cross dressing - Stadthaus Ulm

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cross dressing - Stadthaus Ulm
fotografie
20. März bis 5. Juni 2016
CROSS DRESSING
Zu den Künstler*innen und ihren Werken
On the artists and their works
Ingo Taubhorn
ist Fotokünstler und Leiter des Hauses der Photographie in den Hamburger
Deichtorhallen. Für die Serie "Die Kleider meiner Mutter", die er in den 90ern begann,
inszenierte er sich jahrelang in der Wohnung seiner Mutter in der mütterlichen Kleidung
und in für das Leben der Mutter typischen Situationen. "Ich leugne meine Herkunft
nicht, aber ich beschönige sie auch nicht. Zu der monumentalen Schrankwand, der
Sitzecke oder dem Kupferstich, alles Dinge im Leben meiner Mutter, habe ich die
größtmögliche Distanz. Aber kaputtschlagen muss ich diese Dinge auch wieder nicht."
(Taubhorn im "Spiegel online" 1999)
Ingo Taubhorn
Ingo Taubhorn is a photo artist and director of the House of Photography at
Deichtorhallen in Hamburg. In the series “My mother's clothes”, the artist has been
presenting himself for years in his mother's apartment, wearing his mother's clothes,
staging situations typical for her life. “I'm neither denying nor sugar-coating my origins.
I am distancing myself as much as possible from the monumental wall unit, the lounge
area or the copperplate. But I don't have to smash these things either.” (Taubhorn in
"Spiegel online" 1999)
Jon Uriarte
Der spanische Fotograf Jon Uriarte verdeutlicht in seinen Inszenierungen die
Veränderungen in den Geschlechterrollen bei heterosexuellen Paaren. Junge Männer
zogen für diese Arbeiten die Kleider ihrer Frauen oder Freundinnen an und ließen sich in
der gemeinsamen Wohnung fotografieren. Von einem Machtkampf der Geschlechter ist
in den Bildern nichts zu spüren. Dem Künstler geht es vielmehr um Augenhöhe und
gegenseitige Einflussnahme der Geschlechter in Paarbeziehungen.
Jon Uriarte
Spanish photographer Jon Uriarte focusses on the changes of gender roles in
heterosexual relationships. In this series, young Spanish men put on their wives' or
girlfriends' clothing to be photographed in their shared apartments. There is no hint of
the struggle of power between the sexes in these photos. The artist is more interested in
how the partners are meeting as equals and how the genders influence each other
within their relationship.
Annette Frick
Die Künstlerin begleitet seit vielen Jahren die Berliner Schwulen-, Lesben- und
Transgenderszene fotodokumentarisch und filmisch. Sie porträtiert einzelne Drag
Queens wie JUWELIA und SZASZA und auch Gruppen wie die Kings of Berlin. In den
Bildern bleibt die Zweideutigkeit der Geschlechtszuschreibung stets erhalten: Die
Porträtierten zeigen, wie fließend die Übergänge zwischen Mann und Frau sein können.
Die persönliche Nähe, die sie dabei zulassen, ist eine der Besonderheiten in den
Fotografien von Annette Frick.
Annette Frick
The artist has been documenting the gay, lesbian and transgender scene in Berlin in
photographs and film recordings for many years. She's portraying individual drag
queens like JUWELIA or SZASZA, but also communities like the Kings of Berlin. Her
photos preserve the ambiguity of gender attribution. They show just how fine the line
can be between man and woman. What is special about Annette Frick's work is how
close her subjects are willing to let her approach.
Mario Montez (1935-2013), porträtiert von Annette Frick
Der in Puerto Rico geborene New Yorker Schauspieler, Transvestit und Schwulenaktivist
hat durch seine Rollen in den Filmen von Andy Warhol seit den 1960er Jahren
Kultstatus. Annette Frick porträtierte ihn in Berlin kurz vor seinem Tod 2013.
Mario Montez (1935-2013), portrayed by Annette Frick
The New York actor, transvestite and gay activist, who was born in Puerto Rico,
achieved cult status in the sixties thanks to his participation in movies by Andy Warhol.
Annette Frick portrayed him in Berlin in 2013 shortly before he died.
Hana Pesut
Die junge kanadische Künstlerin fordert in ihrem Projekt "Switcheroo" Paare, denen sie
auf der Straße begegnet, auf, ihre Kleider für ein Foto zu tauschen. Dabei entstehen
sehr fröhliche Porträts und Situationen. Wie sehr auch heute noch die Männerkleidung
als eine Aufwertung und die Frauenkleidung bei Männern als lächerlich empfunden
wird, stellt man an den eigenen Reaktionen fest: Bei den Männern gibt es immer mehr
zu lachen (oder belächeln); die Frauen in Männerkleidern wirken kaum
aufsehenerregend.
