Bern

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Bern
Inkl. Kunstbeilage artensuite
Schweiz sFr. 7.90,
Deutschland, Österreich,
Frankreich, Italien € 6.50
NR.
ensuite
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86 FEB 2010 | 8. JAHRGANG
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Oscar Tuazon
Rolf Iseli
les str ates du temps
18.12.2009 – 21.03.2010
Kunsthalle Bern
-
HODLERSTRASSE 8 – 12
CH-3000 BERN 7
DI 10H – 21H, MI-SO 10H – 17H
WWW.KUNSTMUSEUMBERN.CH
13.02. - 25.04.2010
Manuel Burgener
Infos: www.dampfzentrale.ch Vorverkauf: www.starticket.ch
Tanz / Performance
FESTIVAL
HEIMSPIEL
BERNER TANZSCHAFFENDE
IN DER DAMPFZENTRALE
6. Februar
OPEN DOORS
tanz aktive plattform
tap
ZWISCHEN
Himmel und Erde
Anthroposophie heute
Ein Film von Christian Labhart
12. & 13. Februar
T42 DANCE
PROJECTS –
(FÉLIX DUMÉRIL
& MISATO INOUE)
SCHATTENSPIEL /
CYNTHIA GONZALEZ
WOMAN OF WAR
21. & 22. Februar
MARCEL
LEEMANN
PHYSICAL DANCE
THEATER
REVOLVER
3. & 4. März
24. & 25. Februar
KATHARINA VOGEL
SUSANNE MUELLER OHR
NELSON
END::SPIEL 5
6. & 7. März
HERMESDANCE
27. & 28. Februar
HIC SALTA!
INFLUX
DIE GESTUNDETE
ZEIT
UBS Kulturstiftung
www.zwischenhimmelunderde.ch
1. März
IF YOU HAD A
DANCE TO GIVE …
EINE LECTURE
DEMONSTRATION
Stadt Bern, Kanton Bern, Ernst Göhner Stiftung, Burgergemeinde Bern, Hotel National Bern
tanzaktive plattform tap, SSA Schweizerische Autorengesellschaft
Inhalt
20
12
27
41
38
PERMANENT
6 SENIOREN
IM
WEB
6 KURZNACHRICHTEN
7 KULTUR
DER
POLITIK
5
KULTURESSAYS
5
Die Frage nach Moral
Von Lukas Vogelsang
10 (Un)Brauchbare Kunst
Von Jarom Radzik
12 Ein Rot von Welt
Von Barbara Roelli
9 FILOSOFENECKE
13 Das 80er-Desaster
13 É PIS FINES
14 Einsicht statt Licht
15 CARTOON / MENSCHEN & MEDIEN
44 Ein «Hm» kommt selten allein
17 LITERATUR-TIPPS
16 LITERATUR
30 I NSOMNIA
16 Seit jeher unterwegs
35 LISTENING POST
16 Lesezeit
Von Pedro Lenz
40 T RATSCHUNDLABER
40 DAS
ANDERE
Von Simone Weber
KINO / PROGRAMM
44 I MPRESSUM
45 KULTURAGENDA BERN
66 KULTURAGENDA BIEL
70 KULTURAGENDA THUN
Von Isabelle Haklar
Von Konrad Pauli
Von Gabriela Wild
18 A RCHITEKTUR
18 Räume, die inspirieren
Von Anna Roos
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
Von Alexandra Portmann
24 Puppenspiel lernen
Von Friederike Krahl
26 Langsamkeit ist eine Kunst
Von Barbara Neugel Bild: Jörn Jönsson
27 M USIC & SOUNDS
27 Sechs Sofas im Dachstock
Von Luca D‘Alessandro
28 Für seinen 14. hat sich Radio
RaBe herausgeputzt
29 Rund läuft es – Round Table Knights
Von Ruth Kofmel
31 Das Berner Symphonieorchester:
weiterhin Spielball der freien
Marktwirtschaft oder Hoffnungsträger?
35 CD-Anspieltipps
36 KINO & FILM
36 «Ethan und Joel Coen haben mir
viele Freiheiten gelassen»
Interview: Sarah Elena Schwerzmann, London
19 T ANZ & THEATER
38 Wer redet da über Humor?
19 Bühnentanz und Behinderung
40 Up in the Air
Von Meredith Fischer
20 Gibt es eine Berner Tanzszene?
Von Roger Merguin
Bild Titelseite: Lady Waks (St. Petersburg / RU) spielt am
6.2. an den Dubquest Sessions in der Berner Dampfzentrale
23 Ein Mistvieh hilft dem anderen
22 Ausblick Tanz
22 Was kann, soll und will
zeitgenössisches Theater?
Von Fabienne Naegeli
Von Guy Huracek
Von Sonja Wenger
41 Illusionen des Kinos
Von Morgane A. Ghilardi – Das Kinoerlebnis im
Zeitalter von CGI und 3D
ensuite.ch
3
Kulturessays
E DITORIAL
Die Frage nach Moral
Von Lukas Vogelsang
D
Immer mehr
Menschen
brauchen ein
ensuite-Abo.
as Jahr 2010 wird ein Moral-Jahr. Zu druckte die Nationale Zeitung (wurde zur Baslange haben wir uns in unseren Gesell- ler Zeitung) jede Woche eine Kunstseite (pressschaften davor gedrückt, «Moral» im Alltag zu art). Auf einer solchen Zeitungsgrafik, die von
diskutieren und den Wert weiterzuentwickeln. Herbert Distel stammt, stand: «Haben Sie sich
Wir haben zwar Computer, mobile Telefone, schon einmal die Frage gestellt?»
Gerhard Johann Lischka schrieb dazu im
funkferngesteuerte Babywächter, hyperintelligente Kochtöpfe, ökologische und nichtöko- Begleittext: «Dieser Satz enthält erst dann Belogische Fortbewegungsmittel, biologisches deutung, wenn eine gesellschaftliche Situation
und antianimalisches Essen … Aber keine Mo- so beschaffen ist, dass Fragen eben nicht mehr
ral mehr. Die Religionen streiten, und deren gestellt werden, das heisst eine Situation, in
Götter verkünden alles andere als Frieden und der Antworten überall uns überfallen und die
Freiheit – ohne Ausnahme. Die Schulen setzen Zeit zur Frage erstirbt.» Heute ist eine solche
auf «Multiple Choice» – auch in der Erziehung Kunstaktion schon gar keine Kunst mehr – heu– und die Eltern, statt die Kinder, füllen diese te ist sie nackte Notwenigkeit.
Zum fünften Mal wünscht die SVP oder
Fragebogen aus. BankerInnen und PolitikerInnen sind verfilzt oder tun und lassen, wie ihnen die karriereeifrige Jungmannschaft davon, im
Herbst die Reitschule in Bern
beliebt. Die SVP freut's, weil
zu einem Schwimmbad umzusie Moral als solches noch nie
verstanden hat und sie die ha«Haben Sie sich stürzen. Zum fünften Mal werden sie es nicht schaffen und
itischen Flüchtlinge jetzt lieschon einmal die sich selbst der Lächerlichkeit
ber in den Trümmern liegen
preisgeben. Gerade die Reitliesse – auf jeden Fall nutzen
Frage gestellt?»
schule ist trotz voranschreitensie die nächste Gelegenheit,
Herbert Distel
der Zeit noch eine der wenium daraus eine Volksabstimgen Kulturinstitutionen in der
mung zu machen, während
die Linken noch darüber diskutieren, wer jetzt Schweiz, die sich über gesellschaftliche TheKaffee kochen soll. Die Medien wiederum hau- men öffentlich und laut Gedanken macht. Wir
en jeden in die Pfanne und versalzen die Ge- wollen die Moral aber nicht in einem geplansellschaft damit. Fragen oder hinterfragen tut ten, überflüssigen Hallenbad ersäufen lassen,
sondern müssen diese diskutieren. Nicht nur,
niemand mehr.
Durch einen Zufall bin ich gleich zweimal aber spätestens seit der Minarett-Initiative hainnerhalb einer Woche über ein paar Freunde ben wir SchweizerInnen verstanden, dass unseund dadurch über Herbert Distel und damit re Dialogsbereitschaft zu wünschen übrig lässt
über ein ganzes Universum gestolpert. 1973 – vor allem stellen wir die falschen Fragen. Genau darum geht's in diesem Jahr.
Und wo die Moral sitzt, ist auch unscheidbar
Kultur zuhause. Wo über Moral diskutiert wird,
Dank für die finanzielle Unterstützung an:
ist auch die Kultur einer Veränderung ausgesetzt. Während in Bern über die Reitschule und
über die Funktion des neuen PROGR diskutiert
wird, sucht sich Zürich ab Mitte Jahr durch den
neuen Kultursekretär seine Definition. Im März
wird die schweizerische Kulturelite am «Forum
Kultur und Ökonomie 2010» über das Thema
«Kunst macht glücklich – Über Rechtfertigungsstrategien für Kulturförderung» tagen. Es
passt alles zusammen, aber eine Moral müssen
wir erst noch finden.
ensuite.ch
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
5
SENIOREN IM WEB
Von Willy Vogelsang, Senior
Kurznachrichten
F
ür heute spannende Informationen des
für den Inhalt verantwortlichen Managers Alfons Bühlmann:
«Die Entwicklung der neuen Plattform
befindet sich in der Schlussphase. Anfang
März 2010 soll die Umstellung erfolgen. Sie
bringt viel Neues auf seniorweb.ch.
Halten wir zuerst fest, was bleibt: seniorweb.ch bleibt unter Aufsicht der gemeinnützigen Stiftung Pro Seniorweb eine NonProfit-Organisation und eine dreisprachige
Internet-Community für die Generation
50plus, betrieben – soweit wie möglich – in
Freiwilligenarbeit durch Seniorinnen und Senioren. Seniorweb versteht sich als Interessensvertretung der Menschen in der dritten
Lebensphase. Es bietet älteren Menschen einen Treffpunkt im Internet mit Gelegenheit zu
Kontakten und Begegnungen, Unterhaltung,
Erfahrungsaustausch und kreativer Mitarbeit.
Der Community-Charakter von seniorweb
soll in Zukunft stärker in den Vordergrund
treten. Immer mehr ältere Menschen entdecken
und nutzen soziale Netzwerke im Internet, um
Kontakte zu pflegen, Wissen und Erfahrungen
auszutauschen und an gemeinsamen Projekten
teilzunehmen. Diese Möglichkeiten sollen auf
der neuen Plattform verbessert werden und
mehr zur Geltung kommen.
Auf einer benutzerfreundlichen Startseite
werden daher nicht nur redaktionelle Artikel
angezeigt werden, sondern auch Aktualitäten
in den Blogs, Foren, Gruppen und im Mitgliederbereich.
Im Magazin finden sich ausgewählte Artikel
und Kolumnen unserer Autoren zu einem breiten Themenspektrum, aber fokussiert auf die
Interessen unserer Generation. Stark ausgebaut wird der Bereich Dienstleistungen. Hier
werden Sie fündig, wenn Sie Rat und Hilfe
suchen, Dienstleistungen, Vergünstigungen,
Kleinanzeigen, Angebote zum Lernen usw..
Neu können die Inhalte der Website Regionen zugeordnet und nach Regionen gesucht
werden. Ausserdem neu: Mitglieder dürfen auf
dem neuen seniorweb zum Beispiel: kostenlos
eigene Bildergalerien erstellen, anderen Mitgliedern im Chatraum begegnen, kostenlos ein
eigenes Blog erstellen und frei publizieren,
ihre persönliche Startseite («Mein seniorweb»)
einrichten und selbst wählen, was ihnen angezeigt werden soll, an vielen Regional- und
Interessengruppen teilnehmen, als PremiumMitglied kostenlose Anzeigen aufgeben, als
Premium-Mitglied für den eigenen Verein,
die Wander-, Hobby-, Jassgruppe eine eigene
Gruppenseite erstellen.»
www.seniorweb.ch
informiert · unterhält · vernetzt
«UND SIE ZOGEN IN
DEN KRIEG, FÜR EIN
LEERES HEMD ...»
B
rief an Orestes In dem Monolog «Brief an
Orestes» kommt Klytemnestra, eine der
berühmtesten Mörderinnen der griechischen
Antike, zum ersten Mal zu Wort. Als Agamemnon aus dem zehnjährigen trojanischen Krieg
zurückkehrt, bringt sie ihn um. Nun fürchtet sie
die Rache ihrer Kinder Elektra und Orestes.
Das Stück Klytemnestra weiss, dass ihr ein
gewaltsames Ende bevorsteht. Nicht die Angst,
dass sie umgebracht wird, oder die Verteidigung
ihrer Tat sind der Grund, ihrem Sohn zu schreiben. Sie bringt den Mut auf, Orestes die Hintergründe ihres Lebens und ihrer Tat zu erzählen,
denn nicht darüber zu sprechen, würde bedeuten, «ein Schweigen zu vererben dass alles Unheil in sich birgt». Sie erzählt von ihrem Leiden,
ihrer Selbstverachtung, von der Unterdrückung
und Gewalt, die sie erfahren hat, von der Opferung ihrer zweiten Tochter Iphigenie, der brutalen Zeugung Orestes. Sie ringt um Ehrlichkeit,
denn sie begreift, dass Selbstachtung nur durch
Wahrheit möglich ist.
Künstlerische Umsetzung: Der Monolog wird
in einem Raum gespielt, und dauert 70 Minuten.
Die Geschichte spielt heute.
Der Autor Jakovos Kambanellis (geb. 1922)
ist der wichtigste zeitgenössische griechische
Dramatiker. Nachdem er 1945 aus deutscher KZHaft in Mauthausen nach Hause kam, entdeckte er seine Begeisterung für das Theater. Viele
seiner Stücke hatten in seiner Heimat grosse
Erfolge. Im Deutschen sind nur seine Texte zur
«Mauthausenkantate» bekannt, die Mikis Theodorakis vertonte. Kambanellis wurde mit vielen
Auszeichnungen für seine Arbeit geehrt und hat
einen Lehrstuhl für den 1999 gegründeten Bereich «Dramaturgie» an der Akademie in Athen.
Das Ein-Frau-Stück wird gespielt von Anina
Jendreyko. (Pressetext)
Griechische Kultur – eine Veranstaltungsreihe
vom 15. Februar bis 21. Februar, jeweils 20h, Kellerheater Stok, Hirschengraben 42, 8001 Zürich
Infos: www.theater-ins-offene.ch
LES PASSIONS
DE L’AME IM
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interspiele Zeitgleich mit den Olympischen Spielen in Vancouver präsentieren
Les Passions de l'Ame ihre eigenen «Winterspiele» mit Werken von Vivaldi, Telemann und Scarlatti. Während in Vancouver Medaillen erkämpft
werden, nähert sich Berns Orchester für Alte
Musik unter der Leitung von Meret Lüthi diesem
Ereignis aus der Sportwelt auf musikalische und
augenzwinkernde Weise. Der olympische Stoff
war ein beliebtes Sujet bei Opernkomponisten
der Barockzeit. So werden neben der einleitenden Sinfonia aus Vivaldis Oper «L'Olimpiade»
auch olympische Klänge von Scarlatti zu Gehör
gebracht. Um den völkerverbindenden Aspekt der
Spiele zu umschreiben, stehen gleich zwei Suiten
von Georg Philipp Telemann auf dem Programm:
«Les Nations anciens et modernes» und «Les Na-
tions». Telemann charakterisiert verschiedenste
Nationalitäten von den Schweden bis zu den Türken und: Auch die Helvetier sind hier vertreten.
Die Brücke vom Geschehen auf der Bühne zu
jenem bei der aktuellen Olympiade schlägt der
Moderator Mark Kleber, Rundfunk- und Fernsehjournalist und Korrespondent des ARD Hauptstadtstudios Berlin. Ein winterlich, verspieltes
Musikabenteuer in der orchestereigenen Konzertreihe «alte Musik?– ganz neu!!» (Pressetext)
Konzerte am 26. und 27. Februar 2010, jeweils
19.30h, Yehudi-Menuhin-Forum, Helvetiaplatz 6,
3005 Bern
Infos: www.lespassions.ch
Kulturessays
K ULTUR
7
Vorstellungen:
Mi., 17. März 10, 19.30h
Do., 18. März 10, 19.30h
Fr., 19. März 10, 19.30h
Sa., 20. März 10, 19.30h
Aula der Primarschule Köniz Buchsee,
Lilienweg 15, 3098 Köniz
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
P OLITIK
Wer sich nicht
DER UNGEWASCHENE BRÄUTIGAM
Jahre lang nie die Zähne putzen, die Haare
schneiden, die Kleider wechseln. Genau das
schlägt der Teufel einem russischen Soldaten
vor, der von einem langen Feldzug abgebrannt
nach Hause kommt. Das Stück von Bernhard
Wiemker wird von verschiedenen Wahlfachgruppen der Primarschule Köniz-Buchsee als
witziges Spektakel mit Theater, Tanz und Musik
im Rahmen der Könizer Schulkulturtage aufgeführt.
Das Theaterstück «Der ungewaschene Bräutigam» von Bernhard Wiemker nach einem
bekannten russischen Märchen wird von Schülerinnen und Schülern der 4. bis 6. Klasse in
Köniz aufgeführt. Die zwei Hauptpersonen, ein
russischer Soldat und das junge Teufelchen, das
gerade das Abitur am Sanatorium knapp bestanden hat, treffen aufeinander. Natürlich bietet
das Teufelchen einen Handel an. Sieben Jahre
darf sich der Soldat nicht waschen, kämmen, frisieren, rasieren oder die Unterhosen wechseln,
dafür hat er jeden Tag die dreckigen Taschen
voller Gold. Ob der Soldat diesen Handel gewinnt und weshalb sich sogar der russische Zar
für dieses ungewöhnliche Paar zu interessieren
beginnt, kann das Publikum an vier Abendvorstellungen in der Aula der Prim.arschule KönizBuchsee herausfinden. Mit Tänzen, Musik, Gesang und phantasievollen Kostümen wird dieses
Spektakel im Rahmen der Könizer Schulkulturtage 2010 gezeigt.
Die Schülerinnen und Schüler verschiedener Wahlfachgruppen haben in fünfmonatiger
Arbeit das Theater unter der Regie von Hape
Köhli einstudiert. Die Tänzerinnen haben mit
der Choreografin Simona Babst fleissig geprobt
und tanzen zu Hits von Dschingis Khan, Sailor,
Smokey Robinson und The Beatles. (Pressetext)
DER
Von Peter J. Betts
«
Wer sich nicht an den Tisch setzt, läuft Gefahr, auf dem Teller zu landen», so fidel –
sinngemäss aus einer Tageszeitung zitiert – der
neueste Massimo Leader von «Die Post», «La
Poste», «La Posta» (gemäss den Gelben Seiten
des Nachschlagewerkes dieses auf Kommunikation spezialisierten Betriebes hat sich etwa die
vierte Landessprache zwischen Stuhl und Bank
gesetzt – oder ist auf dem Teller gelandet?).
Wollen Sie telefonisch von einer der «Postbeamtinnen» (mit einem Mann bin ich bisher noch
nie verbunden worden) wissen, wie denn «Die
Post» auf Rätoromanisch heisst, kommt die
freundliche Antwort, dafür sei sie nicht zuständig, hier werde nicht gedolmetscht. Wenn Sie
insistieren und sagen, Sie gingen davon aus,
»Die Schweizerpost» unter der Nummer 0848
88 88 88 sei doch sicher wenigstens in der
Lage zu kommunizieren, wie ihr auf Kommunikation spezialisierter Betrieb in der vierten
Landessprache heisse, wird Ihnen (noch immer
höflich) mitgeteilt, es gebe ja noch eine fünfte
und sechste Landessprache(?!), von denen könne man unmöglich alle berücksichtigen, und im
Übrigen wird Ihnen ein schöner Tag gewünscht
und das Gespräch abgebrochen. Mir so am Dreikönigstag widerfahren. Bleibt mir als Trost die
Drohung, das Gespräch sei vielleicht «zu Ausbildungszwecken aufgezeichnet worden». Kurz
nach Weihnachten wollte ich auf die Poststelle
Hinterkappelen anrufen, um zu fragen, ob auch
in diesem Jahr die Aktion «zweimal Weihnachten» noch nicht wegrationalisiert worden sei
(wie seinerzeit die Aktion: alte Telefonbücher
sammeln und den Erlös für das Altpapier der
Berghilfe zukommen lassen) und ob, falls noch
immer aktuell, ich etwas mehr als in der vorhandenen Schachtel Platz gehabt hatten, bringen könne. Nun, die Adresse der Poststelle ist
im Telefonbuch verzeichnet. Nicht die Telefonnummer ... Dafür «Die Schweizerpost» mit oben
angegebener Nummer. Ich rufe an, warte das
Instruktionstonband geduldig ab, drücke auf
Taste 5, vernehme, ich werde gleich mit einem
kompetenten Mitarbeiter(?) verbunden. Die
Dame meldet sich. Ich bitte sie um die Telefonnummer in Hinterkappelen. Diese könne sie mir
nicht sagen, aber sie könne mich verbinden. Ich
bitte darum. Sie könne dies aber nur tun, falls
ich ihr mitteile, warum ich mit der Poststelle
telefonieren wolle; ob es sich vielleicht gar um
eine Privatsache handle? Ich stutze einen Moment, sage dann, ich sei zwar Privatkunde und
möchte deshalb mit meiner Poststelle sprechen.
Sie bedauert. Ich bedaure auch und sage, ich
würde halt hinfahren, um mich persönlich zu
erkundigen. Wir verabschieden uns voneinander höflich. Die nette Telefonstimme als diskrete Camouflage der knallharten Kontrollbeamtin? Meine Anfrage könnte ja Folgen für die
Poststelle haben ... Ich hätte mich in den Hintern beissen mögen, weil mir zum Abschluss
unseres höflichen Gesprächs nicht in den Sinn
gekommen war – schliesslich hätte es auch hier
die Chance gegeben, dass das «Gespräch zu
Ausbildungszwecken aufgezeichnet» worden
wäre – zu sagen, Herr Leuenberger von der
obersten Heeresleitung werde sicher hocherfreut sein, dass ihr «Dienst-nach-Vorschrift-Verhalten» mich zu erhöhtem CO2-Ausstoss verführt habe. Das gleiche Departement. Ungleiche
Prioritäten. Für Politprestige nicht verwertbar.
Für Politpolemik auch nicht. Aber der Aufhänger dieses Textes ist ja nicht Postfinanz, nicht
Postlogistik, nicht eine andere flächendeckende lukrative Postaktivität, sondern ein Herr, der
sich gerne an den Tisch setzt, um zu verhindern, dass er auf dem Teller landet. Wer dabei
auch immer sonst gerade verheizt oder anderswie verwertet werden mag, ist egal. Es ist das
sinngemäss widergegebene Zitat des Herrn Béglé, des neuen Verwaltungsratspräsidenten des
Gelben Riesen (Stand: 6. Januar 2010). In der
Zeitung, der das obige «Zitat» entnommen wird,
wird die Meinung geäussert, wonach es sich
beim fidelen Massimo Leader um einen «ehrgeizigen Egomanen» handle, ausserdem wird
geschildert, wie er im Ausland wichtige Posten
erhalten habe, die ihm aber bald entzogen worden seien. Eine Chance für jene, die in der Post
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K u rz f
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Kulturessays
FILOSOFENECKE
Das Böse ist eine Wahnidee,
die zwar in unseren Köpfen herumspukt, für die wir
in der Realität jedoch keine Entsprechung finden.
Michael Schmidt-Salomon 2009
K
noch immer einen Betrieb sehen möchten, dessen oberste Priorität Kommunikation, Dienst an
der Gesellschaft wäre? Im «Bund» vom 6. Januar
umschreibt dann Rita Flubacher den Verwaltungsratspräsidenten mit: «Ein Mann mit Ambitionen». Er habe sich offenbar im Rahmen der
Übernahme des Verwaltungsratspräsidiums
beim obersten politischen Verantwortlichen erkundigt, ob er nicht gleich neben dem Verwaltungsratspräsidium die Konzernleitung übernehmen könne. Da dies aus formalen Gründen
offiziell nicht möglich ist, findet offenbar Herr
Béglé Mittel und Wege, in der Realität seinen
Wunsch zu konkretisieren: geeignete Wahl des
Konzernchefs, Kritiker oder Kritikerinnen im
Verwaltungsrat, die den Schleudersitz benutzen.
Vielleicht wollen auch sie nicht auf dem Teller
landen usw.? Erfolg gleich Vernichten, wenn
möglich Einverleiben allfälliger Gegner oder deren anderweitig finale Verwertung als Maxime?
Nun, die Kultur des Kannibalismus ist auch unter Menschen nicht ganz neu, oft zwar durch
Notlagen begründet. Persönlich halte ich sie so
oder so eher für etwas unappetitlich, auch wenn
sie zunehmend unserem Zeitgeist entsprechen
mag und zunehmend in manchen Erscheinungsformen zum Alltagsbild gehört. Sie passt etwa
zum Rationalisieren durch Personalabbau in
«Profitcenters»: bei Pflegenden in Spitälern, bei
Postboten, Poststellen; bei Briefkästen; zum
Fahrverhalten der Piloten in Autos der ExpressPost, von Postlogistics usw.. Passt auch zunehmend zur Alltagspraxis im Wirtschaftsleben
überhaupt. Erster Akt einer nicht erfundenen
Geschichte: Einem Abteilungschef wird am Freitagabend bei der Betriebsfeier auf offener Bühne seine 35-jährige Tätigkeit für den Betrieb vor
allen gelobt und überschwänglich verdankt, es
wird ihm eine gute Flasche Wein in die Hand
gedrückt und beim Händeschütteln bestätigt, er
habe seine Leistung immer optimal erbracht,
und all dies unter herzlichem Applaus aller Anwesenden. Zweiter Akt: Am Montagmorgen findet der Abteilungsleiter einen Brief auf dem
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
Pult, die Mitteilung, dass er sofort freigestellt
wird. Dritter Akt: Der Abteilungsleiter, ganz offensichtlich auf dem Teller gelandet, vielleicht
auch, weil er nie an den (Verhandlungs)Tisch
gebeten worden war, packt möglichst unauffällig seine privaten Sachen ein, überlegt, wie er
das Ganze seiner Frau, seinen erwachsenen Kindern beibringen soll, schreibt allen Kolleginnen
und Kollegen ein E-Mail zum Abschied, schleicht
beschämt und ohne Wort davon – ein frei(gestellt)er Mann mit virtuellem Abschiedsritual.
Die Kolleginnen und Kollegen halten den Mund.
Sie bangen alle um ihre Stelle. Die Kultur des
Kannibalismus passt durchaus auch zu Geschehnissen im öffentlichen Bereich. Rudolf Strahm
ist etwa den Praktiken von heimlichen ProfiteurInnen und diskreten AbsahnerInnen der
«Zweiten Säule» nachgegangen: «... Wer weiss
schon als Versicherter (in der Schweiz sind es
über fünf Millionen Menschen), dass ihm oder
ihr die Pensionskasse durchschnittlich 770
Franken Verwaltungskosten pro Jahr verrechnet? (die AHV zum Vergleich: 25 Franken pro
Person). ... Die Pensionskassen-Verantwortlichen
(begründen) die finanzielle Notlage der Kassen
mit der Überalterung der Bevölkerung und den
gesunkenen Kapitalerträgen.» Vorgeschobene
Gründe und selbstverschuldet, meint Strahm:
durch exorbitante Verwaltungskosten und Fehlspekulationen mit riskanten Anlagegeschäften
an der Börse. Dann zeichnet er minutiös die üblen Praktiken, auch im Hinblick auf die kommende Abstimmung, auf: «... In der Schweiz ist
solche Interessensverquickung völlig legal; anderswo würde sie als institutionelle Korruption
gelten ...» («Der Bund» 5. Januar 2010, Seite 8).
Ein weites Feld für dringenden Handlungsbedarf von Kulturpolitik: weg von der Verquickung
von Citymarketing und Förderung des Kulturschaffens hin zum Versuch, durch Kreativität
unsere Gesellschaft (wieder?) weniger kannibalisch und etwas menschlicher (?) zu gestalten,
hin zu inhaltlicher Substanz, auch jenseits von
Prestigegewinn.
eine Frage: Es erleichtert unseren Umgang mit der Welt, nehmen wir sie im binären System von Gut und Böse wahr. Der Gründe sind viele – eine göttliche Disziplinierung
hin auf den richtigen Lebensweg, im korrekten Verhaltensfall mit Belohnungsverheissung,
fiele dahin bei Abwesenheit des Bösen; ebenso
der Dreischritt von (endlicher) Schuld, (diesseitiger) Strafe und (ewiger) Sühne. Die Unterscheidung von Freund und Feind in Wirtschaft
und Politik entbehrte der Grundlage und würde dem Wettbewerb, schlechterdings das Movens unseres Fortschritts, den Boden unter
den Füssen wegziehen. Des Weiteren drohte
die Abschaffung der Moral, zumindest könnte
sie nicht länger als metaphysische Gültigkeit
instrumentalisiert, sondern müsste als gesellschaftsvertragliche, wandelbare Abmachung
akzeptiert werden. Die Welt erschiene uns
fraglicher und ungewisser, der Illusion von
der geteilten Eindeutigkeit würden Grenzen
gesetzt.
Der Dualismus von Gut und Böse hat PhilosophInnen über Jahrhunderte beschäftigt: Ist
das Böse die Vergänglichkeit der Welt, der
wir nicht ausweichen können, gegenüber dem
überdauernden göttlichen Sein? Da stellt sich
allerdings die Frage, wie das Böse Zutritt zu
dieser Welt gefunden hat, angesichts göttlicher Allmacht. Ist das Böse eine dialektische
Notwendigkeit, damit wir das Gute überhaupt
erkennen und uns entscheiden können – oder
liegt es gerade als Strafe im Entscheiden-Müssen? Entsteht das Böse dadurch, dass wir es
als solches benennen und damit in die Welt
setzen? Oder ist das Böse der zwar zum Überleben notwendige, aber fehlgeleitete Aggressionstrieb?
