Luxemburg ist vor der terroristischen Gefahr nicht gefeit

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Luxemburg ist vor der terroristischen Gefahr nicht gefeit
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I M FO KU S
Luxemburger Wort
Montag, den 7. Juli 2014
Die Sicht des luxemburgischen Geheimdiensts zur Gefahr durch zurückkeh
I M FO KU S
Luxemburger Wort
Montag, den 7. Juli 2014
rende Syrien-Kämpfer
LEITARTIKEL
„Luxemburg ist vor der terroristischen Gefahr nicht gefeit“
Was der „Service de Renseignement de l'Etat“ im Anti-Terror-Kampf tun kann
VON STEVE REMESCH
UND MICHEL THIEL
Das Phänomen europäischer Dschihadisten, die nach Syrien aufbrechen,
um dort zu kämpfen und bei ihrer
Rückkehr unter dem Verdacht stehen,
Terrorattentate vorzubereiten, beschäftigt auch Luxemburgs Sicherheitsdienste. Das „Luxemburger
Wort“ hat beim „Service de renseignement de l'Etat“ (SRE) nachgefragt,
wie die Bedrohung aktuell im Großherzogtum einzuschätzen ist.
„Der Krieg in Syrien stellt die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen. In Syrien gewinnen die dschihadistischen Gruppierungen zunehmend an Einfluss und
die Situation vor Ort ist unübersichtlich“, so eine Geheimdienstmitarbeiterin im Gespräch mit dem
„Luxemburger Wort“.
Die Opposition gegen den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad ist in einzelne Gruppen zersplittert, die sich teilweise gegenseitig bekämpfen. Ein langjähriger
Konflikt scheint also vorprogrammiert. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass dschihadistische Gruppierungen ganze Teile
Syriens für längere Zeit besetzen,
wie die spektakuläre Offensive des
„Islamischen Staates“ (ehemals bekannt als „Islamischer Staat im Irak
und der Levante“ oder ISIS) aktuell
befürchten lässt.
Die Krisenregion Syrien-Irak
zieht ständig neue Dschihadisten an,
zunehmend auch junge Menschen
aus Westeuropa. „Die Einschätzung
der Bedrohung europäischer Rückkehrer nach Europa aus dem
Kampfgebiet stellt eine große Herausforderung dar“, so ein SRE-Mitarbeiter: „Deshalb ist Syrien derzeit
von höchster Priorität für uns sowie unsere Partnerdienste“.
In den Niederlanden und in
Frankreich, genauer in Straßburg,
wurden bereits Kriegsrückkehrer
festgenommen, die dabei waren, Attentate vorzubereiten. Der Fall
Mehdi Nemmouche ist eine tragische Veranschaulichung der bestehenden Gefahr: Der 29-jährige
Franzose richtete am vergangenen
24. Mai im jüdischen Museum in
Brüssel mit einem Sturmgewehr ein
Blutbad an und tötete vier Menschen. Fünf Tage später wurde
Nemmouche in Marseille festgenommen. Er war im Besitz der Tatwaffe sowie einer Pistole. Sichergestellt wurde auch ein Video, auf
dem Nemmouche sich offenbar selber während des Attentats filmte
und das von den Sicherheitskräften
als Bekenntnis zum Anschlag betrachtet wird.
Nemmouche, der wegen eines
bewaffneten Raubüberfalls im Jahr
2009 der Polizei bekannt war, soll
sich ein Jahr lang im syrischen
Kriegsgebiet aufgehalten haben.
Untersucht wird noch, ob er konkrete Direktiven aus Syrien für seine Tat hatte oder ob er als Einzeltäter gehandelt hat.
