Vergessene Orte: Topographien des Todes in Maja - UvA-DARE

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Vergessene Orte: Topographien des Todes in Maja - UvA-DARE
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Maja Haderlaps Roman Engel des Vergessens und die Echos der Sprachtheorie
Walter Benjamins
“Es ist die Vergangenheit, mit der man rechnen muss.“
Alexandra John
Masterscriptie Duits
Begeleider: Prof. Dr. Carla Dauven van Knippenberg
Universiteit van Amsterdam, November 2012
1
1. Inhaltsangabe
2. Einleitung
3
3. Maja Haderlap
6
3.1. Bewegung aus Leiderfahrung
6
3.2. Aufbau des Buches
7
3.3. Der Roman Engel des Vergessens
8
3.4. Einordnung des Textausschnittes Im Kessel
20
3.5. Unbehaust sein in der Sprache / Exil
21
4. Walter Benjamin Über Sprache überhaupt und die Sprache des Menschen
4.1. Kurze Einführung in den Zusammenhang
23
23
4.2. Benjamins Theorie der Sprachmagie –
Von der Schöpfungsgeschichte bis zum Sündenfall der Sprache
4.3. Kommentar
24
30
5. Echos der Sprache im Geschichtsraum
5.1. Trauma wird Notwendigkeit
35
5.2. Benjamins Sprachechos in Haderlaps Roman –
Von der Schöpfungsgeschichte bis zum Sündenfall der Sprache bei
Haderlap
41
5.3. Die Landschaft, die zum Geschichtsraum wird
46
5.4. Benjamins Engel: Die Zukunft ist ohne die Vergangenheit nicht zu
Haben
49
5.5. Literatur als Utopie, utopische Literatur
50
6. Schlusskommentar
52
7. Bibliografie
58
2
2. Einleitung
Die Basis für diese Arbeit legt das Romandebüt von Maja Haderlap Engel des Vergessens. Dieses Buch
erschien im Juli 2011, einen Tag nachdem die Autorin mit einem Auszug aus dieser „notwendigen
Geschichte“1 mit dem Ingeborg Bachmann Preis ausgezeichnet wurde. Der Roman erzählt vom
Niemandsland der Kärntner Slowenen und thematisiert eine Zukunft, die ohne Vergangenheit „nicht
zu haben ist“2. Maja Haderlap berichtet vom Widerstand der slowenischen Minderheit in Kärnten
gegen den österreichischen Nationalsozialismus, der mit dem Anschluss von Österreich an NaziDeutschland 1938 die Norm war; von der Inhaftierung, Folterung und Ermordung vieler
slowenischsprachiger Österreicher; von der Verschleppung – auch von Frauen und Kindern – in
Konzentrationslager; von der rigorosen Verdrängung des Themas nach 1945. Aus Engel des Vergessens
spricht ein glaubhafter Schmerz, der in die Gegenwart hinein reicht.
Haderlap erzählt eine Geschichte, die sie bisher nicht erzählen konnte. Die auch bei vielen anderen
Schriftstellern nicht groß Beachtung fand3. Die Frage, die sie in ihrem Roman erörtert ist, wie soll man
von einer Vergangenheit erzählen, die so viel Leid und schmerzliche Erinnerungen hinterlassen hat.
Gibt es eine angemessene Darstellung dieser massiven Traumas und wie kann man mit einem
Trauma weiterleben? Anhand der Geschichten ihrer Großmutter und ihres Vaters rekonstruiert
Haderlap das Erlebte, dass keinen Platz im Erlebten hat. Das verdrängte Erlebte und Vergessene
transformiert sich durch Haderlap’s Schreiben und offenbart sich in diesem Roman als ein Zeugnis.
Sie gibt dem Vergangenen, das nicht einmal das Eigene sein muss, eine Form, eine Sprache, einen
Atem. Die Geschichte Kärntens bekommt dadurch Existenz. Haderlaps Roman gibt dem
topographisch bestimmten Ort eine besondere Strahlkraft, womit er ein Ort des Gedächtnisses wird.
Die Ereignisse, die sich vorgetan haben, müssen aus dem Geschehenen in Schrift übersetzt werden,
um sie dem kulturellen Gedächtnis zu überliefern4. Erst durch das Erzählen werden sie Geschichte.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Denken und Schreiben einer traumatischen
Vergangenheit, die eben nicht die Eigene sein muss. Im Besonderen geht es um das Erzählen der
Geschichte eines Volkes, die noch keinen Platz in der Gegenwart hat. Ursprung des Schreibens bei
1
So die Wiener Jurorin des Bachmann-Preises Daniela Strigl.
2
Christa Gürtler: Zu Bruchstücken zerfallen. Der Standard, Ausgabe 6845, 29. Juli 2011. S. A10.
3
Im renomierten Literaturbetrieb beschäftigt sich in letzter Zeit zufällig Peter Handke mit dem gleichen Thema. In seinem
Buch Immer noch Sturm (2010) zeigt er den Zweiten Weltkrieg aus Sicht der unterdrückten Kärntner Slowenen. Es war der
einzige Partisanenkampf innerhalb des Dritten Reiches. Auch Handke setzt diesen Freiheitskämpfern ein literarisches
Denkmal.
4
Aleida Assmann: Geschichte im Gedächtnis, Verlag C.H. Beck, 2007, S. 71.
3
Haderlap sind traumatische Ereignisse, die sie teilweise selber erlebt hat. Das größte Trauma wird
aber durch die Erzählungen der Großmutter und des Vaters weitergegeben. Haderlap ist die
Vermittlerin von Geschichten, die durch sie zur Sprache kommen. Diese Geschichten bekommen eine
Existenz, indem sie aufgeschrieben werden. Wir gehen mit Haderlap auf eine Reise in die Zukunft
unserer Vergangenheit, wenn Haderlap ihren Roman mit einem Hinweis auf Walter Benjamins Engel
der Geschichte beendet, dem die Geschichte vorkommt wie „eine einzige Katastrophe“5.
Ziel dieser Arbeit ist zu untersuchen, was eine Verortung6 in der Vergangenheit bedeutet für ein
Leben in der Zukunft. Kann man Geschichten erzählen, die nicht verortet sind? Sind diese
Geschichten wahr? Und was ist Wahrheit7? Haben die persönlichen Erlebnisse und Geschichten einen
Status, wenn sie nicht aufgeschrieben sind? Ist eine Verortung der Erlebnisse Bedingung zum
Überleben des Unfassbaren? Was bedeutet der Engel der Geschichte von Benjamin am Ende des
Romans? Was stellt Haderlap dem gegenüber?
In der folgenden Arbeit werde ich die Sprachfindung Haderlaps erörtern mit Hilfe der Sprachtheorie
Benjamins. Bei Benjamin, wie auch bei Haderlap, bilden die Sprache und die Geschichte die Pole, um
denen ihr Denken kreist. Muss diese Sprache übersetzt werden aus gesprochenem Wort in Schrift?
Teilt sich in dieser Schrift der Geschichtsraum mit? Wird der Geschichtsraum durch die Sprache
mitgeteilt? Und offenbart sich durch die Sprache die Welt? Benjamin ist in seinem Sprachaufsatz der
Meinung, dass man Sprache nicht reduzieren kann als ein bloßes Vehikel menschlicher Mitteilung in
dem er sagt: „Jede Äußerung menschlichen Geistesleben kann als Art der Sprache aufgefasst
werden“8. Diese Sprache muss auf eine Art und Weise ihren Niederschlag in der Schrift finden, in der
sie verortet wird. Erst dann kann sie Geschichte werden.
In diesem Zusammenhang werde ich Stücke aus Walter Benjamins Sprachtheorie gebrauchen im
Hinblick auf eine Auseinandersetzung mit der Sprachfindung bei Haderlap. Der Sprachaufsatz Über
5
Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte, 9te These, S. 146.
6
Der Ort hilft uns die Vergangenheit zu beschreiten. Er wird hier verstanden als physischer Ort und der Begriff der
„Verortung“ wird für die Konstruktion oder Bewahrung eines solchen Ortes verwendet.
7
Dem Begriff Wahrheit werden verschiedene Bedeutungen zugeschrieben, wie Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, einer
Tatsache oder einem Sachverhalt, aber auch einer Absicht oder einem bestimmten Sinn bzw. einer normativ als richtig
ausgezeichneten Auffassung („Truism“ oder Gemeinplatz) oder den eigenen Erkenntnissen, Erfahrungen und Überzeugungen
(auch „Wahrhaftigkeit“).. Das zugrundeliegende Adjektiv „wahr“ kann aber auch die Echtheit, Reinheit oder Authentizität
einer Sache, einer Handlung oder einer Person, gemessen an einem bestimmten Begriff, beschreiben („Ein wahrer Freund“).
Alltagssprachlich kann man die „Wahrheit“ von der Falschheit, der Lüge als absichtlicher Äußerung der Unwahrheit und dem
Irrtum als dem fälschlichen Fürwahrhalten abgrenzen
8
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte. Philipp Reclam, Stuttgart 1992, S. 30.
4
Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen wird im zweiten Kapitel einen zentralen Platz
einnehmen. Der Text Die Aufgabe des Übersetzers wird wegen ein paar essentiellen Aspekten erwähnt.
Der erste Teil dieser Arbeit ist Haderlaps Roman Engel des Vergessens gewidmet. Ich werde eine
Zusammenfassung und Einordnung des Bachmann-Preis-Textes Im Kessel geben. Eine Interpretation
des Geschriebenen kann dabei nicht ausbleiben.
Im zweiten Teil werde ich eingehen auf die wichtigsten Aspekte von Benjamins Sprachaufsatz Über
Sprache überhaupt und die Sprache des Menschen und die Bedeutung für Haderlaps Roman deutlich
machen.
Der dritte Teil hat einen verbindenden Karakter. In diesem Teil werde ich die verschiedenen Ebenen
zusammenbringen. Angefangen bei den traumatischen Erlebnissen, die sich in der Landschaft
abgespielt haben und die aus dem Erzählten in Schrift gefasst werden mussten. Dann zur Landschaft,
die Geschichtsraum wird, indem sie durch die Sprache mitgeteilt wird. Um schließlich zu enden bei
einem Ausblick auf unsere Zukunft, die ohne diesen Geschichtsraum, diese Vergangenheit, nicht zu
haben ist. Der dritte Teil fängt Echos ein. Echos von Freud und seine Arbeit zum Thema Trauma,
Echos von Benjamins Sprachtheorie und das Echo des Engels der Geschichte. Alle Echos werden auf
Haderlaps Roman zurückschallen.
5
„ WENN DIE MENSCHEN SCHWEIGEN, SO WERDEN DIE STEINE SCHREIEN“ 9.
3.
Maja Haderlap (1961 – heute)
3.1.
Bewegung aus Leiderfahrung
Manche Bücher brauchen Zeit. Sie schreiben sich von einem bestimmten Datum her, weil in ihrer
Geschichte Privates und Politisches einen Platz haben. Die Österreicherin Maja Haderlap ist 50 Jahre,
als ihr erster Roman Engel des Vergessens (2011) veröffentlicht wird, für den sie den Ingeborg
Bachmann-Preis10 erhält. Das Haderlap für ihren Roman den Bachmann-Preis gewonnen hat, kommt
nicht von ungefähr. Herkunft, Themen und Sprachgebrauch beider Frauen sind ähnlich. Beide
thematisieren den Einfluss der Geschichte auf die Sprachkonzeption.
Auch brauchte sie nicht mehr ‚entdeckt’ zu werden, jedenfalls nicht in Österreich. Unter den 14 zum
Literaturbewerb angetretenen Kandidaten war Haderlap die im Kulturbetrieb wohl renommierteste:
„eine preisgekrönte Lyrikerin, 15 Jahre lang Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt,
Übersetzerin vom Slowenischen ins Deutsche“ 11 – eine, die sich mit der Sprache auskennt.
1977 wurde der Preis zum ersten Mal vergeben. Erst 35 Jahre später soll eine Österreicherin wieder
Trägerin des Preises werden. Mit der Kärntnerin Maja Haderlap ging der mit 25.000 Euro hoch
dotierte Preis nun zum zweiten Mal in die Heimat der Namensgeberin 12. Erst im vierten Wahlgang
setzte Maja Haderlap sich durch und bekam den Preis für ihren Textausschnitt Im Kessel. Dieser
Ausschnitt ist Teil dieses Romans, der den Widerstand der Kärntner Slowenen gegen das NS-Regime
beschreibt. Haderlap thematisiert die Unfähigkeit einer Familie, sich den Gewalterfahrungen aus der
Nazizeit zu stellen in einem präzise gearbeiteten, streckenweise hochpoetischen Text. Dabei dient der
9
J. G. Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität. (hg. v. H. Stolpe). Band 2, Berlin: Aufbau 1971, 92f.
10
Der Ingeborg-Bachmann-Preis ist ein in Klagenfurt seit 1977 jährlich stattfindender Literaturpreis, der auch als die „Tage der
deutschsprachigen Literatur“ bezeichnet wird. Die Besonderheit des Ingeborg Bachmann Preises ist, dass von der Fachjury
vorgeschlagene Autoren ihre Texte in dreißig Minuten vor den Juroren und einem Livepublikum vortragen, worauf die Jury
über den vorgetragenen Text diskutiert. Zum Vorbild für das ‚Wettlesen‘ wurde der von der „Gruppe 47“ eingeführte
öffentliche Vortrag der Werke durch die Autoren selbst vorgelesen. In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass
Ingeborg Bachmann Mitglied der Gruppe 47 war. Der Ingeborg Bachmann-Preis ist der 1973 verstorbenen Schriftstellerein
gewidmet.
11
Brigitte Schwens-Harrant: Im Wald der Geschichten . ‚Die Furche’, 14.07.2011, Ausgabe 28.
12
Der Kärntner Gert Jonke war 1977 der erste Bachmann-Preisträger.
6
Wald als Großmetapher, als Schutz- und Angstraum, zugleich erweitert sich die Landschaft zum
Geschichtsraum, in dem „die Sprache eine Mitteilung geistiger Inhalte“13 ist. Dieser Text berührt
zutiefst, nicht nur weil er autobiografisch ist. Haderlap versucht der Magie der Sprache, von der
Benjamin spricht, Ausdruck zu geben, indem sie das Dasein der Sprache auf schlechthin alles bezieht.
Wie sie das macht werden wir im Zweiten und Dritten Teil sehen.
Die Preisträgerin ist keine junge Roman-Debütantin, sondern eine erfahrene, belesene Autorin, die
1961 geboren wurde. Sie arbeitete 15 Jahre lang in Klagenfurt als Theaterdramaturgin und hatte in
früheren Jahren zwei Gedichtbände auf Slowenisch veröffentlicht. Sie gilt als etablierte, slowenisch
schreibende Dichterin. Das Buch Engel des Vergessens hat Haderlap in der deutschen Sprache
niedergeschrieben. Das Deutsch habe ihr geholfen, die nötige Distanz zu ihrem „ratlosen Kreisen in
der Familienvergangenheit“14 aufzubauen. „Weil Großmutter mein Kindheitsstock ist, an dem ich
mich festhalte“( 13). Ihr A und O15.
Haderlap verarbeitet Geschichten, mit denen sie aufgewachsen ist, Geschichten jener Kärntner
Slowenen, die als Partisanen gegen Hitler kämpften und von denen viele starben in den
Konzentrationslagern. Haderlap ist auf Spurensuche in die leidvolle Geschichte der slowenischen
Minderheit in Österreich. Um mit Bachmanns Worten zu sprechen: „aber Sie wissen, wie schwierig es
ist, über Dinge zu sprechen, die noch nicht feste Formen angenommen haben: sie brauchen sehr viel
Zeit“16. Sie gibt speziell den Kärntner Partisanen postum eine Stimme, denen immer noch eine
weitgehend verweigerte Beachtung widerfährt in einem prekären Kapitel österreichischer
Vergangenheit. Mit diesem Roman hat Haderlap ein immerwährendes Denkmal geschaffen für ihre
Vorfahren (und beispielhaft auch für andere Familien).
3.2.
Aufbau des Buches
Der Roman ist nicht eingeteilt in nummerierte Kapitel. Jeder Abschnitt beginnt mit einem großen
Buchstaben. Geht man den Abschnitten aber nach, so entdeckt man 54 Kapitel, mit ganz bestimmtem
Inhalt. Der Roman ist eine Komposition und sorgfältig orchestriert. Der Text hat drei zeitliche
Schichten: das Leben des Mädchens in den 60er und 70er Jahren (1967 – 1975), der Vater, das Studium
in Wien, der Jugoslawienkrieg (1979 – 1994) und die Heimkehr der Überlebenden (1995 – 2004).
13
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte. Philipp Reclam, Stuttgart, 1992, S. 30.
14
Maja Haderlap: Engel des Vergessens. Wallstein Verlag, 2011, S. 280. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird die Angabe eines
Zitates als Seitenzahl im Fliesstext angegeben.
15
Anspielung an ein Zitat von Hamann: „Sprache, die Mutter der Vernunft und Offenbarung, ihr A und O“. Auf dieses Zitat
werde ich im 4ten Kapitel über Walter Benjamin zurückkommen.
16
Ingeborg Bachmann: Wir müssen wahre Sätze finden. Piper, 1983, S. 13.
7
Die Nummerierung der Kapitel läuft auffallend synchron mit den Ereignissen in Haderlaps eigenem
Leben, die auf der Ebene des Erzählens liegen. Ganze 50 Jahre liegen zwischen den Kapiteln und dem
wirklichem Ereignis. Eine verblüffende Übereinstimmung, da Haderlap beim Erscheinen des Romans
auch 50 Jahre alt ist. Nehmen wir zum Beispiel das 38ste Kapitel auf Seite 209. Der erste Satz referiert
an den Anschluss Österreichs an das „Dritte Reich“ vor fünfzig Jahren. Das Datum war der 12. März
1938. Das Ich in der Erzählung befindet sich in diesem Kapitel im Jahre 1988. Haderlap ist dann in
Wirklichkeit 27 Jahre alt, als dem Vater eine Wiedergutmachungsprämie vom österreichischem Staat
angeboten wird.
3.3 Engel des Vergessens
Der Roman ist autobiografisch und hat drei Teile.
Der erste Teil umfasst die Kindheit in den 60er und 70 Jahren. Diese private Dimension umfasst das
halbe Buch. Beschrieben wird das Leben eines Mädchens, dass für eine Zukunft kämpft. Aber in
dieser Familie ist diese Zukunft nicht ohne Widerstand und Kampf zu haben. Der erste Teil endet mit
dem Tod der Großmutter im Jahre 1975. Das Mädchen ist ungefähr 14 Jahre alt.
Der zweite Teil umfasst ein Drittel des Buches und beschäftigt sich mit dem Leben nach Großmutters
Tod. Der Vater bekommt hier einen prominenten Platz. Die Geschichte wird in der jüngeren
Vergangenheit situiert und spielt sich vor allem in den 80er Jahren ab. Das Mädchen geht ins
Klagenfurter Gymnasium, später zum Studium nach Wien um Theaterwissenschaften zu studieren,
nach Ljubljana, wo sie sich aufhält, als der Krieg in Jugoslawien 1991 ausbricht. Es löst sich von der
beklemmenden Umgebung ihrer Heimat. Auch läuft der zweite Teil verblüffend synchron zu den
politischen Zeitläufen ihres Heimatlandes. Die Kapitel 39 – 44 widerspiegeln die historischen Daten
und thematisieren parallel, mit einem Abstand von genau 50 Jahren, den Zweiten Weltkrieg und den
nahenden Jugoslawien-Krieg (ab 1991). Mit dem Aufkommen des Krieges werden die Wunden, die
der Partisanenkrieg im Zweiten Weltkrieg hinterlassen hat, erneut aufgerissen.
Der dritte Teil ist ein Ausblick nach dem Jugoslawien-Krieg (1995) und thematisiert die Heimkehr
der Überlebenden, eigentlich aus beiden Kriegen. Der Vater hat in diesem Teil wieder einen
prominenten Platz. Haderlap durchläuft das Leben des Vaters als eine Vorschau auf die
Vergangenheit „An einem Sommertag wird er seinen Bauernwillen zu Grabe tragen. Ich werde
diesen Sonntag mit ihm verbringen“ (259). Haderlap geht zurück in die Zeit vor ihrer Zeit und
durchschreitet noch einmal die Erzählung der Großmutter. Die Erinnerungsstücke der Großmutter
haben Haderlap zum Erzählen gebracht. Der Ravensbrücklöffel, der Rosenkranz aus mit Speichel
gerollten Kugeln oder zum Beispiel das rötlich fleckige Gefängnistagebuch. Sie fährt in das ehemalige
Lager Ravensbrück an exakt demselben Tag, den 13. November 2003, 60 Jahre später, an dem die
8
Großmutter ins Konzentrationslager deportiert wurde. Dieser Besuch ist eine Art ‚Eingedenken’17,
„um von einem vertrauten Ort Abschied zu nehmen“ (283).
Haderlap beendet ihren Roman mit einem der zentralen Bilder von Walter Benjamin aus seinem
letzten Essay Über den Begriff der Geschichte: „Der Engel der Geschichte wird über mich geflogen sein.
Seine Flügel werden einen Schatten auf das Lagerantlitz geworfen haben“ (286). Diesem Engel stellt
sie einen Engel des Vergessens zur Seite. Denn, es ist die Vergangenheit, mit der man rechnen muss.
Es gibt keinen Blick auf die Zukunft, ohne eine Vergangenheit. Bei ihrem Besuch an das
Konzentrationslager Ravensbrück, in den Fußspuren der Großmutter, begleitet dieser Engel sie in die
Gegenwart und entfernt die „Engelbildchen über ihrem Kinderbett“ (287) endgültig. Dieser Engel hat
vergessen die „Spuren der Vergangenheit aus (ihrem) Gedächtnis zu tilgen“ (286). Diese Spuren sind
aber notwendig. „Man musste zuerst anfangen, im neuen Leben, das alte zu vergessen. Zuerst das
Einmaleins des Vergessens, eine harte Schule?“ (216).
Haderlap hat mit diesem Roman dem Engel eine Gestalt gegeben in der Form einer Erzählung. In
Engel des Vergessens ist die Form nicht vom Inhalt zu trennen. Es ist eben nicht nur wichtig, wie etwas
erzählt wird, sondern auch was jemand zu erzählen hat. Hier geht es um die zu Sprache gewordene
Geschichte.
