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Erziehungsfragen sind ganz natürlich
Eine Elterninformation der MAG ELF – Amt für Jugend und Familie der Stadt Wien
Wenn sich die Wut auf den eigenen Körper richtet
Selbstverletzendes Verhalten bei Jugendlichen
MMag. Simone Bieglmayer
Klinische- und Gesundheitspsychologin
Meist fällt es Eltern nur zufällig auf, wenn ihre Tocher / ihr Sohn Verletzungen und Narben – häufig
an den Unterarmen oder an den Oberschenkeln hat. Warum fügen sich Teenager solche
Verletzungen selbst zu? Eltern reagieren häufig mit großer Besorgnis, Schuldgefühlen,
Verständnislosigkeit aber auch Hilflosigkeit und Angst. Viele Fragen drängen sich auf, wie zum
Beispiel: Muss ein Arzt aufgesucht werden? Wie kann ich meinem Kind helfen? Handelt es sich dabei
um Selbstmordabsichten? Kann der Aufmerksamkeit auf das Verhalten eine Weiterführung der
Verletzungen (etwa um Wünsche oder Forderungen durchzusetzen) folgen?
Selbstverletzendes Verhalten tritt bei Jugendlichen leider häufiger auf, als man annimmt. Meist
handelt es sich um ein „Ritzen“ mit verschiedensten Gegenständen (Messer, Schere, Rasierklinge,
Nadel), Verbrennungen durch Zigaretten, ein Zerkratzen der Haut, ein Sich-Beißen und folgend ein
Aufkratzen der Verkrustungen der Wunden. Die Verletzungen werden am häufigsten an Armen und
Händen, seltener an den Oberschenkeln, Bauch und Gesicht durchgeführt. Die autoaggressiven
Handlungen werden von den Jugendlichen nicht geplant, die Folgen nicht überlegt. Hinter
selbstverletzenden Verhaltensweisen steht jedoch nicht primär die Absicht, sich zu töten.
Formen von selbstverletzenden Verhaltensweisen
Wichtig ist bei selbstverletzenden Verhaltensweisen zwischen nur wenige Male auftretenden
Handlungen und häufig durchgeführten Handlungen mit meist sehr tiefen Wunden zu unterscheiden:
Selbstverletzungen, die nur einmalig oder im Rahmen einer kurzen Phase auftreten, nehmen bei
Jugendlichen immer mehr zu und sind oft schon bei 11- und 12-jährigen Kindern zu finden. Die
zugefügten Verletzungen sind dabei meist nur oberflächlich und hinterlassen kaum Narben. Die
Ursachen dieser leichten Form selbstverletzender Verhaltensweisen sind sehr vielfältig. Meist treten
sie in Belastungssituationen, bei großer Anspannung, nach Kränkungen, Konflikten und
Auseinandersetzungen auf. Die Jugendlichen empfinden dabei Wut, Aggressionen, aber auch
Hilflosigkeit und Verzweiflung, mit denen sie durch die Selbstverletzung umzugehen versuchen. Oft
wird auch versucht, damit den Erwachsenen emotional wehzutun oder die eigenen Wünsche und
Interessen durchzusetzen. In manchen Fällen werden die Verletzungen gemeinsam mit anderen –
zum Beispiel im Rahmen von „Mutproben“ – durchgeführt. Dabei geht es oft darum zu zeigen, dass
Schmerzen ausgehalten werden können. In allen Fällen werden die zugefügten Schmerzen deutlich
wahrgenommen und als unangenehm empfunden.
Dem gegenüber stehen selbstverletzende Verhaltensweisen, die von einer geringen Anzahl von
Jugendlichen sehr häufig (bis zu mehrmals am Tag) und in stärkerem Ausmaß (die Verletzungen
betreffend) durchgeführt werden. Die Heranwachsenden verspüren dabei den ständig vorhandenen
Impuls sich zu verletzen. Dieses Bedürfnis steigert sich immer mehr bis zu einer intensiven
Anspannung und Drucksituation, in der dem Impuls nachgegeben wird. Die durchgeführte Verletzung
Servicetelefon der MAG ELF: 4000 – 8011
Impressum: Medieninhaber und Herausgeber: Stadt Wien – MAG ELF – Amt für Jugend und Familie
1030 Wien, Rüdengasse 11
Erziehungsfragen sind ganz natürlich
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bringt jedoch nur für kurze Zeit Erleichterung, bald darauf nimmt die Anspannung neuerlich zu. In der
Situation selbst wird der zugefügte Schmerz kaum empfunden, die kurzfristige Entspannung
überwiegt. Bei diesen Jugendlichen bestehen häufig eine tiefgreifende Beeinträchtigung in der
emotionalen Beziehung zu anderen, deutliche Schwierigkeiten mit Nähe und Vertrauen sowie ein
problematisches Verhältnis zum eigenen Körper, der als fremd empfunden und abgelehnt wird. Diese
Problembereiche können oft auf traumatisierende Erfahrungen zurückgeführt werden. Für die
Jugendlichen spielt dabei die Kontrolle über die Verletzung, die ihnen sonst meist von anderen
zugefügt wurde, eine wichtige Rolle.
Umgang mit selbstverletzendem Verhalten
Selbstverletzendes Verhalten stellt – in leichter Form – einen Versuch der Heranwachsenden dar, mit
der Pubertät umzugehen. Die Pubertät ist eine für Eltern und Kinder schwierige Situation: Als
Elternteil erkennt man seine Kinder im Verhalten kaum wieder. Die Jugendlichen fühlen sich meist
von den Erwachsenen unverstanden, häufige Auseinandersetzungen mit den Eltern sind die Folge.
Bei selbstverletzenden Verhaltenswiesen ist es wichtig, das Verhalten der Jugendlichen als Ausdruck
eines Bewältigungsversuches dieser schwierigen Phase zu sehen und sich als Elternteil nicht zu sehr
von seiner Sorge, Angst, aber auch möglichen Schuldgefühlen und Hilflosigkeit leiten zu lassen. Man
sollte Jugendliche auf die Verletzungen ansprechen und versuchen, das Verhalten (auch wenn die
Gründe von den Kindern selbst nicht genau benannt werden können) zu verstehen. Man sollte seine
Besorgnis äußern und den Jugendlichen aufzeigen, dass man bei verschiedensten Problemen als
Ansprechpartner zur Verfügung steht. Gleichzeitig sollte aber auch mitgeteilt werden, dass
Selbstverletzungen nicht befürwortet werden – ohne dabei mit Strafen zu reagieren.
Bei den schwerwiegenden Formen selbstverletzender Verhaltensweisen und einem wiederholten
Auftreten ist es wichtig, sich an professionelle Helfer (durch Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten)
zu wenden, da in diesen Fällen umfassende Unterstützungsmaßnahmen erforderlich sind.
Für eine Unterstützung im Umgang mit selbstverletzendem Verhalten sowie bei der Einschätzung des
Schweregrades stehen Ihnen die PsychologInnen der MAG ELF mit „Rat und Tat“ zu Seite.
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