Die Situation in Luxemburg
Die absolute Mehrheit der Muslime
in Luxemburg vertritt einen moderaten und aufgeklärten Islam und
wird vom Geheimdienst ausdrück-
lich nicht als problematisch angesehen. Eine schwindend kleine Minderheit der muslimischen Gemeinde wird der ultrakonservativen salafistischen Strömung innerhalb des
Islams zugeordnet. Doch auch hier
gibt es verschiedene politische und
ideologische Ausrichtungen. Eine
erste Gruppe besteht aus strenggläubigen Muslimen, die ihren Lebensentwurf strengen religiösen
Prinzipien unterstellen und sich
trotzdem weitgehend ihrem gesellschaftlichen Umfeld anpassen. Eine
zweite Gruppe bemüht sich, ihre
Lebenseinstellung weiterzuverbreiten, indem sie ihr Umfeld zu beeinflussen versucht – ohne jedoch
auf Gewalt zurückzugreifen. Zur
dritten Gruppe gehören schließlich
gewaltbereite Salafisten, die ihre
Ansichten und ihre Ziele mit allen
verfügbaren Mitteln durchsetzen
wollen, wie ein anderer Mitarbeiter
des Geheimdienstes erklärt: „Das ist
unsere Zielgruppe.“
Zu den fundamentalistischen
oder radikal-islamistischen Muslimen im Großherzogtum gehören
nach Schätzungen des SRE derzeit
weniger als 100 Personen. Zu diesem Kreis gehören nicht nur gebürtige Muslime, sondern auch
Konvertiten, die über gute Kontakte zu vergleichbaren Gruppierungen im nahen europäischen Ausland verfügen.
Laut Geheimdienst gibt es im hiesigen radikal-islamistischen Umfeld
eine zweistellige Anzahl von Personen, die Gewaltanwendung als legitimes Mittel betrachten, wenn sie
ihrer Ideologie dient. Diese werden
von einer etwas größeren Gruppe
von Sympathisanten unterstützt.
„Eine genaue Zahl derjenigen festzulegen, die zum harten Kern der
gewaltbereiten Salafisten in Luxemburg gehören, ist sehr schwierig“, so
ein Expertin des SRE gegenüber dem
„Luxemburger Wort“.
Während die slawistisch-dschihadistische Ideologie bereits seit
mehreren Jahren in Luxemburg ver-
„
Diejenigen,
die auf diese
Weise in den Krieg
ziehen, haben oft
keine klare
Vorstellung, was sie
erwartet.“
treten ist, hat der Bürgerkrieg in Syrien vereinzelte Individuen dazu
animiert, ihre ideologische Überzeugung in die Tat umzusetzen. Generell in Europa und somit auch in
Luxemburg hat der syrische Bürgerkrieg viele Anhänger des Salafismus weitaus tiefer bewegt als die
Krisen im Irak, in Afghanistan oder
in Somalia.
Die Gründe sind vielschichtig:
Der syrische Bürgerkrieg wurde
ausführlicher in den Medien thematisiert als das bei anderen Kriegsschauplätzen der Fall war und wurde somit „prominenter“ in dschihadistischen Kreisen. Hinzu kommt,
dass westlichen Medien und Politiker sich vor allem zu Beginn der
und wo seine Grenzen liegen
te Hilfe seien – sie kennen weder
Sprache noch Terrain und haben
keine militärische Erfahrung. Dies
führt unweigerlich zu Konflikten
und Frustrationen zwischen den lokalen Rebellen und den ausländischen Dschihadisten. Um diese
Schwierigkeiten zu umgehen, wurden in jüngster Vergangenheit rein
französisch- oder niederländischsprachige Kampfeinheiten gegründet. Gemäß einiger europäischer
Nachrichtendienste waren sogar
rund 40 Prozent der dschihadistischen Kämpfer, die aus ihrem Land
ins syrische Kriegsgebiet aufgebrochen sind, ihnen im Vorfeld völlig
unbekannt. Diese Personen waren
vorher nie im Rahmen der nachrichtendienstlichen Arbeit aufgefallen.
Krise klar gegen Assad positioniert
haben. Sich gegen das syrische Regime mit militärischen Mitteln zu
wehren, wurde allgemein als ehrenhaft betrachtet. Der Widerstand
gegen Assads Armee wurde von
vielen Muslimen und auch NichtMuslimen als „edles Motiv“ empfunden.
