Mono- oder Koedukation?
Transcrição
Mono- oder Koedukation?
Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell. Barbara Roth Abstract Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell. Mono- or Co-education? And an alternative and efficient Hybrid. Das Bildungsniveau der Mädchen und Frauen in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr positiv entwickelt. Es gelingt den Frauen in Deutschland aber kaum, ihre Bildungserfolge in eine tatsächliche Teilhabegerechtigkeit an den entscheidenden Kreisen der Gesellschaft umzusetzen. Macht wird vor allem in den Führungsgremien der Wirtschaft, der Politik und den Medien ausgeübt, dort sind Frauen kaum vertreten. Offensichtlich führt die schulische Leistung alleine nicht zu einer verbesserten Teilhabe für Frauen. Gerechtigkeitt für beide Geschlechter erfordert über gute Bildungsabschlüsse hinaus, für Frauen auch die Fähigkeit, sich entgegen den Erwartungen des Umfelds zu verhalten. Untersuchungen zeigen, dass Bildung in geschlechterhomogenen Gruppen dazu führt, dass Mädchen und Frauen mit gesteigertem Selbstvertrauen, mehr Partizipation und gesteigerter Bereitschaft, Neues auszuprobieren, sowie mit einer höheren Selbstwirksamkeitserwartung in besserer Stimmung und mit besseren Leistungen in MINT1Fächern die Schule verlassen. Und dadurch vielleicht in der Zukunft mehr Teilhabe an den Entscheidungsgremien erzielen. Single-sex-settings bieten genauso auch vieflältige Chancen für Jungen. Keywords: Koedukation, Monoedukation, Mädchenschulen, Geschlechtergerechtigkeit, Teilhabegerechtigkeit, single-sex-setting, co-education, mono-education, single-sex-classes, gender, education policy. Im Folgenden werden einige Ergebnisse zur deutschen und internationalen single-sex education zusammengefasst und auf „Fallstricke“ der Dramatisierung von Geschlecht in geschlechterhomogenen Gruppen und Schulen hingewiesen. Ein „Hybridmodell“ aus Mono- und Koedukation bietet praktikable und wertvolle Chancen für viele Bildungseinrichtungen. Diese Chancen eines alternativen und effizienten Hybridmodells werden beleuchtet und mit einzelnen Kommentaren aus der schulischen Praxis in einem Gymnasium abgerundet. Beachtet man einige Hinweise, lässt sich der Erfolg der single-sex education steigern und für das „Hybridmodell“ sind die schulischen Rahmenbedingungen (am Beispiel Bayern) so, dass einer Umsetzung wenig bis nichts im Wege steht. 1 MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 1 von 12 Mono- oder Koedukation? Das alternative, effiziente Hybridmodell Koedukation ist inzwischen in Deutschland der Normalfall und die reine Mädchen- oder Bubenschule2 die Ausnahme. In Bayern - als einzigem Bundesland in Deutschland - existiert nach wie vor ein größeres Angebot an Mädchenschulen und einige Bubenschulen. Schon 2003 hat der Landtag in Bayern beschlossen, dass insbesondere der naturwissenschaftliche und technische Unterricht für Mädchen auch an koedukativen Schulen in geschlechterhomogenen Gruppen unterrichtet werden sollte. Die Intention des Beschlusses des bayerischen Landtags war dabei, die Teilhabegerechtigkeit der Geschlechter herzustellen, die schulische Leistung zu fördern und stereotype Fächer- und Berufspräferenzen aufzuweichen (Lt-Drs. 14/11501). Inwieweit der Beschluss in den Schulen umgesetzt wird, ist schwer nachvollziehbar. Insgesamt hat sich das Bildungsniveau der Mädchen und Frauen in Deutschland seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts sehr positiv entwickelt. Mitte der 1960er Jahre betrachtete man das „katholische Mädchen vom Lande“ als Problemfall des Bildungssystems. Heute noch weisen Frauen in Deutschland in den älteren Bevölkerungsgruppen einen deutlich niedrigeren Bildungsstand auf. In der Altersgruppe der 30- bis unter 35-Jährigen besitzen mit 42 Prozent mehr als doppelt so viele Frauen einen Hochschulabschluss als in der Altersgruppe der 60- bis unter 65Jährigen (20 Prozent). Inzwischen hingegen