Kolumbien-aktuell No. 297 / 28. September 2000

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Kolumbien-aktuell No. 297 / 28. September 2000
Kolumbien-aktuell
Relmässige Infos zu: Menschenrechte, Drogenkrieg,
Vertreibungen,Friedensprozess, Politik, Wirtschaft, Regionen, interner
bewaffneter Konflikt, soziale Bewegungen, Paramilitarismus, Guerilla,
Massaker, Chronik der Ereignisse,NGOs ect.
No. 297 28. September 2000
Inhaltsverzeichnis:
1. Interner bewaffneter Konflikt: Zurückhaltende
Prognose
Der Prozess mit dem ELN
2. Soziale Bewegungen: Der Süden antwortet auf
den Plan Colombia
Handlungsvorschläge
3. Menschenrechte: Ungeklärter Tod von sechs
Kindern durch die Armee
Indigenas der Sierra Nevada verlangen Gerechtigkeit
4. Chronologie: September 2000
1. Interner bewaffneter Konflikt: Zurückhaltende
Prognose
Trotz des kritischen Zustandes, in dem sich die
Friedensgespräche befinden, und der Aufrufe einzelner
Kreise, die der FARC überlassene Entspannungszone
aufzuheben, werden sich die Prophezeiungen über den
Tod des Prozesses nicht erfüllen, solange dieser sowohl
für die Guerilla wie für die Regierung dienlich ist.
„Der Friedensprozess liegt im Sterben“, meinten die Sprecher
der FARC. Grund für diese neue Diagnose war die Reaktion
verschiedener offizieller Kreise auf die Aufnahme des Milizionärs
Arnubio Ramos in der Entspannungszone durch die FARC. Ramos
war durch die Entführung eines Flugzeugs der Gesellschaft Aires,
das er zur Landung in San Vicente del Caguán zwang, aus seiner
Gefangenschaft geflohen.
Für die Kritiker der Friedensverhandlungen war die Weigerung
der FARC den Milizionär auszuliefern der Beweis dafür, dass die
FARC die Entspannungszone zur Ausübung von Verbrechen
benutzen. Die Aufrufe zum Abbruch der Verhandlungen kamen
aus verschiedenen Kreisen, bis Präsident Pastrana sich
zugunsten des Prozesses äusserte: Ein Vorfall dieser Art könne
nicht einen Dialog zum Scheitern bringen, in dem versucht
werde, einen 40-jährigen Krieg zu beenden.
Man könnte sagen, dass der Prozess nicht im Sterben, sondern
im Koma liegt. Sein jetziger Abbruch scheint mehr ein Trugbild,
denn eine Realität zu sein. Die Regierung hat sich national und
international zu diesem Prozess verpflichtet und von daher würde
ein Abbruch von Seiten des Auslandes als verfrüht angeschaut
und den Verhandlungswillen der Regierung in Frage stellen.
Zudem erscheint eine militärische Lösung noch nicht als eine
reelle Möglichkeit zur Beendigung des Konfliktes. Während der
Plan Colombia noch nicht voll umgesetzt wird, ist es
wahrscheinlich, dass von offizieller Seite der Verhandlungstisch
als eine gangbarere Lösung betrachtet wird. Von Seiten der
Guerilla ist es unbestreitbar, dass die Entspannungszone ihr
erlaubt hat, die militärische Kapazität auszubauen und
gleichzeitig eine Verhandlungslösung des Konfliktes ins Auge zu
fassen.
So kommt es, dass trotz der politischen Unterschiede Guerilla
und Regierung in diesem strategischen Interesse sich sehr
gleichen. Es ist eine paradoxe Situation, jedoch aufgrund der
Ereignisse alles andere als verwunderlich: Der Verhandlungstisch
hat solange Sinn, als er den Akteuren erlaubt, ihre eigenen
Kriegsstrategien zu klären. Es ist nicht anzunehmen, dass der
Prozess bei dieser Gelegenheit abgebrochen wird, nicht nur weil
es den Wunsch zu verhandeln gibt, sondern auch aufgrund der
gegenseitigen Erkenntnis, dass ein militärischer Sieg noch nicht
möglich ist.