Das „Kriegsgebiet um die Ecke“
Syrien ist auch für viele potenzielle
Dschihadisten attraktiv, weil der
Weg dorthin nur geringe Hürden
birgt und einfacher ist als der in
Richtung anderer Krisengebiete. Die
Propaganda im Internet ist äußerst
sichtbar und soll zudem den Eindruck vermitteln, dass es ein Leichtes sei, sich den militanten Gruppen im Kampfgebiet anzuschließen.
Kontakte werden vorrangig über
soziale Netzwerke und innerhalb
des radikal-islamistischen Umfelds
geknüpft. Ein Flugzeugticket nach
Istanbul ist preiswert und der logistische Aufwand, um bis zur syrischen Grenze zu gelangen, äußerst gering. Vom Bosporus aus ist
es über lokale Kontakte kein Problem, mit Hilfe von Schleusern und
durch „Safe Houses“ über die lange,
oftmals schlecht gesicherte Grenze
zu gelangen. Im Krisengebiet wird
dann von den verschiedenen dschihadistischen Widerstandsgruppen
eine regelrechte Selektion und Zuordnung vorgenommen. Hier wird
im wahrsten Sinne des Wortes „die
Spreu vom Weizen getrennt“, bevor
die Neuankömmlinge den Widerstandsgruppen zugewiesen werden.
Hierbei werden europäische Freiwillige generell als minderwertig
von lokalen dschihadistischen
Gruppen eingestuft und ihnen werden weniger „ehrenhaftere“ Aufgaben aufgetragen. Die „Neuankömmlinge“ werden oft ohne richtige
Ausbildung und mit dementsprechend geringen Überlebenschancen
gegen gut ausgerüstete Soldaten der
syrischen Armee, die durch erfahrene Kämpfer der schiitischen Hisbollah unterstützt werden, oder gegen verfeindete Widerstandsgruppen eingesetzt.„Man muss sich im
Klaren sein, dass diejenigen, die auf
diese Weise in den Krieg ziehen, oft
keine klare Vorstellung haben was
sie erwartet“, so ein Geheimdienstler. „Da kann man sich durchaus die
Frage stellen, ob es tatsächlich deren eigene Wahl war, aufzubrechen
oder ob die Betroffenen nicht Opfer
einer Instrumentalisierung von außerhalb sind. Im Afghanistankrieg
gestaltete sich die Situation anders.
Hier konnten nur diejenigen kämpfen, die mit viel Aufwand ausgebildet worden waren und die im Vorfeld von den jeweiligen terroristischen Gruppierungen als zuverlässig eingestuft wurden. Um Krieger
in Syrien zu werden, reicht es, einfach in ein Flugzeug zu steigen, die
Grenze zu überqueren und zu sagen, 'hier bin ich'“.
Gemäß ausländischen Diensten
werden europäische Kämpfer von
dschihadistischen Strukturen vor
Ort als „Kanonenfutter“ angesehen.
Die Neuankömmlinge aus Europa
werden keineswegs mit offenen Armen empfangen, denn sie fallen den
kämpfenden Gruppierungen oft
mehr zur Last als dass sie eine ech-
„Helden“ nach der Rückkehr
Ein Kämpfer in Syrien mit ISIS-Flagge: immer mehr europäische Dschihadisten rei
ihren Glaubensbrüdern zu kämpfen. Bei ihrer Rückkehr stehen sie unter Terror
sen in das Kriegsgebiet, um dort mit
verdacht.
(FOTO: REUTERS)
Ein Großteil der Syrien-Rückkehrer
wird Teil der Propaganda gewaltbereiter salafistischer Kreise in
Westeuropa. Sie werden zu Helden
erkoren, instrumentalisiert und oft
auch dazu überredet, kurzfristig
wieder ins Bürgerkriegsgebiet zurückzukehren.
