Luxemburg ist vor der terroristischen Gefahr nicht gefeit
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Luxemburg ist vor der terroristischen Gefahr nicht gefeit
2 I M FO KU S Luxemburger Wort Montag, den 7. Juli 2014 Die Sicht des luxemburgischen Geheimdiensts zur Gefahr durch zurückkeh I M FO KU S Luxemburger Wort Montag, den 7. Juli 2014 rende Syrien-Kämpfer LEITARTIKEL „Luxemburg ist vor der terroristischen Gefahr nicht gefeit“ Was der „Service de Renseignement de l'Etat“ im Anti-Terror-Kampf tun kann VON STEVE REMESCH UND MICHEL THIEL Das Phänomen europäischer Dschihadisten, die nach Syrien aufbrechen, um dort zu kämpfen und bei ihrer Rückkehr unter dem Verdacht stehen, Terrorattentate vorzubereiten, beschäftigt auch Luxemburgs Sicherheitsdienste. Das „Luxemburger Wort“ hat beim „Service de renseignement de l'Etat“ (SRE) nachgefragt, wie die Bedrohung aktuell im Großherzogtum einzuschätzen ist. „Der Krieg in Syrien stellt die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen. In Syrien gewinnen die dschihadistischen Gruppierungen zunehmend an Einfluss und die Situation vor Ort ist unübersichtlich“, so eine Geheimdienstmitarbeiterin im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“. Die Opposition gegen den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad ist in einzelne Gruppen zersplittert, die sich teilweise gegenseitig bekämpfen. Ein langjähriger Konflikt scheint also vorprogrammiert. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass dschihadistische Gruppierungen ganze Teile Syriens für längere Zeit besetzen, wie die spektakuläre Offensive des „Islamischen Staates“ (ehemals bekannt als „Islamischer Staat im Irak und der Levante“ oder ISIS) aktuell befürchten lässt. Die Krisenregion Syrien-Irak zieht ständig neue Dschihadisten an, zunehmend auch junge Menschen aus Westeuropa. „Die Einschätzung der Bedrohung europäischer Rückkehrer nach Europa aus dem Kampfgebiet stellt eine große Herausforderung dar“, so ein SRE-Mitarbeiter: „Deshalb ist Syrien derzeit von höchster Priorität für uns sowie unsere Partnerdienste“. In den Niederlanden und in Frankreich, genauer in Straßburg, wurden bereits Kriegsrückkehrer festgenommen, die dabei waren, Attentate vorzubereiten. Der Fall Mehdi Nemmouche ist eine tragische Veranschaulichung der bestehenden Gefahr: Der 29-jährige Franzose richtete am vergangenen 24. Mai im jüdischen Museum in Brüssel mit einem Sturmgewehr ein Blutbad an und tötete vier Menschen. Fünf Tage später wurde Nemmouche in Marseille festgenommen. Er war im Besitz der Tatwaffe sowie einer Pistole. Sichergestellt wurde auch ein Video, auf dem Nemmouche sich offenbar selber während des Attentats filmte und das von den Sicherheitskräften als Bekenntnis zum Anschlag betrachtet wird. Nemmouche, der wegen eines bewaffneten Raubüberfalls im Jahr 2009 der Polizei bekannt war, soll sich ein Jahr lang im syrischen Kriegsgebiet aufgehalten haben. Untersucht wird noch, ob er konkrete Direktiven aus Syrien für seine Tat hatte oder ob er als Einzeltäter gehandelt hat. Die Situation in Luxemburg Die absolute Mehrheit der Muslime in Luxemburg vertritt einen moderaten und aufgeklärten Islam und wird vom Geheimdienst ausdrück- lich nicht als problematisch angesehen. Eine schwindend kleine Minderheit der muslimischen Gemeinde wird der ultrakonservativen salafistischen Strömung innerhalb des Islams zugeordnet. Doch auch hier gibt es verschiedene politische und ideologische Ausrichtungen. Eine erste Gruppe besteht aus strenggläubigen Muslimen, die ihren Lebensentwurf strengen religiösen Prinzipien unterstellen und sich trotzdem weitgehend ihrem gesellschaftlichen Umfeld anpassen. Eine zweite Gruppe bemüht sich, ihre Lebenseinstellung weiterzuverbreiten, indem sie ihr Umfeld zu beeinflussen versucht – ohne jedoch auf Gewalt zurückzugreifen. Zur dritten Gruppe gehören schließlich gewaltbereite Salafisten, die ihre Ansichten und ihre Ziele mit allen verfügbaren Mitteln durchsetzen wollen, wie ein anderer Mitarbeiter des Geheimdienstes erklärt: „Das ist unsere Zielgruppe.