Promenade durch`s queer-feministische Berlin
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Promenade durch`s queer-feministische Berlin
. . . . . . . . . . . R e i s REISEFÜHRER_IN Promenade queer-feministische e f ü h r e r _ i n Ich erinnere mich gut an Budapest. Dort Begriff, als in Damenklubs und Herrenbars Mannes, der gerade Europas Hauptstädte Magnus Hirschfeld, Anita Berber oder Mar- machte ich die Bekanntschaft eines jungen bereiste und sehr ins Schwärmen geriet, bis das Thema auf Berlin fiel. Das, also wirklich, sei der einzige Ort in Europa, wo er sicher nicht hinfahren würde – da gäbe es so viele Homos… Darauf hin empfahl ich ihm eine Reise nach Köln [was er nicht wissen konnte – die angeblich 68 schwulste Stadt Deutschlands] und unsere Bekanntschaft hatte ein jähes Ende gefun- den. In mir aber hatte diese kurze UnR e i s e f ü h r e r _ i n . . . . . . . . . . . . . . . terhaltung eine unstillbare Neugier auf die Berliner „Szene” geweckt. Und zu ent- decken gibt es viel und immer wieder Neues, denn das einzig Beständige an Berlin ist die Unbeständigkeit. Heute noch ist ein Café wie das Silverfuture die Vor- botin der Gentrifizierung Neuköllns und übermorgen, wenn alle Yuppies und Studie- rende dann in Neukölln wohnen, zieht die Szene wohl weiter – vielleicht nach Lichtenberg oder Pankow? Wer weiß das schon. Now and then Doch beginnen wir diesen Spaziergang mit einem kurzen historischen Abriss: Die Geschichte der Stadt ohne Zentrum spiegelt sich wie so Vieles in Berlin in der queer-feministischen und Homoszene. Lange vor dem 20. Jahrhundert, aber besonders in diesem, zeigt sich der ständige Wandel. Wem ist denn das verruchte Berlin der 1910er und 20er Jahre kein die Post abging, als Berühmtheiten wie lene Dietrich die Stadt bevölkerten? Der nationalsozialistische Terror brachte Vieles, was Berlin so anziehend gemacht hatte, zum Erliegen und hat bis heute unfüllbare Leerstellen hinterlassen. Was nach dem Krieg kam, war die Biederkeit der 50er Jahre, die erst mit dem weltweiten Aufbegehren der 60ern gebrochen wurde und in West-Berlin zum Erblühen vielfältiger lesbischer tiven führte. und schwuler Initia- Von einem Erblühen der Szene in Ost-Berlin kann zeitgleich nicht die Rede sein. Auch wenn Homosexualität in der DDR nicht verboten war, so wurden Homosexuelle vom Ministerium der Staatssicherheit arg- wöhnisch beäugt und Aktivist_innen nicht selten ausspioniert. Noch 1987 erschien zudem ein populärwissenschaftliches Buch von Reiner Werner in der DDR, in dem dieser die feministisch-lesbische Bewegung als bürgerliches Produkt diskreditierte. Für die Ost-Berliner Lesbenszene nennt Stefanie Krautz drei Beispiele, die in sehr unterschiedlichen „Sphären” angesiedelt waren: Die Homosexuelle-Selbsthilfe – Lesben in der Kirche bei der Gethsemane-Gemeinde; die Arbeitsgemeinschaft Courage, die an den Verband der Freidenker angeschlossen war; und der Sonntags- Club Berlin, ein Zusammenschluss Homo- sexueller mit der längsten Traditionslinie durchs lesbischBerlin von Jule Fischer . . . . . . . . . . . R e i s e f in der DDR, den es übrigens noch heute Häuser nicht mehr und auch der letzte älteste Gay-Bar findet sich im Prenzlau- Jahren geschlossen. Wo sind all die Les- gibt (vgl. Krautz 2009: 9f). Und auch die er Berg, einem Stadtteil von Ost-Berlin – die Schoppenbude, die seit 1923 mit Schlagern die Tanzfläche füllt. Völlig anders war die Sichtbarkeit lesbischen West-Berlin 80er Jahre. der Im Lebens 1970er alten im Frauenbuchladen Lilith hat bereits vor ben hin in Schöneberg? ü h r e r _ i n und West- berlin war und ist es tradi- tionell der Bezirk Schöneberg, 69 der seit Beginn des 20. Jahr- hunderts als schwul-lesbisches Zentrum galt. Und noch heute findet sich eine lebendige Sze- R die berühmt-berüchtigte Motz- i ne in der „Gayborhood”, rund um straße, die Namensgeberin des jährlichen Motzstraßenfests ist. Legendär in der Lesben- e s e f szene, die in den 1970er und ü Cafés und Kneipen hatte, waren r viele h - wie mir Hanna Hacker verriet e die Begine und die Institution _ und einem Versuch, das Lokal n . . . . . . . . . . . . . . 