Andere dagegen seien nach ihrem Aufenthalt dort desillusioniert,
wie es beim SRE heißt: „Viele der
freiwilligen Kämpfer aus Europa
haben eine verklärte Vorstellung
von diesem Krieg. Sie stellen sich
vor, die Propagandavideos der
dschihadistischen Gruppen die sie
sich von zu Hause aus ansehen,
würden die Realität in Syrien wi-
derspiegeln. Dabei verkennen sie die
Dimension des Konfliktes, das Ausmaß der Brutalität und überschätzen ihre Fähigkeiten, mit den Grausamkeiten vor Ort umgehen zu können“.
Die Kämpfer aus Westeuropa
werden von internationalen Experten in drei grobe Kategorien unterteilt: erstens Syrische Staatsangehörige ohne islamistischen Hintergrund, zweitens Muslime, die ihren
syrischen Glaubensbrüdern helfen
wollen und drittens islamistische
Dschihadisten, die einen Gottesstaat errichten wollen. Bei den Luxemburgern, d. h sowohl Staatsangehörige als auch ausländische Mitbürger, die in Luxemburg leben, die
in den Krieg aufgebrochen sind, geht
man davon aus, dass es neben der
religiösen Ideologie auch die Vorstellung war, für eine „große Sache“ zu kämpfen, die den Ausschlag
dazu gab.
Daneben dürften psychologische
und soziale Faktoren eine entscheidende Rolle gespielt haben: Es geht
den künftigen Dschihadisten oft
auch darum, sich ihrem Umfeld gegenüber zu beweisen. Die Drahtzieher nutzen dies gerne aus, da
derartige Persönlichkeiten leicht zu
instrumentalisieren sind. Den sozialen Netzwerken kommt dabei eine
entscheidende Rolle zu und die
Hintermänner der dschihadistischen Bewegung beherrschen dieses Terrain bestens. Die Botschaft
ist stets dieselbe: „Du kannst es zu
etwas bringen.“
Welche Mittel, um das Schlimmste zu verhindern?
Der SRE strebt nach verbesserten
Mitteln zur Überwachung terroristischer Aktivitäten in Luxemburg, die im Rahmen des neuen
Geheimdienstgesetzes verfügbar
werden dürften. Ein besonderes
Augenmerk gilt dabei der Kommunikationstechnik, die sich in den
vergangenen Jahren derart schnell
weiterentwickelt hat, dass es für
den Gesetzgeber schwierig war,
Schritt zu halten. Der Syrienkonflikt hat veranschaulicht, dass die
Zielpersonen der Geheimdienste
sehr darauf bedacht waren, unentdeckt zu bleiben und dementsprechende Kommunikationskanäle benutzen.
Viele europäische Nachrichtendienste haben ihre juristischen und
technischen Mittel diesen neuen
Herausforderungen angepasst und
der SRE hält solche Schritte für
unabdingbar, um eine realistische
Gefahreinschätzung vornehmen zu
können. Während jedoch terroristische Aktivitäten in Luxemburg
strafbar sind, erschwert sich die
Beweislage, wenn es um Aktivitäten im Ausland geht. Das Luxemburger Gesetz zum Terrorismus
greift nur auf nationaler Ebene,
nicht jedoch über die Grenzen hinweg. Einige Länder haben auch
diesbezüglich Änderungen vorgenommen. In Frankreich wurde
beispielsweise ein Gesetz verabschiedet, das die Beteiligung an einer dschihadistischen und gewaltbereiten Organisation im Ausland
unter Strafe stellt. In Bezug auf die
Ausreise aus Europa in Kriegsgebiete, haben auch einige Länder versucht zu reagieren. In Deutschland
etwa kann angehenden Dschihadisten der Pass entzogen werden, um
ihre Mobilität einzuschränken. In
Belgien wird versucht, Ausreisewillige durch Gespräche zu überzeugen, aber hierfür muss erst einmal
bekannt sein, dass es konkrete Absichten gibt, sich Dschihadisten im
Ausland anzuschließen.