3.3.1. Erster Teil: Die Kindheit in den 60er und 70er Jahren (1967 – 1975)
Die Großmutter
Der Roman beginnt mit der Beschreibung des Bauernlebens der Großmutter Mitzi in den sechziger
Jahren. Vater Zdravko und Mutter Karla gesellen sich in der Beschreibung seitlings dazu. Der Roman
ist stark autobiografisch. Die Autorin erzählt von ihrer Kindheit in den 60er und 70er Jahren in
Kärnten.
Die Erzählung entfaltet sich aus dem Dunkel einer „schwarzen“ (5) Küche, einer „dunklen“ [und]
„schlecht beleuchteten Grotte“ (5), in der die Gerüche nach Erde, Rauch und gesäuerter Luft hängen.
Ein „Häuflein Asche“ (5) liegt unter dem Ofenloch. Sie erzählt von „Speisen für Lebende und für
Tote“ (6). Sie habe die Kessel gewaschen im Lager, dadurch konnte sie sich am Leben halten, auch
wenn es nur eine Kartoffelschale war. In der Erzählung ist die Großmutter die „Bienenkönigin“, [das
Mädchen] „ihre Drohne“ (7), die ihr überall hin folgt. Großmutters Zimmer ist die formende
Keimzelle. Vom Räucherfleisch und geröstetem Hafer, vom Bienenhaus und Brotbacken ist die Rede.
Sie spricht vom „Ofenrachen [der mit] grauweißen Mehlbäuchen gefüttert“ (9) wird. Aber auch vom
wenigen Brot, dass es zu essen gab im Lager. Und dann verteilt die Großmutter die Brotkrümel und
Brotrinden an die Tiere, „denn, das Brot das du verteilst, kommt wieder zurück“ (10). Ein andermal
17
Im Celanschen Sinn
9
zeigt sie ihren „schönsten Wintermantel“ (21), den sie bei der Räumung des Lagers getragen hat und
erwähnt immer wieder ihre Ziehtochter Mici und ihre Schwägerin Katrca, die als Asche aus dem
Lager zurück kamen.
Unwillkürlich beschleicht den Leser das Gefühl, dass Großmutters Küche einem Ofen gleicht, einem
Verbrennungsofen. Großmutter wusste schon, wie man damit umgehen musste. Sie war „vertraut
mit dem Tod“ (11).
Die Mutter
Im krassen Gegensatz dazu wird die Mutter geschildert. Sie kommt im Roman nur am Rande vor.
Die Mutter liebt es „während der Arbeit zu singen“, [ihre] „Zärtlichkeiten sind ungestüm“ (11). Die
Mutter ist mit den einfachsten Dingen zufrieden und verrichtet mit einer spröden Stummheit die
kräftezehrenden Arbeiten auf dem Hof. Ihr Weg zu Gott ist der „Fleiß und das Einhalten der Gebote
Gottes“, [ihr] „Wunschraum ist der Altarraum“ (25). Das Mädchen schläft mit sechs, sieben Jahren
schon bei der Großmutter im Zimmer und die Mutter befestigt zwei gerahmte Engelbildchen über
dem Bett. Mit Skepsis betrachtet das Mädchen die Engel, die ihr zu „naiv und unerfahren“ (14)
erscheinen, um auf sie aufzupassen. Das Thema der Engel läuft hinaus auf eine Glaubensfrage. Die
Mutter glaubt an die Kirche, die Großmutter hat den Glauben verloren und „eigene Absprachen mit
der Natur“ (27) gemacht, die eher übernatürlicher Natur sind.
Die Mutter kennt aber auch Niedergeschlagenheit, Kummer und Verzweiflung.
„Zuweilen finde ich Mutter im elterlichen Schlafzimmer.[…]. Ihre Verzweiflung muss groß sein,
denn die Gummistiefel und ihre gefleckte Schürze passen so gar nicht zur hellen, leinenen und
mit bunten Blumen bestickten Tagesdecke, die sie über das Ehebette gebreitet hat“ (12).
Es kommt sogar so weit, dass die Mutter ihr fünftes Kind zur Welt bringt und der Vater es nicht
anerkennen will (145). An den Wochenenden schickt die Mutter das Kind ins Gasthaus um den Vater
zu holen, anstatt selber zu gehen. Die Mutter wird später mit ihrem Moped „ein unzertrennliches
Paar“ (207) und sie wird aus dem ‚Graben’ immer wieder wegfahren. Sie ist die Einzige, die sich den
Erzählungen entziehen kann. Sie schafft das wahrscheinlich wegen ihres ‚einfachen’ Bauernglaubens.
„Sie ist der Meinung, dass man sich im Leben zusammenreißen und Geschichten mit gutem Ausgang
erzählen müsse“ (205).
Der Vater
Der Vater wird behutsam in die Geschichte eingeführt. Man sieht ihn „immerfort die Hände reiben“,
[vor] „Ungeduld oder vor Freude“ (15). Am „Mistflug“ (16) ist seine Laune zu erkennen. Das heißt
an der Art der Bewegung der Mistgabel: manchmal energisch, dann wieder sanft. In den energischen
10
Momenten setzt sich alles auf dem Hof in Bewegung. Man kommt nicht um ihn herum. Seine
Vorliebe ist das Rauchen und das Bienenhaus. „Sein Tabak lähme die grimmigsten Tiere“ (20)18.
Langsam tretet sein stärker werdender Jähzorn auf, seine Schlafstörungen und sein Alkoholismus.
Mit seiner großen Schwermut und den Selbstmordgedanken terrorisiert er die ganze Familie, wenn
das Schuldgefühl überlebt zu haben, zu groß wird:
„Mit dem Kälberstrick in der Hand sitzt er in der Küche und denkt laut über Selbstmord nach
[…]. Zdravko, du kannst doch nicht ewig ans Sterben denken. Du musst aufhören damit! Ich
weiß, wie man sich fühlt, wenn man nicht mehr weiterleben will, aber du wirst ja alle um dich
herum kaputtmachen“ (149).
Und dann sieht das Kind einen in der Küche liegenden, blutenden Vater, der bei einem Unfall
verletzt wurde. Mitunter findet man ihn neben dem Gewehr liegend, dessen Lauf ins Nirgendwo
gerichtet war. Nur bei der Jagd findet er Zuflucht, bei der Natur, im Wald, auch wenn der Wald
‚zwiespältig’ ist. Er ist Versteck, aber auch Jagd- und Kampfschauplatz der Partisanen gewesen.
Mit zwölf Jahren wurde er von der Nazi-Polizei verhört und sollte die Verstecke der Partisanen im
Wald verraten. Mit einem Strick um den Hals wurde er immer wieder an einem Baum hochgezogen.
„Wer gefoltert wurde, bleibt gefoltert“19, schreibt Jean Amery. Der Vater ist ein potentieller
Selbstmörder bis zu seinem Ende, auch wenn er eines natürlichen Todes stirbt.
Dieser Mann baut ein Haus für seine immer größer werdende Familie. Ein Haus, das Symbol steht
für das Leben seines Erbauers. Gegen den Willen der Großmutter muss das alte Haus, man findet
einen Stein mit der Jahreszahl 1743, abgerissen werden. Nur mühsam setzt sich der Vater durch, lässt
aber immerhin den alten Keller stehen, so „das das neue Haus auf dem Fundament des alten stehe“
18
Der Konjunktiv II drückt einen möglichen, angenommenen, nur gedachten aber nicht realen Sachverhalt aus. In dieser
Funktion kommt er aber in einem unabhängigen Hauptsatz nur selten vor. Der Konjunktiv II wird auch Irrealis genannt.
Durch die Formulierung von Bedingungen und ihren Folgen lassen sich auch Vorstellungen und Wünsche, die wahrscheinlich
nicht eintreten werden oder unmöglich sind, oder die Zweifel des Sprechers an bestimmten Sachverhalten zum Ausdruck
bringen. Haderlap gebraucht im Zusammenhang mit ihrem Vater öfter den Konjunktiv II.
19
Der österreichische Schriftsteller und Widerstandskämpfer Jean Améry sagte einmal über seine in KZ-Haft erlittene Folter,
dass man „[die Folter] nicht beschreiben kann, weil die Gefühlsqualität des physischen Erleidens prinzipiell sich der MitTeilung entzieht.“ (zit. nach Leo A. Müller 1989: betrifft: amnesty international, Seite 69). Wer gefoltert wurde, leidet oft sein
Leben lang an den körperlichen und seelischen Verletzungen. „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der
Welt.“ (zit. nach Leo A. Müller 1989: betrifft: amnesty international, Seite 78).
Menschen werden gefoltert, um sie körperlich und seelisch zu zerstören. Folter betrifft aber nicht nur die Gefolterten, sie hat
auch einen weit reichenden politisch-psychologischen Effekt auf die Bevölkerung. Die Angst, Opfer von Folterungen oder
Misshandlungen zu werden, führt zum Verzicht auf die Wahrnehmung grundlegender Bürgerrechte, wie zum Beispiel
Meinungs- oder Versammlungsfreiheit, und zur Unterdrückung jeglichen oppositionellen politischen Handelns.
1978 nahm sich Jean Améry 61-jährig das Leben. Ein weltweites Problem ist die Straffreiheit der Täter. Dadurch werden die
Opfer ein zweites Mal gedemütigt.
11
(64). Mit dem Abriss des Hauses scheint sich auch ein Teil „aus Großmutters zartem Körper
zurückzuziehen“ (61). Am Ende wird dies ein Haus ohne Zentralheizung und ohne warmes Wasser,
indem es im Winter eisigkalt ist. Das Kind bekommt aber auch ein eigenes Zimmer und verlässt
damit den Wirkungsraum der Großmutter.
So quälend das Leben für diesen Mann, „sein Toben erinnert an Schreie eines zum Tode Verurteilten“
(165), so unerträglich ist es auch für all diejenigen in seiner Nähe. Seine Zerstörungswut richtet sich
nach innen und entlädt sich später nach außen, gegen die Mutter und das Kind, das dennoch ein
„Vaterkind“ (274) bleibt. Besonders für seine Frau, in ihrer stummen Traurigkeit, wenn deutlich wird,
warum sie in dieser Erzählung eine Randfigur bleiben wird:
„Großmutter hört nicht auf, sich zu beschweren dass Mutter etwas Besseres sein möchte, dass
sie keine Ahnung von den Menschen und von der Welt habe, weil sie in ihrem Leben noch nie
gelitten habe, weil sie keine Vorstellung vom Leid habe“ (104).
Der Mutter wird der Vorwurf gemacht nicht mitzuzählen, weil sie von den Verfolgungen der Nazis
verschont geblieben ist. Das erfahrene Leid wird als Eintrittskarte gesehen in die Gemeinschaft 20.
Die Lehre bei Großmutter
In diesen dunklen Momenten des Vaters ist es die Großmutter und nicht seine Frau, die ihn mit einer
Gusseisenpfanne mit rauchenden Weidenruten, die sie im Raum herumschwenkt, zurückholt.
Praktiziert wird ein strenggläubiger Katholizismus, in dem die Großmutter ihrem „Glauben“
anhängt, aber nicht der Kirche: „Den Glauben an Gott müsse man im Herzen tragen […] Auf die
Kirche sei kein Verlass, findet sie, man könne ihr nicht vertrauen“ (27). Die Großmutter glaubt an die
Macht des gesprochenen Wortes, an „Wort, das Brot geworden ist“ (28), an „Wortzauber“, […]
„Wortdach“ [und] „Wortfittiche“ (29). Der Schutz kam durch das Wort, „denn die Wirkung liege im
Gesprochenen, nicht im Geschriebenen“ (29). Diese Großmutter beschließt die Erziehung des
Mädchens zu übernehmen. Sie unterrichtet sie in Sachen, die ihrer Meinung nach wichtig sind für ein
Mädchen. Das ist das Tanzen, das Kartenspiel und die Bewirtung der Besucher. Das Bücherlesen
beargwöhnte sie. Das kleine Mädchen hört zum ersten Mal den Namen Ravensbrück, der sich in
seinen Wortschatz nestelt. Es sieht ein „Arbeitsbuch“ mit dem deutschen Reichsadler, später dann
auch die „Lagernummer“ auf dem Unterarm der Großmutter (36). Nach dem Besuch von Großvaters
Grab wird dem Mädchen deutlich, dass „Großmutters Todessehnsucht von weiter her kommt und
eine verborgene Ursache hat“ (40), denn die Großmutter wurde am 12. Oktober 1943 verhaftet und
mit anderen Frauen deportiert. Sie ist zu diesem Zeitpunkt 39 Jahre alt. Sie erzählt auch, wer
20
Erst viel später erfährt die Erzählerin von einem Freund der Familie, das auch in der Familie der Mutter Opfer gefallen sind:
„[…] weil ich erstaunt bin, das erste Mal zu hören, das drei Onkel meiner Mutter bei den Partisanen gefallen sind. […] und
niemand aus unserer Familie hat es je für wert gefunden, sie in die Familienerzählung aufzunehmen“ (218).
12
zurückkam und wer nicht und vor allem, wie jemand zurückkehrte. Ihre Odyssee führt schließlich
Anfang 1945 nach Ravensbrück, wo sie die Ermordung vieler miterleben musste. Auch sie lag in „der
Typusbaracke“[…], „bereit für den Abtransport ins Gas“ (129), als sie die Identität einer Toten
annahm, um nicht deportiert zu werden. Ein halbes Jahr lebte sie als Tote und „illegal“ (130) im
Lager, bis sie dann schließlich befreit wurde. Aus dem Lager musste sie getragen werden, weil sie zu
schwach war, um selber zu gehen. Von einer Nachbarin aus dem Lepenatal wurde sie drei Tage lang
getragen, bis sie endlich zu Hause ankam (60).
Der erste Todesatem
Immer mehr gerät das Kind in den Sog der Geschichten. Mit ungefähr acht Jahren ist das Kind zum
ersten Mal in „den Todesköcher geraten“ und hat „den Todesatem gehört, seinen Schlund gespürt“
(69). Dieser Schlund befindet sich in dem Teil von Österreich, wo man Deutsch spricht. Die
Großmutter fährt mit ihr in den Ferien ins Schloss zu ihrem anderen Sohn. Bei diesem Aufenthalt
ertrinkt das Küchenmädchen Iris beim Baden. Iris sollte auf die Kinder aufpassen, bekommt aber im
Wasser einen epileptischen Anfall. Die kindliche Idylle wird zerstört, weil das Kind sich
mitverantwortlich fühlt für den tödlichen Badeunfall. Erst zwei Jahrzehnte später wird das Kind, die
junge Frau, aufgeklärt über den Vorgang und ihre Unschuld daran. All die Zeit hat sie das
Schuldgefühl und die Angst mit sich herumgetragen. „Hätte ich das gewusst, ich hätte als Kind mein
Überleben leichter ertragen und wäre nicht mit Bangen in jedes Schwimmbecken gestiegen“ (74). Das
Kind fühlt sich als „eine winzige Leiche, die spricht und unter Menschen lebt, die sich an ihr stoßen“
und glaubt, „dass das Leben für [sie] keine Zukunft bereithält“ (74). Hier wird deutlich, dass die das
Kind umgebenden Erwachsenen nichts von dem Schuldgefühl des Kindes ahnen, das erst so viele
Jahre später, von der sich selbst auferlegten Schuld, freigesprochen wird.
Im Kessel (Textauszug für Bachmann-Preis)
Haderlap gebraucht an dieser Stelle des Romans einen jener Exkurse, in der sie die Landschaft
beschreibt. Das Kind geht mit dem Vater entlang der Grenze von Österreich und Jugoslawien
spazieren und zusammen vermessen sie das geschichtliche und konkrete Gebiet. Die Metaphern für
die Landschaftsbeschreibung werden dem Wasser entlehnt. Für diesen Textabschnitt, den Haderlap
Im Kessel nennt, hat sie den Bachmann-Preis bekommen.
„In den Wald gehen bedeutet in unserer Sprache nicht nur Bäume zu fällen, zu jagen oder Pilze zu
sammeln. Es heißt auch, wie immer erzählt wird, sich zu verstecken, zu flüchten, aus dem Hinterhalt
anzugreifen“ (75). Diese zwei Sätze beschreiben genau das Thema dieses Textes. „Haderlap führt
darin ein Mädchen mit ihrem Vater in den Wald. Und in die Abgründe der Geschichte und der
13
Gegenwart“21. Die Abgründe sind die Waldhänge, der Wald das „grüne Meer“ (75). „Wir bleiben
stehen und schauen aus dem grünen Dickicht heraus. Wie zwei Fische, fällt mir ein, die aus dem
Tang hervorlugen“ (82). Der Wald ist Zufluchtsort und Hölle zugleich. Wenn das Wild nicht gejagt
wurde, dann wurden die Menschen gejagt. Die Partisanen hatten im Wald „Versteck- und
Überlebensplätze“ (76) gebaut. Das Leben spielte sich ab in der Nacht. Nur ab und zu verließen die
Partisanen ihr Versteck. Und dann kam es darauf an, „wie jemand in den Wald gegangen oder aus
dem Wald gekommen ist“ (85). Das hat verraten wie lange er sich versteckt halten musste. Ging er
mit Hosen und Jacken, dann würde er lange wegbleiben.
Alle Erzählungen kreisen um den Wald. Der Wald kreist um die Höfe. Die Höfe sind eingeschlossen,
eben wie in einem Kessel. Der Kessel wird zu einer großen Topografie des Todes. Bei der Wanderung
laufen sie an der Grenze entlang. Das Kind stellt erstaunt fest, dass die jugoslawische Seite des
Waldhanges der österreichischen Seite gleicht und „sich als eine Fortführung der vertrauten
Landschaft offenbart“ (80). Der Vater erzählt vom Krieg, sie kommen entlang der früheren
Kampfplätze, Bäume, an denen jemand erhängt wurde, Höfe, an denen Menschen exekutiert wurden.
Der Text zeichnet die Spuren nach, die dieser Krieg in die Landschaft und in die Menschen
geschrieben hat. „Hier war die Front nicht irgendwo in der Ferne. Man kämpfte in den eigenen
Obstgärten, versteckte sich in den Ställen“22.
Langsamer Rückzug aus der Kindheit - Entfernung
Mittlerweile ist schon viel mehr geschehen, „als einer Kindheit zuträglich wäre“ (101), meldet das
Kind. Es ist an der Zeit in etwas hinüberzuwechseln, wofür es noch keinen Begriff gibt. Das Kind
kommt in die Pubertät und mit der beginnenden Adoleszenz werden die Geschichten immer
heftiger. Das Kind entwickelt sich in der Erzählung zu einem Mädchen. Nicht nur Großmutter zieht
sich körperlich zurück, es tritt auch eine Entfernung auf zwischen ihr und dem Kind. Und das Kind
wiederum denkt daran, sich „aus der Kindheit zurückzuziehen, weil ihr Dach undicht geworden ist“
(100). Es geht auf das Gymnasium, etwas, für das sich die Mutter unnachgiebig eingesetzt hat.
Auch zeigt sich immer deutlicher die Entfernung zwischen dem Ehepaar. Die Mutter ist unzufrieden
mit ihrem Leben und kauft sich ein Moped, der Vater verweigert die Vaterschaft seines fünften
Kindes und beginnt sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen.
Die Großmutter nimmt das Mädchen mit zur Totenwache der alten Pecnica, die in der Nachbarschaft
eine bedeutende Rolle am Ende des Krieges gespielt hat. Auch der Vater erzählt Geschichten von
Menschen, die mit Benzin übergossen wurden und verbrannten, Polizisten, die jemanden schlugen
21
Brigitte Schwens – Harrant: Im Wald der Geschichten. ‚Die Furche’, 14.07.2011, Ausgabe 28.
22
Paul Jandl: Verwerfung in Kärnten. ‚Die Welt’, 16.07.11, Ausgabe 28.
14
mit seinen Krücken und das Hirn an den umstehenden Bäumen klebten. Hier begreift das Mädchen,
„dass es die Vergangenheit ist, mit der es rechnen muss“ (109). Dem Vater gegenüber bildet das
Mädchen sich ein, einen Auftrag erfüllen zu müssen um ihn zu retten vor seiner Selbstvernichtung.
Die angestaute Verzweiflung lässt sie zusammenbrechen. Die Mutter entgegnet mit dem Satz: „er
habe das Kind um den Verstand gebracht“ (116).
Großmutters Gedächtnisort
In diesem erschöpften Zustand teilt das Mädchen mit der Großmutter wieder das Bett. Sie sieht das
Schlafzimmer als einen Gedächtnisort, als eine Keimzelle, die sie formt. Von hier aus geht ihre
Orientierung. Das Mädchen ist der Vermittler für die Geschichten der Großmutter, die sich beginnt
auszuziehen und sich im Unterhemd auf das Bett setzt. Entblößt erzählt sie von „jenen zwei Jahren
ihres Lebens, die sie am tiefsten gezeichnet haben“ (118). „Aber das Grauen zeichnet sich nicht ab. Es
hinterlässt keine sichtbaren Narben“ (122). Die Großmutter hat ihr Kleid abgelegt und erzählt von
den zwei Jahren, die sie in den Konzentrationslagern der Nazis verbracht hat. Zwischen dem
Mädchen und der Großmutter findet eine Art Schlagabtausch statt. Nach dieser Nacht verändert sich
die Beziehung zwischen der Großmutter und dem Mädchen. Nichts wurde mehr, wie es einmal war,
„als ob wir uns in der Nacht zu nahe gekommen waren“ (132). Das Mädchen hat die Unschuld
verloren und wird mit seinen elf Jahren ins Gymnasium gehen, wo es seinen „Rückzugsraum“ (143)
findet. Hier hat sie zum ersten Mal Angst-Visionen von ihrer Nacktheit inmitten vieler Menschen.
Haderlap beschreibt diese Visionen in der Form des Traumes.
Die gegensätzliche Entwicklung, die die Großmutter und das Mädchen durchmachen, wird
veranschaulicht als das Mädchen zu Hause zum ersten Mal einen Bikini trägt. Die Vertrautheit mit
ihr [der Großmutter] lässt nach, „weil sie sich in ihr Wenigerwerden zurückzieht“ (141). Wenige
Monate später ist die Großmutter tot. Dieser Tod wird detailgetreu erzählt. Die Tote wird
beschrieben als „unser liebliches Kind, das umsorgt und für die Gäste geschmückt werden muss“
(150). Die Geschichten vom Krieg werden wiederholt, vom Vater, vom Großvater, den Partisanen.
Die Geschichten sind schon so oft erzählt, dass das Mädchen sagt: „Seine Erzählung ist zu meiner
geworden“ (155). Je kleiner und weniger die Großmutter geworden ist, desto größer das Mädchen.
„Nach Großmutters Beisetzung wird auch mir kondoliert, was mich erstaunt, weil ich mich bis dahin
nicht als Erwachsene wahrgenommen hatte“ (162).
