sucht weiterhin nach einem weiteren Freiwilligen, der sich zu unserer kleinen Gemeinschaft dazugesellen soll und so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir nach der nächsten BVS- Orientation im Januar jemand neues begrüßen dürfen. Das Leben mit den beiden anderen Freiwilligen, Andy dem anderen BVS- Freiwillige aus Deutschland und Stephen, der seinen Dienst mit einer anderen Organisation macht, ist ganz besonders: wir leben nicht als einfache Mitbewohner in einer Wohngemeinschaft zusammen, in der man sich praktisch nur den Wohnraum teilt, sondern unser Zusammenleben folgt einem komplett anderen Konzept: Meine Organisation BVS hat in den USA drei so genannte „Community- Houses“, eines davon ist jenes hier in Portland.Wenn man in eines dieser Häuser einzieht, teilt man nicht nur für ein Jahr die Räume, sondern auch ein stückweit sein Leben mit den Mitbewohnern. Teil des Alltags in unserem Community House ist beispielsweise, dass jeder von uns mindestens einmal pro Woche für die anderen kocht. Außerdem haben wir einmal pro Woche eine so genannte Meditationszeit, in der es darum geht, sich über tiefere Themen des Lebens zu unterhalten oder sich einfach über prägende Ereignisse auszutauschen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist unser wöchentliches „Family- Meeting“, in dem wir uns ganz einfach über unser Zusammenleben unterhalten, über Punkte, die gut und solche, die nicht gut funktionieren. Außerdem sind es kleine Details, die diese Gemeinschaft so besonders machen: So gehen wir jede Woche zusammen unser gemeinsames Essen einkaufen oder fällen und schmücken unseren eigenen kleinen Weihnachtsbaum. Bevor wir hier einzogen, waren wir quasi Fremde. Stephen hatte ich nie zuvor gesehen und mit Andy war ich bis dahin für drei Wochen auf dem BVS Seminar. Doch durch diese besonders enge Art des Zusammenlebens habe ich nach nur 9 Wochen das Gefühl, dass ich mit beiden schon für lange Zeit befreundet bin. Natürlich war es in der ersten Zeit komisch mit den beiden als kleine Familie zusammen zu leben. Wichtig war sicher, dass wir alle dazu bereit waren, uns auf das Experiment des „Community- Houses“ einzulassen. Im Nachhinein hat mir dieses gesamte Konzept definitiv geholfen, hier in Portland oder generell in den USA anzukommen und mich hier schnell zu Hause zu fühlen. Andy, Stephen und ich kurz vor einer Wanderung in der schönen Natur Oregons Natürlich läuft nicht alles ganz ohne Meinungsverschiedenheiten ab, aber ich denke das ist ganz normal, wenn man jeden Tag Zeit zusammen verbringt und in unseren Family- Meetings gibt es immer die Möglichkeit, Missverständnisse oder kleine Streitigkeiten schnell wieder aus dem Weg zu räumen. Auch außerhalb des Hauses verbringen wir jede Menge Zeit miteinander und unternehmen unterschiedlichste Dinge. Wir gehen zusammen ins Fitnessstudio bei uns in der Nähe, bei dem wir einen tollen Eintrittsrabatt bekommen, weil wir erzählt haben, dass wir als Freiwillige in sozialen Projekten arbeiten. Wir waren auch schon auf einigen Konzerten in der Innenstadt, meistens von jungen Bands aber auch von der Oregon Symphonie. Besonders in den ersten Wochen hier, als die Temperaturen draußen noch sehr angenehm waren, sind wir an den Wochenenden raus in die Natur gefahren. Ich denke es ist wirklich ein großes Glück, dass das Zusammenleben mit zwei Anderen, die ich vorher nicht kannte so wunderbar klappt. Direkt neben unserem Haus steht eine kleine Kirche: Die einzige „Peace Church of the Brethren“ in einem Umkreis von vielen Meilen. Die Leute kommen sonntags zum Teil aus anderen