erwerben Frauen häufiger einen Hochschulabschluss als Männer (Nationaler Bildungsbericht 2012), wenn auch meist in einem traditionell frauentypischen Bereich wie Sprach-, Kommunikations- oder Geisteswissenschaften. Genauere Analysen legen den intersektionalen Blickwinkel an und kommen zu dem Ergebnis, dass aktuell „protestantische Frauen aus dem Selbständigen- bzw. Freiberufler-Millieu in Städten sogar zu über 90 Prozent mindestens die Fachhochschule erreichen“ (Corsten 2011: 65). Insgesamt gelingt es den Frauen in Deutschland bisher aber kaum, ihre Bildungserfolge in eine tatsächliche Teilhabegerechtigkeit an den entscheidenden Kreisen der Gesellschaft umzusetzen. Macht wird auch in Deutschland in den Führungsgremien der Wirtschaft, der Politik und den Medien gesammelt und ausgeübt. Bei den Top 100 Unternehmen der Wirtschaft Deutschlands lag im Jahr 2011 bei den Vorständen und Aufsichtsräten der Frauenanteil bei 2,4 Prozent (Holst / Busch / Kröger 2012: 95). In der Politik haben wir zwar eine Bundeskanzlerin, aber zum Beispiel vertreten nur 13 Prozent Frauen die CSU-Fraktion im Bundestag (Legislaturperiode 2009 - 2013). Bezüglich des Frauenanteils in den Medien in Führungspositionen hat sich die Gruppe „Pro Quote“ etabliert, die regelmäßig Zahlen über den Anteil von Frauen an der Spitze der 16 wichtigsten deutschen 2 in Bayern ist Bubenschule der traditionelle und übliche Begriff für männlich-monoedukative Schulen Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 2 von 12 Redaktionen veröffentlicht. Dieser bewegt sich zwischen 9 Prozent bei der Süddeutschen Zeitung und 50 Prozent bei der taz, wobei nur zwei Chefredakteurinnen vertreten sind (Pro Quote 2012). Offensichtlich führt die schulische Leistung alleine nicht zu einer verbesserten Teilhabegerechtigkeit für Frauen. Diverse (internationale) Studien legen nahe, dass Unterricht in geschlechterhomogenen Gruppen eine Chance für die Entwicklung von Kompetenzen über die schulische Leistungen hinaus bietet. Vorausgesetzt, dass die Zielrichtung das Aufweichen von Stereotypen ist und nicht eine biologistisch dramatisierende Mädchen- oder Jungenbildung. Eine Expertise, die sich besonders dem Mathematikunterricht und Geschlecht widmet, kommt zu dem Ergebnis: „Obwohl die Fähigkeiten und das Interesse von Jungen und Mädchen beim Schuleintritt noch dicht beieinander liegen, halten Lehrkräfte, Eltern, aber auch die Kinder selbst, Jungen häufig für mathematisch begabter als Mädchen. Dies führt oftmals bei den Jungen nicht nur zu größerem Interesse an Zahlen und Formeln, sondern auch zu besserer Motivation, stärkerem Selbstbewusstsein, stabilerem Selbstkonzept und letztlich höheren Kompetenzen. Diese Geschlechterstereotype gilt es bei allen Beteiligten aufzubrechen, um einerseits mehr Chancengleichheit im Mathematikunterricht zu erreichen und um andererseits Mädchen in der Ausbildung ihrer mathematisch-naturwissenschaftlichen Begabungen zu stärken.“ (Budde 2009: 79). Teilhabegerechtigkeit für beide Geschlechter erfordert über gute Bildungsabschlüsse hinaus auch die Fähigkeit sich entgegen der Erwartungen des Umfelds zu verhalten, sich für Fächer zu begeistern, die bisher als eher dem anderen Geschlecht liegend betrachtet wurden, sich für einen unüblichen Weg zu entscheiden und diesen konsequent zu verfolgen. Untersuchungen zeigen auf, dass Bildung in geschlechterhomogen Gruppen dazu führt, dass Mädchen und Frauen mit gesteigertem Selbstvertrauen, mehr Partizipation und gesteigerter Bereitschaft Neues auszuprobieren , sowie mit einer höheren Selbstwirksamkeitserwartung in besserer Stimmung und mit besseren Leistungen in MINT3-Fächern die Schule verlassen und dadurch vielleicht in der Zukunft mehr Teilhabe an den Entscheidungsgremien erzielen (HerwartzEmden 2007, Herwartz-Emden/Schurt/ Waburg 2007, 2010, Chadwell 2010, Emer 2010). 