Erfahrungsbericht WiSe 2009/10

Transcrição

Erfahrungsbericht WiSe 2009/10
1
Erfahrungsbericht Université de Provence Aix-Marseille II / Aix-en-Provence
von Anne Kroschinski
WS 2009/2010
Ein paar Worte vorweg:
Aix ist ein schönes und vor allem sonniges Städtchen, ihr
könnt euch schon mal darauf freuen!
Bis dato hatte man während der letzten zwei Studienjahre vom
Auslandssemester ja nur gehört und geredet, und jetzt steht es
auf einmal vor der Tür. Viele machen sich Gedanken, andere gar
keine. So oder so: Packt die Sorgen am besten mit den ganzen
Kartons in den Keller. Was ihr wirklich organisieren solltet:
Wohnung, Geld, Studium. Der Rest kommt von allein.
Und los geht’s…
Ankunft / Transfer
Ob ihr mit dem Zug oder dem Flieger anreist, um die „navette“, den Shuttlebus, kommt ihr nicht
herum. Das ist auch gut so, denn meistens sind die Busfahrer/Innen ziemlich nett und helfen gerne weiter.
Der Transfer vom Flughafen Marseille Marignane nach Aix kostet 7 Euro und dauert ca. eine halbe bis
Dreiviertelstunde. Vom Gare TGV aus ist es nur halb so teuer und halb so lang.
Unterkunft
Wenn irgend möglich, kümmert euch vor eurer Ankunft um eine Bleibe. Empfehlen kann ich
www.studentaccommodationfrance.com/. Ich habe echtes Glück gehabt und darüber eine tolle WG mit
Balkon im Stadtzentrum gefunden. Von dort aus konnte ich alles fußläufig erreichen und war in 2 Minuten an der Rotonde. - Für die Miete solltet ihr bei Privatunterkünften ca. 400 – 450 Euro pro Monat berechnen.
Bei den Informationsveranstaltungen wird euch zwar gesagt, dass ihr euch auch in Marseille eine
Unterkunft suchen könnt, doch für das tägliche Leben ist es um einiges praktischer, wenn ihr in Aix-enProvence wohnt.
Aus Mangel an Erfahrung kann ich zu den Studentenheimen nur das sagen, was ich von anderen
gehört habe: Wenn Studentenheim, dann bemüht euch um ein renoviertes Zimmer.
Lebenshaltung
Die Mieten in Aix-en-Provence sind höher als in Köln. Was die Lebensmittelpreise angeht, hängt
es stark vom Supermarkt ab, ob man sein Portemonnaie überanstrengt oder nicht. Der günstigste Supermarkt ist ed (entspricht preislich einer Mischung aus Discounter und Rewe), außerdem gibt es Aldi
und Lidl. Monoprix oder Carrefour haben leicht gehobene Preise, bieten dafür aber auch mehr Auswahl.
Chacun à son gout.
In Restaurants oder Bars sind die Getränke teuer, am preiswertesten fahrt ihr mit einem Hauswein. Bier
oder Cola kosten ca. das Doppelte der Kölner Preise.
Erfahrungsbericht Université Aix-Marseille
von Anne Kroschinski
WS 2009/10
2
Uni und Kurse
Und jetzt mal zum Studium, zur eigentlichen Sache: Die „fac des lettres“, wie die Fakultät der
Sprachen hier genannt wird, ist ca. 15 Minuten zu Fuß vom Stadtzentrum bzw. der Rotonde entfernt und
sehr gut mit den Buslinien 9 und 6 zu erreichen (Fahrzeit 5 – 10 min.).
Nach eurer Ankunft solltet ihr euch schnellstmöglich im International Office (SRI) melden, um euch einzuschreiben und den Studentenausweis zu beantragen. Der lässt nämlich etwas länger auf sich warten und
ist ein wichtiges Dokument, falls ihr ein französisches Konto eröffnen wollt. Ihr braucht außerdem die
Immatrikulationsbescheinigung, um das Erasmusgeld zu erhalten. Vor Unterrichtsbeginn organisiert das
SRI eine Führung durch die Bibliothek und das Gebäude, wodurch man einen guten ersten Eindruck erhält. Außerdem gibt es zur Begrüßung einen kostenlosen Busausflug nach Arles, Sainte-Marie de la Mer
und Les Beaux de Provence. Empfehlenswert!
