Erfolgreiche Umsetzung der zuver

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Erfolgreiche Umsetzung der zuver
Kommunale Abwasserbehandlung 635
Fachbeiträge
Erfolgreiche Umsetzung der zuverlässigkeitsorientierten Instandhaltung
(RCM) bei Emschergenossenschaft und
Lippeverband
Angelika Kraft, Wolfgang Preiß, Deetje Wiese, Andreas Najelski (Essen)
und Hans-Jürgen Taag (Monheim)
Zusammenfassung
Abstract
Die Emschergenossenschaft (EG) und der Lippeverband (LV)
sind seit 1899 bzw. 1926 der regionale Träger der Wasserwirtschaft im Einzugsgebiet von Emscher und Lippe. Die Unternehmen haben bei einem Anlagevermögen von ca. 3,0 Milliarden
Euro einen Jahresumsatz von ca. 300 Millionen Euro. Neben
dem Erhalt und optimalen Einsatz von Vermögenswerten liegt
der Fokus auf einem nachhaltigen, risikominimierten und
gleichzeitig wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen. Die Instandhaltung der Anlagen hat dabei für EG/LV einen hohen Stellenwert, da die Aufwendungen einen Anteil von über 30 % an den
Gesamtbetriebskosten ausmachen. Die RCM-Methode (Reliability-centered Maintenance ⫽ zuverlässigkeitsorientierte Instandhaltung) wird bei EG/LV eingesetzt, um die Zuverlässigkeit der
Betriebsanlagen (Kläranlagen und Pumpwerke) sicherzustellen,
den Aufwand für Wartungen und Inspektionen auf das notwendige Maß festzulegen, das Wissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu dokumentieren und allgemein verfügbar zu machen.
Des Weiteren werden durch die Anwendung dieser Methode die
Instandhaltungsstrategien im gesamten Gebiet von EG/LV vereinheitlicht, die Entscheidungen gerichtsfest dokumentiert und
eine spätere übergreifende Auswertung des Instandhaltungsaufwands erreicht. In vielen Bereichen konnten bisher unerkannte
Risiken aufgezeigt und durch entsprechende Maßnahmen begrenzt bzw. abgestellt werden.
Municipal Wastewater Treatment
Successful Implementation of Reliability-Centered
Maintenance (RCM) at the Emscher River and Lippe
River Associations
Schlagwörter: Abwasserreinigung, kommunal, Wirtschaft, RCM, Instandhaltung, Kläranlage, Pumpwerk
DOI: 10.3242/kae2012.07.002
Since 1899 and 1926 respectively, the Emscher River Association (EG) and the Lippe River Association (LV) are the competent regional bodies responsible for water management in the
river basins of the Emscher and Lippe Rivers in Northrhine Westphalia (Germany). With their combined capital assets amounting to about 3 billion Euros the two associations have an annual turnover of approximately 300 million Euros. In addition to
preserving their capital assets and putting them to optimal use,
both associations focus on sustainable, low-risk and economic
operations of their plants. The maintenance of their plants is of
great importance for both associations, since these costs amount
to more than 30 percent of their total operating expenditure.
EG/LV are using the RCM method (reliability-centered maintenance) in order to guarantee the reliability of their equipment
and assets (wastewater treatment plants and pumping station),
to determine the necessary amount of maintenance work and
inspections, to document the knowledge of their staff and make
it available to everybody. Furthermore with this method maintenance strategies throughout the entire area of EG/LV can be
standardized, decisions can be documented in a manner that
will stand up in court and a comprehensive evaluation of maintenance efforts will be possible. In many areas, hitherto unknown risks could be identified and curbed or eliminated.