Von daher die Notwendigkeit, den Verhandlungstisch weiter zu
führen, obwohl die Probleme am Rande weiterhin sämtliche
Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Hauptthemen in dieser
ersten Etappe - die Schaffung von Arbeitsplätzen und der Gefangenenaustausch - werden verschoben werden, bis eine
Lösung auf das Problem des geflohenen Milizionärs Ramos
gefunden worden ist. Es ist klar, dass die FARC ihren Mann nicht
ausliefern und dies mit dem gerechtfertigten Argument
begründen werden, dass dieser Vorfall aufgrund von Fehlern der
nationalen Gefängnisverwaltung INPEC geschehen konnte. In
diesem Sinn ist es wahrscheinlich, dass die Lösung darin
bestehen wird, neue Spielregeln festzulegen, in denen u.a. einer
internationalen Überwachung eine bedeutende Rolle zukommen
würde.
Diese Erfahrung zeigt, dass der Prozess noch gar nicht richtig
angelaufen ist und vielleicht nie einen harmonischen Rhythmus
haben wird, sondern im Gegenteil immer wieder mit neuen
Hindernissen konfrontiert sein wird. Ebenso ist deutlich, dass das
gegenseitige Misstrauen nicht überwunden ist. Die Interpretation
jeglicher Aktion des jeweils andern Akteurs bedeutet für den
andern eine Provokation, dies auch dann, wenn oft der Wunsch
besteht, die Gemüter nicht zu erhitzen. So bedeutet zum Beispiel
der Plan Colombia oder die von der Regierung geplante
Steuerreform für die Guerilla eine Provokation, während sie für
die Regierung selber nur Pläne sind, um das Land nach ihrem
Verständnis aus der jetzigen Realität zu „retten“. Das Gleiche
geschieht auch auf der Gegenseite: Während die
Nichtauslieferung des Milizionärs konsequent mit dem Konzept
der Loyalität der FARC ist, bedeutet dies für die Regierung ein
Missbrauch der Entspannungszone durch die Guerilla.
Zu all dem kommt die unterschiedliche Sichtweise der heikelsten
Themen, so die Besetzung von Ortschaften, die Entführung, der
Paramilitarismus oder das Wirtschaftsmodell. Hier sind die
verschiedenen Standpunkte noch entgegen gesetzter und
verhindern eine Anerkennung der Legitimität des Gegners trotz
dieser grossen Differenzen. Der Dialog beinhaltet, dass vor
einem Nachgeben der andere bereit ist, den Gesichtspunkt der
Gegnerseite zu verstehen. Doch in diesem Fall verharren beide
Seiten auf ihren eigenen Überzeugungen. Daher geht die
gegenseitige Satanisierung weiter und es gibt keine solide Basis
für Reformen. Obwohl beide Seiten am Verhandlungstisch
bleiben werden, ist es wenig wahrscheinlich, dass sie aufhören
werden im natürlichen Vorgehen des Gegners eine Provokation
zu sehen.
Darum hat der „Plan B“, den offensichtlich nicht nur die
Regierung hat, und der das Gewicht ganz auf den militärischen
Aspekt verlegt, derart Gewicht gewonnen. Dies ist ersichtlich in
den Armeeoperationen in der Region von Sumapaz und den
Bestrebungen von FARC und ELN sich gegen den Plan Colombia
zu verbünden. Trotzdem zeigt die Bereitschaft von Guerilla und
Regierung, über den Fall des geflüchteten Milizionärs zu
verhandeln auf, dass der Friedensprozess zumindest gerettet
werden konnte. Dieser Vorfall zeigte alarmierend auf, wie
schwach der Prozess ist. Ein Vorankommen des Prozesses ist
immer noch eine Illusion, Leitspruch ist daher Geduld zu haben.
Keine der beiden Seiten ist bereit, die bisher erreichten kleinen,
aber bedeutsamen Fortschritte über Bord zu werfen, auch wenn
diese Fort-schritte weniger dem Prozess als den beiden Akteuren
selber zugute kamen.
Der Prozess mit dem ELN
Trotz der Massenentführung ausserhalb der Stadt Cali vom 17.
September durch den ELN entschied die Regierung die
Annäherungen fortzusetzen. Haupthindernis ist die
Begegnungszone, deren Installierung von den Paramilitärs
torpediert wird.