15
3.3.2. Zweiter Teil: Der Vater, das Studium in Wien, der Jugoslawienkrieg (1979 –
1994)
Nach Großmutters Tod
„Nach Großmutters Tod werden die Abläufe im Haus neu geordnet“ (163). Das Kind wird jetzt in der
Ich-Form beschrieben und erlangt seine erste Gestalt durch Erbstücke von der Großmutter. Die
Mutter übernimmt die Organisation der Familie, der Vater beginnt ein Doppelleben: nach außen hin
ist er lustig, nach innen zerstörend. Seine Nervenkrisen „wirken als stilles Gift, das uns Kindern
Tröpfchen für Tröpfchen eingeflößt wird“ (166). Die Ich-Erzählerin lebt im Schülerheim vor ihrer
Matura (Abitur) in einem „Niemandsland“ (168), in dem sie zur Sprache kommen wird. Sie schreibt
ihre ersten Gedichte. Mit der Matura und dem beginnenden Studium in Wien entwickeln sich die
Reisen zum Heimatort zu „Zeitexpeditionen, zu Fahrten durch unterschiedliche Zeitläufe und
Geschichtsvarianten“ (185). Die Heimat steht für eine Fahrt in die Vergangenheit, die Fahrt nach
Wien in die Zukunft. An beiden Orten ist sie nie zeitgleich: „als eine aus der Zukunft Gefallene oder
als verspätet Angekommene“ (185). Sie umschreibt diesen Raum wieder als ein Niemandsland, jetzt
als ein Niemandsland in einem „dunklen, vergessenen Kellerabteil des Hauses Österreichs und
seinen hellen, reich ausgestatteten Räumlichkeiten“ (185). Dieses Haus gleicht dem elterlichen Haus.
Episoden mit dem Vater, Bruchstücke
In Wien hat sie begonnen in „öffentlichen Zusammenhängen“ (185) zu denken. Die Hilferufe des
Vaters interpretiert sie nun eher als gesellschaftliche und politische. Eine Episode im Wirtshaus zeigt,
dass das Land noch immer gespalten ist. Die Männer im Wirtshaus erzählen einander Geschichten
aus der Partisanenzeit, als sie bemerken, dass „die Tischrunde in einen Hinterhalt geraten ist“ (178).
Die „gegnerische Tischrunde“ durchbricht die „Frontlinie“, der „kriegerische Verteidiger“ (180)
droht mit einem Gewehr. Der Vater wird als Bandit und Spitzel bezeichnet. Sogar in einem
Wirtshaus, Jahrzehnte nach dem Krieg, ist man seines Lebens noch nicht sicher. Kurz danach fährt sie
mit dem Vater nach Hause. Unterwegs verlieren sie die Handschuhe, die der Vater mitten in der
Nacht in Schnee und Eis suchen wird. Sie findet den Vater im Schnee liegend zurück. Am liebsten
würde er liegen bleiben. Erst als die Tochter, mit einem an Hitler erinnernden Appell, dem Vater
gebietet aufzustehen, rührt dieser sich. In diesem Teil des Romans versucht die Erzählerin die zu
Bruchstücken zerfallene Geschichte zu ordnen (240). Sie versucht, die Vergangenheit der Familie zu
erfassen, indem sie zurückkehrt in die Heimat. Der Vater und die Mutter werden befragt, die Orte
des Kriegsgeschehens besucht, die Aufzeichnungen der Großmutter gelesen. Auch erscheint ihr
erster Lyrikband auf Slowenisch. Die zahlreichen Erfahrungen und Erinnerungen aus der Kindheit
16
werden
rekonstruiert
und
gedeutet.
Dazu
gebraucht
sie
Traumbilder
und
Landschaftsbeschreibungen23.
Drohender Jugoslawienkrieg
Mit dem Ausbrechen des Jugoslawien-Krieg wird sie selber Zeuge der Zerstörung. In diesem Teil des
Romans wird der Partisanenkampf geschildert. Die Kapitel 39 – 45 beschäftigen sich mit den Themen
Grenzverlauf, das Bildnis des unbekannten Partisanen, die Irritation beim Vater über den drohenden
Jugoslawien-Krieg, der Krieg auf den Höfen und die Heimkehr der Überlebenden im letzten Kapitel.
Sie erlebt am eigenen Leibe wie es ist, „wenn der Krieg eine Landschaft unterjocht“ (235). Der zweite
Teil des Romans läuft auffallend zeitgleich mit den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Exakt fünfzig
Jahre liegen dazwischen. Die Erinnerung an den Krieg vergleichen die Menschen mit einem Film
(235). „Sie wissen, dass ihre Vergangenheit in den österreichischen Geschichtsbüchern nicht
vorkommt, noch weniger in den Kärnter Geschichtsbüchern, wo die Geschichte des Landes mit dem
Ersten Weltkrieg beginnt, dann eine Unterbrechung macht und mit dem Ende des Zweiten
Weltkrieges wieder einsetzt“ (236).
23
Eines ihrer ersten Gedichte wurde in Literatur und Kritik, 1995, Ausgabe Feb/März, S. 44 veröffentlicht. Schon in diesem
Gedicht thematisiert Haderlap den Wald.
ich weiß noch, wir saßen im wald
und kauten an blättern.
du sagtest: die kriegspilze wachsen
im inneren. In gärung gebracht, schimmert
das alternde wasser unter der haut.
das ist der hass, meine liebe.
ich zog indessen würmer
aus meinem unterleib, sah
den gerechten gott ein rad schlagen
und sich die beine brechen, sah
das fluten der nacht.
mein muttermal schwoll
und schnecken zogen den baumstamm hinauf.
es könnte was kommen,
es könnte alles kommen!aber du hieltest mich fest: komm
sagtest du, komm! Nichts wartet auf uns.
niemand hütet das haus.
17
Die „grünen“ Kapitel
Immer wieder gebraucht Haderlap in den Kapiteln einen jener Exkurse über das Einswerden mit der
Natur, worin sie die heimatlichen Hügel als Falle und Graben beschreibt. Der Talgraben wird als
„Landschaftsgasse entworfen [...], in der die Wege und Straßen an einen toten Punkt auslaufen“
(190). Der Naturbeschreibung werden menschliche Metaphern zugefügt, wie „Talsohle“ (191),
„Gebirgsskelett“ (191), „Wiesenschaukel“ (192). „Der Zustand der Natur wurde täglich mit den
Augen betastet“ (192). Diese Landschaft hat menschliche Züge. Jede Anstrengung, ihr
nahezukommen, führt in die Irre. Sie ist mächtig, denn sie wird die Unschuldigen verschlingen und
unverdaut wieder ausspucken. Sie bestimmt das Wohlsein, weil die satte Landschaft auf dem Magen
liegen kann. Sie ist hinterhältig, weil sie die Blicke durchsetzt mit spitzen Gräsern und Gewächsen
(194). Die kindliche Idylle bricht an immer mehr Stellen auf, die Landschaft erweitert sich zum
Geschichtsraum, und der Wald wird zum Symbol für das Leben der Partisanen und damit für die
verlorene Unschuld der Erinnerungslosigkeit.
Die Partisanen
Haderlap widmet mehrere Kapitel der Beschreibung des Partisanenlebens, aber immer zusammen
mit den „grünen Kapiteln“. Immer wieder kehrt sie zurück in die Südkärntner Wälder und Hügel bei
Eisenkappel, „in das Gebiet der Angst und der Zuflucht“24, wo der Partisane ein Verbündeter der
Landschaft war: „Er muss die Farben und Formen des Landstrichs annehmen, unsichtbar werden, ein
Berg und ein Bach sein, eine Fichte, ein Haus, ein Hügel, ein Wald, ein Kauz, eine Schlange. […] Ein
Partisan muss sich wie ein Fisch im Wasser bewegen“ (228). Der Zufluchtsort der Partisanen waren
die Wälder. Hier versteckten sie sich vor den Nazis und wurden aber auch von ihnen gejagt wie
Wild. Sie hausten in Erdlöchern, die Zweige wurden ihr Deckmantel. Ein Partisane schlief nicht, weil
es die Nacht war, in der er sich bewegte.
Die Kärntner Partisanen haben das Unmögliche geleistet: den Widerstand gegen Hitler. Es war ein
Todeskampf, der sich von den militärischen Feldzügen des Zweiten Weltkrieges unterschied in
seiner grausamen Unmittelbarkeit: „Hier war die Front nicht irgendwo in der Ferne. Man kämpfte in
seinen Obstgärten, versteckte sich in den Ställen“25.
Es gab keinen Hof, auf dem nicht gemordet wurde oder Familien in die Konzentrationslager
verschleppt wurden. Das Partisanenleben war nur auszuhalten in der Gewissheit, „gegen die Nazis
gekämpft zu haben, etwas unternommen zu haben gegen ihren totalen Krieg“ (245).
3.3.3. Dritter Teil: Die Heimkehr der Überlebenden (1995 – 2004)
24
Paul Jandl, Verwerfung in Kärnten. ’Die Welt’, 16.07.2011, Ausgabe 28, S. 6.
25
Paul Jandl, ebd.
18
Der dritte Teil beschäftigt sich mit dem Leben nach dem Krieg. Wie kommen die Überlebenden aus
dem Krieg zurück? Haderlap beschreibt die Auswirkungen auf die Familien und die Landschaft. Die
schizophrene Lage der Partisanen führt zu einem triumpflosen Sieg, indem die Verbündeten zu
Gegnern werden. Überlebende, die auf die Höfe zurückkehren, werden durch diese Erfahrung „die
Erinnerung an den Krieg mit Schweigen aushungern“ (250). Diejenigen, die nicht vergessen können,
warten auf eine Anerkennung.
Der Vater nach dem Krieg
Haderlap beschreibt das Leben des Vaters in einer Vorschau auf die Vergangenheit. Es ist ein
beschwörender Text. Haderlap schildert das Leben des Vaters bis zu seinem Tod in einer utopischen
Sprache. Sie beschreibt eine Episode, die ihm den letzten Lebenswillen nimmt. Seine Gesundheit
wird immer schlechter und „an einem Sommertag wird er seinen Bauernwillen zu Grabe tragen“
(259). Seine beste Kuh musste kalben und rutschte hochträchtig einen steilen Abhang in den Bach.
Der Zaun war jedoch defekt. Das Kalb ist nur halb geboren und schon verendet. Die Kuh liegt im
Bach, fiebert und kann nicht aufstehen. „Ihre Augen verströmen eine derart tiefe kreatürliche Trauer,
dass die Männer das Tier nicht ansehen, weil sie der Anblick an etwas erinnern würde, dass sie in
diesem Moment nicht ertragen könnten“ (260). Die Kuh muss vom Tierarzt erschossen werden.
„Pepi holt das Schießgerät, und als er wieder im Wasser steht, sagt er zu Vater, das kalbende Kühe
nicht sterben könnten, er mache das ungern, er würde es nur aus Freundschaft erledigen, er müsse
sich sehr überwinden, es sei kaum zu machen“(261). Dieses unglaublich traurige Ereignis verkraftet
der Vater nicht mehr. Er gibt der Mutter die Schuld, da sie die Kuh auf die Wiese mit dem defekten
Zaun gelassen hatte und sagt: […] „er wolle nicht mehr“26.
Der Vater bekommt eine Lungenentzündung und takelt weiter ab. Im vorletzten Lebensjahr
bekommt er eine Wiedergutmachungspremie aus dem neu gegründeten Österreichischen
Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus. Was ihm daran gefällt ist, „dass sein Leiden
wahrgenommen wurde“ (263). Dennoch geht es dem Vater immer schlechter, er braucht ein
Sauerstoffgerät. Seine Schmerzen nehmen zu, bis im Spätherbst 1998 sein Körper von einem
„Schmerzschraubstock“ (268) umschlossen wird. Noch Monate wird es dauern bis er am 7. Januar
1999, vier Tage nach seinem Geburtstag, stirbt.
Nach Vaters Tod
26
Auch in diesem Zitat gebraucht Haderlap den Konjunktiv II für ein Geschehen, dass nicht wirklich ist.
19
Haderlap beschreibt, wie die Familie nach dem Begräbnis einander gegenüber sitzt. Jeder mit „seiner
eigenen Vaterfigur um den Hals, […], müde vom Vatergewicht, erschöpft von den Geschichten und
Erinnerungen“ (274). Die Mutter befindet sich auf „dem Höhepunkt einer Monate, wenn nicht Jahre
dauernden Erschöpfung“ (274). Die Erzählerin will neu anfangen und nimmt sich vor, erst einmal
eine Pause zu nehmen. Es gelingt ihr aber nicht, sie wird nicht in Ruhe gelassen. Die Erinnerungen
sind nicht auszubannen: „Ich lerne, im selbstvergessenen Kärnten nicht vergessen zu können“ (275).
Sie geht selber auf Spurensuche und findet im Nachtkästchen des verstorbenen Vaters das Lagerbuch
der Großmutter. Die Erzählerin liest zum ersten Mal, was ihre Großmutter aufgeschrieben hat. Zum
Aufenthalt in Ravensbrück versagt der Großmutter die Sprache: “Sie benötigte für eineinhalb Jahre
Konzentrationslager nur drei kleine Seiten“ ( 277).
Sie beschließt, selber nach Ravensbrück zu fahren. „Ich will Großmutters Erzählung noch einmal
durchschreiten, um von einem vertrauten Ort Abschied zu nehmen“ (283). Genau sechzig Jahre nach
der Einlieferung der Großmutter ins KZ, am 13. November 2003, betritt sie Ravensbrück in der
Hoffnung, hier Trost und Erleichterung zu finden. Ihr wird klar, dass sie den Engel des Vergessens, der
auf Walter Benjamins berühmten „Engel der Geschichte“ anspielt, nicht zu Gesicht bekommen wird.
„Er wird keine Gestalt haben. Er wird in den Büchern verschwinden. Er wird eine Erzählung sein“
(287). Er wird ihre Erzählung sein.
3.4.
Einordnung des Textabschnittes Im Kessel
„Als einen Idealfall, wie Literatur sich mit Geschichte beschäftigen kann“, bezeichnete Daniela Strigl
den Prosatext der Autorin27, für den sie den Bachmann-Preis bekommen hat. Haderlap führt darin
ein Mädchen mit dem Vater in den Wald - und in die Abgründe der Geschichte und der Gegenwart.
Wie von ungefähr treffen Vater und Tochter bei ihrer Waldwanderung auf jeder Seite weitere
Personen, die ihnen lehrreiche, aber auch erschütternde Auskünfte geben. „Das Gehen ist eine
Bewegung, die mich erklärt“ (100). In diesem Text wird die konkrete und historische Umgebung
vermessen, in einer bildhaften und dichten Sprache. Und das alles in einem Spaziergang entlang der
Grenze, über die Südkärntner Hügel. Haderlap führt uns in die Tiefen der Geschichte. Das Wäldchen
„hat sich dem großen Wald angeschlossen und sich in ein grünes Meer gewandelt, voll spitzer
Nadeln und scharfkantiger Schuppen, mit einem wogenden, ausufernden Unterholz aus rauen
Borken. […] Eines Tages wird er über seine Ufer treten, fürchte ich, und die Waldraine
verlassen, er wird unsere Gedanken überfluten […]“ (75).
Im Kessel ist das erste der grünen Kapitel, so ziemlich genau auf der Hälfte des ersten Teiles. Der Text
umfasst drei Kapitel und beschreibt das Waldleben der Partisanen im Krieg, an dem der Vater als
27
Brigitte Schwens-Harrant: Im Wald der Geschichten. ‚Die Furche’, 14.07.2011, Ausgabe 28.
20
Junge teilgenommen hat. Der Vater geht mit dem Mädchen in den Wald und erzählt vom Krieg. Sie
tauchen förmlich in den Graben. Der Vater zeigt dem Mädchen die Kriegsschauplätze und erzählt
was sich wo abgespielt hat. Als Partisane musste er eins werden mit der Natur. Ein Partisane
bewegte sich im Wald wie ein Fisch im Wasser. Haderlap verwendet viele Wasser-Metaphern, um
die Natur des Waldes im Lepenatal zu beschreiben. „Wir bleiben stehen und schauen aus dem
grünen Dickicht heraus. Wie zwei Fische, fällt mir ein, die aus dem Tang hervorlugen“ (82).
Der Titel des Ausschnittes heißt auch nicht ohne Grund Im Kessel. Die Großmutter hat ihr Leben zu
verdanken, indem sie in der Küche des KZ den Kessel rühren durfte, sie hat aber auch den Tod
diesem Tal zu verdanken. Der Wald wurde zu einem Kessel, indem die Fische (Partisanen) in der
kochenden Falle wahren.
3.5. Unbehaust sein in der Sprache / Exil
Rein faktisch erzählt Haderlap die Geschichte einer Frau, die im Kindesalter mit 8 Jahren beginnt und
bis ins 41ste Lebensjahr reicht, als sie 2003 das KZ Ravensbrück besucht.
Haderlap bedient sich verschiedener literarischer Register, von der anfänglichen Kinderperspektive,
über wortmagische Poesie bis hin zur geschichtskundigen Essayistik. Die Erzählung erstreckt sich
über Jahrzehnte. Den Prozess des Erwachsenwerdens markiert Haderlap in der Sprache durch
Brüche im Schreiben. Gegen Ende des Buches verfällt sie sogar in eine Beschleunigung: „Die
Beschleunigung zeigt ja auch, dass die Vergangenheit in Bewegung gerät, das ich mich von ihr
entferne“28. Haderlap benutzt in diesem Buch die verschiedenen Sprachen, in denen sie gewohnt hat:
im kräftig-konkreten Slowenisch der Großmutter, im später erlernten Deutsch, das zunächst die
Sprache des Lagers war, dann die Sprache des Studiums. Auch das Hochslowenische, dass die
Sprache ihrer Gedichte wurde, hat einen Platz in den „verdichteten Bildern“. In der Wahl der
Sprache sieht man die Form der Artikulation und nicht die Mitteilbarkeit von Inhalten. „In Wien
nehme ich die Schreibversuche wieder auf und schreibe in Slowenisch, als ob ich mich mit dieser
Sprache ins Bewusstsein zurückrufen könnte, als ob mich das Slowenische zu meinen Empfindungen
zurückführen könnte, die mir fremd geworden sind“ (175).
Österreicher und Deutsche sprechen zwar dieselbe Sprache, und trotzdem denken sie anders. Oscar
Wilde hat eine ähnliche Vergleichung zwischen Engländern und Amerikanern angestellt. Er hat
gesagt: „[…] ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass wir heutzutage tatsächlich alles mit Amerika
gemeinsam haben, ausgenommen natürlich die Sprache“29. Mit der Verschiedenheit der Sprache geht
28
Christina Repolust: Engel der Erinnerungen. ‚Salzburger Nachrichten’, 21.01.12, Ausgabe 17.
29
Oscar Wilde, Werke in zwei Bänden: Das Gesprenst von Canterville. Hanser, 1970, S. 348.
21
auch ein anderes Denken einher. Ein Schriftsteller liest die Geschichte in seiner eigenen Sprache, und
darum liest ein Deutscher die deutsche Geschichte anders als ein Österreicher.
Haderlap ist aufgewachsen auf einem Kärntner Bergbauernhof. Ihre Muttersprache ist Slowenisch.
Sie hat erst in der zweisprachigen Volksschule Slowenisch gelernt. Mit elf Jahren wird sie von der
Mutter ins Gymnasium nach Klagenfurt geschickt. Später studiert sie in Wien in der Deutschen
Sprache. Haderlap sah die Deutsche Sprache als Sprache der Reflexion: „Bei meiner Muttersprache
geht es mir aber gar nicht so sehr um die Emotion, sondern um die Intimität, die Lyrik braucht“30.
Haderlap hat diesen Roman auf Deutsch geschrieben. Sie sagt dazu: „Ich hätte das Buch nicht auf
Slowenisch schreiben können. Mir ist das Deutsche inzwischen schon sehr zugewachsen, auch über
die Arbeit. Es hält mich auf Distanz zu schmerzvollen Bereichen“31. Die Distanz zum realen Ort
erscheint bei Haderlap als Bedingung einer Ortsvorstellung im Imaginären.
Im folgende Teil werde ich Benjamnins Sprachaufsatz Über Sprache überhaupt und über die Sprache des
Menschen besprechen. Benjamin vertritt die Meinung, dass jede Äußerung menschlichen Geistesleben
als eine Art der Sprache aufgefasst werden kann. In Haderlaps Roman habe ich Echos von Benjamins
Sprachtheorie gefunden, die im dritten Teil dieser Arbeit widerschallen werden. Nur soviel:
Haderlap, sowie Benjamin, sagen in ihren Texten nur einen Bruchteil von dem was die meinen. Auf
diese Art und Weise geben sie dem Unsagbaren einen Platz und überwinden die Mangelhaftigkeit
der Sprache.
30
Norbert Mayer: Deutsch hält mich auf Distanz zum Schmerz. ‚Die Presse’, 24. März 2012.
31
Ebd.
22
„ALLES IST EINE FRAGE DER SPRACHE UND NICHT NUR DIESER EINEN DEUTSCHEN
SPRACHE. DIE MIT ANDEREN GESCHAFFEN WURDE IN BABEL, UM DIE WELT ZU
VERWIRREN. DENN DARUNTER SCHWELT NOCH EINE SPRACHE, DIE REICHT BIS IN DIE
GESTEN UND BLICKE, DAS ABWICKELN DER GEDANKEN UND DEN GANG DER GEFÜHLE,
UND IN IHR IST SCHON ALL UNSER UNGLÜCK“32.
4. Walter Benjamin (1896 – 1940)
4.1. Kurze Einführung in den Zusammenhang
Benjamins Sprache ist eine Sprache, die auf der Suche nach der Wahrheit ist. Er gebraucht eine
bildhafte Sprache, die mit dem selbstverständlichen und alltäglichen Sprachgebrauch bricht. Will
man Benjamin in seinem ungewöhnlichen Sprachgang folgen, dann muss man sich anpassen an seine
Geh-und Sehweise. Eine Vorliebe von Benjamin ist es, Begriffe von verschiedenen Seiten und Ebenen
zu belichten, sie einzukreisen, sie aber nicht direkt anzugehen und zu enthüllen. Seine Texte, die
unter Umständen schwierig zugänglich sind, als hermetische zu beschreiben, wäre unpassend.