Städten zum Gottesdienst, weil die Brethren an der Westküste kaum bekannt sind. Die Kirche hat nur wenige Mitglieder, so kommen an einem ganz normalen Sonntagmorgen vielleicht 30 Personen zur Messe. Auch wenn die meisten Mitglieder Senioren sind, gilt diese Kirche als wahrscheinlich fortschrittlichste und progressivste Kirche der Brethren in den gesamten Staaten, was ich total erfrischend finde. Teil des Lebens in diesem Haus ist es, Mitglied zu sein in der Kirche. Das hat mir bevor ich hier einzog, einige Sorgen bereitet, weil ich doch überhaupt nicht einschätzen konnte, was für Menschen „diese Brethren“ sind und ob ich mich unter ihnen überhaupt wohl fühlen würde. Doch die genannten Zweifel hatte ich nur bis ich das erste Mal die Kirche betrat und all diese herzlichen, offenen und so interessierten Menschen kennen lernte. Alle sind besorgt darum, dass es uns hier in Portland auch gut geht und natürlich, das wir auch ja nicht verhungern, weil wir nur so wenig Geld für unser Essen zur Verfügung haben. So werden wir regelmäßig zum Essen eingeladen oder vor unserer Haustür steht plötzlich eine ganze Dose voller Kekse. Wir sind schon zu American Football und Basketballspielen mitgenommen worden und gehören bereits so weit zur Familie, dass wir zu Familienfeiern an Thanks Giving oder Weihnachten eingeladen sind. Ein doch sehr beruhigendes Gefühl, wenn man einen so großen Kreis an Leuten hat, die einem immer mit Rat und Tat und ganz besonders mit viel Essen zur Seite stehen. Nur ein kleines Beispiel für die Unterstützung die wir hier erfahren: Andy, Stephen und ich hatten uns vorgenommen, einen Weihnachtsbaum für unser Haus zu besorgen, um das Haus ein wenig weihnachtlich zu gestalten. Das Problem war nur, dass wir überhaupt keinen Baumschmuck im ganzen Haus finden konnten, so haben wir uns an die Leute aus der Kirche gewandt und nur drei Tage später hatten wir so viel Tannenbaumschmuck, dass wir mindestens drei Bäume mit unterschiedlichstem Schmuck ausstatten könnten. Es ist schwierig bei all der Zuwendung, die wir hier erfahren, eine passende Antwort zu finden und doch versuchen wir im Gegenzug Danke zu sagen: durch ein gesungenes Trio in der Kirche, oder Querflöten und Klavier Musik oder wir berichten einfach von unserer Motivation diesen Freiwilligendienst zu leisten und unseren Erfahrungen in unseren drei Projekten. Und nun komme ich zu dem, weshalb ich überhaupt hier bin: Mein Projekt, der Dienst an der Gesellschaft. Der Name der Organisation ist Human Solutions. Mit ungefähr 200 Angestellten und Freiwilligen, die verschiedenste Aufgaben erfüllen, hat sie sich zum Dienst an besonders zwei Gruppen der Gesellschaft verschrieben: Auf der einen Seite Menschen, die ohne Obdach sind und auf der anderen Seite Familien mit geringem Einkommen. Beides Gruppen, die den Kontakt zur Gesellschaft verloren haben oder drohen ihn zu verlieren . Das Motto der Behörde „Building Pathways out of Poverty“ meint also nicht nur die finanzielle, sondern auch die soziale Armut. So hat Human Solutions für Menschen ohne Obdach Shelter in Portland eröffnet, hilft bei der Suche nach Wohnungen und nach neuen Jobs. Außerdem sollen weitere Teile des Programms dabei helfen, das Wohnen in einer Wohnung einfach zu machen und bietet Klassen und Kurse an, um nahezu ungebildete junge Menschen attraktiver für den Arbeitsmarkt zu machen. Es handelt sich also um eine Institution, die eine große Vielfalt an Möglichkeiten für Menschen bietet, Hilfe zu bekommen. Die Organisation hat eine Zahl an Orten, in denen Obdachlose Unterkunft finden oder Familien für