“ Zu den fundamentalistischen oder radikal-islamistischen Muslimen im Großherzogtum gehören nach Schätzungen des SRE derzeit weniger als 100 Personen. Zu diesem Kreis gehören nicht nur gebürtige Muslime, sondern auch Konvertiten, die über gute Kontakte zu vergleichbaren Gruppierungen im nahen europäischen Ausland verfügen. Laut Geheimdienst gibt es im hiesigen radikal-islamistischen Umfeld eine zweistellige Anzahl von Personen, die Gewaltanwendung als legitimes Mittel betrachten, wenn sie ihrer Ideologie dient. Diese werden von einer etwas größeren Gruppe von Sympathisanten unterstützt. „Eine genaue Zahl derjenigen festzulegen, die zum harten Kern der gewaltbereiten Salafisten in Luxemburg gehören, ist sehr schwierig“, so ein Expertin des SRE gegenüber dem „Luxemburger Wort“. Während die slawistisch-dschihadistische Ideologie bereits seit mehreren Jahren in Luxemburg ver- „ Diejenigen, die auf diese Weise in den Krieg ziehen, haben oft keine klare Vorstellung, was sie erwartet.“ treten ist, hat der Bürgerkrieg in Syrien vereinzelte Individuen dazu animiert, ihre ideologische Überzeugung in die Tat umzusetzen. Generell in Europa und somit auch in Luxemburg hat der syrische Bürgerkrieg viele Anhänger des Salafismus weitaus tiefer bewegt als die Krisen im Irak, in Afghanistan oder in Somalia. Die Gründe sind vielschichtig: Der syrische Bürgerkrieg wurde ausführlicher in den Medien thematisiert als das bei anderen Kriegsschauplätzen der Fall war und wurde somit „prominenter“ in dschihadistischen Kreisen. Hinzu kommt, dass westlichen Medien und Politiker sich vor allem zu Beginn der und wo seine Grenzen liegen te Hilfe seien – sie kennen weder Sprache noch Terrain und haben keine militärische Erfahrung. Dies führt unweigerlich zu Konflikten und Frustrationen zwischen den lokalen Rebellen und den ausländischen Dschihadisten. Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, wurden in jüngster Vergangenheit rein französisch- oder niederländischsprachige Kampfeinheiten gegründet. Gemäß einiger europäischer Nachrichtendienste waren sogar rund 40 Prozent der dschihadistischen Kämpfer, die aus ihrem Land ins syrische Kriegsgebiet aufgebrochen sind, ihnen im Vorfeld völlig unbekannt. Diese Personen waren vorher nie im Rahmen der nachrichtendienstlichen Arbeit aufgefallen. Krise klar gegen Assad positioniert haben. Sich gegen das syrische Regime mit militärischen Mitteln zu wehren, wurde allgemein als ehrenhaft betrachtet. Der Widerstand gegen Assads Armee wurde von vielen Muslimen und auch NichtMuslimen als „edles Motiv“ empfunden. Das „Kriegsgebiet um die Ecke“ Syrien ist auch für viele potenzielle Dschihadisten attraktiv, weil der Weg dorthin nur geringe Hürden birgt und einfacher ist als der in Richtung anderer Krisengebiete. Die Propaganda im Internet ist äußerst sichtbar und soll zudem den Eindruck vermitteln, dass es ein Leichtes sei, sich den militanten Gruppen im Kampfgebiet anzuschließen. Kontakte werden vorrangig über soziale Netzwerke und innerhalb des radikal-islamistischen Umfelds geknüpft. Ein Flugzeugticket nach Istanbul ist preiswert und der logistische Aufwand, um bis zur syrischen Grenze zu gelangen, äußerst gering. Vom Bosporus aus ist es über lokale Kontakte kein Problem, mit Hilfe von Schleusern und durch „Safe Houses“ über die lange, oftmals schlecht gesicherte Grenze zu gelangen. Im Krisengebiet wird dann von den verschiedenen dschihadistischen Widerstandsgruppen eine regelrechte Selektion und Zuordnung vorgenommen. Hier wird im wahrsten Sinne des Wortes „die Spreu vom Weizen getrennt“, bevor die Neuankömmlinge den Widerstandsgruppen zugewiesen werden. Hierbei werden europäische Freiwillige generell als minderwertig von lokalen dschihadistischen Gruppen eingestuft und ihnen werden weniger „ehrenhaftere“ Aufgaben aufgetragen. Die „Neuankömmlinge“ werden oft ohne richtige Ausbildung und mit dementsprechend geringen Überlebenschancen gegen gut ausgerüstete Soldaten der syrischen Armee, die durch erfahrene Kämpfer der schiitischen Hisbollah unterstützt werden, oder gegen verfeindete Widerstandsgruppen eingesetzt.