Vielmehr ist es die Fähigkeit Benjamins, durch Auslassung mehr zu sagen als durch Ausfüllung. Bei
Benjamin gibt es eine Sprachschicht mit latenten Bedeutungen. In diesem Sinne kann von einem
negativen Denken gesprochen werden, welches von außen an die Dinge, Begriffe und Sachverhalte
herangeht, um alles zu sagen, was sie nicht sind 33. Auf diese indirekte Weise kristallisiert sich ein
Sinn heraus und ist das Wiederherstellen von einem “ursprünglichen Vernehmen der Worte” 34
möglich.
Benjamins Texte sagen nur einen Bruchteil von dem, was sie meinen. Worum es ihnen geht
verschweigen sie, doch es ist anwesend. In diesem Aufzeigen und Andeuten sagen sie das Unsagbare
mit und überwinden auf ihre Art die Mangelhaftigkeit der Sprache.
32
Ingeborg Bachmann: Das dreißigste Jahr. Die Erzählung ‚Alles’, 1961, S. 66.
33
Th.W. Adorno: Negative Dialektik. 1966, S. 135-206.
34
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte. 1992, S. 44ff.
23
4.2. Benjamins Theorie der Sprachmagie –
Von der Schöpfungsgeschichte bis zum Sündenfall der Sprache
Mit vierundzwanzig Jahren schreibt Benjamin den Aufsatz Über Sprache überhaupt und über die Sprache
des Menschen, sein erster sprachphilosophischer Traktat. Er gehört zu seinem frühen Werk, in dem
Benjamin35
eine
komplizierte
mystische
Sprachtheorie
entwirft,
die
die
“sprach-und
geschichtsphilosophischen Fragestellungen und Antworthorizonte”36 in seinem Werk ausmachen. In
jedem Sprechakt teilt die Sprache durch zur-Schau-Stellung ihr eigenes Wesen als Sprache mit, als
Ausdruck ihrer selbst. Gleichzeitig ist dieser Aufsatz Ausgangspunkt für und Gegenstand von
Benjamins späteren Sprachaufsätzen, mit Name Die Aufgabe des Übersetzers, die Lehre vom Ähnlichen
und Über das mimetische Vermögen.
Der erste Satz des Aufsatzes Über Sprache überhaupt markiert den Gegenstand aller folgenden
Erörterungen. Weil dieser Text so logisch aufgebaut eingeteilt ist, werde ich ihn hier ‘chronologisch’
auseinanderlegen. Benjamin beginnt seinen Traktat mit den Worten: “Jede Äußerung menschlichen
Geisteslebens kann als eine Art der Sprache aufgefasst werden, ... “ z.B. auch die Sprache der Musik,
der Justiz. Sprache bedeutet dann “das auf Mitteilung geistiger Inhalte gerichtete Prinzip in den
betreffenden Gegenständen“37. Kurz: Jede Mitteilung geistiger Inhalte ist Sprache, womit sich das
Dasein der Sprache nicht nur über alle Gebiete menschlicher Geistesausübung erstreckt, sondern auf
schlechthin alles. Benjamin zufolge ist Sprache das, was sich in ihr mitteilt. Dieses “Sich” ist ein
geistiges Wesen. Er macht weiter den Unterschied zwischen geistigem Wesen und sprachlichem und
meint, dass dieser Unterschied der ursprünglichste ist in einer sprachtheoretischen Untersuchung.
Diese Aussage steht im Zentrum Benjamins Sprachtheorie. Aber “was teilt die Sprache mit?”, fragt er
weiter. Sie teilt das ihr entsprechende Wesen in der Sprache und nicht durch die Sprache mit. “Jede
Sprache teilt sich selbst mit”38.
Das sprachliche Wesen der Dinge ist ihre Sprache; das, was an einem geistigen Wesen mitteilbar ist,
ist seine Sprache, in ihr teilt es sich mit. Wenn jede Sprache sich selbst mitteilt, dann ist sie im reinsten
Sinne das “Medium” der Mitteilung. Sprache ist zu sehen als Form alles dessen, was existiert. Die
35
Walter Benjamin gehört zu der Generation jüdischer Intellektuellen, die aus Deutschland vertrieben worden waren und
teilweise aus der Emigration zurückkehrten wie Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse, bzw unter radikalen
Gegen-Denkern wie Marx und Engels, Freud und Benjamin, Foucault und Lacan. Benjamin kehrte nicht zurück. Er beging 1940
auf der Flucht vor den Nazis, nach dem Grenzübertritt nach Spanien, Selbstmord. Benjamin hat sich ein Leben lang
nebeneinander mit den Begriffen Sprache und Geschichte befasst.
36
W. Menninghaus, Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie, 1980, S. 9.
37
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte, 1992, S. 30.
38
Ebd. S. 32
24
Mitteilung durch das Wort ist nur ein besonderer Fall von Sprache. Und hier sind wir beim
Grundproblem der Sprachtheorie angelangt. Das ist das Nicht-Mediale, d.h. die „Unmittel barkeit“39
aller geistigen Mitteilung. Benjamin nennt diese „Unmittel barkeit“ magisch. Das Urproblem der
Sprache ist demnach ihre Magie und deutet auf ihre Unendlichkeit hin. Was sich in der Sprache
mitteilt, kann nicht durch außen beschränkt oder gemessen werden. “Ihr sprachliches Wesen, nicht
ihre verbalen Inhalte bezeichnen ihre Grenze” 40. Magisch also nennt Benjamin die Form der
Mitteilung. Diese Magie der Sprache erklärt er zum Urproblem der Sprachtheorie. Um dieses
Urproblem zu erörtern, geht Benjamin auf den Begriff des „Namen“41 und der „Offenbarung“42 ein.
Die ‚Schöpfungsgeschichte’
Benjamin baut seine Interpretation auf eine Reinterpretation der Schöpfungsgeschichte, die in dem
Begriff der “Übersetzung” resultiert. Er betrachtet die Sprache in Bezug auf die ersten Genesiskapitel.
Für ihn ist die Bibel das Apriori und der begriffliche Hintergrund der Sprachphilosophie:
“Mit der schaffenden Allmacht der Sprache setzt er ein (der Schöpfungsakt), und am Schluss
einverleibt sich gleichsam die Sprache das Geschaffene, sie benennt es. Sie ist also das
Schaffende, und das Vollendende, sie ist Wort und Name. In Gott ist der Name schöpferisch,
weil er Wort ist, und Gottes Wort ist erkennend, weil es Name ist”43.
Benjamin entlehnt seine Gedanken der Bibel, weil die Bibel
“zunächst in dieser Absicht nur darum unersetzlich [ist], weil diese Ausführungen im
Prinzipiellen ihr darin folgen, dass in ihnen die Sprache als eine letzte, nur in ihrer Entfaltung zu
betrachtende, unerklärliche und mystische Wirklichkeit vorausgesetzt wird. Die Bibel, indem sie
sich selbst als Offenbarung betrachtet, muss notwendig die sprachlichen Grundtatsachen
entwickeln”44.
Gott hat die Natur direkt aus dem Wort, den Menschen aus Materie geschaffen. Die Natur ist als das
aus-gesprochene göttliche Wort sprachliches Sein und (göttlicher) Name unmittelbar. Gott hat dem
Menschen hingegen die Sprache als “Gabe [...] beigelegt”, als sein geistiges Sein, im „Odem, den er
39
Ebd. S. 32.
40
W. Menninghaus, Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie, 1980, S.33. Ein Zentrum der Sprachphilosophie Wilhelm von
Humboldt ist, dass eine ‘Sprachform’ als solche, unabhängig von ihren jeweiligen Inhalten, an sich selbst einen eigenen ‘Inhalt’
hat. Benjamin hat sich mit Humboldt auseinandergesetzt und der Niederschlag dieser Studien ist zu erkennen in seinen drei
Sprachaufsätzen. Ging Humboldts Interesse mehr in Richtung von verschiedenen ‘Charaktern’ bei Nationalsprachen, findet
Benjamins Theorie vor allem ihren Niederschlag in der “ Charakteristik individueller, zumeist künstlerischer Sprachgestalten”,
-( vgl. W. Menninghaus , Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie, S.13) - in gewisser Weise sogar “schlechthin alles”.
41
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte, 1992, S. 34.
42
Ebd. S. 36.
43
Ebd. S. 39.
44
Ebd. S. 38.
25
ihm einblies“45. Denn nach Gottes eigenem Bilde geschaffen, sollte der Mensch nicht seiner Sprache
„unterstellt“46 werden. Er sollte selbst auch „Namengeber“ der Schöpfung sein. Damit ist der Mensch
eindeutig gegenüber der Natur ausgezeichnet, zugleich aber selbst in die Grenzen der Schöpfung
verwiesen, die er benennt. Im Unterschied zum Wort Gottes ist der Name nicht ‚spontane
Schöpfung’, ‚uneingeschränkt und unendlich’47.
Der ‘Name’
Benjamin erörtert zunächst den Begriff des ‘Namens’. Der Name ist Inbegriff der spezifischen
Relation zwischen der “Sprache des Menschen” und der “Sprache der Dinge” 48 geworden. Das
“Namengeben“49 meint zum einen eine “Übersetzung der Sprache der Dinge”, zum anderen ist es
gleichzeitig - eben im „Benennen der Dinge“ - “das innerste Wesen der Sprache selbst”50. Damit wird
es ein “magisches” Transzendieren des „Gesprochenen“51. Im Namen teilt sich das geistige Wesen
des Menschen Gott mit. Im Namen teilt die Sprache sich mit. Den Namen kann man als die Sprache
der Sprache bezeichnen. “Der Mensch allein hat die nach Universalität und Intensität vollkommene
Sprache”52.
Es können in der Reinterpretation Benjamins zwei Gestalten sprachlicher “Unmittelbarkeit”
festgestellt werden: die “extensive” zwischen “Sprache” und “Dingen” und die “intensive” zwischen
“Prinzip” der Sprachbewegung als solcher und “Wesen” eines “Sprechers” bzw. “Kunstwerks” 53.
Verbindet man nun diese beiden Elemente “sprachlicher Nicht-Instrumentalität”, dann kommt man
zum
Begriff
einer
“immanenten
eigenen
Magie”
der
“konkreten
Sprachelemente”54
(=Namensprache), so Benjamin. Die “abstrakten Sprachelemente” weisen demgegenüber nicht gleich
eine innere Relation zur “Sprache der Dinge” auf und werden definiert als eine “andere”, “von
außen”
produzierte
“Magie”55.
Die
“konkreten
Sprachelemente”,
oder
die
Theorie
der
“Übersetzung”56 im Namen wird anhand der Schöpfungsgeschichte vorgetragen. Die “abstrakten
45
Ebd. S. 38.
46
Ebd. S. 39.
47
Ebd. S. 40.
48
Ebd. S. 34.
49
Ebd. S. 34.
50
Ebd. S. 34.
51
Ebd. S. 35.
52
Ebd. S. 35.
53
W. Menninghaus: Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie, 1980, S. 40.
54
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte, 1992, S. 45.
55
Ebd. S. 45.
56
Ebd. S. 42.
26
Sprachelemente”, das richtende Wort, Urteil, anhand der Sündenfallgeschichte. Der Sündenfall der
Sprache, mit seinen sprachverwirrenden Folgen nach Babel, ist seit je das Urbild für eine heilsgeschichtliche Krise im Bestand der Sprache. Dort, wo der Mensch die ‘Namensprache’ verlässt,
entsteht die strengere Reinheit des richtenden Wortes, des Urteils. Das Böse gibt es nur in der
Subjektivität des Urteils; es ist objektiv “nicht in der Welt”57, so Benjamin. Demnach ist die Sprache
das geistige Wesen der Dinge. Als Mitteilung teilt die Sprache ein geistiges Wesen, das ist eine
Mitteilbarkeit schlechthin, mit. Die Gleichsetzung des geistigen Wesens mit dem Sprachlichen kennt
nur graduelle Unterschiede, wodurch sich eine Abstufung allen geistigen Seins in Gradstufen ergibt.
Benjamin meint aber, dass die Gleichsetzung des geistigen mit dem sprachlichen Wesen in
sprachtheoretischer Hinsicht von “großer metaphysischer Tragweite”58 ist.
Die ‘Offenbarung’
Diese Gleichsetzung führt nämlich zu dem Begriff der “Offenbarung”, die im Zentrum der
Sprachphilosophie die Verbindung herstellt mit der Religionsphilosophie. Menninghaus erklärt den
Widerstreit innerhalb aller sprachlichen Gestaltung mit den Worten:
“Er sei vielmehr als der wie immer verstellte Reflex der Erfahrung verstehbar, dass sich im
Formulierten eine nicht-formulierte Kraft, im Ausgesprochenen ein Unausgesprochenes, und als
prädikative Aussage oft sogar “Unaussprechliches” unmittelbar = “magisch” manifestiert“59.
Vor diesem Hintergrund ist nämlich “der sprachlich existenteste, d.h. fixierteste Ausdruck, das
sprachlich Prägnanteste und Unverrückbarste, mit einem Wort: das Ausgesprochenste zugleich das
reine Geistige ”60. In diesem Kontext zitiert Benjamin Hamann: “Bey mir ist weder von Physik noch
Theologie die Rede - sondern “Sprache, die Mutter der Vernunft und Offenbarung, ihr A und O”61.
Im Grunde geht es darum, dass in der Sprache Dinge zum Ausdruck kommen können, die sich nicht
durch verbale Inhalte sagen lassen. Durch den Vortrag oder die Form einer Rede oder Aussage kann
der wesentliche Inhalt offenbar werden. Die Sprache ist in den Dingen nicht vollkommen
ausgesprochen und andersrum. Sie ist unvollkommen und stumm. Die Gemeinschaft zwischen
Sprache und Dingen aber ist unmittelbar und unendlich, wie die jeder sprachlichen Mitteilung. Der
Laut ist Symbol für die magische Gemeinschaft der menschlichen Sprache mit den Dingen. Benjamin
erwähnt in diesem Zusammenhang die Bibel, die besagt, dass Gott dem Menschen den Odem
einblies. Damit hat der Mensch zugleich Leben und Geist der Sprache.
57
Ebd. S. 43.
58
Ebd. S. 36.
59
W. Menninghaus: Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie, 1980, S. 20.
60
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte, 1992, S. 37.
61
Ebd. S. 37.
27
Benjamins Sprachphilosophie kreist also den Begriff des Nichtmitteilbaren ein. Hier können die
Intentionen des Ausdruckslosen zur Geltung kommen. Das Wesentliche der Sprache und des
Kunstwerks lässt sich nicht direkt aussagen. Benjamin versucht den nichtmedialen Charakter einer
„reinen Sprache“ zu fassen, in der Ausdruck und Ausgedrücktes zusammenfallen. In seinem Text Die
Aufgabe des Übersetzers gibt er eine treffende Umschreibung dieses Sachverhaltes:
”[...] das Symbolisierende zum Symbolisierten selbst zu machen, die reine Sprache gestaltet der
Sprachbewegung zurückzugewinnen, ist das gewaltige und einzige Vermögen der Übersetzung.
In dieser reinen Sprache, die nichts mehr meint und nichts mehr ausdrückt, sondern als
‘ausdrucksloses’ und schöpferisches Wort das in allen Sprachen Gemeinte ist, trifft endlich alle
Mitteilung, aller Sinn und alle Intention auf eine Schicht, in der sie zu erlöschen bestimmt
sind“62.
Sprache ist für Benjamin zunächst nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern das Medium, in
dem sich die Welt offenbart. In diesem Medium wird das geistige Wesen der Dinge und der
Menschen mitteilbar. Das geistige Wesen ist die Sprache selbst. Dass sich etwas Unaussprechliches
zeigt, mit dem Namen “Offenbarung”, ist eine Ausdrucksqualität des Sprechens.
Die ‘Übersetzung’
Der Begriff der “Übersetzung” liegt in der tiefsten Schicht der Sprachtheorie begründet. Der “Name”
wird im Zusammenhang mit der Theorie der Übersetzung zum Inbegriff einer spezifischen Relation
zwischen der “Sprache des Menschen” und der “Sprache der Dinge”. Indem man den Dingen einen
Namen gibt, übersetzt man die Sprache der Dinge. Gerade im Benennen der Dinge zeigt sich das
innere Wesen der Sprache selbst. Der Mensch kann die stumme, namenlose Sprache der Dinge
empfangen und sie in den Namen in Laute übertragen. Jede höhere Sprache, sagt Benjamin, mit
Ausnahme des Wortes Gottes, kann als Übersetzung aller anderen betrachtet werden. Übersetzung
ist dann die Überführung der einen Sprache in die andere durch ein Kontinuum von
Verwandlungen. Die Objektivität der Übersetzung aber ist in Gott verbürgt.
Weiter erklärt Benjamin, dass die Sprache der Dinge in die Sprache der Erkenntnis und des Namens
nur in der Übersetzung eingehen kann. Darum ist die Zahl der Übersetzungen auch gebunden an die
Anzahl der Sprachen: “soviel Übersetzungen, soviel Sprachen”63.
Der ‘Sündenfall’ der Sprache
Benjamin spricht von einem Sündenfall des Sprachgeistes, weil nun das Wort etwas mitteilen soll.
Hatte Gott die Schöpfung als “gut” erkannt, so ist das Wissen um gut und böse, weil nicht begründet
62
Ebd. S. 62.
63
Ebd. S. 43.
28
im Gotteswort, grundlos, “nichtig”. Weil die ewige Reinheit des Namens angetastet wurde, erhebt
sich nun die strengere Reinheit des richtenden Wortes, des Urteils.
“Der Sündenfall ist die Geburtsstunde des menschlichen Wortes, in dem der Name nicht mehr
unverletzt lebte, das aus der Namensprache, der erkennenden, man darf sagen: der immanenten
eigenen Magie heraustrat, um ausdrücklich, von außen gleichsam, magisch zu werden” 64.
Für die Einordnung des Sündenfall-Abschnittes in die zuvor beschriebene Sprachtheorie betont
Benjamin drei Punkte: Erstens durch Heraustreten aus der reinen Sprache des Namens macht der
Mensch die Sprache zum Mittel, zweitens durch die verletzte Unmittelbarkeit des Namens entsteht
eine neue Magie, die des Urteils und drittens ist der Ursprung der Abstraktion als ein Vermögen des
Sprachgeistes im Sündenfall zu suchen.
Benjamin führt den „Baum der Erkenntnis“ an, der als Wahrzeichen des Gerichts über den
Fragenden im Garten Gottes stand. Im Sündenfall hat der Mensch die Unmittelbarkeit in der
Mitteilung des Konkreten, den Namen, verlassen. Das Wort wird nun zum Mittel und damit
“Geschwätz“. “Geschwätz war die Frage nach dem Gut und Böse in der Welt nach der Schöpfung” 65.
Wird die Sprache zum Geschwätz von Gut und Böse, dann tritt sie aus einer Einfachheit heraus in
eine Vielheit. Die Dinge haben keinen Eigennamen mehr, außer in Gott. In der Sprache des Menschen
aber sind sie „überbenannt“. Diese Überbenennung ist der tiefste sprachliche Grund aller Traurigkeit
und vom Ding aus betrachtet, allen Verstummens: “Benannt zu sein - selbst wenn der Nennende ein
Göttergleicher und Seliger ist - bleibt vielleicht immer eine Ahnung von Trauer” 66. Der Plan des
Turmbaus von Babel und die Sprachverwirrung sind eine unausbleibliche Folge, weil die Worte als
Mittel der Verständigung eingesetzt werden und aufhören Offenbarung der Dinge zu sein.
Seit dem Sündenfall ist die Natur dazu verurteilt, stumm zu klagen. Benjamin schreibt:
“Sprachlosigkeit: das ist das große Leid der Natur“, oder noch weiter: “die Traurigkeit der
Natur macht sie verstummen. Es ist in aller Trauer der tiefste Hang zur Sprachlosigkeit, und das
ist unendlich viel mehr als Unfähigkeit oder Unlust zur Mitteilung. Das Traurige fühlt sich so
durch und durch erkannt vom Unerkennbaren”67.
Damit ist Benjamin zufolge Sprache nicht allein Mitteilung des Mitteilbaren, sondern zugleich
Symbol des Nicht-Mitteilbaren. Diese symbolische Seite der Sprache hängt mit ihrer Beziehung zum
Zeichen zusammen und erstreckt sich in gewisser Hinsicht auch über Name und Urteil. Der
Sündenfall wird zur Geburtsstunde der Subjektivität.
64
Ebd. S. 44.
65
Ebd. S. 45.
66
Ebd. S. 47.
67
Ebd. S. 47.
29
4.3. Kommentar
Die ersten Sätze Benjamins markieren den Ausgangspunkt aller folgenden begrifflichen Entwicklungen seines Traktates über die Sprache. Benjamin beginnt seinen Aufsatz mit den Worten:
“Jede Äußerung menschlichen Geisteslebens kann als eine Art der Sprache aufgefasst werden [...]”68,
wobei der Nachdruck liegt auf einer hypothetischen Auffassung.
Die Frage, die gestellt wird, ist: Wie ist der Begriff einer Sprache aufzufassen, die man als eine
“Sprache der Sprache” verstehen kann und die unmittelbar nichts zu tun hat mit den primären Daten
des Sprechens. Benjamin zufolge ist jede Mitteilung geistiger Inhalte Sprache. Das Dasein der Sprache
erstreckt sich somit auf schlechthin alles. Das, was die Sprache mitteilt, hat unmittelbar nichts mit
dem Gesprochenen zu tun, es teilt das ihr entsprechende geistige Wesen in der Sprache und nicht
durch die Sprache mit. Das “geistige Wesen” ist die “Art des Meinens” einer Sprache. Benjamin geht
es dabei ausschließlich um individuelle und künstlerische Sprachgestalten, weniger um
Nationalsprachen. Er bezieht sich auf die Begriffe “Ton”, “Stil” und “Sprachform” einer Sprache. Der
“Ton” einer Sprache teilt sich nicht “durch die verbalen Inhalte” mit, sondern realisiert sich
“unmittelbar” in ihnen. Den “Stil” beschreibt Benjamin als eine “innerlich unvertilgbare Signatur
einer Weltanschauung”. Das “geistige Wesen” im Stil ist “Ausdruck und Initiator einer
Kommunikation von künstlerischer Produktion und historischer Erfahrung” 69. Die “Sprachform”
untersucht das Wesen als solches. Hierbei (re)konstruiert Benjamin den Gehalt, den zum Beispiel der
Modus allegorischen Bedeutens an sich selbst zum Ausdruck bringt.