Unsere Moralvorstellungen, so SchmidtSalomon, machen uns «krank, kritikunfähig,
selbstsüchtig und dumm». Hinter der moralischen Maske lauert der Racheinstinkt. Die
Belegung des Fremden, des Andersdenkenden,
des Gegners mit dem Signum des Bösen erlaubt erst die Eskalation von Gewalt.
Lässt sich dagegen andenken oder nur mit
Schopenhauer resignieren? «Der Mensch kann
zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was
er will.»
Am 24. Februar um 19.15h, freut sich Ueli
Zingg an der Kramgasse 10, 1. Stock, auf ein
Gespräch jenseits von Gut und Böse.
9
Kulturessays
K UNST
IM
G ESPRÄCH
(Un)Brauchbare Kunst
Eine Nacherzählung von Jarom Radzik Bild: Lukas Vogelsang
Was versteht ein Müllmann schon
von Kunst? Ein Gespräch zwischen
Albrecht König, 52, Kurator, und
Urs Steiner, 39, Städtischer Müllmann, anlässlich des Wettbewerbs
«Eine Stadt sucht ihren Künstler.»
Albrecht König (K): «Ich gratuliere ihnen.»
Urs Steiner (S): «Wieso?»
K: «Sie sind der Gewinner dieser Skulptur!»
S: «Warum?»
K: «Weil Sie fünfhundert Meter gegangen sind,
ohne den Blick vom Boden vor sich zu nehmen.»
S: «Heute belohnt man wohl jeden Mist.»
K: «Wie meinen Sie das?»
S: «Warum sollte Vor-Sich-Hinglotzen was Besonderes sein?»
K: «Nun, Sie taten es in einer Zone mit sehr
vielen Fussgängern.»
S: «Aha.» K:«Wir finden das so toll, dass wir Sie
dafür auszeichnen! Freuen Sie sich denn nicht?»
S: «Und wozu das ganze Affentheater?»
K: «Nun, wir machen diesen Wettbewerb: Eine
Stadt sucht ihren Künstler.»
S: «Aha.»
K: «Und dazu hat unsere Jury in dieser Fussgängerzone Menschen beobachtet und geschaut,
wer das wahre Zeug zu einem Künstler hat. Dabei
sind Sie uns aufgefallen.»
S: «Warum ich?»
K: «Na, weil Sie auf den Boden geschaut
haben.»
S: «Na und?»
K: «Das ist etwas Besonderes.»
S: «Nö.»
K: «Doch, doch.»
S: «Ach was, kann doch jeder.»
K: «Mag sein, aber Sie machen das mit Abstand am Besten.»
S: «Schwachsinn. Nehmen Sie sich einen anderen Deppen. Einen, der Kunststücke macht oder
singt.»
K: «Dafür gibt es Talentshows.»
S: «Sehen Sie? So und jetzt muss ich weiter.»
10
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
K: «Aber, aber. Sie sind doch der Gewinner des
Wettbewerbs. Das Radio will mit Ihnen sogar ein
Interview machen.»
S: «So was hat mir gerade noch gefehlt. Vom
Radio interviewen lassen?»
K: «Na weil Sie ein grosser Künstler sind.»
«Ich? Ich bin kein Künstler. Ich kann ja nicht einmal singen und malen schon gar nicht.»
K: «Ein Künstler muss das auch nicht können.»
S: «So? Was muss der denn können?»
K: «Wer einfach sich selbst ist, ist der grösste
Künstler.»
S: «So 'n Quatsch. Das ist keine Kunst.»
K: «Doch, doch.»
S: «Ein schönes Bild ist Kunst.»
K: «Nein, nein, Kunst muss nicht in einem
Kunstwerk sichtbar sein. Kunst kann auch kraft
ihrer Gedanken bestehen.»
S: «Ach? Und wie können Sie dann noch wissen, dass jemand Kunst macht?»
K: «Weil jene darüber sprechen oder sich besonders verhalten.»
S: «Das machen ja auch alle.»
K: «Ja, aber manche machen das besonders
originell.»
S: «Originell?»
K: «Oh ja, manche haben das gewisse Etwas,
so wie Sie.»
S: «Wie wollen Sie das wissen?»
K: «Ich und die anderen hier haben bereits
viele Künstler und ihr Schaffen studiert. Jeder in
der Jury ist ein ausgewiesener Kunstkenner. Wir
wissen, was Kunst ist. Und wir wissen, wer das
wahre Zeug zu einem Künstler hat.»
S: «Sie irren sich. Ich kann nichts, was ein
Künstler können müsste. Ich bin kein Künstler,
und ich will auch gar keiner sein.»
K: «Aber nein, Sie brauchen nicht zu können.»
S: «Ich weiss ja nicht viel, aber meine Mutter
hat immer gesagt: Kunst kommt von Können.»
K: «Diese Vorstellung ist längst überholt. Kunst
hat nichts mehr mit Handwerk zu tun.»
S: «Das versteh ich nicht»
K: «Kunst entspringt der Originalität ihres
Geistes. Diese Originalität macht Sie zum grossen Künstler.»
S: «Aber ich will doch gar nicht.»
K: «Schon viele grosse Künstler wollten
nicht.»
S: «Unsinn, mich Künstler zu nennen. Das wissen Sie!»
K: «Nun, Sie bekommen einen Preis.»
S: «Preis?»
K: «Sagte ich doch schon.»
S: «Was denn? Einen Lottoschein oder vielleicht ein neues Auto?»
K: «Etwas viel Besseres.»
S: « Ein Haus oder gar 'n Schloss?»
K: «Viel besser.»
S: «Nun sagen Sie schon.»
K: «Wenn Sie am Anfang gut zugehört hätten,
wüssten Sie es.»
S: «Keine Ahnung mehr. Das Geschwafel über
Kunst hat mich ganz wirr gemacht. Was ist es?
Meine Schicht beginnt nämlich gleich.»
K: «Was sind Sie denn von Beruf?»
S: «Knallorange Jacke und Hosen mit Leuchtstreifen. Wohl nicht das Christkind.»
K: «Bauarbeiter?»
S: «Nein, Müllabfuhr.»
K: «Ach wie schön.»
S: «Wollen Sie mich verarschen?»
K: «Nein, nein. Ganz und gar nicht. Ich bin begeistert. Ich war schon immer der Meinung, dass
Künstler überall zu finden sind.»
S: «Hören Sie, ist das so was wie die «Versteckte Kamera»? Dann nicht mit mir.»
K: «Wir haben keine versteckte Kamera, wir
sind so echt wie Sie.»
S: «Also gut. Kriege ich jetzt einen Preis oder
nicht?»
K: «Natürlich, da steht er.»
S: «Wo?»
K: «Sehen Sie die Skulptur da? Ihr Preis.»
S: «Das Ding? Was soll ich damit?»
K: «Das ist ein Kunstwerk. Was sollten Sie
schon damit tun? Aufstellen natürlich.»
Kulturessays
S: «Aufstellen? Das Ding will ich nicht. Und
entsorgen kostet 'ne ganze Stange Geld.»
K: «Aber nicht doch. Als wahrer Künstler erahnen Sie doch, welchen Wert dieses Werk hat.»
S: «Wert? Was krieg ich denn, wenn ich es versilbere?»
K: «Aber ich bitte Sie, Sie sollen es nicht verkaufen, Sie sollen es aufstellen.»
S: «Keinen Platz. Aber was krieg ich dafür?»
K: «Hören Sie, diese Skulptur hat am meisten
Wert, wenn Sie sie behalten.»
S: «Versteh ich nicht. Ist das Ding nichts
wert?»
K: «Nein, aber Kunst muss man betrachten,
sich mit ihr auseinander setzen, wenn man ihren
Wert ausschöpfen möchte»
S: «Hab' sie schon angeschaut, das genügt.»
K: «Was meinen Sie damit?»
S: «Gefällt mir nicht. Ein Pirelli-Kalender wäre
mir lieber, zum Anschauen meine ich.»
K: «Sie wollen doch wohl Kunst nicht mit so
was vergleichen.»
S: «Wieso nicht? Das Ding ist noch hässlicher
als meine Alte. Und die schaue ich schon lange
nicht mehr an. Warum sollte ich wohl das Ding
anschauen?»
K: «Der Anblick dieser Skulptur regt Sie in Ihrer Schöpfungskraft an.»
S: «Schöpfungskraft? Wozu Schöpfungskraft?
Arbeitskraft reicht mir.»
K: «Schon, schon, aber sie könnten ja Kunst
machen.»
S: «Hab's schon mal gesagt, kann mit Kunst
nichts anfangen. Und jetzt soll ich das auch noch
selbst machen?»
K: «Kunst ist für Sie und Ihr Umfeld eine Bereicherung.»
S: «Ehrlich gesagt, sehe ich das nicht so. Für
mich ist Kunst bloss das Werk von irgendwelchen
Typen, die sonst zu nichts taugen würden.»
K: «Sie haben eine sehr negative Einstellung gegenüber der Kunst. Das wäre ja gerade
so, als wenn ich sagen würde: Müllmänner sind
dreckig.»
S: «Wissen Sie, wenn ich im Leben eine andere Chance gehabt hätte, würde ich diese Arbeit
wahrscheinlich nicht machen. Aber wenigstens
mache ich mich dabei nützlich.»
K: «Wie meinen Sie das?» S: «Wie ich es sage.
So werden die Menschen ihren Müll los.»
K: «Bitte nehmen Sie Ihren Preis, und zeigen
Sie wenigstens für das Foto etwas Freude.»
S: «Hab ich nicht.»
K: «Kommen Sie.»
S: «Nein. An einem Kasten Bier oder einem
Satz neuer Reifen für das Auto hätte ich Freude.
Das Ding hier, was nützt das? Es raubt mir höchstens Platz in meiner Wohnung.»
K: «Kunst wie diese Skulptur hat für Sie viele
Vorteile.»
S: «So? Was für welche?»
K: «Das müsste doch sogar Ihnen einleuchten:
Kunst schenkt den Menschen neue Sichtweisen,
entfaltet Originalität, reflektiert und provoziert
die Gesellschaft und ist Ausdruck enormer Entfaltungsfreiheit.»
S: «Dann nützt Kunst also denen, die mit dem,
was das Leben ihnen bietet, nicht zufrieden
sind.»
K: «Was?»
S: «Schauen Sie, ich hab' ein Dach über dem
Kopf, gutes Essen und Freunde. Ich bin eigentlich
schon sehr zufrieden. Wozu brauche ich also noch
Kunst?»
K: «Nicht jeder wäre mit dem, was mir Sie gerade aufgezählt haben, zufrieden.»
S: «Wenn für mich im Leben alles selbstverständlich wäre, wäre ich wohl auch nicht zufrieden. Aber dann hilft auch Kunst nicht weiter,
oder?»
K: «Das meinen Sie.»
S: «Von Kunst versteh' ich nichts. Aber eines
weiss ich: In meinem Leben helfen mir zusammengebaute Schrotteile nicht weiter. Und es hilft
auch nichts, wenn das jemand als Kunst bezeichnet.»
K: «Dann verstehen Sie also nicht, was der
Künstler mit dieser Skulptur hier sagen möchte?»
S: «Nein. Und wenn ich etwas sehe, was ich
nicht verstehe, dann hilft es mir nichts.»
K: «Tut mir leid, das zu hören.»
S: «Muss nicht, ich fühle mich pudelwohl, auch
wenn ich das Ding nicht verstehe. Schlimmer
wäre es, wenn ich den Müll auf der Strasse stehen
lassen würde.»
K: «Sie wollen doch nicht etwa Kunst mit Müll
vergleichen?»
S: «Sie sagen doch selbst, ich sei ein Künstler.»
K: «Ja.»
S: «Und ich bin Müllmann. Also könnte ich
doch einen Berg Müllsäcke auf die Strasse stellen
und sagen, das sei Kunst, oder?»
K: «Ja, schon. Wenn das Ihr Ausdrucksmittel
sein soll, warum nicht?»
S: «Sehen Sie, und genau da verstehe ich das
Ganze nicht mehr. Für mich als Müllmann ist das
Müll. Da hilft es nicht, dass ich es Kunst nenne.
Dafür zeigt es wieder, wie nutzlos Kunst ist.»
K: «Der Müll für sich genommen mag nutzlos
sein. Aber vielleicht wollen Sie ja mit dem Müllberg ein Zeichen setzen. Als Künstler machen Sie
mit allem, was Sie tun, eine Aussage.»
S: «Dafür muss ich mich doch nicht Künstler
nennen.»
K: «Aber von Künstlern erwartet man das.»
S: «Wäre ja noch schöner: Alle werfen ihren
Müll auf die Strasse und zahlen ihre Gebühren
nicht, weil sie sagen, das sei Kunst.»
K: «Grundsätzlich kann auch jeder ein Künstler sein. Wichtig ist nur, dass er das, was er selbst
und andere tun, hinterfragt.»
S: «Künstler sollten sich lieber überlegen, wie
das, was sie tun, ankommt.»
K: «Ein Künstler handelt nicht in erster Linie,
um dafür Lob und Verständnis zu ernten, sondern
weil er Kunst machen will.»
S: «Wissen Sie, das macht für mich keinen
Sinn. Letztes Jahr sagte man uns, die Arbeit, die
wir vorher zu dritt gemacht haben, sollen wir von
nun an zu zweit machen. Der Effizienz und der
Kosten wegen, Sie verstehen?»
K: «Ja und?»
S: «Wenn wir den Müll nicht wegräumen würden, würde die Stadt bald in ihrem Müll ertrinken.»
K: «Warum sagen Sie mir das?»
S: «Sie wissen, warum ich den Müll wegräume.
Aber auch wenn ich mich anstrenge, Sie zu verstehen: Ich sehe nicht, was Kunst wirklich nützen
soll. »
K: «Sehen Sie, dann hat die Kunst bereits ihre
Aufgabe erfüllt. Sie wurden schon zum Nachdenken angeregt.»
S: «Dazu braucht es keine Kunst, ein schöner
Abendhimmel bringt mich auch schon ins Träumen.»
K: «Sie verstehen wirklich nicht, warum es
Kunst braucht.»
S: «Ja, wenn ein Künstler mir etwas sagen will,
warum kommt mir dann kein Gedanke, wenn ich
vor diesem Dingsda, dieser Skulptur stehe.»
K: «Vielleicht strengen Sie sich einfach zu wenig an.»
S: «Warum bringt dieser Künstler es denn
nicht so, dass ich es verstehe? Ich mache meine
Arbeit ja auch so, dass sie jeder versteht.»
K: «Ein Künstler darf sich nicht an sein Publikum verkaufen, sonst ist er nicht mehr in der
Lage, Kunst zu machen.»
S: «Dann geht es dem Künstler nur um sich
selbst.»
K: «Nein, aber er muss sich seinen Freiraum
behalten.»
S: «Wenn ich als Müllmann mir soviel Freiraum
nehmen würde wie ein Künstler, wäre ich schon
längst meinen Job los.»
K: «Nur weil jemand anders ist, heisst das noch
lange nicht, dass er keinen positiven Beitrag zur
Gesellschaft leisten kann.»
S: «Richtig, nur kann ich das nicht beurteilen, weil ich es nicht verstehen kann. Mir kommt
Kunst immer noch nutzlos vor.»
K: «Sie sehen das alles zu negativ. Künstler
sind keine Scharlatane, sondern Menschen, die
durch Ihr Handeln Räume bevölkern, die sonst
leer bleiben würden. Aber Sie denken ja immer
nur an den Nutzen. Kunst kann doch nicht den
Menschen oder seine Umwelt besser machen oder
ihn gar dazu anregen, etwas dafür zu tun. Solchen
Heilsversprechungen würden Sie doch selbst
nicht glauben.»
S: «Warum nicht?»
K: «Lächerlich. Sie verstehen wirklich nichts
von Kunst. Sonst kämen Sie nicht auf so dumme
Gedanken.»
S: «Sag ich doch.»
K: «Wie? Ja, eine Frau, die mit ihren vier Hunden bei Sonnenschein mit offenem Regenschirm
spaziert und dabei auch noch laut singt. Toll! Das
muss eine Künstlerin sein. Nehmen wir die? Bitte
entschuldigen Sie. Und nichts für ungut.»
11
Kulturessays
E SSEN
UND TRINKEN
Ein Rot von Welt
Von Barbara Roelli
O
peration am offenen Herzen. Mit der linken Hand den Plastikbeutel mit organischem Inhalt festhalten, mit der rechten Hand
Skalpell oder Schere zum Schnitt ansetzen.
Den Plastikbeutel soweit aufschneiden, dass
die zwei oder drei rundlichen Körper von Hand
durch den Schlitz entnommen werden können.
Dabei verlieren sie viel Lebenssaft. Arbeitet
man auf einer Chromstahloberfläche, lässt sich
die rote Flüssigkeit leicht entfernen – in die
feinen Ritzen jedoch, die das Küchenmesser
auf dem hölzernen Schneidebrett hinterlassen
hat, dringt sie ein. Auch Plastikbecken, die
vom regen Gebrauch rau geworden sind – etwa
vom Rühren mit dem Schwingenbesen – nehmen die Farbe des Saftes sofort auf. Das ist
typisch, wenn man mit gedämpften, geschälten
Randen operiert.
Wer kennt nicht dieses intensive Rot? Im
Farbton angesiedelt zwischen Bordeaux und
Rotkraut-Rot. Ein wertvolles Rot, fast zu wertvoll für ein Gemüse, das zum Verzehr bestimmt
und dann nie mehr gesehen ist. Vielmehr würde das Randenrot zu schweren Samtvorhängen
passen, die in den vier Meter hohen Räumen
einer etwas betagten Villa hängen. Von den
Fenstern der Villa sähe man auf den verwilderten Rosengarten. Passen würde das Randenrot
auch zu Stiefeln aus feinstem Kalbsleder; vom
Schuhmacher in stundenlanger Arbeit angefertigt. Und doch schreit das Rot der Rande nicht
nach Aufmerksamkeit, wie es etwa das leuchtende Rot von Tomatensauce oder das Rüebliorange tut.
Randenrot ist in unserer Kategorie der «essbaren» Farben aufgenommen. Es gibt aber wenige Lebensmittel, die ein solch dunkles Rot
12
Bild: Barbara Roelli
tragen und nicht irgendwie an den Tod erinnern wie etwa die Blutwurst. So dunkelrot die
Knolle der Rande auch ist, vermischt sich ihr
Farbstoff erst einmal mit weissem Quark oder
hellgelber Mayonnaise, wirft sich die Rande
erst richtig in Szene. Was ihre Farbe angeht,
so ist und bleibt sie die Königin. Wird sie in
einem Salat mit Äpfeln, Gurken oder Kartoffeln
kombiniert, so dauert es nur wenige Minuten
und ihre Mitstreiter leuchten in sattem Pink.
Das schauspielerische Talent der Rande, genauer ihres Farbstoffes namens Betanin, macht
sich auch die Lebensmittelindustrie zu Nutze.
Der natürliche Farbstoff bewirkt zum Beispiel,
dass ein Erbeerjoghurt so aussieht, wie für uns
ein richtiges Erdbeerjoghurt auszusehen hat.
Mag ein Erdbeerjoghurt mit noch so vielen
Erdbeerstückli und zusätzlichem Erbeeraroma
aufgemotzt sein – ohne die vermeintlich charakteristische Farbe, lassen wir uns schwer
davon überzeugen. Was heisst, dass unser
Auge (das Auge, das mitisst), sich gerne vom
Randensaft täuschen lässt.
Dieses Auge mag auch dramatische Anblicke: Dafür packt man eine Randenknolle
in Salzteig ein und lässt sie im Ofen bis 90
Minuten backen. Dann bricht man den gipsartigen Mantel auf, und die Rande kommt zum
Vorschein – wie in ihrem eigenen Blut liegend.
Oder man kocht «Borschtsch». Die in Osteuropa verbreitete Randensuppe ist – mit einem
Löffel Sauerrahm und einem Zweiglein Dill serviert – eine kulinarische Augenweide.
Nicht so königlich wie ihre Farbe ist hingegen der Geschmack der Rande. Sie stammt aus
dem Erdenreich und schmeckt auch danach: erdig, süsslich, etwas säuerlich. Deshalb lässt sie
sich gerne von Aromen schmücken. Das klassische Lorbeerblatt, exotischer Ingwer, würzige
Schalotte und erfrischende Zitrusfrüchte wie
Orange und Grapefruit stehen ihr gut. Wohl
gerade deshalb, weil sie von Natur aus süsslich
ist, eignet sich die Rande auch für süsse Speisen – zum Beispiel für einen Cake.
Viel Gutes wird der Rande nachgesagt: Sie
sei vitaminreich, fördere die Blutbildung, habe
eine blutdrucksenkende und appetitanregende
Wirkung. Sie ist aber auch reich an Oxalsäure,
die harnsteinbildend wirkt.
Zubereiten lässt sich die Rande roh, gedämpft, geraffelt, gewürfelt, als Carpaccio, in
dicken Scheiben oder als ganze Knolle füllen.
Eingelegt in Essig oder süss-sauer eingemacht,
ist sie lange haltbar.
Die Randenknollen sind «Natur pur», denn
sie unterscheiden sich in Form und Gewicht
stark voneinander; sie können von 100 bis 600
Gramm wiegen.
In der Schweiz wird der grösste Teil der
Randen im Oktober geerntet und an Lager gelegt. Zum Glück! Denn wer sich saisonal ernähren will, muss im Winter nach Farben suchen.
Bleichgelbe Sellerieknollen, stumpfgrüne Wirzköpfe und schwarzvioletter, weisslich schimmernder Rotkohl dominieren das hiesige Gemüseangebot. Wie gut tut da die Rande. Oder
die rote Beete, die rote Rübe, Rahne, Rohne,
Salatrübe, Betterave, Beetroot, Barbabietole.
Mit ihrer Farbe ist sie die Königin der Wintergemüse. Und sie bleibt einem auch dann noch
in Erinnerung, wenn man das stille Örtchen
aufsucht.
Info: www.rande.ch
Kulturessays
ÉPIS FINES
K LEIDER
MACHEN
L EUTE
Das 80er-Desaster
Von Michael Lack
Von Simone Weber
F
Filets vom Rind, Kalb oder Schwein im
KAFFEE-PFEFFERMANTEL
Das etwas andere und exotische Filet!
Unbedingt ausprobieren:
100 g
60 g
1 Prise
20 cm
10 g
Kaffeebohnen
Pfefferkörner
Salz
kochfeste Schnur (Hanf- oder Flachsschnur)
Leinsamenöl
Vorbereitung
– Kaffeebohnen und Pfefferkörner mit einem
Mixer (Parmesanmixer) grob mixen.
– Filet in Tranchen schneiden und mit der
Schnur umbinden, damit das Filet seine
Form behält.
– Eine backofenfeste Bratpfanne erhitzen.
– Backofen auf 180°C vorwärmen.
Zubereitung
– Das in Form gebrachte Filet in der KaffeePfeffer-Mischung wälzen.
– In der heissen Pfanne das Öl zum Rauchpunkt bringen und das Filet darin anbraten.
– Jetzt das Filet in der Pfanne zehn Minuten
im Ofen garen.
Tipp: Bei einer Verkürzung der Garzeit ist das
Fleisch blutiger und somit auch saftiger!
ür das neue Jahr wünsche ich mir das endgültige Ableben des 80er-Revivals. Das
sich in der Modewelt stets alles wiederholt, ist
ja kein Geheimnis, aber die 80er hätte man doch
bitte überspringen können. Unsagbar, was damals getragen wurde! Inspiriert vom Punk, dessen Stil auch modisch den Ton angab, machten
verwegene Kombinationen die Achtziger Jahre
aus. Aber auch weisse Tennissocken zu Rüeblihosen, Netzshirts ohne oder über dem T-Shirt,
das Polo-Hemd in allen Farben als Ferrari der
Party- und Freizeitbekleidung bei Männern, Lederfransen an sämtlichen Kleidungsstücken und
Accessoires, komische bunte Buttons mit trägem Inhalt und grauenhafte Broschen wurden
getragen – je mehr, desto besser. Das Schlimme
an der ganzen Sache ist, dass die Menschheit
daraus anscheinend nicht viel gelernt hat, denn
viele Sünden der 80er sind seit einiger Zeit wieder voll angesagt. Momentan befinden wir uns
noch im Bereich des (Er)Tragbaren. Deshalb
auch mein Wunsch, das Wiedererwachen dieses
Jahrzehnts in der Mode an dieser Stelle schlagartig zu beenden.
Die Kleider, die uns heute nachgeworfen
werden, sind glücklicherweise nicht ganz so
übertrieben wie damals. Man sieht zwar hier
und da ein paar komische Buttons an Jacken
oder Taschen oder grosse farbige Ohrringe bei
den Mädels und Nietengürtel oder ConverseSchuhe. Auch Stulpen und Pumps sind sehr
begehrt. Neben löchrig zerschlissenen und mit
Flicken besetzten verwaschenen Jeans in allen
Farben sind auch die typischen Schulterpolster
wieder sehr beliebt. Vor fast 30 Jahren trugen
Pop-Stars wie Madonna oder Nena Blazer, die
aussahen, als wären sie vom fettleibigen Grossvater geliehen. Die starken Schultern sollten
Kraft symbolisieren und standen für Forderungen aus der Damenwelt. So fuhren die Frauen
auf der einen Seite auf der androgynen Schiene,
andererseits versuchten sie ihrem Look mit hohen Absätzen und Miniröcken ein bisschen Sex
zu geben. Heute feiern Schulterpolster in Jacken
und Blazern ihr Comeback und werden auf Modeschauen von Designern wie Stella McCartney
und Yves Saint Laurent präsentiert. Sie haben
aber einen ganz anderen Schnitt, weniger Kasten, weniger Volumen. Ja, ganz so schlimm sind
die heutigen 80er-Blazer nicht. Die Schultern
sind zwar etwas breiter, glücklicherweise aber
längst nicht so breit wie damals. Die Ärmel sind
enger, der Schnitt etwas mehr dem weiblichen
Körper angepasst, die Schulterpolster treiben
uns eher in die Höhe als in die Breite. Denn was
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
damals ein Zeichen der Emanzipation war, erinnert heute eher an eine übergrosse Uniform
– immerhin, soviel haben wir gelernt.
Auch das Tragen von alten bunten Pullis oder
wildes Kombinieren von Farben sind Verirrungen der Achtziger und sollten besser nicht blindlings wiederbelebt werden. Kopiert werden darf
nur in einer einigermassen aushaltbaren Form,
denn die modischen Experimente aus dieser Zeit
sind meist schon im Ansatz zu viel. Da können
wir froh sein, dass momentan nur Elemente und
keine Komplett-Looks als modisch gelten. Wir
haben die Röhre, wir haben die Leggins, in allen
Farben und Materialien. Ich persönlich finde sie
in Leder oder Leoprint besonders scheusslich.
Heute trägt man immerhin ein Kleid oder einen
Rock über den Dingern, früher wurden Po und
Beine auf dem Silbertablett präsentiert.
Echt hässlich sind diese neonfarbigen Fummel, die bei H&M an der Kleiderstange hängen,
sie sehen heute nicht besser aus als damals.
Neonfarben sollten aus der Farbpalette gelöscht
werden (Printmarken sind davon natürlich ausgeschlossen)! Aber auch alle diese andern knalligen Farben, die so typisch sind für das verhasste
Jahrzehnt der Mode. Gelbe T-Shirts, grüne und
rote Jeans, violette Jacken und weisse Socken.
Man sollte sich auf ein farbiges Stück beschränken, dass man dann mit grau oder schwarz kombiniert. Damit erhascht man genug Aufmerksamkeit. Nur wer die 80er-Sachen mit Dezenterem
kombiniert, sieht nicht wie ein verkleideter Fasnachtsvogel aus.
Ums Auffallen ging es wohl auch beim Vokuhila (vorne kurz, hinten lang), der 80er-Frisur
überhaupt und Erkennungszeichen aller Mantafahrer! Stirnbänder, die die wilde Dauerwelle zurück hielten, machten die Sache nur noch
schlimmer. Damals wurde niemand schief angeschaut, denn alle liefen so herum. Heute würden
wir uns wohl totlachen, wenn jemand mit einer
solchen Haarpracht durch die Stadt flanieren
würde.
Ja, die 80er waren geprägt von modischen
Experimenten (die glücklicherweise meist nicht
überlebensfähig waren). Der hohe Wert von Individualität war der Freipass für wilde Kombinationen. Hauptsache extrem! Erfolgreich war, was
sich von der breiten Masse absetzte. Aber geht
denn das nicht auch anders? Wühlt lieber nicht
in den Kleiderschränken eurer Eltern und haltet
euch an die Regel, nicht zu viel 80er-Mode auf
einmal zu tragen. Auch wenn es heute, wie damals, ums Auffallen geht. Hey Leute! Die 80er
sind vorbei!!! Und wir wollen sie nicht wieder!
13
Kulturessays
B LINDE I NSEL
Einsicht statt
Licht
Von Pedro Lenz
Schliessen Sie die Augen, jetzt, einfach so, wo immer Sie gerade sind. Ja,
schliessen Sie die Augen und falls Sie
bloss ein klein wenig Vorstellungsvermögen haben, wird Sie das Gefühl
befallen, Sie befänden sich auf einer
Insel. Es ist Ihre persönliche Insel, eine
Insel, deren Ränder durch Geräusche,
Gerüche, Gedanken und eine Menge
anderer Eindrücke definiert sind.
V
om 12. Februar bis zum 27. März 2010
brauchen Sie die Augen nicht zu schliessen, um dieses Inselgefühl zu erlangen. Dann
lädt nämlich das Restaurant Blinde Insel in der
Grossen Halle der Berner Reitschule jeweils
von Mittwoch bis Samstag zu einem kulinarisch
kulturellen Erlebnis ein. In völliger Dunkelheit
servieren blinde und sehbehinderte Menschen
ein schmackhaftes 3-Gang-Menu, das immer von
ausgewählten regionalen Profis mit feinsten,
ebenfalls regionalen Produkten zubereitet wird.
Bereits zum sechsten Mal wird dieser Anlass
gemeinsam vom Schweizerischen Blinden- und
Sehbehindertenverband und von der Trägerschaft Grosse Halle organisiert.