Key words: wastewater treatment, municipal, economy, RCM, maintenance, wastewater treatment plant, pumping station
1 Einführung
Die Emschergenossenschaft ist seit 1899 und seit dem Zusammenschluss mit dem Lippeverband im Jahr 1926 der regionale
Dienstleister einer ganzheitlichen Wasserwirtschaft im Einzugsgebiet von Emscher und Lippe. In einem Raum von 4145
km² mit ca. vier Millionen Einwohnern und einer Abwassermenge aus Industrie und Gewerbe von weiteren drei Millionen
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Einwohnergleichwerten betreibt das Unternehmen rund 460
Betriebsstandorte. Die Instandhaltungsschwerpunkte sind 60
Kläranlagen mit Ausbaugrößen von 500 bis 2,4 Millionen Einwohnerwerten, mehrere hundert Kilometer Gewässer und Abwassersammler, Hochwasserrückhaltebecken und in den bergbaubedingten Poldergebieten Deichanlagen und ca. 230 Pump-
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Kommunale Abwasserbehandlung
Fachbeiträge
Abb. 1: Verbandsgebiete und Kennzahlen von Emschergenossenschaft und Lippeverband
werke unterschiedlicher Größe und Ausstattung (Abbildung 1).
Diese Anlagen wurden über viele Jahrzehnte erbaut, nach Bedarf erweitert oder angepasst bzw. erneuert, sodass die technischen Einrichtungen den sehr unterschiedlichen technischen
Stand der Maschinen- und Elektrotechnik aus den jeweiligen
Jahren der Errichtung widerspiegeln. Die öffentliche Vergabepraxis bei Ausschreibungsverfahren schränkt die Möglichkeit
zur Vereinheitlichung der Anlagen weiter ein, sodass jederzeit
eine große Hersteller- und Typenvielfalt bei der Ausrüstung der
Anlagen zu finden ist.
Während sich die im Gebiet verteilten drei Zentralwerkstätten der Instandhaltungsabteilung (Abbildung 2) auf hochwertige, komplexe Instandsetzungen und größere Revisionen spezialisiert haben, werden die technischen Anlagen einschließlich der Durchführung des überwiegenden Teils der Wartungen
und Inspektionen dezentral von 30 Meistern verantwortlich betrieben. Diese Wartungs- und Inspektionsmaßnahmen sind bisher von den Meistern selbst entwickelt, festgelegt und optimiert worden.
Dabei spielten die Herstellerangaben, die gesetzlichen Vorgaben und die betrieblichen Bedingungen eine wesentliche
Rolle, genauso aber auch persönliche Erfahrungen mit Anlagenausfällen und deren Folgen sowie eigene Risikoeinschätzungen, die naturgemäß unter anderem durch die Berufsausbildung oder individuelle Risikobereitschaft beeinflusst waren.
Einheitliche, objektiv definierte Regeln für die notwendigen regelmäßigen Instandhaltungsmaßnahmen zur Sicherung der
gewünschten Verfügbarkeit der Anlagen waren somit nicht gegeben.
Abb. 2: Einzugsgebiete der Werkstätten von Emschergenossenschaft und Lippeverband
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Darüber hinaus basierten die vorhandenen Wartungs- und
Instandhaltungspläne auf den langjährigen Erfahrungen der
Mitarbeiter mit den Anlagen und waren daher uneinheitlich
dokumentiert, zum Beispiel in Ordnern oder Karteien, auf
Plantafeln, als Excel-, Access- oder Word-Dateien oder im SAPPM-Modul. Auch die Detailtiefe der Tätigkeitsbeschreibung
war entsprechend den Bedürfnissen der Mitarbeiter individuell
sehr unterschiedlich gewählt.
Aufgrund dieser Situation lag nicht überall eine optimale
Abwicklung der Wartungs- und Inspektionsmaßnahmen vor.
Eine einheitliche, übergreifende Auswertung war nicht möglich.
Um dem ständig wachsenden Kostendruck zu begegnen,
war es also erforderlich, diesen Bereich des Betriebsaufwands
bei gleichbleibender Anlagensicherheit zu optimieren. Einerseits galt es, Wartungs- und Inspektionsarbeiten zu eliminieren,
die nicht die Anlagensicherheit verbessern, andererseits aber
diese Tätigkeiten gerade dort gezielt und intensiviert durchzuführen, wo durch solche Maßnahmen ein Ausfall einer Anlagenfunktion bereits im Vorfeld wirksam verhindert werden
kann. Dies betrifft beispielsweise sich langfristig anbahnende
Schäden von Aggregaten oder verdeckte Ausfälle von Überwachungsinstrumenten, die bei Eintritt eines Schadens der überwachten Funktion weitreichende Folgen für die Anlage, die
Umwelt oder die Menschen haben können.