Benjamin nennt diese drei Begriffe Paradigmen, die den fundamentalen Unterschied ausmachen
zwischen dem, was sich in einer Sprache als solcher, und dem, was sich durch ihre verbalen Inhalte
mitteilt. Dort nämlich, wo die Sprache die Form “alles Mitteilbaren” annimmt, tritt sie in die
“Zirkulation ein und wird so, wie das Geld, dem jeweils festgesetzten Kurs unterworfen”. Erst die
Mitteilbarkeit macht die Sprache zu Zeichen, die zirkulieren können. Diese Form der “Mitteilung”
nennt Benjamin “magisch” und erklärt so die “Magie” der Sprache als das “Urproblem” der
Sprachtheorie. Die Sprache realisiert als solche etwas, was sie nicht aussagt. Um dieses “Urproblem”
zu erörtern bezieht er die mystisch-theologischen Spekulationen über “Namengeben” und
“Offenbarung” in Sprache ein.
Benjamin will schließlich die “verkrustete Oberfläche” tradierter Worte in “magnetischer Berührung”
lösen, um das in ihnen “verschlossene sprachliche Leben […] auszuschalten”70. Nicht durch das
Exponieren neuer Worte, sondern durch sich so weit wie möglich an den “alten Worten” zu
68
Ebd. S. 30.
69
W. Menninghaus: Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie, 1980, S. 14.
70
W. Benjamin: Briefe, hg. von G. Scholem und Th.W. Adorno, Frankfurt a.M. 1966, S. 329.
30
bewähren, entstehen neue Theorien. Damit wird er zum “Erben der genuinen Spracherfahrung der
mystischen Tradition und zum Fortsetzer ihrer Aneignung durch Hamann, die Romantiker und
Humboldt”71.
Der Begriff des „Namens“ wird nun wichtig als jene Erfahrung der Magie von Sprache. Benjamin
geht es um ein magisches Transzendieren des “Benannten”: “Der Mensch teilt also sein eigenes
Wesen (sofern es mitteilbar ist) mit, indem er alle anderen Dinge benennt”72. Benjamin zufolge ist die
paradiesische Namen-Sprache als die Sprache der Sprache zu bezeichnen, die die “vollkommen
erkennende” gewesen ist. Die Einheit von Mensch und Natur ist als eine sprachliche bestimmt. Sie
drückt sich aus in den Namen, die Adam den Dingen gibt und in denen er sie erkennt. Die
„Offenbarung“ ist nun dasjenige in der Sprache, was sich nicht durch “verbale Inhalte” präzisieren
lässt. Es zeigt sich damit etwas Unaussprechliches. Dies ist eine Ausdrucksqualität allen Sprechens
und nicht länger ein exklusives Zeugnis des Göttlichen.
In der 1959 veröffentlichen Sammlung Unterwegs zur Sprache spricht Heidegger über die Sprache.
Ihmzufolge hält der Mensch sich im „Haus“ der Sprache auf, wenn er spricht. Benjamin hätte das
anders formuliert, nämlich: Wer eine Sprache spricht, ist im Labyrinth ihrer Stadt unterwegs.
Benjamin spricht von der Sprache und ihrer „offenbarenden“ Kraft. Sprache offenbart nicht etwas, sie
offenbart sich. Damit setzt sie Möglichkeiten sprachlichen Handelns frei, die nur von der Sprache her
verstanden werden können. Ob der Begriff der Offenbahrung, den Benjamin mit der Sprache
verknüpft, mit der Theologie zu tun hat, ist in den verschiedenen Interpretationen unterschiedlich
gedeutet73. Nur soviel, dass es Benjamin von Anfang an zwar um ein exzentrisches, aber durchaus
profanes Verständnis der normalen Sprache geht. Die biblischen Begriffe wie ‚Offenbarung’ und
‚Sündenfall’ dienen ihm als Anhaltspunkte zur Aufdeckung einer nicht-instrumentellen Dimension
aller Sprache. Benjamin geht es um etwas, dass das Funktionieren aller Sprache erst ermöglicht. Er
entwickelt in seinem Aufsatz den Gedanken einer „reinen Sprache“, in der die Vielheit der bisherigen
Sprachen am „messianischen Ende der Geschichte“ unterzugehen bestimmt sind. Die „reine“ Sprache
enthält die Offenbarung einer absoluten Sinnordnung, bei der alle Unsicherheiten des Verstehens
und Meinens ausgelöscht waren. Die Sprache als „Haus des Seins“, so wie Heidegger das später
formuliert hat, ist mit dem Begriff der „reinen Sprache“ nicht mehr aufrecht zu halten. Durch die
unwägbare „Korrespondenz“74 in den Sprachen und die ständige Interaktion zwischen ihnen, wird
71
W. Menninghaus: Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie, 1980, S. 226.
72
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte, 1992, S. 33.
73
Vgl. W. Menninghaus: Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie, (20); Bettine Menke: Sprachfiguren. Name-Allegorie-Bild nach
Walter Benjamin. München, 1991
74
Der Begriff ‚Korrespondenz’ darf nicht im üblichen Sinne verstanden werden. Sprachliche Handlungen gewinnen ihre Bedeutung nicht
aus der Korrespondenz mit einer vorsprachlich gegliederten Welt und ihren Sinn nicht aus einer Korrespondenz mit anderen Sprechern.
31
eine geschichtliche Welt offenbart, in der die Menschen nicht bleibend zu Hause bleiben können.
Benjamin geht es folglich um die Situation der sprachlich Lebenden und entwickelt mit seiner
Theorie über die Sprache, eine Theorie der „verstellten“ Freiheit. Denn der Mensch lebt eigentlich in
einer von Korrespondenzen durchwogten Welt und er spricht eine von Korrespondenzen
angetriebene Sprache. Ohne diese Einsicht der „verstellten“ Freiheit werden die Menschen taub und
blind für den sich öffnenden Möglichkeitsraum ihrer Wirklichkeit.
Hiermit wird ein ethisches Motiv in Benjamins Schriften aufgedeckt, das mit dem Begriff der
‚Offenbarung’ zusammenfließt und damit einen Raum für die Freiheit des Sprechenden schafft. Das
Sprechen greift auf Artikulationsmöglichkeiten einer Sprache zurück, die es nicht zu seinen Zwecken
entworfen hat. Der Mensch ist aber frei um dieses oder jenes zu sagen. Das Gegebensein einer Sprache
eröffnet vielfältige Möglichkeiten des Redens, wobei Sprache nicht etwas offenbart, sondern allein
sich selbst. Man muss aber die Position der individuellen Sprecher kennen, anders ist dieses „SichOffenbaren“ nicht verständlich zu machen. In und mit der Sprache sind unendlich viele
Möglichkeiten des Sprechens möglich. Sprachliches Handeln bewegt sich in einem unerschöpflichen
Spielraum dieser Möglichkeiten. Aber Sprache und Sprechender beziehen ihre Autonomie aus ihrer
Abhängigkeit voneinander.
Die Begriffe Magie, Offenbarung, Name, Wort, Urteil und Sündenfall der Sprache sind die
wichtigsten Termini, die Benjamins Sprachphilosophie beherrschen. Während Benjamin am Traktat
Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen schrieb, kannte er noch nicht die Jüdische
Kabbala, sondern lediglich Hamanns und Humboldts Sprachtheorien. Benjamins mystischtheologische Terminologie entstammt also anderen als denen der Kabbala.
Die von Benjamin ausgearbeiteten Topoi seiner Sprachphilosophie begegnet man fast in der
gesamten sprachmystischen Tradition, so etwa auch bei Jakob Böhme in der barocken
Sprachphilosophie oder bei Georg Hamann in der romantischen Sprachphilosophie. In den Schriften,
wo jenseits der eigenen Kabbala auf diese Topoi eingegangen wird, „figuriert eine zwar nicht
historische, wohl aber allgemein sprachphilosophische Vorstellung von der Kabbala als Paradigma
und systematischer Konvergenzpunkt der thematisierten Spracherfahrungen“ 75.
Gershom Scholem erklärt in seinem Buch Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala, dass die
Sprachmystiker von jeher eine gesteigerte Sensibilität für die “unmittelbare Kraft” von
Sprachgestalten für das “aus den Worten Ausstrahlende” 76 besaßen. Sie verbanden ihre
Sprachliche Handlungen gewinnen ihren Wert aus einer Korrespondenz mit der Sprache, die ihrerseits Effekt vielfacher Korrespondenzen
in der Sprache ist.
75
W. Menninghaus: Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie, 1980, S. 192.
76
Gershom Scholem: Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala, 1973, S. 68.
32
Wahrnehmung sprachlicher Ausdrucks-Gewalten mit der “biblischen Vorstellung von der
ungeheueren Gewalt, die dem Namen Gottes innewohnt”77.
Was den Begriff der ‘Offenbarung’ betrifft, meint er häufig gleichzeitig einen religiösen und
sprachphilosophischen Sachverhalt. Scholem sagt hierzu: “Die unlösliche Verbindung des Begriffs
der Wahrheit der Offenbarung mit dem der Sprache, [...] das ist wohl eine der wichtigsten, vielleicht
sogar die wichtigste Erbschaft des Judentums an die Religionsgeschichte” 78. Sprachphilosophisch
heißt das: das unsichtbare, unfassbare Wesen Gottes wird im sichtbaren, fixierten Wort seiner
Sprache vollkommen erfahrbar, ohne dass er darin doch Aussagen über sich selbst zu treffen braucht.
Gott offenbart sich im Wort. Mit Benjamins Worten heißt das: Aus dieser Perspektive ist nämlich
“der sprachlich existenteste, d.h. fixierteste Ausdruck, das sprachlich Prägnanteste und
Unverrückbarste, mit einem Wort: das Ausgesprochenste das reine Geistige”79.
Benjamin gebraucht die Allegorie, um die Denk-, Traum und Erinnerungsbilder als Sedimente jener
Erfahrung abzubilden, das als Verfahren des rettenden ‚Eingedenkens’ bezeichnet werden kann.
Diese Denkbilder sind geronnenes, erstarrtes, “stillgestelltes” Bild und formen metaphorisch die
Schwelle, an der jener Verfall sich zugleich als der ständige Übergang von Traum und Erwachen, von
Theorie und Prosa, von Erfahrung und Verfahren in Benjamins Denken und Schreiben selber
reflektiert und vollzieht.
Es stellt sich die Frage nach der Darstellbarkeit des offenbar Undarstellbaren. Benjamin benennt das
nach einer Schreibweise der “unsinnlichen Ähnlichkeit”80. Er entwickelt den Begriff der
“unsinnlichen Ähnlichkeit”, um die Verwandlung des mimetischen Vermögens in der “Merkwelt des
modernen Menschen” zu charakterisieren. Der Begriff besage, “dass wir in unserer Wahrnehmung
dasjenige nicht mehr besitzen, was es einmal möglich machte, von einer Ähnlichkeit zu sprechen, die
bestehe zwischen einer Sternenkonstellation und einem Menschen”. In Sprache und Schrift sei aber
ein “Archiv unsinnlicher Ähnlichkeiten” vorhanden.
Dieses Darstellbarheitsproblem findet man auch bei Maja Haderlap. Im folgenden wird versucht,
dieses Darstellbarheitsproblem zu belichten.
77
Ebd. S. 14. In einem Artikel von Ernst Müller, getitelt Kabbala, kann man folgende Ausführungen finden: “Eine der
eigentümlichsten Vorstellungen der Kabbala ist die von der schöpferischen Kraft und Wesenhaftigkeit der Laute, welche - im
Sinne der alten Logoslehre - im ‘Urwort’ gegründet ist. Die phonetische Spezifizierung der Laute, welche in den Gottesnamen
ihren Anfang nimmt, bezeichnet, vom Aspekt der wirkenden Kräfte selbst, verschiedene Etappen des Schöpfungswerkes. Der
unmittelbare Niederschlag der Laute sind Buchstaben (...’Zeichen’), deren Form sowie deren spezielle Zusammenfügungen zu
Worten, insbesondere nach gewissen Zahlenentsprechungen betrachtet [...] Geheimnisse enthalten”. Ernst Müller: Kabbala, in
Jüdisches Lexikon. Berlin 1929, Bd.III, S.516
78
G. Scholem: Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala, Verlag: Leiden, 1973, S. 7.
79
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte, 1992, S. 37.
80
Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, II, 1. S. 209ff.
33
WIR ABER WOLLEN ÜBER GRENZEN SPRECHEN,
UND GEHEN AUCH GRENZEN NOCH DURCH JEDES WORT:
WIR WERDEN SIE VOR HEIMWEH ÜBERSCHREITEN
UND DANN IM EINKLANG STEHEN MIT JEDEM ORT“81.
5.
Echos der Sprache im Geschichtsraum
Warum werden Texte geschrieben? Warum sollte jemand seine Geschichte, seine ganz persönlichen
Erlebnisse und Erinnerungen, in einem Roman fassen wollen? Ausgangspunkt für ein solches
Unternehmen ist ein Gefühl der Notwendigkeit. Bei Haderlap hat dieses Gefühl lange im Dunklen
geschwelt, bis sie schlussendlich diesem Gefühl eine Richtung geben konnte. Aus den traumatischen
Erlebnissen
ihrer
Kindheit
schöpfte
sie
einen
Text
und
gab
den
Erinnerungen
eine
Lebensberechtigung, „in der Großmutters Erzählungen klingen wie Echos aus lange vergangener
Zeit“ (286).
In diesem Kapitel werde ich zunächst eingehen auf die allgemeinen Aspekte des Traumas, wie sie
Sigmund Freud in seinem 1920 erschienen Buch Jenseits des Lustprinzips beschrieben hat. Danach
werde ich die Entstehung des Traumas bei Haderlap belichten als eine Notwendigkeit zum
Schreiben. Die Traumas der Großmutter und des Vaters sind so immens, dass sie Folgen haben für
weitere Generationen. Mir war wichtig, dem Thema Trauma an dieser Stelle einen Platz
einzuräumen, weil ein Trauma der Grund für Bücher sein kann. Benjamins Sprachtheorie werde ich
im folgenden anwenden im Zusammenhang mit der Sprachfindung bei Haderlap. Dafür werde ich
den Text von Benjamin von der Schöpfungsgeschichte bis hin zum Sündenfall der Sprache bei
Haderlap folgen. Diese Sprachfindung findet in der Landschaft statt, die dadurch zu einem
Geschichtsraum wird. Können die Spuren des Schreckens verblassen? Haderlap beendet ihr Buch mit
einem Hinweis auf Benjamins Engel der Geschichte. Diesem Engel kommt die Geschichte wie eine
einzige Katastrophe vor. Haderlaps Engel des Vergessens gesellt sich zu diesem Engel. Es stellt sich
die Frage, was Haderlap hiermit bewirken will. Deutlich ist mittlerweile, dass die katastrophale
Geschichte, die wir den Holocaust nennen, nicht vergessen werden darf und kann.
81
Ingeborg Bachmann: Werke. Erster Band. Gedichte, Hörspiele, Libretti, Übersetzungen, hg. Christine Koschel, Inge von Weidenbaum
und Clemens Münster (München: R. Piper & Co., 1993) 1998. So lautet die letzte Strophe des fünften Gedichts aus dem Gedichtzyklus
Anrufung des großen Bären. Es handelt sich bei diesem Gedichtzyklus um eine Landschaftsbeschreibung, nämlich um die ihrer Heimat
Kärnten.
34
Haderlap geht es in ihrem Roman um ein Erinnern der Vergangenheit und nicht ein Vergessen. Sie
geht dabei auf die Suche nach adäquater Wahrnehmung, um das Unbegreifliche, Unsagbare der
jüngsten Geschichte, in diesem Fall der Kärntner Slowenen, darzustellen.
5.1. Trauma wird Notwendigkeit
Unter dem Einfluss des Ersten Weltkrieges beschäftigt sich Freud in Jenseits des Lustprinzips (1920)
ausführlich mit dem Problem der Kriegsneurosen. Im Gegensatz zur „gemeinen traumatischen
Neurose“82 heben sich die Traumata, die im Krieg erlitten wurden, durch zwei wesentliche Merkmale
ab. Als erstes, und im wesentlichen das Trauma verursachende Moment, nennt Freud den Schrecken.
Damit ist etwas anderes als Angst und Furcht bezeichnet. Beim Schrecken steht die Überraschung im
Vordergrund, unvorbereitet in große Gefahr zu geraten, das komplette Überrumpeltwerden durch
eine für die Psyche unerträgliche Situation. Die Angstbereitschaft – und das damit verbundene
mögliche Handeln – auf eine kommende Gefahr fehlt. Der zweite Punkt ist die Tatsache, dass eine
gleichzeitig mit dem Trauma erlittene Verletzung der Bildung einer traumatischen Neurose
entgegenwirkt83.
Für das Trauma sind im Zusammenhang mit dem Schrecken noch weitere Merkmale von Bedeutung.
Die ansonsten wirksame Reizabhaltung vermag bei einem traumatischen Vorkommnis die Psyche
nicht mehr zu schützen. Die Psyche ist den hereinbrechenden Reizmengen schutzlos ausgeliefert.
„Solche Erregungen von außen, die stark genug sind, den Reizschutz zu durchbrechen, heißen wir
traumatische“84. Da das Trauma so eine massive psychische Störung verursacht, verliert der Mensch
nach einem traumatischen Erlebnis meist sein (Selbst)vertrauen und das Gefühl, was die Welt als
Ganzes für ihn früher war. In der traumatischen Situation ist die Integrität und Humanität des
Menschen aufgehoben. Je länger sie andauert, desto schädigender ist sie für die Psyche. Die (vielfach
demütigenden) Erlebnisse strömen auf den Menschen ein, ohne das die Psyche Zeit hätte, sie zu
verarbeiten. Zudem erfährt sich das Individuum als ohnmächtig, als unfähig die Situation zu
verändern oder zu bewältigen, gerade weil es unvorbereitet in eine gefährliche Situation gerät. In der
Folge des Schreckens wird der auf niedrigen Niveau gehaltene psychische Reizschutz des Menschen
durchbrochen.
Der
psychische
Organismus
versucht
die
Reizüberschwemmung
durch
Gegenmaßnamen zu bewältigen. Bei vorhandener Angstbereitschaft ist die menschliche Psyche auch
imstande, gewisse „Erregungsmengen zu binden“85, doch Freud hält fest: „von einer gewissen Stärke
82
Siegmund Freud: Jenseits des Lustprinzips (1920), hg. S. Fischer Verlag, Studienausgabe, Band 3, 1975, S. 222.
83
Ebd. S. 243.
84
Ebd. S. 239.
85
Ebd. S. 241.
35
des Traumas an wird er (der Unterschied zwischen einem unvorbereiteten und vorbereiteten
psychischen System) wohl nicht mehr ins Gewicht fallen“86.
Die Vorstellung von gebundenen Erregungsmengen ist für das Verständnis des Traumas von großer
Bedeutung. Negativ kann also von einem Trauma gesprochen werden, wenn auf die Psyche
einströmende Reize nicht mehr in den seelischen Apparat eingeordnet werden können. Das Erlebte
hat keinen Platz im Erlebten. Es gibt keine humane Erfahrung, die sich mit dem Trauma vergleichen
lässt, kein Bekanntes an das sich anknüpfen ließe. Schutzlos ist das Individuum dem Trauma
ausgeliefert. Das Unerträgliche, das Lebensbedrohende muss auf eine bestimmte Weise verdrängt
werden. Diese Wahrheit ist dem Menschen in dieser Form nicht zumutbar87. Zu plötzlich war die
Reizüberflutung, und zudem war keine Flucht möglich. Eine totale Machtlosigkeit wird erfahren.
„Das vergessene und verdrängte Erlebnis kehrt jedoch in Träumen immer und immer wieder zurück
(Wiederholungszwang), als ob das Unbewusste gleichsam, allerdings erfolglos, versuchen würde,
das Trauma durch nachträgliche Angst, und eben nicht nur durch Schrecken, zu bewältigen“88.
Wie wir gesehen haben ist die menschliche Psyche auf solche Reizüberschwemmungen nicht
eingestellt. Das menschliche System weiß auf ein traumatisches Erlebnis keine adäquate Reaktion.
Dabei taucht die Frage auf, ob es überhaupt eine adäquate Reaktion auf ein Trauma gibt. Vielleicht ist
allein das Schweigen die angemessene Reaktion auf ein Erlebnis, für das es keine Worte gibt. Denn
das Trauma ist keine gewöhnliche Geschichte, keine alltägliche Geschichte. Das Trauma stellt einen
Bruch dar in der Geschichte. Wir können nach einem Trauma nicht zur Tagesordnung übergehen,
weil wir nicht mehr weiter als (der gleiche) Mensch leben können. In unserer Geschichte passierte
‚etwas’, dass zu fürchterlich war, als das es einfach in Worte gefasst werden könnte. Die traumatische
Geschichte ist eine Geschichte, die (noch) nicht erzählt werden konnte.
Normalerweise ist jede Geschichte narrativ konstruktiv bestimmt, d.h. wir machen Geschichten
indem wir uns Geschichten erzählen und uns auch danach verhalten. Wichtig ist nun, dass die
Geschichte veränderbar ist. Sie kann neu erzählt werden. Im Zusammenhang mit der Frage des
Traumas ist es aber entscheidend, dass Geschichte überhaupt, in welcher Form auch immer, erzählt
wird. Sei es, um das Leiden der Traumatisierten und den davon Betroffenen zu lindern, sei es, um
uns vor einer Wiederholung des Traumas zu schützen, dass es, falls es verdrängt bleibt, sich stets in
anderer Form oder gleich wiederholt. Nur so kann eine Verschiebung stattfinden. Vielleicht eine
Verschiebung vom Unfassbaren zum Fassbaren, vom Trauma zur geschichtlichen Erinnerung.
86
87
Ebd. S. 241.
Zitat in Anlehnung an Ingeborg Bachmanns Rede zur Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden mit dem Titel: Die Wahrheit ist
dem Menschen zumutbar. Werke, Band 4, S. 275.
88
Siegmund Freud: Jenseits des Lustprinzips, 1920, hg. S. Fischer Verlag, Studienausgabe, Band 3, 1975, S. 242.
36
Es stellt sich also die Frage, wie eine permanente, nicht bewusst abrufbare und meist mit starken
emotionalen Störungen (Depressionen, Zwangsneurosen, Psychosen) verbundene Erinnerung in ein –
allgemein gesprochen – symbolisches Netzwerk eingebunden werden kann? Wir gehen dann davon
aus, dass der Versuch nötig ist.
Zeugnis ablegen
Über die persönliche Wahrheit muss Zeugnis abgelegt werden. Was bedeutet es Zeugnis ablegen, für
etwas, was noch nicht gesagt werden konnte?