Andrerseits hat der oberste Kommandant des ELN, Nicolas
Gómez Bautista alias Gabino, ein Treffen mit Manuel Marulanda
Vélez, dem Chef der FARC, vorgeschlagen mit dem Ziel, die
Aggressionen zwischen FARC und ELN zu beenden und eine
gemeinsame Strategie gegen den Plan Colombia zu entwerfen.
2. Soziale Bewegungen: Der Süden antwortet auf
den Plan Colombia
Am 8. und 9. September wurde ein Treffen mit dem Titel „Der
Süden antwortet auf den Plan Colombia“ durchgeführt.
Eingeladen dazu hatte der Bürgermeister von Puerto Asis und der
Gouverneur des Dep. Putumayo zusammen mit einem Bündnis
von NGO rund um die Initiative „Paz Colombia“. Gegen 375
Personen, darunter auch eine Delegation aus Ecuador,
versammelten sich, um über die angespannte Lage in den Dep.
Cauca, Valle, Nariño, Putumayo und Caquetá aufgrund der
Umsetzung der ersten Phase des Plan Colombia zu beraten.
Nach Gesprächen in drei verschiedenen Arbeitsgruppen
präsentierten die Organisatoren die wichtigsten Punkte ihrer
Besorgnis in der Deklaration von Puerto Asis, die an einer
öffentlichen Veranstaltung am 9. September bekannt gemacht
wurde. Da wir die Schlussfolgerungen der Arbeitsgruppe
„Illegaler Drogenanbau, Umwelt und Entwicklung“ für besonders
relevant betrachten, präsentieren wir einige der
Schlussfolgerungen.
Die Teilnehmenden stimmten darin überein, dass der Plan
Colombia ohne Anhörung oder Mitbeteiligung der Bevölkerung
entworfen wurde und „die lokalen Realitäten wie auch die
Initiativen der betroffenen Gemeinschaften und der lokalen und
regionalen Behörden ausser acht liess“. Zudem betrachten sie
den Plan Colombia als „eine Strategie, die darauf abzielt, die
Übergangs- und Demokratisierungsprozesse in der andinen
Region zu destabilisieren und rückgängig zu machen sowie
repressive Massnahmen gegen die sozialen, wirtschaftlichen und
politischen Proteste, ausgelöst durch die Globalisierung und die
Durchsetzung des neoliberalen Modells zu treffen. Diese
repressiven Massnahmen werden zu einem Instrument der
Aufstandsbekämpfung und werden sich negativ auf die
Verschärfung und Ausweitung des Krieges auswirken, der seit 30
Jahren in Kolumbien im Gange ist“. Die Rolle der USA und ihre
Militärhilfe bedeutet eine „absolute Intoleranz“ gegenüber den
Kokapflanzern.
Die Kommission zog folgenden Schluss: „Gegenüber der
chemischen und biologischen Bekämpfung sollen manuelle
Techniken der Ausrottung von illegalen Drogenpflanzung studiert
werden, sofern diese Ausrottung freiwillig erfolgt und mit den
Gemeinschaften vereinbart ist, zudem graduell durchgeführt
werden und an die Bedingung nachhaltiger Investitionen im
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich geknüpft sind.
Es braucht Aktionen zur Wiederherstellung der sozialen Netze,
eine Ethik der Toleranz, des Respekts vor dem Leben und volle
Garantien zur wirksamen Anwendung der Justiz. Die in Puerto
Leguizamo und in Guambia gemachten Erfahrungen sollen in die
Studie miteinbezogen werden.“
„Das Problem der illegalen Drogenpflanzungen hat seinen
Ursprung in der Krise des landwirtschaftlichen Sektors in
Kolumbien, dem Fehlen von Bedingungen zur Wahrung der
Konkurrenzfähigkeit der Landwirtschaft trotz der wirtschaftlichen
Öffnung und der fehlenden Berücksichtigung minimaler
Bedingungen für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Landes.
Diese Krise wurde durch die Gegenlandreform verschärft, wo aus
dem Drogenhandel stammende Kapitalien zur Konzentration von
mehr als 4 Mio. Hektar landwirtschaftlich äusserst fruchtbaren
Landes in wenigen Händen investiert wurden. Dieses Land wird
praktisch ausschliesslich für extensive Viehzucht verwendet, mit
negativen Auswirkungen auf die Produktivität des Bodens und
auf die Schaffung von Überschüssen zugunsten der
Landbevölkerung.“
Handlungsvorschläge
1. Einen Prozess der Dezentralisierung der Debatte über den Plan
Colombia zu entwickeln und zwar so, dass die Weiler, Gemeinden
und indigenen Schutzgebiete (Resguardos), die, obwohl sie
keinen illegalen Drogenanbau haben, von den Offensiven des
Plan Colombia schwer betroffen sein werden, in die Diskussion
miteinbezogen werden.