Derzeit wird über eine einheitliche europäische Vorgehensweise
auf Ebene des EU-Ministerrats diskutiert. Erschwerend kommt hinzu,
dass der Aufbruch nach Syrien meist
eher diskret abläuft. Oftmals sagen
die angehenden Dschihadisten nicht
einmal ihren engsten Familienmitgliedern, wo ihre Reise wirklich
hinführt. „In Luxemburg gibt es gesetzlich keine Möglichkeit jemanden von seiner Reise nach Syrien
abzuhalten“, erklärt ein Geheimdienstmitarbeiterin.
Die Rückkehrer aus dem Krisengebiet stellen ein gesamteuropäisches Problem dar: „Ein EU-Bürger,
der aus einem bestimmten Land
nach Syrien reist, muss nicht
zwangsläufig in das gleiche Land
zurückkehren, sondern kann sich
frei innerhalb der Schengenzone
bewegen. Dies bedeutet, dass freiwillige Kämpfer aus benachbarten
Ländern auch nach Luxemburg zurückkehren könnten. Eine der
Hauptschwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung ist festzustellen, was die jeweiligen „Rück-
kehrer“ in Syrien gemacht haben,
welche Ausbildung sie durchlaufen
haben, und ob diese Personen eine
Gefahr darstellen könnten. Die Frage, ob der Aufenthalt eines europäischen Kämpfers in Syrien ihn
eher motiviert hat oder das Gegenteil, steht immer im Raum“, erklärt
ein SRE-Mitarbeiter. Die Syrienrückkehrer genießen zudem einen
hohen Status in gewaltbereiten salafistischen Kreisen. Die meisten
treiben Propaganda für jene Gruppierung, der sie sich angeschlossen
haben und zeichnen meist ein übertrieben positives Bild von ihrer Organisation. Die Gefahr besteht darin, dass sie anderen Personen ermutigen nach Syrien zu reisen und
ihnen womöglich auch dazu verhelfen, da sie über die nötigen Kontakte und Erfahrung verfügen.
Oft sei es auch so, dass Rückkehrer vorgeben, mit ihren dschihadistischen Aktivitäten abgeschlossen zu haben. Diese Leute zu
überwachen, sei äußerst ressourcenintensiv, wie ein SRE-Mitarbeiter unterstreicht: „Wir müssen zuerst eine Einschätzung vornehmen,
ob diese Person eine potenzielle
Gefahr für Luxemburg darstellt. Auf
Grund dieser Einschätzung wird
dann festgelegt, wie intensiv diese
Person überwacht werden muss. Erschwerend kommt jedoch hinzu,
dass einige der Rückkehrer sich über
einen verlängerten Zeitrahmen ganz
bewusst unauffällig benehmen, was
die Überwachung sowohl juristisch
als auch ressourcentechnisch er-
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heblich komplizierter macht. Das
Fehlen von jeglichen konkreten
Informationen erschwert die Legitimierung von gezielten Überwachungsmaßnahmen. Der Geheimdienst sei gesetzlich verpflichtet,
mutmaßliche Straftäter der Staatsanwaltschaft zu melden, aber
es bleibt äußerst schwer terroristische Aktivitäten im Ausland zu belegen.
Die Besonderheit der gesamteuropäischen Gefahr die vom Krieg in
Syrien ausgeht erklärt die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen europäischen Geheimdiensten und gleicht etwaige begrenzte
Mittel kleinere Länder aus. Der
Austausch reicht von der detaillierten
Profilierung
einzelner
Dschihadisten bis zu ganz allgemeinen Beobachtungen, die weitergeleitet werden. Eine besondere
Schwierigkeit ist die konstante Dynamik djihadistischer Strukturen in
Syrien, die ohne den intensiven
Austausch mit Partnerdiensten
nicht zu überschauen wäre.