Freilich spricht dieses besondere Wirtshaus
nicht bloss die kulinarischen Sinne der Gäste
an. Auch die kulturellen, ökologischen und politischen Sinne sollen angeregt und verfeinert
werden. Im Zentrum des Projekts steht ein ganz
besonderer Sinn: der Sinn für den Klimawandel.
Verschiedene bekannte Autorinnen und Autoren haben exklusiv für die Blinde Insel Texte
zum Thema Klimawandel verfasst und auf Band
aufgenommen. Den Anfang macht Franz Hohler
mit seinem Stück «Von Kühen und Knechten».
Ausserdem zu hören sind die wohlbekannten
Stimmen von Grazia Pergoletti, Endo Anakonda,
Ros-witha Dorst & Bernd Rumpf, Johanna Lier
und meiner Wenigkeit. Jeden Abend wird einer
der rund zehnminütigen Texte zum Menu eingespielt.
In den folgenden Ausführungen will ich kurz
über meine Arbeit am Text zur diesjährigen
Blinden Insel berichten. Für mich als Autor sind
Textaufträge normalerweise der blanke Horror.
14
Allein der Gedanke, mit dem, was ich schreibe,
fremde Erwartungen erfüllen zu müssen, macht
das Schreiben zur Folter. Die Themen, die mir
zugetragen werden, sind in den seltensten Fällen deckungsgleich mit den Themen, die mich in
meiner täglichen Arbeit beschäftigen. In diesem
konkreten Fall verhält es sich jedoch anders.
Giorgio Andreoli, der für die Blinde Insel auf
Textfang geht, konnte mich durch seine unaufgeregte Art problemlos zum Mitmachen bewegen. «Schreib uns bitte einfach einen Text zum
Thema Klimawandel», sagte mir Andreoli vor
ein paar Wochen, als wir uns auf der Strasse begegneten, fast beiläufig. Und weil er diese Bitte
so normal und so selbstverständlich vorbrachte,
habe ich mich hingesetzt und versucht, genau
so normal und selbstverständlich über diesen
Klimawandel zu schreiben. Und anders als sonst,
wo ich erst stunden- und wochenlang grüble und
mich ärgere, bevor ich den ersten Satz zu Papier
bringe, fing ich einfach an. Meine ersten Gedanken kreisten um's Klima und um's Wetter und
darüber, wie wir über's Wetter reden:
«Was wotter für morn?
Wär, wär wott öppis?
Eh, dä vom Wätter. Was wotter?
Was wei si? Was hei si gseit?
Morn schön, am Morge schön,
für morn wotter schön,
aber am Obe bewöukt,
und nächär schiins Räge,
wenns würklech wohr isch.
Mir gsehs de,
gseh de früeh gnue.
ob si rächt hei.
Es stimmt sowieso fasch nie,
meischtens isches nid eso.
Aber es heis aui gseit.
Nach diesem Anfang, versuchte ich mich an
Diskussionen über das Wetter in früheren Zeiten zu erinnern. Hier kam das Klima ins Spiel.
Das Klima meint ja, nach Schuldefinition, die
Gesamtheit aller an einem bestimmten Ort möglichen Wetterzustände über eine längere Zeitdauer. So versuchte ich mir vorzustellen, wie
meine Grossmütter über das Wetter redeten:
Bild: Pedro Lenz / zVg.
Und Schnee hets aueb gha
und chaut isches aube gsi
und gluftet hets aube
aber hütt,
hütt gits kener Wintere meh.
Hierauf begann ich zu recherchieren. Ich erinnerte mich vage an eine Abstimmung vor vielen Jahren, als wir hier im Unterland noch darüber diskutierten, ob es gut sei, wenn einfach alle
Bergkurorte mit Kanonen Schnee erzeugen können. Irgendwie glaubte ich mich daran zu erinnern, dass diesbezügliche Einschränkungen beschlossen wurden. Dann fragte ich mich, ob das
alles noch eine Rolle spielt, nach Kopenhagen,
ob das überhaupt noch jemanden interessiert,
jetzt, da es hier wieder Schnee gibt im Winter.
Der Text begann zu stocken. Die Informationen,
die Assoziationen, die Zusammenhänge, alles
begann mich zu blenden. Und in diesem Geblendetsein fiel mir die Blinde Insel wieder ein. Ich
legte den Text beiseite und beschloss, mich später wieder dahinterzumachen, zu rhythmisieren,
weiterzudenken.
Spätestens Mitte Februar wird der Text aufgenommen sein. Die Leute werden ihn sich im
Dunkeln anhören. Vielleicht werden Sie, liebe
Leserinnen und Leser dort sitzen, in der Blinden Insel, bei einem Glas Wein und einem feinen
Abendessen. Im Hintergrund wird die TornadoMaschine von Renato Grob und Lisette Wyss das
Wetter machen. Ich wünsche jetzt schon Appetit
und Einsicht.
Programm Blinde Insel 2010
12. bis 20. Februat: Franz Hohler: «Von Kühen
und Knechten»
24. bis 27. Februar: Endo Anaconda: «Nasse
Füsse»
3. bis 6. März: Grazia Pergoletti: «Desser»
10. bis 13. März: Pedro Lenz: «Was wotter für
morn?»
17. bis 20. März: Johanna Lier: «Lagos»
24. bis 27. März: R. Dost/ B. Rumpf: «Wir sind
ein Teil der Erde»
Infos: www.grossehalle.ch
Kulturessays
CARTOON
www.fauser.ch
VON MENSCHEN UND MEDIEN
Macht Medien! – Machtmedien!
Von Lukas Vogelsang
D
avid Bosshart, Leiter des Gottlieb-Duttweiler-Instituts, hat mir aus einem hoffnungsvollen Herz gesprochen, als er in einem
Interview am Weihnachtstag vom Ende des
«Bullshit» sprach. «Wir alle quatschen und
quasseln, dröhnen und stöhnen, jaulen und
kraulen immer mehr, modern gesagt: Wir kommunizieren und informieren uns immer mehr.
Auf immer mehr Kanälen. Das ist völlig okay.
Aber nicht okay ist, dass uns gleichgültig ist,
ob gelogen und betrogen wird.» Eine gesunde
Einstellung für das Jahr 2010.
Was jetzt folgt, hat auch mit «Bullshit» zu
tun und vielleicht eben gerade mit der von David Bosshart erwähnten Einstellung. Es geht
um mein Editorial der Januar-Ausgabe im ensuite. In Zürich nennen sie den Kultursekretär
ja nicht eben Sekretär, sondern Kulturchef –
was eine ganz falsche Auslegung der Berufsfunktion darstellt. Der Kultursekretär in Zürich
ist verantwortlich dafür, 142 Millionen Franken
Steuergeld zu verwalten und entsprechend der
politischen und konzeptuellen Vorgaben zu
verteilen. Er trägt damit eine sehr hohe Verantwortung und ist Vorgesetzter eines ungefähr
40-köpfigen Teams – notabene ist es die grösste städtische Kulturabteilung in der ganzen
Schweiz überhaupt.
Ich habe mit diesem Kultursekretär (ich
bleibe bei der richtigen Bezeichnung) bis im
Jahr 2009 genau eine stündige Sitzung abgehalten, die freundlich, dialogreich und informativ gelaufen ist. Deswegen bin ich extra nach
Zürich gefahren. Es gab keinen zweiten Kontakt, bis ich auf Grund des letzten Editorials
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
der Januarausgabe von ensuite dieses Mail erhielt (unverfremdet und exakt wiedergegeben,
man beachte die Anrede):
From: Hoby Jean-Pierre
[mailto:[email protected]]
Sent: Friday, January 08, 2010 5:30 PM
To: [email protected]
Subject: WG: Editorial
Sehr geehrter Vogelsang
Es ist natürlich sehr praktisch,
wenn man über ein Medium verfügt,
in welchem man persönliche Auseinandersetzungen führen kann.
Da zeigt sich in der Tat, wer
Macht hat, und sei es auch nur
über einen beschränkten Kreis von
Leserinnen und Lesern. Ich begnüge mich mit einem Mail an Sie.
Es ist auch praktisch, wenn man
als Gesuchsteller in den Genuss
von Informationen kommt, die einer
Sache dienlich sind, die im Frühstadium aber nicht unbedingt an die
Öffentlichkeit gehören, weil sie
vertraulicher Natur sind. Fragwürdig ist hingegen, von diesen
Informationen unbesehen und ohne
Rückfragen Gebrauch zu machen. Dieses Vorgehen lässt zumindest Rückschlüsse auf Ihre Arbeitsweise zu.
Praktisch ist Ihr Editorial
schliesslich auch deshalb, weil es
mir erspart, Ihnen länger ausführen zu müssen, weshalb ein Zürcher ensuite die Ziele, die wir
verfolgen, nicht erreichen kann.
Damit haben Sie und ich gesagt,
was wir von der Sache, aber auch
voneinander halten. Aber seien Sie
ruhig weiterhin wachsam, denn die
Zürcher «Machtkultur» wird im
April 2010 noch nicht zu Ende sein.
Mit freundlichen Grüssen
Jean-Pierre Hoby
Ich veröffentliche dieses Mail, weil genau
drei Tage später Jean-Pierre Hoby zu seiner
Amtszeit im Tagesanzeiger (11. Januar 2010)
in einem Interview von Denise Marquard auf
die Frage «Was würden Sie als Ihre wichtigste
Fähigkeit bezeichnen?» antwortete: «Mein diplomatisches Geschick.»
Es ist genau die Sorte «Bullshit», von dem
David Bosshart eingangs spricht. Medien sollten beginnen, anstatt schlecht bezahlte PRSprecherInnen für AmtsinhaberInnen zu spielen, die Tatsachen, welche hinter den Kulissen
zugegen sind, ans Tageslicht zu bringen. In der
Kultur und Wirtschaft, aber auch in politischen
Kreisen, ist das für eine gesunde Demokratie
unbedingt von Nöten.
Macht Kultur! – nicht Machtkultur! Da ist
definitiv etwas missverstanden worden.
15
Literatur
L ITERARISCHE F RAGMENTE 3
Seit jeher unterwegs
Von Konrad Pauli
T
ante Marie, nie sah man sie lachen, gar lächeln; es war, als trüge sie immerfort eine
Sorgenlast mit sich, zeitlebens. Unverheiratet,
viele Jahre Magd bei einem Bauern, wo sie’s,
den Umständen entsprechend, gut hatte und
zur Dankbarkeit verknurrt war. Kam sie, was
selten geschah, zu Besuch, herrschte vorwiegend betretenes Schweigen, wenngleich der
Junge keine Ahnung hatte, was es denn alles zu
verschweigen gab. Die Frage der Tante, ob er,
der Junge, einen Beruf zu erlernen beabsichtige, beantwortete er mit einem erstaunten Ja.
Vor dem Abschied überliess sie ihm ein Häufchen Kleingeld – er müsse auch etwas haben.
Einmal, an einem sonnigen Frühlingssonntag,
LESEZEIT
U
Von Gabriela Wild
nersättlich sind Sie! Ihr Blick frisst alles Lesbare, schneller als der Verstand
verarbeiten kann. Sie verrenken im Zug den
Kopf, um die Titel der Reiselektüre ihrer
Nachbarn zu erhaschen. «Es geht uns gut»,
«Herr Blanc», «Warum das Denken traurig macht». Es ist wie Atmen. Wird ihr Gehirn nicht in regelmässigen Intervallen mit
Wörtern und Wortketten beliefert, stellt es
lebenswichtige Funktionen ein. Haben sie
unglücklicherweise einmal ihr Buch zu Hause vergessen, drücken sie Ihren Kopf an die
Kopfpolsterung, um über die Schulter in das
nächstbeste Buch zu starren. Sie schlürfen
die Sätze, trinken sie. Und wenn sie nicht
ganz ausgetrocknet sind, kosten sie sie. Sie
gurgeln und schmatzen, und in Ihrem Geist
transformieren sich die Wortgebilde in Bilder und Farbfilme. Und dann gibt es Leute,
die übersetzen die Bilder und Filme in ihrem
Kopf wieder in Worte – aber in eine andere
Sprache – in einem Atemzug. Für Swetlana
Geier jedenfalls ist Übersetzen eine Form, zu
atmen. Was die Arbeit nicht einfacher macht.
Dafür natürlicher. Und das Ringen mit Kompromissen erträglicher. Die Sehnsucht nach
Identität, nach Vollkommenheit. Nach dem
Original. Möglicherweise liegt Swetlana
Geiers Erfolg darin, dass sie ihren Blick seit
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ging man Tante Marie besuchen – in die Anstalt. Die Zeit war noch nicht reif, die Anstalt
Psychiatrische Klinik zu nennen. Gross, einschüchternd erhaben stand das Gebäude vor
ihm, kaum sprach man angesichts der bedrükkenden Umstände auch nur ein Wort. Auch die
Tante schwieg, stierte blicklos vor sich hin,
irgendwohin in eine traurige Vergangenheit
und freudlose Gegenwart. Fragen wurden keine gestellt, aus Angst vor Echolosigkeit oder
falschen Antworten. Die Besuchsstunde dehnte sich in einen langen Nachmittag. Im spaltweit offenen Fenster schaukelten unhörbar die
Ahornblätter, zuweilen zwitscherte ein Vogel.
Alles lief darauf hinaus, bald zu Besuch gewe-
Beginn auf das Defizitäre beim Übersetzen
gerichtet hat. Es geht immer etwas verloren,
beim Transport. Geier interessiert, wie sich
die Sprachen zueinander verhalten. Wie sie
sich aneinander aufreiben und welche Denkmuster sich dahinter verbergen. Zum Beispiel: Ich habe zwei Kinder. Ein klassischer
Hauptsatz: Subjekt-Prädikat-Akkusativobjekt.
Das Objekt ist nicht souverän. Es ist abhängig vom Verb und vom Subjekt. Auf Russisch
wird der Satz umgestülpt. Das deutsche
Akkusativobjekt wird Subjekt; es wird souverän. Und es bestimmt mein Sein: U menja dwa rebjonka: Bei mir sind zwei Kinder.
Dem russischen Volk fehlen die sprachlichen
Voraussetzungen für ein Wirtschaftswunder,
folgert Frau Geier. Wenn es etwas hat, verliert es die Souveränität. Frau Geier erzählt
pointiert und anschaulich, sei es von ihrer
Kindheit in Russland oder vom Übersetzen
oder von «dem Gäbelchen von Frau Geier» –
der Idee, dass der Schwerpunkt der geistigen
Auseinandersetzung des 20. Jahrhunderts
in Russland gelegen hat. Im ersten Viertel
dieses Jahrhundert ist in Russland die Frage
der deutschen romantischen Bewegung noch
einmal aufgegriffen worden – die Frage nach
der realen Macht der Kunst – woraus sich das
Programm des russischen Symbolismus entwickelt hat. Ein ebenso strittiger und schwer
abzugrenzender Begriff wie die deutsche
Romantik. Von Dostojewskij an beginnt die
ganze nicht-realistische Kunstrichtung in der
sen zu sein und unverändert schweigsam, ja bedrückt von der Ausweglosigkeit des Schicksals,
die Heimreise anzutreten. Tante Marie konnte
nicht geholfen werden. Keiner konnte sie aufheitern, ihr die Last abnehmen. Später arbeitete sie in einer Fabrik. Wohnte bedürfnislos in
einer Dachkammer. Freudlos. Nagte ausweglos
an Vergangenem. Hinzu kam der Geiz. Sie versagte sich alles. Mit dem Fahrrad fuhr sie die
paar Kilometer in die Fabrik und abends nach
Hause. Bis man sie fand, halb unter'm Fahrrad
leblos nebenaus im Gras. Die Schnürsenkel hatte sie sich gespart; mit mehrfach geknüpftem
Draht hatte sie sich die letzte Zeit ihre Schuhe
gebunden.
Literatur. Dostojewskij, das sind dicke Bände, Tausende von Seiten, zahllose Sätze und
Worte, zahllos wie die Sterne am Himmel.
Und darunter kein Satz, der nichts aussagt
und kein einziges Wort, das überflüssig ist.
Jedes einzelne Wort, meint Frau Geier, hat
bei Dostojewskij einen besonderen Stellenwert, sowohl in unmittelbarer Nachbarschaft
von Sätzen, als auch weiträumig, über viele,
sogar Hunderte von Seiten hinweg: Jemand
fröstelt und befiehlt, Holz im Kamin aufzulegen, damit Dutzende von Seiten später das
aufflackernde Feuer an einem Paket mit hunderttausend Rubel züngeln kann. Ereignisse,
Personen, Träume und Gespräche scheinen
sich in einer fast grotesken Weise übereinanderzutürmen. Dennoch zeigt sich dem Blick
immer wieder ein nahezu klassisches einfaches Bild, ein unerbittlich strenges Muster.
Die Faszination durch Dostojewskij äussert
sich bei Frau Geier als eine Art Drang nach
Neuentdeckung und Mitgestaltung. Dostojewski sei ein Autor, der für seine Übersetzer
schrieb. Auf jeden Fall sind wir Frau Geier für
ihren langen Übersetzungs-Atem dankbar, so
können auch wir einfachen Leser etwas von
der grossen Weltliteratur schnuppern.
Swetlana Geier: «Ein Leben zwischen den Sprachen,
Russisch-deutsche
Erinnerungsbilder»,
aufgezeichnet von Tatja Gut, Pforte Verlag, Dornach 2008.
Jetzt im Kino: «Die Frau mit den fünf Elefanten, Swetlana Geier – Dostojewskijs Stimme», ein Film von Vadim
Jendreyko.
Literatur-Tipps
Echenoz, Jean: Laufen. Roman.
Aus dem Französischen von
Hinrich Schmidt-Henkel. Berlin Verlag. Berlin 2009. ISBN
978 3 8270 0863 3. S. 126.
Gary, Romain: Die Liebe einer Frau.
Roman. Überarbeitung der Originalübersetzung durch Helmut Kossodo.
Schirmer-Graf. München 2009.
ISBN 978 3 86555 069 9. S. 164.
Ellroy, James: Blut will fliessen. Roman. Aus dem Amerikanischen von
Stephen Tree. Ullstein. Berlin 2010.
ISBN 978 3 550 08677 9. S. 783.
Instrumentalisierung eines sportlichen Wunders
Jean Echenoz: Laufen. Roman. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
Hinter der schillernden Fassade der Macht
James Ellroy: Blut will fliessen. Roman. Aus dem
Amerikanischen von Stephen Tree.
«Lovers of broken hearts are kindly asked to
look elsewhere»
Romain Gary: Die Liebe einer Frau. Roman.
«
1
B
Laufen» ist ein Heldenroman ohne Held,
denn was immer auch Zatopek in den Stadien dieser Welt an Wundern gelingen mag,
als Privatmensch entpuppt er sich als bescheidener, zurückhaltender, linientreuer Genosse,
der seiner Frau Dana, einer Speerwerferin, ein
guter Ehemann ist. Und doch sind da eine Kraft
und ein Ehrgeiz in ihm, die ihn immer neue
Herausforderungen suchen und immer neue
Hürden erfolgreich meistern lassen.
Er ist der leidende Sportler, dessen Grimassen den Zuschauern auf den Tribünen von seinen Qualen während des Laufens verkünden.
Er macht alles falsch, sein Stil findet keine
Nachahmer, und dennoch gewinnt er Rennen
um Rennen, Medaille um Medaille.
Mitten im Kalten Krieg ist die Angst vor
Überläufern zum Kapitalistischen Westen so
gross, dass Zatopeks Popularität nicht genutzt,
sondern ihm die Ausreise an im Westen stattfindende Wettkämpfe zunehmend verboten
wird. Er nimmt das hin, bis zum «Prager Frühling». Hier steht dieser wahre Held des Sozialismus auf der falschen Seite und wird daraufhin in ein Uranbergwerk verbannt. Zurück
in den Strassen Prags, vom einstigen Hauptzum Müllmann degradiert, läuft er wieder, nun
durch die Strassen Prags, und wie einst auf den
Tribünen dieser Welt, jubeln ihm nun die Menschen der Hauptstadt zu.
Jean Echenoz zeichnet das Leben des «Überläufers» Emil Zatopek mit einer auktorialen
Erzählstimme, eine Innenansicht in Zatopeks
Gefühlswelt bleibt uns vorenthalten. Ein Verfahren, das zuweilen beinahe karikierend wirken mag, jedoch auch sehr poetisch sein kann.
968 ist Amerika geprägt von Rassenunruhen und einer sich anbahnenden Kulturrevolution, welche ihre Kritik am Vietnamkrieg
und den Werten der Nachkriegsgesellschaft im
Allgemeinen in einer nie gekannten Lautstärke
auf die Strasse trägt. Nach den Attentaten auf
Martin Luther King und JFK liefern sich Nixon
und Humphrey einen harten Kampf um die
Präsidentschaft. Welche Rolle spielt Howard
Hughes, was hat er Nixon versprochen?
Vor dieser Kulisse zeichnet Ellroy in altbewährter Manier den dritten Teil seiner Underworld-Triologie. In der Stadt der Engel beschäftigt Scotty Bennet der ungeklärte Überfall
auf einen Geldtransporter, bei welchem nebst
mehrerer Millionen Dollar auch eine signifikante Anzahl grüner Smaragde entwendet wurden. Von Korruption und Verleumdung scheint
das Amerika Ellroys durchtränkt, bis hin an die
Spitzen der Macht. Ja, die korrupten Ex-Bullen,
roten Informantinnen, die Gegner Castros, die
durchtriebenen FBI-Agenten, die Hippies, die
Mitglieder der Black Panther und anderer afroamerikanischen Organisationen – sie alle erscheinen als willfährige Marionetten im Tanz
um die Macht, wobei nicht immer ganz klar ist,
wer nun die Fäden zieht.
James Ellroy ist und bleibt ein Meister seines Fachs, der mit seinem Stakkatostil und
den wiederkehrenden Einschüben von Protokoll- und Aktenfetzen eine Atmosphäre schafft,
welche zugleich aufs Unangenehmste realistisch sowie surreal wirkt. Wir finden hier einen amerikanischen Way of Life, von dem wir
spätestens mit der Präsidentschaft Obamas
entfernt hoffen. Und dennoch wissen wir um
die Bestechlichkeit als einer nur allzu menschlichen Eigenschaft.
is heute sucht die Liebesgeschichte zwischen dem russischstämmigen Schriftsteller Romain Gary und der schönen Schauspielerin Jean Seberg ihresgleichen. Und bis
heute hat Garys Roman «Die Liebe einer Frau»
(Clair de femme) nichts von ihrem Zauber eingebüsst. Und bis heute fällt es uns als Leser
schwer, im Roman einzig das Werk zu würdigen und es nicht als Schlüsselroman zu zwei
Liebenden hinter diesem Werk zu lesen. Denn
Garys Sprachkunst und seine atmosphärischen
Bilder, welche eine menschliche Apokalypse
zeichnen, die sich nicht nur am Beispiel der
Protagonisten Michel, Yannick und Lydia manifestiert, sondern auch im alternden, herzkranken Variété-Star Galba, dessen Pudel aus
Angst vor Meisterchens Tod buchstäblich «in
die Hosen» macht.
Dennoch suggeriert die 2009 erschiene
Neuausgabe durch den Verlag Schirmer-Graf,
welche nebst Abbildungen Sebergs und Garys
über ein Nachwort von Sven Crefeld verfügt,
genau ersteres, und wir kommen nicht umhin,
der Faszination dieses grossen Liebespaares,
sei sie wahr oder Fiktion, zu erliegen.
Michel und Lydia, beide vom Leben und der
Liebe gezeichnet, klammern sich als zwei Ertrinkende im Strudel des Verlustes aneinander,
und bieten sich, mittels ihrer jeweiligen Tragik, gegenseitig Trost.
Im wahren Leben schieden sowohl Seberg
als auch Gary freiwillig aus dem Leben. Seberg, wie uns die Überlieferung glauben machen will, kurz, nachdem sie die Verfilmung
von «Clair de femme» gesehen hatte, Gary ein
gutes Jahr später. Wobei Gary, um allfälligen
Gerüchten vorzubeugen, seinem Hinschied folgende Nachricht beigelegt hat: «No connection
with Jean Seberg. Lovers of broken hearts are
kindly asked to look elsewhere.»
Überarbeitung der Originalübersetzung durch
Helmut Kossodo.
[email protected]
www.buchhandlung-amkronenplatz.ch
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
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Architektur
Räume, die inspirieren
Von Anna Roos Bild: Alexander Gempeler - wwww. architekturfotografie.ch
D
ie Weise, wie man einen Umbau betrachtet, wie man mit einer bestehenden Architektur umgeht, ist eine interessante
und wichtige Frage in einer Zeit, in der man
versucht, so viel wie möglich zu recyclen. Die
Verwandlung der alten, denkmalgeschützten
Tuchfabrik (1958-59) des Architekten Henry
Daxelhofer, ist ein schönes Beispiel, wie man
industrielle Gebäude ganz
neu konzipieren kann. Wie
die Tate Modern in London
von Herzog & de Meuron, ist
der Umbau der Hochschule
für Kunst im 2008 auch eine
gelungene
Verwandlung,
die einer Fabrik in einen
Ort Bildender Kunst. Beide
Fabrikgebäude haben heute eine neue Nutzung, dank
des Talents des Architekten.
Beide haben das Positive
und Spannende der bestehenden Architektur in sich
aufgenommen. Die alten
Gebäude hatten Glück, dass
die Architekten respektvoll
und feinfühlig vorgingen.
Sie haben den Geist und die
Persönlichkeit der «alten»
Architektur verstanden und
wahrgenommen.
Rolf Mühlethaler, der bekannte Berner Architekt, hat
es geschafft, die neue Funktion der Kunsthochschule
in die alten Fabrikhallen
in Bümpliz zu integrieren.
Die Bedingungen, Grosszügigkeit und Flexibilität zu
kreieren, hat der Architekt mit seinem Entwurf
wirklich erfüllt.
Mühlethaler hat die Gelegenheit, das riesige
Volumen von über 80 000 Kubikmetern umzubauen, voll genutzt: Mit seinem «light touch»
hat er mit grosser Sensibilität, die Fabrik in einen Ort für Kunststudenten umgewandelt. Der
Erfolg des Projekts liegt nicht nur in seinem
architektonischen Beitrag, sondern auch darin,
was er entschieden hat, nicht zu machen. Er
hat Flächen in ihrer urspünglichen Form und
Gestaltung belassen und Schichten, Farbe und
18
Texturen nicht angerührt. Es wirkt wie eine
3D-Collage über ein halbes Jahrhundert Geschichte. Einen solchen Reichtum bekommt
man nicht in einem Neubau.
Der Eingang zur Hochschule ist in der sechs
Meter breiten Zirkulationsachse vertieft. Neben dem Eingang, wo ursprünglich die Cafeteria war, ist die heutige «kaFe», die sich zum
Quartier hin durch die rahmenlose Glasfassade
öffnet. Ein genialer Ort, um am Morgen eine
Znüni-Pause einzulegen.
Der Grundriss ist in Reaktion auf das bestehende Tragwerk aufgebaut. Ein zentraler
Aufzug und Treppenkern, bildet die vertikale
Fixierung der Struktur. Die Ateliers falten sich
– vom axialen Gang aus – symmetrisch auf wie
Schmetterlingsflügel.
Die «Etagentrilogie» von Mühlethaler hat
dem Projekt eine klare Logik gegeben. Jedes
Stockwerk hat einen völlig anderen Charakter.
Licht und Kunstateliers gehören zusammen
wie eine Hand in einen Handschuh. Die Lichtstimmung ist auf jeder Etage anders, es nimmt
langsam zu. Wie Farben, mischen sich Architektur und Licht so, dass es subtile Kontraste
und unterschiedliche Atmosphären ergibt. Wo
es wenig Tageslicht gibt – wie im Untergeschoss – wurden die technische Werkstätte und
die klimatisierten Ateliers
für Restaurierungsarbeiten
eingerichtet. Im Erdgeschoss
sind Ausstellungsräume und
installationsintensive Werkstätten und Atelier-Räume.
Hier gibt es etwas mehr
Licht, dank des Durchbruchs
der Fassade. Die Einfahrt
für Autos wurde möglich
gemacht, und die Strasse ist
gleichzeitig Fussgängerweg.
Sie befindet sich an der Stelle, wo die Fabrik früher ihre
Lieferungen abgewickelt hat.
Je höher man steigt, desto
näher ist man an den Dachfenstern und desto heller
wird es. Deshalb sind die
oberen zwei Geschosse mit
Licht durchflutet. Die gewölbte Decke des Sheddachs
trichtert Licht in die Ateliers. Es ist sanftes Nordlicht,
das nicht blendet und keine
Schlagschatten verursacht.
Die hochaufragenden Ateliers nehmen das unvermeidbare Chaos der Kunststudenten leicht auf. Die Höhe der
Fenster zeigen metaphorisch,
dass die Arbeit auf höheren Idealen strebt.
Mühlethaler hat einen grosszügigen und flexiblen Umbau entworfen, er hat viele Räume
und Orte in der riesigen Hülle erschaffen, er
hat Licht wie Farbe benutzt, um zu inspirieren
und um die Imaginationen zu wecken.
Anna Roos ist Architektin bei «kr2» und stammt aus Südafrika, ihre Muttersprache ist Englisch. Ihre Texte werden
in Zusammenarbeit mit ensuite - kulturmagazin übersetzt.
Tanz & Theater
Bühnetanz und Behinderung
Von Meredith Fischer – Anna Röthlisberger Co. etabliert als professionelle,
zeitgenössische Kompanie integrativen Tanz als Kunstform in der Schweiz. Bild: zVg.