Als Erasmus-Student könnt ihr beliebig zwischen den Kursen wählen, d.h. ihr könnt sowohl Licence- als auch Master-Kurse belegen. Im Gegensatz zur FH Köln gehören zu einem Übersetzungskurs immer
zwei Kurse: Ein Version-Kurs, der sich mit Übersetzungen von der Fremdsprache in die Muttersprache
beschäftigt, in diesem Falle also ins Französische, sowie ein Thème-Kurs, in dem man Texte in die andere
Richtung übersetzt (Frz. Æ Dt.) Auch hier müsst ihr nicht beide Kurse belegen, sondern könnt frei wählen.
Zur Kurswahl: Zieht euch warm an, die ersten Wochen werden sehr chaotisch. Es sind angeblich
alle Kurse im Internet zu finden, aber wir hatten Schwierigkeiten, uns auf der Homepage zurechtzufinden.
Es gibt kein Vorlesungsverzeichnis im Papierformat, daher muss man die Schaukästen in den Fluren der
einzelnen Departements beachten und sich die Veranstaltungen bzw. Uhrzeiten selbst notieren. Wir haben im Durchschnitt 3 bis 4 Wochen gebraucht, bis wir unsere Stundenpläne zusammengestellt hatten.
Von anderen, nicht-deutschen, Erasmusstudenten weiß ich, dass es ihnen genauso ging, es lag also nicht
an unserer Herkunft. Hat man sich aber einmal zurechtgefunden, geht der Uni-Alltag ziemlich normal
und einfach von statten.
Wer sich für das Dolmetschen interessiert, sollte unbedingt einen Kurs in „traduction orale“ belegen. Die Faculté des Lettres besitzt ein eigenes Sprachlabor, in dem bereits während der Licence (Bachelor) auf das Dolmetschen vorbereitet wird. Es gibt also Kopfhörer und Mikro auf die Ohren und man wird
langsam an das Dolmetschen herangeführt. Während des Unterrichts trägt der Dozent kurze, fremdsprachige Texte vor, die nach mehrmaligem Hören ins Französische gesprochen werden müssen. Dieser Kurs
war einer meiner Lieblingskurse, da der Dozent, M. Hardy, die Studenten sehr gut an die Technik herangeführt, das Ohr geschult und auch den ausländischen Studenten geholfen hat, die (doppelte Sprach-)
Hürde zu nehmen.
Darüber hinaus kann ich die Übersetzungskurse von Frau Costa (GB) und Frau Allerkamp (D) empfehlen. In beiden Kursen werden literarische Texte behandelt, die auf ganz neue Übersetzungsthematiken/-problematiken aufmerksam machen und den Studenten für Stil und Register sensibilisieren.
Die Bibliothek der Sprachenfakultät ist sehr gut ausgestattet und man findet vom Wörterbuch bis
zum Kunstmagazin alles, was einen interessieren könnte. Es gibt außerdem reichlich PC-Arbeitsplätze, an
denen man das Internet oder das Office-Paket nutzen kann. Falls ihr euren Laptop mit im Gepäck habt,
könnt ihr auch das WLan der Universität nutzen.
Akademisches Leben
Im Gegensatz zu deutschen Unterrichtsmanieren kann man beobachten, dass die aixoiser Studenten sich sehr vorbildlich verhalten: Sie tuscheln oder quatschen nicht, da es als ausgesprochen unhöflich und als Mangel an Respekt bzw. Erziehung gilt. Letzteres ist bei uns zwar ebenfalls der Fall, aber es
wird doch häufig ignoriert.
Erfahrungsbericht Université Aix-Marseille
von Anne Kroschinski
WS 2009/10
3
Auf der anderen Seite sind die französischen Studenten dafür sehr schüchtern, wenn es darum
geht, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen. Dies war besonders in einigen Englischkursen der Fall, in
denen die Gespräche, während derer Aussprache und Ausdruck in der Fremdsprache geübt werden sollten, nur schleppend vorangingen.
Formalitäten
Bringt genügend Passfotos (ca. 10) und Geduld mit. Die Anfänge dauern und können die deutsche Mentalität auf die Probe stellen. Wollt ihr ein französisches Bankkonto eröffnen oder eine Handykarte jenseits von prepaid-Lösungen erstehen, benötigt ihr unbedingt ein „justificatif de domicile“ oder eine
Strom-/Gasrechnung, die auf euren Namen ausgestellt ist. Dabei können euch allerdings eure Vermieter
bzw. die Wohnheimleitung helfen.
