Vortrag - Deutsches Bündnis gegen Depression eV

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Vortrag - Deutsches Bündnis gegen Depression eV
Burn-out, depressiv oder
einfach nur schlecht drauf ?
Prof. Dr. M. Schäfer
Direktor der Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie,
Psychosomatik und Suchtmedizin
27 Millionen haben Depression oder Burn-out
• 27 Millionen Menschen in Deutschland leiden nach
Angaben der KKH-Allianz unter Erkrankungen der
Psyche wie Burn-out oder Depressionen.
• Ca. 9 Millionen werden dem Burn-out zugeordnet
• Die Kosten für die Volkswirtschaft belaufen sich
Schätzungen zufolge auf mehr als 100 Milliarden Euro.
• Allein zwischen 2009 und 2011 hätten die Fälle von
Burn-out bei den Versicherten der KKH-Allianz um 40
Prozent zugenommen.
• Zahl der jährlichen Krankschreibungen wegen Burn-out
allein zwischen 2004 und 2010 verneunfacht (wiss.
Institut der AOK).
Quellen: KKH, Ärztezeitung, AOK
Viele Firmen kennen das Phänomen:
Mitarbeiter plötzlich am Ende Ihrer Kräfte:
•
Körperlicher und mentaler Energieverlust
•
Konzentrationsprobleme
•
Motivationsverlust
•
Dünnhäutigkeit
•
Reizbarkeit
•
sozialer Rückzug etc.
Persönliches Leid der
Betroffenen und
der Angehörigen
Folgen
wirtschaftliche Kosten
für die Unternehmen
Burnout oder Depression?
Von Burnout spricht man meist, wenn
•
die Veränderungen vor allem im Arbeitskontext auffallen
•
es sehr engagierte Menschen trifft
•
man die Veränderungen vor allem für eine Reaktion auf
andauernden Stress hält
•
man betonen will, dass sich jemand übernommen hat
•
man das Wort „Depression“ vermeiden möchte
Tatsächlich liegt in vielen Fällen eine depressive Erkrankung vor!
Egal ob „Burnout“ oder „Depression“:
In jedem Fall braucht die betroffene Person Hilfe
Psychische Störungen und Arbeitsunfähigkeit
Häufig „stressassoziierte“ psychische Erkrankungen
– Schlafstörungen (Dysomnien, Insomien)
– Burn-out
– Somatisierungsstörungen/psychosomatische
Erkrankungen
– Depressive Störungen
– Angsterkrankungen
– Substanzmißbrauch (Alkohol, Benzodiazepine,
Drogen)
– Anpassungsstörungen (“Rentenneurose”)
– Neurasthenie (Reizempfindlichkeit, Erschöpfung,
Belastungsinsuffizienz)
Stressbedingte Symptome
Stress kann zu
umfangreichen
emotionalen, Stimmungsoder
Verhaltensänderungen
führen.
Ebenso wichtig aber oft
weniger beachtet sind
diverse körperliche
Symptome (siehe Abb.)
Quelle: American Institute of Stress
Psychosomatische Symptome
• Atemnot
• Druckgefühl auf der
Brust
• Herzklopfen
• Durchfall
• Harndrang
• Bauchschmerzen
• Schwindel
• Blutdruckkrisen
• Muskelverkrampfun
gen
• Ticks, Krämpfe
• Migräne
• Sehstörungen
• Lähmungen
• ……..
Quelle: American Institute of Stress
Ängste, Panikstörungen, psychosomatische
Symptome und Arbeitsplatz
Ursachen:
– Angst am Arbeitsplatz am ehesten bei chronischen ungelösten
Konflikten!
– Ärger oder zu hoher Druck am Arbeitsplatz (objektiv, subjektiv)
– Systematisches Mobbing
Zusammenhang zwischen den Symptomen und den Auslösern
meist nicht bewußt!
Oft zahlreiche Untersuchungen bei verschiedenen Ärzten ohne klare
Ermittlung einer Ursache (es wird nach somatischen, nicht nach
psychischen Ursachen gesucht!)
Beispiel
• Arbeitnehmer steht unter hohem Leistungsdruck. Chef und Abteilung
ebenfalls wegen schlechter Zahlen. Druck wird vom Chef auf Mitarbeiter
weitergegeben.
• Gleichzeitig ist die Frau an Krebs erkrankt.
• Arbeitnehmer würde das gerne dem Chef sagen und mehr Freiheiten
bekommen, um sich um seine Frau zu kümmern, die Chemotherapien
braucht und der es darunter extrem schlecht geht.