Doch auch das neue Geheimdienstgesetz soll wichtige Verbesserungen bringen. Der Text wurde
am vergangenen 2. April auf den
Instanzenweg gebracht und soll es
dem SRE erlauben, unter bestimmten gesetzlich definierten Bedingungen moderne Kommunikationsmittel besser zu überwachen. Das
aktuelle Gesetz zur Überwachung
stammt aus dem Jahr 1982 und erlaubt es dem Geheimdienst zwar jede mögliche Form der Kommuni-
kation zu überwachen, doch die
Möglichkeiten werden aktuell
durch andere Paragrafen im Strafgesetzbuch eingeschränkt oder
ausgehebelt. „Derzeit stellen diese
kommunikationsrelevanten Informationen ein großes Teil des Puzzles dar, das wir nicht sehen können“, so ein Geheimdienst-Mitarbeiter.
Das Ausmaß der Ausreise von
freiwilligen Kämpfern nach Syrien
stellt die europäischen Geheimdienste allesamt vor große Herausforderungen was die technischen und juristischen Mittel sowie Ressourcen betrifft. Beim SRE
ist es nicht anders. Mit derzeit rund
60 Mitarbeitern kann der Dienst
nur ein begrenztes Ausmaß an
Überwachung
bewerkstelligen.
Zum Vergleich: Das Landesamt für
Verfassungsschutz im Saarland,
dem vergleichbare Aufgaben auf
Sicherheitsebene zukommen wie
dem SRE, kann aktuell auf 84 Mitarbeiter zurückgreifen. Gerne
würde man auch in Luxemburg
nach dem Vorbild des deutschen
Bundesamts für Verfassungsschutz arbeiten, d. h. als Inlandsgeheimdienst mit präzis definierten Strukturen.
Eine Perspektive, die allerdings
in der Öffentlichkeit auf ungenügend Verständnis stößt: die Vorstellung, dass hierzulande eine terroristische Bedrohung existiert,
erscheint all zu fern. Dabei ist die
Realität längst auch im Großherzogtum eine andere.
(str/mth)
J
Scheidung auf britisch?
ean–Claude Junckers Nominierung zum Kommissionspräsidenten ist ein schwerer
Rückschlag für David Cameron.
Den „Föderalisten” aus Luxemburg
zu verhindern, war erklärtes Ziel
des britischen Premiers im Kampf
gegen die scheinbar allmächtige
Brüsseler Bürokratie. Dabei war
die konservativ-liberale Koalition
im Mai 2010 als europafreundlichste Regierung seit langem angetreten. Aber im Januar 2013 unternahm Cameron einen Vorstoß,
um den Dauerstreit über Europa
gerade auch in seiner konservativen Partei auszuräumen und sich
selbst damit Luft zu verschaffen.
Er kündigte an, eine grundlegende
Reform der EU durchsetzen und
danach ein Referendum über den
Verbleib in der EU durchführen zu
wollen. Seither wird er die Geister,
die er rief, nicht mehr los.
Bei den Europawahlen im Mai deklassierte die europafeindliche „UK
Independence Party“ (Ukip) sowohl Tories als auch Labour. Der
„historische Sieg“ (Ukip-Chef Nigel
Farage), begünstigt durch eine
niedrige Wahlbeteiligung und das
EU-Verhältniswahlrecht (!) zeugt
von der massiven Anti-EuropaStimmung in Großbritannien. Umfragen zufolge sind heute die
Hälfte der Briten für einen EUAustritt, während sich 40 Prozent
eine verbesserte Mitgliedschaft
wünschen. Cameron sagte nach
der Wahl, er habe das Signal „verstanden“, der Ausgang zeige die
„tiefe Desillusion“ mit Europa und
dass er richtig sei, eine Volksabstimmung über Großbritanniens
EU-Mitgliedschaft abzuhalten.
Doch damit hat sich Cameron in
eine höchst missliche Lage manövriert. Um seinen Landsleuten
„Erfolge“ präsentieren zu können,
muss er seinen EU-Partnern Zugeständnisse abringen. Bei Euroskeptikern inner- und außerhalb
seiner Partei hat er aber bloß Appetit auf mehr geweckt. Sie treiben Cameron nun vor sich her.
Großbritannien strebt heute eine
Mitgliedschaft „light“ an und droht
anderenfalls, die EU zu verlassen.
