Cannabis ist immer anders

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Cannabis ist immer anders
Vorwort
Seit es Menschen gibt, hat der Mensch sich zu
wenig gefreut: Das allein
meine Brder ist unsere Erbsnde.
(Friedrich Nietzsche)
»Beim Thema Cannabis finde ich nur schwer meine Position zwischen Ablehnung und Toleranz.« Dieses Eingestndnis einer Sozialarbeiterin spiegelt die Gefhle ganzer Generationen gegenber den
Herausforderungen wieder, vor die uns Haschisch und Marihuana
stellen.
Seit Jahrtausenden nimmt Hanf unter den »Pflanzen der Gtter«
als Rauschdrogen-, Arznei-, Faser- und Nahrungsmittellieferant
(Samen) eine herausragende Position ein. Unzhlige berlieferungen, Sagen, Geschichten und Anekdoten ranken sich um das Gewchs. Wer sich auf die Suche nach dem »wahren Gesicht« von Cannabis begibt, tut sich schwer, sich nicht im Spannungsfeld zwischen
berhhtem Mythos und ernchternder Wirklichkeit zu verlieren.
Schnell stellt er fest: »Cannabis ist immer irgendwie anders …«
Haschisch und Marihuana sind nicht wie andere Drogen. Sie
sind zwar offiziell weltweit als illegale Drogen gechtet. In der gelebten Wirklichkeit gehren sie in vielen Regionen der Erde jedoch
seit Jahrtausenden zum Kulturbesitz der dort heimischen Menschen. Folglich wird der Konsum der Kulturdroge dort inoffiziell
nicht nur geduldet, sondern hinter vorgehaltener Hand sogar gutgeheißen. Anderen Rauschmitteln kommt diese »Ehre« nicht zu.
Auch viele Jugendliche und junge Erwachsene in den westlich geprgten Industrienationen sehen in Cannabis etwas vllig anderes
als in sonstigen Suchtmitteln. In Verkennung der Realitt betrachten sie Haschisch und Marihuana hufig genug nicht einmal als
Drogen. Der Umgang mit ihnen ist fr sie etwas »total normales«.
Er »gehrt zum Leben wie das tgliche Brot«. Die gleichen Jugendlichen ziehen einen klaren Trennungsstrich zu anderen Rauschmitteln, die sie niemals anrhren wrden. Cannabis nimmt in ihrer
Einschtzung einen Sonderplatz ein, weil seine Wirkungen besser
beherrschbar erscheinen.
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Selbst in der immer whrenden Auseinandersetzung zwischen den
Generationen spielt Cannabis eine Sonderrolle. Junge Menschen
beharren auf dem Recht auf »ihre Droge«, die sie fr weniger gefhrlich halten als das Zivilisationsgift »Alkohol«. Erwachsene dagegen verteidigen den Standpunkt, dass das Trinken der legalen
Droge Alkohol etwas vllig anderes sei als der Gebrauch der illegalen Mittel Haschisch und Marihuana.
Die Wirkungen von Haschisch sind anders, je nachdem, ob die
Substanz geraucht, inhaliert oder gegessen wird. Ferner unterscheiden sich die Feinwirkungen verschiedener Haschisch- und Marihuanasorten sprbar, wobei individuell bevorzugte Gebrauchsmuster der Cannabiskonsumenten noch wieder andere Wirkungen
hervorrufen.
Familienangehrige von Haschisch- und Marihuananutzern,
Lehrer, Sozialarbeiter oder sonstige professionelle Helfer knnten
beinahe tglich ihre Position gegenber Cannabis in Frage stellen.
Stehen sie eher im Kontakt zu kompetenten Konsumenten, die unter Beweis stellen, dass sie die Rauschmittel zu beherrschen wissen,
sehen sie in Cannabis eher eine »weiche Droge«. In der persnlichen Haltung gegenber ihrem Konsum berwiegen Toleranz oder
gar Akzeptanz. Treffen die gleichen Personen verstrkt auf Kinder,
welche bereits Cannabis benutzen, oder auf Jugendliche und junge
Erwachsene, die jegliche Kontrolle ber die Droge verloren haben
und infolgedessen in ernsthaften Schwierigkeiten mit verfahrenen
Lebenssituationen stecken, gert die tolerante Haltung leicht ins
Wanken. Pltzlich erscheinen Haschisch und Marihuana nicht
mehr als relativ weiche, sondern als hchst risikobehaftete Rauschmittel. Keine zweite Droge macht es Menschen so schwer, eine sichere Position ihr gegenber zu finden.