2. Einen Organisierungsprozess auf Gemeinde- und
Departementsebene zu schaffen, um so lokale Antworten
auszuarbeiten, in denen die soziale, politische und kulturelle
Verschiedenheit der Regionen berücksichtigt wird. Eine
Informationskampagne, Analysen und einen
Organisierungsprozess auf lokaler Ebene durchzuführen, um so
die örtlichen Vorschläge zu sammeln und eine Antwort des
Südens aus der Sicht der Gemeinschaften umzusetzen.
3. Aktionen zu entwickeln zur Schaffung einer
lateinamerikanischen Friedenskommission auf der Grundlage der
Anerkennung und die Ausarbeitung von Antworten auf die Folgen
des Plan Colombia auf die andinoamazonische Region. Es sollen
Aktivitäten auf internationaler Ebene zur Unterstützung des
Friedens in Kolumbien und zur Abwendung der Folgen der
Kriegsoffensive wie auch der ökologischen Schäden durch die
Intensivierung der chemischen und biologischen Besprühungen
mit ihren verheerenden Auswirkungen auf die Biodiversität
entwickelt werden.
3. Menschenrechte: Ungeklärter Tod von sechs
Kindern durch die Armee
Vor mehr als einem Monat tötete die Armee sechs Kinder.
Die Erklärungen hoher Funktionäre der Regierung, der
Staatsanwaltschaft und der Aufsichtsbehörde, welche die
Militärs von der vorsätzlichen Tötung freisprachen,
besorgen die Menschenrechtsorganisationen.
Am 15. August 2000 starben im Weiler La Pica in der Gemeinde
Pueblorrico im Dep. Antioquia sechs Kinder durch Schüsse der
Armee. Weitere vier Kinder wurden verletzt. Sie waren mit 31
KlassenkollegInnen und drei Erwachsenen auf einer ökologischen
Exkursion. Seit dem Vorfall wurden verschieden Versionen über
das Geschehen verbreitet, einerseits durch die Armee,
andrerseits durch die BewohnerInnen und die Opfer selber.
Verschiedene Kommissionen, zusammengesetzt aus Vertretern
der Staatsanwaltschaft, der Aufsichtsbehörde, der Ombudsstelle
und des UNO-Menschenrechtsbüros besuchten den Ort des
Geschehens, um die Ursachen aufzudecken.
Die militärische Führung bekräftigte noch am gleichen Tag des
Ereignisses, dass es zu einem Gefecht zwischen der Armee und
Guerilleros des ELN gekommen sei und die Kinder in das
Kreuzfeuer hineingeraten seien. Doch die Aussagen der Opfer
wiesen
dies vollumfänglich zurück und zwangen Verteidigungsminister
Fernando Ramirez Acuña und den Generalstaatsanwalt Alfonso
Gómez Méndez dazu, die Verantwortung der Armee
anzuerkennen, sie machten darauf „menschliches Versagen“ für
den Vorfall verantwortlich und wiesen eine Vorsätzlichkeit
zurück.
Aufgrund dieser Erklärungen gab die Staatsanwaltschaft den Fall
an die Militärjustiz weiter, welche den Prozess gegen die 23
involvierten Soldaten führen sollte. Die Aufsichtsbehörde
ihrerseits eröffnete eine Disziplinaruntersuchung gegen acht für
den Tod der sechs Kinder verantwortliche Soldaten, stimmte aber
darin mit der Staatsanwaltschaft überein, dass es sich nicht um
ein vorsätzlich begangenes Verbrechen gehandelt habe.