Darüber hinaus sind in den letzten Jahren immer weniger
Mitarbeiter für immer mehr Anlagen verantwortlich geworden.
Damit ist zwangsläufig verbunden, dass die vertiefte Kenntnis
der Anlagenfunktionen durch jahrelange Erfahrung und intensive Beobachtung beim einzelnen Mitarbeiter zurückgegangen
ist. Gleichzeitig hat die Komplexität der maschinen- und elektrotechnischen Anlagen ständig zugenommen. Funktionszusammenhänge zu erkennen, Fehler zu beheben oder Abläufe anzupassen, erfordert mittlerweile eine qualifizierte Ausbildung
und unter Umständen nicht unerheblichen Zeitaufwand.
Ein großer Verlust an Erfahrungswissen ist gerade in den
nächsten Jahren auch durch eine hohe altersbedingte Mitarbeiterfluktuation bei EG/LV zu erwarten. Rund 30 % der Mitarbeiter werden bis 2020 in den Ruhestand treten, ihr Know-how
steht dem Betrieb zukünftig nicht mehr zur Verfügung und ist
soweit möglich zu dokumentieren und den jungen Mitarbeitern verfügbar zu machen.
2 Projektziele
Abgeleitet aus der oben beschriebenen, über Jahre gewachsenen Situation wurden folgende Ziele im Rahmen des Projektes
„Einführung einer zuverlässigkeits-orientierten Instandhaltung
bei EG/LV“ formuliert:
1. Wartungs- und Inspektionsmaßnahmen auf den Anlagen werden nach einheitlichen, objektiven Regeln festgelegt.
Dabei sind bisher nicht erbrachte, notwendige Tätigkeiten aufzunehmen und redundant oder unnötiger Weise erbrachte Tätigkeiten zu eliminieren. Die Beschreibung der Arbeiten wird
inhaltlich hinsichtlich der Detailtiefe und in der Form mittels
Vorlageschlüssel im SAP-PM-Modul vereinheitlicht. Angestrebt
werden damit eine Vergleichbarkeit des Aufwands einzelner
Anlagen sowie eine anlagenübergreifende Auswertung nach
Tätigkeiten und Kosten.
Durch die automatische Terminverfolgung der zeit- oder betriebsstundenabhängigen Wartungs- und Inspektionspläne im
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Fachbeiträge
Rührwerke
Wasser- und Abwasserreinigung:
Rühr- und Begasungssysteme
3 Methode der zuverlässigkeitsorientierten
Instandhaltung
Die oben beschriebenen Ziele hinsichtlich Wissenstransfer, optimierter Instandhaltung und gerichtsfester Dokumentation
wird durch die RCM-Analyse (Reliability-centered Maintenance) erreicht. RCM ist entsprechend der Norm SAE (Society
of Automotive Engineers) JA 1011 /1012 „Beurteilungskriterien für RCM Prozesse“ [1] ein Verfahren zur Ermittlung der Instandhaltungsmaßnahmen, die nötig sind, damit jede technische Anlage das tut, was deren Besitzer fordern unter den momentanen Betriebsbedingungen. RCM2 ist die Weiterentwicklung der für die US-Luftfahrtindustrie entwickelten Methode
RCM zur Anwendung im sonstigen industriellen Umfeld.
Im RCM-Prozess wird jede einzelne Maschine im Produktionsablauf nach sieben Kriterien analysiert [2]:
䊳
1. Welche Funktionen erfüllt die Maschine?
Fehler-Möglichkeits- und
Einfluss-Analyse
2. In welcher Weise kann die Maschine bei der Erfüllung dieser Funktionen gestört sein?
3. Wodurch wird jede dieser einzelnen Funktionsstörungen verursacht?
4. Was passiert, wenn jede dieser einzelnen Störungen auftritt?
5. Macht es etwas aus, wenn jede dieser Störungen auftritt?
Membran-Belüftungssysteme
Softwareprodukte
䊴
SAP-PM-Modul wird die Durchführung der notwendigen Arbeiten an den Anlagen gesichert. Die gerichtsfeste Dokumentation einer ordnungsgemäßen Instandhaltung wird zukünftig
durch die Rückmeldung und den technischen Abschluss der Arbeiten gewährleistet.