Das vorliegende Buch dient dieser sicheren Positionsfindung. Zwar
existieren bereits eine Reihe von Bchern und etliche »Regalmeter«
wissenschaftliche Beitrge, die Haschisch und Marihuana zum Thema haben. Doch wenn es sich nicht gerade um spezielle Studien
und Forschungsberichte handelt, dann vorzugsweise um die Drogen eher ablehnende oder umgekehrt um cannabisfreundliche
»Tendenzliteratur«. Ein aktuelles, fr Erwachsene wie Jugendliche,
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fr Konsumenten wie Nichtkonsumenten gleichermaßen brauchbares Werk zu Cannabis fehlt auf dem weiten Bchermarkt. Mit
»Cannabis ist anders …« hoffe ich, diese Lcke zufrieden stellend
schließen zu knnen. Das Buch kommt weder mit moralisch oder
warnend erhobenem Zeigefinger daher, noch erklrt es Cannabis
zu einer risikolos zu genießenden, harmlosen Angelegenheit. Es
lsst viel Freiheit zur persnlichen Entscheidung, allerdings bei
gleichzeitigem Appell an die individuelle Kompetenz der Cannabisbenutzer sowie an die kollektive Verantwortung unserer nach
suchtartigen Mechanismen funktionierenden Gesellschaft.
Da ich mich mit dem Buch gleichzeitig an erwachsene Leser wie
jugendliche Zielgruppen wende, lege ich besonderen Wert auf leichtes Verstndnis und flssige Lesbarkeit. Sprachlich finden sich weder theoretisches Fachchinesisch noch berdrehter Kifferjargon.
Kompliziertere Sachverhalte sind mit einfachen Worten erklrt. Da
»Humor ist, wenn man trotzdem lacht« und Lachen darber hinaus einen eigenen therapeutischen Wert besitzt, gibt es wiederholt
Textpassagen, die mit einem leichten Augenzwinkern geschrieben
sind. Das nimmt dem Thema nichts von seinem Ernst, setzt bergroßer Schwere jedoch das Recht auf gesunden Frohsinn entgegen.
Inhaltlich gibt der berblick zur Geschichte der Hanfkultur
im Zeitraffer nicht nur die Entwicklung der Pflanze vom »Uralttherapeutikum« und Rohstofflieferanten zur beliebtesten illegalen
Rauschdroge weltweit wieder. Er greift obendrein gezielt weit verbreitete Legenden um Cannabis auf, um Mythos und Realitt voneinander zu entwirren. Auf Grund seiner langen Geschichte und
der Erzhlungen, mit denen das Kultgewchs bestndig aufs Neue
umwoben wird, ist es nahezu unmglich, Cannabis vollstndig zu
entmythologisieren. Wir mssen zwischen Mythos und Realitt unseren Umgang damit finden, ohne neue wundersame Geschichten
zu verbreiten.
Die informativen Kapitel des Buches bieten dem Leser alles Bedeutsame und Ntzliche, das es zu Cannabis zu wissen gilt. Sie bewegen sich auf dem jeweils aktuellsten Stand des verfgbaren Wissens. Die Daten, Fakten und Erklrungen zur Verbreitung und
Verwendung von Cannabisprodukten, zu den Gebrauchsmustern
unterscheidbarer Konsumentengruppen, zu den verschiedenen Ge13
brauchsutensilien rund um den Haschisch- und Marihuanakonsum
sowie zu den Wirkungen der Mittel geben einen anschaulichen Einblick in die schillernde Welt der Hanfkultur. Diese Teile des Buches
sind geeignet, Lcken auf der Informationsebene bei vorwiegend
erwachsenen Lesern zu schließen. Keine Mutter, kein Vater, kein
Lehrer, Arzt, Sozialarbeiter oder sonstiger professioneller Helfer soll
feststellen mssen: »Ich kenne mich mit Haschisch oder Marihuana
berhaupt nicht aus. Ich wsste berhaupt nicht, was ich tun sollte,
wenn eines meiner eigenen Kinder diese Drogen nehmen wrde.«
Einen grndlichen Einblick in den Drogenalltag und die Lebenswirklichkeit von Cannabisgebrauchern gewhren die ausfhrlichen
Kapitel ber deren »Motive zum Konsum von Cannabis« und bestimmte »Familire Muster«, welche einen Drogengebrauch begnstigen. Die ausgesuchten »Fall«beispiele, Lebens- und Familiengeschichten spiegeln hautnah die Rolle von Cannabis innerhalb
sozialer Beziehungen wieder. Die Berhrung mit den in diesen beiden Kapiteln enthaltenen Lebenserfahrungen sowie die daraus gezogenen Rckschlsse erffnen allen Lesern des Buches einen Zugewinn an Sicherheit auf der Verhaltens- und Beziehungsebene.