3 MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 3 von 12 Single-Sex Education – ein Blick in die Forschung Ergebnisse aus Deutschland Mehrere Veröffentlichungen in Deutschland weisen auf Vorteile von geschlechterhomogen Unterricht hin Cornelißen 2004, 2009 u.a.). Die Schwerpunkte der Betrachtungen variieren, beziehen sich mal mehr auf die Beobachtungen im Physikunterricht (Kessels) oder im Mathematikunterricht (Budde) oder auf die Schulleistung insgesamt (Cornelißen) sowie die Wirkung auf das Selbstbewusstsein und andere personale Fähigkeiten (HerwartzEmden/Schurt/Waburg). Die Ergebnisse fallen unterschiedlich stark aus, aber mehrheitlich wurde Monoedukation besonders hinsichtlich eines gesteigerten Selbstkonzepts für Mädchen positiv beurteilt. Bemerkenswertes zeigte sich auch zufällig im Rahmen einer Untersuchung zum Studienverlauf von Frauen in den 1980er Jahren an der Universität Dortmund. Es zeigte sich, dass 35,5 Prozent der Informatikstudentinnen und 36,1 Prozent der Chemiestudentinnen eine reine Mädchenschule besucht hatten, was um so erstaunlicher war, weil zu der Zeit in NordrheinWestfalen der Anteil an monoedukativen weiterführenden Schulen bei 5 Prozent lag (HerwartsEmden/Schurt/Waburg 2007: 43). Trotzdem ist die Resonanz in den Medien nach wie vor eher negativ, was vielleicht auch auf den Ängsten vor einer Wiedereinführung der geschlechterstereotypisierenden (Religions-)schulen basiert, was jedenfalls für Deutschland aber unbegründet ist. Bei der derzeitigen Bildungslandschaft in Deutschland ist der differenzierte Blick gegen den veröffentlichten Trend nur schwer zu kommunizieren: „Wenn Koedukation die Norm ist und den gesellschaftlichen Fortschritt verkörpert, dann ist Monoedukation die Ausnahme und Vorteile der Monoedukation sind quasi systemkritisch zu nennen“ (Herwartz-Emden/Schurt/Waburg 2007: 101) Ergebnisse aus anderen Ländern Viele Beispiele aus anderen Ländern weisen ebenso auf positive Effekte des geschlechtergetrennten Unterrichts hin. Eine langfristige Studie in Australien über 18 Jahre zeigte eindeutig höhere Erfolge in der Schule und im Berufsleben sowohl für Mädchen und Jungen, auch nach Bereinigung der Studie um Vor-Faktoren wie Bildungsstand und Einkommen der Eltern (Woodward/ Fergusson/Horwood 1999). Die Young Women´s Leadership School in East Harlem in New York fördert Mädchen seit 1997 sehr erfolgreich. Die Schülerinnen stammen zu 85 Prozent aus sozial schwachen Zusammenhängen, bisher haben alle erfolgreich graduiert (Demmers/Benett 2007). Eine Studie in den USA verglich 6552 Abgängerinnen von Mädchenschulen mit 14684 Abgänger/innen von koedukativen Schulen und weist eindeutige Vorteile für die Mädchensschulen aus (more Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 4 von 12 academically oriented, more intellectually confident, more political engaged, more confident in mathematical and computer skills, more likely to become engineers (Sax 2009: 62 )). Die Auswertungen der Beobachtungen an amerikanischen single-sex schools für Kinder mit sozialschwachen- oder Minderheiten-Eltern zeigten, dass sich die Chancen der Buben und Mädchen im Verhältnis zu vergleichbaren koedukativen Schulen deutlich verbesserten (Hubbard/Datnow 2005). Eine Untersuchung der Wirkung von geschlechterhomogenen Schulen in Süd Korea (im folgenden Korea) ist insofern besonders interessant, als die High-School-Plätze unabhängig von der Qualifikation oder den Wünschen der Eltern - at random - vergeben und verlost werden. Die Kinder besuchen also absolut zufällig eine mono- oder koedukative Schule. Damit fallen die oft angeführten Einwände weg, dass weniger die geschlechtshomogene Gruppe per se wirkte, sondern vielmehr die reflektierten Eltern mit hohem Bildungsstand ihre Töchter in Mädchenschulen senden würden und die Mädchen nur aufgrund der Unterstützung im Elternhaus erfolgreicher seien. Die Untersuchung in Korea ergibt, dass Schülerinnen von single-sex schools bei den üblichen Aufnahmeprüfungen an der Universität erfolgreicher waren als die Schülerinnen