I
m Vorfeld der Premiere ihres neuen Stückes
«BRAIN GAME» berichtet die Choreographin Anna Röthlisberger über die Hintergründe ihrer Arbeit. Für ihre Kreationen sucht sie
Personen aus, die durch ihre Einmaligkeiten
aussergewöhnliche Konstellationen bilden. Dabei geht es um die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten und nicht um die Integration für
Behinderte. Röthlisberger pflegt einen regen
Austausch mit international tätigen Kompanien, insbesondere mit denjenigen, die sich in
der Arbeit mit behinderten KünstlerInnen professionell etabliert haben. Dies ermöglicht ihr,
Talente neu zu entdecken und in Zusammenarbeit mit der Schweiz in ihren Produktionen
zu fördern. Wichtige Voraussetzung ist dabei,
dass die TänzerInnen im Hinblick auf Bühnenerfahrung, tänzerische Technik, Disziplin und
vor allem in ihrer Expressivität viel Potenzial
aufweisen. Damit etabliert Anna Röthlisberger
als Erste in der Schweiz eine Kompanie, die
mit professionellen TänzerInnen mit und ohne
Behinderung arbeitet.
Im Gegensatz zum klassischen Ballett, in
dem die Charakteristiken der möglichst ähnlich aussehenden TänzerInnen wegtrainiert
werden, wird hier eine Einheit gebildet, die
aus eigenständigen Persönlichkeiten unterschiedlichster geographischer und künstlerischer Kulturen stammen. Die jeweiligen Eigenheiten dienen als Arbeitsfeld und Inspiration
und werden tendenziell eher hervorgehoben
als kaschiert. Die Tanzpublizistin Esther Sutter
schreibt dazu: «Der Recherchearbeit verpflichtet, öffnet sie den Tanz für ganz verschiedene
Sparten und Blickwinkel. Mit ihren ausgeklügelten Konzepten für Improvisation beherrscht
die junge Choreografin ein Instrument, das sie
in hohem Masse zur Zusammenarbeit mit behinderten Menschen befähigt: Tanz ist nicht
nur körperliche Perfektion und technisches
Können, auch die Seele kann tanzen, und dies
auf ganz unterschiedliche Art bei Anna Röthlisberger.»
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
«Mit viel Humor gelingt
es ihnen Grenzen so weit
aufzulösen, bis ihre körperlichen oder geistigen Eigenheiten im tänzerischen
Dialog zum selbstverständlichen Teil ihrer Bühnenrollen
werden. Die Frage, was
normal und was besonders
ist, wird überflüssig.» (Sylvia Mutti)
«BRAIN GAME» spannende Bewegungsformen Die unterschiedlichen Bewegungsmöglichkeiten und visuellen Erscheinungen der vier
TänzerInnen in der neuen Produktion «BRAIN
GAME» bieten Anna Röthlisberger ein neues,
herausforderndes, choreographisches Spielfeld.
Mit James O'Shea konnte sie einen erfahrenen
Tänzer der etablierten Company Candoco aus
London engagieren. Die Truppe zählt zweifelsfrei zu den namhaftesten Tanzkompanien im
Bereich Bühnentanz und Behinderung. Als Folge eines schweren Unfalls hat der hochkarätige
Tänzer keine Beine mehr. Er besitzt aber durch
die Schulung in professionellem modernen
Tanz ausserordentliche Fähigkeiten, auch ohne
Rollstuhl zu gehen, zu springen und zu drehen.
Er wirft sich in Posen, die andere TänzerInnen
gar nicht vollbringen können.
Die Brasilianerin Silvia Wolff, welche nach
einer langjährigen Karriere in New York (u.a.
Second Avenue Dance Company) als professionelle klassische und moderne Tänzerin durch
einen Hirnschlag halbseitig gelähmt ist, strahlt
dagegen eine fragile Transparenz aus. Ihr heutiges tänzerisches Repertoire liegt in der Kraft
eines Armes und eines Beines.
Mit Sylvia Rijmer aus Holland (u.a. Drift,
Stadttheater Bern und Ballet Gulbenkian) steht
eine sehr kreative und technisch extrem vielseitige Tänzerin mit auf derselben Bühne. Der
Fokus in der Arbeit liegt hier in den Differenzierungen von Bewegungs- und Darstellungsqualitäten, bei denen die Perfektion als Fragezeichen im Raum steht.
Die in Seoul geborene Halbchinesin Rebecca Weingartner bringt jugendliche Frische
in das Ensemble. Nicht die Abgeklärtheit eines langjährigen Bühnenprofis, sondern der
Entdeckungsgeist einer Bewegungsforscherin
bereichert die Truppe wiederum auf ganz eigentümliche Weise.
Mit Klaus Jensen (Szenische Regie), Marc
Rossier (Live-Musik), Brigitte Dubach (Licht),
Christina Müller (Kostüme) hat sich die Choreographin auch neben der Bühne mit kreativen und stilsicheren KünstlerInnen umgeben,
die ebenso mit persönlicher Handschrift agieren wie die TänzerInnen.
Dass Anna Röthlisberger es versteht, solch
unterschiedliche Persönlichkeiten zu einem
stimmigen Ganzen zusammenzubringen, beweist der Erfolg ihrer letzten Kreation «PEZ
Y PESCADO». Nach Auftritten in Spanien geht
die Kompanie im Rahmen von Steps#12 (22.
Aprilbis 13. Mai 2010) erneut mit ihrer Pionierarbeit auf Schweizer Tournee.
Aufführungsdaten
Theater ROXY Basel, Birsfelden
«BRAIN GAME» von Anna Röthlisberger Co.
Première am Do., 4. Februar 20.00h
Fr., 5. Februar 20h
Sa., 6. Februar 20h
Do., 11. Februar 20h
Fr., 12. Februar 20h
Sa., 13. Februar 20h
Reservation: 079 577 11 11
oder www.theater-roxy.ch
19
Tanz & Theater
B ERN
UND
T ANZ
Gibt es eine Berner Tanzszene?
Das Festival HEIMSPIEL gibt einen Einblick in das Schaffen der Berner ChoreografInnen,
MusikerInnen, BühnenbildnerInnen, VideokünstlerInnen und TänzerInnen.
Von Roger Merguin
E
Bilder: (v.l.) Cynthia Gonzales, Felix Dummeril, Karin Hermes, Katharina Vogel, Lucia Baumgartner, Marcel Leemann / zVg.
ine der Prioritäten bei meinem Start vor
fast fünf Jahren in der Dampfzentrale als
Ko-Leiter und Verantwortlicher für den Tanz
war die Realisierung des Projektes Festival
HEIMSPIEL. Den Tanzschaffenden sollte eine
Plattform geboten werden, die es ermöglicht,
ihre Arbeiten unter professionellen Bedingungen zu zeigen. Ohne eine lebhafte lokale
Tanzszene würde ein wichtiger Teil im Kulturangebot fehlen. In Bern gab es schon immer interessante Gruppen im zeitgenössischen Tanz,
und eine der Aufgaben der Dampfzentrale ist
es, diese Szene zu zeigen und zu fördern. In den
fünf Jahren, die es das Festival nun schon gibt,
wurden diverse interessante Projekte realisiert.
Einige der Berner konnten ihre Arbeiten in anderen Schweizer Städten zeigen und sind Teil
der nationalen und internationalen Tanzszene.
Das alljährlich im Februar stattfindende Festival wurde im letzen Jahr durch «Heimspiel-satelliten» erweitert. Neben dem Schwerpunkt im
Frühjahr sind im normalen Spielplan der Dampfzentrale auch weitere Premieren von Berner
Künstlern über das Jahr hinaus zu sehen.
In der Dampfzentrale finden nicht nur
Aufführungen statt, es wird in den Räumen
der Dampfzentrale auch geprobt, und Stücke
werden erarbeitet. Wir erfinden neue Formate
zur Förderung der Tanzschaffenden, meist in
enger Zusammenarbeit mit den Tanzschaffen-
20
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
den (tap - tanzaktiven plattform Bern). Zum
Beispiel entstand das «Tanzlabor Open Doors»,
in dem sich die Berner Tanzschaffenden in der
Dampfzentrale während fünf Tagen «einschliessen» und zusammen einen Abend gestalten.
Das Ziel ist, dass Künstler die normalerweise
nicht zusammenarbeiten, im selben Raum und
auf derselben Bühne an einem gemeinsamen
Projekt arbeiten. Es findet eine Vernetzung
unter den Tanzschaffenden statt, und sie können aus diesem Atelier interessante Inspirationen gewinnen. Es ist wichtig, Freiräume
für Kunstschaffende zu entwickeln, damit sie
ihre Arbeit ohne Erfolgs- und Leistungsdruck
hinterfragen und reflektieren können. Neben
diesem Atelier konnten wir die Berner auch in
nationale Projekte integrieren; zum Beispiel in
ein Dramaturgie-Workshop-Projekt in Zusammenarbeit mit Lausanne, Genf und Zürich, an
dem in diesem Jahr Marcel Leemann teilnimmt. Unter der Leitung von Spezialisten setzen
sich Choreographen intensiv mit dem Begriff
Dramaturgie in Tanzstücken auseinander. Eine
öffentliche «Lecture Demonstration» findet in
allen vier Städten statt.
Weitere nationale Projekte wurden in
Zusammenarbeit mit Schweizer Theatern realisiert, um den Berner Stücken Aufführungen
in Lausanne, Zürich oder Genf zu ermöglichen.
Zusätzlich zum Aufbau eines Netzwerkes, um
das Berner Tanzschaffen national bekannt zu
machen, fördern wir den Dialog der Choreographen mit Spezialisten und dem Publikum. Zum
Beispiel haben wir während des Festivals
«TANZ IN. BERN 10» Choreographen eingeladen, das Festival zu begleiten und die Stücke
der internationalen Gäste zu analysieren und zu
hinterfragen. Daraus sind interessante Diskussionen und Reflektionen zum zeitgenössischen
Tanz entstanden.
Die Resultate aus diesen verschiedenen
Projekten zur Förderung der Berner Tanzszene
sind nicht unmittelbar für den Zuschauer ersichtlich. Sie schlagen sich aber langfristig in
den Werken der Berner nieder.
Neben der international bekannten Choreographin Anna Huber gibt es neue Namen aus
Bern. Ein Berner Newcomer, der in den letzen
Jahren einen rasanten Start hingelegt hat, ist
zum Beispiel Chris Leuenberger. Seine Stücke
sind in der Schweiz, Deutschland und Holland
auf Tournee, und die neue Kreation wird im
Festival «TANZ IN. BERN» (20. Oktober bis 7.
November 2010) zu sehen sein. Bern kann auf
viele weitere Choreographen stolz sein, welche
eine nationale und zum Teil internationale
Ausstrahlung haben – einige davon sind am
Festival «HEIMSPIEL» zu sehen. Die Kompanie
T42 - Dance Projects zeigt ihr humorvolles
Stück «Schattenspiel». Félix Duméril, der ehe-
Tanz & Theater
malige Ballettdirektor des Stadttheaters Bern
ist seit 2004 freischaffender Gastchoreograph,
Tänzer und Pädagoge und im In- und Ausland
tätig. 2006 gründete er mit Misato Inoue ein
eigenes Tanzkollektiv. Im aktuellen Stück
arbeitet das Duo mit dem Tänzer Michaël Pascault zusammen, welcher seit August 2008
beim Cathy Sharp Dance Ensemble in Basel engagiert ist. Dazu kommt der bekannte Berner
Videokünstler Peter Aerschmann. Ergänzt wird
der Doppelabend mit dem Kurzstück «Woman
of War» von Cynthia Gonzalez. Die Bolivianerin, die in den USA Tanzerfahrungen sammelte, studiert zur Zeit Scenic Arts Practice
(Studiengang Theater) an der Hochschule der
Künste Bern. Ihre eigene Familiengeschichte
und Kindheitserinnerungen zu Zeiten schwieriger politischer Unruhen in Bolivien haben sie
zu diesem Stück inspiriert.
Am darauffolgenden Wochenende ist das
Marcel Leemann Physical Dance Theater mit
«REVOLVER» zu sehen. Marcel Leemann war
Mitglied des Bern:Ballett und arbeitet seit 2003
als freischaffender Tänzer, Choreograph, Tanzund Theaterpädagoge mit seiner eigenen Kompanie in Bern. Dem Tanzpublikum sind seine
kraftvollen und sorgfältig gearbeiteten Stücke
bekannt.
Die Bielerin Susanne Mueller Nelson ist eine
weitere Künstlerin, die wir eingeladen haben.
In ihrer Tanz- und Musikperformance arbeitet
sie mit «instant composing». Das heisst, das
Stück entsteht im Moment der Performance. Die
Unwiederholbarkeit und das Risiko sind dabei
Programm. Darauf folgt die Premiere «Die gestundete Zeit» der Tanzkompanie inFlux. Lucia
Baumgartner untersucht in dieser Arbeit die
Zeit in ihren unterschiedlichsten Dimensionen.
Die Arbeiten der Bieler Choreographin und
Tänzerin Katharina Vogel sind authentisch
und ohne Frage sehr persönlich. Sie zeigt die
neueste Kreation «OHR». Ihr szenisches und
choreographisches Universum ist dicht und
konzentriert. Den Abschluss des Festivals
macht Karin Hermes mit dem dritten Teil der
Trilogie über den Dialog zwischen dem Ich und
dem Du. Der erste Teil «Betwixt and Between,
Dialog mit 'Rooms' von Anna Sokolow» war eine
Koproduktion zwischen hermesdance und dem
Centre National de la Danse in Paris. Der zweite
Teil «Flügel an Flügel» war eine Koproduktion
mit der Dampfzentrale Bern und wurde im Oktober 2008 im Rahmen des internationalen
Festivals «TANZ IN. BERN» uraufgeführt.
Das Tanzschaffen in Bern und der zeitgenössische Tanz zeichnen sich durch ihre Vielfältigkeit aus. Tanz ist interdisziplinär – Tanz kann
auch Theater, Performance, Musik, Video und
Bildende Kunst sein und ist für mich durch
diese Freiheit eine zeitgenössische und in-
spirierende Kunstform. Das zeitgenössische
Tanz-schaffen soll ein Gesamtkunstwerk sein,
soll sich von der Mainstream-Unterhaltung
abheben oder sich daran mit Ironie bedienen
und kann humorvoll oder auch irritierend sein.
Es gibt sie also, die Berner Tanzszene!
6. Februar bis 7. März 2010
Festival «HEIMSPIEL»
6. Februar: Eröffnung: Open Doors
12./13. Februar: T 4 2 Dance Projects (Félix
Duméril & Misato Inoue): «Schattenspiel»/
Cynthia Gonzalez: «Woman of War»
21./22. Februar: Marcel Leemann Physical
Dance Theater: «REVOLVER»
24./25. Februar: Susanne Mueller Nelson:
«end::spiel 5»
27./28. Februar: inFlux: «Die gestundete Zeit»
1. März: «If I had a dance to give ...» – eine
lecture demonstration
3./4. März: Katharina Vogel: «ohr»
6./7. März: hermesdance: «hic salta!»
Weitere Informationen
www.dampfzentrale.ch
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Tanz & Theater
AUSBLICK TANZ
Zwei versierte Schweizer in Luzern
Der sich am englischen wie flämischen Royal Ballet bewährte Oliver Dähler und der
in Genf geformte und bei Jiri Kylián beflügelte Ken Ossola säen ihre choreographierten Schritte nun auf das heimische Parkett.
Wie empfänglich die junge Kompanie unter
der Leitung von Kathleen McNurney für die
europaweit hochgezüchteten Stile dieser
Schweizer ist, wird sich bald zeigen und ist
wohl eine Reise wert. Bartóks live gespieltes
Streichquartett sollte den letzten Anstoss
zum Aufbruch geben.
Ort: Luzerner Theater, Theaterstrasse 2, Tel.
041 228 14 14
Datum: 20., 24. und 26. Februar, 19.30h
Leemann Physical Dance Theater
Den Startschuss des Heimspiels gibt zwar
nicht Marcel Leemanns Stück Revolver, sondern Ex-Bern-Ballettchef Félix Duméril mit
seinem Schattenspiel. Beide sind den Bernern als Tänzer, Choreographen und Lehrer
ein Begriff. Marcel Leeman, ausgebildeter
Tischler, hat es bald an die renommierte
John-Cranko-Schule (Stuttgart) und die Budapester Akademie verschlagen. Dass sein
Tanztheater physikalisch anspruchsvoll ist,
nimmt dann kein Wunder. Wenn er uns
dann noch verspricht, im neuen Stück Revolver Gewalt und Wiederholungen einander zu
konfrontieren und selbst «Verluste zu rhythmisieren», dann geht es heiss her.
Schattenspiel Ort: Dampfzentrale Bern, Marzilistr. 47, Tel. 031 310 05 40
Datum: 12. und 13. Februar, 20h
Revolver Ort: Dampfzentrale Bern, Marzilistr. 47, Tel. 031 310 05 40
Datum: 21. und 22. Februar, 19h
Nahezu perfekte Sicht im
Theaterhaus Gessnerallee
Choreographische Variationen der strengen
Bewegungssprache des Karate sind angekündigt. Der athlethische Fachmann Hideto Heshiki bietet wohl eine sehens- (und
hörens-)werte Auseinandersetzung mit der
Kunst seiner Heimat.
Kokuu – Almost perfect Visibility Ort: Theaterhaus Gessnerallee, Gessnerallee 8 Zürich,
Tel. 044 225 81 10
Datum: 6., 8., 9. und 10. Februar, 20h
tanzkritik.net
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T HEATER
Was kann, soll und
will zeitgenössisches
Theater?
Von Fabienne Naegeli – «agents provocateurs: Ein Agentenstück» oder die Schaffenskrise in der Kunst Bild: zVg.
S
ue und Nick sind ein junges Paar. Sie ist
Trendscout oder Agentin, reist deshalb
ständig in der Welt herum, schluckt Tabletten
und wird gespielt von Sima. Er ist Akademiker
oder auch Dichter, jedenfalls ein Intellektueller, schreibt zu Hause an einer Arbeit für die
Uni, ist ihrer Meinung nach alleine, da er keine
Freunde hat, und wird dargestellt von Steffen.
Dann gibt es noch Ben, gespielt von Ralph. Das
ist der neue Mitbewohner der beiden. Er ist
schwul oder bisexuell, stellt fest, dass das junge Paar kaum Sex hat, verführt Nick oder lässt
sich von Nick verführen,
um so eine konflikthafte
Beziehungskonstellation
oder eine Klimax auszulösen, die Sue als sie mal
wieder zu Hause ist nicht
will, und die folglich, wie
könnte es anders sein,
in einer Katastrophe endet. Damit ergibt sich die
perfekte
komödienhafte
Beziehungstragödie à la
Hollywood. Doch soll das
Theater im 21. Jahrhundert
Hollywood-Geschichten erzählen? «Lichtwechsel!»,
ruft der Alte, und nein,
meint der Hübsche, dafür
sei ja der Film da. Theater
ist schliesslich situativ,
ein Zusammentreffen von
Zuschauern und Darstellenden, ein unwiederholbares, flüchtiges Ereignis. Was aber kann oder soll zeitgenössisches
Theater eigentlich noch sein, wollen, können
oder sollen, wenn es denn zeitgenössisch sein
können will oder soll? Kann es politisch sein?
Ist es postdramatisch? Auf jeden Fall soll es
performativ sein und somit als Prozess verstanden werden, und die Liebe muss natürlich auch
darin vorkommen. Doch was ist Liebe?
Bei jedem Versuch Theater zu machen sind
die Blonde, der Hübsche und der Dicke – die
Protagonisten des Stücks – mit solchen «Was
ist Theater?»-Fragen konfrontiert, und mit jedem neuen Ansatz stellt sich für sie das Problem, ob dies Kunst sei, was sie da auf der Büh-
ne machen, erneut. Zu all den Schwierigkeiten
mischt sich dann auch noch der Alte mit seinen
kritischen Bemerkungen und Ratschlägen ein.
Er inszeniert und irritiert die jungen Agenten.
Diese springen zwischen den verschiedenen
Diskursebenen umher. Sie probieren, hinterfragen, verwerfen, versuchen erneut und kommen
dabei manchmal vom Weg ab oder verlieren das
Wesentliche aus den Augen. So wird das Handeln der Agenten selbst zur Geschichte, und die
Zuschauer, die eigentlich noch gar nicht da sein
sollten, wohnen heimlich einem für sie normalerweise verborgenen
Prozess bei.
«agents
provocateurs | Ein Agentenstück» ist Michael E.
Grabers Erstlingsbühnenwerk. Vor drei Jahren habe er angefangen,
daran zu schreiben, erzählte er damals nach
einem Workshop zum
Thema «Schreiben für
die Bühne». Und später dann in seinem
Studium der Theaterwissenschaft habe ihn
die Frage, was Theater
heute eigentlich sei
und leisten soll respektive kann, immer
wieder
beschäftigt.
Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit, diversen Regieassistenzen und seinem Studium war Graber auch als
Schauspieler für die Unterhaltungsproduktion
«Dinnerkrimi» tätig. Mit seinem Stück «agents
provocateurs | Ein Agentenstück», welches von
Sprach- und Wortspielen, dem chorischen Zergliedern von Sätzen und den szenischen Versuchen der Protagonisten lebt, leistet er einen
vielschichtigen, erfrischend-lustigen Beitrag
zur verzwickten Debatte über zeitgenössisches
Theater und die Inhaltslosigkeit von Kunst.
26. und 27. Februar, 20.30h
28. Februar, 19h, im Tojo Theater Bern
www.stageoffice.ch
Tanz & Theater
T HEATER
Ein Mistvieh hilft dem anderen
Von Alexandra Portmann
Ödön von Horváths Dramen wie «Kasimir und Karoline», «Italienische
Nacht» und «Geschichten aus dem
Wiener Wald» sind bereits oft im europäischen Raum inszeniert worden. Nun
ist sein im Vergleich zu den Dramen
unbekannter Roman «Sechsunddreissig Stunden» in der Regie von Magdalena Nadolska zum ersten Mal auf
Schweizer Bühnen zu sehen. Am 12.
Januar war Premiere in der Klibühni in
Chur, und Anfang Februar ist das Projekt im Tojo Theater in Bern zu Gast.
A
gnes Pollinger und Eugen Reithofer, zwei
attraktive Arbeitslose, lernen sich ganz
zeitgemäss in der Warteschlange des Arbeitsamtes kennen. Schnell finden sie Gefallen aneinander und kommen sich näher. Das verabredete Spaziergangrendezvous am nächsten Tag
kommt jedoch nie zu Stande, denn Agnes versetzt Eugen zu Gunsten von Harry. Harry – die
Hoffnung des Eishockeys – und vor allem sein
Sportwagen gewinnen klar in Agnes' Augen gegenüber Eugen und seinen naiven Träumen von
einem Hotel in Afrika. Wer will schon ein imaginäres Hotel anstelle eines realen Porsche? So
vielversprechend auch der Ausflug zum Starnberger See begonnen hat, umso bitterer ist
sein Ausgang. Nachdem Harry die Entlöhnung
für das Wiener Schnitzel von Agnes auf dem
Rücksitz seines Autos eingefordert hat, lässt
er sie mitten im Wald sitzen und zu Fuss nach
Hause gehen. Wider Agnes' Erwarten wird aus
der lang ersehnten Spazierfahrt nun doch ein
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
Bild: zVg.
«Spaziergang». Am nächsten Morgen erreicht
sie erschöpft ihr Haus, wo sie Eugen mit der
guten Nachricht erwartet, ihr eine Arbeit besorgt zu haben. Ganz nach dem Motto «Ein
Mistvieh hilft einem anderen» ist er ihr nicht
böse, ihn am Vorabend versetzt zu haben. Zur
erwarteten Liebesgeschichte kommt es aber
nicht, denn dann ist das Stück zu Ende.
Obschon Horváths Roman im Jahr 1928 spielt,
behandelt er die heute immer noch aktuellen
Themen wie Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise
und Krieg. Die etwas ironi-sche, aber dennoch
liebevolle Sprache Horváths beschreibt eine
tragische Welt, der sowohl mit Humor als auch
mit Ernst zu begegnen ist. Denn das, worüber
leichtfertig gelacht wird, zeigt oft die ungeschminkte Realität, und was ernst scheint,
ist eigentlich komisch.
Die Produktion «Sechsunddreissig Stunden» stellt sich einerseits der Herausforderung
einer Schweizer Erstaufführung, andererseits
vor allem der Dramatisierung eines Romans.
Die Stückfassung stammt von der Regisseurin
selbst. «Vielleicht besteht eine Schwierigkeit
der Romanadaption darin, die Sprachintensität
von Horváths Text auf die Bühne zu transportieren. Denn eine Adaption stellt immer eine
Verdichtung der Geschichte dar, bei der viele
Nebenschauplätze verloren gehen», so Nadolska. Trotz der Fokussierung auf eine Geschichte
findet die Inszenierung spannende Lösungen
für Horváths vielfältiges Sprachengeflecht. Im
Rahmen des Projekts wird ausserdem mit verschiedenen Schulklassen zusammengearbeitet.
Die Schüler gehen dabei selbst den Schwierigkeiten einer Romanadaption auf den Grund. In
Gesprächen mit den Produktionsmitgliedern
können sie ihre eigenen Ideen zur Dramatisierung von Horváths Text präsentieren und
Fragen zum Stoff der Inszenierung stellen.
Das Bühnenbild besteht aus mehreren
Wäscheleinen, die mit verschiedenen Kleidungsstücken und Requisiten vollgehängt
sind. Die drei Schauspieler (Felicitas Helena
Heyerick, Krishan Krone, Michael Glatthard)
wechseln zwischen rund zwanzig Figuren und
mehreren Spielebenen. Virtuos balancieren sie
zwischen Figur und Erzählhaltung, natürlichem
und boulevardeskem Spielstil sowie Live-Musik
und Ruhe. Blitzartig wird aus dem Erzähler
eine Buddhastatue oder das Foto einer achtköpfigen Familie und aus einer Wäscheleine
mit einer Taschenlampe ein Auto. Auch wenn
gewisse Figuren nur kurz auftreten, so erzählt
jede von ihnen ihre eigene Geschichte. Fantasievoll werden vom Ensemble die Spielmöglichkeiten des abstrakten Bühnenbildes ausgelotet.
Die live gesungene und gespielte Musik, die
von Oktoberfestschlagern bis zu französischen
Chansons reicht, versetzt den Zuschauer in die
tragisch-komische Welt von Agnes und Eugen.
Trotz des bunten Treibens auf der Bühne steht
in der Inszenierung immer das Erzählen ihrer
Geschichte im Vordergrund, einer aus dem Leben gegriffenen Geschichte, die berührt.
Infos
3. bis 6. Februar 2010, jeweils um 20.30h im
Tojo Theater in Bern. www.tojo.ch
(Ticketverlosung auf ensuite.ch!)
28. April bis 1. Mai 2010, jeweils um 20h im
Keller 62 in Zürich. www.keller62.ch
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Tanz & Theater
F IGURENTHEATER !
Puppenspiel lernen
Von Nina Knecht & Friederike Krahl
Friederike Krahl ist Puppenspielerin,
Schauspielerin, Regisseurin und Autorin. Die Stücke, welche sie in verschiedenen Formationen (u.a. Theater
Handgemenge, KASOKA) mit anderen
Künstlern zusammen entwickelt, spielt
sie auch an zahlreichen internationalen Festivals. Sie lebt in Berlin und
arbeitet u.a. auch als Gastprofessorin
für den Nachdiplomkurs Figurenspiel
(CAS) an der Zürcher Hochschule der
Künste in Zürich. Auf Grund ihrer zahlreichen Erfahrungen hat sie einen Text
darüber verfasst, was sie an Puppenspiel fasziniert und wie es funktioniert.
Sie beschreibt aber auch, wie es sich
an Studierende vermitteln lässt und
was bei einer Ausbildung zur Puppenspielerin wichtig ist.
W
arum bin ich Puppenspielerin? Ich
kann mir vorstellen, das was ist, wo
nichts ist. Nichts, ausser einem Stöckchen, einem Alltagsgegenstand, einer Puppe aus Holz,
Latex oder Stoff. Für mich ist die Materie lebendig, beseelt. Je grösser der Spielraum meiner eigenen Phantasie, umso reizvoller. Wolken
am Himmel zu Figuren zu machen, ist auch eine
Vorform von Puppenspiel. Oder Gesichter in
Felsen zu sehen. Fels und Wolke sind zu gross,
um mit ihnen zu spielen. Das sind die grossen
Naturgeister, aus denen man Mythen, Märchen
und Sagen gemacht hat. Puppenspieler suchen
sich kleinere Geister, die sie mit ihren Händen
bewegen können. Aber der Vorgang ist derselbe: Ich sehe was, was du nicht siehst, Zuschauer. Damit du aber sehen kannst, was ich sehe,
muss ich einen langen Weg gehen. Nachher
spielt sich das «Eigentliche» im Bruchteil von
Sekunden ab.
Zuerst nehme ich deine Position ein: Ich
werde zum Beobachter. Ich beobachte mein Material. Halt – welches Material? Vielleicht muss
ich das Material erst einmal suchen, entdecken,
sammeln, kombinieren, zusammenbauen. Erfindungen machen, formen, schnitzen, bauen,
säubern, schleifen, nähen, malen, es mit meinen Händen erschaffen. Oder jemand anderes
tut all das und gibt mir das Ergebnis seiner Arbeit in die Hand. Bis zu diesem Moment ist die
Arbeit eine bildnerische. Eine schöpferische
Arbeit, mit Imagination und Vision verbunden, denn der Bildner sieht in seinem Material
auch etwas Lebendiges. Aber mit Theater hat
24
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
Bild: (v.o.) Krahl von Beatrix von Hartmann / Figurentheater Karlsruhe
das noch nichts zu tun. Theater wird es, wenn
ich die Form, die das Material vor mir angenommen hat, als «Seelengefäss» nehme. Ich tue
eine Seele in dieses Gefäss. Ich erschaffe mir
ein Gegenüber. Ich fange an, mit ihm zu kommunizieren. Ich will wissen, was es ist, wie es
ist. Ich probiere es aus. Ich teste es, ich spiele
damit herum, ich bin neugierig auf seine Möglichkeiten. Dieser Vorgang ist geradezu intim,
auch wenn er in der Öffentlichkeit stattfindet.
