1. Was ist eine Allergie? - kinder umwelt gesundheit

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1. Was ist eine Allergie? - kinder umwelt gesundheit
1.
2.
3.
4.
Was ist eine Allergie?
1.1
Was bedeutet Allergie und Asthma?
1.2
Gibt es heute tatsächlich mehr Allergien als früher?
1.3
Kinder sind besonders empfänglich für Allergien
1.4
Wie können sich Allergien äußern?
1.5
Was kann Allergien auslösen?
1.6
Die Allergiker-Karriere
1.7
Zusammenfassung
Anlage oder Umwelt?
2.1
Warum gerät das Immunsystem außer Kontrolle?
2.2
Allergisch durch Veranlagung?
2.3
Was haben Umwelteinflüsse mit Allergien zu tun?
2.4
Mangelnde oder flansche Stimulation des Immunsystems?
2.5
Zusammenfassung
Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?
3.1
Die Schritte einer Allergie- und Asthmauntersuchung
3.2
Die Krankengeschichte
3.3
Die körperliche Untersuchung
3.4
Wichtiges zur Allergietestung
3.5
Allergietestung auf der Haut
3.6
Allergietestung im Blut
3.7
Provokationstests
3.8
Lungenfunktionsuntersuchung
3.9
Weitere Zusatzuntersuchungen
3.10
Abschließende Beurteilung und Besprechung
3.11
Welcher Arzt ist richtig?
3.12
Zusammenfassung
Erkrankungen der oberen Atemwege
4.1
Aufbau der oberen Atemwege
4.2
Funktion der Nase
4.3
Übererregbarkeit der Nasenschleimhaut
4.4
Heuschnupfen
4.5
Dauerschnupfen
5.
6.
Erkrankungen der unteren Atemwege
5.1
Aufbau und Funktion der unteren Atemwege
5.2
Verengung der Atemwege
5.3
Obstruktive (spastische) Bronchitis
5.4
Asthma bronchiale
5.5
Entzündung der Lungenbläschen (Alveolitis)
5.6
Pseudokrupp
Erkrankungen der Haut
6.1
Aufbau und Funktion der Haut
6.2
Neurodermitis (atopische Dermatitis)
6.3
Allergisches Kontaktekzem
6.4
Nesselsuchtausschlag (Urtikaria)
6.5
Sonnenallergie
6.6
Berufswahl bei Allergien der Haut und Ekzem
7. Nahrungsmittel-Allergien und andere NahrungsmittelUnverträglichkeiten
7.1
Was ist eine Nahrungsmittelallergie?
7.2
Wie kann sich eine Nahrungsmittelallergie äußern?
7.3
Welches sind die häufigsten Auslöser von Nahrungsmittelallergien?
7.4
Wodurch wird die Auslösung einer Nahrungsmittelallergie beeinflusst?
7.5
Diagnose von Nahrungsmittelallergien
7.6
Die Behandlung von Nahrungsmittelallergien
7.7
Zusammenfassung
7.8
Kuhmilchallergie
7.9
Hühnereiweißallergie
7.10
Weitere häufige Nahrungsmittelallergien
7.11
Pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittel und Zusatzstoffe
7.12
Lebensmittelkennzeichnung
8.
9.
Allergische Erkrankungen der Augen
8.1
Allergische Bindehautentzündung
8.2
Andere Formen der Bindehautentzündung
8.3
Kontaktekzem der Lider
8.4
Urtikaria und Quincke-Ödem
8.5
Zusammenfassung
Insektengiftallergie
9.1
Welche Insekten lösen in unseren Breiten Allergien aus?
9.2
Welche Symptome können sich nach einem Insektenstich zeigen?
9.3
Welche Mechanismen spielen sich im Körper ab?
9.4
Wie wird die Diagnose einer Insektengiftallergie gestellt?
9.5
Was tun bei einer Insektengiftallergie?
9.6
Zusammenfassung
10. Arzneimittelallergien
10.1 Welche Formen der Arzneimittelunverträglichkeit gibt es?
10.2
Arzneimittelbedingte Hautausschläge
10.3
Pseudoallergische Überempfindlichkeiten
10.4
Wie diagnostiziert man Arzneimittelallergien?
10.5
Behandlung von Medikamentenallergien
10.6
Vorbeugung von Arzneimittelallergien
10.7
Zusammenfassung
11. Fraglich allergisch ausgelöste Erkrankungen
11.1 Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom
11.2
Kopfschmerzen
11.3
Chronisches Müdigkeitssyndrom
11.4
Zusammenfassung
12. Allergieauslöser näher betrachtet
12.1 Pollen
12.2
Milben
12.3
Tiere
12.4
Schimmelpilze
12.5
Sonstige
13. Hyposensibilisierung
13.1 Was bedeutet Hyposensibilisierung?
13.2
Voraussetzungen für eine Hyposensibilisierung
13.3
Warum Hyposensibilisierung schon bei Kindern?
13.4
Formen der Hyposensibilisierung
13.5
Wann wird eine Hyposensibilisierung durchgeführt und wie erfolgreich ist
sie?
13.6
Wie wird eine Hyposensibilisierung durchgeführt?
13.7
Welche unerwünschten Reaktionen können auftreten?
13.8
Gibt es Gegenanzeigen für eine Hyposensibilisierung
13.9
Was muss bei der Durchführung einer Hyposensibilisierung beachtet
werden?