80er Jahren unendlich - das Pelze oder das Orlando, Pour Elle, die nach Schließung auch für Schwule zu öffnen, nun erneut geschlossen ist. Drei lesbisch einzuordnende besetzte Häuser hat es in West-Berlin gegeben und ebenso viele Frau- enbuchläden. Heute sind diese r i Berlin heute Weißen verlieren bei all den LGBTIQ1-Läden, die zieht. Am S-Bahnhof Sonnenallee ausge- Mensch kann schon leicht den Überblick Mehrheitsgesellschaft und jenen homo-nationaler Kreise durch die Straßen fotos: She-trigger R e i s e f ü h r e r _ i n . . . . . . . . . . . . . . . Berlin gerade beherbergt. So will ich stiegen, schwenken wir links in eine be- die Orte besuchen, die mir nah sind, die zu finden und unter den 20 neuen Läden das auf diesem Stadtspaziergang besonders queer-feministisch sind. Dafür muss Vieles ausgespart bleiben, das nicht in den Kiezen untergekommen ist, die ich bewoh- ne, wenn ich in Berlin bin. Dafür gibt es aber angehängt eine lange Adressenliste, die diesen Makel wettzumachen sucht. Begeben wir uns zunächst nach Kreuzkölln, wie die Borderlands zwischen den Bezirken Kreuzberg und Neukölln genannt werden. Viele linke Projekte aller Art finden sich hier und selbstverständlich auch Queer- Feministisches, wie der faq-Infoladen, in dem jeden dritten Mittwoch im Monat die liebige Seitenstraße, um die Weserstraße queer-glitterige Silverfuture zu finden. Das Bier ist billig und schicke Glitzerkleider und Nagellacke zur Verwandlung gibt’s auch. Wenn’s dort aber mal wieder zu voll ist – weil’s so toll ist ;) –, dann spazieren wir weiter auf der Weser- straße bis wir rechts um die Ecke das Tristeza entdecken, aus der Trash’n Roll herausschallt oder in dem auch entspannt Wunschfilme zusammen beguckt und besprochen werden. Sollte jedoch Montag sein – dann bin ich unflexibel in der Abendgestaltung: dann gehen wir in die Flittchenbar! Neben Wilde Berta zum frauenlesbentrans*only- queerer Arabeske, dem schwulen Erntefest geniale CSD2, der gegen den Rassismus der die Flittchenbar im Südblock im Flachbau Tresen einlädt oder im Sommer der Trans1 LGBTIQ = LesbianGayBiTransInterQueer 2 der Transgeniale Christopher-Street-Day ist das antirassistische und antikapitalisti- und der Kiezdisco Kottywood, hat sich sche Pendent zum leider sehr kommerzialisierten und inhaltsleeren CSD (Christopher-Street-Day). schon zu einer Legende entwickelt. Da entspannt betrachten. Doch nun ab nach Ost- gequizzt Leben angesiedelt hat. Den Weg über die spielen Nachwuchsmusiker_innen, es wird selbst bei schon Christiane so Rösinger, wunderbare die Liedtexte, wie folgenden ausgespuckt hat: „Wenn die Öko-Eltern sich zum Brunchen treffen/ Und die Arschlochkinder durch die Cafés kläffen/ Wenn der Service hinkt und nach Ba- bykotze stinkt/ Ja, dann sind wir wieder in Berlin.” Weniger nach Babykotze, denn nach Bordsteinalk stinkt manchmal das unumgängliche Möbel Olfe am Kotti3, wo polnisches Bier durch die Nacht beglei- tet. Und diese queere Kneipe hat noch was berlin, wo sich mittlerweile viel queeres Oberbaumbrücke schaffen wir auch noch zu Fuß! Boote und Sonne über der Spree las- sen sich hier am Geländer, wo ich 1990 zum ersten Mal nach Westberlin rüberging, fabelhaft genießen. Immer