Aufgedeckte Schwachstellen sind gezielt durch konstruktive Maßnahmen zu beseitigen, um somit nachhaltig die Instandsetzungskosten zu optimieren und die Betriebssicherheit
zu verbessern.
2. Die Betriebsmitarbeiter sollen intensiv alle Anlagenfunktionen und die Folgen möglicher, auch bisher noch nicht
aufgetretener Störungen, kennenlernen. Damit werden bisher
nicht beachtete Risiken aufgedeckt, mögliche Bedienungsfehler vermieden und spezifisches Erfahrungswissen aus den verschiedenen Meisterbereichen allgemein verfügbar gemacht.
Der regionale und generationsübergreifende Wissenstransfer
soll angestoßen werden, ebenso soll die Instandhaltungserfahrung der Werkstätten in die Ergebnisse einfließen.
3. Den Anforderungen an ein gerichtsfestes Unternehmen ist auch bei der Instandhaltungsplanung nachzukommen.
Die Entscheidungen, warum welche Instandhaltungsmaßnahmen wie oft geplant wurden, sollen begründet und nachvollziehbar entwickelt und dokumentiert werden. Damit wird dem
Betriebsverantwortlichen in hohem Maße Sicherheit für seine
Festlegungen gegeben. Die korrekte und vollständige Erledigung von geplanten Instandhaltungsmaßnahmen ist ebenfalls
zu dokumentieren, um ein ordnungsgemäßes Handeln belegen
zu können.
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Kommunale Abwasserbehandlung
7. Was ist zu tun, wenn eine Störung weder vorhersehbar noch ihr vorzubeugen ist?
䊳
6. Was kann getan werden, um die Störung vorherzusehen oder ihr vorzubeugen?
Festlegung
Instandhaltungsmaßnahmen
Fachbeiträge
䊴
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Die Bedeutung dieser Kriterien wird im Folgenden erläutert [3]:
Funktion und gewünschte Leistung
Wenn der tiefere Sinn von Instandhaltung darin besteht, die
Funktion und Leistungsfähigkeit einer Maschine zu erhalten,
dann muss erst einmal eine Bestandsaufnahme darüber stattfinden, welche Funktion die Maschine überhaupt erfüllt und
was die gewünschte Leistung ist.
Funktionsstörungen
Wenn eine Maschine dem Einsatzzweck angemessen konstruiert wurde, dann ist das einzige, was sie vom Funktionieren abhalten kann, eine Funktionsstörung.
Störungsarten
Wenn erst einmal alle Funktionsstörungen analysiert sind, ist
der nächste Schritt die Suche nach den wahrscheinlichen Gründen für das Auftreten einer jeden Funktionsstörung.
Störungsauswirkungen
gen, noch beeinflussen sie die Produktion. Sie verursachen
lediglich Reparaturkosten.
Mit den Fragen 1 bis 5 führt man die sogenannte Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA) durch.
Zur Festlegung geeigneter Instandhaltungsmaßnahmen und
deren Intervalle (Fragen 6 und 7) gibt es drei wesentliche Kriterien:
● Gibt es für die Störungsursachen eine bekannte Lebens-
dauer, dann erfolgt eine turnusmäßige Überholung (Wiederherstellung des Abnutzungsvorrats eines Teils nach einer
Ausfallhäufigkeit
2 mal pro Jahr
oder öfter
Häufigkeitsklasse
h3
B
A
A
weniger als 2 pro
Jahr bis
1 mal pro 5 Jahre
Häufigkeitsklasse
h2
C
B
A
seltener als 1
pro 5 Jahre
Häufigkeitsklasse
h1
C
B
A
12 Std. und
mehr
Auswirkungsklasse a1
2 bis 12
Std.