Psychoanalytisch gesprochen bedeutet dieser Prozess eine Verschiebung der immer schon existenten
Wahrheit vom Unbewussten zum Bewussten. Der Akt des Zeugnisablegens bildet den Zugang zur
unbewussten Wahrheit. Es findet eine Transformation statt, oder mit anderen Worten: die Wahrheit
wird ans Tageslicht gebracht. Der biblische Satz: „Die Wahrheit wird euch befreien“ (Jo 8,32)
bedeutet psychoanalytisch interpretiert genau den befreienden Vorgang, der beim Aufdecken der
(unangenehmen) Wahrheit erfahren wird.
In ihrem Buch Testimony ist es Felman/Laub89 erstmals in der Psychoanalyse gelungen zu erkennen,
dass ein Mensch auch ohne sprachlichen Zugriff auf die Wahrheit, wie es beim Trauma der Fall ist,
Träger von Wahrheit ist:
„Psychoanalysis […] profoundly rethinks and radically renews the very concept of testimony,
by submitting, and by recognizing for the first time in the history of culture, that one does not
have to possess or own the truth, in order to effectively bear witness to it; that speech as such is
unwittingly testimonial; and that the speaking subject constantly bears witness to a truth that
nonetheless continues to escape him a truth that is, essentially, not available to its own speaker”90.
In diesem Zitat wird auch deutlich, wie schwierig es ist, die englischen Ausdrücke „witnessing“,
„testimony“, „bear witness“, „testimonial pratice“ usw. zu übersetzen. Die Ausdrücke werden fast
ausschließlich mit dem Ausdruck „Zeugnis ablegen“ übersetzt. Wichtig ist dabei auch nicht
unbedingt worüber Zeugnis abgelegt wird, sondern was durch den Akt des Sprechens an sich
hervorgebracht wird. Damit dieser Akt des Sprechen insofern gelinge als nun bewusst Wahrheit
gesprochen wird, gibt es in der Psychoanalyse die Vorraussetzung, deren Methode sie selbst ist,
nämlich der psychoanalytische Dialog. Die Anwesenheit eines zweiten Menschen ist unabdingbar für
das Hervorbringen der Wahrheit: nicht um dem Zeugen oder der Zeugen das Realwerden der
unglaublichen und noch ungeglaubten Wahrheit abzunehmen, sondern um spiegelnd daran
89
Shoshana Felman, Dori Laub: Testimony: crisis of witnessing in literature, psychoanalysis and history. Routledge, Chapman and Hall
Inc., 1992. Die Basis für dieses Buch legt die eigene Praxis der zwei Autoren und ihre Erfahrungen mit Erzählungen von Überlebenden.
Felman und Laub präsentieren die erste Theorie über “Zeugnis ablegen”: ein radikal neues Konzept über die Beziehung zwischen Kunst und
Kultur und dem Zeugnis ablegen von historischen Vorfällen.
90
Ebd. S. 15.
37
teilzuhaben. Die psychoanalytische Situation bietet so Gelegenheit das Unlebbare nochmals bewusst
zu durchleben. Mit der psychoanalytischen Methode hat Freud etwas ganz Entscheidendes entdeckt,
„an unprecedented kind of dialogue in which the doctor’s testimony does not substitute itself for the
patient’s testimony, but reasonates with it, because […] it takes two to witness the unconscious”91.
Trauma bei Haderlap
Bei Freud rührt das Trauma von Ereignissen her, die nicht in die bewusste Persönlichkeit integriert
werden können, aber ihre Spuren im psychischen Apparat hinterlassen haben. Bei Haderlap wird das
Trauma vererbt durch die Erzählungen der Großmutter und des Vaters, bei denen die Ereignisse
eingeströmt waren, ohne das die Psyche Zeit genug hatte, sie zu verarbeiten: „Seine Erzählung ist zu
meiner geworden“ (155). Der Vater verliert im Roman Jahre später, über den drohenden Krieg in
Slowenien 1992, beinahe den Verstand. Kurz danach liest die Erzählerin ein Buch über die Spätfolgen
der Kriegstraumas. Endlich bekommt der Zustand des Vaters einen Namen, denkt sie. Sie ist
erleichtert. Aber kann die Benennung etwas verändern?
„Ich lese vom Verschwinden der Empathie im Jetzt, vom Gefangensein im eigenen Körper, in
dessen Stoffwechsel die Vergangenheit eingeschlossen ist wie eine lebende Gedächtnismikrobe,
die zu bestimmten Anlässen den Menschen in Besitz nimmt, ihn überwuchert und von allem
Gegenwärtigen trennt“ (233).
Im Zusammenhang mit einem Trauma muss die Geschichte aber erzählt werden. Nur so kann die
Verschiebung stattfinden vom Unfassbaren zum Fassbaren, vom Trauma zur geschichtlichen
Erinnerung. Wie Felman/Laub schreiben, ist an dieser Stelle das Zeugnis ablegen von großer
Wichtigkeit. Dabei kommt es auf den Akt des Sprechens an, nicht unbedingt worüber man spricht.
Wie im Text hiervor erklärt, ist die Anwesenheit eines zweiten Menschen unabdingbar für das
Hervorbringen der „Wahrheit“.
Das Trauma scheint mir ein Grundzug in Haderlaps Schreiben. Als kleines Mädchen schon, vielleicht
sechs, höchstens sieben Jahre alt, wird sie Zuhörer der ungeheuerlichen Verbrechen, denen ihre
Familie ausgesetzt war. Erzählungen von Unglücksfällen und Selbstmorden, Erfahrungen von Angst
und Schrecken, Sprachlosigkeit und Unverständnis prägen die Kindheitslandschaft der Erzählerin.
Diese Erzählungen finden Ausdruck in ihren Gedichten und diesem Roman, in denen „die
Erinnerung an den Krieg in das Bewusstsein der folgenden Generation“ 92 eindrängt. „Das Kind
begreift, dass es die Vergangenheit ist, mit der es rechnen muss“ (109). Geleitet von den Erzählungen
von vor allem der Großmutter, muss das Kind sich begeben „in die Zeit vor meiner Zeit“ (109). Die
Vergangenheit wirft übergroße Schatten auf die Gegenwart und die Zukunft erweist sich als
91
Ebd. S. 15.
92
Wiebke Porombka: Wenn der Krieg die Landschaft unterjocht. , Frankfurter Allgemeine Zeitung’, 19.07.2011, Ausgabe 165.
38
Leichtgewicht auf diesem Boden. Haderlap befindet sich in einem Verborgenen schwelenden,
permanenten Kriegszustand. Sie ist von klein an traumatisiert und dem gibt sie Ausdruck in der
Darstellung von zwischenmenschlichen Beziehungen. Da die Leiderfahrung eines jeden Einzelnen
aber nicht einfühlbar wird durch die Beschreibung der großen ‚Untaten’, beschreibt Haderlap ihre
Beziehung zur Großmutter, dem Vater und der Mutter. Mit der Sprache des Traums hat Haderlap
eine Darstellungsmöglichkeit gefunden, in der das Verdrängte vom Unbewussten ins Sprachliche
verlagert werden kann.
Auch
in
das
Dorf
Eisenkappel
sind
jene
zurückgekehrt,
welche
die
Qualen
in
den
Konzentrationslagern überlebt haben. Unter ihnen kommen die Partisanen zurück, die dem blutigen,
entbehrungsreichen Partisanenkampf gegen die Eingliederung ins Nationalsozialistische Reich,
entkommen sind. Der Kampf der Partisanen ist der einzig nennenswerte militärische Widerstand
gegen den Nationalsozialismus, der das Aussichtslose versuchte. Die meisten aber sind mörderisch
bestraft. Auch unbeteiligte Angehörige von Partisanen wurden gefoltert und systematisch in
Konzentrationslager deportiert. Vor Frauen und Kindern wurde nicht zurückgeschrocken. In der
österreichischen Geschichtsschreibung wird diese Tragödie jedoch völlig verschwiegen:
„Sie wissen, dass ihre Vergangenheit in den österreichischen Geschichtsbüchern nicht
vorkommt, noch weniger in den Kärntner Geschichtsbüchern, wo die Geschichte des Landes mit
dem Ende des Ersten Weltkrieges beginnt, dann eine Unterbrechung macht und mit dem Ende
des Zweiten Weltkrieges wieder einsetzt“ (236).
Diese historische Tragödie erzählt Haderlap anhand ihrer Familiengeschichte, mit der sie
durchdrängt ist. „Ich fürchte, [schreibt sie,] dass sich der Tod in mir eingenistet hat, wie ein kleiner
schwarzer Knopf, wie eine dunkle Spitzenflechte, die sich unsichtbar über meine Haut zieht“ (91).
Haderlaps Vater wurde als Zwölfjähriger gefoltert, ihre Großmutter überlebte das KZ Ravensbrück.
Diese biologischen Koordinaten bestimmen das Trauma der ganzen Familie und reichen weit fort bis
in die Gegenwart. Der Vater schreibt sich von diesem Datum 93 her:
„Nachdem ich mehrmals beteuert habe, dass ich nichts weiß, haben die Polizisten Seile aus den
Säcken gezogen und mir eines um den Hals gelegt. Dann haben sie mich auf einen Ast gehängt,
einen Ast des Nussbaumes, der neben der Mühle gestanden ist. Sie zogen mich mit dem Seil
hinauf, bis mir schwarz vor den Augen wurde, dann ließen sie mich wieder hinunter. Dann
zogen sie mich wieder hinauf, drei Mal hintereinander. […] Dein Hals war blutunterlaufen und
die Beine voller blauer Striemen […].Ja, so war es, sagt Vater und verstummt“ (154/155).
Die Großmutter schreibt sich von dem folgenden Datum her:
„An jenem 12. Oktober 1943 seien von denen mit ihr verhafteten Nachbarn viele in den Tod
gegangen, die Mozgan Marija, die Mozgan-Magd Bricl, der Cemer Luka, [….] Zurückgekehrt
93
Gemeint wird die Unterbrechung eines Kontinuums, wobei ein Augenblick in der Geschichte erreicht wird, von dem aus
sich die Erfahrung der Autorin herschreibt.
39
seien nur das Mozgan-Mädchen Amalija, die Cemer-Kinder Johi und Katrca […]. Sie sei gerettet
worden, ja, ob sie deswegen gerne lebe, wisse sie nicht“ (71).
Nicht nur in den Erzählungen, sondern auch in der Landschaft findet man die Spuren des Todes. Der
Tod ist überall und allgegenwärtig in einer Landschaft, die vom Krieg durchfurcht ist. Auch das
Sterben (durch Verunglücken und Selbstmord) findet kein Ende. Die Großmutter „zeichnet die
Anwesen auf ohne Schrift, flicht ein feines Netz von Hof zu Hof, zieht die Namen über den Hügeln
zusammen, ein eigentümliches Geflecht, eine verborgene Nachbarschaft der Überwältigten“ (141).
Wie ein unsichtbares Netz überzieht der Tod das Leben und die Natur, die nur idyllisch scheint für
die nicht Eingeweihten. In der Heimat Haderlaps, in der Umgebung des Lepena-Grabens mit seinen
weit verbreitet gelegenen Höfen und Dörfern gibt es kaum ein Gehöft, dass nicht Schauplatz einer
Deportation oder Mord geworden ist. Gräben und Risse trennen die Täler, Bäume, an denen jemand
erhängt wurde, Wälder die als Schutz aber auch als Kriegsschauplatz gedient haben. Die Großmutter,
sowie der Vater, hängen am „Erinnerungshaken“ (92) des „hinterhältigen Menschenfischers“ (92)
Krieg im „Wald der Geschichten“, denn „In den Wald gehen bedeutetet in unserer Sprache nicht nur,
Bäume zu fällen, zu jagen oder Pilze zu sammeln. Es heißt auch, wie immer erzählt wird, sich zu
verstecken, zu flüchten, aus dem Hinterhalt anzugreifen“ (75). Auch wenn der Wald durch die Jahre
dichter wird, ehemalige Kampfstätten überwuchern, Bäume gefällt werden, bleibt immer noch die
Erinnerung. Der Natur die verlorengegangene Unschuld zurückzugeben wird ein Unternehmen:
„Das Kind will [aber] zurück zu den unvermittelten Dingen, wo sich kein Wort zwischen es und
die Welt drängte, wo nichts, was es berührte, sich ihm entzog. Es will die Worte von den Dingen
pflücken, den Namen Wiesenschelle von der Wiesenschelle und Taubnessel von der
Taubnessel“ (133).
Als Ursprung der Erinnerung und der Notwendigkeit des Schreibens und als Anfang eines Wissens
um den eigenen historischen Ort sind diese Ereignisse schmerzhaft. Durch diese Erfahrung, diese
biologische Koordinate, dieses Datum, wird eine Zäsur gezeichnet, mit der eine nicht selbst
herbeigeführte historische Verwicklung beginnt. „Ursprung“ meint in diesem Zusammenhang nicht
unbedingt Anfang, sondern eher „Entspringen“ im Benjaminschen Sinne. Es ist ein Moment, indem
ein bedeutendes Datum der Lebens- und Autorgeschichte kenntlich wird. Das Erinnerungsmoment
ist dabei eher als Datum im Celanschen Sinne zu verstehen, denn als historische Datierung. „Mit
meiner verbrannten Hand schreibe ich über die Art des Feuers“ 94, eben weil man sich erst die Hand
verbrennen muss, will man den Schmerz beschreiben können.
Haderlap spricht sich in der Öffentlichkeit für eine Anerkennung der Leiden der SlowenenDeutschen durch die Nazis aus. Notwendig ist das Erinnern der Taten und der Kampf gegen die
94
Ingeborg Bachmann: Wir müssen wahre Sätze finden. Gespräche und Interviews, Verlag R. Piper & Co., München 1983. S. 71. Dies ist
ein Satz von Gustave Flaubert aus seinem Roman Madam Bovary. Ingeborg Bachmann hat ihn adoptiert. Man könnte diesen Satz als
allgemeine Charakterisierung von Bachmanns Werk sehen.
40
kollektive Verdrängung, sowie das Vergessen der historischen Vergangenheit. Erst dann kann die
Geschichte verblassen, sie muss erst verortet sein. Schlussendlich entspringt das Erzählen von
Damals dem Wunsch, endlich vergessen zu können.
5.2. Benjamins Sprachechos in Haderlaps Roman –
Von der Schöpfungsgeschichte bis zum Sündenfall der Sprache bei Haderlap
In dem hier folgenden Kapitel werde ich die Sprachtheorie Benjamins anwenden im Zusammenhang
mit der Sprachfindung bei Haderlap. In seiner Analyse zu einem gereinigten Sprachbegriff, einer
„Sprache der Sprache“ 95, baut Benjamin seine Interpretation, wie schon erklärt, auf eine
Reinterpretation der Schöpfungsgeschichte auf. Schon Goethe brachte es auf den Punkt: Die Bibel,
das „verbindende Urdokument der Menschheit“96. Benjamin behandelt neben dem Schöpfungsakt
vier andere Begriffe, die mit der Analyse zu einer reinen Sprache zusammenhängen: den Namen, die
Offenbarung, die Übersetzung und den Sündenfall.
Bei Benjam in bed eu tet Sp rache “d as au f d ie Mitteilu ng geistiger Inhalte gerichtete Prinzip in d en
betreffend en Gegenständ en” . Diese teilen sich nicht durch d ie Sp rache, sond ern in d er Sp rache m it.
97
Bei Benjam in ist d as sp rachliche Wesen u rsp rü nglich, d a es “d ie Dinge benennt” . Diese
98
‘ad am itische’ od er ‘N am ensp rache’ teilt nichts Inhaltliches m it; d ie Sp rache sp richt sich vielm ehr
selbst au s. Bei Benjam in entließ Gott d ie Menschensp rache, d ie ihm als Med iu m d er Schöp fu ng
d iente. Er ü berließ im Menschen sein Schöp ferisches. In Benjam ins Sp rachau fsatz ist d er Mensch m it
Sp rache begabt. In d iesem Kontext fü hrt Benjam in d en ‘Sü nd enfall d er Sp rache’ ein: d as Wort
versu chte nach d em Sü nd enfall sich au szu sagen, etw as m itzu teilen, näm lich d ie Erkenntn is ü ber Gu t
u nd Böse. Benjam in verw end et in d iesem Zu sam m enhang d en Begriff “Geschw ätz” . “Geschw ätz”
99
ist Sp rache, d ie nicht w ie d er N am e au f Erkenntnis d er Dinge beru ht. Bei Benjam in ist d er
Geschw ätzige d er Sü nd ige. Diesem Sü nd igen kann nu r m it d em m agis chen Wort d es Gerichts
begegnet w erd en. Das Geschw ätz ist au ch d ie Mitteilbarkeit d er Mitteilu ng. Das sp rachliche Wesen
d es Trau rigen kom m t d u rch d ie ‚Überbenennu ng d er Dinge’ in d ie Menschensp rache. In H ad erlap s
Rom an w erd e ich im folgend en nachgehen, w ie d ie fü nf Begriffe au s Benjam ins Sp rachau fsatz
zu rü ckschallen als Echo.
95
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte, 1992, S.48
96
J. W. Goethe; Schriften zur Literatur. S. 689.
97
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte, 1992, S. 30.
98
Ebd. S. 35.
99
Ebd. S. 44.
41
Beginnen wir mit der Schöpfungsgeschichte, deren Akt einsetzt mit der „schaffenden Allmacht der
Sprache“100. In Haderlaps Roman ist es die Großmutter, die an die Macht des gesprochenen Wortes
glaubt, an „Wort, das Brot geworden ist“ (28). Für die Großmutter kam der Schutz durch das Wort. In
Benjamins Sprachaufsatz ist die Allmacht der Sprache Wort und Name. In Gott ist der Name
schöpferisch. Und dieser Gott hat die Natur direkt aus dem Wort geschaffen. Dieser Gott hat dem
Menschen die Sprache als Gabe beigelegt. Die Großmutter wird die Schöpferin von Haderlaps
Identiteit. Sie beschließt sogar die Erziehung der Erzählerin zu übernehmen. Von der Großmutter
hört sie zum ersten Mal den Namen Ravensbrück, der sich in ihrem Wortschatz nestelt. Sie sieht das
Arbeitsbuch und die Lagernummer auf dem Unterarm der Großmutter. Die Großmutter benennt und
übersetzt die Sprache der Dinge in die Sprache der Menschen. Dafür braucht sie ein Gegenüber. Der
Empfänger ist die Erzählerin. Die Großmutter bestimmt den Wortschatz der Erzählerin und „richtet
ihren Orientierungssinn“ (117), die die „Vibrationen der Großmutter auf die Welt übertragen
werden“ (228). Benjamin gibt in seinem Aufsatz dem Namengeber den höchsten Rang: „Gottes
Schöpfung vollendet sich, indem die Dinge ihren Namen vom Menschen erhalten, aus dem im
Namen die Sprache allein spricht“101. Die Großmutter ist somit nahe bei Gott und der ‚reinen
Sprache’. Großmutter benennt nicht nur, sie zeigt. Das Kind fühlt die „Vibrationen“.
Benjamin geht es ebenfalls um die Offenbahrung des Wahren in einer wahren Sprache, die allerdings
noch eine fremde ist. Die reine, wahre Sprache muss in einer eigenen erlöst werden 102. Die Erzählerin
umschreibt diesen Akt mit den folgende Worten:
„Ich hoffe, dass ich später die richtige Sprache finden werde, und ersinne Phantomsätze, die ich
in die Zukunft vorauswerfe. Das Gedachte und Gefühlte, das Empfundene und Befürchtete, soll
erst später zur Sprache kommen, in einem Satz zusammentreffen oder zusammengeführt
werden […]“ (168).
Es muss also der Versuch unternommen werden, für das Erlebte eine eigene Sprache zu finden,
obwohl der Begriff das Original zu zerstören droht, bzw. der persönlichen Erfahrung nicht
entspricht.
In Haderlaps Roman will das Kind „zurück zu den unvermittelten Dingen, wo sich kein Wort
zwischen es und die Welt drängte, wo nichts, was es berührte, sich ihm entzog“ (133). Diese
Textstelle finden wir, nachdem die Großmutter ihre Lebensgeschichte erzählt hat. Für das Erlebte der
Großmutter muss das Kind eine eigene Sprache finden. Das Kind fährt aus dem Lepena-Graben fort
und findet seinen „Rückzugsraum“ (143) im Schülerheim. Aber selbst wenn die sprachliche
Offenbahrung gelingt bleibt, so Benjamin, „in aller Sprache und ihren Gebilden außer dem
100
Ebd. S. 39.
101
Ebd. S. 35.
102
Ebd. S. 62.
42
Mitteilbaren ein Nicht-Mitteilbares, ein, je nach dem Zusammenhang, in dem es angetroffen wird,
Symbolisierendes oder Symbolisiertes“103.
Nach dem Tod der Großmutter kommen die Geschichten von den Trauergästen, „die die
Verpflichtung hätten, ihr Wissen an die Jugend weiterzugeben, damit sie nicht eines Tages ohne
Erinnerung an ihre Familien zurückblieben“ (160). Diese Geschichten kommen in der jeweiligen
Sprache zum Ausdruck. Durch die Form der Rede oder der Aussage kann der wesentliche Inhalt
offenbar werden. Benjamins Sprachphilosophie kreist den Bereich des Nichtmitteilbaren ein, denn
mein Gegenüber kann die erzählte Geschichte ganz anders verstehen. Es geht dabei um die ‚richtige’
Übersetzung. Aber selbst wenn eine angemessene Form der Übersetzung besteht, gilt – Hoffnung und
Verzweiflung zugleich – für Benjamin: „Wenn Übersetzung eine Form ist, so muss Übersetzbarkeit
gewissen Werken wesentlich sein“
. Benjamin macht uns insofern Hoffnung, als es für ihn bei aller
104
Flüchtigkeit des Originals, „ein Halten“
105
gibt. Benjamin hat die These vertreten, dass Übersetzung
nicht nur zwischen verschiedenen Sprachen vonstatten geht. Die menschliche Sprache ist überhaupt
von einer Arbeit der Übersetzung getragen, indem die Dinge einen Namen bekommen. Der Begriff
der Übersetzung liegt in der tiefsten Schicht der Sprachtheorie Benjamins.
Haderlap entschließt sich endlich das Erzählte in „eine geschriebene Form zu bringen, [sich] aus dem
Gedächtnis neu zu entwerfen“ (282). Sie will sich „einen Körper erschreiben, der aus Luft und
Anschauung, aus Düften und Gerüchen, aus Stimmen und Geräuschen, aus Vergangenem,
Geträumten, aus Spuren zusammengesetzt werden könnte“ (282). Die Objektivität einer solchen
‚Übersetzung’ ist aber nur in Gott verbürgt.