13.10 Zusammenfassung
14. Allergie-Vorbeugung
14.1 Ziele der Allergie-Vorbeugung
14.2
Bei wem sollen vorbeugende Maßnahmen eingesetzt werden?
14.3
Wie kann man einer Allergie-Entstehung vorbeugen?
14.4
Zukünftige Strategien
14.5
Zusammenfassung
15. Impfungen bei Allergikern
15.1 Gibt es generelle Gegenanzeigen gegen Impfungen bei Allergikern?
15.2
Impfungen bei Hühnereiweißallergie
15.3
Gibt es Impfungen, die für Allergiker besonders nützlich sein können?
15.4
Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen
15.5
Zusammenfassung
16. Was läuft bei einer Allergie im Immunsystem ab?
16.1 Grundbegriffe
16.2
Teilnehmer der allergischen Reaktion
16.3
Was läuft bei einer allergischen Sofortreaktion ab?
16.4
Weitere Typen der allergischen Reaktion
16.5
Zusammenfassung
17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden
17.1 Eltern wollen alles unternehmen, um ihrem Kind zu helfen
17.2
Anspruch und Wirklichkeit „alternativer“ Methoden
17.3
Auch „alternative“ Methoden müssen sich einem Wirksamkeits- und
Unbedenklichkeitsnachweis stellen
17.4
„Alternative“ Methoden bergen auch Gefahren in sich
17.5
Kritisch zu sehende „alternative“ Methoden
17.6
Sinnvolle ergänzende Verfahren
17.7
Zusammenfassung
18. Vorsogekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und
Asthma
18.1 Was ist der Unterschied zwischen Vorsorge und Rehabilitation (=Reha)
18.2
Wann ist eine Vorsorge- oder Reha-Maßnahme sinnvoll?
18.3
Ambulant oder stationär
18.4
Unterschied Kind-Mutter-Reha und Mutter-Kind-Kur
18.5
Offene Badekur
18.6
Qualitätsmerkmale einer guten Vorgorge- oder Reha-Einrichtung für Kinder
und Jugendliche
18.7
Wer trägt die Kosten?
18.8
Antragsstellung
18.9
Wie lange dauert eine Kur/ Reha?
18.10 Wie oft kann eine Kur/ Reha beantragt werden?
18.11 Wie geht es nach der Vorsorge- oder Reha-Maßnahme weiter?
18.12 Zusammenfassung
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
online-Buch
1. Was ist eine Allergie?
1. Was ist eine Allergie?
1.1 Was bedeutet Allergie und Asthma?
1.2 Gibt es heute tatsächlich mehr Allergien als früher?
1.3 Kinder sind besonders empfänglich für Allergien
1.4 Wie können sich Allergien äußern?
1.5 Was kann Allergien auslösen?
1.6 Die Allergiker-Karriere
1.7 Zusammenfassung
Diesen Sommer bekommt der 6-jährige Paul bei schönem Wetter immer wieder rote
Augen und eine juckende Nase. Die Mutter kennt das Problem: auch sie leidet an Heuschnupfen.
Der 8-jährige Thomas hat seit 3 Monaten einen hartnäckigen nächtlichen Husten. Auch
beim Schulsport kann in letzter Zeit nicht mehr so recht mithalten, bei körperlicher
Anstrengung bekommt er pfeifende Ausatemgeräusche. Im Säuglings- und Kleinkindesalter waren schon mehrere spastische Bronchitiden aufgetreten. Die Kinderärztin stellt
die Diagnose Asthma. Seit er regelmäßig inhaliert, geht es ihm wieder gut.
Sabrina leidet seit dem Alter von 4 Monaten an einem juckenden Hautausschlag. Im Alter
von 9 Monaten bekommt sie beim Essen eines Gemüsegläschens, das Hühnereiweiß
enthält, geschwollene Lippen und einen stark juckenden Nesselausschlag: es hat sich
zusätzlich zur Neurodermitis eine Hühnereiweißallergie entwickelt.
Allen diesen Kindern, denen Sie in den nächsten Kapiteln wieder begegnen werden, ist
eines gemeinsam: sie haben eine Allergie oder ein Asthma entwickelt. Das erste Kapitel
informiert darüber, was unter einer Allergie und einem Asthma zu verstehen ist. Es gibt
einen Überblick, wie sich Allergien äußern und wodurch sie ausgelöst werden können.
1.1 Was bedeutet Allergie und Asthma?
1.1.1 Allergie
Eine Allergie ist eine überschießende Reaktion des Körpers auf bestimmte allergieauslösende Stoffe aus der Umwelt (= Allergene). Das eigentliche Ziel des Immunsystems
ist es, den Körper vor Krankheitserregern und Fremdstoffen zu schützen. Im Falle einer
Allergie schießt das Abwehrsystem über dieses Ziel hinaus und es entstehen zum Teil
höchst unangenehme und krankmachende Symptome.
Ist der Organismus einmal auf einen Allergieauslöser empfindlich geworden, so wird
dieser Allergieauslöser bei jedem erneuten Kontakt vom Immunsystem sofort wiedererkannt und kann wieder Krankheitserscheinungen auslösen. Die Mengen des allergieauslösenden Stoffes müssen für diese Wiederholungsreaktionen oft nur verschwindend
gering sein.
1.1.2 Pseudoallergie
Pseudoallergien sind allergieähnliche Reaktionen, an denen das Immunsystem nicht
beteiligt ist. Die Symptome ähneln jedoch denen einer allergischen Erkrankung. So sind
z.B. viele Reaktionen auf Nahrungsmittel und Medikamente keine Allergien im engeren
Sinne, sondern Pseudoallergien.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 1-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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1. Was ist eine Allergie?