Auswirkungs
klasse a2
weniger als
2 Std.
Auswirkungsklasse a3
Gemeinsam mit den Fehlerursachen werden auch die Auswirkungen aufgezeichnet, die eine Funktionsstörung nach sich zieht.
Mit den Fragen 1 bis 4 führt man die sogenannte FehlerMöglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA) durch.
Folgen von Störungen
Nachdem jede technische Anlage nach ihrer Funktion, ihrer
Leistung, den denkbaren Fehlfunktionen und ihren Ursachen determiniert wurde, umfasst der nächste Schritt im
RCM-Prozess eine quantitative und qualitative Bewertung
der Folgen von Störungen (Frage 5). Es geht im Endeffekt
um die Frage, ob eine Fehlfunktion unter allen Umständen
vermieden werden muss oder ob man ihr Auftreten abwarten kann.
RCM unterscheidet vier Gruppen von Störungsfolgen [2]:
● Verdeckte Folgen: Sie haben keine direkte Auswirkung auf
den Funktionsablauf, es besteht jedoch die Gefahr einer
multiplen Störung mit oft ernsthaften Folgen. Versteckte
Störungsauswirkungen betreffen häufig Sicherheitseinrichtungen, die selbst ausfallen können.
● Sicherheits- und umweltrelevante Folgen: Eine Funktionsstörung hat sicherheitsrelevante Folgen, wenn sie Personenschäden verursachen kann. Sie ist umweltrelevant,
wenn sie dazu führen kann, dass Grenzwerte hinsichtlich
des Umweltschutzes überschritten werden.
● Betriebliche Folgen: Dies sind Folgen, die die Produktion
beeinträchtigen können (Ausstoß, Qualität, Lieferfristen,
unerwünschte Folgekosten, Kundenzufriedenheit).
● Betriebsunabhängige Folgen: Störungen, die in diese Kategorie fallen, tangieren weder Sicherheits- und Umweltfra-
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Kriterium: Verschlechterung der Ablaufwerte
Risiko: A-hoch, B-mittel, C-gering
Ausfallhäufigkeit
2 mal pro Jahr
oder öfter
Häufigkeitsklasse
h3
B
A
A
weniger als 2
pro Jahr bis
1 mal pro 5 Jahre
Häufigkeitsklasse
h2
C
B
A
seltener als 1
pro 5 Jahre
Häufigkeitsklasse
h1
C
B
A
marginal
Auswirkungsklasse a1
kritisch
Auswirkungsklasse a2
sehr kritisch
Auswirkungsklasse a3
Kriterium: Folgekosten
Risiko: A-hoch, B-mittel, C-gering
Abb. 3: Risikomatrix: Ablaufwerte und Folgekosten für Kläranlagen
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festen Zeitspanne unabhängig vom Zustand) bzw. ein turnusmäßiger Austausch (Austausch eines Teiles nach einer
festen Zeitspanne, unabhängig vom Zustand).
● Bei einer potenziellen Störung oder einem nutzbarem PF-Intervall (Zeitraum vom Auftreten der potenziellen Störung bis zur Funktionsstörung) erfolgen zustandsabhängige Maßnahmen.
● Bei einer verdeckten Störung muss eine turnusmäßige
Störungssuche durchgeführt werden (zum Beispiel Funktionstest). Ist keine geplante Instandhaltung möglich, lässt
man die Störung eintreten. In diesem Fall muss eine Reserve vorhanden sein, die die Funktion aufrecht erhalten kann
bzw. das entsprechende Ersatzteil muss im Lager vorrätig
sein. Bei Bedarf werden einmalige Konstruktionsänderungen erforderlich.
