Interview mit Andreas Haderlein
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Interview mit Andreas Haderlein
I n t e r v i e w Sales-Design Treffpunkt Verkaufsraum! Andreas Haderlein ist neben seiner Referenten- und Autorentätigkeit mit den Schwerpunkten Neue Medien, E-Commerce, Handel und sozialer Wandel seit April 2008 Leiter der Zukunftsakademie. Die Redaktion „POS-Ladenbau“ sprach mit ihm über seine aktuelle Studie „Sales Design: Vom Point-of-Sale zum Point-of-Interest“. W ie würden Sie die Grundessenz der Sales Design Studie zusammenfassen? ein Workbook, das Methoden und Ansätze liefert, den Wandel vom Point-of-Sale zum Point-of-Interest selbst mitzugestalten. Die vergangenen Jahre waren geprägt von einem scheinbar unaufhaltsamen Eroberungsfeldzug des Internets und des E-Commerce. Darüber hinaus zeigen uns die Warenhaus-Krise und immer mehr Städte ohne eigenständigen Einzelhandelscharakter mit verödenden Straßenzügen, dass Flächenproduktivität, Personalefizienz und Vertikalisierung nicht die alleinigen Wachstumshebel im Handel der Zukunft und bei der Stärkung des Standorts sein können. Nimmt der stationäre Handel den Kampf gegen das E-Commerce und gegen den gnadenlos günstigen Discount über den Preis auf, kann er nur verlieren. Er kann nur dann seine Stärken ausspielen, wenn er sich auf seine ureigensten Wurzeln besinnt: Beratung, Individualität, Erreichbarkeit, Treffpunktcharakter und – letzten Endes – Verführungskunst. In der Studie „Sales Design“ wollen wir Händlern und Shop-Betreibern, aber auch Trendchancen offen legen und Anhaltspunkte liefern, wie sie ihr Geschäftsfeld entlang inspirierender Best-Practice-Beispiele neu justieren und ihre Kunden überraschen können. „Sales Design“ ist, wenn Sie so wollen, auch Sie sprechen in Ihrer Studie vom Ende der „Geiz-ist-geil-Ära“ und der Entstehung einer neuen Mitte in der Konsumlandschaft. Kann der Preis trotz Wirtschaftskrise durch Beratung, Individualität und Verführungskunst übertrumpft werden? Sales Design: Vom Point-of-Sale zum Point-of-Interest Andreas Haderlein November 2009 124 Seiten, 20 Abbildungen ISBN: 978-3-938284-48-3 30 POS-Ladenbau n 2 • 2010 Aber sicher doch. Wir sehen es unter anderem an den Trading-up-Tendenzen im Discountbereich – sei es der Lebensmitteleinzelhandel oder die Bekleidungsbranche. Man erkennt zunehmend, dass das Billigheimer-Image nach der Geiz-ist-geil-Welle eine Politur vonnöten hat. Die Politur wird gewiss von Fall zu Fall mit unterschiedlichen Werkzeugen ausgeführt: Der eine sorgt für eine erhebliche Niveau-Steigerung am Pointof-Sale durch gehobene Ausstattung und ausgefeilte Ladendramaturgie. Der andere nennt sich schlicht und ergreifend „Qualitätsdiscounter“ und kommt als bunte RetailBank daher. Auch eine prosperierende Hotelkette wie „Motel One“ ist alles andere als eine „Billigabsteige“. Wir bezeichnen diese neue Mitte als „Smart Basic“-Anbieter, die zwar günstig, aber lange noch nicht „billig“ daher kommen. Sie haben erkannt, dass der Konsument zunehmend Mehrwert jenseits des Schnäppchens verlangt: Stress-Reduktion, Sinn, ansprechendes Interieur und eine nachfrageorientierte Antwort der Händler auf gefüllte Schubladen, überladene Regale und vollgestopfte Keller. Denn Marktsättigung ist nicht die Folge der Wirtschaftskrise, sondern mitunter eine ihrer Ursachen. Warum steht die Marktpolarisierung von Luxus und Discount vor dem Ende? Kennzeichnend für die letzte