Doch die Dinge sind nicht klar. Dies wird aus einem Bericht von
zehn Menschenrechtsorganisationen deutlich, die den Ort des
Geschehens am 16./17. August besuchten und die
Zeugenaussagen von einigen am Ausflug teilnehmenden
Kindern, BewohnerInnen des Weilers, Augenzeugen, Eltern und
Angehörigen der Opfer wie auch von einigen
Behördenmitgliedern der Gemeinde und der Hilfe leistenden
Ärzte aufgenommen haben. Der Bericht stellt klar, dass es keinen
Zusammenstoss mit dem ELN gegeben hat und die Kinder also
nicht als lebende Schutzschilder benutzt worden waren.
Ebenso wurde die Hypothese eines „Fehlers“ der Armee, die von
der Staatsanwaltschaft, der Aufsichtsbehörde und dem Verteidigungsministerium verbreitet wird, hinterfragt. Dies aus
folgenden Gründen: In erster Linie kann sich die Armee nicht von
der Verantwortung frei sprechen, da es eine Forderung an die
gesetzliche Gewalt ausübenden Institutionen ist, möglichen mit
der Gewaltanwendung verbundenen Folgen und Risiken
vorzubeugen. Eine Unterlassung verstösst gegen das Genfer
Protokoll, das Kolumbien unterzeichnet hat. In zweiter Linie ist es
unverständlich, weshalb die Soldaten während mehr als 40
Minuten auf die Kinder schossen, und die Gruppe der
unbewaffneten Kinder und Erwachsenen in Sportanzügen nicht
von einer Gruppe von Guerilleros unterscheiden konnte und auch
nicht auf die Schreie der Kinder und der herbeigeeilten Bauern
hörte.
Nach dem Urteil der NGO-Kommission kann aufgrund der
Zeugenaussagen und der erhobenen Beweise die Hypothese
einer vorsätzlichen Aktion der Militärs nicht verworfen werden. In
diesem Fall handelt es sich um einen mehrfachen Mord und
folgedessen um eine Verletzung der Menschenrechte und des
humanitären Völkerrechts. Zudem wird die Handhabung der
Untersuchung hinterfragt, da am Ort des Geschehens auch 72
Stunden nach der Tat weder die Staatsanwaltschaft noch die
Aufsichtsbehörde Zeugenaussagen aufnahmen oder involvierte
Militärs verhörten. Es wird befürchtet, dass auch diese Tat in der
Straflosigkeit endet.
Der Bericht der NGO-Kommission macht mehrere Empfehlungen
mit dem Ziel, den Tod der Kinder aufzuklären. Aus den
Empfehlungen möchten wir folgende hervorheben: 1.Die
Untersuchung soll von der ordentlichen (zivilen) Justiz geführt
werden, da der Vorfall und die Umstände des Angriffs nicht als
eine eigentliche Amtsausübung betrachtet werden können; 2.
Der Generalstaatsanwalt Alfonso Gómez Méndez soll sich für
befangen erklären, die Funktionen seines Amtes in diesem Fall
auszuüben, da er eine faire Prozessführung durch seine
Vorbeurteilung des Verhaltens der Soldaten und die Erklärung,
diese hätten nicht vorsätzlich oder absichtlich gehandelt, verletzt
hat. Ein ad hoc-Staatsanwalt soll die Untersuchung führen. 3.
Den Opfern des Vorfalls soll Schutz geboten werden. 4. Die
Regierung soll die involvierten Soldaten vom Dienst
suspendieren. 5. Die Opfer sollen entschädigt werden.
Die NGO-Kommission ruft die sozialen, nationalen und
internationalen Organisationen dazu auf, den Fall permanent zu
verfolgen. Das UNO-Menschenrechtsbüro wird aufgefordert eine
analytische Arbeit zur Menschenrechtssituation in der Region
durchzuführen und die Untersuchung des Vorfalls zu
überwachen.
Die Erklärung unterzeichnen:
Corporación Jurídica Libertad; Anwaltskollektiv José Alvear
Restrepo; Humanidad Vigente; Christliche Basisgemeinden; Solidaritätskomitee mit den Politischen Gefangenen CSPP;
Permanentes Menschenrechtskomitee Héctor Abad Gómez;
Interkongregationale Kommission Justicia y Paz; Vereinigung der
Familienangehörigen von Verhaftet-Verschwundenen ASFADDES.