1.1.3 Asthma bronchiale
Unter einem Asthma bronchiale versteht man eine anfallsweise auftretende Verengung
der Atemwege. Ursache ist eine chronische Entzündung in den Bronchien. Diese Entzündung wird bei Kindern häufig durch Allergien ausgelöst.
1.1.4 Atopie
Da verschiedene allergische Erkrankungen in Kombination sowie familiär gehäuft
auftreten können, wurde der Begriff Atopie geprägt. Man versteht darunter eine familiär
auftretende Veranlagung zu Ekzemen, Asthma, Heuschnupfen und Nahrungsmittelallergien.
1.1.5 Sensibilisierung
Unter Sensibilisierung versteht man die Bildung von Allergieantikörpern (IgE), die
jedoch beim Betroffenen (noch) keine Symptome auslösen. Man kann z.B. bei einer
ganzen Reihe von Personen Allergieantikörper gegen Nahrungsmittel nachweisen, ohne
dass jemals entsprechende Krankheitserscheinungen aufgetreten sind.
Die Mechanismen, die bei einer allergischen Reaktion im Immunsystem ablaufen, sind in
Kapitel 17 beschrieben.
1.2 Gibt es heute tatsächlich mehr Allergien als früher?
Diese Frage wurde lange Zeit kontrovers diskutiert. Sie ist inzwischen eindeutig mit ja zu
beantworten. Wir haben heutzutage zwar bessere Diagnose- und Erfassungsmethoden,
damit kann jedoch die deutliche Häufigkeitszunahme nicht erklärt werden.
1.2.1 Zahlen, die eine tatsächliche Zunahme von Allergien belegen
•
In der Schweiz ist die Zahl der an Heuschnupfen Erkrankten von 0,8% im Jahre
1926 auf 17,3% im Jahre 1999 gestiegen.
•
In Dänemark hat sich das Risiko, im Laufe des Lebens an einem Ekzem zu erkranken, von 3,2% bei den Geburtsjahrgängen 1960 - 1964 auf 10% bei den 10
Jahre später Geborenen erhöht.
•
In Großbritannien zeigte sich ein Anstieg der Asthmahäufigkeit von 4% im Jahre
1973 auf 9% im Jahre 1988.
•
In Westdeutschland nahm bei Jungen die Häufigkeit von Bronchialasthma
zwischen 1985 und 1995 von 1,5% auf 4% zu, bei allen Kindern stieg die Häufigkeit von Ekzemen von 6% auf 12% an.
1.2.2 Sind wir bald alle allergisch?
Etwa 30 bis 50% der Bevölkerung dürften die prinzipielle Veranlagung zu einer
allergischen Reaktionsbereitschaft haben. Zwar werden wir nicht alle im Laufe der Zeit
allergisch reagieren, eine weitere Zunahme allergischer Erkrankungen ist jedoch noch
möglich.
1.3 Kinder sind besonders empfänglich für Allergien
Die Säuglingszeit und frühe Kindheit sind eine besonders empfindliche Zeit. Dies gilt für
alle Einflüsse, die von außen auf das Kind einwirken, sei es auf den Körper, sei es auf die
Psyche.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 1-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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1. Was ist eine Allergie?
•
Das Immunsystem ist noch im Aufbau. Der Säugling hat zwar von der Mutter
einen "Nestschutz" mitbekommen und erhält auch über die Muttermilch Abwehrstoffe. Dieser Nestschutz schützt jedoch nur gegen einige wenige Infektionen wie
Windpocken und dies auch nur über einen begrenzten Zeitraum. Ansonsten muss
sich das Immunsystem nach und nach mit einer Vielzahl von Krankheitserregern
und möglichen Allergieauslösern auseinandersetzen.
•
Je früher und je massiver Allergene auf das noch unreife Immunsystem treffen,
desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Allergie entsteht. So ist z.B. die
Darmschleimhaut des Säuglings noch durchlässiger, so dass potentielle Allergieauslöser wie Kuhmilch- oder Hühnereiweiß leichter passieren können.
•
Der Säugling hat im Vergleich zum Erwachsenen bezogen auf das Körpergewicht
eine wesentlich größere Körperoberfläche. Dies bedeutet eine große Kontaktfläche
mit der Umwelt und deren Allergieauslösern. Die Flächen der Bronchialschleimhaut
und der Lungenbläschen, welche mit der Außenluft Kontakt haben, sind ebenfalls
sehr groß.
•
Die Entgiftungsorgane Leber und Niere haben bei der Geburt noch nicht ihre volle
Funktion erreicht, sondern müssen erst ausreifen. Bestimmte Giftstoffe werden
daher noch nicht im vollen Umfang ausgeschieden, können sich im Körper
ansammeln und möglicherweise das Immunsystem schwächen.
1.4 Wie können sich Allergien äußern?
Allergien können sich an vielen Organen äußern. Das macht ihre Symptomatik so vielfältig und ihr Erkennen oft schwierig. Folgende Symptome können Hinweise für eine
Allergie sein:
1.4.1 Augen, Nase, Ohren und Mund
rote, juckende, tränende Augen
verquollene Augen
juckende, laufende oder verstopfte Nase
Niesen und Nasereiben
Jucken im Gehörgang
Jucken in Mund und Rachen
als Hinweise für eine allergische Bindehautentzündung oder einen allergischen
Schnupfen.