„Man muss sich im Klaren sein, dass diejenigen, die auf diese Weise in den Krieg ziehen, oft keine klare Vorstellung haben was sie erwartet“, so ein Geheimdienstler. „Da kann man sich durchaus die Frage stellen, ob es tatsächlich deren eigene Wahl war, aufzubrechen oder ob die Betroffenen nicht Opfer einer Instrumentalisierung von außerhalb sind. Im Afghanistankrieg gestaltete sich die Situation anders. Hier konnten nur diejenigen kämpfen, die mit viel Aufwand ausgebildet worden waren und die im Vorfeld von den jeweiligen terroristischen Gruppierungen als zuverlässig eingestuft wurden. Um Krieger in Syrien zu werden, reicht es, einfach in ein Flugzeug zu steigen, die Grenze zu überqueren und zu sagen, 'hier bin ich'“. Gemäß ausländischen Diensten werden europäische Kämpfer von dschihadistischen Strukturen vor Ort als „Kanonenfutter“ angesehen. Die Neuankömmlinge aus Europa werden keineswegs mit offenen Armen empfangen, denn sie fallen den kämpfenden Gruppierungen oft mehr zur Last als dass sie eine ech- „Helden“ nach der Rückkehr Ein Kämpfer in Syrien mit ISIS-Flagge: immer mehr europäische Dschihadisten rei ihren Glaubensbrüdern zu kämpfen. Bei ihrer Rückkehr stehen sie unter Terror sen in das Kriegsgebiet, um dort mit verdacht. (FOTO: REUTERS) Ein Großteil der Syrien-Rückkehrer wird Teil der Propaganda gewaltbereiter salafistischer Kreise in Westeuropa. Sie werden zu Helden erkoren, instrumentalisiert und oft auch dazu überredet, kurzfristig wieder ins Bürgerkriegsgebiet zurückzukehren. Andere dagegen seien nach ihrem Aufenthalt dort desillusioniert, wie es beim SRE heißt: „Viele der freiwilligen Kämpfer aus Europa haben eine verklärte Vorstellung von diesem Krieg. Sie stellen sich vor, die Propagandavideos der dschihadistischen Gruppen die sie sich von zu Hause aus ansehen, würden die Realität in Syrien wi- derspiegeln. Dabei verkennen sie die Dimension des Konfliktes, das Ausmaß der Brutalität und überschätzen ihre Fähigkeiten, mit den Grausamkeiten vor Ort umgehen zu können“. Die Kämpfer aus Westeuropa werden von internationalen Experten in drei grobe Kategorien unterteilt: erstens Syrische Staatsangehörige ohne islamistischen Hintergrund, zweitens Muslime, die ihren syrischen Glaubensbrüdern helfen wollen und drittens islamistische Dschihadisten, die einen Gottesstaat errichten wollen. Bei den Luxemburgern, d. h sowohl Staatsangehörige als auch ausländische Mitbürger, die in Luxemburg leben, die in den Krieg aufgebrochen sind, geht man davon aus, dass es neben der religiösen Ideologie auch die Vorstellung war, für eine „große Sache“ zu kämpfen, die den Ausschlag dazu gab. Daneben dürften psychologische und soziale Faktoren eine entscheidende Rolle gespielt haben: Es geht den künftigen Dschihadisten oft auch darum, sich ihrem Umfeld gegenüber zu beweisen. Die Drahtzieher nutzen dies gerne aus, da derartige Persönlichkeiten leicht zu instrumentalisieren sind. Den sozialen Netzwerken kommt dabei eine entscheidende Rolle zu und die Hintermänner der dschihadistischen Bewegung beherrschen dieses Terrain bestens. Die Botschaft ist stets dieselbe: „Du kannst es zu etwas bringen.“ Welche Mittel, um das Schlimmste zu verhindern? Der SRE strebt nach verbesserten Mitteln zur Überwachung terroristischer Aktivitäten in Luxemburg, die im Rahmen des neuen Geheimdienstgesetzes verfügbar werden dürften. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Kommunikationstechnik, die sich in den vergangenen Jahren derart schnell weiterentwickelt hat, dass es für den Gesetzgeber schwierig war, Schritt zu halten. Der Syrienkonflikt hat veranschaulicht, dass die Zielpersonen der Geheimdienste sehr darauf bedacht waren, unentdeckt zu bleiben und dementsprechende Kommunikationskanäle benutzen. Viele europäische Nachrichtendienste haben ihre juristischen und technischen Mittel diesen neuen Herausforderungen angepasst und der SRE hält solche Schritte für unabdingbar, um eine realistische Gefahreinschätzung vornehmen zu können. Während jedoch terroristische Aktivitäten in Luxemburg strafbar sind, erschwert sich die Beweislage, wenn es um Aktivitäten im Ausland geht. Das Luxemburger Gesetz zum Terrorismus greift nur auf nationaler Ebene, nicht jedoch über die Grenzen hinweg. Einige Länder haben auch diesbezüglich Änderungen vorgenommen. In Frankreich wurde beispielsweise ein Gesetz verabschiedet, das die Beteiligung an einer dschihadistischen und gewaltbereiten Organisation im Ausland unter Strafe stellt. In Bezug auf die Ausreise aus Europa in Kriegsgebiete, haben auch einige Länder versucht zu reagieren. In Deutschland etwa kann angehenden Dschihadisten der Pass entzogen werden, um ihre Mobilität einzuschränken. In Belgien wird versucht, Ausreisewillige durch Gespräche zu überzeugen, aber hierfür muss erst einmal bekannt sein, dass es konkrete Absichten gibt, sich Dschihadisten im Ausland anzuschließen. Derzeit wird über eine einheitliche europäische Vorgehensweise auf Ebene des EU-Ministerrats diskutiert. Erschwerend kommt hinzu, dass der Aufbruch nach Syrien meist eher diskret abläuft. Oftmals sagen die angehenden Dschihadisten nicht einmal ihren engsten Familienmitgliedern, wo ihre Reise wirklich hinführt. „In Luxemburg gibt es gesetzlich keine Möglichkeit jemanden von seiner Reise nach Syrien abzuhalten“, erklärt ein Geheimdienstmitarbeiterin. Die Rückkehrer aus dem Krisengebiet stellen ein gesamteuropäisches Problem dar: „Ein EU-Bürger, der aus einem bestimmten Land nach Syrien reist, muss nicht zwangsläufig in das gleiche Land zurückkehren, sondern kann sich frei innerhalb der Schengenzone bewegen. Dies bedeutet, dass freiwillige Kämpfer aus benachbarten Ländern auch nach Luxemburg zurückkehren könnten. Eine der Hauptschwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung ist festzustellen, was die jeweiligen „Rück- kehrer“ in Syrien gemacht haben, welche Ausbildung sie durchlaufen haben, und ob diese Personen eine Gefahr darstellen könnten. Die Frage, ob der Aufenthalt eines europäischen Kämpfers in Syrien ihn eher motiviert hat oder das Gegenteil, steht immer im Raum“, erklärt ein SRE-Mitarbeiter. Die Syrienrückkehrer genießen zudem einen hohen Status in gewaltbereiten salafistischen Kreisen. Die meisten treiben Propaganda für jene Gruppierung, der sie sich angeschlossen haben und zeichnen meist ein übertrieben positives Bild von ihrer Organisation. Die Gefahr besteht darin, dass sie anderen Personen ermutigen nach Syrien zu reisen und ihnen womöglich auch dazu verhelfen, da sie über die nötigen Kontakte und Erfahrung verfügen. Oft sei es auch so, dass Rückkehrer vorgeben, mit ihren dschihadistischen Aktivitäten abgeschlossen zu haben. Diese Leute zu überwachen, sei äußerst ressourcenintensiv, wie ein SRE-Mitarbeiter unterstreicht: „Wir müssen zuerst eine Einschätzung vornehmen, ob diese Person eine potenzielle Gefahr für Luxemburg darstellt. Auf Grund dieser Einschätzung wird dann festgelegt, wie intensiv diese Person überwacht werden muss. Erschwerend kommt jedoch hinzu, dass einige der Rückkehrer sich über einen verlängerten Zeitrahmen ganz bewusst unauffällig benehmen, was die Überwachung sowohl juristisch als auch ressourcentechnisch er- 