Bankkonto: Die BNP-Parisbas entspricht etwa der Deutschen Bank und bat in diesem Jahr 50 EUR Begrüßungsgeld für alle Erasmusstudenten an. Das hat uns natürlich noch schneller überzeugt. Die Mitarbeiter
der Bank waren äußerst hilfsbereit und haben sogar angeboten, uns beim Ausfüllen unseres ersten
Schecks zu helfen, falls wir damit alleine nicht zurechtkämen. Die Kontoeröffnung war schnell gemacht,
dafür ließ die Bankkarte ein paar Wochen auf sich warten.
Die Stadt
Aix-en-Provence ist ein hübsches, südfranzösisches Städtchen mit vielen kleinen Gassen und
Winkeln. Paul Cézannes Geburtsstadt birgt viele sonnige Tage, ein bezauberndes Abendlicht und kulturelle Vielfalt trotz geringer Einwohnerzahl. Auf dem Rathausplatz könnt ihr vormittags den Markt besuchen, Düfte schnuppern, den Süden riechen. Oder einfach den Cours Mirabeau entlang flanieren und
danach bei amorino ein köstliches Eis essen.
Aix ist nicht nur für Cézanne bekannt, sondern auch für seine sogenannten „Calissons d’Aix“. Dahinter verbirgt sich eine süße Mandelpaste mit weißer Zuckergussglasur, die ihr unbedingt probieren
solltet. Für alle Shopping-Lustigen bietet das neue Einkaufscenter in der Nähe des Cours Mirabeau genügend Anreiz und Zeitvertreib: Dort findet ihr H&M, Zara oder fnac (der französische Saturn), um nur einige
der Geschäfte zu nennen.
Aix verfügt über zahlreiche Kneipen, Bars und Restaurants, in denen man sich gemütliche, lustige
oder ausgelassene Abende machen kann (www.aixbynight.net). An Kinos
mangelt es auch nicht: insgesamt 3 an der Zahl, alle unmittelbar im Stadtzentrum
(www.lescinemasaixois.com).
Öffentliche Verkehrsmittel
Das aixoiser Busnetz ist trotz Kleinstadtcharakter sehr gut ausgebaut und man kann für 1,10 EUR
quer durch die Stadt fahren. Mit dem Studentenausweis ersteht man außerdem günstig eine Monatskarte (ca. 20 €). In der „Maison Etudiante“ ganz in der Nähe der „fac des lettres“ erhalten Studenten für Oktober sogar ein gratis Monatsticket.
Um zum Flughafen, nach Marseille Stadt oder in die nähere Umgebung zu gelangen, empfiehlt
sich einer der Busse, die am Gare routière abfahren. Dies ist gegenüber dem Regionalzug meist die günstigere und direktere Lösung.
Erfahrungsbericht Université Aix-Marseille
von Anne Kroschinski
WS 2009/10
4
Umgebung / Ausflüge
Marseille: Absolut sehenswert ist die Notre Dame de la Garde sowie der alte Hafen in Marseille.
Von Aix nach Marseille fahren viertelstündig Busse, die euch sicher hin und wieder zurückbringen. Arles:
Kleines, romantisches Städtchen mit gut erhaltenem Kolosseum und Van Goghs Nachtcafé. Ein Besuch
lohnt sich. Cassis: Guter Ausgangspunkt für eine Wanderung in die Calanques. Auch dorthin fahren regelmäßig Busse.
Es werden häufig Ausflüge in die Umgebung organisiert. Dafür ist das Office de Tourisme der
richtige Ansprechpartner. Die Mitarbeiter sind freundlich und sehr hilfsbereit. Also keine Hemmungen,
dort nachzufragen. Darüber hinaus waren die Busreisen von Georges sehr beliebt, da die größten Ausflugsziele in der Umgebung zu erschwinglichen Preisen angeboten wurden und Georges immer ein paar
lustige Anekdoten auf den Lippen hat. Infos kriegt ihr unter www.ideenomade.org.
Kulturelles
Die Franzosen, die ich kennen lernen durfte, habe ich als äußerst warmherzig und kulturell interessiert erlebt. Das Vorurteil, dass sie partout keine Fremdsprachen sprechen wollen, kann ich überhaupt
nicht bestätigen. Vielmehr ist es so, dass sich der Franzose an sich für seine Fremdsprachenkenntnisse
geniert (da seiner Meinung nach schlecht ausgebildet) und aus Verlegenheit lieber bei seiner eigenen
Sprache bleibt. Kennt man sich ein bisschen, werden auch die alten Englischkenntnisse wieder ausgepackt – man will ja trainieren und beim nächsten Mal besser abschneiden.
