China - Die unendliche Geschichte, Teil 2

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China - Die unendliche Geschichte, Teil 2
China - Die unendliche Geschichte, Teil 2
Text: Monthy
Bilder: China
Die Nachricht von der erneuten Wiedervereinigung Chinas löste in manch einem Fan von Schweizer
Hardrock eine gewisse Hektik aus. Ticket bestellen, einen Trip nach Winterthur organisieren, eventuell gar
eine Übernachtungsmöglichkeit sicherstellen. Aus dem Tessin oder aus dem Welschland pilgerten Fans des
frühen 90er Jahre Kults ans Spirit of Rock 2007 in die Eulachhalle – und liefen in eine Wand! Nicht anders
erging es mir. Türöffnung 15.30, Konzert 16.30 Uhr – doch als ich um zwanzig nach vier die Halle betrat,
hörte ich gerade noch "Thank you Good bye" und die letzten Töne des Gigs, auf den ich sozusagen seit
1992 hingefiebert hatte. Dass ich damals ein bisschen zu jung war und danach im Jahre 2000 die
Möglichkeit verpasst habe, als sich China mit seinen drei Sängern schon einmal wieder vereinigt hatte, ist
mein eigenes Problem. Im ersten Moment in der Eulachhalle aber, beginne ich, an einen Fluch zu glauben,
der mir das Live-Erlebnis China ganz einfach nicht gönnen mag…
Im Gespräch mit Gitarrist Claudio Matteo nach der Show, die für viele gar keine war, bin ich deshalb erstmal
genötigt zu fragen, wie denn der Gig überhaupt war? Claudio: "Der Gig war geil. Wir haben ziemlich
abgedrückt und die Leute haben uns gut akzeptiert. Da standen doch ziemliche 'Heavy' Typen vor der
Bühne und mich dünkte, dass es denen gefallen hat." Angesprochen auf die Vorverschiebung des Gigs um
45 Minuten findet Claudio dann deutliche Worte: "Das ist ganz einfach jenseits… Es scheisst mich auch
richtig an. Als ich vorher kurz draussen war, haben mich haufenweise Leute angekickt: 'He, was soll das? –
ich komm rein und die Show ist fertig…' Als Band sind wir aber in dieser Hinsicht machtlos, der Veranstalter
hat uns einen Tag vor dem Event um dreiviertel Stunden vorgezogen, weil sie um 23 Uhr aus polizeilichen
Gründen Schluss machen müssen. Wir hatten dann noch genau einen Tag Zeit, um das zu kommunizieren
und wie willst du das machen? Ich weiss ja nur von denen, die mir ein eMail geschrieben haben, dass sie
dann am Konzert seien… Als ich die Nachricht gesehen hatte, dass wir um Giglänge vorverschoben werden,
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dachte ich erst, es werde gar keine Leute haben. Aber der Aufmarsch war dann trotz allem bertächtlich."
Aus Sicht von Band und Fans ist es trotzdem sehr ärgerlich, dass sich Veranstalter und Stadt Winterthur
offensichtlich falsch verstanden haben. Denn wie wäre es sonst zu erklären, dass man von einer
lärmpolizeilichen Massnahme erst so kurzfristig erfährt? Claudio und ich beschliessen, das Thema mit der
Feststellung, dass man dies eigentlich viel früher hätte wissen müssen, stehen zu lassen. Die
Stellungnahmen von Free & Virgin und der Stadt Winterthur folgen in einem separaten Artikel. China kann
natürlich von sich aus keine Wiedergutmachung anbieten – stehen doch jedenfalls andere in dieser Pflicht.
Auf meine Frage, was man denn für diese geprellten Fans tun könne, meint Claudio: "Auf
Myspace.com/Chinamusic sind die Daten unserer Auftritte publiziert. Dort kann man sich informieren. Wir
spielen übers ganze Jahr noch einige Konzerte. Dies hier war eh nur ein 40-Minuten-Set. Jetzt stocken wir
auf eine Stunde auf. Die nächste Show ist am 6. Juli in Bern, wenn's mir recht ist…"
Damit wenden wir uns definitiv China zu, einer Band, die sich regelrecht damit brüstet, den grössten
Verschleiss an Sängern überhaupt zu haben. Nebst dem jetzigen Shouter Eric St. Michaels sangen auch
schon Marc Storace, Patrick Mason und Math Shiverow für China. Gitarrist Matteo rechtfertigt sich und
seine Mitmusiker: "Ich will die Geschichte mit den Sängern gar nicht wieder aufrollen. Wir hatten einen
enormen Verschleiss, ja. Es lag aber jedenfalls nicht an der Band. Eigentlich ist es ja der Tod für eine Band,
in vier Alben ebensoviele Sänger zu verbrauchen. Was wir jetzt machen, ist einfach zum Plausch. Wir
machen uns keine Illusionen mehr. Als Eric aus Amerika zurück kam und sich hier niederliess, heiratete und
auch anfing, hier Shows zu spielen, war es fast logisch, ihn als Sänger zu holen, als verschiedene
Veranstalter bei uns anfragten. Ohne diese Anfragen, hätte es die Reunion übrigens gar nicht gegeben. Als
ich für Silvester im Alpenrock eine Anfrage erhielt, eine Band zusammen zu stellen, um ein paar Hits zu
spielen, holte ich schon Eric St. Michaels. Nicht wegen China sondern als guten Kollegen. Auch Giovanni
Federico war da schon dabei. Als dann Spirit of Rock und weitere Veranstalter bei China anklopften, stellten
wir fest, dass eigentlich nur noch Brian Kofmehl fehlt. Er war begeistert. Freddy ist ja eh bei Gotthard und
einen zweiten Gitarristen wollen wir im Moment gar nicht – die Band stand also."