Die Durchführung der RCM-Analyse erfolgt im Team aus Moderator, Anlagenbetreiber (⫽ Betriebsmeister) und Instandhalter sowie gegebenenfalls einem Spezialisten (zum Beispiel
Elektriker). Hierbei übernimmt der speziell in der RCM-Analyse ausgebildete Moderator folgende Aufgaben:
● Prüfung der Vollständigkeit der aufgenommenen techni-
schen Anlagen,
● Einhaltung des RCM-Prozesses,
● Moderierung der Gespräche zur Erzielung eines Konsenses
hinsichtlich konkreter Maßnahmen, konkretem Intervall
der Maßnahmendurchführung und konkreter Zuständigkeit
für die Durchführung der Maßnahmen zwischen den Teammitgliedern,
● methodische Beratung bei der abschließenden Festlegung
der Analyseergebnisse,
● Dokumentation der Entscheidungen.
● Arbeitsteam: Durchführung der RCM-Analyse im Team be-
stehend aus Moderator, Mitarbeiter(n) des Betriebes und
gegebenenfalls der Instandhaltung.
Die Teammitglieder erhalten eine Ausbildung zu der Systematik der zuverlässigkeits-orientierten Instandhaltung mit unterschiedlichem Umfang. Um das Projekt bei Emschergenossenschaft und Lippeverband in einem vertretbaren Zeitraum bearbeiten zu können, wurden bei der Emscher Gesellschaft für
Wassertechnik mbH (EW) insgesamt fünf Moderatoren unterschiedlicher Fachrichtungen (Maschinenbau-, Bauingenieurund Sicherheitsingenieurwesen, Naturwissenschaften) ausgebildet.
Zur weiteren Optimierung des Aufwands wird bei der Analyse einer Kläranlage im Team zunächst eine einheitliche Risikoabschätzung durchgeführt, um zu einer abgestuften Vorgehensweise bei der Analyse der einzelnen Verfahrensstufen zu
kommen [5]. Hierbei wird die Auswirkung der Störung bzw.
des Ausfalls der jeweiligen Verfahrensstufe auf die Ablaufwerte sowie auf die Kosten betrachtet (Abbildung 3). Für Verfahrensstufen mit hohem Risiko bei Eintritt der Störung erfolgt die
oben beschriebene RCM-Analyse, für Verfahrensstufen mit
niedrigem Risiko wird die Detailtiefe der Analyse etwas reduziert, indem eine Instandhaltungsmaßnahmen-Analyse (IMA)
durchgeführt wird.
Die RCM-Analysesitzungen finden wöchentlich mit einer
Dauer von ca. drei bis vier Stunden statt. Für die vollständige
Analyse eines Pumpwerks werden bis zu sechs Gespräche, für
eine mittelgroße Kläranlage bis zu 15 Gespräche geplant [5].
Mit zunehmender Routine der Teammitglieder der RCM-Analyse nimmt die erforderliche Anzahl der Gespräche pro Anlage
ab.
5 Ergebnisse
Projektes hinsichtlich zeitlichem Rahmen und übergreifender Entscheidungen,
● Projektteam (Projektleitung und Moderatoren): monatlicher Erfahrungsaustausch zu den RCM-Analysegesprächen,
Sicherstellung der unternehmensweiten Vereinheitlichung
von Maßnahmen, Entwicklung von Vorlagen zur Anlagenanalyse, inhaltliche Projektleitung,
● Expertenteam: Bearbeitung von speziellen fachlichen Fragestellungen,
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Vergaberichtlinien
Vergabe
Qualitätsvorgaben, Dokumentation, Inbetriebnahme, Einweisung
Bauausführung
Betrieb
Betriebliche Tätigkeiten,
Instandhaltung
Wartungs- und Inspektionsplan
Betriebs- und Instandhaltungserfahrung
● Lenkungskreis: verantwortlich für die Gesamtsteuerung des
Technische Regeln, Konstruktion
Instandhaltungskonzept, Redundanz
Planung
Schadensereignisse
Mitte des Jahres 2007 haben die Emschergenossenschaft und
der Lippeverband in Form eines Pilotprojektes mit der Umsetzung der zuverlässigkeitsorientierten Instandhaltung begonnen. Als Experte wurde die MSC Maintenance Strategy Consult GmbH hinzugezogen, die Mitglied des weltweiten Netzwerks von Beratern zum Thema Reliability-centered Maintenance, Aladon, ist. Die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt
wurden ausgewertet und das Verfahren zur Durchführung
des unternehmensweiten Projektes optimiert. Die Organisation des Projektes setzt sich aus folgenden Teams zusammen
[4]:
Emschergenossenschaft und Lippeverband werden die „ErstAnalysen“ für ihre Kläranlagen und Pumpwerke im Wesentlichen Ende 2012 abschließen. Insgesamt wurden bisher 1900
RCM-Gespräche durchgeführt, für rund 220 technische Anlagen die RCM-Analyse abgeschlossen und für 120 Anlagen die
Wartungs- und Inspektionspläne im SAP-PM-Modul umgesetzt
(Stand: Ende 2011).