1.4.2 Lunge
trockener oder schleimiger Husten
pfeifende Ausatemgeräusche (Giemen)
Kurzatmigkeit und Atemnot
geringe Ausdauer
Engegefühl oder Stechen in der Brust
als Hinweise für ein Asthma bronchiale oder eine allergische Entzündung der
Lungenbläschen.
1.4.3 Haut
juckender, trockener oder nässender Hautausschlag
juckende Rötung und Quaddeln
als Hinweise für ein Ekzem oder eine Neurodermitis.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 1-3
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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1. Was ist eine Allergie?
1.4.4 Magen und Darm
Durchfall, seltener Verstopfung
Übelkeit und Erbrechen
Bauchkrämpfe
Gewichtsabnahme
als Hinweis für eine Nahrungsmittelallergie.
1.4.5 Sonstiges
Kopfschmerzen
Unruhe oder Abgeschlagenheit
Fieber
nichteitrige Nierenentzündung
Zerfall von roten und weißen Blutkörperchen sowie Blutplättchen.
1.4.6 Allergischer Schock
Die schwerwiegendste allergische Reaktion ist der anaphylaktische Schock. Vorboten
können ein juckender Nesselausschlag, Kribbelgefühl oder Atemnot sein. Es kommt zum
Kreislaufversagen, weil das Blut in den peripheren Blutgefäßen versackt. Die Folge ist ein
Blutdruckabfall. Lebenswichtige Organe werden nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, durch
eine Mangeldurchblutung des Gehirns kommt es zur Benommenheit bis zur Bewusstlosigkeit. Eine kreislaufstabilisierende medikamentöse Behandlung muss möglichst rasch
eingeleitet werden, evtl. sogar mit Herzmassage und künstlicher Beatmung. Ein
anaphylaktischer Schock ist zum Glück selten, er kann jedoch lebensbedrohlich sein. Als
Auslöser kommen z.B. eine Insektengiftallergie oder eine Nahrungsmittelallergie in Frage.
1.5 Was kann Allergien auslösen?
Allergieauslöser treten mit dem Körper hauptsächlich über die Schleimhäute der Atemwege, den Magendarmtrakt und die Haut in Kontakt. Die meisten Allergieauslöser sind
natürliche Stoffe (z.B. Pollen, Hausstaubmilben).
1.5.1 Allergieauslösung über die Luft
Die meisten Allergien werden durch Allergene hervorgerufen, welche über die Luft in die
Schleimhäute der Atemwege oder der Augen gelangen:
•
Pollen (Blütenstaub) von Bäumen, Gräsern und Kräutern können jahreszeitlich
wechselnde Beschwerden wie Heuschnupfen, allergische Bindehautentzündungen,
Asthma sowie Schübe einer Neurodermitis auslösen. Die Pollen dienen der Vermehrung dieser Pflanzen und befinden sich zur entsprechenden Blütezeit in
großen Mengen in der Luft, vor allem während warmer und trockener Wetterperioden. Pollenkalender und Pollenwarndienste geben Hinweise über die jeweils
vorherrschende Pollenart.
•
Hausstaubmilben sind das Hauptallergen des Hausstaubes. Man findet sie
hauptsächlich im Schlafzimmer, in größter Menge im Bett in der Matratze und im
Bettzeug. In der übrigen Wohnung sind Polstermöbel der Hauptaufenthaltsort.
Eiweißbestandteile im Kot der Hausstaubmilbe stellen das eigentliche Allergen dar.
Dauerschnupfen, Asthma bronchiale und die Verschlechterung einer Neurodermitis
können die Folge einer Milbenallergie sein.
•
Schuppen, Speichel, Urin, Haare und Blutserumbestandteile von Tieren sind
weitere häufige Allergieauslöser bei Kindern, Auch sie können einen allergischen
Schnupfen, eine allergische Bindehautentzündung oder ein Asthma bronchiale
auslösen. Es ist nicht unbedingt ein direkter Kontakt mit dem Tier erforderlich.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 1-4
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
online-Buch
1. Was ist eine Allergie?
Verschiedene Gegenstände wie z.B. Kleidungsstücke, Decken oder Teppiche
können Schuppen oder Speichel des Tieres enthalten und bei Kontakt zur
Symptomauslösung führen. Tierallergene werden von Kindern, die zu Hause ein
Haustier haben, mit der Kleidung in den Kindergarten oder die Schule mitgebracht
und sind dort z.B. auf Stühlen und Bänken nachzuweisen.
•
Schimmelpilze gibt es in großen Mengen in der freien Natur z.B. auf Blättern, in
Pflanzenabfall und in der Erde. Schimmelpilze finden sich auch in feuchten
Wohnungen, z.B. an feuchten Wänden. Sie können zu allergischem Schnupfen
führen oder an der Entstehung eines Asthma bronchiale beteiligt sein.
•
Chemische Stoffe können bei beruflichem Kontakt zu allergischem Asthma
führen.
1.5.2 Allergieauslösung über Magen und Darm
Andere Allergene gelangen über den Magendarmtrakt in den Körper:
•
Verschiedene Nahrungsmittel und Nahrungsmittelzusätze können Ursache einer
Nahrungsmittelallergie mit Hautausschlag, Durchfällen oder Atemnot sein. Die
beim Säugling bekannteste Nahrungsmittelallergie ist die Kuhmilchallergie.
Weitere häufige Auslöser von Nahrungsmittelallergien sind Eier, Nüsse, Soja und
Weizen; bei Jugendlichen und Erwachsenen zudem Obst und Gewürze als
Kreuzallergien bei Pollenallergie.