• Er traut sich aber nicht seine Situation zu schildern, aus Angst um
Arbeitsplatzverlust und mit dem Glauben, sein Chef würde ihn aufgrund
der hohen Anspannung nicht verstehen.
• Er entwickelt zunehmend wenn er morgens zur Arbeit kommt Schwindel,
Magenbeschwerden, Druckgefühl auf der Brust, unspezifische Ängste,
Unruhe, Nervosität.
• Eines Tages kippt er plötzlich morgens bei Arbeitsbeginn um nachdem er
massives Herzrasen und Atemnot hatte.
Häufig „stressassoziierte“ psychische Erkrankungen
– Schlafstörungen (Dysomnien, Insomien)
– Burn-out
– Somatisierungsstörungen/psychosomatische
Erkrankungen
– Depressive Störungen
– Angsterkrankungen
– Substanzmißbrauch (Alkohol, Benzodiazepine,
Drogen)
– Anpassungsstörungen (“Rentenneurose”)
– Neurasthenie (Reizempfindlichkeit, Erschöpfung,
Belastungsinsuffizienz)
WHO-Studie: Weltweite Belastung durch Krankheiten
Mit Beeinträchtigung gelebte
Lebensjahre (in Mio.), YLD
(Lopez et al. 2006)
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
8,39
6,33
5,39
3,77
3,77
3,46
2,86
2,25
1,68
1,53
25 Krankheiten als häufigste Ursache
für globale Jahre mit Behinderung
(Fokus = chronische nicht primär tödliche Erkrankungen)
Vos et al. Lancet 2012; 380: 2163–96
„Bundes Gesundheitssurvey von 1998: 4,9% der
Männer und 9,2% der erwerbstätigen Frauen
erfüllten die Diagnose einer Major Depression “
(Rau, Henkel, Nervenarzt 2013)
Epidemiologie in Deutschland
Etwa jede 4. Frau und jeder 8. Mann erkranken
im Laufe ihres Lebens an einer Depression.
Heute ca. 4 Millionen Menschen betroffen.
30% aller an Depression Erkrankter haben
Suizidversuche unternommen. 60–70% leiden an
Suizidgedanken.
15% mit schweren Episoden suizidieren sich.
2006 verstarben doppelt soviel Menschen in
NRW an Suizid als an Autounfällen (1635 : 773).
Versorgungssituation
und die Folgen
Nur ca. 10 % der Erkrankten erhalten eine
ausreichende Behandlung.
Daher durchlaufen die Betroffenen viele Jahre
unsere Gesundheitssysteme, ohne frühzeitig
angemessene Hilfe in ihrem Leiden zu erfahren.
Depressionen führen somit zunehmend zu
Arbeitsunfähigkeit und Arbeitsausfällen.
Diagnostisches und therapeutisches Defizit
Betroffene
Personen in
BRD: 4 Mio
In hausärzt.
Behandlung
2,4 - 2,8 Mio.
60-70%
Korrekt
diagnostiziert
1,2 - 1,4 Mio.
30-35%
Adäquate
Therapie
400.000
10%
Außerordentlich hoher
Leidensdruck
Viele Erkrankte sind zu hoffnungslos und
kraftlos, um sich Hilfe zu holen.
Betroffene erleben ihre Erkrankung
fälschlicherweise als persönliches Versagen
und schämen sich, zum Arzt zu gehen.
Das persönliche Umfeld reagiert häufig mit
Unverständnis... „Jetzt reiß Dich mal zusammen!“
Von Hausärzten wird die Depression bei mehr
als 50% der Betroffenen nicht erkannt.
Die verschiedenen Ebenen der Depression
Psyche
Körper
Verhalten
Symptome der Depression
Suizidgedanken /
Suizidale
Handlungen
Negative und
pessimistische
Zukunftsperspektiven
Gefühl von
Schuld und
Wertlosigkeit
Verlust von
Interesse u.
Freude
Depressive
Stimmung
Erhöhte Ermüdbarkeit /
verminderter Antrieb
Vermindertes
Selbstwertgefühl
und Selbstvertrauen
Appetitminderung
Verminderte
Konzentration und
Aufmerksamkeit
Schlafstörungen
Kopfschmerzen /
gastrointestinale
Beschwerden
Screeningfragen
„Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig
niedergeschlagen, traurig, bedrückt und
hoffnungslos?“
„Hatten Sie im letzten Monat weniger Lust
und Freude an Dingen, die Sie sonst
gerne tun?“
Quelle: NICE
Symptome der Depression
Die Veränderungen sind nicht bloß
eine nachvollziehbare vorübergehende
Reaktion auf eine äußere Belastung
(z.B. Verlustsituation),
sondern zeigen eine überdauernde Stabilität
über mehrere Wochen und Monate – ohne dass
es zu einer Restabilisierung kommt.