von koedukativen Schulen, zudem absolvierten sie herausfordernde Studien. Sowohl Jungen wie Mädchen von monoedukativen Schulen schnitten in Koreanisch und Englisch besser ab (Hyunjoon / Behrman / Choi 2012). In der Zusammenschau vieler Ergebnisse zeigen manche Studien keine fachtheoretische Leistungssteigerung im Vergleich von Monoedukation zur Koedukation, aber nie eine Verschlechterung der Leistung, wobei insgesamt eine Tendenz zu mehreren Vorteilen für die Schülerinnen aufscheint. Schülerinnen zeigen eine gesteigerte Partizipation und Bereitschaft, neue Lernstrategien auszuprobieren, es treten weniger Disziplinprobleme auf als in Klassen mit Jungen, die Schülerinnen haben eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung, zeigen gesteigertes Interesse, erbringen bessere Leistungen, insbesonders in MINT-Fächern, und sie fühlen sich wohler in der Schule. In Deutschland liegen noch nicht viele Ergebnisse für die Auswirkungen von geschlechtshomogenen Gruppen auf Jungen in Schulen vor. Böhmann (2006) berichtet von positiven Ergebnissen im Literaturunterricht, wie zum Beispiel über eine höhere (emotionale) Beteiligung der Buben. Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 5 von 12 Risiken des geschlechtergetrennten Unterrichts Die Trennung der Geschlechter in der Schule birgt auch Risiken. Eine Studie aus dem United Kingdom (U.K.) kommt zu einer erhöhten Scheidungsrate für Männer, die eine Jungenschule besucht hatten, im Vergleich mit Abgängern von koedukativen Schulen (Leonhard 2007). Die Scheidungsquoten-Stichprobe betrachtet die Abgänger von öffentlichen single-Sex schools für Jungen in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts in U.K.. Die Auswertung fand im Erwachsenenalter der Männer von 42 Jahren und älter statt. Allerdings beschränkt sich dieses Ergebnis auf die wenigen Schüler, die in den 1950er Jahren in U.K. öffentliche single-sex schools besuchten. Damals besuchten nur 11 Prozent aller Schüler eine öffentliche single-sex comprehensive school und davon wurde nur ein Teil im Rahmen der Studie betrachtet. 78 Prozent aller monoedukativ unterrichteten Schüler besuchten private single-sex-Schulen. Bei den Abgängern der privaten single-sex Schulen zeigte sich kein Effekt bei den erwachsenen Männern hinsichtlich der Scheidungsrate im weiteren Lebensverlauf im Vergleich mit Männern, die eine koedukative Schule besucht hatten. Fraglich bleibt dabei, ob die betrachteten single-sexcomprehensive schools in der Nachkriegszeit in England nicht eher stereotype Verhaltensmuster verfestigten anstatt auf eine Reflektion der Männerrolle in der Gesellschaft zu achten. Ein geschlechtergetrennter Unterricht, der sich dadurch auszeichnet, die stereotypen Muster methodisch-didaktisch, inhaltlich und auch auf der Beziehungsebene zu zelebrieren, verstärkt die biologistische Zuweisung von Stereotypen. Die Intention der Monoedukation kann sich ins Gegenteil verkehren, wenn zum Beispiel „Mathe für Mädchen“ oder „Französisch für Buben“ die Konnotation mit sich bringt, dass diese Maßnahmen nur nötig sind, weil die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Fächern beschult werden für die sie angeblich „von Natur aus“ nicht geeignet sind. So entsteht eine Verstärkung von Geschlechterstereotypen und die Konnotation der Minderwertigkeit aufgrund eines Geschlechts bleibt. Wenn Chemie für Mädchen zum chemisch analytischen Backkurs auf niedrigem Leistungssniveau degeneriert und Französisch für Jungs eine mangelhafte Aussprache als geschlechtertypisches Defizit akzeptiert, wird die jeweilige Leistung und das Selbstwertgefühl bezogen und auf das Fach abgewertet. Werden über die Geschlechtertrennung dominant ausgeprägte maskuline und weibliche Rollen als Vorbereitung auf die Rolle der traditionellen Frau oder des traditionellen Mannes in einer reaktionären Gesellschaft gefördert, dient das nicht dem Lebenserfolg und steht Verfassungs- und Bildungszielen entgegen (vgl. Smyth 2010: 52). Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 6 von 12 Weiterentwicklung von Mono- und Koedukation - Chancen des „Hybridmodells“ Seit einigen Jahren bewegt die veröffentlichte Bildungsdiskussion immer wieder die „Jungen als Bildungsverlierer“, also Jungen, die die Schule ohne oder mit schlechterem Abschluss als Mädchen verlassen. Eine Studie über die schwache Schulleistung von Buben in mehreren Commonwealth Staaten kommt zu dem Ergebnis, dass wesentlich für die Leistungssteigerung von Jungen Bildungsprozesse sind, die die Kooperation und den Respekt im Umgang miteinander fördern und Geschlechterstereotype hinterfragen (Jyotsna / Kelleher 2006: 59). Auch in Australien weisen Ergebnisse in diese Richtung (Gibb / Fergusson / Horwood 2008). Nur eine „technische Teilung“ in Jungen- und Mädchengruppen bzw. -schulen brachte zwar in mehreren Schulen auch Vorteile für die Jungen in einigen aber nicht. Schulen in Deutschland sind entgegen der angeblichen „Jungenkatastrophe“ durchaus auch jungengerecht, insbesondere für Jungen, von denen zumindest ein Elternteil schon eine Fachhochschul- oder Hochschulreife besitzt (Cornelißen 2009). Die Bildungserfolge differieren bezüglich der Hochschulzugangsberechtigung nicht so stark, wie von den Medien suggeriert. Im Jahr 2010/2011 waren 48,1 Prozent der Abiturienten in Deutschland männlichen Geschlechts. Nach wie vor werden Jungen öfter als hochbegabt identifiziert, gehören häufiger zu den Klassenüberspringern und profitieren ausgeprägter von spezifischen Begabungsfördermaßnahmen in Deutschland (Koch-Priewe et al. 2008: 21). Deutlicher zu Ungunsten der Jungen ist der Unterschied bei den Schulabgängern ohne Abschluss. Im Jahr 2012 verließen 7 Prozent des Jahrgangs eine allgemeinbildende Schule ohne einen Haupt(bzw. Mittelschul-) abschluss, dabei waren 5 Prozent Mädchen und 8 Prozent Jungen (destatis 2012). Da internationale Studien darauf verweisen, dass insbesondere leistungsschwache oder soziokulturell benachteiligte Jungen in der Schule von der Monoedukation profitieren, könnte single-sex education speziell für Jungen dazu beitragen, dass mehr Jungen einen Aufstieg durch Bildung meistern. Aus Sicht der Frauenrechte geht es aber nicht nur um Schulerfolge bei Jungen, sondern es geht um die gesellschaftliche Verbesserung der Lebenslagen von Frauen, die meist indirekt oder direkt mit Männern mehr oder weniger eng zusammenhängen. Da immer noch jede vierte Frau in Deutschland Gewalt in der Partnerschaft erlebt und in Europa zwischen 94 - 96 Prozent der Insassen im Strafvollzug Männer sind, viele wegen Gewalttaten, gilt es auch deziedierte Jungenbildung unter Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 7 von 12 dem Blickwinkel der verbesserten Sozialkompetenz voranzubringen und in den Unterricht in phasenweise geschlechterhomogenen Gruppen zu integrieren. Kanadische Forschungen zeigen positive Ergebnisse, Unterrichtsinhalte wie „you don´t want to be that guy“ oder „The Fourth R“ 4 erwiesen sich in der wissenschaftlichen Begleitung als wirksam. Einige kanadische Wissenschaftler sehen verbesserte Leistungen für beide Geschlechter bei diversen monoedukativen Schulen, bei anderen weniger, und schlagen vor die Vorteile aus koedukativen und monoedukativen Systemen in einem „Hybridmodell“ zu kombinieren. Es sollen phasenweise single-sex-Klassen und gender-basierte Aktivitäten in eine koedukative Bildung eingebettet werden. Bei diesem „Hybridmodell“ werden die Vorteile aus der Monoedukation mit den Vorteilen der Koedukation verbunden und Synergien genutzt. Bei diesem Modell sollen Jungen und Mädchen am meisten profitieren (Demers/Benett 2007). Hubbard und Datnov (2005) halten drei interagierende Einflussgrößen für geschlechterhomogene Lerngruppen für besonders förderlich, nämlich single-sex setting, financial support from the state and the presence of caring, proactive teachers. Das „Hybridmodell“ würde auch dem Wunsch