•
Medikamente rufen in einigen Fällen allergisch bedingte Arzneimittelausschläge
hervor, es können jedoch auch schwere Allgemeinreaktionen mit Schock auftreten.
1.5.3 Allergieauslösung durch Kontakt mit der Haut
Gewisse Allergene führen über einen Hautkontakt zu einer Sensibilisierung:
•
Bestimmte Metalle in Schmuck, vor allem Nickel verursachen manchmal Kontaktallergien an den Körperstellen, an denen der Schmuck getragen wird.
•
Verschiedene Chemikalien, z.B. in Kosmetika oder bei beruflichem Kontakt
können ebenfalls Kontaktallergien auslösen.
Weitere Informationen zu den oben genannten und weiteren Allergenen finden Sie in
Kapitel 12 "Allergieauslöser" sowie in den Kapiteln, in denen die verschiedenen
allergischen Erkrankungen beschrieben sind.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 1-5
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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1. Was ist eine Allergie?
1.6 Die Allergiker-Karriere
Jedes Lebensalter hat seine typische Allergieform (siehe
Abbildung 1-1). Im frühen
Säuglingsalter stehen Nahrungsmittelallergien im Vordergrund, gefolgt von Ekzemen.
Asthma beginnt häufig im Kleinkindesalter, der allergische Schnupfen im Schulalter. Die
Bezeichnung "Allergiker-Karriere" will ausdrücken, dass eine Allergieform eine andere
ablösen oder zu einer anderen hinzutreten kann.
Allergien des
Magen-Darm-Trakts
0
1/2
Ekzem
1
Asthma
3
Allergischer Schnupfen
7
15
Jahre
Abbildung 1-1: allergische Erkrankung in Abhängigkeit vom Alter
1.7 Zusammenfassung
Eine Allergie ist eine überschießende Reaktion des Organismus auf bestimmte allergieauslösende Stoffe. Eine allergische Reaktion geht mit einer Abwehrreaktion des
Immunsystems einher. Unter einer Pseudoallergie versteht man Reaktionen, die zwar
einer allergischen Reaktion ähneln, an denen jedoch das Immunsystem nicht beteiligt ist.
Der Begriff Asthma bronchiale bezeichnet anfallsweise auftretende Verengung der
Atemwege, hervorgerufen durch eine chronische Entzündung in der Bronchialschleimhaut.
Allergien und Asthma haben in den letzten Jahrzehnten rasant und Besorgnis erregend
zugenommen.
Kinder sind für Allergien besonders empfänglich. Das Immunsystem ist noch nicht ausgereift.
Allergieauslöser sind meist natürliche Stoffe und können insbesondere über die
Atemwege, den Magendarmtrakt und die Haut mit dem Körper in Kontakt treten und
Symptome verursachen. Die gefährlichste Reaktion ist der potentiell lebensbedrohliche
anaphylaktische Schock.
Verschiedene Allergieformen treten gehäuft in unterschiedlichen Lebensaltern auf und
können einander ablösen (sogenannte Allergiker-Karriere).
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 1-6
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
online-Buch
2. Anlage oder Umwelt?
2. Anlage oder Umwelt?
2.1 Warum gerät das Immunsystem außer Kontrolle?
2.2 Allergisch durch Veranlagung?
2.3 Was haben Umwelteinflüsse mit Allergien zu tun?
2.4 Mangelnde oder falsche Stimulation des Immunsystems?
2.5 Zusammenfassung
Die Erforschung der Ursachen und Bedingungen für die Entstehung von Allergien hat einen hohen Stellenwert, um wirkungsvolle Maßnahmen zur Bekämpfung der weiter steigenden Allergiehäufigkeit ergreifen zu können. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem
Zusammenwirken von Anlage- und Umweltfaktoren bei der Entstehung einer Allergie.
2.1 Warum gerät das Immunsystem außer Kontrolle?
Es drängt sich die Frage auf, warum der Körper sich mit einer überschießenden Reaktion
auf Allergene selbst schadet und wodurch eine ausgewogene Regulation des Abwehrsystems aus den Fugen gerät. Immer mehr wird klar, dass nicht nur nach schädigenden
Faktoren, sondern auch verstärkt nach Schutzfaktoren, die das Abwehrsystem im Gleichgewicht halten, gefahndet werden muss.
Nach heutigem Kenntnisstand müssen für die Entstehung einer Allergie eine ganze Reihe
von Ursachen verantwortlich gemacht werden. Neben der anlagebedingten Bereitschaft,
allergisch zu reagieren, begünstigen verschiedene Faktoren in der Umwelt und der Lebensweise des Menschen die Entstehung einer Allergie. Tabelle 2-1 zeigt für die Allergieentstehung wichtige Faktoren im Überblick.
Tabelle 2-1: Faktoren, die an der Entstehung einer Allergie beteiligt sind
1) anlagebedingte allergische Reaktionsbereitschaft
2) Einflüsse während Schwangerschaft und Geburt
3) frühzeitiger Allergenkontakt
4) intensiver Allergenkontakt
5) westlicher Lebensstil
6) Umweltschadstoffe
7) mangelnde Schutzfaktoren
2.2 Allergisch durch Veranlagung?
Allergische Erkrankungen treten familiär gehäuft auf. Das Risiko eines Neugeborenen, an
einer Allergie zu erkranken, hängt stark von der Allergiebelastung in seiner Familie ab
(siehe ÎAbbildung 2-1). Die familiäre Allergiebelastung ist bisher der zuverlässigste prognostische Faktor für das Allergierisiko des Kindes.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
Seite 2-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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2. Anlage oder Umwelt?