wenig Geld in Appartements wohnen können und zwei Bürogebäude, in denen verwaltet und beraten wird. Beide befinden sich in sehr armen Vierteln, in denen das Bedürfnis nach Hilfe sehr groß ist. Ich arbeite dabei in einem der Büros, dem so genannten „Energy Department“, in dem einfach gesagt - mit Geldern vom Staat Oregon oder der Regierung Menschen dabei geholfen wird, die dazu selbstständig nicht in der Lage sind, ihre Heiz- und Stromrechnungen zu zahlen. Auch hier in Portland werden die Lebenshaltungskosten immer höher und immer mehr Menschen verlieren ihren Job. Zudem wird der Arbeitsmarkt immer härter und weniger Menschen haben noch das Geld, für ihren Strom oder ihr Gas zu zahlen. Die Strom- und Gasunternehmen machen da kurzen Prozess und nehmen diese Leute einfach vom Netz. So haben plötzlich junge Familien mit vier kleinen Kindern im Winter kein warmes Wasser mehr oder Menschen mit Behinderungen kein Gas, um warm zu bleiben. Natürlich kann man in einem solchen Haus nicht lange bleiben und all diese Menschen würden in nur kurzer Zeit auf der Straßen stehen. Viele von ihnen kommen dann in unser Büro, auf der Suche nach Hilfe für sich und ihre Kinder. Bevor ich in die USA kam, hatte ich den großen Wunsch, mit Obdachlosen zu arbeiten. Nun bewahre ich mit meiner Arbeit Menschen davor, obdachlos zu werden und das ist ein tolles Gefühl. Am besten wird meine Tätigkeit sicher deutlich, wenn ich mich bei meiner Beschreibung einfach an einem normalen Arbeitstag orientiere. Wenn ich morgens vor dem Bürogebäude ankomme, warten oft schon über fünfzig Leute darauf, dass wir unsere Türen öffnen und wir die Arbeit beginnen. Zum Teil sitzen sie dort ab 2 Uhr nachts bei Eiseskälte, um sicher zu gehen, auch gesehen werden zu können. Der Grund dafür ist, dass wir auf einer „First Come, First Serve“ Basis arbeiten. Anders wäre das leider nicht machbar, weil wir dann Wartelisten für über einen Monat hätten. Nur in bestimmten Fällen bekommen Leute also einen Termin bei uns. Nachdem wir dann um 8.00 unsere Türen öffnen, beginnt nun der wirklich stressige Teil für unsere Rezeptionistin. Diese muss versuchen, bei dem Lärm von 50 frustrierten und frierenden Menschen, konzentriert zu arbeiten, um alle Dokumente und Informationen zu bekommen, die ich beispielsweise später in den Klientengesprächen brauche. An vielen Tagen helfe ich in der ersten Stunde an der Rezeption, damit all die späteren Prozesse ins Laufen kommen können und wir nicht schon von Anfang an der Zeit hinterher rennen. Natürlich können wir an keinem Tag allen Interessenten helfen, da uns schlichtweg die Kapazität dafür fehlt, und so schicken wir jeden Tag schon morgens eine ganze Menge von ihnen wieder Heim. Das wiederum löst dann oft einen regelrechten Proteststurm aus, den eine Person alleine gar nicht bewältigen könnte. Nachdem dann die erste „Klientenwelle“ in der Eingangshalle überstanden ist, beginnt meine eigentliche Aufgabe: Die Aufgabe als „Intake Worker“. Dabei versuche ich in einem 20 bis 30 minütigen Gespräch mit dem Klienten alle Informationen zu erfragen, die ich brauche, um entscheiden zu können, mit wie viel Geld und aus welchem der vielen verschiedenen Finanzierungsprogramme ich der jeweiligen Person in ihrer jeweiligen Situation am besten behilflich sein kann. Man kann sich ja vorstellen, dass Leute, die nicht für ihre Stromrechnung zahlen können, sich oft selbst auch in anderen Breichen ihres Lebens in einer ausweglosen Lage sehen und total verzweifelt in meinem Büro sitzen. Enttäuscht von sich und dem gesamten System, verraten und allein gelassen vom