Manche Spieler brauchen den Zuschauer schon
in diesem Moment, andere wollen ihr Gegenüber erstmal allein kennenlernen. Egal, was es
ist, das Gegenüber wird lebendiger, umso mehr
man sich mit ihm beschäftigt. Es bekommt eine
Geschichte, eine Biografie. Einen Namen. Einen
Platz, wo es hingehört. Dies alles bleibt rein fiktiv, aber es wird Realität.
Der Puppenspieler überträgt seine Fiktion
auf den Zuschauer – ich sehe was, was du nicht
siehst. Wer auch nur ein einziges Mal erlebt
hat, wie jemand fasziniert auf ein alltägliches
Ding oder eine Puppe schaut, weil sie «lebendig wird», weiss, wovon die Rede ist. Ich habe
diese Faszination erfahren, als Zuschauerin
und als Spielerin. Deshalb wollte ich eine Puppenspielerin werden. Puppenspieler zu werden
ist ein langer Weg. Das erste, was man lernen
muss, ist das Lernen. Nichts ist flüchtiger als
der Augenblick, und Theater lebt von diesen
Augenblicken. Wie lernt man, das Flüchtige
festzuhalten, den Augenblick immer wieder
herbeizurufen, ihn so zu erschaffen, wie es die
eigene Vorstellung will? Wie schafft man es,
nicht daran zu verzweifeln, das er mal ganz nah
ist und dann wieder unerreichbar? Lernen ist
Wiederholen, etwas immer und immer wieder
tun, und dabei beobachten: Was passiert, wenn
ich dies und das tue, wenn ich es anders tue,
wenn ich es immer und immer tue, wenn ich
es nicht tue? Was man dabei gewinnt, ist die
Erfahrung, ist noch nicht Wissen. Wissen hat
mit Bewusstsein zu tun: Das, was ich erfahren
habe, wird mir bewusst. Ich kann es aussprechen, aufschreiben, anderen weitergeben. Ich
kann es in meine Arbeit einfliessen lassen und
mich in einen neuen Prozess begeben. Wissen
allein aber nützt gar nichts, wenn es nicht auf
ein Medium übertragen wird. Das Medium des
Puppenspielers ist die Puppe. Ein Kind spielt
auch mit Puppen. Es lebt in einer von ihm selbst
geschaffenen Realität, ohne sie in Frage zu stellen. Der Puppenspieler erschafft diese Realität
bewusst. Er spielt auf einer «höheren» Ebene,
die aber im Grunde auch nichts anderes meint
als den Zugang zu der eigenen Phantasie.
Der Puppenspieler sieht nicht das Objekt, er
sieht das Subjekt. Er behandelt es als solches
und es wird durch ihn lebendig. Es atmet, es
bewegt sich, es hat Sinne, es hat Gefühle, es hat
Bewusstsein, einen Verstand. Es hat Charakter.
Es reagiert menschlich. Es hat eine Geschichte. Es kommuniziert mit anderen Subjekten. Es
wird zum Darsteller auf einer Bühne, es kann
eine griechische Tragödie spielen und Kasperltheater oder beides. Es kann sterben und zwar
glaubhafter als ein Mensch auf der Bühne. Denn
die Puppe verliert ihr Leben wirklich, wenn man
den Vorgang umkehrt: vom Subjekt zum Material. Die Seele fährt aus dem Puppenkörper. So
geht es uns Menschen, wenn wir sterben. Vielleicht liegt deshalb etwas so Tröstliches darin,
«toter» Materie Leben einzuhauchen: Wir fühlen uns selbst dadurch lebendiger. Wir glauben
uns selbst besser, dass wir leben. Wir können
unsere Wünsche, Ängste, Vorstellungen in diese Puppe projizieren. Sie hilft uns zu erkennen,
wer wir sind, was wir sind. Je weniger wir Puppenspieler darüber nachdenken, was wir da tun,
umso lebendiger wird unser Spiel. Wenn wir uns
selbst dabei vergessen, wird es wahrhaftig. Das
heisst nicht, dass wir die Kontrolle aufgeben.
Im Gegenteil. Je mehr wir wissen, mit wem wir
es zu tun haben, je geübter wir darin sind, der
Puppe Leben zu geben, je konzentrierter wir
uns in die andere Realität begeben, umso lustvoller und überzeugender ist unser Spiel. Wenn
ich jemandem etwas über Puppenspiel beibringen möchte, dann ist es diese Bewusstheit und
deren handwerkliche Entsprechung. Beides
geht bei einer Ausbildung Hand in Hand. Der
Lehrer gibt dem Schüler seine Gedanken, seine
Idee, seinen Impuls. Seine Vorstellung von der
Welt, bezogen auf sein Fachgebiet. Er zeigt dem
Schüler einen anderen Sichtwinkel. Er zeigt
ihm, was er nicht kann und zeigt ihm, wie er
dahin kommt, es zu können. Das Nicht-Können,
das Nicht-Wissen ist schwer auszuhalten, aber
es ist nun mal der Rohzustand, in den man sich
begeben muss, wenn man etwas lernen will. Ein
guter Lehrer macht seinem Schüler Mut. Er gibt
ihm Werkzeug in die Hand. Geistiges und materielles Werkzeug. Er spiegelt den Schüler, nicht
zerstörerisch und arrogant, aber auch nicht
schonend und devot. Der Lehrer braucht eine
Vorstellung von dem, was der Schüler am Ende
können soll. Und einen Weg dahin. Dieser Weg
ist das, was er dem Schüler mitgeben kann. Damit ihn dieser immer und immer wieder gehen
kann, allein – und ohne Lehrer.
25
Tanz & Theater
T ANZ
Langsamkeit ist eine Kunst
Von Barbara Neugel
S
usanne Daeppen, die frei schaffende Tanzpädagogin und Performerin aus Biel mit eigener Tanzwerkstatt, hat ihre Ausbildung in der
Schweiz begonnen. Ihr Ausbildungsweg führte
sie nach New York und Japan – beides wichtige
Stationen in ihrem Leben. Heute unterrichtet sie
in Biel, Bern und Basel und gibt Performances
und Workshops im In- und Ausland. Tanz ist ihr
Leben. Tanz ist ihr Terrain.
Nun hat Susanne Daeppen für kurze Zeit ihr
Terrain zeitweilig verlassen und Neuland betreten. Sie hat über die letzten 15 Jahre ihrer
Arbeit ein Buch geschrieben. «Dieses Buch war
ein neues Terrain. Es war ein spannendes Erlebnis. Mit dem Buch schliesst sich ein Kreis,»
stellt Daeppen fest.
Anfang 80er-Jahre hatte Susanne Daeppen
in der Schweiz zum ersten Mal Gelegenheit,
die Aufführung einer international bekannten
asiatischen Tanztruppe zu sehen. Es war die
«Ariadonne»-Kompanie, heute eine der international bekanntesten reinen Frauengruppen
des Butoh. Susanne Daeppen war fasziniert von
der Exotik und der Kraft, die von dieser Kompanie ausging. In Paris besuchte Daeppen die
Aufführung einer Männer-Butoh-Kompanie. Und
während ihrer Ausbildungszeit in New York, von
1986 bis 1988, tauchte sie ein in die Vielfalt
der Kulturen dieser Stadt. Sie hatte die Gelegenheit, sich mit der japanischen Kultur in all
ihren Facetten auseinanderzusetzen. Susanne
Daeppen konnte japanische Tänzerinnen und
Tänzer sehen und mit ihnen in Kontakt kommen, beispielsweise mit Eiko und Koma. Und sie
wusste: Mit Eiko und Koma wollte sie arbeiten.
Die Zusammenarbeit kam zu Stande. Und während dieser Arbeit hörte sie vom grossen ButohMeister Kazuo Ohno. Ohno zeigte in New York
sein Werk «Waterlilies» – für Susanne Daeppen
ein bewegendes Erlebnis. Von Eiko und Koma
wusste sie, dass es noch möglich war, in Japan
bei Ohno trotz seines hohen Alters Unterricht
zu nehmen. Susanne Daeppen sah da ihre grosse
Chance, und die wollte sie wahrnehmen und Bu-
26
Bild: Jörn Jönsson
toh in seinem Ursprung kennenlernen.
Ausführlich beschreibt Susanne Daeppen
den Weg, den sie gegangen ist in ihrem Buch,
das im Oktober letzten Jahres erschienen ist. Es
ist ein informatives und inspirierendes Buch,
sehr persönlich und offen, sehr bewegend. Es
zeichnet den Weg nach, den Susanne Daeppen
gegangen ist auf der Suche nach dem Eigenen,
nach der eigenen Sprache im Tanz. «Berührend,
nicht wertend, motivierend, selber zu tanzen,
das ist die Vorstellung von meinem Tanz,» sagt
Daeppen. Die Menschen sollten von innen heraus tanzen. Daeppen braucht den Begriff Butoh
nicht so gerne. Sie hat Butoh eigentlich schon
hinter sich gelassen, ist weitergegangen und
spricht lieber von Soul Dance oder Slow Motion – Seelentanz beziehungsweise langsame
Bewegung. Butoh – und damit auch Soul Dance
– führe auch zur Natur, dazu, die Umwelt kennenzulernen, führe zu den Wesenheiten, die
existierten, und dazu, die Zusammenhänge zu
verstehen, führt Daeppen aus. Und für sie ist
klar: «Die Leute in der Schweiz sind bereit für
das, was ich mache.»
Das Buch enthält auch Skills, eine Art Anleitung, um zur Fähigkeit zu gelangen, selbst zu
tanzen. «Ich will hier leben und tanzen können.
Hier, in der Schweiz, ist ein grosses kreatives
Potenzial vorhanden, und es gibt eine wunderbare Natur. Deshalb habe ich die Skills freigegeben, die man in der Natur tanzen kann. Es
ist Tanz, den man in den Alltag, in die Feste,
die wir hier feiern, einbeziehen kann. Künstlerinnen und Künstler sind dazu da, sichtbar zu
machen, was schon da ist.»
Das schön gestaltete, reich mit wunderbaren
Bildern ausgestattete Buch, das auch angenehm
anzufassen ist, macht Lust, selbst zu tanzen.
Und so sollte es auch sein. Es sei ein Arbeitsbuch, meint Susanne Daeppen.
Wer Lust bekommen hat auf dieses Buch, der
hat Gelegenheit, es kennen zu lernen:
Am Samstag, den 20. Februar 2010 findet im
Zentrum Paul Klee eine Buchvernissage statt.
Das Buch wird vorgestellt, es wird einen Büchertisch geben. Und unter dem Titel «Zytlupe»
wird Susanne Daeppen Experimente mit Besucherinnen und Besuchern machen. Die Performance «Twilight» wird gezeigt, und es finden
Wahrnehmungsworkshops statt für Leute, die
selbst etwas ausprobieren wollen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Kursen von Susanne
Daeppen werden in ihren Alltagskleidern hier
und dort in Performances zu sehen sein, die irritieren sollen. Zum Schluss ist eine Diskussion
vorgesehen. Die Vernissage mit den Performances findet während der Öffnungszeit des Zentrums Paul Klee, zwischen 11 und 17 Uhr statt.
Das Zentrum Paul Klee ist ein idealer Ort
für diese Vernissage, denn «Paul Klee war ein
Suchender und Forschender», schreibt Ursula Frauchiger, künstlerische Leitung Theater,
Tanz, Literatur am Zentrum Paul Klee, im Buch
von Susanne Daeppen. Frauchiger hält weiter
fest, dass sie von Anfang an bestrebt gewesen
sei, darstellende Künstlerinnen und Künstler ins
Museum zu holen, die aus ihrer Sicht «in ihrer
Herangehensweise an die Kunst mit den Arbeitsprinzipien Paul Klees vertraut sein müssten.» Für Frauchiger gehört Susanne Daeppen
dazu. Sie konnte ihre Performance «fragile» im
Zentrum Paul Klee zeigen, und seit zwei Jahren
führt Susanne Daeppen im Zentrum Paul Klee in
loser Folge den Workshop «Die Kunst der Langsamkeit» durch. Es besteht also eine länger dauernde und fruchtbare Beziehung zwischen der
Tänzerin und dem Zentrum Paul Klee.
Das Buch:
Susanne Daeppen: «Die Kunst der Langsamkeit. Ein Tanz von der Natur zur Seele», 2009,
edition clandestin, Biel-Bienne (erhältlich bei
der Autorin und anlässlich der Buchvernissage
im Zentrum Paul Klee)
Infos: www.dakini-dance.ch
[email protected]
www.zpk.org
Music & Sounds
J UBILIEREND
JUBILIEREN
Sechs Sofas im Dachstock
Von Luca D‘Alessandro
D
üster elektronisch, chillig-sphärisch,
trashig rockig: Das Wiener Kollektiv
Sofa Surfers lässt sich nicht kategorisieren. Es
beschreitet den Weg der Aufhebung popkultureller Grenzen zwischen Begriffen wie «Black
Musik», «Dub Culture» und «Weissem Rock».
Das Album «Blindside» steht kurz vor der Veröffentlichung. Werden es die Sofas für ihren
Auftritt am Radio RaBe-Fest in der Berner
Reitschule bereits mit im Gepäck führen? «Das
weiss ich im Moment noch nicht», sagt Bandmitglied Wolfgang Schlögl gegenüber ensuitekulturmagazin.
«Blindside» – das fünfte Album von den Sofa
Surfers sollte gemäss Medieninformation am
26. Februar 2010 erscheinen. Am selben Tag
stehen die sechs Jungs im Dachstock der Berner Reitschule auf der Bühne. Radio RaBe, das
Berner Kulturradio, hat sie zum Fest geladen.
«Die Sofa Surfers vereinen in sich nahezu alle
Musikstile, die wir mit unserem Radio repräsentieren», sagt Radio RaBe-Musikredaktor
Martin Schneider.
Ein Radio, eine Band – zwei ähnliche Geschichten Tatsächlich haben Radio RaBe und
die Sofa Surfers eine ähnlich lange und ereignisreiche Geschichte: Beide sind sie 1996 gegründet worden, und beide haben sie sich nicht
stereotypisieren lassen. Radio RaBe hat stets
auf Vielfalt gesetzt, sich fortwährend in Form,
Struktur und Erscheinung weiterentwickelt.
Ein Rezept, mit dem sich das Lokalradio in den
vergangenen vierzehn Jahren – trotz finanzieller Engpässe – nicht nur wacker gehalten hat,
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
Bild: Ingo Pertramer
es ist zu einer ernstzunehmenden Alternative
auf dem Platz Bern avanciert. Auch für die Sofa
Surfers stand seit der Gründung die musikalische Weiterentwicklung im Mittelpunkt ihres
Schaffens. Von ihrem Debut «Transit» an bis
hin zu «Blindside» haben sie permanent die
Möglichkeiten von Technologie einerseits und
kollektivem Spiel andererseits ausgelotet. Die
Band nimmt gerne Risiken auf sich und gestaltet sich in Arbeitsweise und Konzept immer
wieder neu.
Film- und Theatermusiken Die Sofas haben
sich längst gängigen Szenezwängen entzogen.
Nebst ansprechenden Alben haben sie Filmund Theatermusiken geschaffen, Soloalben
veröffentlicht und Kunstprojekte mitgestaltet.
Diese Erfahrungen schlagen sich in «Blindside» nieder. Eine Platte, die in den letzten zwei
Jahren im eigenen Proberaum in Wien entstanden und schrittweise mit Elementen aus
dem breiten Ideenfundus von Wolfgang Frisch,
Michael Holzgruber, Markus Kienzl, Wolfgang
Schlögl und Mani Obeya angereichert worden
ist. Sie ist reich an elektronisch-rockigen Tönen und Passagen, die sich nur mit viel Phantasie einem Genre zuordnen lassen. Oder wie
Wolfgang Schlögl selbst sagt: «Blindside ist ein
Abbild unserer Gesellschaft, die sich zum Teil
nicht mehr selbst wiedererkennt, den Maximierungszwängen und dem Konsumdruck unterworfen ist.» Lässt sich daraus ein gewisser
Frust ableiten? «Vielleicht.» Zumindest der Inhalt von «Blindside» verlangt beim Hören eine
gewisse physische Interaktion ab: Headban-
gen, Springen und Mitschreien. Martin Schneider: «Ob die Holzbalken im Dachstock diesem
Überschwang standhalten werden, wird sich
am 26. Februar weisen.»
Gespräch mit Wolfgang Schlögl, dem Sofa
Surfers-Gründermitglied:
Interview: Luca D›Alessandro
Wolfgang, die Veröffentlichung Eures achten Albums mit dem Titel «Blindside» steht
kurz bevor: Fünf Jahre mussten die Fans darauf
warten.
Ja, wir haben uns für die Realisierung Zeit
genommen, die Ideen immer wieder überarbeitet und mit neuen Erfahrungen ergänzt. Übrigens ist es unser erstes Album unter eigenem
Label. Von nun an backen wir unsere eigenen
Brötchen.
Welche Botschaft steckt in «Blindside»?
Seit der Lancierung des Debüts 1997 haben wir stets versucht, die pop-kulturelle Entwicklung in Europa zu kommentieren. Unser
Sänger Mani Obeya macht das sehr gut: Auf
poetische Weise spricht er in seinen Texten
von Wirtschaftskrise und gesellschaftlichen
Frustrationen, wie sie sich aus den politischen
Konstellationen des vergangenen Jahrzehnts
ergeben haben. Es sind Dinge, die weltpolitische Ursachen haben und in unser Leben zurückstrahlen. «Blindside» ist gewissermassen
die Abrissseite eines Hauses – das Gegenteil
einer schönen Fassade.
Erfolgt die Kritik in Euren Liedern ausschliesslich auf einer textlichen Ebene?
27
Music & Sounds
Wir versuchen synästhetisch zu arbeiten.
Die Klänge ergeben sich aus einem politischen
Gedankengang heraus. Unsere Devise: Alles ist
politisch.
Demnach ist Kultur für Euch auch politisch?
Absolut. In unserer Vergangenheit haben
wir uns wiederholt mit Black Music befasst:
ein Genre mit einer ausgeprägten sozio-politischen Konnotation. Wir wollen Musik nicht
nur auf einer ästhetischen Ebene behandeln.
Inhalte sind mindestens so wichtig.
Wie lässt sich eine politisch-kulturelle Botschaft klanglich abbilden?
In erster Linie geht es darum, mit Klängen
zu arbeiten, die für eine bestimmte Epoche typisch sind. In unseren Arrangements sind diese dann meist nicht mehr erkennbar, weil wir
sie bearbeiten und mit neuen Klängen zusammenmischen.
Welche Epochen sind Euch wichtig?
Sounds aus den 60ern und 80ern – diese
Jahrzehnte mögen wir besonders. Ein Freund
von uns hat eine zeitlich gut sortierte Plattensammlung, so können wir die Musik Jahr
für Jahr durchstöbern und laufend neue Entdeckungen machen.
Welche ist eine Eurer wichtigsten Entdeckungen?
Eine Referenz für mich ist die Neo-Psychodelik, wie sie die Black Music hervorgebracht
hat. Diese kombinieren wir in unseren Jams
mit neuen Stimmungen. So gehen wir an die
Klänge heran. Wir arbeiten mit Sinneswahr-
FÜR SEINEN 14. HAT
SICH RADIO RABE
HERAUSGEPUTZT
E
nde 2008 hat Radio RaBe einen Wettbewerb ausgeschrieben. Das Erscheinungsbild sollte einer Generalüberholung unterzogen werden. Über fünfzig Künstlerinnen
und Künstler, RaBe-Mitglieder und grafikinteressierte Hörerinnen und Hörer folgten
dem Appell und reichten innerhalb weniger
Wochen stapelweise Designvorschläge ein.
Eine fünfköpfige Jury nahm die Entwürfe
unter die Lupe und entschloss sich am Ende
für das Logo eines jungen Zeichners, Remo
Abplanalp aus Spiez. Er setzte sich gegen
unzählige gestandene und erfahrene Kontrahenten durch und wurde zum Hofgrafiker
von Radio RaBe gekürt.
Die Logo-Taufe ist kaum vorbei … Die
Taufe des Logos fand am 30. Januar im Restaurant Du Nord im Berner Lorrainequartier
statt. Mitglieder und Supporter fanden sich
ein und läuteten im Rahmen einer Vernissage die neue Ära für den RaBen ein. «Mit
28
nehmungen.
Könntest Du das präzisieren?
Wir sind nicht Musiker, die unseren Sänger
quälen und fragen: Was möchtest Du mit deinem Text aussagen? Nein, so läuft das nicht.
Er bringt uns seinen Text, und wir reflektieren
ihn auf einer Besinnungsebene. Dazu bedarf es
keiner Worte, die Musik verbindet uns.
Ist die Arbeit auf der Bühne reine Interpretation?
Das ist lustig: Wenn du einen Bandkollegen
fragst, wird er vermutlich antworten, alles sei
vorgezeichnet. Das stimmt natürlich nicht. Ich
denke, für uns – die wir unsere Lieder immer
wieder gespielt haben – mögen die Konzerte
immer gleich klingen. Aber jede Veranstaltung
ist anders. Wenn ich in einer Performance einen Ausflug in andere musikalische Gefilde
mache, reagieren meine Bandkollegen unmittelbar, weil sie mich kennen und haargenau
wissen, wie sie mir folgen können.
Euer Konzept bietet genügend Spielraum.
Genau. Ich sage das bewusst, denn wir haben – im Unterschied zu manchen Livebands
– Elektronik und Bilder, die synchronisiert mitlaufen. Ein Jam muss mit diesen Faktoren zusammenspielen. Eine spontane Einlage hängt
nicht nur vom Drummer oder Bassisten ab,
sondern von der ganzen Technologie, die mitschwingt. Als Mitglied der Sofa Surfers musst
deine Inspiration intuitiv regeln können.
Du hast das Stichwort «Technologie» genannt: Elektronik, Black Music und Rock – Ihr
diesem Erscheinungsbild», so Radio RaBeMusikredaktor Martin Schneider, «wird das
Berner Kulturradio in der Öffentlichkeit als
junges und lebendiges Alternativradio wahrgenommen.»
… schon folgt das RaBe-Fest Jung ist auch
das Publikum, das Radio RaBe an seinem
14. Geburtstagsfest in der Berner Reitschule ansprechen will. Den Auftakt machen am
Freitag, 26. Februar im Dachstock die Sofa
Surfers. Unterstützung erhalten die Wiener
Soundtüftler von Clara Clara aus Frankreich
und dem kecken Frölein Olive Oyl, das den
Abend mit Indie Rock zum Höhepunkt geleitet. Parallel dazu rockt es im Sous Le Pont wie
in Papas Garage mit The Jackets, The Dead
& Loose Connection. Im Frauenraum – und
diesmal sind Männer zugelassen – findet ein
Female Drum & Bass Abend mit DJ Flight &
MC Ayah aus England statt.
Am Samstag, 27. Februar bringen die
DJs Racker und Brian Pyton den Dachstock
zum Beben, verstärkt werden sie von der DJ
Legende Styro2000 und dem Live Act von
MyMy. Wer erinnert sich noch an die ersten
Techstock Partys? Im Sous le Pont hingegen
vereint all die Genres unter einem Dach. Wo
fühlen sich die Sofa Surfers wirklich zuhause?
Ich war sowohl im Rock als auch im Techno zuhause, jetzt bin ich Familienvater, der in
seinem Leben viel Musik gehört hat und sich
keiner Szene zugehörig fühlt. Wir sind weder
eine Band, die für ein Rockfestival die erste
Wahl ist, noch werden wir für Elektronikevents
aufgeboten; aber wir sind eine Band, die an ihrem eigenen Sound arbeitet. Da hat Rockmusik
definitiv einen Platz, da das Genre auch eine
Geschichte hat. Es ist interessant: Du bist auf
diese Frage über die Technologie gekommen
… ja, viele Journalisten tendieren dazu, Rock
als Gegenteil von Elektronik zu betrachten.
Ich bin damit nicht einverstanden: Rockmusik
war schon immer der Träger von Technologie,
denn hier wurde zum ersten Mal die Elektrogitarre eingeführt: eine technologische Revolution! Das Denken in Kategorien entspricht mir
nicht.
Als Hörer bin ich aber auf eine Kategorisierung angewiesen. Ansonsten finde ich im
Plattenladen meine Lieblingsmusik nicht. Wie
begegnet Ihr Eurem Publikum?
Ich bin kein Businessman, sondern Musiker
(lacht). Beim Musikmachen denken wir nicht
oft an unser Publikum. Ich hoffe, das Publikum
findet uns. Und besonders hoffe ich, dass unsere Musik immer noch mehr zählt, als eine gut
gestaltete Myspace-Seite oder ein ausgeklügelter Businessplan.
ist erneut Rock angesagt: Auf der Bühne
stehen Lamps of Delta und Overdrive Amp
Explosion. Im Frauenraum lässt sich Evelinn
Trouble nieder: Mit ihrem neuen Projekt «Television Religion» tourt sie im Moment durch
die Schweiz. Ein Duo bestückt mit einem
Mpc, einem Juno-Synthesizer, Loopgerät, Gitarre, Bass und einer Tonne Effekte.
Als Rahmenprogramm bietet Radio RaBe
ein begehbares Studio, das Interessenten einen Einblick in die Welt der Radiophonie und
hinter die Plattenteller von DJ Electric, Küsä
und Tomzoff aus Zollicago gibt. Sie sorgen
mit Funk- und Disco-Perlen für Partylaune.
Infos: RaBe Fest – 26. und 27. Februar 2010,
Reitschule Bern. www.rabe.ch
Music & Sounds
S ZENE B ERN
Rund läuft es
– Round Table Knights
Von Ruth Kofmel
Z
u wissen, was man nicht will und daran
festzuhalten, kann eine gute Sache sein.
Christoph «Biru» Haller und Marc Hofweber
quälten sich in Jugendtagen durch eine KVLehre und es stand für beide sehr bald fest,
dass sie auf gar keinen Fall in diesem Geschäft
bleiben wollten. Viel verlockender schien ihnen, ihr Geld mit dem zu verdienen, was ihnen
am meisten Spass machte – der Musik.
Selten genug, trifft man in der Schweiz auf
Musiker, die gut von ihrem Beruf leben können,
und noch seltener sind das Leute, die nicht an
einer Musikhochschule studiert haben. Also
nimmt es doch wunder, wie es den zweien als
Round Table Knights gelungen ist, in der internationalen DJ-Welt Fuss zu fassen und seit ein
paar Jahren zu den gefragtesten Leuten ihres
Fachs zu zählen.
Nicht ungewöhnlich für männliche Adoleszente, begannen sie sich vor mehr als zehn
Jahren für Musik zu begeistern und schufen ein
DJ-Kollektiv mit vier Jungs. Unterwegs hat sich
die Vierergruppe auf die zwei heutigen Köpfe
reduziert. Biru und Marc waren die zwei, die
unbedingt diesen Weg gehen wollten, die darin
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
Bild: zVg.
eine Möglichkeit sahen, ihren Traum zu erfüllen, und ein gutes Stück dieses Weges haben
sie schon einmal, locker aus dem Handgelenk
wie es scheint, zurückgelegt.
Zuerst interessierten sie sich vor allem für
Hip Hop und übten ihre Skills und Fingerfertigkeiten, die einen ernstzunehmenden Hip
Hop-DJ auszeichnen. Das war an sich noch
nichts Besonderes und sie hatten in diesen Tagen zwar in der ganzen Schweiz ihre Auftritte,
aber um davon zu leben, reichte das noch lange
nicht. Beide verdienten ihr Geld damals noch
anderweitig; als Plattenverkäufer wie Marc
oder als Booking-Agent wie Biru.
Mehr nach Erfolg zu riechen begann ihr
Schaffen, als sie anfingen, die musikalischen
Genregrenzen zu überschreiten. Als sich der
Name Round Table Knights zunehmend, vielleicht nicht in aller Munde, aber zumindest in
den Mündern der Trendigen befand, war ihr
Kenn-zeichen, dass sie alle möglichen Stile auf
ihren Plattenteller zu einem tanzbaren Teppich
verschmolzen. Damals war der Unterbau immer
noch hauptsächlich Hip Hop, aber auch das
hat sich mit zunehmendem Erfolg verändert
– heute bezeichnen sie ihren Stil, wenn auch
in Birus Fall ungern, als House. Ihnen widerstrebt es, etikettiert zu werden, und gerade
ihre instinktive Rebellion dagegen, sich in
eine Schublade packen zu lassen, scheint mir
ein grosser Teil ihres Erfolgs auszumachen.
Sie bleiben unberechenbar, überraschen und
fahnden immerzu nach neuen Möglichkeiten,
musikalisch noch weiterzugehen. So fühlen sie
sich auch jetzt nicht all zu sehr ihrem bisherigen Schaffen verpflichtet und stellen sich vor,
in der Zukunft weiter in ganz andere Richtungen vorzustossen. Zwar bestätigen sie, dass sie
sich nun mit ihren eigenen Produktionen daran
orientieren, wie sie als DJs wahrgenommen
werden und sich damit musikalisch ganz klar
einem Sound zuordnen. Es ist die neue DiscoMusik, die wild und ungestüm daherkommt,
sich an allen möglichen und unmöglichen Orten Anleihen sucht und die gefundenen Einzelteile über einen House-Beat gelegt, zu einer
tanzbaren Einheit verschmilzt. Warum so viele
DJs schlussendlich beim House landen, dem
ein sehr gerades Taktmuster zu eigen ist, das
vom Rhythmischen her wenig Überraschungen
29
Music & Sounds
INSOMNIA
CARO CISALPINO
Von Eva Pfirter
S
eit ein paar Wochen weiss ich, was ich
nach meinem Studienabschluss machen
werde: Sprach- und Kulturvermittlung zwischen
Italien und der Schweiz! Und es ist wohl längst
nicht die einzige Beziehung der Schweiz, die
Vermittlung nötig hätte ...