Boom-Phase des 20. Jahrhunderts war nun einmal die Polarisierung der Märkte. Die Konsumenten lüchteten in Extreme: in einen immer absurderen Luxus-Sektor, in dem das Verlangen nach Status-Konsum das dringendste Kaufargument war. Auf der anderen Seite entwickelte sich ein Billig-Trash-Discount-Sektor, in dem nur der Preis und das Schnäppchen zählte. Obendrein tummelte sich der hybride Konsument in beiden Welten. Das vermeintliche Wirrwarr der Konsumbedürfnisse verkörperte der paradoxe Aldi-Prada-Shopper. Die Mitte ist noch heute die Leidtragende dieser Entwicklung. Nach Berechnungen von BBE Retail Experts schrumpfte das mittlere Marktsegment von 1992 bis 2007 um rund 20 Prozentpunkte von 67,1 Prozent auf 46,9 Prozent Anteil am Einzelhandelsgesamtumsatz. Gut 36 Prozent werden nach diesen Berechnungen heute im Discount und Pseudo-Discount (Saturn, Ikea, H&M etc.) umgesetzt. Die erhöhte Mobilität der Konsumenten, der Bedarf an „Zeitluxus“ und gewiss auch der demographische Wandel befördern nun aber auch Convenience-Store- und neue Nahversorgungskonzepte, die naturgemäß nicht auf der grünen Wiese oder in einer sündhaft teuren Immobilie an der Einkaufsmeile ihren Platz inden. Ebenso erkennen wir eine zunehmende Sensibilität des Handels bei ökosozialen Fragen, die sich sowohl im Produktsortiment, aber auch in der Personalpolitik und im Gebäudemanagement wiederinden. Hinzu kommt: Übersättigte Märkte, die Austauschbarkeit von Produkten und Marken sowie die zunehmende Konsumresistenz haben dazu geführt, dass Verkaufstechniken – ob am Ladentisch oder im Internet – geprägt sind von aggressiven, preisgetriebenen Verkaufsphilosophien. Zwangsläuig blieben kreative und überraschende Verkaufsmethoden außen vor. Die zahlreichen Concept Stores haben hier im positiven Sinne Pionierarbeit geleistet und Alternativen aufgezeigt. Deshalb betrachten wir in der Studie den Verkaufsprozess als trendgetriebenes Unterfangen, das einer neuen Dramaturgie unterworfen ist. Eine entscheidende Rolle spielt auch hier das In- ternet, weniger aber als Distributions- als als Kommunikationskanal. Und auch in Sachen Mitarbeiterschulung und Innovationsarbeit im Unternehmen haben wir neue Methoden ausindig gemacht, die den Einkauf am Point-of-Sale für Kunden attraktiver gestalten. Welchen Trend im Einzelhandel sehen Sie als am stärksten ausgeprägt an bzw. welcher Trend hat das meiste Potenzial? In erster Linie ist es die Tatsache, dass Kunden, die heute einen Laden betreten, meist besser über Produkte und Preise informiert sind als der Verkäufer selbst. Zumindest oberlächlich betrachtet. Ähnlich geht es heute auch Ärzten oder Lehrern, die alle damit zurecht kommen müssen, dass Patienten und Schüler das Internet nutzen, um sich zu informieren, aber auch um sich zu vernetzen und auszutauschen. Deshalb ändert sich auch die Aufgabe des Händlers hin zum Moderator dieser Kundengespräche. Hinzu kommt, dass immer mehr digitale Prothesen den Handel vor neue Herausforderungen stellen. Denken Sie zum Beispiel an lokale Suchmaschinen, die Bewertungen von Shops einem weltweiten Publikum, aber vor allem der Nachbarschaft im Bezirk zur Verfügung stellen und Einkaufen transparenter machen. Aber auch mobile, über Barcode-Scan laufende Preisvergleichsanwendungen für das Handy sind hier zu nennen. Sie werden die Art und Weise des Einkaufens künftig stark prägen. Und genau hier liegen auch die Chancen des stationären Handels. Es