gewünschte Zuverlässigkeit
Betriebsbedingungen / - anforderungen
4 Umsetzung der zuverlässigkeitsorientierten
Instandhaltung bei Emschergenossenschaft
und Lippeverband
Zuverlässigkeitskonzept nach RCM-Methode
Risikoanalyse
FMEA
Maßnahmenintervall
Abb. 4: Wissenstransfer aus der RCM-Methode
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Kommunale Abwasserbehandlung
Fachbeiträge
Durch die oben beschriebene Projektorganisation konnte sichergestellt werden, dass viele Maßnahmen standardisiert (wie
zum Beispiel Vereinheitlichung von Prüfintervallen von Mittelspannungs- und Niederspannungsschaltanlagen, Optimierung
von geplanten Ölwechseln) und in allen Betriebsbereichen
über die Erstellung von Vorlagen einheitliche (RCM-) Regeln
zur Maßnahmenfindung angewendet wurden. Insgesamt wurden 14 Vorlagen zur Anlagenanalyse mit rund 1500 Instandhaltungsmaßnahmen entwickelt [6].
Des Weiteren wurden spezielle Erkenntnisse der unterschiedlichen Betriebsbereiche in das Projekt- und Expertenteam zurückgespiegelt und hierüber wiederum an alle Betriebsbereiche unter anderem über Infobriefe weitergegeben.
Hierdurch wurde bereits ein umfangreicher Erkenntnistransfer
zwischen den einzelnen Meisterbereichen erzielt.
Neben vielen weiteren Einzelmaßnahmen zur besseren
Absicherung und Überwachung kritischer Funktionen wurden
auch erhebliche Einsparungen realisiert. Schon bei vorsichtiger Abschätzung können durch zuverlässigkeitsorientierte
Wartungs- und Inspektionstätigkeiten jährlich rund 500 000
Euro eingespart werden. Demgegenüber steht ein einmaliger
Aufwand für die Analysegespräche von ca. 1,6 Million Euro
für Eigenleistung und externe Unterstützung der Moderation
[5].
Finanziell nicht bewertbar ist die einheitliche Dokumentation der Entscheidungsfindung und die daraus entwickelten
Wartungs- und Inspektionspläne im SAP-PM-Modul, die hiermit verbundene Rechtssicherheit durch einheitliche Bewertung
unter Berücksichtigung gesetzlicher Anforderungen sowie vermiedene Folgeschäden durch verhinderte Anlagenausfälle und
als Folge hieraus gegebenenfalls zu zahlende erhöhte Abwasserabgabe [5].
Die zuverlässigkeitsorientierte Instandhaltung erweist sich
zudem als gutes Instrument, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Anlagenfunktionen zu erläutern, Risiken zu erkennen und die notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung
der erforderlichen bzw. gewünschten Zuverlässigkeit der Anlagen einzuleiten. Dies gilt insbesondere für neue komplexe Anlagen und Technologien. Die im Kapitel 2 beschriebenen Projektziele konnten somit im vollen Umfang erreicht werden.
6 Ausblick
EG/LV führt inzwischen auch für in der Planung befindliche
technische Anlagen RCM-Analysen (Reliability-centered Maintenance) durch mit folgenden nachhaltigen Effekten:
● Alle Funktionen werden ermittelt und besprochen und zwar
vor der Abnahme oder Inbetriebnahme der Anlage.