Staat, machen meine Klienten ihrem Ärger Luft. Nicht selten passiert das auf eine sehr respektlose und laute Art auch mir gegenüber. Deshalb muss ich oft einen Großteil der Zeit in den Gesprächen dazu nutzen, um ein wenig zu besänftigen und zu beruhigen. Besonders in den ersten Wochen war das keine leichte Aufgabe, weil mein. Englisch oft nicht gut genug war, um die richtigen und angemessenen Worte in den jeweiligen Situationen zu finden, doch das funktioniert mittlerweile immer besser. Wenn ich auf all meine Fragen dann eine Antwort bekommen habe und erarbeitet habe, welche der Ressourcen ich nutzen kann, die zur Verfügung stehen, rufe ich bei der jeweiligen Gesellschaft an. Damit stelle ich sicher, dass das Gas oder der Strom so schnell wie möglich wieder angestellt wird. Andere Aufgaben, die ich meistens später am Tag erledige, sind das Beantworten von Telefonanrufen. Dabei habe ich es oft mit Leuten zu tun, die Fragen haben zu dem gesamten Prozess oder wissen möchten ob sie für Hilfe qualifiziert sind. Außerdem muss für jede Person, eine Akte angelegt werden, jede Geldsumme mit der wir helfen in unser Computersystem eingegeben werden, damit wir die Übersicht behalten, wie viel Geld wir selber noch zur Verfügung haben. Ich bin sicher, dass jede Art der Arbeit unschöne Seiten hat, so ist es auch mit meinem Job. Zum einen ist da die Zwickmühle, dass ich meinen Klienten, die dort in meinem Büro sitzen stundenlang dabei zuhören könnte, wie sie von ihrem Leben erzählen. Dazukommt, dass sie oft sagen, sie bräuchten jetzt einfach jemanden, der ihnen zuhört. Leider muss ich immer im Hinterkopf haben, dass draußen in der Eingangshalle noch andere sitzen, die ohne Hilfe nach Hause gehen müssen, weil ich nicht genug Zeit hatte, sie zu sehen. Und wir schicken schon fast jeden Tag Leute nach Hause, weil so viele Menschen unsere Hilfe benötigen. Außerdem ist es jedes Mal aufs Neue eine große Herausforderung, Klienten mitzuteilen, dass wir ihnen nicht helfen können. Das kann unterschiedlichste Gründe haben: Entweder sie zählen nicht zu den Familien mit niedrigem Einkommen oder sie haben schon ein paar Monate vorher Hilfe bekommen oder wir haben schlichtweg kein Geld zur Verfügung, um zu helfen. Immer tue ich das in dem Wissen, dass beispielsweise diese Mutter, die da neben mir sitzt, nun in ihr kaltes Haus zurückkehren muss und ihre gesamte Situation noch aussichtsloser wird. Ich würde ihnen allen so gerne helfen, doch manchmal geht es einfach nicht. Nicht weil es mein Fehler ist und genauso wenig, weil es deren Fehler ist. Das System lässt es an dieser Stelle dann einfach nicht zu. Schöne Situationen sind aber auf jeden Fall in der Mehrzahl in diesem Job. Der Grund dafür ist einmal das engagierte und wirklich nette, sechs Personen starke Team, mit dem ich zusammenarbeite. Außerdem habe ich jeden Tag das Gefühl, dass ich die Möglichkeit habe, vielen Menschen zu helfen und mir jeden Tag aufs Neue klar wird, wie sehr diese Arbeit und diese Art der Hilfe gebraucht wird. Des Weiteren passiert es wirklich selten, dass ich von der Arbeit nach Hause komme und nicht eine neue, spannende Geschichte von einem Vorfall oder von einem Klientengespräch zu erzählen habe. Das waren nämlich meine größten Sorgen, bevor ich hierher kam: Dass ich einen Job habe, in dem ich mich nutzlos fühle und in dem ich mich langweile, weil ich nichts erlebe. Glücklicherweise ist genau das Gegenteil der Fall. Dies ist eine der vielen Situationen, die ich so in den ersten drei Monaten bereits erleben durfte: Relativ am Anfang meiner Zeit in dem Job, kam ich, so wie