von vielen Menschen in Deutschland nach koedukativen Schulen entsprechen. Oft ist es zudem aus schulorganisatorischen oder regionalen Gründen nicht möglich, ganze geschlechterhomogene Klassen oder Schulen einzurichten. Für diese Rahmenbedingungen wären Hybridmodelle aus Koedukation und monoedukativen Phasen eine Lösung, die Jungen und Mädchen in vielen Schulen Entwicklungschancen eröffnen könnte. Betrachtet man die Ergebnisse der Studien genauer, sind die Ergebnisse von geschlechterhomogenen Klassen oder Schulen dann besonders signifikant positiv, wenn die Lehrerinnen und Lehrer, bzw. Pädagogen und Pädagoginnen in Bildungseinrichtungen geschlechtersensibel ausgebildet sind. Genderkompetenz kann pädagogisches Personal genauso erwerben wie andere Kompetenzen. Diese Kompetenz ist nach wie vor bei Männern und Frauen gleich gering verbreitet, da sie noch kaum verpflichtend in der Ausbildungsphase enthalten ist und nur wenige Fortbildungen dazu besucht werden (Stadler-Altmann/Schein 2013). Deswegen empfiehlt es sich, die Einführung von geschlechterhomogenen Unterrichtsphasen parallel mit Fortbildungen für Pädagogen und Pädagoginnen zu begleiten. Dabei sollte die Wissens-, Wahrnehmungs-, Einstellungs- und Handlungsebene angesprochen werden. Grundlage bilden Erkenntnisse aus der Frauen- und Geschlechterforschung bzw. Jungenforschung, bei Lehrern und 4 The Fourth R is an evaluated program. It has been listed on National Registries for effective (model) and promising practices, including SAMHSA's National Registry of Evidence-Based Programs and Practices and Public Health Agency of Canada's Best Practices Portal. http://www.youthrelationships.org/ ((2013.05.23) Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 8 von 12 Lehrerinnen speziell auch bezogen auf den eigenen Fachbereich. Darauf baut die Auseinandersetzung mit den eigenen Werten, Normen und Einstellungen zum eigenen Geschlecht und der Rolle der Geschlechter in der Gesellschaft auf. Für die Umsetzung in Kindertageseinrichtungen und Schulen braucht es Sensibilität, um die Wirkung der Kategorie Geschlecht, der Geschlechterverhältnisse und die potenziellen wie realen Diskriminierungsstrukturen zu erkennen, sodass Prozesse der Zuweisung von Stereotypen bzw. Ungleichheitsstrukturen in der Schule, in Kindertageseinrichtungen und in der Gesellschaft wahrgenommen werden können. Damit werden Lehrerinnen und Lehrer, Pädagoginnen und Pädagogen in die Lage versetzt, Geschlecht als Analysekategorie zu verwenden. Durch die Reflektion von verbreiteten geschlechter-stereotypen Verhalten, den Geschlechter-Rollen, der eigenen Haltung und Rolle und der Reflektion des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern in der Gesellschaft wird die Grundlage gelegt. Ergänzt durch Wahrnehmungs- und Sensibilitätsschulung wird Handlungskompetenz erworben, um die vorhandenen Begabungspotentiale jedes Kindes unabhängig vom Geschlecht in voller Breite zu entwickeln. Wissenschaftliche Begleitung von Gender-basierter Schulentwicklung ist in Bayern heute rar. So kann ich bisher über das „Hybridmodell“ nur aus persönlichen Gesprächen und Interviews mit Lehrerinnen und Lehrern in München berichten, die phasenweise in geschlechterhomogenen Gruppen unterrichten. Eine Französischlehrerin berichtete, dass die Buben in der geschlechterhomogenen Gruppe wesentlich mehr in der Fremdsprache sprechen und einzelne sich sogar vor der Gruppe in der Fremdsprache vorstellten, was sie noch nie im gemischten Unterricht erlebt hatte. Eine andere Lehrerin berichtet über überdurchschnittliche Leistungen von Schülerinnen in Mathe im Abitur, die in einer geschlechterhomogenen Gruppe unterrichtet wurden (Durchschnitte eine Notenstufe besser). Eine weitere Lehrerin hat über geschlechtergetrennten Physikanfangsunterricht, den sie seit vielen Jahren schon an ihrem Gymnasium durchgesetzt hat, mehrere Schülerinnen für ein Physikstudium begeistern können. Ein Chemielehrer