Die Kapitel zur »Rechtslage«, zu »Cannabis im Straßenverkehr«
und zu »Cannabis als Heilmittel« geben nicht nur die bentigten
Informationen. Sie beziehen darber hinaus Position in der offen
und kontrovers gefhrten Diskussion um das jeweilige Thema.
Zwei spezielle »Service-Kapitel« des Buches wenden sich zum
einen direkt an Eltern, zum anderen an aktuelle oder zuknftige
Haschisch- und Marihuanakonsumenten. Ebenso angesprochen
werden Jugendliche, die bewusst nicht kiffen oder mit der Entscheidungsfindung ringen. In beiden Kapiteln verndere ich den Sprachstil, um die Zielgruppen persnlich anzusprechen. Eine Herausforderung fr Kiffer ist der ihnen im Service-Teil vorgeschlagene
»Kiffertest der etwas anderen Art«. Ausgesuchte Adressen am Ende
des Buches vervollstndigen den Leser-Service.
Ich komme im gesamten Buch mit ganz wenigen Anmerkungen
aus, sodass auch auf ein Literaturverzeichnis am Ende verzichtet
werden kann. Den Leser wird es freuen, da der Lesefluss nicht gestrt wird. Leider habe ich keine Lsung fr die »Vermnnlichung«
der deutschen Sprache parat. Ich mchte weder Satzungeheuer bil14
den, indem ich in stndiger Wiederholung von Konsumentinnen
und Konsumenten schreibe. Andere in der Schriftsprache notdrftig verbreitete Halbheiten finde ich ebenso wenig befriedigend. Insofern habe ich mich entschlossen, der Lesbarkeit wegen nahezu
durchgngig die mnnliche Schreibweise zu benutzen. Nur wo es
der inhaltliche Zusammenhang zwingend erfordert, werden Frauen
und Mnner getrennt angesprochen. Bei allen Leserinnen des Buches kann ich fr diese Notlsung nur um Verstndnis werben. Lassen Sie den Inhalt des Buches fr sich sprechen.
Einen herzlichen Dank richte ich an meine direkten Teamkollegen
der »Arbeitsstelle fr Prvention«, Stefanie Mohra, Karin Berty und
Fernando Espinoza, fr zahlreiche Diskussionen zum Thema Cannabis. Manche ihrer Anregungen und Gedanken haben Eingang in
dieses Buch gefunden. Auch bei den brigen Mitarbeitern der »Aktionsgemeinschaft Drogenberatung e.V.« in Saarbrcken bedanke
ich mich fr manch fachlichen Austausch.
Worte des Dankes sind mir auch die vielen Eltern, Lehrer, Sozialarbeiter sowie Teilnehmer an Fortbildungskursen und prventiven
Maßnahmen wert, die mich mit ihren Fragen, Kommentaren, Sorgen und Diskussionsbeitrgen beim Schreiben des Buches inspiriert
haben. Etliche haben mich darber hinaus mit eigens verfassten authentischen »Cannabisgeschichten« beliefert, getragen von der
Hoffnung, dass die darin enthaltenen Botschaften ber den Weg
meines Buches auf offene Ohren und sehende Augen stoßen mgen. Kinder und Jugendliche haben mir sowohl schriftliche »Denkzettel« wie mndliche Berichte zur vertrauensvollen Verwendung
berlassen.