Hana Pesut
For her series “Switcheroo” the young Canadian artists asked couples on the street to
switch their clothes and have their photo taken. The result: cheerful portraits and
situations. It's telling how our own reactions tend to suggest that even to this day,
men's clothing is perceived as enhancing when worn by women, while a man in
women's clothing is perceived as ridiculous. There always seem to be more laughter (or
grinning) with the men, while the women dressed as men are hardly being noticed.
Historisches Cross Dressing: Vesta Tilley (1864-1952) und andere
Die englische Herrenimitatorin Vesta Tilley war um 1900 eine internationale
Berühmtheit. Fanpostkarten wie diese (Reproduktion und Vergrößerung) wurden in
hohen Auflagen verbreitet. Herren- und Damenimitatoren waren in dieser Epoche,
zumindest auf Theaterbühnen, "salonfähig". Sie waren in ihren Rollen oft die
"besseren", die "perfekteren" Männer und Frauen, machten sich aber auch in Parodien
über Klischees und Auswüchse der Mode lustig.
Historic Cross Dressing: Vesta Tilley (1864 -1952) and others
Around 1900, the British “male impersonator” Vesta Tilly was an international celebrity.
Postcards like this (enlarged reproduction) were circulated in high numbers at the time.
Male and female impersonators where socially accepted in this era, at least on the stage.
Playing their roles, they often were the “better” or “perfect” men and women, but they
also used to make fun of stereotypes and excesses in fashion.
Klaus G. Kohn
Menschen, die mit ihren Körpern und ihrer Kleidung jenseits eng gefasster Normen
leben, zeigt der Fotograf in seiner Serie "Mittendrin". Hier geht es nicht um die
Inszenierung für einen Auftritt, sondern um das alltägliche Inszenieren der eigenen
Person entsprechend dem Lebensgefühl und der selbst gewählten Verortung zwischen
den Geschlechtern. Typisch für Kohn ist die Präsentation der Porträtierten in den engen
Grenzen einer Kiste, die jedoch nach vorne offen ist (im wörtlichen wie im
metaphorischen Sinne).
Klaus G. Kohn
In his series “Mittendrin” (“In the thick of it”), the photographer shows people who live
their life outside the narrow boundaries of accepted conventions, in terms of their
bodies and the ways they dress. This is not about staged performances but about people
present themselves in everyday life, according to their attitude towards life and their
consciously chosen place with regard to gender. What is typical for the artist's work is
the staging inside a relatively confined box, which is open at the front, or the “forward
direction” (literally and metaphorically speaking).
Reiner Riedler
porträtierte Conchita Wurst für die französische Zeitung "Libération" wenige Tage vor
dem triumphalen Erfolg beim Eurovision Song Contest 2014. Die Fotoinszenierungen
wirken gebrochen: Das Make-up, der Bart und die Kostümierung sind zwar perfekt,
doch das Setting in einem Bürogebäude bricht die Fassade wieder auf. Conchita Wurst
konterkariert mit ihrem Bart aber auch das Ritual der vollständig ausgeführten
Verwandlung ins andere Geschlecht - sie bleibt immer als Verwandelte erkennbar und
verkörpert beide Geschlechter in einer Person.
Reiner Riedler
He portrayed Conchita Wurst for the French publication “Libération” just a few days
prior to her triumphant success at the Eurovision Song Contest 2014. The staging
appears fractured: Make-up, beard and costume are immaculate, but the setting in an
office building is disruptive. With her beard Chonchita Wurst also counteracts the ritual
of complete transformation from one gender to the other – she always remains
recognizable as someone who “transformed” and openly embodies both genders.
Pepa Hristova
Die in Bulgarien geborene, seit 1997 in Deutschland lebende Künstlerin zieht ihre
Schaffenskraft aus dem Erkenntnisinteresse an archaischen Traditionen im östlichen
Europa sowie den Wandlungen, denen dieser Teil des Kontinents heute unterliegt.
In ihrem Projekt "Sworn Virgins" nimmt sie eine uralte Tradition aus Nordalbanien in
den Fokus: Der „Kanun“ erlaubt es Familien, die ihr männliches Oberhaupt – nicht
selten durch Blutrache – verloren haben, eine Frau aus der Verwandtschaft als
Stellvertreterin zu bestimmen. Voraussetzung aber ist, dass diese ein unwiderrufliches
Gelübde ablegt. Sie muss schwören, ihre Jungfräulichkeit für immer zu bewahren. Die
sogenannten Schwur-Jungfrauen, in der Landessprache „Burrnesha“ genannt, werden
in den Familien geachtet und erhalten den sozialen Status von Männern.
Hristovas Arbeiten vermitteln nicht nur eine Vorstellung davon, wie perfekt die „Sworn
Virgins“ ihre Rolle ausfüllen, sondern hinterfragen zugleich gesellschaftlich normierte
Geschlechterbilder, indem sie die Frauen hinter den abgelichteten "Männern" suchen.
Aufnahmen aus dem kargen albanischen Gebirge, die die Porträts ergänzen, spiegeln
die harten und kantigen Gesichtszüge der dargestellten Personen wider.

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