die Warschauer für Flüchtlinge und MigrantInnen zu sammeln. Doch wenn wir schon mal hier sind, dann schaffen wir die paar Meter zur Oranien- s ü Schöneberg – und doch einiges zu bieten hat. Gleich am Bahnhof im Lovelite findet die Lesbenparty Dyke-Fight statt und auf der Female-Attack-Party auch Nina Queers einen Wagenplatz oder die Beratungsstelle i sonders queer verschrien ist – wie etwa Boxhagener Kiez, das zwar gar nicht be- einem Projekt oder einer Soli-Gruppe aus es um Geld für den Transgenialen CSD, e e ehemaligem S-Bahngelände beherbergt das Kreuzberg den Laden zu überlassen – sei R Straße entlangspaziert, gelangen wir ins Wunderbares im Programm: an jedem ersten Montag verzieht sich die Olfe-Crew, um . . . . . . . . . . . Kreativzentrum, der RAW-Tempel, neben Quiz im Schmutzigen Hobby. Und es gibt so vieles mehr, aber wir ziehen weiter f h r e r _ i n Richtung Mitte, wo uns unser letztes Ziel für diesen Spaziergang erwartet. Immer die lange und geschichtsträchtige KarlMarx-Alle entlang, die einst zu Ehren 71 burger Straße auch noch, um uns ins rotgeplüschte Roses zu stürzen und die Hüf- ten zu Supertrash-Mucke schaukeln zu las- R ob ich nicht immer früh schlafen gehen i sen. Für euch werde ich mal tun, als würde und schleppe euch in den Morgen- e s stunden die Skalitzer Straße entlang in e Jahre-Poster-Klo queeren ü machen, um nach einem guten Kaffee gleich r den Wrangelkiez. Im wunderschönen 80erder kleinen f frisch h weiter zu wandern und zumindest einen e des Kiezes zu werfen. Da ist zum Bei- _ te Barbie Deinhoffs und gleich nebenan, n . . . . . . . . . . . . . . Café-Bar Sofia können wir uns flüchtigen Blick auf all die queeren Orte spiel in der Schlesischen 16 das berühmin der 19, das dazugehörige Art-Space- Projekt. Gleich um die Ecke kann mensch bei den Cousinen (Las Primas) prima es- sen und die zum und vom Görlitzer Park ziehenden und anrückenden Horden ganz 3 Kotti = U-Bahnhof Kottbusser Tor, um den sich rundherum viel kreuzberger Leben abspielt r i . . . . . . . . . . . R e i s e f ü h r e r _ i n Stalins gebaut, nach seinem Tod schnell nun endlich ein kleines Wunder geglückt der Wende ihren jetzigen Namen erhielt. die lauernde Räumung abgewendet. Und hier in Leninallee umbenannt wurde und nach Immer den Blick auf den Fernsehturm ge- richtet geht es vom Friedrichshain nach Mitte, das wirklich nicht als queer verschrien ist und wo linke und queere Veranstaltungsorte wie das Tacheles1, der Schokoladen, Linienstraße 206 oder die KvU2 ständig um die Existenz ban- gen müssen, weil sich profitgierige Unter- - Der Schokoladen ist wohl gerettet und beim Schokokuss, der queeren PunkElektro- Party endet unsere Sause – Vielleicht mit der Erkenntnis, dass sich der Einsatz für solche Orte lohnt – jetzt umso mehr für Tacheles und Co. und dass wir viele Spaziergänge planen können, denn es gibt viel zu entdecken. nehmen oder Hauseigentümer_innen den so Ich danke Hanna Hacker für unser Spazier- reißen wollen. Doch! - Nach vielen Jah- der 1970er und 80er Jahre! gut vermarktbaren Platz unter den Nagel ren des Verhandelns und der Proteste ist 1 Das 1990 von Künstler_innen besetzte Tacheles scheint anders als der „Schokoladen” nicht mehr zu retten, Ende März wurde mit der Räumung der alte Wertheim-Ruine begonnen. 2 KvU = Kirche von Unten gang-Interview zur Berliner Lesbenszene Jule Fischer studiert Internationale Entwicklung an der Uni Wien und ist Aktivistin des HomoBiTrans*Referats. Literatur über das lesbische Berlin: BÜHRMANN, TRAUDE (1999). Lesbisches Berlin. Stadtbegleiterin. Orlanda Frauenverlag. Möbel Olfe, Reichenberger Strasse 177, Kreuzberg Die GORDON, MEL (2011). Sündiges Berlin: Die zwanziger Jahre: Sex, Rausch, Untergang. Promedia. KRAUTZ, STEFANIE (2008). Lesbisches Engagement in Ost-Berlin 1978-1989. Tectum. Beratung: GLADT, Kluckstraße 11, Tiergarten. Lesbenberatung e.V., Kulmer Str. 20a, Schöneberg LesMigraS, Kulmer Str. 20a, Schöneberg. Nah-Bar, Kalckreuthstr. 