Cidade de Deus
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Cidade de Deus
Dienstag, 27. April 2004, 20:00 Uhr, Bar offen ab 19:40 Uhr Singsaal Schulhaus Feld, Tödistrasse 77, 8800 Thalwil Cidade de Deus Stadt Gottes Regie Drehbuch Kamera DarstellerInnen Musik Version Spieldauer Altersempfehlung Fernando Meirelles & Kátia Lund, Brasilien 2002 Bráulio Mantovani, nach dem gleichnamigen Roman von Paulo Lins César Charlone Matheus Nachtergaele, Alexandre Rodrigues, Seu Jorge Antonoi Pinto, Ed Cortes Originalversion, deutsch untertitelt 135 Minuten Ab 16 Jahren CIDADE DE DEUS basiert auf dem gleichnamigen, fast 600-seitigen autobiographischen Roman von Paulo Lins, einem der bedeutendsten Vertreter der brasilianischen Gegenwartsliteratur, der in der real existierenden Favela 'Cidade de Deus' aufwuchs. Diese "Stadt Gottes", wie der berüchtigte Slum in einem Aussenquartier von Rio de Janeiro unpassenderweise heisst, ist Ende der fünfziger Jahre von der Regierung mit besten Absichten als propere Barackensiedlung errichtet worden. Heute leben in diesem Hüttengewirr mehrere zehntausend Menschen, und längst gehört dort zum Alltagsbild, dass achtjährige Knaben – bewaffnet und schiessbereit – Drogen verkaufen. Tatsächlich ist gerade diese Favela ein dermassen gefährliches Pflaster, dass der Film – der so authentisch wie möglich gestaltet werden sollte – in einem anderen Elendsquartier, 'Cidade Alta', gedreht werden musste, und auch dies nur mit der ausdrücklichen Duldung der örtlichen Drogenbarone. Eben deren Heranwachsen und deren 'Geschichte' ums Überleben in einem durch Sadismus und Brutalität geprägten Umfeld wird hier erzählt. Eine Bande Halbwüchsiger überfällt ein Stundenhotel. Dadhino, der Kleinste, wird dazu verdonnert, Schmiere zu stehen, obwohl er es war, der den Plan ausgeheckt hatte. Wütend schnappt der knapp Zehnjährige seinen Revolver, stürmt die Absteige und knallt hysterisch lachend wahllos Liebespärchen ab. Solche Szenen erschüttern den abgebrühtesten Kinogänger. Dass ein Menschenleben in den Elendsvierteln so mancher Grossstädte dieser Welt nichts zählt, ist nachgerade bekannt. Dies jedoch mit den Augen eines Kindes zu sehen, das in dieser brasilianischen Favela vom Dieb zum psychopatischen Killer 'mutiert', ist etwas anderes – zumal die Bilder perfekt inszeniert, mit allen filmtechnischen Kniffen und mit bewundernswerter Finesse versehen sowie mit einem superben Gefühl von Rhythmus getragen sind. Aus der Perspektive von Dadhino, der auf Gewalt setzt und derjenigen des etwa gleichaltrigen Buscapé (der Ich-Erzähler im Film), der davon träumt, Fotograf zu werden, schildert Meirelles beinahe drei Jahrzehnte Elend, Drogenhandel, Korruption und Bandenkriege in Rio de Janeiro: die sechziger Jahre, in denen Meirelles die Unschuld der Jugend mit Samba-Klängen unterlegt; die Siebziger, als die Kleinkriminellen in den Marihuana-Handel einsteigen und der Samba von Pop und Funk abgelöst wird; die Achtziger, als Kokain das Haschisch verdrängt und die endlosen, von beklemmenden Gewaltexzessen begleiteten Bandenkriege beginnen. Meirelles hat für jedes Jahrzehnt einen eigenen Rhythmus, ein eigenes Tempo gefunden: Die Sechziger drehte er vom Stativ mit Kamerafahrten und traditionellen Einstellungen, die Siebziger sind bunter, die Schnitte härter, die Kamera ist beweglicher; die Achtziger schliesslich, unterlegt mit Hard Rock und Heavy Metal, verstören durch falsche Übergänge, unruhige und unscharfe Bilder. "Am Anfang gibt es noch Perspektiven", sagt Meirelles, "der Horizont ist sichtbar". Je länger der Film dauert, desto grösser werden die Brennweiten der Weitwinkel-Objektive. "Die Zuschauer haben beinahe den Eindruck, als würde die Filmcrew die Kontrolle über die Geschichte verlieren. Aber genau dies ist der Punkt. Es geht darum, die Kontrolle zu verlieren." erklärt Meirelles, der gerade auch mit diesen Stilmitteln der brasilianischen Mittelschicht eine Realität nahe bringen wollte, vor der sie seit Ewigkeiten die Augen verschloss. "Wir haben einen Grossteil unserer Gesellschaft dem Elend überantwortet und sind jetzt schockiert, wenn uns die Gewalt heimsucht." So sehr Meirelles mit unterschiedlichsten Stilmitteln arbeitet, gelingt ihm doch ein Werk wie aus einem Guss. Von stupender Rasanz geprägt und wohl kaum je übertroffen in ihrer Symbolik ist die Eröffnungssequenz. Zu treibendem Samba- Rhythmus blitzen in rasender Schnittfolge Bilder von gewetzten Messern auf, die dann in die atemlose Verfolgungsjagd eines Huhns münden, bis sich das gehetzte Tier unversehens zwischen den Fronten von Polizei und verfeindeten Gangs befindet. Erst zwei Stunden später greift der Film die abrupt abgebrochene Sequenz gekonnt wieder auf und hebt zum blutigen Finale an. Wenn man diesem meisterlichen und packenden Film überhaupt etwas zum Vorwurf machen kann, dann allenfalls, dass man vor lauter Hingerissenheit und einiger präziser Künstlichkeit kaum dazu kommt, auch noch angemessen erschüttert zu sein über diese sinnlose 'Lebensverachtungs- und -vernichtungsmaschine', als die sich die 'Cidade de Deus' erweist. Verena Biedermann