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Schön zu hören, dass China also nicht extra immer wieder den Sänger auswechselten. Vielleicht wäre die
Geschichte sonst eine ganz andere. Nichtsdestotrotz entstand um China ein regelrechter Kult, der dem
Namen auch bald fünfzehn Jahre nach dem Ende der Band einen ganz besonderen Klang verleiht. Obwohl es
also dem Kult nichts anhaben konnte, findet Claudio aber wenig gutes an den ewigen Wechseln am
Mikrofon: "Grundsätzlich ist es schlecht, weil der Gesang das Aushängeschild einer Band ist. Du kannst
schon auch als Band legendär werden oder auf einer anderen Position, beispielsweise wie Tommy Lee als
Drummer bei Mötley Crüe. Aber wir Schweizer sind tendenziell nicht so crazy wie diese Kalifornier und
deshalb ist das ziemlich schwierig. In der Schweiz musst du es über den Frontmann machen. Gute
Gitarristen und Drummer gibt es bei uns haufenweise, nicht aber gute Stimmen…" Wie bereits angetönt gab
es schon einmal eine China-Reunion, damals aber eher spontan. Claudio: "Damals waren drei unserer
ehemaligen Sänger in der Schweiz und wir dachten uns, wenn wir schon so viele hatten, dann könnten wir
uns ja für ein paar Gigs mit allen wieder zusammen tun. Wir haben unsere alten Songs gespielt, sind aber
ohne Ambitionen angetreten. Jeder hatte eigene Projekte am Laufen und gar kein richtiges Interesse mehr.
Das war also wirklich nur eine Tour. Jetzt sind wir aber zusammen gekommen, um die nächsten Jahre wieder
Gas zu geben. Auftritte, neue Songs, nächstes Jahr eventuell ein neues Album… Wir wollen natürlich auch
die alten Songs spielen, aber wir leben nicht mehr in der Vergangenheit. Wir wollen den Geist verwirklichen,
der uns jetzt gepackt hat. Neue Songs geben Kraft und sie live zu präsentieren, ist das geilste überhaupt."
Und da Rock momentan wieder im Kommen ist, können China eigentlich fast genau dort weitermachen, wo
sie Mitte der 90er aufgehört hatten, oder Claudio? – "Genau. Das war auch eine Überlegung. Ich bin ja auch
als Veranstalter tätig und erhalte immer wieder Anfragen für diese 'alten' Bands, vor allem auch die
Amerikaner – Cinderella, Tesla…" Eigentlich erstaunlich, dass nebst all den Grossen auch der Name China in
Erinnerung blieb. Claudio: "Wir sind in einem so kleinen Gebiet... Die Geschichte von China ist in einem
Umkreis von etwa 300 Kilometern bekannt, plus ein bisschen Deutschland. Da habe ich mich auch schon
gefragt – was soll das Theater? Nun ist es aber für uns kein Müssen mehr, sondern es funkt einfach. Und
so muss es sein." Etwa zu der Zeit, als China abtraten, herrschte eine tiefe Depression im Schweizer Rock –
Krokus hatte sich aufgelöst und Gotthard machten ihre balladeske Phase durch. Heute sind China hinter den
Genannten und Shakra der vierte Schweizer Hardrock-Act mit Perspektive. "Es hat wirklich recht viele
Rockbands aus der Schweiz. Dazu komen auch die jüngeren Bands, die ein wenig im Clinch mit dem
traditionellen Rock'n'Roll stehen. Wie gestern bei Papa Roach und Mötley Crüe treffen da zwei Welten
aufeinander. Und die beeinflussen sich nun gegenseitig, was sehr gut ist", erklärt mir Claudio die neue
Weltordnung des Rock und provoziert damit gleich die Frage wieviel alte und wieviel neue Welt in China's
neuen Songs steckt? – "Wir wissen, dass wir beim Songwriting Gas geben müssen. Heute muss ein Song
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einfach knallen. Heute würde es schwierig mit einem Song wie 'Sign in the sky', der halt eher eine Ballade
ist. Damals waren wir mehr auf dem Def Leppard- und Foreigner-Trip. Wirklich gute Songs zu schreiben.
Heute musst du brutal abdrücken. Die Kids wollen nur noch Vollgas. Hardrock ist heute – abgesehen
vielleicht von Bon Jovi – viel härter als in den 80er Jahren!" China hat keine Mühe, sich dem zu unterwefen
– ganz im Gegenteil. Claudio: "Ich finde es eben noch geil, dass wir ein bisschen mehr drücken dürfen. Jetzt
wo ich alleine an der Gitarre bin sowieso - da kann ich voll in die Saiten greifen. Für mich ist es fast ein
bisschen Ausgleich zu den akustischen Sachen, die ich nebenher mit Marc Storace bei 'Accoustical
Mountain' mache." Und damit hätte er mich noch einmal gluschtiger gemacht auf die neuen China, die ich
aber – Neverending Story… - wieder nicht live sehen durfte. Was nicht war, wird aber definitiv noch
werden…
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Myspace.com/Chinamusic
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