Indigenas der Sierra Nevada verlangen Gerechtigkeit
Die Situation von Vernachlässigung und Aggression gegen die
indigenen Gemeinschaften ist ausnahmslos und allgemein. Doch
wegen der Verschärfung des Konfliktes, seiner Dynamik und der
Logik der Akteure aufgrund ihres Interesses an strategischen
Zonen wie der Sierra Nevada von Santa Marta und der Serrania
del Perija, werden die indigenen Gemeinschaften der Iku, Kogi,
Wiwa, Kankuamo und Yukpas, die seit jeher diese Gebiete
bewohnen und für die diese Erde heilig ist, zu Opfern einer
systematischen und umfassenden Verletzung ihrer Rechte. Dies
hat eine schwere Krise der Menschenrechte und eine
besorgniserregende humanitäre Situation zur Folge. Diese wird
noch durch die zunehmende Verarmung aufgrund der staatlichen
Vernachlässigung verschärft wie auch durch die wachsende
soziale Schuld der lokalen, regionalen und nationalen Behörden
gegenüber den indigenen Völkern.
Daher erbaten die betroffenen Gemeinschaften den Besuch einer
humanitären Kommission, damit diese sich ein Bild der aktuellen
Situation macht und Empfehlungen verabschiedet. Diese
Kommission war aus VertreterInnen von mehr als 20
Organisationen zusammengesetzt, darunter humanitäre-,
Menschenrechts-, staatliche- und nichtstaatliche-, nationale und
internationale Organisationen, welche die Gegend im Juli 2000
besuchte. Sie stellte fest, dass die Lebensbedingungen der
indigenen Gemeinschaften besorgniserregend sind, dass sie
Opfer sämtlicher Konfliktakteure wurden, die in ihrem Gebiet
einen günstigen Raum für ihre militärischen Strategien und in der
Bevölkerung potentielle Militante oder Informanten sehen oder
sie als menschliche Schutzschilder brauchen oder zu anderen
Dienstleistungen zwingen.
In der Region operieren drei Fronten der FARC-EP, zwei des ELN
und eine des EPL. Die Paramilitärs haben ihre Lager in der Ebene
des Dep. Cesar, von wo aus sie ihre Übergriffe auf die indigenen
Dörfer und die Massaker und aussergerichtlichen Hinrichtungen
an der Bevölkerung verüben. Die Armee hat das operative
Kommando No. 7 in Valledupar, der Hauptstadt des Dep. Cesar
postiert, wo sich auch das Bataillon La Popa befindet. Zudem hat
die Armee eine Basis am Berg Inwara (El Aguacil) im Territorium
der Arhuaco errichtet, was eine ernsthafte Bedrohung für die
Indigenas und deren Tiere bedeutet, da die angrenzenden
Gebiete vermint wurden und zudem die Basis das Risiko eines
eventuellen Angriffs mit Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung
birgt.
Die Präsenz der bewaffneten Akteure und die Art und Weise, wie
die Feindseligkeiten geführt und die Zivilbevölkerung bedrängt
werden, hat bei den indigenen Völkern zu einer zunehmenden
Angst aufgrund der aufgezwungenen Unterwerfung, die ihre
Autonomie, die Entscheidungsgewalt der indigenen Autoritäten
und die kulturellen Werte verletzt und zudem eine Invasion ihres
Territoriums bedeutet. Besorgniserregend sind auch die
Aussagen von Indigenas gegenüber der Kommission, dass die
Armee Patrouillen mit vermummten Personen durchführt, was die
Angst vor gemeinsamen Aktionen von Armee und Paramilitärs
schürt.