2 allergische
Eltern:
40-60%
1 allergisches
Geschwister:
25-35%
2 allergische
Eltern mit
selber Allergie:
50-70%
1 allergischer
Elternteil:
20-40%
kein Allergiker
in der Familie:
5-15%
Abbildung 2-1: Allergierisiko eines Neugeborenen
Kennzeichen vieler allergischer Erkrankungen ist ein erhöhter Immunglobulin E (IgE)Spiegel im Blut. Neugeborene mit einem erhöhten IgE-Spiegel im Nabelschnurblut haben
eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine atopische Erkrankung zu entwickeln. Eine zuverlässige Voraussage des Allergierisikos eines einzelnen Kindes ist damit jedoch nicht möglich. Für den IgE-Spiegel besteht bei Familienangehörigen eine gewisse Übereinstimmung, besonders bei Zwillingen. Diese Übereinstimmung liegt jedoch auch bei eineiigen
Zwillingen nicht über 50%. Es ist auch nicht vorstellbar, dass sich unser Erbgut in den
letzten Jahrzehnten so stark verändert hat, dass damit allein die Zunahme der Allergiehäufigkeit zu erklären wäre. Neben der vererbten Veranlagung müssen also noch weitere
Auslösefaktoren an der Entstehung einer Allergie beteiligt sein.
Die Forschung arbeitet mit Hochdruck daran, Veränderungen im Erbgut verschiedenen
allergischen Erkrankungen zuzuordnen. Man könnte dann Risikokinder früh erkennen, bei
diesen eine intensive Allergievorbeugung betreiben, möglicherweise den Ausbruch einer
Allergie verhindern oder später vielleicht sogar gezielter behandeln. Für den medizinischen Alltag verwendbare Ergebnisse liegen bisher allerdings noch nicht vor. Die meisten
Allergien werden offenbar nicht nur durch ein Gen, sondern durch die Kombination von
mehreren Genen vererbt.
2.3 Was haben Umwelteinflüsse mit Allergien zu tun?
In den letzten Jahren wurde natürlich auch geforscht, ob unsere Lebensbedingungen in
einer komplexen Industriegesellschaft etwas mit der Zunahme der Allergiehäufigkeit zu
tun haben könnten. Tabelle 2-2 gibt eine Überblick über die diskutierten Faktoren. Stoffe
aus der Umwelt können entweder als Allergene selbst allergieauslösend wirken (z.B.
Tiere), als adjuvante Faktoren die Allergieauslösung fördern (z.B. Tabakrauch, Dieselruß)
oder als Triggerfaktoren die Reaktion des Organismus auf einen Allergieauslöser verstärken (z.B. Infektion, Umweltschadstoffe).
Tabelle 2-2: Umweltfaktoren, welche die Allergiehäufigkeit beeinflussen können
1) höhere Allergenkonzentration
2) neuartige Allergieauslöser
3) Umweltschadstoffe
4) zu geringe Stimulation des kindlichen Immunsystems (Hygienehypothese)
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
Seite 2-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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2. Anlage oder Umwelt?
2.3.1 Höhere Allergenkonzentrationen
Veränderte Bau- und Wohnverhältnisse erhöhen die Allergenkonzentration in unseren
Häusern. Energiesparmaßnahmen haben zum Bau von dicht abgeschlossenen Gebäuden
mit geringen Luftwechselraten geführt. Dadurch steigt zum einen die Luftfeuchtigkeit,
was das Milben- und Schimmelpilzwachstum fördert, zum anderen auch die Luftschadstoffkonzentration in Innenräumen an. Die Haustierhaltung hat deutlich zugenommen,
Tiere werden nicht mehr draußen, sondern in der Wohnung gehalten. Dies erhöht die
Konzentration von Tierallergenen sowohl im Haus als auch beispielsweise in Schulen und
Kindergärten, denn die Kinder transportieren die Allergene auf ihrer Kleidung weiter.
Momentan wird jedoch kontrovers diskutiert, inwieweit Haustiere und mit der Tierhaltung
einhergehende Bakterien auch vor Allergien schützen könnten. Früh blühende Bäume
blühen immer früher im Jahr und tendenziell steigen die Pollenmengen an. Die Beobachtung, dass Allergien in sozial besser gestellten Familien besonders häufig sind, hängt
wohl hauptsächlich mit diesen und anderen Faktoren des westlichen Lebensstils zusammen.
2.3.2 neuartige Allergieauslöser
Wir sind heute auch mehr und unterschiedlicheren Allergieauslösern ausgesetzt als die
Menschen früher. Von der Industrie wird jedes Jahr eine große Zahl neuartiger chemischer Substanzen in Umlauf gebracht, mit denen der Mensch bisher nicht in Kontakt getreten ist. Mit neuen Kosmetika werden diese Stoffe auf die Haut aufgetragen oder im
Falle von Nahrungsmittelzusatzstoffen dem Magendarmtrakt zugeführt. Auch das erweiterte Nahrungsmittelangebot, beispielsweise mit unserer Vorliebe für exotische Früchte
wie Kiwi oder Mango, hat das Allergenangebot vermehrt. Auch gentechnisch veränderte
Nahrungsmittel können potentiell zu einem erhöhten Allergierisiko führen, vor allem
wenn Gene von einer Pflanzenart auf eine andere übertragen werden. Auf jeden Fall ist
hier eine strenge und vollständige Deklaration zu fordern.