gilt, das Internet mit den eigenen Waffen zu schlagen. Nicht ohne Grund wurden bereits Twitter-Adressen auf Ladenschilder entdeckt. Und sehr erfolg- reich verführt die französische Supermarktkette Leclerc Kunden zum Kaufabschluss über das Internet, aber zur Abholung an der Pickup-Area am Standort. Eine kreative Geschäftsidee setzt neben den betriebswirtschaftlichen Grundlagen auch ein gewisses Maß an Mut voraus. Wie würden Sie einen Einzelhändler davon überzeugen, dass sich dieser Mut zur Individualität, zu außergewöhnlichem Marketing und einem ungewöhnlichen Sortiment lohnt? Zunächst einmal muss man ihm die neue Rolle des Händlers im Zeitalter des internetgetriebenen Handels deutlicher machen: Er ist nämlich künftig auch Produzent von Lebensgefühlen, Moderator von Kundenbedürfnissen, Agent der Kunden, Künstler der Kommunikation und geschickter Logistiker in einem. Nicht nur sein kaufmännisches Vermögen entscheidet also in Zukunft über seinen Erfolg, sondern sein Weltwissen, seine Sensibilität dem Kunden und seinen wandelnden Bedürfnissen gegenüber. Die vorrangigste Aufgabe liegt darin, jenseits des Ausstellens und Bewachens von Waren das Wundern und Staunen zurück zum Handel zu bringen. Dazu haben wir im dritten Kapitel der Studie Schlüsselstrategien formuliert. Könnte die neue Mitte die Auferstehung des Tante Emma Ladens in zeitgemäßer Form bedeuten? Neue Formen von Nachbarschaftsläden bereichern ja schon jetzt den Einzelhandel und die Nahversorgung. In Paris erwachte der Retail-Trend vor einigen Jahren zuerst. Denn kleine Händler waren aus dem Markt getrieben. Konsumenten mussten weite Wege in die Peripherie zurücklegen. Die geliebte Boulangerie an der Ecke war verschwunden. Auch die wohl sortierte Fromagerie, der Käsehändler in der nächsten Gasse, oder der freundliche Metzger mit dem leckeren Schinken, der nur dort zu bekommen war. Auf einmal aber war er wieder da, der Laden an der Ecke, und rettet seitdem jüngere und ältere Städter aus der Mobilitätsfalle. Ein neues Mikrosegment sorgt nun für Belebung in der Innenstadt. Diese neuen Convenience-Shops, die auch hierzulande immer stärker Fuß fassen, sind meist eine gelungene Mischung aus Sandwich- und Salatbar, die irgendwo zwischen Tante Emma, Schnell-Restaurant, Supermarkt und Kiosk liegt. Die Kundschaft rekrutiert sich aus eiligen Shoppern auf dem Weg zwischen Arbeit und Zuhause, älteren Bewohnern, Touristen sowie Menschen mit langen und späten Arbeitszeiten. Entscheidend bei diesen Retail-Konzepten ist natürlich auch der Preis. Der allerdings liegt weit über dem Discount. Viel wichtiger ist hier die Aufwertung des Treffpunktcharakters. Die Quintessenz aus dieser Trendentwicklung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Verkaufslächen werden immer mehr zu „Third Places“, zu hybriden Orten irgendwo zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, auf dem Weg zwischen Zuhause und Arbeitsort. Genau hier setzen innovative Ladenkonzepte an. Hat der Concept Store bisher vor allem die Grenze zwischen Boutique, Warenhaus und Galerie aufgebrochen, werden in Zukunft Verkaufsräume und Stores noch stärker die Schnittstelle von Treffpunkt und Einzelhandel, Socializing und Verkauf, Community und Marke sein. Starre Öffnungszeiten sind in diesen Läden tabu. n Anzeige DIE MANUFAKTUR FÜR GEÖLTE NATUR-HOLZ-BÖDEN Hain Parkett · D-83543 Rott a. Inn · Tel: 0 80 39/4 04-0 · www.hain.de POS-Ladenbau n 2 • 2010 31