Den grßten Dank und Respekt schulde ich meinen Klienten.
Sie setzen nicht nur ein hohes Maß an Vertrauen in unsere gemeinsame Arbeit, sondern haben mir auch die uneingeschrnkte Zustimmung zum Abdruck ihrer Lebensgeschichten erteilt. Wo ich
mich ausfhrlich auf einen Klienten oder eine Klientin bezogen habe, bekamen die meisten die Gelegenheit, ihren eigenen »Fall« vor
Abgabe des Manuskripts zu lesen. Bei den Ausnahmen, in denen
der Kontakt entweder abgerissen oder die gemeinsame Arbeit seit
lngerem planmßig beendet war, musste ich die Entscheidung zur
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Verffentlichung der Fallbeispiele alleine verantworten. Das Lesen
meiner Berichte durch die Klienten war auch fr mich eine selbstkritische Prfung, ob sie sich von mir richtig gesehen oder in wesentlichen Bereichen nicht erkannt fhlen wrden. Fr ihren Mut
und die teilweise verzweifelten Anstrengungen, mit Cannabis zu
brechen, weil die Droge einen zu hohen Preis in ihrem Leben fordert, spreche ich den Klienten meine ausdrckliche Anerkennung
aus.
Ein besonderer Dank geht auch an Dr. Claus Koch vom Beltz
Verlag, der mir beim Schreiben des Buches die grßtmglichen
Freiheiten ließ. Die bereits langjhrige Zusammenarbeit mit ihm
empfinde ich als sehr wohltuend.
Ich mchte den Leser inhaltlich nicht in das Buch einsteigen lassen,
ohne ihm vorher noch eine wichtige Information zu liefern. Fr die
Cannabiskonsumenten unter den Lesern hat sie vermutlich einen
anderen Stellenwert als fr Nichtkonsumenten. In jeder Gruppe
von Jugendlichen, mit der ich arbeite, finden sich frher oder spter
Jungen oder Mdchen, die sich vorwagen und brennend daran interessiert sind, eine Antwort auf die Frage zu bekommen, ob ich selbst
schon einmal Drogen ausprobiert habe. Auf ihre berechtigte Frage
erhalten sie eine ebenso ehrliche wie vollstndige Antwort. Ich verfge mit Cannabis ber gengend persnliche Erfahrungen, um
nicht aus dem hohlen Bauch zu schreiben. Ich habe Haschisch geraucht, inhaliert und gegessen. Die Unterschiede in den Wirkungen
sind mir vertraut. Ich verfahre mit meinem »Bekenntnis« nicht
nach dem politisch fast schick gewordenen Motto: »Seht her, ich habe auch gekifft. Es ist alles halb so wild.« Deshalb gehren zu meiner
Antwort auf die Frage, ob ich selbst Cannabis benutzt habe, auch
die Angaben meiner damaligen Grnde. Vollstndig wird die Antwort jedoch erst, wenn ich erzhle, weshalb ich mit dem Konsum
der Droge wieder aufgehrt habe. Erfahrungsgemß sind alle Gruppen bei diesem Teil meiner Antwort betont hellhrig und aufmerksam. Sie gewichten die Motive, die Droge nicht mehr zu nehmen,
weitaus strker als das bloße Eingestndnis, dass ich ber Eigenerfahrungen mit Cannabis verfge. Letztlich ist das nichts Besonderes fr sie. Die Geschichte »dahinter« interessiert sie weit mehr.
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Die Phase meines Lebens, in welcher Haschisch eine vorbergehende Rolle in meinem Leben gespielt hat, liegt lange Zeit zurck.
Nach reiflicher berlegung habe ich mich deshalb auch dazu
entschlossen, an keiner Stelle des vorliegenden Buches ber meine
persnlichen Erfahrungen mit der Droge zu schreiben. Die vielen
Fallbeispiele, persnlichen Zeugnisse und authentischen Lebensgeschichten, welche das Buch zu einem lebendigen »Lesestoff« machen, stammen ausschließlich von eigenen Klienten und dritten
Personen, die ein Eigeninteresse daran hatten, anderen Menschen
etwas ber ihre Erfahrungen mit Cannabis mitzuteilen.
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