2.3.3 Umweltschadstoffe
Allergische Personen haben ein besonders hohes Risiko, auf viele Begleitprodukte unserer
komplexen Industriegesellschaft zu reagieren. Es ist hier nicht möglich, alle potentiellen
Schadstoffe zu besprechen, zumal von vielen Stoffen die Langzeitwirkungen überhaupt
noch nicht erfasst sind. Exemplarisch soll jedoch auf einige Luftschadstoffe, welche Auswirkungen auf die Atemwege haben können, eingegangen werden. Unterschieden werden
muss zwischen der Schadstoffbelastung im Haus, welche viel leichter von jedem Betroffenen reduziert werden kann und der Schadstoffbelastung in der Außenluft, welche vom
Einzelnen kaum oder nur schwer zu beeinflussen ist. Wahrscheinlich wirken eine Vielzahl
von Umweltschadstoffen synergistisch. Dies bedeutet, dass ein Umweltgift allein keine
fassbare Wirkung zeigt, jedoch die Einwirkung mehrerer unterschiedlicher Substanzen
mit verschiedenen Schädigungsmechanismen zur Krankheit führt.
1) Schadstoffe im Haus
Die hauptsächlichen Schadstoffe und Reizstoffe im Haus sind Tabakrauch (gleichgültig ob
durch Aktiv- oder Passivrauchen eingeatmet), Formaldehyd und Emissionen aus der Verbrennung in Holz- oder Gasöfen.
•
Passivrauchen
Akute Folgen des Passivrauchens sind Augenreizungen, Kopfschmerzen, Reizung
der Schleimhaut der Atemwege mit Husten bei etwa einem Drittel aller Personen.
Chronische Folgen sind eine deutlich erhöhte Rate von Erkrankungen der tiefen
Atemwege (Bronchitis, Asthma, Lungenentzündung) vor allem in den ersten Lebensjahren bei Kindern rauchender Eltern. Zudem steigt das Risiko für chronische
Mittelohrergüsse und Allergien. Es gibt sogar Hinweise dafür, dass es zu einer
Störung in der Entwicklung der Lungenfunktion kommen kann. Auch der plötzliche
Kindstod ist bei Kindern rauchender Eltern häufiger.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
Seite 2-3
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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2. Anlage oder Umwelt?
Das Einstellen des Rauchens zumindest in der Wohnung ist eine der effektivsten Maßnahmen, bei Erkrankungen der Atemwege - ob allergischer oder nichtallergischer Natur - eine Besserung der Krankheitserscheinungen zu erzielen. Die
positiven Auswirkungen des Einstellens des Rauchens auf die Luftwege können
nicht überbetont werden!
•
Formaldehyd
Formaldehyd führt dosisabhängig zu Reizungen der Augen, der Nasenschleimhaut,
Halsbeschwerden, erhöhter Reizbarkeit der Bronchien und Kopfschmerzen. Hauptquelle des Formaldehyds sind Spanplatten, welche Formaldehyd über lange Zeit
ausdünsten können. Inzwischen werden Spanplatten je nach Formaldehydgehalt
in drei verschiedene Emissionsklassen eingeteilt. Vorsicht ist bei nicht klassifizierten Spanplatten, vor allem bei Billigimporten angebracht.
•
Emissionen aus Gas- und Holzöfen
In Zimmern, in denen ein Gasofen betrieben wird, treten vier- bis siebenfach erhöhte Konzentrationen von Stickstoffdioxid (NO2) auf. Eine vorübergehende Verminderung der Lungenfunktion kann die Folge sein. Abgase von Holzöfen können
leichte bis mittelschwere Atemwegssymptome hervorrufen. Daher sind offene
Feuer in der Wohnung für Patienten mit Luftwegserkrankungen potentiell schädlich.
2) Schadstoffe in der Außenluft
Man war zunächst sehr erstaunt, als vergleichende Untersuchungen gezeigt hatten, dass
die Allergiehäufigkeit in der ehemaligen DDR mit ihrem hohen Luftverschmutzungsgrad
nicht größer sondern kleiner war im Vergleich zu den alten Bundesländern. Nachdem sich
der Lebensstil zwischen Ost und West immer mehr annähert, steigt allerdings auch die
Allergiehäufigkeit im Osten langsam auf das Westniveau an.
Eine Erklärungsmöglichkeit sind die unterschiedlichen Wohnbedingungen in Ost und West
mit älteren Gebäuden im Osten. Das bedeutet höhere Luftwechselraten und in der Folge
weniger Innenraumallergene im Osten. Weiterhin weiß man inzwischen, dass man zwischen verschiedenen Formen der Luftverschmutzung unterscheiden muss. Viele Menschen zeigen bei Exposition überhaupt keine Symptome, manche werden krank.
•
Typ I der Luftverschmutzung
Der Typ I der Luftverschmutzung ist der klassische Smogtyp mit Schwefeldioxid
(SO2), Staub und größeren Schmutzpartikeln als Kennzeichen, er war der klassische Luftschadstofftyp in den Industriegebieten des Ruhrgebiets und der ehemaligen DDR. Er führt zu einer Schleimhautreizung und vermehrten Atemwegsinfektionen. Bei Asthmatikern kann es zu einer Bronchialverkrampfung kommen. Ein
Zusammenhang mit einer vermehrten Allergiehäufigkeit konnte nicht gefunden
werden. Dieser Typ der Luftverschmutzung wurde in Ost und West deutlich reduziert.