Diese Situation konnte vor Ort festgestellt werden, wozu noch
das Problem von Neuzuzügern kommt, die illegale
Drogenpflanzungen anlegen und sich produktives Land aneignen
wollen. Die Kommission versuchte im Hinblick auf präventive
Aktionen zur Verhinderung zukünftiger noch schlimmerer
Unglücke und auf Berufung der Menschenrechte und des
humanitären Völkerrechts mit interkulturellem Charakter als
Handlungsebene eine Linie zwischen dem kulturell und
theologisch geschützten und rechtlich anerkannten Gebiet zu
ziehen und von indigenen Territorien als strategische Reserven
für die Biodiversität und öffentlicher natürlicher Ressourcen
auszugehen. Sie empfahl dem Staat die Einhaltung seiner
Verantwortung gegenüber den indigenen Völkern in Bezug auf
soziale Investitionen insbesondere im Gesundheitsbereich; die
Einhaltung des Gesetzes 21 von 1991, das den Artikel 169 des
Abkommens mit der Internationalen Ar-beitsorganisation ILO
über indigene- und Stammesgemeinschaften regelt; die
Kultstätten zu respektieren und die Armee anzuhalten, ihr
Personal auszuweisen; eine Studie der Menschenrechtssituation
und des humanitären Völkerrechts im Dep. Cesar zu erstellen;
einen pädagogischen Prozess zur Konfliktlösung und zur
Förderung der Menschenrechte in Gang zu setzen;
Strafverfolgungen einzuleiten gegen die verübten und bisher
straffreien Übergriffe gegen diese indigenen Völker; ein
Unterstützungsprogramm auf Departements- und
Gemeindeebene zu initiieren, wo es indigene Gemeinschaften
gibt; die illegalen Drogenpflanzungen nicht durch ziellose
Besprühungen aus-zurotten, die schwere ökologische Folgen und
Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit haben; den
Vertriebenen Hilfe zukommen zu lassen und Programme für
Jugendliche zu entwickeln, die einem grossen Risiko ausgesetzt
sind, in den Konflikt involviert zu werden; ein Programm zum
Schutz der Führungspersonen, der Ärzte und des medizinischen
und paramedizinischen Personals aufzustellen und ein
Frühwarnsystem einzurichten. Das UNO-Menschenrechts-büro
wurde aufgefordert in seinem Bericht ein Dokument über die
Situation der Indigenas miteinzubeziehen, das zur Umsetzung
eines globalen Abkommens über Menschenrechte und
humanitäres Völkerrecht in der Region beitragen soll.
Die Degradierung des bewaffneten Konfliktes in Kolumbien, wo
die Zivilbevölkerung Opfer aller Konfliktakteure wird,
insbesondere der Paramilitärs, hat die Bauern zum
verletzlichsten und bedrängtesten sozialen Sektor werden lassen,
dessen Rechte ständig verletzt werden. Diese Tendenz hat sich
in den letzten zwei Jahren noch konsolidiert. Die indigenen und
die Schwarzengemeinschaften in den verschiedenen Regionen
des Landes sind Ziel verschiedenster Aggressionen geworden,
die nicht nur gegen ihr Leben und ihre Integrität gerichtet sind,
sondern sich ganzheitlich gegen ihre Territorien, Kultur,
Biodiversität, Kosmovision und ihre politische und administrative
Autonomie richten.
Der Kampf der indigenen und der Schwarzengemeinschaften
übersteigt jedwelche eingeschränkte Konzeption der
Menschenrechte. Ihre Forderungen gehen im Gegenteil von
einem integralen Verständnis der Menschenrechte aus. Damit
stehen sie nicht nur im Gegensatz zu den Bürgerinnen einer
politisch organisierten Gemeinschaft, die sich staatliche
Institutionen und eine bestimmte Form von Konfliktlösungen und
der Durchsetzung der Justiz im Rahmen einer demoliberalen
Gesellschaft geben, sondern damit fordern sie auch
fundamentale Rechte nach Territorium und Kultur ein, die für
diese Gemeinschaften genau so wichtig wie ihr eigenes Leben
oder ihre Freiheit sind. Ein entwurzelter Indigena stirbt lebendig,
er hört auf zu sein und zu existieren, denn seine Essenz ist die
Gemeinschaft selber, lebend auf einem Territorium, das seine
Heimat bedeutet, sein Referenzpunkt, der Ort seiner Vorfahren
und das Einzige ist, was seinem Sein einen Sinn verleiht.
Doch diese Art die Natur zu verstehen und sich in sie zu
integrieren, ist auch Teil unserer Tragödie. Praktisch alle
indigenen Ge-meinschaften, die in Kolumbien überleben, sind
dem Angriff dessen ausgesetzt, was wir gemeinhin Fortschritt
nennen. Sie wehren sich im Strudel der Uniformität und im Diktat
der konzeptuellen Eindimensionalität unterzugehen, sie sind am
Punkt zu sterben durch die Dynamik des Konfliktes, durch den
Entscheid der Mächte und der Interessen wie auch durch das
Beharrungsvermögen eines Krieges, der von einem Mittel zu
einem Zweck für sich selber geworden ist.