In diesem Zusammenhang werde ich Walter Benjamins Text Die Aufgabe des Übersetzers anschneiden.
Walter Benjamin zeigt in diesem Text wie Wahrheit aus geschichtsphilosophischer Perspektive
hervorgebracht werden kann, indem ein Ereignis in Geschichte übersetzt wird106. Die mehrfache
Bedeutung des Titels des Benjaminschen Textes lässt die Schwierigkeit eines solchen Unterfangens
erahnen. Die doppelte und gegensätzliche Bedeutung der beiden Wörter „Aufgabe“ und
„Übersetzer“ muss der dabei aufkommenden Hoffnungslosigkeit widerstehen, denn es wird hier
davon ausgegangen, dass Ereignisse erst durch Übersetzung Geschichte werden. Dem philosophisch
denkenden Menschen kommt dann – im engeren Sinne der Aufgabe des Übersetzers von Ereignissen
– die Aufgabe zu, „alles natürliche Leben aus dem umfassenderen der Geschichte zu verstehen“107.
103
Ebd. S. 62.
104
Ebd. S. 51.
105
Ebd. S. 64.
106
Shoshana Felman, Dori Laub: Testimony: crisis of witnessing in literature, psychoanalysis and history. Routledge, Chapman and Hall
Inc., 1992, S. 153-164.
107
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte, 1992, S. 52.
43
Das Leben kann also aus dem Ablauf von Ereignissen verstanden werden. Für das Leben selbst hat
die Übersetzung und das daraus gewonnene Verständnis aber keinerlei Bedeutung. Dennoch besteht
ein natürlicher Zusammenhang des Lebens, der gegen den Naturbegriff abgegrenzt wird: „nur wenn
allem denjenigen, wovon es Geschichte gibt […], Leben zuerkannt wird, kommt dessen Begriff zu
seinem Recht. Denn von der Geschichte, nicht von der Natur aus, […] ist zuletzt der Umkreis des
Lebens zu bestimmen“108. Ein so bestimmbarer, übersetzbarer Lebenszusammenhang muss dem
originalen Leben aber nicht notwendig ähnlich sein, die Vermittlung der Verwandtschaft zwischen
den beiden aber genau. Darum stellt sich die Frage, und Benjamin spricht hier (auch allegorisch) von
der Verwandtschaft zwischen den Sprachen: „Wenn in den Übersetzungen die Verwandtschaft der
Sprachen sich zu bewähren hat, wie könnte sie das anders als indem jene Form und Sinn des
Originals möglichst genau übermitteln?“109. In einem schwierigen Prozess muss diese Genauigkeit
der Übersetzung angestrebt werden. Eine genaue Übersetzung ergibt sich nicht mit einem Male, sie
hat an sich selbst und an sich selbst wachsend „immer wieder die Probe […] zu machen: wie weit ihr
Verborgenes von der Offenbahrung entfernt sei, wie gegenwärtig es im Wissen um diese Entfernung
werden mag“110. Wenn Benjamin in der Folge die Aufgabe des Übersetzers genau von der des
Dichters unterscheidet111, dann mag es der Beantwortung unserer Frage in Analogie dazu dienlich
sein den „Macher der Geschichte“ vom „Schreiber der Geschichte“ zu unterscheiden. Der Erste lebt,
der Letztere gibt dem Leben die Form. Das Leben hat sich in der Übersetzung zu offenbaren, und
dabei – bei aller Schwierigkeit – wahr zu sein. Das Leben lebt in der Übersetzung als Geschichte fort,
sie überlebt es. Die beiden darum voneinander zu trennen ist sinnvoll, weil ihre Absichten
verschieden sind, „die des Dichters ist naive, erste, anschauliche, die des Übersetzers abgeleitete,
letzte, ideenhafte Intention“112. Im Hinblick auf einen geschichtsphilosophischen Umgang mit
Traumata wird deutlich, dass geschichtliche Wahrheit erst durch Transformation bewusst und
offenbar, also „wahre Geschichte“ wird. So kommt der Übersetzung eine vergleichbare Bedeutung zu
wie der des Bezeugens: „translation, as opposed to confession, itself becomes a metaphor for the
historical necessity of bearing witness“113.
Auch im Bezeugen soll das Wort etwas mitteilen. Benjamin spricht an dieser Stelle vom „Sündenfall
der Sprache“114. Das Wort muss etwas mitteilen, das entweder „Gut“ oder „Böse“ ist. Damit ist die
108
Ebd. S. 52.
109
Ebd. S. 54.
110
Ebd. S. 56.
111
Ebd. S. 58.
112
Ebd. S. 58.
113 113
Shoshana Felman, Dori Laub: Testimony: crisis of witnessing in literature, psychoanalysis and history. Routledge, Chapman and Hall
Inc., 1992, S. 153.
114
Benjamin: Sprache und Geschichte, 1992, S. 44.
44
‚reine Sprache’, die in Gott verbürgt ist, angetastet. Der Sündenfall ist bei Benjamin die
„Geburtsstunde des menschlichen Wortes“115 und damit der Subjektivität. An dieser Stelle taucht in
den Überlegungen der Begriff des „Urteils“ auf. Dieser Begriff ist der Grund, warum Adam und Eva
in der Schöpfungsgeschichte aus dem Paradies gestoßen werden. Für die Sprachtheorie hat dies die
folgende Bedeutung: Die Sprache wird zum Mittel, eine Vielzahl der Sprachen folgt und schließlich
ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Sprachverwirrung, die im Turmbau zu Babel symbolisiert wird.
Benjamin beschreibt weiter die „stumme Sprache der Natur“ 116 als jene „paradiesische Sprache“, die
dem Sündenfall des Sprachgeistes vorausgeht. Denn nach dem Sündenfall soll das Wort etwas
mitteilen117. Benjamin betrachtet die Sprache in Bezug auf die Genesiskapitel der Bibel, in denen er
den ‘Sündenfall der Sprache’ als Zäsur gedeutet hat. Mit ‘Zäsur’ meint Benjamin, dass die
adamitische Sprache118 für immer von jener Sprache getrennt wird, die als Zeichensystem
funktioniert. Benjamin wollte in seiner Theorie jedoch niemals auf eine Rückkehr zum paradiesischen
Sprachzustand hinaus.
Im Zusammenhang mit Haderlap ist die stumme Sprache der Natur aber interessant, die auch
Benjamin meint. Immer wieder werden in den Roman die ‚grünen Kapitel’ eingeschoben, in denen
die Natur mit menschlichen Zügen beschrieben wird. Diese Natur bestimmt das menschliche
Wohlsein, denn die Spuren des Krieges sind im ‚Wald der Geschichten’ zu finden. Haderlap
beschreibt in ihrem Roman das Leben der Partisanen, die sich mit der Landschaft verbünden, um zu
überleben. Der Partisan muss sich „mit der Wiese tarnen und den Laubmantel um sich schlagen“.
(228). Die Landschaft, in der der Partisan lebt, sieht alles, wenn der Krieg sich in die Gräben
zurückzieht und die Felder zum Kampfschauplatz werden. Am Ende des Krieges werden die Wiesen
und Felder „ihre Toten hergeben, werden die Lichtungen und Waldränder ihre Leichen auswerfen“
(249). Benjamin schreibt: „Es ist eine metaphysische Wahrheit, dass alle Natur zu klagen begönne,
wenn Sprache ihr verliehen würde“119.
Wo ist nun der „Sündenfall des Sprachgeistes“ bei Haderlap zu erkennen?
So wie Benjamin nicht zurück will zu einem paradiesischen Zustand der Sprache, durchbricht auch
Haderlap das Schweigen, indem sie die Erinnerungen benennt und aufschreibt. Die erzählten
Geschichten sind zwar subjektiv, sie müssen aber qualitativ anders sein. Ausgerichtet auf Wahrheit,
115
Ebd. S. 44.
116
Ebd. S. 46.
117
Ebd. S. 45.
118
Mit d em Begriff “adam itischer Sprache” w ird d ie “selige” Sprache gem eint. Die stum me Sprache d er N atur w ird
unm ittelbar in d ie Sprache d er Menschen übersetzt. Dies ist eine Übersetzung d es “Stum m en in das Laut hafte”, d es
“Nam enlosen in d en Nam en”.
119
Benjamin: Sprache und Geschichte, 1992, S. 46.
45
denn, um mit Paul Celan zu sprechen: „Nur wahre Hände schreiben wahre Gedichte“ 120. Die Qualität
des Gedichtes oder des Textes wird auch bei Haderlap ans Menschsein im qualitativen Sinne
gekoppelt. Celan vergleicht das Gedicht mit einem Händedruck. Es sind individuelle Zeichen einer
Person im Umgang mit anderen. Beide sind Zeichen von Beziehung und Dialog.
Haderlap entwirft nun die Lebensgeschichte des Vaters neu. Am Anfang des dritten Teiles gibt sie
diese Vorschau auf die Heimkehr der Überlebenden aus dem Krieg. Im Kapitel danach wird der
Vater neu entworfen. Wie in der Schöpfungsgeschichte gebraucht Haderlap das Futur: „Vater wird
die Herausforderung annehmen und vor sein Elternhaus treten. Er wird mit Großvaters Hilfe die
Fenstern und Türen erneuern, das Dach. Er wird die ersten Tiere in den verwaisten Stall stellen […]“
(253). Der Kreis des Schöpfen schließt sich in Haderlaps Roman und endet mit einem Ausblick auf
die Zukunft.
5.3. Die Landschaft, die zum Geschichtsraum wird.
Haderlaps Sprachfindung findet in der Landschaft statt, die dadurch zu einem Geschichtsraum wird.
Die erinnerten Ereignisse können aber nicht in aller Klarheit memoriert werden. Erst wenn man
versucht das Detail eines vergangenen Moments vor Augen zu führen, werden die Unschärfen
bewusst. Aleida Assmann hat in ihrem Buch Erinnerungsräume das Erinnern definiert als einen
„dialektischen Prozess von Erinnern und Vergessen“121. Das Erinnerte muss nachträglich bewusst
gemacht werden. Dieser Vorgang geschieht in der Gegenwart, in dem versucht wird, das Vergangene
wieder herzustellen. Bei diesem Versuch entsteht eine zeitliche Differenz zwischen dem Ereignis und
der Erinnerung.
Der Ort hat für die Erinnerung immer schon eine zentrale Rolle gespielt, in dem er uns hilft, die
Vergangenheit zu beschreiten, ja, sie förmlich zu durchwandern. Der Ort wird hier verstanden als
physischer Ort und der Begriff der „Verortung“ für die Konstruktion oder Bewahrung eines solchen
Ortes verwendet. Ein Erinnerungsort verbindet dann die Vergangenheit mit der Zukunft. Die
Wirkung dieses Ortes ist abhängig von der Bedeutung, die wir einem Ort geben. Haderlap hat zur
Erlangung des Bachmann-Preises den Textabschnitt Im Kessel gewählt. Wie schon erklärt führt
Haderlap in diesem Text ein Mädchen mit dem Vater in den Wald - und in die Abgründe der
Geschichte und der Gegenwart. Wie von ungefähr treffen Vater und Tochter bei ihrer
Waldwanderung auf jeder Seite weitere Personen, die ihnen lehrreiche, aber auch erschütternde
Auskünfte geben. In diesem Text wird die konkrete und historische Umgebung vermessen, in einer
bildhaften und dichten Sprache. Und das alles in einem Spaziergang im Gebirge, entlang der Grenze.
120
Paul Celan: Der Meridian und andere Prosa. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1983, S. 32.
121
Aleida Assmann: Erinnerungsräume: Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München: C. H. Beck. 1999. S. 29f.
46
Die Erinnerung an diesen Spaziergang mit dem Vater wird im Text Im Kessel verortet. Echos von der
Erzählung Gespräch im Gebirge von Paul Celan schallen hier durch den Wald. Gerade wenn diese
Erzählung von Celan beim Leser bekannt ist, dann ist ein gewöhnlicher Bergspaziergang nicht mehr
möglich. Im Folgenden werde ich kurz eingehen auf das Gespräch im Gebirge um die Echos
aufzuzeigen, die für den Begriff der Verortung der Sprache wichtig sind.
Das Gespräch im Gebirg von Paul Celan
“Erinnerung an eine versäumte Begegnung”, so nannte Celan in der Büchnerpreisrede das Gespräch
im Gebirg. Weiter nannte er es auch ein “Mauscheln zwischen ihm und Adorno”, so, Marlies Janz in
ihren Ausführungen.122. Auffällig ist der Begriff “mauscheln”, denn diese Tätigkeit spielt sich ab im
Geheimen, bedarf aber auch eines Gegenübers.
Das Gespräch im Gebirg erzählt von der Begegnung zweier Juden, die sich eines Abends auf einer
Straße im Gebirge treffen. Der poetologische Text ist in seiner “Dunkelheit” zu unterteilen in drei
Stücke123: Ein erster Abschnitt, der als Einleitung in die Handlung zu lesen ist, ein zweiter, der den
Dialog zwischen den Zweien darstellt und in der diese Begegnung auch der Gesprächsstoff des
Gesprächs124 ist, und ein dritter, der als Monolog fungiert.
Der Text beinhaltet eine Kreisstruktur, d.h. Motive und Situationen des Anfangs werden wieder
aufgenommen am Ende des Textes. Das gleiche Verfahren verwendet Celan im Meridian125 und hier
verweist er am Ende auf den Text Gespräch im Gebirg, um wieder beim Anfang innezuhalten:
”Und vor einem Jahr, in Erinnerung an eine versäumte Begegnung im Engadin, brachte ich eine
kleine Geschichte zu Papier, in der ich einen Menschen “wie Lenz” durchs Gebirg gehen ließ.
Ich hatte mich, das eine wie das andere Mal, von einem “20. Jänner”, von meinem “20. Jänner”,
hergeschrieben. Ich bin [...] mir selbst begegnet “126.
122
Marlies Janz: Vom Engagement absoluter Poesie. Zur Lyrik und Ästhetik Paul Celans. Autoren und Verlagsgesellschaft Syndikat,
Frankfurt am Main, 1976, S. 229.
123
Dorothee Kohler-Luginbühl: Poetik im Lichte der Utopie. Paul Celans poetologische Texte. Verlag P. Lang, 1986, S. 84. Kohler-
Luginbühl spricht von zwei Abschnitten. Sie meint, dass der erste Teil das Treffen der beiden Juden beschreibt, und den zweiten Teil
„bildet das Gespräch, das allerdings schon nach kurzem in einen Monolog übergeht“.
124
def.Dialog und Gespräch: Der Dialog ist für die Philosophie des 20. Jahrhunderts ein Gespräch, das durch wechselseitige Mitteilung
jeder Art zu einem interpersonalen ‘Zwischen’, d.h. zu einem den Partnern gemeinsamen Sinnbestand führt. Dialog war in der Antike und
im Mittelalter primär ein Gattungsbegriff. Gespräch ist die tatsächlich stattfindende mündliche Unterhaltung. Für eine gründliche
Auslegung der Unterschiede und die dazu gehörenden Implikationen bei anderen Autoren von Dialog und Gespräch siehe Bernard
Fassbind: Poetik des Dialogs, 1995, S. 15 ff.. Was den Unterschied Monolog - Dialog betrifft stellt Fassbind in seinen Ausführungen dar,
dass hier verschiedene Auffassungen die Runde tun. Er geht aus von der Frage ob der Monolog nicht auch dialogisch ist. Er fasst zwei
Auffassungen zusammen: 1. das Gedicht-Du erscheint als Alter-Ego, mit anderen Worten das Gedicht-Gespräch wird zum Selbstgespräch.
2. jenes Du wird als wirklich Anderer, als Gegenüber dem Aussprechen transzendenter Anderer angesprochen, S. 24.
125
Paul Celan: Der Meridian und andere Prosa. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1983, S. 23-29.
126
Paul Celan: Der Meridian und andere Prosa. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1983, S. 59.
47
In Celans Text Gespräch im Gebirg geht es schließlich um diese Selbstbegegnung, durch das
Ausbleiben der Begegnung mit einem anderen, fremden Du. Es besteht die Frage, wie die Sprache
zur Sprache kommt. Denn zur Identitätsfindung braucht der Mensch ein Gegenüber, ein Gespräch
von Ich und Du.
Die Einteilung des Textes Im Kessel von Haderlap ist ähnlich wie die des Gesprächs im Gebirg. Der Text
Im Kessel hat auch drei Teile, die in einer Kreisstruktur Motive und Situationen des Anfang wieder
aufnehmen am Ende. Haderlap gibt im ersten Teil eine Beschreibung der Landschaft mit den
Wäldern und Hügeln, in denen die Partisanen im Krieg gelebt haben. Im zweiten Teil lässt Haderlap
die Erzählerin mit dem Vater entlang der Grenze laufen. Die Erzählerin fragt, der Vater antwortet.
Scheinbar haben sie ein Gespräch. Und trotzdem wünscht sich die Erzählerin, dass der Vater sie „ins
Vertrauen zöge“ und ihr die „Geschichte, die er erzählt hat, noch einmal schilderte und dann fragte,
was [sie] erlebt habe […]“ (81). Auch Haderlap begegnet sich selber in diesem Spaziergang, eben
gerade durch das Ausbleiben einer Begegnung mit dem Anderen. In diesem Fall mit dem Vater.
Haderlap hätte zur Erlangung des Bachmann-Preises keinen besseren Ausschnitt aus ihrem Roman
wählen können. Gerade in diesem Ausschnitt kommt die Verortung der Sprache in der Landschaft
und durch ihren Roman in der Geschichte, sehr schön zum Ausdruck 127.
Haderlap führt uns in die Landschaft, in der Generationen ihrer Familie gelebt und gearbeitet haben.
Assmann unterscheidet in diesem Zusammenhang verschiedene Orte: Generationsorte (durch die
Verwandtschaftskette), Gedenkorte (durch die tradierte Erzählung), Heilige Orte (wegen der
besonderen Bedeutung) und Traumatische Orte (Narben, die nicht verheilen wollen)128.
Generationsorte sind Orte, an denen die Mitglieder einer Familie über Generationen hinweg geboren
und begraben wurden129. Diese Orte haben eine starke symbolische Kraft, weil sie Werte von
Kontinuität, Dauer und Alter umschließen. Gedenkorte sind Orte, an denen eine bestimmte
Geschichte gewaltsam abgebrochen wird und sich in Ruinen und Relikten zeigt. Der Fortbestand
wird durch eine Geschichte erzählt, die das Verlorene ersetzt. Dabei wird auf die Abwesenheit
verwiesen. Heilige Orte sind Orte, die versprechen, die Anwesenheit von Göttern erfahrbar zu
machen. Traumatische Orte werden gekennzeichnet durch Erzählungen, die nicht erzählbar sind.
127
In der Dichtung von Haderlap kann man von ‚Text-Landschaften’ sprechen, wobei Darstellung und Dargestelltes eins sind.
Dieses Dichtungsverfahren gilt als spezifisch für moderne Texte. Man begegnet diesem Dichtungsverfahren auch bei Ingeborg
Bachmann, Nelly Sachs, Paul Celan oder Johannes Brobowski. Diese spezifisch modernen Züge in der Dichtung sind vor allem
bei den jüdischen Schriftstellern Restitutionen eines sehr alten Sprachdenkens, nämlich des Hebräischen. Hier bilden Wort und
Ding oder Wort und Sache eine Einheit. Für diese zwei Worte gibt es im Hebräischen nur ein Wort (dabar). Der Name hat im
Hebräischen Realität, weil es keine Abbildlichkeit gibt. Durch die Sprache offenbart sich die Welt, in der die Landschaft zum
Geschichtsraum wird.
128
Aleida Assmann: Erinnerungsräume. 1999, S. 37ff.
129
Ebd. S. 299ff.
48
Auch gibt es noch Vergessene Orte. Darunter sind gänzlich verschwundene Orte zu verstehen:
„Hitler hat überall auf der Landkarte weiße Flecken hinterlassen. Zentren jüdischen Lebens und
Kultur sind zusammen mit den Menschen vernichtet und ausradiert worden“ 130.
In der Landschaft von Haderlap findet man die Spuren des Todes, da sie vom Krieg durchfurcht ist.
Die Landschaft, in der die Erzählerin mit ihrem Vater läuft, ist später nur idyllisch für die nichtEingeweihten. Auch Jahre später bleibt die Erinnerung an den Krieg lebend, denn Haderlaps Familie
wurde in den Krieg gezogen und damit in die Geschichte. Diese Jahre sind eine Zäsur in der
Familiengeschichte: „In der Vergangenheit ist meine Familie eine national handelende Familie
geworden, als sie sich gezwungen sah zu reagieren. Weil sie durch ihre Zugehörigkeit gefährdet war,
weil es um ihr physisches Überleben ging“ (221).
5.4. Benjamins Engel: Die Zukunft ist ohne die Vergangenheit nicht zu haben
Haderlap beendet ihren Roman mit einem der zentralen Bilder von Walter Benjamin aus seinem
letzten Essay Über den Begriff der Geschichte131: „Der Engel der Geschichte wird über mich geflogen
sein. Seine Flügel werden einen Schatten auf das Lagerantlitz geworfen haben“ (286). In Benjamins
neunter These kommt diesem Angelus Novus Geschichte vor wie „eine einzige Katastrophe, die
unablässig Trümmer auf Trümmer häuft“132. Dieser Trümmerhaufen ist aber so unabsehbar, dass er
bereits „zum Himmel wächst“.
Walter Benjamin hat 1940 achtzehn Thesen über den Begriff der Geschichte niedergeschrieben. Die
neunte These bezieht sich auf den Angelus Novus133. Die „geschichtsphilosophischen Thesen“ sind
Benjamins Vermächtnis. Durch die neunte These, eine Interpretation Benjamins von Klees Bild,
wurde der Angelus Novus zur Ikone „kritischer Erkenntnisfähigkeit“ 134. Bild und These wurden eins:
ein Engel mit aufgerissenen Augen, offenem Mund und ausgespannten Flügeln, der aussieht, als
würde er sich von dem entfernen, worauf er starrt. Er entfernt sich von den „Trümmern der
Geschichte“. „Er möchte wohl verweilen“135, aber er kann es nicht wegen des Sturms. Der Sturm ist
130
Ebd. S. 326.
131
Walter Benjamin: Sprache und Geschichte, Philosophische Essays. 1992, S. 174. In dieser letzten, im Frühjahr 1940 geschriebenen
Arbeit Über den Begriff der Geschichte, schwebte Benjamin nichts Geringeres vor, „als die Geschichte gegen den Strich zu
bürsten: an die Stelle einer Geschichtsschreibung aus der Perspektive der Sieger sollte jüdisches Eingedenken an die
Unterdrückten und Unterlegenen treten“.