● Die Bediener lernen, wie die Anlage funktionieren soll.
● Konstruktionsfehler werden rechtzeitig erkannt und gege-
benenfalls beseitigt, bzw. bei der Planung vermieden.
● Wartungs- und Ersatzteilempfehlungen des Herstellers bzw.
des Lieferanten werden kritisch hinterfragt.
Die dauerhafte Implementierung der zuverlässigkeitsorientierten Instandhaltung hat starken Einfluss auf den kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Sie greift über die Optimierung
von technischen Regeln, Qualitätsvorgaben, Dokumentationen
usw. bereits in die Planung von technischen Anlagen ein (Abbildung 4). Somit ist eine regelmäßige Überprüfung und gege-
KA Korrespondenz Abwasser, Abfall · 2012 (59) · Nr. 7
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benenfalls Aktualisierung der RCM-Analysen zwingend erforderlich, um veränderte betriebliche Anforderungen bei den
Maßnahmen zu berücksichtigen und so langfristig einen optimalen Anlagenbetrieb zu gewährleisten. Diese Revisionen der
RCM-Analysen sind mit einem minimalen Aufwand durchführbar und stehen vom Umfang her in keinem Vergleich zur ErstAnalyse.
Literatur
[1]
SAE (Society of Automotive Engineers) JA 1011/1012: Evaluation
Criteria for Reliability-Centered Maintenance (RCM) Processes,
2009, (Beurteilungskriterien für Reliability-centered Maintenance
(RCM) Prozesse),
[2]
J. Moubray: RCM – Die Hohe Schule der Zuverlässigkeit von Produkten und Systemen, mi, Verlag moderne Industrie, Landsberg, 1996
[3]
H.-J.Taag: Reliability-Centred Maintenance, VGB Kraftwerkstechnik
12/1999, 77–81
[4]
A. Hermans: Umsetzung der RCM-Methodik im Projekt bei Emschergenossenschaft/Lippeverband, Praxis-Tag Instandhaltung „Risikoorientierte Instandhaltung in der Abwassertechnik“, Lünen, 2010
[5]
A. Kraft, W. Preiß: „Reliability-Centered Maintenance“ at Emschergenossenschaft and Lippeverband, International Water Association
4th Leading-Edge Conference on Strategic Asset Management, Mülheim, 2011
[6]
A. Najelski: Welchen Nutzen bringt der RCM-Ansatz einem Abwasserverband?, Norddeutsche Instandhaltungstage, Bremen, 2011
[7]
J. Kordus: Umsetzung der Ergebnisse in SAP-PM, Praxis-Tag Instandhaltung „Risikoorientierte Instandhaltung in der Abwassertechnik“,
Lünen, 2010
[8]
A. Kraft: Instandhaltungsplanung bei Emschergenossenschaft/Lippeverband, Praxis-Tag Instandhaltung „Risikoorientierte Instandhaltung in der Abwassertechnik, Lünen, 2010
[9]
W. Preiß: Ergebnisse der RCM-Analysen, Praxis-Tag Instandhaltung
„Risikoorientierte Instandhaltung in der Abwassertechnik“, Lünen,
2010
[10] W. Preiß et.al.: Instandhaltung von Kläranlagen, DWA-Themen, Hennef, 2009
[11] W. Preiß: Ziele der Emschergenossenschaft/Lippeverband für Wartung und Inspektion; Praxis-Tag Instandhaltung „Risikoorientierte
Instandhaltung in der Abwassertechnik“, Lünen, 2010
[12] H.-J.Taag: Grundlagen von RCM Reliability-centered Maintenance,
Praxis-Tag Instandhaltung „Risikoorientierte Instandhaltung in der
Abwassertechnik“, Lünen, 2010
Autoren
Dr. Angelika Kraft, Dipl.-Ing. Wolfgang Preiß
Emschergenossenschaft/Lippeverband
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Dipl.-Ing. Deetje Wiese, Dipl.-Ing. Andreas Najelski
Emscher Gesellschaft für Wassertechnik mbH
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MSC Maintenance Strategy Consult GmbH
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