Das kam so: Ich reiste mal wieder im Cisalpino. Ja, DER Cisalpino, der in Basler Schnitzelbängg vorkommt und in Dieter Bachmanns
«Die Vorzüge der Halbinsel» mindestens fünf
Seiten Platz einnimmt und bei der Lektüre zu
krampfartigen Lachanfällen führt. Der Cisalpino ist Symbol für die Beziehung zwischen Italien und der Schweiz: Sie funktioniert einfach
nicht – zumindest, wenn es um den Verkehr
geht. Nun gibt es ja die neuen, in Frankreich
hergestellten Cisalpino-Züge. Zuerst dachte
ich: «Hübsch!». Dann sah ich die an den Dekken befestigten Monitore, die permanent und
penetrant die Schweiz von ihrer schönsten
Seite zeigen: Matterhorn, Jungfraujoch, Lago
di Lugano. Dabei kann man in einem Cisalpino
unmöglich fernsehen: Es wird einem früher
oder später übel. Kurz nach Abfahrt kam dann
die erste Ansage – wir waren meines Erachtens
in Milano – auf französisch. Dann kam sie auf
englisch, dann auf italienisch und dann auf
deutsch. Das ging die ganze Fahrt über so, bis
Bern. Wenn wir denn irgendwann in Bern angekommen wären ... Im Wallis stand das gute
französische Fabrikat still. Ja, es schneite und
war kalt – aber sollte ein CisALPINO nicht
eigentlich den Klippen des Winters gewachsen
sein? Doch dann merkte ich, dass es an etwas
anderem lag. Ich sass zufälligerweise direkt
hinter dem «Cockpit» und hörte den Lokführer
mit Mailand telefonieren: „No, ähm, come dice
il ähm come dice – non funziona, si!» Meine
Ohren wurden während des Gesprächs länger
und länger. Das also war das Problem in der
cisalpinesken Zusammenarbeit: die mangelnde
Verständigung! Ich konnte es kaum glauben.
Die Heizung lief nicht, draussen war es knapp
unter null Grad, meine leichte Winterjacke für
römische Novembertage wärmte nur mässig,
und wir sassen wegen mangelnden Vokabulars
der Techniker beidseits der Alpen in Brig fest.
Halleluja! Da dämmerte mir, dass es noch andere
Aufgaben gäbe, als der hehren Politik kritisch
schreibend auf die Finger zu schauen, nämlich
die der Verständigung zwischen den Völkern.
Oder in diesem Falle: der Verständigung zwischen Nord und Süd, zwischen zurückhaltender
Korrektheit und impulsiver Lebenslust, zwischen durchstrukturierter Zugwartung in Muttenz und spontanen caffé-Pausen in Mailand,
zwischen deutsch und italienisch. Viva la multiculturalità! Der Weg ist noch weit.
30
in sich birgt, lässt sich vielleicht damit erklären, dass alles andere als ein währschafter
4/4 ohne Firlefanz die Tanzenden eher vor den
Kopf stösst als beschwingt. Partygänger mögen
im Allgemeinen keine grossen Überraschungen
und fühlen sich am wohlsten, wenn sie ihrem
Beinschlag die ganze Nacht treu bleiben können. Auch als DJ bietet ein solides und in sich
unkompliziertes Grundgerüst eben die Möglichkeit, weit auszuholen und verschiedenste Facetten dazuzufügen. Die Herausforderung wird
damit nicht mehr eine technische – wie virtuos
spiele ich mit den Plattenspielern – sondern
vielmehr eine inhaltliche – wie weit treibe ich
das Spiel weg von meinem Grundgerüst, will
ich einfach bedienen oder auch ab und zu auch
vor den Kopf stossen? Die Round Table Knights
sehen sich ganz klar als Agenten des letzteren.
Gerade in den Momenten, wo es unmöglich
scheint oder alles andere erwartet wird, brechen die Zwei ihr Set gerne auf und führen ihre
Beweiskette weiter; dass es in der Musik keine
Grenzen gebe – sie überzeugen offenbar.
Hinter all dem steht kein Masterplan, wie
man vermuten möchte. Marc betont, dass er
genau das Gleiche auch machen würde, wenn
er seinen Lebensunterhalt nicht damit bestreiten könnte, und so bleiben die zwei frei von
Verpflichtungen und Vermarktungsstrategien.
Sie sind unkompliziert und verspielt, auch wenn
im Hintergrund mittlerweile mehrere Leute an
dem Unternehmen Round Table Knights feilen.
Sie zeigen sich unbeschwert und ohne Zukunftsängste, natürlich könne es sein, dass der
Tag komme, wo sie nicht mehr gefragt seien,
aber vielmehr haben sie das Vertrauen, dass
sich das über die Jahre geschaffene, internationale Netzwerk, aus Musikern mit ähnlichen
Visionen, sich als tragfähig erweisen wird. Sie
vertrauen auf ihre Herangehensweise, die sie
bisher gut geleitet hat, einfach immer weiter
der Nase nach, tun, was ihnen in den Sinn
kommt, Neues ausprobieren und schauen, wohin es sie trägt. Auch sehen sie sich noch lange
nicht an ihrem Ziel angekommen: Momentan
kümmern sie sich gerade um ihre neuste Eigenproduktion, eine EP mit dem Namen Calypso.
Das Schaffen von eigener Musik ist ihr nächster Prüfstein. Mit ihren Ideen gehen sie zum
Musiker und Produzenten Benfay, der ihnen
bei der Umsetzung hilft. Sich mit ihrer eigenen
Musik etablieren zu können, ist die nächste
Sprosse auf der Leiter zum Olymp der zeitgenössischen Disco-Tanzmusik. Das Schöne dabei
ist, dass die Beiden entspannt auf dem Teppich
bleiben – nur, dass sie gerade dabei sind, ihren
grossen Traum in der Wirklichkeit zu erleben.
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Karte
Music & Sounds
M USIKKULTUR
Das Berner Symphonieorchester:
weiterhin Spielball der freien Marktwirtschaft oder Hoffnungsträger?
Von Karl Schüpbach – Frei erfundenes Gespräch zwischen einem Politiker und
einem pensionierten Mitglied des Berner Symphonieorchesters (1. Teil) Bild: BSO / zVg.
D
er Politiker: Ich habe in meiner Fraktion
den Inhalt unserer Gespräche zusammengefasst. Dabei ist der Wunsch geäussert worden, Sie möchten sich noch vertieft über die
scharfe Kritik an dem Bericht Häring äussern.
Der Musiker: vorerst möchte ich Ihnen danken, dass es mit Ihrer Hilfe gelungen ist, einen
Dialog zwischen der Fraktion einer politischen
Partei und einem Musiker im Ruhestand aufzubauen. Die Worte des ehemaligen Gemeindepräsidenten von Worb bleiben mir unvergesslich: Wenn eine fruchtbare Kulturförderung
erfolgreich sein will, so ist es unumgänglich,
dass beide Seiten, Politiker wie Kunstschaffende, gegenseitig vorhandene Informationslücken schliessen.
Ich habe Ihnen ja gesagt, wie sehr mich meine Wissenslücken über Ihren Beruf, und alles,
was mit ihm zusammenhängt, verunsichert haben.
Bevor ich auf Ihre Aufforderung einer Präzisierung meiner Ausführungen zurückkomme,
spreche ich noch über ein Unbehagen, das
mich im Zusammenhang unseres Austausches
immer wieder befällt: Gegenstand unserer Diskussion ist ja die Zukunft des Berner Symphonieorchesters (BSO) und des Stadttheaters Bern
(STB). Der Vorstand der Regionalen Kulturkonferenz Bern (RKK) diskutiert diese Probleme
seit Monaten hinter verschlossenen Türen. Diese Geheimhaltung ist meines Erachtens völlig
fehl am Platz, und sie kann doch allzu leicht
zur Folge haben, dass wir durch eine trockene
Pressemeldung über Beschlüsse, die der RKK
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
Vorstand gefasst hat, mangels Wissen ins Unrecht gesetzt werden.
Da gebe ich Ihnen Recht, das Vorgehen ist
nicht transparent, und die Politik der vollendeten Tatsachen ist abzulehnen. Im konkreten Fall
erfolgen unsere Vorbehalte wohl zu spät, aber
für sicherlich folgende weitere Entscheide dieser Tragweite muss dringend eine andere Form
gewählt werden.
Doch nun zurück zum Bericht Häring mit
seinen Lösungsvorschlägen. Es mag Sie überraschen, aber meine Einstellung hat sich seit
unserem letzten Gespräch verändert – oder
besser: Sie ist differenzierter geworden. Vorerst hat Empörung vorgeherrscht, es wäre ja
auch verständlich, wenn sich eine seit Jahren
angestaute Wut explosionsartig entladen hätte, eine Frustration über ungerechte Statuten
mit ihrem Freiraum für Fremdbestimmung,
über Arbeitsbedingungen im Theater, die immer wieder eine Gefahr für die Gesundheit
darstellen, über Lohnverhältnisse, die das BSO
auf den skandalösen vorletzten Platz der Gehaltsskala der Schweizerischen Symphonieorchester abrutschen lassen. Diese Eruption ist
nicht erfolgt, ich sehe zwei Gründe: Der eine
liegt im Orchester begründet, der andere bei
mir selbst Ich beobachte meine Kolleginnen
und Kollegen im BSO, sie leiden genau so wie
ich seinerzeit unter den gerade geschilderten
Widerwärtigkeiten. Gleichzeitig kommt es
mir aber so vor, als würde der gesamte Klangkörper mit seiner überaus glücklichen altersmässigen Durchmischung gemeinsam Atem
holen, um einer Aufbruchstimmung Gestalt zu
geben, die, in Worte gefasst, etwa lauten würde: «Wir stellen unser Können in den Dienst
einer qualitativen Aufwärtsbewegung, die wir
spüren und auf die wir stolz sind». Mich erfüllt
dieses spürbare Setzen einer Priorität mit Bewunderung. Ich muss aber dringend vor einer
Ausnützung dieser Situation warnen, im Sinne
von: «Es ist ja alles in bester Ordnung». Der
Krug geht bekanntlich solange zum Brunnen …
Ihre engagierte Schilderung des Leistungswillens der Musikerinnen und Musiker des
BSO kann von interessierten Publikumskreisen
nachempfunden werden, die enormen Fortschritte des Orchesters sind evident. Welches
sind nun die persönlichen Gründe für Ihre geänderte Sichtweise?
Entscheidend ist für mich die Erkenntnis,
dass Herr Häring und sein Team, nicht als eigenständige Personen sprechen und handeln.
Wenn dem so wäre, müsste sich in der Tat ein
Gewitter von Kritik und Abwehr über ihnen entladen. Untersucht man die Schlussfolgerungen
von Herrn Häring, wird sofort offensichtlich,
dass hier im Namen der freien Marktwirtschaft
gesprochen wird, dass die Empfehlungen des
Berichtes von kapitalistischer Denkweise geprägt sind. Grotesk wird es bei Herrn Häring,
wenn er von «gleichbleibende Mittel, Sparmassnahmen, Abbau von Aktivitäten, Fusion
oder Zusammenlegung, Synergien schaffen»,
spricht. Dies könnte das Bekenntnis eines xbeliebigen Managers sein, der gezwungen ist,
seinen Betrieb wieder auf die Strasse der Ren-
31
Music & Sounds
dite zu führen, wobei es völlig uninteressant
ist, wer unterwegs auf der Strecke bleibt. Wenn
die Schlussfolgerungen von Herrn Häring aber
dermassen von der freien Marktwirtschaft dominiert sind, so ist er als Akteur beliebig austauschbar, seine Denkweise ist, individuell gesehen, nicht mehr entscheidend.
Falls ich Sie richtig verstehe, macht es wenig Sinn, einzelne Personen zu kritisieren. Von
Interesse ist vielmehr die Zukunft von zwei
gros-sen kulturellen Institutionen unserer Stadt
unter dem Einfluss der freien Marktwirtschaft?
Genau. Bevor ich auf diese alles entscheidende Frage eingehe, möchte ich auf eine eklatante Schwäche unserer Strukturen hinweisen,
die schon erwähnte Fremdbestimmung. Es
lässt sich nicht weg diskutieren: Ein Kulturmanager mag noch soviel von Kunst verstehen,
wenn er nicht als Musiker auf dem Konzertpodium oder im Orchestergraben arbeitet, wenn
er nicht am eigenen Leib empfinden muss, was
es bedeutet, als Dirigent, Sänger, Schauspieler,
Tänzer oder Chormitglied auf der Bühne zu stehen, wenn er diese Bedingungen nicht erfüllt,
wird er die Probleme in ihren feinsten Verästelungen nicht verstehen können. Im konkreten
Falle hindert dies Herrn Häring aber nicht daran, seine Empfehlungen auszusprechen, als ob
er vom Fach wäre. Direkt betroffene Künstler
hätten den Auftrag des Vorstandes RKK völlig
anders in Angriff genommen. Weiter: Der Vorstand RKK sah sich – zu Recht – ausser Stande,
als Laien, die komplexen Probleme zwischen
dem BSO und dem STB zu durchschauen. Die
Lösung, die er trifft, ist an Inkonsequenz nicht
zu überbieten: Er delegiert die Aufgabe an andere Laien!
Wo liegt der Unterschied?
Wir würden erbittert dafür kämpfen, dass
im Dialog Politik-Kultur die Prinzipien der
freien Marktwirtschaft eine alles dominierende Stellung einnehmen! Ich habe bewusst
das Verb «erbittert» gewählt, und ich mache
mir keinerlei Illusionen. Seit ich denken kann,
waren und sind immer die Prinzipien und das
Vokabular der Marktwirtschaft die alles dominierenden Elemente, auch die Kultur muss sich
da unterordnen.
32
Können Sie diese Aussage in Bezug auf das
BSO untermauern?
Gerne. Der grösste künstlerische Banause
wird der Erkenntnis zustimmen müssen, dass
die «Produkte» Konzert, Musiktheater und
Ballett in Bezug auf Qualität und Erfolg nicht
messbar sind. Herr Hayek dagegen, kann die
Qualität seines Produktes, der Uhren, genau
überprüfen und daraus die nötigen Schlüsse
ziehen, um seinem Unternehmen den Erfolg
zu sichern. Dieser entscheidende Unterschied
hindert die politisch Verantwortlichen nicht
daran, den kulturellen Institutionen einen
Leistungsauftrag vorzuschreiben. Leider kann
hier nicht vorgeschrieben werden, die 1. Violinen hätten pro Spielzeit so und so viele richtig
gespielte Noten abzuliefern! Schon allein daraus wird ersichtlich, dass diese Leihgabe aus
dem Wortschatz der gewinnorientierten Wirtschaft – Leistungsauftrag – völlig absurd ist.
Ich habe von der uneingeschränkten Vorherrschaft der Marktwirtschaft gesprochen. Der
erwähnte Terminus und – schlimmer – seine
Prinzipien werden dennoch angewendet: Man
gibt sich dem irrigen Glauben hin, messbare
Grössen wie «durchschnittliche Auslastung»
oder «Eigenfinanzierung» brächten die Lösung, entsprechende Zahlen werden aus dem
Hut gezaubert und verbindlich vorgeschrieben.
Abweichende Zahlen nach unten werden mit
«Leistungsauftrag nicht erfüllt» benotet.
Ich sehe ein, dass ein Leistungsauftrag nicht
das Ei des Kolumbus sein kann. Aber lässt sich
seine Legitimation wirklich völlig abstreiten?
Gerne lasse ich einige Beispiele folgen: Ein
sehr bekannter Dirigent, seine Qualitäten sind
weitgehend unbestritten, dirigiert im Casino
Werke mit grossem Popularitätswert und hohem künstlerischen Inhalt … der Saal bleibt
halbleer, der Applaus ist entsprechend dünn.
Andererseits passiert es immer wieder, dass
Dirigenten, die das Orchester nicht eindeutig
zu überzeugen vermögen, grosse Erfolge vor
vollem Saal feiern können. Ein Beispiel aus dem
Theater, das mir in besonders schmerzlicher
Erinnerung bleibt: Ein Tenor von Weltruhm
sang eine Hauptrolle in einer Mozart-Oper.
Er hatte den Zenit seiner Weltkarriere über-
schritten, für uns Musikerinnen und Musiker
des BSO grenzte das Ganze an Tragik. Nicht
aber für das Publikum im ausverkauften Haus,
sein grosser Name reichte immer noch aus für
einen triumphalen Erfolg. Auf einen Nenner gebracht: die Auslastung, und damit natürlich die
Eigenfinanzierungsquote einer kulturellen Veranstaltung sagen nichts Messbares aus über
die Qualität eines Konzertes oder einer Veranstaltung des Musiktheaters, weder in positiver
noch in negativer Hinsicht! Das einzig fassbare
Kriterium ist der menschliche, individuelle Geschmack und über den lässt sich bekanntlich
nicht streiten. Leistungsaufträge müssen also
in der Kultur versagen.
Wenn kein Leistungsauftrag, was dann?
Die vielleicht fast revolutionär anmutende
Forderung nach einer Kulturförderung, die
nicht sklavisch die Auflagen der Marktwirtschaft befolgt, muss in der Lage sein, eine
Alternative anzubieten. Sonst läuft sie Gefahr
im luftleeren Raum zu schweben. Ich wage den
Versuch einer Antwort: Der Auftrag an Kulturelle Institutionen wie das BSO und das STB
sollte also nicht mehr unter dem Blickwinkel
der Rentabilität erfolgen. Die Aufgabenstellung müsste folgende Grundhaltung zum Ausdruck bringen: Die freie Marktwirtschaft, der
Kapitalismus, die Geldgier, die Gewinnsucht,
haben die gesamte Menschheit an den Rand
des Abgrundes gebracht, ohne dabei ihre alles
umfassende Macht einzubüssen. Erinnert sei
nur an das Scheitern der Klima-Konferenz in
Kopenhagen, und die sich täglich mehrenden
Beispiele, wonach die Finanzwelt von einem individuellen, rücksichtslosen Egoismus dirigiert
wird, als wäre die weltweite Krise nur ein lästiges Jucken. Es ist genug, von dieser destruktiven Gesinnung muss sich die Kulturförderung
entscheidend distanzieren! Dadurch erhellt
sich die Stossrichtung eines oben erwähnten
Auftrages etwas: Es muss alles unternommen
werden, um möglichst viele Menschen an der
vom BSO und dem STB angebotenen Alternative teilnehmen zu lassen. Aber wie? Die intensive, tägliche Beschäftigung mit dieser Frage hat
einen Hoffnungsschimmer entstehen lassen in
der Erkenntnis, dass ein Umdenken nur mittels
Schneeballeffekt möglich sein wird. Konkret:
Wenn die Stadt, der Kanton und die Gemeinden
der Agglomeration den Mut aufbringen könnten einen anderen Weg aus der Krise rund um
das BSO und das STB zu finden, also nicht den
vom Bericht Häring vorgezeichneten, so könnte dieses Beispiel vielleicht den Schneeball zur
Lawine anwachsen lassen.
Wie könnte denn dieser Weg aussehen?
Wenn wir bejahen, dass die Empfehlungen
von Herrn Häring und seinem Team völlig von
materialistischer Denkweise geprägt sind und
wenn ihr abgeschworen wird, so wird die Antwort auf Ihre Frage von einer überraschenden
Logik beherrscht: fast alle Schlussforderungen
von Herrn Häring müssen in ihr Gegenteil umgewandelt werden. Doch der Reihe nach: Durch
den ganzen Bericht zieht sich wie ein roter Faden, dass wegen Geldmangels kein Franken an
Mehrsubvention geleistet werden könne. Diese
Behauptung ist absolut unglaubwürdig. Die
folgenden Beispiele sollen dies belegen: Der
Kubus beim Historischen Museum verursacht
bedeutende Mehrkosten. Der neue Museumsdirektor erklärt im Radio trocken, die Subventionsbehörden müssten die Mehrkosten übernehmen. So einfach ist das, das Geld wird fliessen.
Lassen Sie mich das Bärenpark-Debakel auch
erwähnen, auch hier wird ein Mehr an Geld gesprochen werden müssen. Weiter: Der Anbau
an das Kunstmuseum ist nicht am Geldmangel
gescheitert. In der Zusammenfassung behaupte
ich: Es fehlt nicht das Geld, um der Zukunft des
BSO ein anderes Gesicht zu verleihen, es fehlt
an der Überzeugung, dass es sich hier um eine
vitale Notwendigkeit handelt.
Wenn Sie so strikt die Einsicht fordern, dass
mehr Mittel fliessen müssen, werden Sie folgerichtig auch die von Herrn Häring vorgeschlagenen Sparmassnahmen zurückweisen.
In aller Entschiedenheit! Wenn wir über
die vorgeschlagene Verminderung von künstlerischen Aktivitäten im Casino und im Theater sprechen, so sehen wir uns mit der wohl
brutalsten Methode der Marktwirtschaft konfrontiert: totsparen. Gleichzeitig zeugt diese
Empfehlung von einem schier unerträglichen
Dilettantismus. Die Behauptung, der Abbau von
künstlerischen Aktivitäten, erlaube gleichzeitig
eine Steigerung der Qualität des Orchesters, ist
barer Unsinn.
Können Sie dies näher erläutern?
Vielleicht spielen Sie mit gleichgesinnten
Freunden in Ihrer Freizeit Streich-Quartette.
Dank einer gewissen Regelmässigkeit des Zusammenspiels haben Sie ein schönes Niveau
erreicht. Aus irgendwelchen Gründen müssen
Sie die Anzahl Ihrer gemeinsamen Übungsstun-
den drastisch reduzieren. Es gibt keinen Ausweg aus der traurigen Konsequenz: Sie werden
der erreichten Fertigkeit nachtrauern, und Sie
werden beim gemeinsamen Musizieren viel weniger Freude empfinden. Lassen Sie mich beim
Sport eine Anleihe machen: Aus finanziellen
und organisatorischen Gründen muss der BSC
Young Boys seine Trainingseinheiten reduzieren: Der Abstieg in die Challenge League ist
vorprogrammiert!
Ihr Gegenvorschlag?
Er wird Sie nicht überraschen, weil die Absage an gewohntes materialistisches Denken
besonders sichtbar wird: Das BSO muss in die
Lage versetzt werden, seine künstlerischen Aktivitäten wesentlich auszubauen. Wir müssen
gleichzeitig den Glauben an eine Zukunft vermitteln, den Glauben an eine Alternative zum
heutigen Pessimismus, zu den heutigen Ängsten. Finanzielle Überlegungen werden dabei
eine Rolle spielen, aber sie dürfen nicht mehr
die alleingültige Entscheidungsgrundlage abgeben.
Wo sehen Sie denn Ausbaumöglichkeiten?
Ich zähle sie Ihnen gerne auf. Dabei muss
ich aber betonen, dass das BSO mit seinem
heutigen Bestand nie alle Aufgaben, die es
unbedingt auf sich nehmen müsste, erbringen
kann. Die Schaffung von zusätzlichen Stellen
ist unumgänglich! Eine ganz primäre Forderung
an das Orchester ist es, neue Formen zu finden, um die Jugend abzuholen. Hier sind schon
Bestrebungen im Gang, die noch vertieft und
konkretisiert werden müssen. Ganz generell
muss unser Publikumskreis mit neuen Formen
ausgeweitet werden, wobei das traditionelle
Sinphoniekonzert im Casino nicht vernachlässigt werden darf. Ich stelle Ihnen zusätzlich ein
paar Fragen: Wieso spielt das BSO keine Tonträger ein? Wieso unternimmt das BSO höchstens eine Ausland-Tournee pro Jahr? Wieso ist
das BSO nie Gast bei internationalen Festivals?
Wieso wiederholt das BSO nicht regelmässig
seine Konzerte in der Schweiz? Wichtig ist es
mir auch festzuhalten, dass mit einer solchen
Ausweitung das erreichte Niveau des Orchesters noch gesteigert werden kann, und nicht,
wie vorgegaukelt, mit einer Verringerung der
Auftritte.
Ich fühle mich fast erschlagen, ich muss über
Ihre Argumente nachdenken. Ich bitte Sie, die
geplante Zusammenlegung der Dispositionen
und die Frage der Lohnerhöhung auf unseren
nächsten Gesprächstermin zu verschieben.
Ich danke Ihnen für Ihr geduldiges Zuhören.
Daphnis
et Chloé
musik.punkt.zwölf
Do, 07.01.10
12h00
Kultur-Casino Bern
Josep Pons
Dirigent
Maurice Ravel
Alborada del gracioso
Daphnis et Chloé
Suite Nr. 1 und Suite Nr. 2
Jardines
españoles
Symphoniekonzert
Do, 04.02.10
Fr, 05.02.10
19h30 Kultur-Casino Bern
Josep Pons Dirigent
Herbert Schuch
Klavier
Ravel: Alborada del gracioso
de Falla: Noches en los jardines
de España, Symphonische Impressionen für Klavier und Orchester
de Falla: Interludio y Danza aus:
«La vida breve»
Ravel: Daphnis et Chloé
Suite Nr. 1 und Suite Nr. 2
Karten: Bern Billett,
Nägeligasse 1A
T: 031 329 52 52
www.bernbillett.ch
www.bernorchester.ch
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
33
KONZERTE
IM PROGR
Mittwoch,
24. Februar
Gestaltung und Kunst,
Konservierung und
Restaurierung
Fellerstrasse 11
3027 Bern
Jazz, Weltmusik, neues Songwriting und Elektronik: bei bee-flat
prägen schweizerische und internationale Bands ein Live-Programm,
das Innovation und Qualität bietet – jeden Mittwoch und jeden
Sonntag in einem der stimmungsvollsten Lokale in Berns Stadtmitte.
03.02.10 Dejan Terzic Underground (CH/USA/Germany)
05.02.10 Electronic Tribal Dancefloor
07.02.10 Morphologue (CH)
10.02.10 WHO Trio (CH/IUSA)
14.02.10 Emily Jane White (USA)
17.02.10 Stiller Has (CH)
21.02.10 Elina Duni Quartet (CH)
24.02.10
- 28.02.10 Jazzwerkstatt Bern
03.03.10 Buffalo Collision (USA/F)
05.03.10 Electronic Tribal Dancefloor
10.03.10 Imogen Heap (UK)
14.03.10 Yasmin Levy (Israel)
17.03.10 The Young Gods Unplugged (CH)
21.03.10 Philippe Djian & Stephan Eicher (F/ CH)
24.03.10 Irène Schweizer & Pierre Favre (CH)
28.03.10 Solveig Slettahjell (Norway)
31.03.10 Schaerer/Oester (CH)
Konzertort: Turnhalle im PROGR
Speichergasse 4
3011 Bern
Programminfos: www.bee-flat.ch
Vorverkauf/Tickets:
www.starticket.ch
www.petzi.ch
OLMO Ticket,
Zeughausgasse 14, 3011 Bern
Musik und Bewegung /
Rhythmik
Alfred Aebi Strasse 75
2503 Biel
Theater
Sandrainstrasse 3
3005 Bern
Musik:
Klassik, Pädagogik,
Komposition, Musikund Medienkunst
Papiermühlestrasse 13a
3014 Bern
Schweizerisches
Literaturinstitut
Rockhall IV
Seevorstadt 99
2502 Biel
Jazz
Eigerplatz 5a
3007 Bern
Detailprogramme siehe:
www.hkb.bfh.ch
Infotag
Am 24. Februar 2010 öffnen wir die
Türen der Hochschule der Künste Bern und
orientieren Sie über die verschiedenen
Studiengänge und über die Berufe, auf die
unsere Ausbildungsgänge hinführen.
Zukünftige Studierende sind herzlich willkommen, Einblick in unseren Studienbetrieb zu nehmen, unsere Ateliers, Werkstätten, Forschungslabors und Übungsräume zu besuchen, mit Studierenden und
Dozierenden zu sprechen und sich einen
persönlichen Eindruck von der Hochschule
und ihren Angeboten zu machen.
An der Hochschule der Künste Bern
studieren Sie Ihr Fach in einer Umgebung,
in der Musik, Oper, Theater, Gestaltung,
Kunst, Literatur, Konservierung und Restaurierung in enge Nachbarschaft gerückt sind und sich neue Möglichkeiten
eröffnen. Dozierende mit internationalem
Netzwerk und Renommee, ein am Individuum ausgerichtetes Lehr- und Lernkonzept, eine hervorragende Infrastruktur
und ein herausforderndes Klima garantieren die hohe Qualität der Ausbildung.
Music & Sounds
CD-Anspieltipps
LISTENING POST
Von Lukas Vogelsang
LISETTE – SIWALOMA
F
PAPIK – THE
RHYTHM OF
LIFE (IRMA)
T
SICULOUNGE
PROJECT –
SCIURI SCIURI
W
ransatlantische Klänge, akustische Bilder
einer Metropole, in der das Leben nicht
nur tagsüber, sondern auch nachts pulsiert.