„Großbritannien
strebt heute eine
Mitgliedschaft ,light‘
in der EU an.“
WOLF VON LEIPZIG
Für Camerons Partner wirft dies
heikle Fragen auf. Sollen sie sich
überhaupt auf einen Deal einlassen? Und, wenn ja, wie weit können sie den britischen Forderungen entgegenkommen? Die Antworten darauf fallen höchst unterschiedlich aus. Dabei geht es
nicht nur um Grundsätzliches,
sondern auch um Machtbalance.
Das nord-osteuropäische Lager,
angeführt von Deutschland,
wünscht, dass das atlantische und
wirtschaftsliberale Großbritannien
in der EU bleibt – nicht zuletzt als
Gegengewicht zu den „Südstaaten“ Frankreich, Italien, Spanien
und Griechenland. Dort überwiegt
dagegen die Ansicht, es sei besser,
einen ständigen Bremser des Einigungsprozesses loszuwerden.
Die britischen Parlamentswahlen
finden im Frühjahr 2015, das Referendum über einen Verbleib in
der EU spätestens 2017 statt. Die
Uhr tickt also. Das meiste, was
Cameron an Zugeständnissen erwarten kann, ist der Status quo,
aber kaum einen Status quo ante.
Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass Schottland im Herbst
ein Unabhängigkeitsreferendum
abhält. London findet sich in der
paradoxalen Lage wieder, dass es
gegenüber den Schotten mit den
Vorzügen der Union wirbt, während es gegenüber der EU genau
umgekehrt argumentiert: Rückübertragung von Kompetenzen
(„Devolution“) oder anderenfalls
Unabhängigkeit. Sollte Schottland
tatsächlich unabhängig werden,
plant es, der EU beizutreten. So
könnte sich England samt Wales
und Nordirland eines Tages in einer gar nicht so „Splendid Isolation“ wiederfinden. Aber vielleicht
besinnen sich die Briten wieder
auf die Tugend des Pragmatismus.
n
[email protected]
DER KOMMENTAR
Gemeinsam gegen Extremisten
Zwei Dinge sagte man uns von
Anfang an, als wir mit unseren
Recherchen zum Thema Dschihadismus in Luxemburg begannen:
erstens, dass die überwiegende
Mehrheit unserer muslimischen
Mitbürger ausgezeichnet integrierte, friedliebende Bürger sind,
die nicht nur jede Form von Gewalt
oder Hass strikt ablehnen, sondern
wie alle modernen, aufgeklärten
Muslime als große Sünde ansehen.
Zweitens, dass es eine kleine, aber
nicht zu vernachlässigende Gruppe
radikaler Islamisten gibt, die nicht
nur Hass gegen Andersdenkende
propagiert, sondern als sehr gefährlich anzusehen ist. Blinde Fanatiker, die sich mit ihrer menschenverachtenden Weltanschauung nicht nur innerhalb ihrer eigenen Religionsgemeinschaft isoliert
haben, sondern auf morbide Art
und Weise den Tod zweier Ge-
fährten als Sieg über die vermeintlichen Ungläubigen feiern –
in einem fernen Krieg, den sie für
den ihren halten, von dem sie aber
wissen sollten, dass sie als Stellvertreter für Parteien kämpfen,
denen Religion eben so wenig bedeutet wie Menschenleben dies
tun. Die muslimische Gemeinschaft in Luxemburg ist dabei, ein
fester Bestandteil der Gesellschaft
zu werden und macht dabei die
schmerzhafte Erfahrung, wie gefährlich es ist, Probleme stillzuschweigen – aus Angst, Vorurteile
zu nähren. Uns wurde gesagt, man
trauere um die beiden in Syrien
ums Leben gekommenen jungen
Männer wie um „eigene Kinder“.
Ganz Luxemburg sollte dies tun,
denn nur wenn wir alle gemeinsam
Verantwortung tragen, haben
mörderische Ideologien keine
Chance.
S. REMESCH und M. THIEL