16, Schöneberg Melitta Sundström, Mehringdamm 61, Kreuzberg Café Sonntags-Club, Greifenhagener Straße 28, Prenzlauer Berg. Beratungs-, Informations- und Kommunikationszentrum mit Café Kneipe und Bar (LGBTIQ): Barbie Deinhoff’s, Schlesische Straße 16, Kreuzberg EX, Gneisenaustr. 2a, Kreuzberg. Kneipenkollektiv mit ‚Lesbentagen’ & ‚lesbischschwultransschrägen’ Tagen . . . . . . . . . . . R e i s e f Schwulenberatung, Mommsenstraße, Charlottenburg Himmelreich Café & Bar für Lesben für Schwule für Bisexuelle für Transidente. Simon-Dach-Str. 36 ü ReachOut Berlin, Oranienstraße 159, Kreuzberg Melitta Sundström, Mehringdamm 61, Kreuzberg h Infoseiten für Adressen und co.: Offenbar, Hauptstr. 80, Schöneberg. Cocktails u. co. r http://www.girlports.com/lesbiantravel Roses, Oranienstr. 187, Kreuzberg autotrans* & w.i.r.: http://trans.blogsport.de/ Schokoladen, Ackerstraße 169 , Mitte Montags: Schokokuss – QueerePunkdElektro-Nacht _ SilverFuture, Weserstraße 206, Neukölln i berlin-gay-web.de: http://berlin.gay-web.de/ Out in Berlin: http://www.out-in-berlin.de Gay Station: http://www.gaystation.info/scene/?/ scene/berlin.php?sparte=bars L-Mag : Magazin für Lesben: http://www.l-mag.de/ Siegessäule, http://www.siegessaeule.de/ Eher schwules Stadtmagazin Stressfaktor: http://stressfaktor.squat.net/ Für alle möglichen Termine in der linken/ queeren Szene. Transinterqueer.ev: http://www.transinterqueer.org/ LGBTIQ-Touri-Touren: http://www.movinqueer.de/ Bars und Kneipen (Flit* only): Begine, Potsdamerstr. 139, Schöneberg Kulturzentrum und Café Sofia, Wrangelstraße 93, Kreuzberg e r n Tristenzza, Pannierstraße 5, Neukölln Kneipenkollektiv politische Veranstaltungen, Kino Zum Ausgehen (LGBTIQ): Ackerkeller, Bergstrasse 68, Mitte 73 Busche, Warschauer Platz 18 Dyke Fight Berlin, im Lovelite, Simplonstr. 38-40, Friedrichshain Café Fatal (Sonntags im SO36), Oranienstrasse 190, Kreuzberg Flittchenbar im Südblock im Flauchbau, Admiralstraße 1-2, Kreuzberg R e i s Dinelo Vorbergstr. 10, Schöneberg Girls Town (jeden 2. Samstag im Monat, alle 2 Monate im Kino International) Karl-Marx-Allee 33, Mitte Friedafrauenzentrum, Proskauerstr. 7, Friedr.hain KitKatClub, Köpenicker Straße 76, Mitte f Girls Town (jeden 2. Samstag im Monat, alle 2 Monate im Kino International) Karl-Marx-Allee 33, Mitte Queere PunkElektro-Night im Schokoladen, Ackerstr. 169, Mitte ü Lesberados, Bänschstr. 73, Friedrichshain Kino (LGBTIQ): r rats! rats! rats! (im Ackerkeller), Bergstr. 68, Mitte. Mongay, im Kino International, Karl-Marx-Allee 33, Mitte. Immer montags e Xenon in Schöneberg, durchgängig schwullesbische Filme. Kolonnenstraße 5-6, Schöneberg _ Serene Bar (samstags exklusiv lesbisch), Schwiebusser Strasse 2, Kreuzberg Zentrum/Café Schokofabrik, Naunynstr. 72/ Mariannenstrasse, Kreuzberg L-Film-Nacht: http://www.l-film-nacht.de/ Seidenfaden , Dircksenstr. 47, Mitte Transgenderradio: Queerer Wagenplatz http://www.transgenderradio.info/ Schwarzer Kanal, kiefholzstr74, Treptow Sport Café (LGBTIQ): Seitenwechsel e.v., Lesben- Frauensportverein, Gneisenaustraße 2a (Büro), Kreuzberg EX, Gneisenaustr. 2a, Kreuzberg. Kneipenkollektiv mit ‚Lesbentagen’ und ‚lesbischschwultransschrägen’ Tagen Himmelreich Café & Bar , Simon-Dach-Str. 36 Vorspiel - Sportverein für Schwule und Lesben Berlin. Naumannstr. 31-85, Schöneberg e h r i n . . . . . . . . . . . . . .