«The Rhythm Of Life» verkörpert den Herzschlag des urbanen Lebens Nordamerikas, wie
es mit den Augen des Römer Kompositeurs
Nerio Poggi gesehen wird. Poggi kann auf eine
erfolgreiche Musikkarriere zurückblicken, auch
wenn er selbst bislang nur vereinzelt im Rampenlicht gestanden hat. In enger Zusammenarbeit mit dem sizilianischen Soulsänger Mario
Biondi hat er in den vergangenen drei Jahren
die beiden Alben «Handful Of Soul» und die
Live-Doppel-CD «I Love You More» produziert
und erheblich dazu beigetragen, dass Biondi
ganz vorne auf den Hitlisten der italienischen
Albumcharts stehen konnte. Poggi kennt das
Rezept des Erfolges und setzt es in seinem Debütalbum zu seinen Gunsten um: «The Rhythm
Of Life», welches unter dem Projektnamen Papik erschienen ist, wendet sich einem kräftigen
Jazz zu, der, dank der maskulinen Stimme von
Jazz-Vocalist Alan Scaffardi und der eleganten
Performance von Ely Bruna, akustische Höhenflüge verspricht. Papik segelt auf einer neuen
italienischen Welle, die vom Arrangeur selbst
massgeblich mitgestaltet, wenn nicht sogar in
weiten Teilen vorgegeben wurde. Das Genre:
starker NuJazz mit Bigband-Charme – genau so,
wie er aus den Alben von Mario Biondi bekannt
ist. (ld)
em ist sie ein Begriff, die traditionell
sizilianische Musik? Vermutlich den
wenigsten von uns. Das erstaunt nicht: Abgeschieden und demzufolge nur schwer erreichbar, hat die Kultur dieser Mittelmeerinsel eine
marginale Wirkung auf unser mitteleuropäisches Kulturtreiben. Doch in Sizilien brodelt
nicht nur der Ätna, sondern allmählich auch
die Jazzszene. «Siculounge» titelt das Projekt
einer jungen Künstlertruppe aus der Küstenstadt Catania, die es sich zum Ziel gemacht hat,
klassische sizilianische Volkslieder in die Welt
hinauszutragen. Durch die Blume, sozusagen:
Das Debütalbum «Sciuri Sciuri» – ein alter sizilianischer Terminus für Blumen – hat die Neugier der NuJazz-Liebhaber geweckt. Es vereint
Lieder aus vergangenen Zeiten – die von Armut,
Leid, Hunger, aber auch von Liebe und Wärme
handeln – mit modernen Formen des Smooth
und Acid Jazz. Ein interessanter Ansatz, wie er
von Arrangeur und Projektleiter Mario Di Dio
begangen wird. Doch wie so oft, wenn etwas
neu ist, braucht es seine Zeit bis zur vollständigen Reife. Das ist auch hier der Fall: Die Instrumentalbegleitung stellt sich zu stark in den
Vordergrund und erdrückt den charaktervollen
Canto von Sängerin Cristina Russo. Trotzdem:
Wer musikalisch auf eine neue Erfahrung aus
ist, hat sie mit diesem Album auf jeden Fall gefunden. (ld)
Info: Papik, «The Rhythm Of Life» (Irma)
Info: Siculounge Project, «Sciuri Sciuri» (Halidon)
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
alls sich jemand durch diesen Winter
etwas geschüttelt fühlt, dem sei wärmstens ein das neueste Album von Lisette ans
Ohr gelegt. Winterlandschaften beginnen zu
klingen, in einem lieben, aber auch spannenden Jazzklang. Die Band um Lisette Spinnler
(voc) ist fantastisch – und mit Alex Hendriksen (t.sax, flute), Colin Vallon (p), Patrice Moret (b) und Michi Stulz (dr) auch nicht unterbesetzt. Lisette Spinnler überzeugt vor allem
durch die unscheinbar feine Präsenz in der
Stimme. Nie zuviel, nie zu wenig und dadurch
auch nach mehrmaligen Winterspaziergängen immer noch gerne gehört. Einfallsreicher
Jazz mit schönem Ambiente und eindringlichen Klangbildern.
Lisette Spinnler (1976) lebt in Basel und
wurde von Sandy Patton und Susanne Abbühl
unterrichtet, bis sie selbst an der Musikhochschule Basel als Dozentin einen Platz eingenommen hat.
Siwaloma spielt live am 12. Februar in der Mahogany Hall,
Bern, nur die Sängerin, Lisette Spinnler, zusammen mit
Christoph Stiefel, am 18. Februar im Jazzclub Uster.
Infos: www.lisettespinnler.com
Zingg
Ein filosofisches Gespräch:
Das Böse ist eine Wahnidee, die zwar in unseren
Köpfen herumspukt, für die
wir in der Realität jedoch
keine Entsprechung finden.
Michael Schmidt-Salomon 2009
Mittwoch, 24. Februar 2010, 19.15h,
Kramgasse 10, 3011 Bern, im 1. Stock
35
Kino & Film
M IT M ICHAEL S TUHLBARG
IM
G ESPRÄCH
«Ethan und Joel Coen haben mir
viele Freiheiten gelassen»
Interview: Sarah Elena Schwerzmann, London
Der in Filmkreisen relativ unbekannte
Schauspieler Michael Stuhlbarg verkörpert in «A Serious Man», dem jüngsten
Werk der Regisseure Ethan und Joel
Coen, einen jüdischen Familienvater
im Mittleren Westen der 60er-Jahre,
der durch eine Verknüpfung unglücklicher Begebenheiten auf eine ausgewachsene Lebenskrise zusteuert.
M
ichael Stuhlbarg, Sie sind im Filmgeschäft ein relativ unbekannter Name.
In «A Serious Man» von den Coens übernehmen Sie nun zum ersten Mal in einem Film die
Hauptrolle. Hatten Sie je Bedenken?
Ich war zu Beginn des Projekts zugegebenermassen unsicher. Besonders, weil sich Ethan
und Joel Coen lange auch nicht im Klaren zu
sein schienen, ob sie diese Rolle mit einem bekannten Namen oder einem neuen Gesicht besetzen wollen. Die Coens sind dann zum Schluss
gekommen, dass das Publikum die Geschichte
nur als glaubwürdig empfinden wird, wenn
sie von Menschen vorgetragen wird, die nicht
durch andere Filmprojekte oder private Eskapaden vorbelastet sind.
Haben Sie sich vor Beginn des Drehs mit den
Coens über das Konzept eines ernsthaften Mannes («serious man») unterhalten?
36
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
Nein, darüber haben wir nicht sehr ausführlich gesprochen. Ich glaube, das wäre auch
nicht gut gewesen, weil meine Figur Larry im
Film versucht, herauszufinden, was einen ernsthaften Mann eigentlich genau ausmacht. Den
Coens war es darum wichtig, dass ich mich auch
als Schauspieler auf die Suche begeben musste. Larry hört diese Bezeichnung erst, als er am
Trauergottesdienst seines Intimfeindes Sy Ableman teilnimmt und der Rabbi diesen als ernsthaften Mann bezeichnet. Das löst etwas in ihm
aus, und er fängt an, darüber nachzudenken,
wie er sein Leben eigentlich lebt und ob er in
den Augen seiner Gemeinschaft als ernsthafter
Mann angesehen wird.
Haben sie mit Ihnen dafür über die Botschaft
des Filmes gesprochen?
Nein, auch darüber haben wir nicht gesprochen. Ich glaube, Ethan und Joel Coen haben
versucht, das Leitmotiv und die verschiedenen
Konzepte im Film so offen zu lassen, dass sich
jeder seine eigene Interpretation zurechtlegen
kann. Jeder Mensch, der den Film sehen wird,
geht auf Grund seiner Lebenserfahrung und
seines kulturellen Hintergrundes anders an das
Thema heran, folglich wird auch jeder eine andere Botschaft im Film sehen. Das ist auch das
Ziel der Coens.
Wie hat die Zusammenarbeit mit den beiden
Regisseuren funktioniert?
Es war sehr spannend. Sobald ich erfahren
habe, dass ich den Part übernehmen werde habe
ich mich intensiv mit der Figur auseinandergesetzt, und dann haben sich Ethan und Joel Zeit
für mich genommen, um meine Fragen zu beantworten. Einige davon konnten sie mir nicht
beantworten, also durfte ich mir meine eigenen
Antworten zusammenreimen.
Das klingt, als hätte man Ihnen sehr viel
Freiraum gegeben?
Ja, auf jeden Fall. Die Coen-Brüder verbringen viel Zeit damit, die geeignete Person für
eine Rolle zu finden. Sobald sie die Figur aber
mit dem für sie richtigen Schauspieler besetzt
haben, lassen sie den mehr oder weniger in
Ruhe, damit er seine Arbeit machen kann. Das
war bei mir nicht anders. Genau diese Herangehensweise ist meiner Meinung nach auch Teil
ihres Erfolgsrezeptes.
Gab es Momente, in denen Sie sich verloren
gefühlt haben und sich mehr von den Regisseuren gewünscht hätten?
Nein, ich habe diesen Spielraum als sehr
grosszügig empfunden. Es hätte sein können,
dass ich mich an einem anderen Filmset alleine gelassen gefühlt hätte, aber dadurch dass
die Atmosphäre beim Dreh sehr entspannt war,
fand ich es eher befreiend. Die Coens arbeiten
seit ihrem ersten Film, das heisst seit mehr als
zwölf Jahren, mit demselben Team zusammen.
Kino & Film
Dadurch sind alle unglaublich gut aufeinander
eingespielt, und die ganzen Abläufe funktionieren reibungslos. Es gab keine Stresssituationen,
und wir haben den Film sogar eine Woche als
früher abgedreht.
Ethan und Joel Coen haben viele Rollen mit
zum Teil sehr unerfahrenen lokalen Schauspielern besetzt. War die Zusammenarbeit für Sie
eine Herausforderung?
Nein, es gab keine Probleme. Die meisten
Schauspieler waren aus Minneapolis und Umgebung, und sie waren zwar national relativ
unbekannt, hatten aber schon kleinere Rollen
beim lokalen Fernsehen gespielt. Die einzigen
Beiden, die bis zu diesem Zeitpunkt nur Schultheater gespielt hatten, waren die beiden Schauspieler, die meine Kinder verkörpern. Sie waren
sich aber unglaublich sicher, was ihre Rollen anging und konnten ihre Figuren sehr authentisch
spielen. Ich war sehr positiv überrascht.
Würden Sie die Familie Gopnik als typisch
jüdische Durchschnittsfamilie bezeichnen?
Ich würde diese Familie nicht unbedingt als
typisch jüdisch bezeichnen, sondern einfach als
amerikanische Durchschnittsfamilie der 60erJahre. Judith Gopnik, meine Frau im Film, ist
die religiösere von beiden Elternteilen. Sie ist
die treibende Kraft, wenn es um die religiöse
Erziehung der Kinder geht. Die Kinder wohnen
zwar noch zuhause, sind aber mit ihrem eigenen
Leben beschäftigt. Danny muss sich auf seine
Bar Mizwa vorbereiten, interessiert sich aber
eigentlich in erster Linie leider nur für Drogen.
Und meine Tochter Sarah ist nur damit beschäftigt ihr Haar zu waschen und mit ihren Freunden abzuhängen.
Wo bleibt in Ihrer Beschreibung Larry, der
Mann des Hauses?
Larry ist total überfordert. Alle scheinen ihren eigenen Weg zu gehen und ihre eigenen Probleme zu haben, und Larry versucht dabei die
Übersicht zu behalten, wer wo ist und was jeder
gerade so macht. Jedes Mitglied in der Familie
lebt in seiner eigenen Welt. Sie erinnern mich
an Satelliten, die um denselben Mittelpunkt
kreisen, sich aber nie wirklich nahekommen.
Und dann tritt der schleimige Sy Ableman
ins Leben von Larrys Frau Judith und wirft damit alle aus der Bahn. Wie würden Sie die Beziehung der beiden beschreiben?
Sy Ableman ist einer dieser Menschen, die
einen Raum nur durch ihre Präsenz unter ihre
Kontrolle bringen. Larry dagegen ist ein Mann,
der die Energie beansprucht, die in einem Raum
entsteht. Larry reagiert, im Gegensatz zu Sy, der
agiert. Wenn die Beiden im Film aufeinandertreffen, dann verhalten sich, als wären sie einander scheinbar zugetan, aber eigentlich verfolgt
Sy nur seine Ziele. Larry hingegen versucht, zu
verstehen, was mit ihm passiert.
«A Serious Man» wurde bisher von der jüdischen Gemeinschaft in Amerika sehr gut aufgenommen. Hat niemand gewisse Darstellungen
als stereotypisiert empfunden?
Nein, das glaube ich nicht. Ethan und Joel
Coen arbeiten ihre Figuren sehr liebevoll aus
und schaffen es dabei immer, ein Element von
Übermut und Spass mit einzubringen. Das führt
dazu, dass selbst diese ganz archetypischen Figuren nicht unbedingt als steif und langweilig
daherkommen. Das ist eine besondere Eigenschaft der Coen-Filme.
Sie haben in Ihrer kurzen Filmkarriere auch
schon mit zwei anderen renommierten Filmemachern gearbeitet. Wie hat sich die Arbeitsweise Ridley Scotts und Martin Scorseses von
der von Ethan und Joel Coen unterschieden?
Die Herangehensweise war bei Beiden ganz
anders. Für Ridley Scott geht es darum, bei seinen Schauspielern Automatismen zu schaffen.
Er lässt einen eine Szene so oft wiederholen, bis
man vergisst, was man eigentlich zu tun hat. Ich
habe eine Woche in Washington D.C. verbracht,
um «Body Of Lies» (deutscher Titel: «Der Mann,
der niemals lebte») mit Leonardo DiCaprio, dessen Anwalt ich spiele, zu drehen.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben?
In einer Szene spreche ich am Mobiltelefon
mit Mister DiCaprio, ich habe eine Aktentasche
in der einen Hand und balanciere in der anderen einen Stapel Bücher, und ich musste mich
darauf konzentrieren, dass mir nichts auf den
Boden fällt. Gleichzeitig sollte ich mich durch
eine Drehtür quetschen und etwa 50 bis 60
Statisten, die entweder aus dem Gebäude herauskommen oder hineingehen, ausweichen. Es
war, als würde man versuchen, eine Million Din-
ge gleichzeitig zu machen. Wir haben die Szene
etwa 17 Mal wiederholt, bis ich alle Abläufe so
weit automatisiert hatte, dass ich mich voll und
ganz auf das Gespräch konzentrieren konnte. Es
war ein gutes und befreiendes Gefühl.
Wie war es mit Martin Scorsese?
Mit Mister Scorsese ist alles sehr praktisch
und intensiv. Er ist unglaublich aktiv und hat
genaue Vorstellungen davon, wie die Dynamik
der Szene sein soll. Er spricht sehr schnell und
schnippt dauernd mit den Fingern, wenn er einem Anweisungen gibt. Wir haben alle Szenen
auf ganz viele verschiedene Arten gespielt. Ihm
geht es darum, zu experimentieren und spielerisch zu arbeiten.
Was genau haben Sie mit Scorsese gedreht?
Es war ein Werbefilm für die ChampagnerMarke Cava Freixenet. Die haben ihm einen
Haufen Geld gegeben und gemeint: «Mach damit, was immer du willst.» Das hat er sich natürlich nicht zweimal sagen lassen, und hat aus
seinem Fundus von Hitchcock-Memorabilia drei
Seiten eines Drehbuches hervorgezaubert, die
der Meister selbst nie verfilmt hatte. Er hat das
Material auf eine Art und Weise inszeniert, von
der er das Gefühl hatte, Hitchcock hätte es auf
dem Höhepunkt seines Schaffens genauso gedreht. Es war eine sehr spannende Erfahrung.
Film: «A Serious Man» von Ethan und Joel Coen,
mit Michael Stuhlbarg u.a. Der Film läuft zur
Zeit im Kino.
ensuite
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«Kultur braucht Plattform»
37
F ILMTALK
Wer
redet da
über
Humor?
Guy Huracek im Gespräch mit Viktor Giaccobo und Mike Müller
H
err Giacobbo, Sie arbeiten als Komiker,
Drehbuchautor und leiten auch das Casinotheater in Winterthur. Was ist eigentlich Ihre
Berufsbezeichnung?
Ich überlasse die Bezeichnungen meistens
den anderen. In der Steuererklärung steht Kabarettist und Autor. Das ist die stiere Berufsbezeichnung, manchmal bin ich halt Schreiber,
manchmal Schauspieler, Produzent, Moderator
oder Verwaltungsratpräsident. (schaut ernst,
beugt sich nach vorne und sagt leise) Ich bin
ein bisschen überfordert mit dieser Frage.
Haben Sie einen Lieblingswitz, Herr Giacobbo?
(Antwortet wie aus der Pistole geschossen):
Nein. Ich habe keinen einzelnen Witz, und ich
erzähle auch keine Witze. Ich habe es gern,
wenn der Witz spontan aus dem Gespräch entsteht. Geschriebene, beziehungsweise auswendig gelernte Witze sind für die Bühne oder das
Fernsehen. Konfektionswitze habe ich nicht,
und ich kann mir auch keinen merken.
Sie mögen also Situationskomik?
Ja. Ich meide Witze-Erzähler. Wenn jemand
anfängt Witze zu erzählen, weiss man, wenn
man ihn nicht stoppt, ist er in einer Stunde immer noch dran.
Bei Spontaneität besteht die Gefahr, Grenzen zu überschreiten: Was ist für Sie im Humor
ein Tabu?
Ich habe grundsätzlich keine Tabus. Der Begriff Tabu ist mir eh zu pompös, und ich beurteile Themen auch nicht nach Tabu und NichtTabu. Es gibt Jokes, die ich nicht machen will,
weil ich sie nicht lustig finde. Man kann also
sagen, Tabu ist ein Joke, der nicht funktioniert.
Ich spreche Sie vor allem auf gesellschaftliche Tabus an.
Hier kommt es drauf an, was der Satiriker
sagen will und wen er treffen will. Es hängt von
38
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
seiner Zielscheibe ab. Wenn er Leute treffen
will, die sowieso immer an die Kasse kommen,
dann kann er das machen, aber es fällt auf ihn
zurück. Ich meine hier jetzt gesellschaftliche
Gruppen und nicht einzelne Politiker. (überlegt,
schmunzelt) Die müssen damit leben.
Können Sie dies konkretisieren?
Sagen wir mal, es macht jemand einen antisemitischen Witz, dann fällt das auf ihn zurück.
Dann gibt es auch die Witze, die beispielsweise
eine antisemitische Haltung thematisieren, das
könnte man dann als Metahumor bezeichnen.
Das heisst: Die Leute müssen um zwei Ecken
herumdenken können und das Subjekt nicht mit
dem Objekt verwechseln. Tabu oder nicht Tabu,
damit kann ich eigentlich nicht viel anfangen.
Aber Euer Humor provoziert auch. wie weit
dürfen Sie da gehen?
Provozieren soll es gelegentlich auch. Das
hat mit Tabus nicht viel zu tun. Natürlich, jeder
Joke über den Papst ist ein Tabu für einen fundamentalistischen Katholiken. Aber das ist nicht
mein Tabu. Mein Tabu wäre … (überlegt) ... mich
missverständlich auszudrücken und jemanden
aus Versehen zum Ziel zu nehmen. Oder mich
über anonyme Opfer lustig zu machen. Aber das
würde ich nicht mit dem Wort Tabu belegen,
sondern ich würde sagen, dass ich darüber einfach keinen Joke machen will. Das Wort Tabu
löst bei einigen Leuten ein spontanes Denkverbot aus und gleichzeitig fallen sie in einen Empörungsmodus.
Worüber möchten Sie denn keinen Joke machen?
Beim Fernsehen zum Beispiel möchte ich
nicht irgend einen Unbekannten vor die Kamera
zerren und lächerlich machen. Bei Strassenumfragen wird dieser Vorsatz zwar etwas geritzt,
doch die Leute treten freiwillig vor die Kamera.
Für mich sind das Grenzen, wo man entscheiden
Bilder: Christian Harker
muss, will man das senden und sich die Leute
selber lächerlich machen lassen oder nicht?
Die Sendung Giacobbo/ Müller zielt auf viele
aktuelle Themen. Verbirgt sich in Ihrem Humor
eine Kritik an der Gesellschaft?
Verbirgt? Ich kenne kaum einen guten Komiker, der morgens aufsteht und sagt, heute bin
ich wieder mal streng gesellschaftskritisch. So
entsteht garantiert keine lustige Pointe. Komiker gehen vom Witz aus. Sie wollen die Leute
unterhalten – mit Humor und Witz und nicht
mit Gesellschaftskritik. Die Satiriker allerdings
unterhalten die Leute mit Witzen, die sie aus
der Realität schöpfen. Dabei brauchen sie eine
Ingredienz, die unverzichtbar ist, einen eigenen
Standpunkt. Wenn jemand eine Haltung hat,
dann muss er sich nicht überlegen wie gesellschaftskritisch er ist. Jeder gute Satiriker macht
zwischendurch eine Pointe, die er einfach lustig
findet, Gesellschaft hin oder her. Und so funktioniere ich auch. Die Satire ist in erster Linie eine
Form der intelligenten Unterhaltung und nicht
der didaktisch-moralischen Erbauung.
Wie sehen Sie die Zukunft von der Sendung
Giacobbo/ Müller?
Ouu, da sehe ich immer nur die nächste Sendung. Solange wir Lust haben, die nächste Sendung zu machen, sehe ich die Zukunft relativ
gut. Ich habe schon früher immer nur so lange
etwas getan, wie es mir Spass machte. Für mich
ist das Fernsehen nicht das Ein und Alles.
Was ist dann das Ein und Alles für Sie?
Es gibt das Ein und Alles nicht. Es gibt einfach viele verschiedene Möglichkeiten, kreativ
zu arbeiten. Das Schöne an meiner Tätigkeit ist,
dass ich wechseln kann. Ich kann nicht sagen
wo Giacobbo/ Müller in einem Jahr steht. Ich
mache prinzipiell nur Jahresverträge, damit ich
dann aufhören kann, wenn es mir keinen Spass
mehr macht.
Kino & Film
H
err Müller, wie weit darf man im Humor
gehen?
Es ist eine reine Geschmacksfrage. Wir gehen nur so weit, wie es unser Geschmack zulässt. Solange wir es lustig finden, machen wir
es. Es gibt eine juristische Seite. Wir haben in
der Schweiz, wie auch in vielen europäischen
Ländern, das Prinzip der Konzession. In der ist
ziemlich klar festgelegt, was man darf und was
man nicht darf.
Was darf man beispielsweise nicht?
Man darf beispielsweise keine religiösen
Symbole in den Dreck ziehen. In der Satire ist
dies kein Problem. Ein religiöses Symbol hat in
der Regel nichts mit einer politischen Aktualität
zu tun.
Aber in der Sendung Giacobbo/ Müller haben Sie auch die Minarette thematisiert.
Ja. Aber bei den Minaretten ist das etwas
Anderes. Wir haben nicht irgendwelche Witze
über die Minarette gemacht, sondern über die
Minarett-Initiative. Ich finde nicht, dass die Satire alles darf. Die Grenze liegt zwischen dem,
was man lustig findet und was nicht. Machen
wir ein Beispiel. Verschüttete Kinder in Haiti.
(schaut ernst) Es ist einfach eine tragische Geschichte. Ein anderes Beispiel: Ein Jugendlicher
wurde in Aarau niedergeschlagen. Kommt jemandem etwas Lustiges in den Sinn? Mir nicht.
Sind Witze über tragische Geschichten für
Sie generell geschmacklos?
Was heisst schon geschmacklos, das ist von
Fall zu Fall zu entscheiden. Ich finde es einfach
nicht lustig. Harte Witze finde ich dann nicht
lustig, wenn es nur darum geht, zu beweisen,
dass man hart ist. Provokation um der Provo-
kation willen, das interessiert mich nicht. Das
gibt es zwar in der Komik. Aber jeder soll selber
entscheiden können, ob er das machen will oder
nicht.
Welche Themen interessieren Sie?
Mich interessiert ein politischer oder aktueller Witz. Das kann auch nur eine Bemerkung
sein. Wir machen ja auch nicht nur Witze, sondern auch viele Bemerkungen, spotten, reden
über ein Thema. Es gibt verschiedene Ebenen
von Witz, Humor oder Komik. Es ist manchmal
lustig, wenn sich eine Figur in einer falschen
Situation falsch verhält. Das ist dann Situationskomik.
Ihre Sendung vertritt Ihre Meinung. Haben
Sie auch eine Message?
Nein wir haben keine Message. Das wäre fatal. Wir haben eine Haltung zu den politischen
Ereignissen. Das braucht es auch. Es ist aber
sehr subjektiv. Ich verstehe daher auch, wenn
Leute anderer Meinung sind und es nicht lustig
finden. Wenn wir eine Message hätten, würde
das bedeuten, dass wir in Anspruch nehmen, gewisse Sachen besser zu wissen als andere. Wir
gehen davon aus, dass unser Publikum politisch
interessiert ist. Aber wir machen dies nicht, weil
wir für politisch Interessierte etwas machen
wollen. Wir machen es, weil es uns interessiert.
Das könnte man zwar als Egoismus auslegen,
aber ich glaube, dass das in der Komik gar nicht
anders möglich ist. In der Satire kann man nur
das machen, was einen selber interessiert, sonst
ist man nicht lustig.
Wie unterscheidet sich Giacobbo/ Müller
hinsichtlich der politischen Satire im Vergleich
zu einer deutschen Late-Night-Show?
Unsere Sendung bildet eine andere politische
Wirklichkeit ab als in Deutschland. In Deutschland gehen Politiker selten in eine Late-NightShow. Bei uns geht das, weil die Politik breiter
verhandelt wird. Sie ist näher an den Leuten,
das Land ist kleiner, man hat mehr Auseinandersetzungen. Durch das Referendum haben
wir eine viel stärkere Durchmischung mit der
Gesellschaft – ich erachte das als einen riesigen
Vorteil. Auf jeden Fall haben wir die «Classe-politique» nicht, wie die SVP es ständig behauptet.
Das trifft eigentlich nur auf sie selber zu, weil
sie permanent Wahlkampf führen (läuft rot an).
Die SVP ist eine »Classe-politique», eine neue.
Aber sonst sind die Parlamentarier näher an den
Leuten. Das heisst aber nicht, dass sie die richtigen Lösungen finden, wie beispielsweise bei
den Krankenkassen.
Von welchen Gruppen erhalten sie am meisten negatives Feedback?
Die bösesten Briefe bekommen wir von religiös-fundamentalistischen Gruppen. Die fühlen
sich ständig angesprochen. Sie sind erstens Humorfrei – egal welche Religion – und zweitens
sprechen sie immer von Diffamierung, obwohl
sie in ihrem Weltbild selber diffamieren. Zum
Beispiel Schwule, Unverheiratete, die Sex haben,
Verheiratete, die ausserehelichen Sex haben und
einfach Leute, die nicht in ihr Weltbild passen.
Ein Beispiel ist die katholische Kirche, die hat
fundamentalistisches Gedankengut. Zumindest
der Papst. So wie der über andere Randgruppen
spricht, haben wir noch jahrelang das Recht,
über die katholische Kirche herzuziehen.
39
Kino & Film
TRATSCHUNDLABER
M
Von Sonja Wenger
ainstream ist ja nichts Schlimmes,
schliesslich beisst niemand die Hand,
die einen mit Futter versorgt. Aber gewisse Fragen lassen sich manchmal schwer verkneifen.
Beispielsweise, was denn in dieser Welt genau
einen Newswert besitzt und welche Nachrichten es neben beliebter Elendsästhetik, kleingeredeten Verbrechen und dem üblichen Kriegsgedöns noch in die Tagesschau des Schweizer
Fernsehens schaffen. Richtig: Es ist der unmöglich-mögliche Bruch von Brangelina. Es ist
die Unvorstellbarkeit, die Namen in Zukunft
aufbrechen zu müssen. Es ist die Erleichterung,
dass auch bei Schönen und Reichen eine Beziehung offenbar in Scherben enden kann, und es
ist natürlich die Aussicht, dass das Spielchen
«zerbricht die nächste Star-Ehe?» von Neuem
anfängt, weil sich Angie nun jemand anderes
für ihren Geburts- und Adoptionswahn suchen
muss. Allzu schwer dürfte es aber nicht werden,
das hat der britische Schauspieler Ricky Gervais
bei der Verleihung der Golden Globes vorweg
genommen: Mit Stars könne sich jeder identifizieren, und «die armen Kinder dieser Welt»
würden beim Anblick von Angelina erfreut ausrufen: «Mummy!».
Für die nächste Tagesschau sind demnach
weitere durchbrechende News gefragt. Wie wäre
es denn damit: Heidi Klumdumm hat seit Ende
Januar eine Wachsfigur bei Madame Tussauds
in Berlin – unbestätigt ist nur noch, dass man
für die Einweihung aus Versehen der Echten ein
Tuch übergeworfen hatte und Heidis nervendes Dauergrinsen daraufhin abgebrochen sei.
Bestätigt ist, dass Conan O'Brien laut BBC 45
Millionen US-Dollar dafür erhält, dass er die
«Tonight Show» aufgibt und Jay Leno die Rückkehr ermöglicht. Gerüchten zufolge sollen beide
Showmaster daraufhin in Tränen ausgebrochen
sein. In schallendes Gelächter würde mit Sicherheit die US-Klatschpresse ausbrechen, wenn
sie wüsste, dass Tiger «Schniedel» Woods laut
«Blick am Abend» mit Präsident Barack Obama
den «mächtigsten Freund» habe, den es gibt.
Alles nur, weil Obama sagte, «dass man Woods
bald vergeben wird, da er so viel für den Sport
und Amerika getan hat».
Böse Zungen wurden kürzlich im Zürcher
Albisgüetli gebrochen, als SVP-Urgestein Christoph Blocher wieder gegen «Gutmenschen und
Sozialromantiker» wetterte. Als Bundesrat Didier Burkhalter daraufhin von der SVP forderte,
sie solle doch «echte Politik betreiben, die auf
der Basis von Vertrauen statt Misstrauen aufgebaut ist» – habe sich Blocher vor Wut erbrochen.
Und noch mehr Intelligenz könnte sich die Bahn
brechen, wenn Wirkung zeigt, worüber «Focus»Herausgeber Helmut Markwort (Pfff!) sprach, als
dem Radiosender «egoFM» (Pfff!) erzählte, dass
er nun drei bis vier Mal in der Woche einen Termin fürs «Denken» in seinen Kalender schreibt.
40
K INO A KTUELL
Up in theAir
Von Sonja Wenger
R
yan Bingham (George Clooney) ist ein Profi.
Er ist ein Profi darin, im ganzen Land Leute zu entlassen, wenn deren Vorgesetzte zu feige
sind, dies selbst zu erledigen. Er ist ein Profi,
wenn es darum geht, dies mit einer Mischung
aus gesundem Menschenverstand, psychologischem Instinkt und altmodischer Ehrlichkeit
zu tun, damit die Betroffenen ein Mindestmass
an Würde wahren können. Und er ist ein Profi, wenn es ums Reisen geht. Bingham ist für
seinen Job vier Fünftel des Jahres unterwegs,
zieht alles was wichtig ist in seinem Leben im
kleinen Businesskoffer hinter sich her und ist in
den Businesslounges und Hotels sämtlicher USFlughäfen eher zuhause als in seinem sterilen
Appartement.
Bingham hat seine Berufung gefunden, ist
mit seinem Leben zufrieden, solange er es in der
Luft verbringen kann. Er steht kurz vor seiner
zehnmillionsten Flugmeile, hält Vorträge über
effizientes Reisen und ist der Überzeugung, die
wichtigen Fragen des Lebens längst beantwortet zu haben. Man muss kein Filmprofi sein, um
zu ahnen, dass sich Binghams Leben in der Geschichte von «Up in the Air» dramatisch verändern wird.