erzählte erfreut, dass seiner Meinung nach alle Buben, auch die gefährdeten, aufgrund der geschlechterhomogenen Gruppe das Jahresziel in seinem Fach erreicht haben. Eine Informatik-Lehrerinnen hat zwei Jahre lang die gleiche Mädchengruppe unterrichtet und berichtet lobend über die konzentrierte, kooperative und erfolgreiche Arbeit der Mädchen. Alle Lehrkräfte waren sich darin einig, dass die Schülerinnen und Schüler etwas Zeit brauchen, um die Chancen der geschlechterhomogenen Gruppe für sich zu nutzen. Da Koedukation der Normalfall ist, müssen sich die Kinder und Jugendlichen erst auf die neue Situation einstellen. Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 9 von 12 Förderlich für Unterricht in geschlechterhomogenen Gruppen In vielen Fällen wirkt Unterricht in Mädchen- und Jungen- Gruppen schon aufgrund der Intervention an und für sich. Die Ergebnisse können durch folgende Maßnahmen gesteigert werden: • Schulung des Personals in Genderkompetenz. • Wird erstmalig in geschlechterhomogenen Gruppen unterrichtet, kann eine Einführungsmaßnahme für die Schülerinnen und Schüler die Umstellung fördern. • Die ersten geschlechterhomogenen Unterrichtsphasen sollten mindestens ein halbes Jahr umfassen, sodass die Schülerinnen und Schüler, die veränderte Situation reflektieren und die Vorteile für sich nutzen können. • Im alltäglichen Unterrichtsgeschehen sollten geschlechterstereotype Verhaltensweisen auch mit Bezug auf das Fachgebiet reflektiert werden. Dadurch können auch die Kooperationsfähigkeit mit und der Respekt für das jeweils andere Geschlecht entwickelt werden. Ausblick – am Beispiel der Umsetzungsmöglichkeiten an bayerischen Schulen In Bayern existiert gemäß einer Veröffentlichung des Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2012 eine im Ländervergleich in Deutschland sehr günstigere Schüler-Lehrer-Relation und ein vielfältiges Angebot. Dieses reichhaltige Unterrichtsangebot eröffne die Möglichkeit zur Differenzierung, sodass in einzelnen Fächern die Klassen aufgeteilt werden und der Unterricht in kleineren Gruppen stattfinden könne (Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2012: 30). Diese Gruppen könnten also auch ohne finanziellen Mehraufwand geschlechterhomogen gebildet werden, um die vielen oben beschriebenen Vorteile von Lernen in geschlechterhomogenen Gruppen zu nutzen. Literatur: • Baumann, Thomas / Schneider, Christoph / Vollmar, Meike / Wolters, Miriam: Schulen auf einen Blick. Destatis. Statistisches Bundesamt (Hrsg.) Wiesbaden 2012. • Bayerischer Landtag Beschluss: Naturwissenschaftliche und technische Berufe für junge Frauen attraktiver machen. Dokumentenmappe. 14 Wahlperiode. Drucksache Nr. 14/11501 vom 29.01.2003. • Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen:Häusliche Gewalt gegen Frauen, http://www.blickdahinter.bayern.de/ (20.10.2012). Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 10 von 12 • Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Reihe A. Bildungsstatistik Heft 56: Schule und Bildung in Bayern 2012. • Budde, Jürgen: Mathematikunterricht und Geschlecht. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2009. • Böhmann. In: Pädagogik 2006, 58 (1), S. 50-51. • Chadwell, David W: A Gendered Choice. Corwin California 2010. • Cornelißen, Waltraud. dji München. unveröffentlichter Vortrag beim Liesel Beckmann Symposium 2009. TUM School of Education. 