3 heblich komplizierter macht. Das Fehlen von jeglichen konkreten Informationen erschwert die Legitimierung von gezielten Überwachungsmaßnahmen. Der Geheimdienst sei gesetzlich verpflichtet, mutmaßliche Straftäter der Staatsanwaltschaft zu melden, aber es bleibt äußerst schwer terroristische Aktivitäten im Ausland zu belegen. Die Besonderheit der gesamteuropäischen Gefahr die vom Krieg in Syrien ausgeht erklärt die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen europäischen Geheimdiensten und gleicht etwaige begrenzte Mittel kleinere Länder aus. Der Austausch reicht von der detaillierten Profilierung einzelner Dschihadisten bis zu ganz allgemeinen Beobachtungen, die weitergeleitet werden. Eine besondere Schwierigkeit ist die konstante Dynamik djihadistischer Strukturen in Syrien, die ohne den intensiven Austausch mit Partnerdiensten nicht zu überschauen wäre. Doch auch das neue Geheimdienstgesetz soll wichtige Verbesserungen bringen. Der Text wurde am vergangenen 2. April auf den Instanzenweg gebracht und soll es dem SRE erlauben, unter bestimmten gesetzlich definierten Bedingungen moderne Kommunikationsmittel besser zu überwachen. Das aktuelle Gesetz zur Überwachung stammt aus dem Jahr 1982 und erlaubt es dem Geheimdienst zwar jede mögliche Form der Kommuni- kation zu überwachen, doch die Möglichkeiten werden aktuell durch andere Paragrafen im Strafgesetzbuch eingeschränkt oder ausgehebelt. „Derzeit stellen diese kommunikationsrelevanten Informationen ein großes Teil des Puzzles dar, das wir nicht sehen können“, so ein Geheimdienst-Mitarbeiter. Das Ausmaß der Ausreise von freiwilligen Kämpfern nach Syrien stellt die europäischen Geheimdienste allesamt vor große Herausforderungen was die technischen und juristischen Mittel sowie Ressourcen betrifft. Beim SRE ist es nicht anders. Mit derzeit rund 60 Mitarbeitern kann der Dienst nur ein begrenztes Ausmaß an Überwachung bewerkstelligen. Zum Vergleich: Das Landesamt für Verfassungsschutz im Saarland, dem vergleichbare Aufgaben auf Sicherheitsebene zukommen wie dem SRE, kann aktuell auf 84 Mitarbeiter zurückgreifen. Gerne würde man auch in Luxemburg nach dem Vorbild des deutschen Bundesamts für Verfassungsschutz arbeiten, d. h. als Inlandsgeheimdienst mit präzis definierten Strukturen. Eine Perspektive, die allerdings in der Öffentlichkeit auf ungenügend Verständnis stößt: die Vorstellung, dass hierzulande eine terroristische Bedrohung existiert, erscheint all zu fern. Dabei ist die Realität längst auch im Großherzogtum eine andere. (str/mth) J Scheidung auf britisch? ean–Claude Junckers Nominierung zum Kommissionspräsidenten ist ein schwerer Rückschlag für David Cameron. Den „Föderalisten” aus Luxemburg zu verhindern, war erklärtes Ziel des britischen Premiers im Kampf gegen die scheinbar allmächtige Brüsseler Bürokratie. Dabei war die konservativ-liberale Koalition im Mai 2010 als europafreundlichste Regierung seit langem angetreten. Aber im Januar 2013 unternahm Cameron einen Vorstoß, um den Dauerstreit über Europa gerade auch in seiner konservativen Partei auszuräumen und sich selbst damit Luft zu verschaffen. Er kündigte an, eine grundlegende Reform der EU durchsetzen und danach ein Referendum über den Verbleib in der EU durchführen zu wollen. Seither wird er die Geister, die er rief, nicht mehr los. Bei den Europawahlen im Mai deklassierte die europafeindliche „UK Independence Party“ (Ukip) sowohl Tories als auch Labour. Der „historische Sieg“ (Ukip-Chef Nigel Farage), begünstigt durch eine niedrige Wahlbeteiligung und das EU-Verhältniswahlrecht (!) zeugt von der massiven Anti-EuropaStimmung in Großbritannien. Umfragen zufolge sind heute die Hälfte der Briten für einen EUAustritt, während sich 40 Prozent eine verbesserte Mitgliedschaft wünschen. Cameron sagte nach der Wahl, er habe das Signal „verstanden“, der Ausgang zeige die „tiefe Desillusion“ mit Europa und dass er richtig sei, eine Volksabstimmung über Großbritanniens EU-Mitgliedschaft abzuhalten. Doch damit hat sich Cameron in eine höchst missliche Lage manövriert. Um seinen Landsleuten „Erfolge“ präsentieren zu können, muss er seinen EU-Partnern Zugeständnisse abringen. Bei Euroskeptikern inner- und außerhalb seiner Partei hat er aber bloß Appetit auf mehr geweckt. Sie treiben Cameron nun vor sich her. Großbritannien strebt heute eine Mitgliedschaft „light“ an und droht anderenfalls, die EU zu verlassen. „Großbritannien strebt heute eine Mitgliedschaft ,light‘ in der EU an.“ WOLF VON LEIPZIG Für Camerons Partner wirft dies heikle Fragen auf. Sollen sie sich überhaupt auf einen Deal einlassen? Und, wenn ja, wie weit können sie den britischen Forderungen entgegenkommen? Die Antworten darauf fallen höchst unterschiedlich aus. Dabei geht es nicht nur um Grundsätzliches, sondern auch um Machtbalance. Das nord-osteuropäische Lager, angeführt von Deutschland, wünscht, dass das atlantische und wirtschaftsliberale Großbritannien in der EU bleibt – nicht zuletzt als Gegengewicht zu den „Südstaaten“ Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland. Dort überwiegt dagegen die Ansicht, es sei besser, einen ständigen Bremser des Einigungsprozesses loszuwerden. Die britischen Parlamentswahlen finden im Frühjahr 2015, das Referendum über einen Verbleib in der EU spätestens 2017 statt. Die Uhr tickt also. Das meiste, was Cameron an Zugeständnissen erwarten kann, ist der Status quo, aber kaum einen Status quo ante. Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass Schottland im Herbst ein Unabhängigkeitsreferendum abhält. London findet sich in der paradoxalen Lage wieder, dass es gegenüber den Schotten mit den Vorzügen der Union wirbt, während es gegenüber der EU genau umgekehrt argumentiert: Rückübertragung von Kompetenzen („Devolution“) oder anderenfalls Unabhängigkeit. Sollte Schottland tatsächlich unabhängig werden, plant es, der EU beizutreten. So könnte sich England samt Wales und Nordirland eines Tages in einer gar nicht so „Splendid Isolation“ wiederfinden. Aber vielleicht besinnen sich die Briten wieder auf die Tugend des Pragmatismus. n [email protected] DER KOMMENTAR Gemeinsam gegen Extremisten Zwei Dinge sagte man uns von Anfang an, als wir mit unseren Recherchen zum Thema Dschihadismus in Luxemburg begannen: erstens, dass die überwiegende Mehrheit unserer muslimischen Mitbürger ausgezeichnet integrierte, friedliebende Bürger sind, die nicht nur jede Form von Gewalt oder Hass strikt ablehnen, sondern wie alle modernen, aufgeklärten Muslime als große Sünde ansehen. Zweitens, dass es eine kleine, aber nicht zu vernachlässigende Gruppe radikaler Islamisten gibt, die nicht nur Hass gegen Andersdenkende propagiert, sondern als sehr gefährlich anzusehen ist. Blinde Fanatiker, die sich mit ihrer menschenverachtenden Weltanschauung nicht nur innerhalb ihrer eigenen Religionsgemeinschaft isoliert haben, sondern auf morbide Art und Weise den Tod zweier Ge- fährten als Sieg über die vermeintlichen Ungläubigen feiern – in einem fernen Krieg, den sie für den ihren halten, von dem sie aber wissen sollten, dass sie als Stellvertreter für Parteien kämpfen, denen Religion eben so wenig bedeutet wie Menschenleben dies tun. Die muslimische Gemeinschaft in Luxemburg ist dabei, ein fester Bestandteil der Gesellschaft zu werden und macht dabei die schmerzhafte Erfahrung, wie gefährlich es ist, Probleme stillzuschweigen – aus Angst, Vorurteile zu nähren. Uns wurde gesagt, man trauere um die beiden in Syrien ums Leben gekommenen jungen Männer wie um „eigene Kinder“. Ganz Luxemburg sollte dies tun, denn nur wenn wir alle gemeinsam Verantwortung tragen, haben mörderische Ideologien keine Chance. S. REMESCH und M. THIEL