Doch es braucht ein paar Filmprofis, um dies
so gut zu machen, dass «Up in the Air» ohne Bedenken bereits jetzt als einer der besten Filme
des Jahres gehandelt werden darf. Umso mehr erstaunt, dass dies nach «Thank you for smoking»
und «Juno» erst der dritte Film von Regisseur
Jason Reitman ist, der auch am Drehbuch mitgeschrieben hat. Aber Klasse hat man nun mal oder
eben nicht. Und in «Up in the Air» kommt eine
ganze Menge davon zusammen.
Nicht nur bietet Clooney eine der besten Darstellungen seiner an guten Rollen reichen Karriere. «Up in the Air» ist auch ein Beweis dafür,
dass Hollywood sehr wohl intelligente Filme mit
Herz und Verstand machen kann, die Charme und
Glamour haben, aber genauso mit beiden Beinen
im echten Leben stehen. Filme, die das Publikum
ohne 3D in eine andere Welt entführen und statt
grosses Kino grossartige Dialoge bieten.
Bild: G. Cloony / zVg.
Einige der besten Zeilen in diesem witzigen
und berührenden Meisterwerk stammen jedoch
nicht von Ryan Bingham. Es sind gleich zwei
Frauen, die sein Arbeits- und Lebenskonstrukt
durcheinander bringen und die das Publikum an
einigen phantastischen Lebenslektionen teilhaben lassen.
Zum einen ist da Alex (Vera Farmiga), die das
weibliche Pendant zu Ryan darstellt: ständig unterwegs, harte und smarte Businessfrau mit der
richtigen Balance zwischen Nähe und Distanz
und einer umwerfenden Mischung aus Schlagfertigkeit und Schönheit. Zu Binghams Überraschung schleicht sich zum ersten Mal ein Gefühl
der Liebe und der Sehnsucht in sein Leben.
Auf beruflicher Ebene wird er von Nathalie
(Anna Kendrick) herausgefordert: Frisch aus der
Businessschule will sie mit Hilfe von Binghams
Chef die Kunst des Entlassens revolutionieren.
Das könne in Zukunft auch vom Firmensitz via
Videotelefongespräch erledigt werden, was die
viele Fliegerei hinfällig werden lasse. Ryan sieht
seinen Lebensstil bedroht und protestiert, dass
damit noch der letzte Rest an Menschlichkeit
verloren gehe, den ein persönliches Entlassungsgespräch bisher mit sich gebracht habe. Und ehe
er sich versieht, ist er mit Nathalie unterwegs,
um ihr zu zeigen, was an seiner Methode denn
so viel besser sein soll.
Doch wer nun glaubt, dass «Up in the Air» die
ausgelatschten Pfade einer Romanze betritt oder
von der x-ten Läuterung eines Zynikers handelt,
liegt falsch. Die Auflösung der Geschichte geht
tiefer und ist mit mehr dramatischen Wendungen
versehen, als es der Aufbau des Films mit seinem
ruhigen Erzählrhythmus und den unaufgeregten
Bildern vermuten lässt. Ohne grosses Aufheben
geht es in «Up in the Air» einfach um alles: Sehnsucht, Liebe, Einsamkeit, Familie, Angst, Verlust,
Verzweiflung und Hoffnung – und ganz nebenbei
auch noch um den Sinn des Lebens.
Der Film dauert 109 Minuten und kommt am
4. Februar ins Kino.
Kino & Film
G ROSSES K INO
Illusionen des Kinos
Von Morgane A. Ghilardi – Das Kinoerlebnis im Zeitalter von CGI und 3D
Bild: James Cameron und Sigourney Weaver bei den Dreharbeiten zu Avatar/ zVg.
V
on Georges Mélliès auf Zelluloid gebannten Bühnentricks zu Science-FictionBlockbustern wie James Camerons «Avatar»:
Das Kino hat sich seit seiner Entstehung als
Portal zwischen Realität und Phantasie durch
unzählige Innovationen stark gewandelt.
Am Anfang war das Bild. Es fing an, sich zu
bewegen und erlaubte so, nicht nur Alltagsszenen festzuhalten, sondern auch Bühnenillusionen. Obwohl zu Beginn vor allem das Wunder
der Technik die Attraktion war, entwickelten
sich aus den Kurzfilmen bald mehrstündige
Monumentalfilme. Die filmische Erzählkunst
wie auch die Perfektionierung der Illusionen,
die durch den Film möglich sind, standen immer im Zentrum dieser Entwicklung. Das Unglaubliche, das in der Phantasie der Filmemacher enstand, sollte auf die Leinwand gebracht
werden können.
Und dann kam der Computer, der die Welt
veränderte, und somit auch das Kino. Computer
Generated Imagery (CGI) wird heute verwendet, um Bilder zu erschaffen, die es in der echten Welt nicht gibt. Seit im Jahre 1977 in «Star
Wars – A New Hope» zum ersten Mal primitive
CGI richtig eingesetzt wurde, entwik-kelte sich
auch diese Technik und wurde in den 90ern
perfektioniert (was man übrigens in Camerons
früheren Werken wie «Terminator 2» oder
«Abyss» sehen kann). Und voilà: Im Jahre 2009
ensteht «Avatar», der laut IMDB zu 40% aus
Live Action besteht und zu 60% aus Photo-Realistic CGI. Photo Realistic CGI heisst, dass alle
computergenerierten Elemente – Menschen,
Pflanzen, Landschaften etc. – erscheinen, als
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
seien sie echt und so ablichtbar. Zusätzlich ist
der Film in 3D im Kino zu sehen.
Die Frage, die sich nun stellt, ist, welchen
Effekt diese technischen Wunder auf das Kinoerlebnis haben. Einen Monat ist es bald her,
seit ich «Avatar» im Kino gesehen habe, doch
die Lebensechtheit der blauen Kreaturen und
der wundersamen Vegetation hat sich in meine
Erinnerung gebrannt. Für drei Stunden wurde
ich auf den Planeten Pandora katapultiert und
mitgenommen auf gefährliche Klettertouren
durch die Wälder und Gebirge des Planeten.
Hätte mir mein Gehirn nicht ständig gesagt,
dass es keine sechsbeinigen Panther und fliegende dinosaurierartige Kreaturen gibt, hätte
ich meinen Augen völlig getraut. Die Tiefe des
Bildes gibt einem das Gefühl völliger Immersion.
Was für mich ein mehr als zufriedenstellendes Kinoerlebnis ist, hat aber auch definitive
Schwächen. Obwohl man nämlich von den Visual Effects immer wieder überrascht werden
kann, ist der Verlauf der Story für jeden durchschnittlichen Filmfan absolut vorhersehbar. Es
ist sehr wahrscheinlich, dass auch Starregisseur James Cameron sich von Investoren reinpfuschen lassen musste, da immerhin 288 Millionen im Spiel sind, also wurde vielleicht vieles
rausgeschnitten, denn Cameron liess sich für
das Erzählen gewisser Details ungemein viel
Zeit, während der Schluss abgehackt scheint.
Ähnliches sieht man in Filmen wie «Star Wars
– Episode I-III» oder «Star Trek XI», bei denen
auffällt, dass der technische Aufwand, beziehungsweise der kindische Drang der Regis-
seure, möglichst coole Effekte zu präsentieren,
Vortritt haben, und die Qualität der Story völlig
zweitrangig wird. (Ich sehe den verschmitzten
George Lucas vor mir, wie er sich denkt: «Oh
ja, lassen wir die Jedis in einem Lavasee kämpfen!»)
Ist für Science-Fiction-Fans eine längere
DVD-Edition die letzte Hoffnung? «Lord of
the Rings» von Peter Jackson sollte eigentlich
bewiesen haben, das extensive Arbeit mit CGI
der Story nicht in die Quere kommen muss.
Um also zurück auf die Frage zu kommen, wie
sich das Kinoerlebnis verändert, gibt es anscheinend mehrere Antworten. Denn es kommt
stark auf die Ansprüche und Erwartungen des
Publikums an: Ist eine interressante und originelle Story auch für die Zuschauer zweitrangig (und so scheint es oft, denn zu viele Leute
haben «Star Trek XI» zu gut gefunden), dann
werden sie mit Camerons und Lucas Filmen
weiterhin zufrieden sein. Erwarten sie jedoch
beides, werden sie wahrscheinlich immer öfter
enttäuscht.
Vielleicht müssen wir unsere Ansprüche
einfach herunterschrauben und die Fahrt ins
Unbekannte geniessen. So sagte Sigourney
Weaver zu «Avatar» im Interview mit dem
SpaceView: «[...] Sobald du dich in den Kinosessel setzt, wirst du in eine weit entfernte Welt
mitgenommen, und das ist wohl etwas, was wir
alle lieben.»
Avatar ist jetzt in den Kinos. Regie: James
Cameron. USA, 2009.
41
Das andere Kino
www.cinematte.ch /
Telefon 031 312 45 46
D
avid Lynchs Albtraumfabrik Lynchs faszinierende Welt filmischer Albträume
begleitet uns auch durch den Februar: Mit dem
Twin Peaks Pilotfilm Fire Walk With Me begeben wir uns in die undursichtige Welt der Laura Palmer. Im wohl langsamsten Roadmovie der
Filmgeschichte, The Straight Story, macht sich
Alvin Straight auf den Weg zu seinem Bruder,
den er seit 10 Jahren nicht mehr gesehen hat.
Für seinen Trip nimmt er vorlieb mit seinem einzigen fahrbaren Untersatz: einem John Deere Rasenmäher. So tuckert er die fast 500 Kilometer
durch den mittleren Westen der USA und trifft
auf allerlei interessante Zeitgenossen.
Fernab von der linearen Erzählweise dieses
Films lässt sich Eraserhead einordnen: Der in
schwarz-weiss gedrehte, surreale Debütfilm
vereint alle Merkmale des Universums Lynch:
Unheimliche Figuren, morbide Geschichten und
eine eigenwillige hochästhetische Bildsprache.
Nicht weniger skurril mutet Lost Highway an,
wo das Leben des von Albträumen und Visionen
geplagten Fred Madison aus den Fugen gerät.
Auch Inland Empire, Lynchs bisher letztes
Werk in Spielfilmlänge, ist ein grandios-kunstvolles Spiel mit der Angst. Nichtlineare Narration,
diverse Handlungsstränge und Erzählperspektiven vermengt Lynch zu einem elektrifizierenden
assoziativen Gesamtkunstwerk.
Gentlemen Prefer Blondes - Eiskalte und
herzerwärmende Blondinen Blonden und blondierten Hollywood Schönheiten ist dieser Filmzyklus gewidmet. Im zweiten Teil der Filmreihe begegnet uns Grace Kelly gleich dreimal: in Alfred
Hitchcocks To Catch a Thief und Rear Window
und im Westernklassiker High Noon. In John
Hustons The Asphalt Jungle bezaubert uns eine
noch sehr junge Marilyn Monroe.
Specials Zum Valentinstag zeigen wir Amores
Possíveis, eine herrlich leichte und doch hintersinnige Komödie über Zufall und Schicksal in der
Liebe - mit brasilianischen Stars und hinreissenden Rhythmen!
Erlebte Schweiz – Jugendkulturen Am Themenabend in Zusammenarbeit mit Memoriav werden
Archivfilme über Jugendbewegungen gezeigt und
von Expertinnen und Experten kommentiert.
42
ensuite - kulturmagazin Nr. 86 | Februar 2010
www.kellerkino.ch / Telefon 031 311 38 05
D
er Februar steht im Zeichen der Solothurner-Filmtage. Am Anfang des Monats
wird der Dokumentarfilm Dharavi, Slum for Sale
von Lutz Konermann (‚Der Fürsorger‘) gespielt.
Konermann schreibt: Bombay, Indiens Tor
zum Westen, hat sich neu erfunden und in Mumbai verwandelt. In eine moderne, selbstbewusste Handelsmetropole. In einen Magneten für die
Hoffnungen von Arm und Reich. Stadtgrenzen
und Einwohnerzahl lassen sich nur noch schätzen, bald dürfte die 20-Millionen-Schwelle überschritten sein. Schon jetzt ist mehr als die Hälfte
der Bevölkerung gezwungen in Slums zu leben,
in den Zwischenräumen der offiziellen Stadt.
Der grösste dieser Slums heisst Dharavi. Mit
seinen rund achthunderttausend Einwohnern
ist es der am dichtesten besiedelten Flecken
der Erde. Früher lag Dharavi weit vor den Toren der Stadt, heute befindet es sich im Herzen einer rund herum wuchernden Metropole,
flankiert von Verkehrsadern und in direkter
Nachbarschaft zu Mumbais neuem Finanzdistrikt. Das ehemalige Sumpfgelände hat sich
in lukrativen Baugrund verwandelt - Nährboden für ehrgeizige urbanistische Visionen.
Vor zehn Jahren ist der in den USA ausgebildete
Architekt Mukesh Mehta nach Mumbai zurückgekehrt, um eine radikale Wende in der Slumsanierungspolitik seiner Heimatstadt einzuläuten.
«Public Private Partnership» heisst die Formel,
mit der er Milliardengewinne verspricht, falls
eine Kahlschlagsanierung Dharavis in die Hände privater Unternehmen gelegt wird. Die Regierung ist überzeugt von seinen Argumenten.
Hunderttausenden von Slumbewohnern aber
droht die Vetreibung.
Solothurn Woche: In der letzen Februar Woche wird, wie schon im vergangenen Jahr eine
kleine Auswahl von kürzeren und einzelnen
längeren Filmen gezeigt, die in Solothurn zu
sehen waren. Das exakte Programm wird Mitte
Februar auf www.kellerkino.ch zu finden sein.
Im Rahmen dieser Woche findet am Freitag den
26. Februar um 20.30 das HSLU Spezial statt.
Die Studenten der Hochschule für Design &
Kunst Luzern werden ihre diesjährigen Filme
selber vorstellen.
www.kinokunstmuseum.ch / Telefon 031 328 09 99
H
umor und Eleganz, Schalk und Chic: Der
Hollywood-Schauspieler Cary Grant besass von allem viel, sehr viel. «Everyone wants
to be Cary Grant. Even I want to be Cary Grant»,
hat der Schauspieler einmal in einem Interview gesagt. Als Alexander Archibald Leach
in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen,
eroberte der Engländer mit dem Künstlernamen Cary Grant ab den 1930er-Jahren die
amerikanische Filmwelt. Neben dem Image
eines selbstironischen Weltmannes umgab ihn
immer auch eine geheimnisvolle, ambivalente
Aura. Hollywood liebte ihn für beides: Diven
wie Ingrid Bergman, Marlene Dietrich, Katharine Hepburn, Grace Kelly und Audrey Hepburn
standen mit ihm vor der Kamera, und so unterschiedliche Regiegrössen wie Howard Hawks,
Frank Capra und Alfred Hitchcock schätzten
sein Talent. Wir ehren den Schauspieler mit
einer kleinen, aber feinen Hommage, die unter
anderen Klassiker wie Arsenic and Old Lace,
The Philadelphia Story oder To Catch a Thief
präsentiert.
Kinder ab ins Kino: Gemeinsam mit dem
Kinderkulturkalender Leporello präsentieren
wir eine neue Kinderfilm-Reihe jeweils zu
seinem speziellen Thema, in dieser Saison
heisst es Fliegen. Im Februar lüften wir Das
Geheimnis der Zugvögel. Der Dokumentarfilm
ist für Kinder ab 6 Jahren geeignet, bis 12 zahlen die Kleinen den Eintrittspreis, der ihrem
Alter entspricht.
Zum zweiten Mal werden unter dem Label
Tour de Berne in allen Regionen des Kantons
eine Auswahl von Filmen gezeigt, die von der
Berner Filmförderung 2009 ausgezeichnet
wurden. Ergänzt wird die Schau von weiteren
sehenswerten filmischen Werken aus der aktuellen Produktionsspanne. Im Kino Kunstmuseum startet das Programm am 13. Februar mit
Moritz Gerbers Tag am Meer. Ergänzt werden
die Filme mit Publikumsgesprächen. Gesamtprogramm: www.tour-de-berne.be
Das andere Kino
K IN O
i n
d e r
R e i t s c h u l e
www.reitschule.ch / Telefon 031 306 69 69
D
as Februar-Programm im Kino in der Reitschule, wie immer intensiv und reich: Kinderfilm am Flohmi-Sonntag zeigt am 7.2. Die Rote
Zora. UNCUT am 9. Und 23. 2. End of Love aus
Hongkong / Escape to life, Die Erika und Klaus
Mann-Story. Radio Rabe feiert, weshalb das Kino
mit Filmen über das Hörfunk-Medium aufwartet
unter anderem mit Fanny Bräunings No More
Smoke Signals, der letztes Jahr mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichnet wurde (26./27.1.)
Am 24./25. und 28.2. ist Premiere für Porta
Chuisa mit der Musik von Paed Conca. Eine interdisziplinäre Performance rund um die Verletzungen der Menschenwürde in einem Live-Konzert
mit Hans Koch(cl), Michael Thieke(cl) und Paed
Conca(cl) zu Filmen von Giorgio Andreoli, der
2008 am Flughafen Zürich/Kloten Bilder von
Ausschaffungen aufgenommen hat und zu Videobildern der «Blinden Malereien» des eventualistischen Künstlers Giovanni di Stefano.
Im Rahmen einer internationalen Solidaritätswoche zum Baskenland gibt es eine Begegnung
mit Personen des Baskischen Widerstands. Zum
Auftakt ist der brillante Vacas (5./6.2.) des berühmtesten baskischen Filmregisseurs Julio Medem zu sehen. Mit seinem ersten 1991 gedrehten
Film erlangte Medem internationale Aufmerksamkeit. Vacas erzählt die konfliktreiche Geschichte zweier baskischer Familien im Zeitraum
von 1875 bis 1936. Ein atemberaubender, skurilsurrealistischer Film. Die Familiensaga ganz besonderer Art, in der auch die titelgebenden Kühe
einige Verwirrung stiften, sei, so ein Kritiker,
«ein erschreckend eigenartiger Film» den er dem
Publikum dringlichst empfehle. Medem, der vor
allem durch seine Spielfilme bekannt ist, hat sich
in seiner 2003 entstandnen essayistischen Dokumentation La pelota vasca (19./29.2.) aber auch
mit dem Einfluss der ETA und deren Umfeld auf
die baskische Gesellschaft befasst. Befragt wurden Intellektuelle, Künstler, Politiker, Überlebende von ETA-Anschlägen und Angehörige der Opfer, auch Aktivisten der ETA und ihre Aussteiger.
Ein weiterer Film über die jüngere Geschichte
des Baskenlandes - wie La pelota vasca eine Berner Filmpremiere - ist La hija del mar des jungen
Basken Josu Martinez (12.2.).
LICHTSPIEL
www.pasquart.ch / Telefon 032 322 71 01
www.lichtspiel.ch / Telefon 031 381 15 05
C
inebrasil Auch in diesem Jahr präsentiert
Sidney Martins vom Berliner Festival
CineBrasil drei neuere Filme aus Brasilien: José
Enrique Fonsecas O Homen do Ano (2003) erzählt mit viel Witz und sarkastischem Unterton
von der eher zufälligen Gangsterkarriere eines
Jungen aus der Favela Rios (Do 4.2., 20h). Ums
üppige Essen, aber auch um die umschwärmte, sinnliche Witwe und hervorragende Köchin
einer Pension geht es in Depois Daquele Baile
(2005) von Roberto Bomtempo (Fr 5.2., 20h),
während Cao Hamburger in O Ano em que Meus
Pais Saíram de Férias (1993) einen Jungen begleitet, der 1970 in Brasilien sehnsüchtig der
Fussballweltmeisterschaft entgegenfiebert (Sa
6.2., 20h).
Sortie du lab Anlässlich der Olympischen
Spiele blickt das Lichtspiel in die Vergangenheit mit Combat sans haine (1948), einer leichtfüssigen Reportage von A. Michel, P. Lambert
und T. Braun über die Olympischen Spiele 1948
in St. Moritz. Es handelt sich bei diesem Film
um eine vom Schweizer Filmarchiv und Memoriav frisch restaurierte Filmkopie (Mo 15.2.,
20h).
Scopitone Night Die witzigen, schrägen und
schillernden Musikclips, die in den sechziger
Jahren für die Scopitone-Filmjukeboxen produziert wurden, sind im Lichtspiel auch auf der
Leinwand zu entdecken (Mi 17.2., 20h).
CinemAnalyse François Truffaut erzählt die
authentische Geschichte des 1798 in einem
Wald bei Aveyron entdeckten, ungefähr zehnjährigen Wolfsjungen, der weder aufrecht gehen noch sprechen kann. Der Junge, nach seinem Fundort ‚Victor’ genannt, wird vom Arzt
Jean Itard aufgenommen, welcher versucht, ihn
mit unzähligen Experimenten und in einem
anstrengenden Lern- und Anpassungsprozess
zu ‚zivilisieren’ Truffaut, der selbst die Rolle
des Arztes spielt, prangert mit seinem Film von
1970 die Brutalität und Unsinnigkeit des Zivilisierungsprozesses an und schafft gerade auf
dem Hintergrund der brennenden gesellschaftlichen Fragen der Zeit ein auch zeitkritisches
Werk (Do 25.2., 20h).
Weitere Infos unter www.lichtspiel.ch
C
lint Eastwood Actor and Director Clint
Eastwood, vielschichtig und genial ist bereits zu Lebzeiten eine Legende. Heuer wird er
80-jährig. Die Figuren, die er in seinen eigenen Filmen und in denen seiner Berufskollegen
verkörpert, sind authentische, starke, immer
widersprüchliche und zum Denken anregende
Charaktere, ob als Cowboy, Farmer oder als Cop,
Clint Eastwoods Spiel und seine Regie sind unverwechselbar. Er ist einer der eigenwilligsten
Autorenfilmer des zeitgenössischen amerikanischen Kinos. Für die meisten seiner in den
letzten 20 Jahren entstandenen Filme zeichnet
er gleichzeitig als Regisseur, Produzent und
Schauspieler. Seinen ersten Oscar für Film und
Regie erhielt er 1992 für Unforgiven und 2005
den zweiten für Million Dollar Baby.
29./30.01: Bird: Fragmentarisches Porträt einer widersprüchlichen Persönlichkeit:
Der Musiker Charlie Parker. 31.01./01.02. The
Bridges of Madison County: Dramatischer
Liebesfilm mit einem grossartigen Paar: Clint
Eastwood und Meryl Streep. 05./06.02: Space
Cowboys: Vier Pioniere der Raumfahrt erpressen sich im Pensionsalter von der NASA
eine zweite Chance: Ein politisch unkorrektes
Weltraum-Abenteuer. 07./08.02: Mystic River:
Ein Drama um Gewalt und Freundschaft mit
Tim Robbins und Sean Penn. 12./13.02: Million Dollar Baby: Eine packende Geschichte um
die Freundschaft zwischen einem verhärmten
Boxtrainer, dessen bestem Freund und einer
Frau aus der Unterschicht. 14./15.02: Changeling: Korruption steht im Mittelpunkt dieses
Films, worin Angelina Jolie für die Rückkehr
Ihres entführten Sohnes betet. 19.-22.02.: Gran
Torino: Clint Eastwood zieht ruppig wie eh und
je als pensionierter Autoschlosser ins Gefecht
gegen die Gangs seiner Nachbarschaft.
Im Januar waren zwei Klassiker zu sehen:
Per un pugno di dollari: Der Film machte Clint
Eastwood und Sergio Leone weltberühmt und
war die Speerspitze eines neu kreierten Genres, des Italowestern. Sudden Impact: Der kaltblütige «Dirty» Harry Callahan auf der Spur
einer Frau, die vor Jahren vergewaltigt wurde
und nun Rache an ihren Peinigern übt.
Für das Tagesprogramm die Tageszeitung oder das Internet www.bernerkino.ch
43
I NTERMEZZO
Ein «Hm» kommt
selten allein
Von Isabelle Haklar
N
icht alles deckt sich mit meinem logischen
Empfinden. Oft bin ich schon am frühen
Morgen mit meiner Logik am Ende. Dies jeweils
dann, wenn ich mir bei Migros Gourmessa meinen allmorgendlichen Take-away-Kaffee hole,
den ich gewöhnlich mit dem Migros-eigenen
Zucritam süsse. Das sind diese winzigen, weissen Tablettchen, die stets zu Zweien in einem
kleinen Tütchen stecken – oder eben stecken
sollten. Denn auffallend häufig ist dies nicht der
Fall. „Wie, nicht der Fall?“, mögen Sie nun denken. Nicht der Fall heisst in diesem Fall, dass das
Tütchen zwar ordentlich verschlossen in einer
Kiste liegt, doch leider ohne jeglichen Inhalt ist;
sprich leer. Hm.
Nun gut, ich kann, oder muss in diesem besonderen Fall dann eben meinen Milchkaffe
ohne Süssstoff trinken.
Mit dem ungesüssten Getränk hetze ich zum
Billetautomaten von Bernmobil, wo ich ein „halbes“ Kurzstreckenticket löse. An dieser Stelle
möchte ich kurz anfügen, dass ich noch nie besonders stark in Mathe war. Doch dass 1.90 nicht
die Hälfte von zwei Franken sind, fällt selbst mir
auf. Hm.
Nun gut, einen Fahrschein lösen muss ich
dennoch und immerhin habe ich zehn Rappen
gespart.
Da mein Bus morgens nicht in einem Zweiminutenintervall fährt, habe ich noch genügend
Zeit eine Zigarette zu rauchen. Gut, dass ich
gestern daran gedacht habe, mir am Kiosk ein
Streichholzbriefchen zu besorgen. Schade nur,
dass keines der Hölzchen einen entflammbaren
Kopf hat, sich in meinem Briefchen nur stramm
stehende Zündholzkörper befinden. Hm.
Nun gut, ich bin ja nicht die einzige, die morgens ihrer Sucht frönt und daher nicht auf meine
kopflosen, holzigen Freunde angewiesen.
Nach gerauchter Zigarette, weggeworfenem
„halben“ Ticket und ungesüsstem Kaffe, stelle
ich am Arbeitsort angekommen fest, dass ich
ausnahmsweise in Zimmer Sieben statt Acht eingeteilt bin – was ich eigentlich nicht als Problem
erachte. Denn Schlüssel Nummer Sieben hängt,
wie auch Nummer Acht, ganz unschuldig in
der grauen Schlüsselbox an der Wand. Mit dem
Siebner in der Hosentasche eile ich sogleich die
Treppe zu Kursraum Nummer Sieben hinunter.
Unten angekommen stelle ich dann jedoch fest,
dass Schlüssel Nummer Sieben nicht mit dem
Schloss der Türe Nummer Sieben harmoniert.
Eine Etage höher lasse ich mir dann erklären,
dass für Türe Nummer Sieben Schlüssel Nummer
Fünf zu nehmen sei.Hm.
Nun gut, Hauptsache die Türe lässt sich irgendwie öffnen.
Auch nach der Arbeit setzt sich die unlogische Ereigniskette fort, als man mir in der
Kornhausbibliothek sagt, dass die –20 Franken
auf meinem Ausleihzettel einem Guthaben von
+20Franken entsprechen. Hm.
Nun gut, zwanzig Franken sind zwanzig Franken, egal wie die gedruckten Vorzeichen stehen.
Zuhause angekommen empfängt mich dann
eine für diese Jahreszeit etwas kühle Wohnung.
Aufgrund dessen begebe ich mich schnurstracks
zur Heizung. Doch auch dort widerstrebt etwas
meiner Logik. Auf dem Regulierungsknopf ist,
„Auf“ und „Zu“, zu lesen, was ja eigentlich Sinn
macht. Was jedoch weniger Sinn macht, sind die
dazugehörigen Zahlen. Bei „Auf“ steht die Eins
und bei „Zu“ die Fünf. Hm.
So bin ich dann am Ende des Tages heilfroh,
dass sich wenigstens das Nicht-Funktionieren
meines Labtops auf eine beinahe unheimlich
wirkende, logische Art und Weise erklären lässt:
Der Akku ist leer.
interwerk gmbh
Kulturmanagement | Consulting
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Kommunikationskultur in der
Kulturkommunikation
44
IMPRESSUM
Herausgeber: Verein WE ARE, Bern Redaktion: Lukas Vogelsang (vl); Anna Vershinova,
Janine Reitmann (jr, Prakt.) // Heinrich Aerni, Peter J. Betts (pjb), Luca D’Alessandro (ld),
Morgane A. Ghilardi, Isabelle Haklar, Guy Huracek (gh), Florian Imbach, Nina Knecht, Ruth
Kofmel (rk), Michael Lack, Ursula Lüthi, Irina Mahlstein, Pascal Mülchi, Barbara Neugel
(bn), Fabienne Nägeli, Konrad Pauli, Eva Pfirter (ep), Jarom Radzik, Barbara Roelli, Anna
Roos, Alexandra Portmann, Karl Schüpbach,
Kristina Soldati (kso), Miriam Suter (mis), Willy Vogelsang, Ralf Wetzel, Simone Wahli (sw),
Simone Weber, Sonja Wenger (sjw), Gabriela
Wild (gw), Ueli Zingg (uz).
Cartoon: Bruno Fauser, Bern; Kulturagenda: kulturagenda.ch; ensuite - kulturmagazin,
allevents, Biel; Abteilung für Kulturelles Biel,
Abteilung für Kulturelles Thun, interwerk
gmbh. Korrektorat: Kerstin Krowas
Abonnemente: 77 Franken für ein Jahr / 11
Ausgaben, inkl. artensuite (Kunstmagazin)
Abodienst: 031 318 6050 / [email protected]
ensuite – kulturmagazin erscheint monatlich.
Auflage: 10 000 Bern, 20 000 Zürich
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Bern Druck: Fischer AG für Data und Print
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Hinweise für redaktionelle Themen erwünscht
bis zum 11. des Vormonates. Über die Publikation entscheidet die Redaktion. Bildmaterial
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Die Redaktion ensuite - kulturmagazin ist politisch, wirtschaftlich und ethisch unabhängig
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