Einzelne depressive Episode
Zeit
dauerhaft beschwerdefrei
durchschnittl. Dauer einer Episode: 4–8 Monate
Wiedererkrankungsrate > 50 %
Rezidivierende depressive Episode
(phasisch, unipolar, Major Depression)
Dysthymie („neurotische Depression“)
Erklärungsmodelle zur Depression
Depressive Episoden werden häufig von
belastenden Ereignissen ausgelöst.
Es gibt aber ebenso Betroffene, bei denen die
Depression scheinbar ohne Grund aufgetreten ist.
Daher unterschied man zwischen „reaktiver“
(exogener) und „endogener“ Depression.
Eine genaue Zuschreibung ist allerdings nicht
möglich. Daher geht man heute von einem
multifaktoriellem Modell aus.
Diathese-Stress-Modell
Genetische Prädisposition
belegt durch z.B. Zwillingsstudien
Biologische Faktoren
z.B. Dysbalance im Neurotransmittersystem; hormonelle Faktoren
URSACHEN
Frühe aversive Lebenserfahrungen
z.B. Trennung von Bezugsperson, sexueller Missbrauch,
Resilienz » Widerstandsfähigkeit
körperliche und emotionale Misshandlung
trotz hohem Risikopotential!
Lerngeschichtliche Aspekte
Fähigkeit, innere und externe
z.B. Selbstwirksamkeitserleben, kognitive Schemata, Attributionsstil
Ressourcen erfolgreich zu nutzen,
um anstehende Entwicklungsaufgaben zu bewältigen.
Akute Stressoren
AUSLÖSER
z.B. erlebte psychische Beanspruchungen (Konflikte, körperliche
Erkrankungen) / belastende Ereignisse in der Familie
(Krankheit, Arbeitslosigkeit, Todesfall) /
Über- oder Unterforderung etc.
Therapie der Depression
Zentrale Behandlungssäulen:
Medikamentöse Behandlung (Antidepressiva)
Psychotherapie
Psychoedukation und Einbindung Angehöriger
Vorurteile und Ängste bezüglich
Antidepressiva
Bei einer repräsentativen Befragung von 1426 Personen glaubten
69%
80%
Zudem:
dass Antidepressiva die Persönlichkeit verändern
dass Antidepressiva abhängig machen
Obwohl Antidepressiva in den meisten Fällen gut
verträglich sind, glauben 71% der Befragten, sie hätten
starke Nebenwirkungen!!
Befragte verwechseln Antidepressiva, Beruhigungsmittel
und Neuroleptika!
Therapie der Depression
Über 60% aller Betroffenen kann durch
Behandlung erfolgreich geholfen werden!
Verhaltenstherapie allein nutzt bei leichten bis
mittleren Fällen
Die Kombination von Psychotherapie und
Medikation ist wirksamer als eine Methode allein.
Was kann die Psychiatrie tun?
• Hohe Gesamtkompetenz (Unterscheidung von Stress,
Risikosituation Krankheit)
• Differenzialdiagnostische Abklärung durch Facharzt!
• Beratung, Therapieeinleitung
• Fachärzte (FA)=
– FA für Psychiatrie und Psychotherapie
– Nervenarzt/Arzt für Nervenheilkunde
– FA für Neurologie und Psychiatrie
– FA für Psychosomatische Medizin
• Fachspezifisch nach medizin. Abklärung:
– Psychologische Psychotherapeuten
Häufig „stressassoziierte“ psychische Erkrankungen
– Schlafstörungen (Dysomnien, Insomien)
– Burn-out
– Somatisierungsstörungen/psychosomatische
Erkrankungen
– Depressive Störungen
– Angsterkrankungen
– Substanzmißbrauch (Alkohol, Benzodiazepine,
Drogen)
– Anpassungsstörungen (“Rentenneurose”)
– Neurasthenie (Reizempfindlichkeit, Erschöpfung,
Belastungsinsuffizienz)
Burn-out: Definition und Risikofaktoren…
…ist keine Krankheit mit eindeutigen
diagnostischen Kriterien, sondern eine
körperliche, emotionale und geistige
Erschöpfung aufgrund beruflicher
Überlastung und wird meist durch Stress
ausgelöst, der nicht bewältigt werden kann.