132
Ebd. S. 146.
133
Der Angelus Novus ist ein Bild von Klee, dass entstanden ist zwischen Januar und April 1920. Benjamin hat es im Mai 1921 in München
gekauft, als er seinen Freund Gershom Scholem besuchte. Dieses Bild hat Benjamin begleitet, bis er sich, nicht lange vor seinem
Selbstmord, von ihm trennte.
134
Johann Konrad Eberlein: Ein verhängnisvoller Engel. ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung’ 20.07.1991, Nummer 166.
135
Ebd.
49
Symbol für den Fortschritt oder jemandem, der die Geschichte beeinflusst. Dieser Engel hat der
Vergangenheit sein Antlitz zugewendet, schaut in die Vergangenheit, möchte die Flügel schließen
und wird mit dem Sturm rückwärts in die Zukunft getrieben.
Haderlap stellt in ihrem Roman diesem Engel einen Engel des Vergessens zur Seite und meint, dass
„es die Vergangenheit ist, mit der man rechnen muss“ (109), denn es gibt keinen Blick auf die
Zukunft ohne eine Vergangenheit. Bei ihrem Besuch an das Konzentrationslager Ravensbrück, in den
Fußspuren der Großmutter, begleitet dieser Engel sie in die Gegenwart und entfernt die
„Engelbildchen über ihrem Kinderbett“ endgültig. Dieser Engel hat vergessen die „Spuren der
Vergangenheit aus (ihrem) Gedächtnis zu tilgen“ (286). Diese Spuren sind aber notwendig. Sie
müssen erst in eine ‚richtige’ Sprache übersetzt werden. Die Erzählerin beginnt erste, nach Worten
tastende Gedichte vor der Matura als sie in einem Schülerheim lebt. Diese Zeit gewährt ihr eine
Pause in der Sprachfindung. Selber nennt sie es ein „Niemandsland“. Erst später hofft sie, dass sie
„die richtige Sprache finden oder erfinden werde und ersinne unsinnige Phantomsätze, die [sie] in
die Zukunft [vorauswirft]. Das Gedachte und Gefühlte, das Empfundene und Befürchtete soll erst
später zur Sprache kommen.“ (168). So wie Haderlap in ihrem Roman die Erzählerin sagen lässt:
„Man musste zuerst anfangen, im neuen Leben, das alte zu vergessen. Zuerst das Einmaleins des
Vergessens, eine harte Schule?“ (216). Die Erzählerin lernte aber im „selbstvergessenen Kärnten nicht
vergessen zu können“ (275). Sie beschloß, sich neu zu entwerfen, weil sie vom Vergangenen gänzlich
überrollt wurde. Sie wollte sich aus dem Gedächtnis neu entwerfen: […]„mir einen Körper zu
erschreiben, der aus Luft und Anschauung, aus Düften und Gerüchen, aus Stimmen und Geräuschen,
aus Vergangenem, Geträumtem, aus Spuren zusammengesetzt werden könnte“ (282). Haderlap hat
mit diesem Roman dem Engel eine Gestalt gegeben in der Form einer Erzählung. Das Unsagbare
muss erzählt und verortet werden in der Geschichte. Erst dann kann die Geschichte in ihrer
Fürchterlichkeit verblassen.
In Engel des Vergessens ist die Form nicht vom Inhalt zu trennen. Es ist eben nicht nur wichtig, wie
etwas erzählt wird, sondern auch was jemand zu erzählen hat.
5.5. Literatur als Utopie, utopische Literatur
Haderlap geht es in ihrem Roman um die Notwendigkeit einer Vergangenheitsbewältigung durch
Erinnerung und nicht durch Vergessen. Sie geht auf die Suche nach adäquater Wahrnehmung, um
das Unbegreifliche, Unsagbare der jüngsten Geschichte darzustellen: „Ich will Großmutters
Erzählung noch einmal durchschreiten, um von einem vertrauten Ort Abschied zu nehmen“ (283).
Haderlap
thematisiert
in
ihrem
Roman
den
Zusammenhang
zwischen
Sprache
und
Geschichtserfahrung und der Eigenschaft der Sprache als Ort der Utopie. Obwohl diese Sprache
50
historisch begründet ist, bleibt die Sprache Orientierung, aber geläutert, weil
sie „durch viele
Verluste hindurchgegangen ist“136. In diesem Sinn wird Sprache zum Ort der Utopie für denjenigen,
der der Wirklichkeit entfremdet wurde, durch sie verwundet und darum auf der Suche nach einer
anderen Wirklichkeit ist. Die Sprache macht bei Haderlap einen Verwandlungsprozeß mit, bevor sie
wieder brauchbar ist. Haderlap gebraucht Brüche in der Sprache. Sie evoluiert in ihrem Roman vom
kräftig-konkret Slowenischen in eine utopische Sprache.
Für dieses Schreiben ist die Erfahrung der Geschichte eine Bedingung. Haderlap ist dafür den Dialog
angegangen mit der Großmutter und dem Vater. Im jüdischen Denken ist, zum Beispiel, der Dialog
ein Geschehen in der Sphäre des Geistes, es geschieht in der Zeit und nicht im Raum. Im Grunde ist
jede Begegnung, auch der Dialog, eine Selbstbegegnung. Wie schon erklärt braucht zur
Identitätsfindung der Mensch ein Gegenüber, ein Gespräch von Ich und Du. Auch wenn es kein
Gegenüber gibt, kann das Sprechen einen neuen Aufschwung nehmen. Der Monolog ist dann ein
verinnerlichter Dialog. Er befindet sich in der Sprache des Innern. Dank dieses Umwegs über das Du
gelingt es dem Ich, seine eigene Wahrheit ans Licht zu bringen. Für Haderlap bedeutet das eine Art
Heimkehr.
Dies ist der Bereich der Dichtung und Sprache, der Bereich der Begegnung, aber auch des
Verstummens, der Sprachkrise und der Dunkelheit. Der Begriff der utopischen Sprache bedeutet in
diesem Zusammenhang, dass sie alles der Sprache sich verweigernde doch sprachlich fassen muss.
Haderlap bleibt, um mit Celans Worten zu sprechen, ihrer Daten eingedenk. Sie spricht unter dem
“Neigungswinkel ihres Daseins”137. Sie ist in ihrer Sprache „unterwegs“ und hat das Unsagbare
sagbar gemacht.
136
Paul Celan: Gesammelte Werke. Bd. 3, Bremer Ansprache, 1992, S. 185.
137
Paul Celan: Der Meridian und andere Prosa. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1983, S. 55.
51
„SUCHT EINER DEM REGENBOGEN GANZ NAHE ZU KOMMEN, SO VERSCHWINDET
DIESER“138.
6. Schlusskommentar
Bei Carla Dauven von Knippenberg habe ich letztes Jahr ein Seminar mit dem Titel: Wo bin ich? Der
Raum und die Ordnung der Dinge belegt. In diesem Seminar wurden verschiedene Raumtheorien
mit unterschiedlichem Ansatz besprochen: Der Raum als Erzählform, die Symbolkodierung des
Raums, die Leiblichkeit des Raums und der Raum als Sujet der Geschichtsschreibung. Auf der Suche
nach einem Thema für die Masterarbeit waren diese Raumtheorien ein Ausgangspunkt.
In diesem Zusammenhang wurde ich aufmerksam auf den Roman Engel des Vergessens von Maja
Haderlap. Haderlap hatte gerade den Ingeborg Bachmann-Preis gewonnen und das war Grund
genug, den Roman Engel des Vergessens zu lesen. Haderlap erzählt in ihrem Roman eine Geschichte,
die bisher noch nicht erzählt werden konnte. Ursprung dieser Notwendigkeit ist ein Trauma. In
Haderlaps Fall ist das der Widerstand der slowenischen Minderheit in Kärnten gegen den
österreichischen Nationalsozialismus, der mit dem Anschluss an Nazi-Deutschland in 1938 die Norm
war. Dabei wurden viele slowenischsprachigen Österreicher - Männer, Frauen und Kinder - in
Konzentrationslager
verschleppt
und
ermordet.
Dieses
Trauma
wirkt
in
ihrer
eigenen
Familiengeschichte bis heute nach. Da diese Geschichte aber bislang wenig Beachtung gefunden hat nicht in der Literatur und auch nicht in der Politik – setzt Haderlap mit diesem Roman den Opfern
ein Denkmal.
Fragen, die Haderlap in ihrem Roman stellt und auf die sie eine Antwort gibt sind: Wie kann man
von einer Vergangenheit erzählen, die so traumatisch war? Gibt es eine angemessene Darstellung des
Traumas und kann man danach noch weiterleben? Können persönliche Geschichten verortet werden?
Und wann kann das Vergessen beginnen?
Die Erinnerungen und das Erlebte transformieren sich in Haderlaps Roman als ein Zeugnis, als ein
sehr persönliches Zeugnis. Das aber, wegen der Größe des Traumas und weil es so viele andere
Menschen auch erlebt haben, ein objektives Zeugnis wird. Das Vergangene bekommt eine Existenz,
in dem die Erinnerungen und das Erlebte verortet werden. Diese Verortung geschieht in der Schrift.
Dafür müssen die Erinnerungen aufgeschrieben werden. Sie müssen zur Sprache kommen. Indem
man diesen Bereich durchwandert, kann das Erlebte einen Platz bekommen. Das nennen wir eine
138
Th. W. Adorno: Ästhetische Theorie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 1980, S. 185.
52
Verortung des Erlebten im Gedächtnis. Mit Assmanns Worten: die Ereignisse werden durch die
Schrift dem kulturellen Gedächtnis überliefert. Haderlap ist dabei schöpfend an der Arbeit. Für das
Unaussprechliche entwirft sie eine Sprache und eine Form. Dieses Unaussprechliche, diese
traumatischen Erlebnisse, haben sich in der Landschaft abgespielt. Sie benennt die Erinnerungen und
Erlebnisse und übersetzt damit die „Sprache der Dinge“ in eine „Sprache des Menschen“. Die
Landschaft wird dadurch zu einem Geschichtsraum, durch die Sprache mitgeteilt. Der Übersetzung
kommt dabei eine sehr wichtige Rolle zu. In der Übersetzung offenbart sich das Wesen der Sprache.
Diese Sprache muss auf eine Art und Weise ihren Niederschlag in der Schrift finden, in der sie
verortet wird. Erst dann kann sie Geschichte werden. Und wenn sie Geschichte geworden ist, dann
ist es diese Vergangenheit, mit der man rechnen muss. Denn eine Zukunft ist ohne diese
Vergangenheit nicht zu haben. Der Engel der Geschichte erblickt diese Vergangenheit und mit weit
aufgerissenen Augen schaut er auf die Trümmer, die in der Vergangenheit liegen. Er wird aber
fortgetrieben, mit dem Rücken zur Zukunft gewendet. Haderlaps Engel gesellt sich zu ihm. Dieser
Engel hat vergessen die „Spuren der Vergangenheit aus ihrem Gedächtnis zu tilgen“. Diese Spuren
sind aber notwendig. Ohne Spuren kein Vergessen.
In Haderlaps Roman geht es nun darum, Zeugnis abzulegen. Sie findet für dieses Zeugnis eine
wunderschöne persönliche Form, die zugleich für sehr viele Menschen akzeptabel ist als ein Zeugnis.
Haderlap schöpft mit ihrem Roman ein quasi universelles Zeugnis, in dem ihre Erzählung zu der
vieler geworden ist. Gerade, weil der Text nur einen Bruchteil sagt von dem, was er meint. Auf diese
Art und Weise kann er dem Unsagbaren einen Platz geben. Das Unsagbare wird zum Fassbaren, das
Trauma zur geschichtlichen Erinnerung. Und die geschichtliche Erinnerung wird in den Erzählungen
gebunden. Erst wenn die Geschichte verortet ist, kann sie wieder verblassen.
Bei der Beschäftigung mit dem Thema des Holocaust (der Kärntner Slowenen, die gegen den
österreichischen Nationalsozialismus gekämpft haben), das als einzigartiges traumatisches Ereignis
angesehen werden kann, wird deutlich, warum viele, nicht nur jüdische, Denkerinnen und Denker
die Shoah zum Ausgangspunkt ihres Denkens genommen haben. Die planvolle Ermordung
Millionen unschuldiger Menschen kann nicht als Abirrung vom Lauf der Geschichte abgetan werden.
Der Bruch, der sich damit vollzieht, geht einher mit der Kritik am westlichen Rationalitätsbegriff. Es
wird
eine
Verwandtschaft
gesehen
zwischen
dem
Geist
der
Aufklärung
und
den
Konzentrationslagern der Nazis: in beiden Fällen wird die technische und beherrschende Rationalität
betont. Hat damit die Vernunft überhaupt ausgedient oder müssen neue Formen von Rationalität
gefunden werden, die Pluralität zugestehen und zugleich Unterdrückung verhindern?
53
Diese Frage soll hier nicht weiter zur Diskussion stehen, es geht nun darum, das Trauma von
Auschwitz selbst, philosophisch einzuordnen. Das in diesem Umkreis der Revisionismus bekämpft
werden muss, braucht der Ungeheuerlichkeit wegen, was sich zugetragen hat, nicht begründet
werden. Das Problem liegt bei der historischen Erkenntnis, wobei über die Bestätigung der reinen
Faktizität von Ereignissen hinausgegangen wird, und Auschwitz immer mehr in technischer und
immer weniger in moralischer Hinsicht betrachtet wird. Es geht darum, dass die Erinnerung an das
Thema Auschwitz in einen unabschließbaren Deutungsprozess einbezogen wird, denn die
Erinnerung allein kann keine heilende Wirkung haben. Eine „Kultur der Erinnerung“139 ist
unabdingbar für die Überwindung der Krise. In dieser Krise weisen philosophische und
künstlerische Werke, die Traumata zum Thema haben, sich immer wieder aus durch das Fragmentund Bruchstückhafte, dass so zum Bild des Traumas selbst wird. Die Vielfältigkeit der zahlreichen
Werke über und nach Auschwitz zeigen neben der Notwendigkeit diese Trauma aufzuarbeiten, eine
Bedingung bei der Verarbeitung eines kulturellen Themas.
Nämlich die vorsichtige und vielseitige Annäherung an und die Umkreisung des Themas
‚Auschwitz’. Bei Adorno tritt dies sehr deutlich zum Vorschein. Für Adorno gibt es keine letzte
„Aufhebung“, sondern fragmentarische Konstellationen, die neue Aspekte herzustellen vermögen.
Sein Denken ist nomadisch. Die Harmonie ist dabei auch rhetorisch durchbrochen: Ausdruck des
Leidens der Unterdrückten, Ausdruck des Unrechts und der Unfreiheit, aber auch Ausdruck der
Schwierigkeit, das Ungeheuerliche darzustellen: „Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf
Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein
Gedicht mehr sich schreiben“140.
Neben der schmerzvollen Annäherung sind wenigstens zwei weitere Gedanken für die
„erfolgreiche“ Verarbeitung Bedingung. In Anlehnung an Adorno, für den Vergessen an sich
inhuman ist, plädiert Johann Baptist Metz für eine vom Judentum inspirierte „Kultur der
Erinnerung“. Auf Metz’ anamnetischen Kulturbegriff soll zum Schluss eingegangen werden, um ihn
mit dem Widerstandsdenken Fackenheims zu verbinden, dass in der dialektischen Spannung
zwischen dem lähmenden Unvermögen das Geschehene zu begreifen und dem Aufruf sich dem
Geschehenen zu widersetzen, steht.
Unserer christlichen, europäischen Beschleunigungskultur, der kultische Anamnese anhaftet, steht
die Forderung nach einer anamnetischen Kultur gegenüber. Eine Kultur der Erinnerung widersteht
dem einreißenden Gedächtnisschwund unserer individualisierten Gesellschaft. Sie widersteht damit
nicht nur jener allgemeinen Vergesslichkeit, die „alle Spuren verwischen will, damit nichts erinnert
139
Johann Baptist Metz: Leiden beredt werden lassen, ist Bedingung aller Wahrheit. ‚Die Weltwoche’, Nr. 46, 17.11.1994, S. 19.
140
Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1992, S. 355.
54
werden kann (wie es etwa die Nazis mit der Vernichtung der Gaskammern versuchten); sie
widersteht nicht nur der absichtlichen Verdrängung, sondern auch jenem Vergessen, das in jeder
puren Historisierung der Vergangenheit nistet“141. Aus diesem Gedanken und der Tatsache, nur aus
erinnerter Geschichte lernen zu können, entwickelt sich bei Metz über die Erinnerung an das Leiden
die Idee einer universellen Leidensmoral, die auch als Basis für Friedenspolitik dienen könnte. Neben
der Erinnerung ist dabei entscheidend, dass über den Horizont des eigenen Lebens hinausgegangen
wird. Die Sprache, die dazu nötig wäre, ist die Sprache der Gebete. „Mit den Gebeten beginnen“
fordert auch Derrida, denn die Gebetssprache ist darum befreiend und tröstend zugleich, weil sie
unversöhnlich, weniger harmonisch, radikaler, aber auch spannender ist, als die Sprache der
(theologischen) Theoretiker und Wissenschaftler.
Aber das Vergessene, das, was erinnert werden muss, besteht trotz himmelschreiender
Ungerechtigkeit nicht nur aus Ohnmacht und Demütigung. Auf das Moment des Widerstandes, das
aus verständlichen Gründen oft vergessen wird, welches aber bei der Verarbeitung des
Holocausttraumas einen hoffnungsvollen Aspekt zu Tage fördert, weist der kanadische-israelische
Philosoph Emil Fackenheim hin. In seinem Buch To mend the world142 nimmt Fackenheim
„Widerstand“ als Ausgangspunkt seines Denkens über und nach dem Holocaust. Für ihn, wie für
andere jüdische Denkerinnen und Denker auch, ist die Shoah ein Ereignis ohne gleichen. Sie muss als
(sinnlose) Realität akzeptiert werden. Um diese Realität zu erfassen, sind für Fackenheim die
Erfahrungen und Beschreibungen der Opfer entscheidend. Denn es gab im Denken und Handeln
Widerstand der Häftlinge in den Konzentrationslagern gegen die perverse Logik der Destruktion.
Zeugnis ablegen über Widerstand und Erinnerung an Humor 143 sind Halte-und Orientierungspunkte
dieser Philosophie der Zeugen, um das Elend vielleicht zu überleben, und nach dem Grauen
weiterzuleben. Denn Auschwitz hatte keinen Sinn. Es bekommt eine Bedeutung und einen Platz im
Denken, wenn Fackenheim den 613 Geboten der rabbinischen Tradition eines hinzufügt, nämlich das
Verbot, Hitler posthum doch noch siegen zu lassen. Dies ist ein Gebot gegen das Gelähmtsein und für
den Widerstand.
Letztlich stand und steht auch hier die Frage zentral: wie wird, immer wieder neu, erinnert? Kann
erinnert werden, dass es auch Widerstand gab und gibt, um die Welt so zu sehen, wie sie ist, ohne zu
vergessen, dass sie dadurch anders sein kann?
141
Ebd. S. 19/21.
142
Emil Fackenheim: To mend the world. New York: Schocken, 1982, S. 213.
143
Viktor E. Frankl: Lagerhumor in Denken en dichten na Auschwitz. Deutscher Taschenbuchverlag 1977, S. 79-86.
55
Zum Schluss werde ich beschreiben, welche Sprache stand hält, um den Bereich zu beschreiben, der
durch Verluste hindurchgegangen ist. Um mit Benjamins Worten zu sprechen: „Der Tod ist die
Sanktion von allem, was der Erzähler berichten kann. Vom Tode hat er seine Autorität geliehen“ 144.
Die utopische Sprache, oder das Schweigen, ist einer der reinsten Zustände. Das Schweigen ist eine
Ausdrucksmöglichkeit an sich, in der das Unsägliche erscheint. Hier hat noch keine Trennung
stattgefunden.
Derrida probiert in seinem Buch Wie nicht sprechen145 eine Antwort auf die Frage zu finden, wie man
denn das Sprechen überhaupt vermeiden kann. Diese Frage kommt Derrida zufolge immer zu spät,
weil in dem Moment, indem die Frage gestellt wird, das Sprechen schon lange begonnen hat. Vor
dem Sprechen liegt das Versprechen und dieses Versprechen ist älter als man selber. In dem Moment,
indem ich meinen Mund aufmache, habe ich schon versprochen zu sprechen, auch wenn ich nur
sagen möchte, dass es nötig ist, zu schweigen. In Derridas Text ist das Schweigen in das Sprechen
eingebettet. Man kommt nicht um das Sprechen herum. Die Unterstellung eines Geheimnisses ist ein
Aufruf, nicht zu sprechen, und dadurch schöpft das Geheimnis Negativität. Derrida ist der Meinung,
dass über alles, auch wenn es sich außerhalb der Kategorien befindet, und worüber man unmöglich
sprechen kann, doch gesprochen werden muss. Die Unmöglichkeit, über die Khora 146 zu sprechen,
reduziert sie nicht zu einer Stille, sondern schafft eine Verpflichtung. Man muss über sie sprechen,
gerade wenn man die absolute Singularität der Khora respektiert.
In diesem Sinn hat Günther Grass in seinen Frankfurter Poetik Vorlesungen den Satz Adorno’s
weitergeführt: [...] ”dem Schreiben nach Auschwitz kann kein Ende versprochen werden, es sei denn,
das Menschengeschlecht gäbe sich auf “147.
144
Walter Benjamin: Der Erzähler, Gesammelte Schriften, hg. V. Rolf Tiedemann, BD. II 2, Frankfurt a. M.. 1977, S. 450.
145
Jacques Derrida: Wie nicht sprechen. Edition Passagen, 1989.
146
vgl: Derrida, Chora. Edition Passagen, 1990. In diesem Text beschreibt Derrida einen Versuch über die Chora, die in Platons Dialog
Timaios “als Empfängerin und gleichsam Amme allen Werdens” angedeutet wird. Sie macht das Zustandekommen der sinnlichen Abbilder
des Intelligiblen denkbar. Chora - die alles empfängt, aber von nichts etwas annimmt - gibt allem seinen Ort, ohne sich selbst je auf einen
Ort festlegen zu lassen.
147
Günther Grass: Schreiben nach Auschwitz. Frankfurter Poetik-Vorlesung, Sammlung Luchterhand, Juni 1990, S. 43.
56
57
7. Bibliographie
Primäre Literatur
Benjam in, Walter.
Sprache und Geschichte. Philosop hische Essays, au sgew ählt von Rolf Tied em ann. Philip p
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