Daher bekräftigen die Indigenas, dass sie „kein Volk für den Krieg
sind, sondern Völker, deren Aufgabe es ist, das Leben zu
schützen und zu erhalten...“.
4. Chronologie: September 2000
1. Eine Freihandelszone zwischen der Andinen
Staatengemeinschaft und dem Mercosur zu schaffen ist die
Hauptschlussfolgerung von 12 in Brasilien versammelten
Präsidenten. Zudem äusserten sie ihre Befürchtung, dass der
bewaffnete Konflikt in Kolumbien durch die Umsetzung des Plan
Colombia über die Grenzen ausufert.
3. Spanien kündigt die Unterstützung des Plan Colombia mit 124
Mio. US$ an und bittet die anderen Länder der Europäischen
Union das Gleiche zu tun, dies mit dem Argument, Kolumbien
„laufe Gefahr, sich in einen spektakulären Fokus der
Destabilisierung der ganzen Region zu verwandeln, die für alle
unsere Länder eine ausserordentliche Bedeutung hat und eine
internationale Schlüsselregion ist“.
6. Nach der Anklage von Defiziten im Gesundheits- und
Erziehungsbereich und den niedrigeren finanziellen
Zuwendungen durch die Nation, wird in Villavicencio das
Gipfeltreffen der Departementsgouverneure eröffnet, die von der
Regierung die Ermächtigung verlangen, regionale
Friedensgespräche aufnehmen zu können.
8. Der Friedensprozess gerät in eine Krise, da die Regierung von
der FARC die Auslieferung von Arnubio Ramos verlangt, einem
Milizionär der FARC, der ein Flugzeug der Gesellschaft Aires
entführte und die Besatzung zur Landung in der
Entspannungszone zwang.
10. Mit einem Aufruf zum No Más! Es reicht! in Manifestationen
und künstlerischen und kulturellen Darbietungen schliesst die
Nationale Friedenswoche, die während zehn Tagen der
Zivilgesellschaft die Möglichkeit bot, ihre Ablehnung gegenüber
allen bewaffneten Akteuren zum Ausdruck zu bringen.
12. Der Kongressabgeordnete Juan Manuel Corzo wird nach 17
Monaten Gefangenschaft freigelassen. Er war mit weiteren 39
Personen nach der Entführung eines Verkehrsflugzeuges durch
ein Kommando des ELN festgehalten worden. Der ELN hat noch
drei der entführten Passagiere in seiner Gewalt.
Die internationale Organisation freier Gewerkschaften sagt in der
Schweiz, dass durch die Ermordung von mindestens 69
Gewerkschaftsführern während des Jahres 1999 Kolumbien zum
gefährlichsten Land für die Arbeitenden wurde.
15. Der ELN entführt in Rionegro, Antioquia, drei italienische
Ingenieure, die für das Nationale Schokoladenunternehmen
arbeiten. Zwei Tage zuvor hatte der ELN zwei russische und
einen kolumbianischen Ingenieur entführt, die als Berater für den
Bau des Wasserkraftwerkes Ponce II im Nordosten Antioquias
tätig waren.
Eine Steuerreform, welche die Besteuerung von
Pensionsleistungen, weiterer Produkte des täglichen
Grundbedarfs und von öffentlichen Dienstleistungen vorsieht,
wird dem Kongress vom Finanzminister Juan Manuel Santos
präsentiert, der damit 3,6 Billionen Pesos einzunehmen hofft. Zu
den Massnahmen, die von den Gewerkschaften, oppositionellen
Kongressabgeordneten und Industriellen abgelehnt wurden,
gehört auch die Reduzierung der 30%igen Steuerbefreiung der
kolumbianischen ArbeiterInnen.
17. Gegen 60 Personen werden vom ELN an der Strasse von Cali
nach Buenaventura entführt. Der ELN hatte bereits letztes Jahr
eine Massenentführung von Gläubigen aus der Kirche La Maria
durchgeführt. Am gleichen Tag kommen bei Kämpfen mit der
FARC in Urabá 19 Soldaten ums Leben.
20. Bis zum 15. Oktober 2000 wurde die Region Sumapaz, die an
die Entspannungszone der FARC angrenzt, zum Gebiet spezieller
Militäroperationen deklariert, dies nach 18 Tagen andauernder
Gefechte mit der FARC.