(Pschyrembel klin. Wörterbuch 261. Auflage,
2007)
Nach zeo-online.org, Heft 2, 2011
Burn-out: Symptome
Psychische
Symptome
Somatische
Symptome
Kognitive und
motivationale Symptome
Verhaltensauffälligkeiten
Emotionale
Erschöpfung
Müdigkeit
Konzentrationsstörungen
Überaktivität
Reizbarkeit
Schweregefühl
Gedächtnisstörungen
Sozialer Rückzug
Niedergeschlagen
heit
Variable Schmerzen
Motivationsverlust
Zynismus
Emotionale
Gleichgültigkeit
Verdauungsstörungen
Entscheidungsunfähigkeit
Vernachlässigung von
Freizeitaktivitäten und sozialen
Beziehungen
Schlafstörungen
Zynische Grundhaltung
Leistungseinbußen
Vegetative
Symptome
Infektanfälligkeit
Entwicklung Depression über Burn-out
Entfremdung
• von sich selbst
Suizidale
Krise
Depressionen
Perspektive ↓
Leistungsstreben ↑
Innere
Leere
Eigene
Bedürfnisse/
sozialer Kontakte↓
Verleugnung
intrapsychischer/
sozialer Konflikte
Zunehmende
Selbstentfremdung
Selbstwert ↓
Ängstlichkeit ↑
Entfremdung
• von anderen
Menschen
Idealistische
Begeisterung
Drang nach
Selbstbestätigung
Umgestaltung
eigener Werte
Sozialer
Rückzug
Sinkende
soziale
Toleranz
Erschöpfung
• Körperlich
• Geistig
Burn-out: Berufliche Risikofaktoren
•
•
•
•
•
•
•
•
hohe Arbeitsbelastung
geringer Handlungsspielraum
ungenügende Anerkennung
mangelnder Teamgeist
inkongruente Wertevorstellungen
fehlende Fairness
(chronische) Konflikte am Arbeitsplatz
Unklare Rollenzuordnung
Negative Trias:
• hohe Arbeitsbelastung, geringer Handlungsspielraum und
fehlende soziale Unterstützung
Burn-out: Individuelle Risikofaktoren
•
•
•
•
•
•
•
eine hohe subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit
Verausgabungsbereitschaft
Perfektionismus
geringe Distanzierungsfähigkeit
mangelnde Flexibilität
mangelnde Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen
Tendenz, sich als Opfer von äußeren Umständen und nicht in
der Kontrolle der eigenen Lebensumstände zu sehen
• geringes Selbstwertgefühl
• Fehlen einer wichtigen Bezugsperson
Burn-out: Ursachensuche
„Wir leben in einer Welt, in der die Sicherheit abnimmt
und die Leistungserwartung zunimmt.“ Die Popularität
des Burnout-Syndroms sei deshalb nicht verwunderlich.
„Anders als etwa Depression stigmatisiert Burnout nicht,
sondern entlastet den überforderten Menschen von
eigenen und gesellschaftlichen Erwartungen. Man ist
lieber ausgebrannt als gescheitert.“ Wer ausgebrannt ist,
so der gängige Irrglaube, muss zuvor viel geleistet
haben: Er muss gebrannt haben für eine Sache.
Andreas Hillert, Schön Klinik am Chiemsee
Burn-out: muß man da vorher
nicht auch gebrannt haben?
„Gleiche Belastung führt je nach
Person und Zeitpunkt zu
unterschiedlicher Beanspruchung!“
Rau, & Henkel, Nervenarzt, 2013
Burn-out Therapie: Regenerationsmodell
Belastung am
Arbeitsplatz
Akute Stressreaktion
Chronische
Stressreaktion
mit psychischen und
körperlichen
Symptomen
Regeneration
ErholungsErholungsAktivitäten
Gedankliches
Abschalten
Erholsamer schlaf
Zusammenfassung
• Depressive Erkrankungen sind häufig, schwerwiegend und
mit großem Leidensdruck verbunden
• Depressionen sind mit Medikamenten und / oder
Psychotherapie erfolgreich behandelbar
• Depressionen sind ein relevanter Faktor für Leistungsminderung, Arbeitsunfähigkeit und vorzeitige Berentung
• Arbeit hat viele antidepressive Elemente
• Beim Umgang mit depressiv erkrankten Mitarbeitern ist eine
Balance aus Entlastung und Aktivierung sinnvoll
• Es stehen je nach Schweregrad verschiedene Hilfen zur
Verfügung (Entlastung etc.)