26. November 2009. • Cornelißen, Waltraud:.Bildung und Geschlechterordnung in Deutschland. Einige Anmerkungen zur Debatte um die Benachteiligung von Jungen in der Schule. Aus: http://www.dji.de/bibs/161_2150CornelissenLMU.pdf (15. Dezember 2010). • Corsten, Michael: Was ist eigentlich aus den katholischen Arbeitertöchtern vom Lande geworden? In: Krüger, Dorothea (Hrsg.), Genderkompetenz und Schulwelten VS Verlag 2011. • European Commission Study: Benchmarking policy measures for gender equality in science. Mapping the maze: Getting more women to the top in research, 2008. • Demers, S. / Benett, C. Single-Sex Classrooms in: What Works? Research into Practice. The Literacy and Numeacy Secretariat. Ontario. Canada 2007. • Emer Smyth: Single-sex Education, What Does Resarch Tell Us? In: Revue francaise de pédagogie, 171, avril-mai-juin 2010, p 47-55 http://ife.ens-lyon.fr/publications/editionelectronique/revue-francaise-de-pedagogie/RF171-5.pdf (abgerufen 30.06.2013). • Gibb, Sheree J. / Fergusson, David M. / Horwood, John: Effects of Single-Sex and Coeducational Schooling on the Gender Gap. In Educational Achievement. Australian Journal of Education. November 2008 vol. 52 no. 3, p. 301-317. • Holst, Elke / Busch, Anne / Kröger, Le: Führungskräfte-Monitor 2012. Politberatung Kompakt 65. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. DIW Berlin. • Herwartz-Emden, Leonie (Hrsg.) Neues aus alten Schulen – empirische Studien in Mädchenschulen. Opladen: Budrich 2007. • Herwartz-Emden, Leonie / Schurt, Verena / Waburg, Wiebke (Hrsg.): Mädchen in der Schule. Empirische Studien zu Heterogenität in monoedukativen und koedukativen Kontexten. Opladen: Budrich 2010. • Herwartz-Emden, Leonie / Schurt, Verena / Waburg, Wiebke: Geschlechtersegregierter Unterricht in monoedukativen Schulen und Klassen – Forschungsstand und Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 11 von 12 Forschungsdesiderata. In: Neues aus alten Schulen – empirische Studien in Mädchenschulen. Herwartz-Emden (Hrsg.).Verlag B. Budrich 2007. • Hubbard, Lea /Amanda Datnow: Do Single-Sex Schools Improve the Education of LowIncome and Minority Students? An Investigation of California´s Public Single-Gender Academies. In: Anthopology and Educaional Quarterly, 2006, Vol. 36, No. 2, pp. 151-131. • Hyunjoon, Park / Behrman, Jere R. / Jaesung Choi, Jere R.: Causal Effects of Single-Sex Schools on College Entrance Exams and College Attendance: Random Assignment in Seoul High Schools. PSC Working Paper Series. PSC 10-01. 2012. Posted at ScholarlyCommons. http://repository.upenn.edu/psc_working_papers/15 (abgerufen 12.06.2013). • Jha, Jyotsna and Kelleher, Fatima: Boys Underachievement in Education an exploratation in selected Commonwealth Countries; Commonwealth of Learning, Canada, 2006, p. 59. • Kessels, Ulrike: Undoing gender in der Schule. Eine empirische Studie über Koedukation und Geschlechtsidentität im Physikunterricht. Weinheim: Juventa 2002. • Koch-Priewe, Barbara / Niederbacher, Arne / Textor, Annette / Zimmermann, Peter (2009): Jungen – Sorgenkinder oder Sieger? Ergebnisse einer quantitativen Studie und ihre pädagogischen Implikationen. Wiesbaden. VS Verlag. • Leonhard, D. Single-sex and co-educational schooling – life course consequences? Full research Report. ESRC End of Award Report, RES_000-22-1085, -swbubdib; ESRC Oktober 2006. Aus: http://www.esrc.ac.uk/my-esrc/grants/RES-000-221085/outputs/read/1d3aa381-0474-41cf-9138-3ba6b566e99b (abgerufen 30.06.2013). • Nationaler Bildungungsbericht 2012 - Bildung in Deutschland und Stellungnahme der Bundesregierung. Drucksache 17/11465. Deutscher Bundestag. 17. Wahlperiode. 09.11.2012. • Pro Quote http://www.pro-quote.de/statistiken/ (abgerufen 12.05.2013.). • Sax, Linda et al: Women Graduates of Single-Sex and Coeducationa High Schools: Differences in their Characteristics an the Transition to College, UCLA California 2009. • Stadler-Altmann, Ulrike / Schein, Sebastian: Genderkompetenz als Thema in der Lehrerausund -weiterbildung. In: Stadler-Altmann, Ulrike (Hrsg.): Genderkompetenz in pädagogischer Interaktion. Buderich 2013. • The Fourth R. http://www.youthrelationships.org/ (abgerufen 2013.05.23). • Woodward, Lianne J. / Fergusson, David M. /Horwood L. John: Effects of Single-Sex and Coeducational Secondary Schooling on Children's Academic Achievement. In: Australian Journal of Education August 1999 No 43. p. 142-156. Mono- oder Koedukation? Und ein alternatives, effizientes Hybridmodell 2013 Seite 12 von 12