jedes Mal vor einem Termin, in die Eingangshalle, um meine Klientin in mein Büro zu führen. Der Raum war leer bis auf die kleine Ecke ganz hinten im Raum. Dort saß sie, eine ganz junge Mutter mit ihren 5 Kindern. Sie sah wirklich total erschöpft und müde aus. Als ich sie aufrief, waren ihre beiden Hände nicht genug, um die drei großen und schweren Ordner, voller zusammen geschmissener und unsortierter Papiere, zu tragen. In meinem Büro sagte sie lange keinen Ton, bis mir auffiel, dass mir in meinen Unterlagen ein Dokument fehlte, das für den Prozess unbedingt notwendig war. Sofort begann sie in den Ordnern zu suchen, aber natürlich ohne jede Chance auf Erfolg, bei all dem Chaos. Nach einigen Minuten der erfolglosen Suche, brach sie in Tränen aus und begann mir ihre Geschichte zu erzählen: Schon mit 15 wurde sie das erste Mal ungewollt schwanger, was ihre Mutter dazu veranlasste, sie aus dem Haus zu werfen. Ohne wirkliche Schulbildung, mit einem kleinen Baby auf dem Arm war sie also für mehrere Monate auf der Straße und war sich sicher, dass der Weg von hier nur noch bergauf gehen kann. So heiratete sie mit 17 den Vater ihrer anderen, jüngeren vier Kinder und hatte von da an wieder ein Dach über dem Kopf. Und doch, es wurde noch schlimmer: Sieben lange Jahre erlebten sie und ihre Kinder einen fast täglich betrunkenen Ehemann und Vater, der in seinem Rausch wild um sich schlug. Ohne das nötige eigene Einkommen fühlte sich die junge Frau lange machtlos etwas gegen diese Situation zu unternehmen. Als sie ihre Kinder dann aber in Gefahr sah, fasste sie sich nur 2 Monate vor diesem Termin ein Herz und zog aus dem Haus der Gewalt aus. Die nächsten Wochen war sie nur damit beschäftigt, ihren Kindern wieder einen geregelten Alltag zu bieten und selber alles Geschehene zu verarbeiten. All die Papierarbeit und Rechnungen, um die sich im Leben zuvor noch nie kümmern musste, stürzten jetzt auf sie nieder und so musste sie befürchten, dass dieses Leben in „Freiheit“ schnell wieder vorbei war, denn wer seine Rechnungen nicht bezahlt, wird auch nicht lange Strom oder Gas zum Heizen im Haus haben. Und so hatte sie in den Tagen bevor sie von Human Solutions hörte, beispielsweise ihre Kinder in eiskaltem Wasser gewaschen. Geschichten, wie diese, kannte ich vorher nur aus schlechten Fernsehsendungen im deutschen Nachmittagsfernsehen und hier war das plötzlich ganz real. Der Grund, warum ich diese Story aber in einer so guten Erinnerung behalten werde ist, dass ich (ausnahmsweise auch ohne das fehlende Dokument) mit insgesamt sagenhaften 1800$ für Strom, Wasser und Gas aushelfen konnte. Und wieder weinte die junge Mutter, doch diesmal (da bin ich sicher), weil sie endlich ein wenig Hoffnung für ihre Zukunft sah. Natürlich ist es hart zu hören, was ein so junger Mensch schon erleben musste, aber das macht es umso schöner, wenn man am Ende wirklich helfen kann und wegen solcher Ereignisse habe ich mich schließlich vor 3 Monaten auf den Weg gemacht in die Welt. Während ich diesen Rundbrief schreibe wird mir klar, wie dankbar ich bin, dass ich all diese Erlebnisse nun für ein Jahr machen darf: Das Leben in einer Wohngemeinschaft mit besonderer Beziehung zu den Mitbewohnern, das Gefühl des Willkommenseins in der kleinen Kirche nebenan und ein Job, der so viele reale Geschichten zu bieten hat, dass dieser Brief noch sehr viel länger sein könnte. Ihnen und Euch allen danke ich, für die Unterstützung und das Interesse an meinem Dienst hier in Amerika. Mit besten Grüßen aus dem heute Abend doch sehr regnerischen Portland und bis bald, Euer Benedikt