Höflichkeit wird groß geschrieben. Danke und Bitte sollten selbstverständlich sein. Außerdem
entschuldigt man sich, wenn man jemanden versehentlich anstößt oder sogar, wenn man angestoßen
wird. Das gehört zum guten Ton.
Wie es das Klischee besagt, ist das Essen heilig. Ich habe das sehr zu schätzen gelernt, denn man
nimmt sich dabei Zeit für Freunde, Familie und Gespräche. Es kommt nicht selten vor, dass man abends
Gäste empfängt und das „dîner“ gemeinsam genießt. Von der französischen Küche fange ich besser gar
nicht erst an zu schwärmen…
Was wir in Köln bereits in Interkultureller Kommunikation gelesen und gelernt haben, kann man
hier live erleben: Die Franzosen sind eher polychron als die Deutschen. Es gilt nicht als unhöflich, mehrere
Sachen gleichzeitig zu erledigen. Vor allem im Supermarkt kann man häufig beobachten, dass kassiert
und mit dem Kollegen geplaudert wird, ohne dass dies als störend empfunden wird.
Was mir aufgefallen ist: Egal, ob Arbeit ansteht oder nicht, es ist immer Zeit für den Menschen
und sein Wohlbefinden. Davon könnten wir Deutschen uns manchmal eine Scheibe abschneiden und die
Pflicht mal Pflicht sein lassen…
Festival TousCourts
Wer im Wintersemester nach Aix kommt, hat die Gelegenheit, sich für eine ehrenamtliche Mitarbeit beim aixoiser Kurzfilmfestival zu bewerben, dem Festival TousCourts (www.festivaltouscourts.com).
In der letzten November- bzw. der ersten Dezemberwoche dreht sich in dem kleinen, südfranzösischen
Städtchen alles um den Kurzfilm und es laufen Produzenten, Regisseure und andere Mediengestalten
durch die Straßen. Organisiert wird das Ganze vom Verein Rencontres Cinématographiques d'Aix-enProvence.
Zusätzlich zu den Festangestellten werden jedes Jahr freiwillige Helfer gesucht, die bei den Vorbereitungen und der Durchführung des Festivals helfen. Dazu braucht man keine besonderen Vorkenntnisse, sondern einfach Interesse am Kino und ein bisschen Zeit. Da ich auf Grund meiner Kurswahl zwei
freie Tage in der Woche hatte, habe ich in der Zeit als Praktikantin im Festivalbüro bei den Vorbereitungen geholfen. Aber auch wer weniger Zeit zur Verfügung hat, ist herzlich willkommen. Insbesondere in
Erfahrungsbericht Université Aix-Marseille
von Anne Kroschinski
WS 2009/10
5
der Woche vor dem Startschuss müssen noch viele kleine Dinge erledigt werden. Das kann vom DVDSortieren übers Namensschild-Drucken bis zum Übersetzen alles sein, was halt so anfällt.
Während der Festivalwoche habe ich auf dem “marché du film” gearbeitet. Dort treffen sich Käufer und Verkäufer von Filmrechten für Kurzfilme, um die Lizenzabkommen für das kommende Jahr zu
verhandeln. Das alles geschieht in familiärer Atmosphäre, denn die Teilnehmer kennen sich und treffen
sich dort jährlich wieder.
Ich habe in dieser Woche viel gearbeitet, aber auch sehr viel Spaß gehabt, sympathische und interessante Leute kennen gelernt und tolle Eindrücke gewonnen. Leider kann ich nächstes Jahr nicht mit
von der Partie sein…aber vielleicht ja einer von euch?!
Fazit
Gerne wieder! Trotz anfänglichem Papierkrieg und Frust über Wartezeiten würde ich jederzeit
wieder ein Semester in Südfrankreich verbringen. Der Winter lässt lange auf sich warten, die Sonne
scheint häufig und die Menschen sind sehr warmherzig und interessiert. Darüber hinaus lernt man viel
über sich selbst und sein „Deutsch-sein“, wenn man mal eine Zeit im Ausland verbringt. – Vielleicht findet
ihr ja auch heraus, dass man Geschirr à la française oder à l’allemande waschen kann…
Erfahrungsbericht Université Aix-Marseille
von Anne Kroschinski
WS 2009/10