•
Typ II der Luftverschmutzung
Der Typ II der Luftverschmutzung, der westliche Luftschadstofftyp, ist durch
Stickstoffoxide (NOx), Feinstaub einschließlich ultrafeiner Partikel und Sekundärprodukte wie Ozon (O3) gekennzeichnet. Er ist der Schadstofftyp des automobilen
Zeitalters. Auch er kann zu Schleimhautreizungen führen und zusätzlich die Allergieentstehung fördern. Zur Förderung der Allergieentstehung muss jedoch ein hoher Verschmutzungsgrad (z.B. Hauptverkehrsstraße in einer Großstadt) vorliegen.
Empfindliche Personen sollten bei hohen Ozonkonzentrationen körperliche Anstrengungen und Sport auf den Morgen vor 11 Uhr oder den Abend nach 19 Uhr
verlegen. Den ultrafeinen Schwebestäuben gilt zur Zeit das besondere Interesse
der Umweltforscher. Die winzigen Partikel werden insbesondere auch von Dieselmotoren ausgestoßen, können ganz tief in die Atemwege eindringen und sind
wahrscheinlich gefährlicher als die bisher als Indikatoren verwendeten Luftschadstoffe.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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2. Anlage oder Umwelt?
Zusammenfassend ist zu folgern, dass viele Luftschadstoffe eindeutig einen schädlichen
Einfluss auf die Atemwege ausüben und die Allergieentstehung fördern können. Es muss
daher alles getan werden, den Luftschadstoffgehalt in unserer Luft im Haus und außerhalb des Hauses weiter zu reduzieren. Als alleinige Erklärung für die steigende Allergierate reichen die Luftschadstoffe allerdings nicht aus.
2.3.4 Weitere Umweltfaktoren, welche die Entstehung von Allergien fördern können
a) Schwangerschaft und Geburt
Neugeborene, deren Mütter in der Schwangerschaft geraucht haben, haben höher IgEWerte und ein höheres Risiko einer atopischen Erkrankung (insbesondere Neurodermitis).
Komplikationen bei der Geburt, die Mutter oder das Kind betreffend, erhöhen die
spätere Asthmahäufigkeit. Frühgeborene haben ebenfalls häufiger Asthma als zum
normalen Termin geborene Kinder. Ein früher und intensiver Allergenkontakt beeinflusst das Atopierisiko. Daher kann auch die Jahreszeit, zu der das Kind geboren wird,
einen Einfluss auf die Entstehung einer Allergie haben. In Skandinavien hatten Kinder,
die zwischen Februar und April geboren wurden, ein höheres Risiko für eine Birkenpollenallergie. In England hatten im Spätsommer geborene Kinder eine höhere Asthmarate. Die
Bedeutung von Umgebungsfaktoren unterstreicht auch folgende Beobachtung: In England lebende afrikanische Kinder wiesen eine höhere Asthmarate auf, wenn sie in Großbritannien geboren worden waren, im Vergleich zu afrikanischen Kindern, die erst später
nach England kamen. Offenbar besteht im frühen Säuglingsalter eine besonders kritische
Periode, in der Sensibilisierungen besonders leicht entstehen können.
b) Nachgeburtliche Faktoren
Frühes Zufüttern von Kuhmilch und Beikost erhöht das Allergierisiko. Ausschließliches
Stillen über vier bis sechs Monate hat einen schützenden Effekt. Die Auslösung einer
Nahrungsmittelallergie über die Muttermilch ist jedoch in seltenen Fällen möglich, so
dass ein übermäßiger Genuss von Kuhmilch und Hühnereiweiß durch die stillende Mutter
bei allergiegefährdete Kindern nicht zu empfehlen ist. Kinder, die in jungem Alter in Allgemeinnarkose operiert oder aus anderen Gründen im Krankenhaus oder mit Anti-biotika
behandelt werden mussten, hatten ebenfalls eine höhere Allergierate. Eine besonders
hohe Konzentration von Allergenen in der Wohnung wie Hausstaubmilben, Schimmelpilze begünstigen eine Sensibilisierung.
Virusinfektionen sind ein häufiger Auslöser von Asthmaepisoden bei Menschen mit
überempfindlichem Bronchialsystem. Obstruktive Bronchitiden im Säuglingsalter sind fast
immer infektausgelöst. Möglicherweise können bestimmte Viren auch über eine Erhöhung
der Durchlässigkeit der Schleimhäute der Atemwege die Entstehung von Allergien begünstigen. Andrerseits haben Virusinfektionen in der frühen Kindheit auch einen vor
Allergien schützenden Effekt (siehe unten). Einige Hobbies sind mit einer besonderen
Allergenexposition verbunden, z.B. mit einem engen und intensiven Kontakt mit Tieren.
Für Allergiker sind Hobbies und Berufe, die mit extremen Temperaturen, hoher Feuchtigkeit, Kontakt mit Schimmelpilzen, Enzymen oder aggressiven Chemikalien oder Gerüchen verbunden sind, ungeeignet.
2.4 Mangelnde oder falsche Stimulation des
Immunsystems?
2.4.1 Mangelnde Stimulation durch zu wenig Infektionserreger?
Die Hinweise verdichten sich, dass unser westlicher Lebensstil mit einer deutlich reduzierten Auseinandersetzung mit verschiedensten Viren, Bakterien, Parasiten und Endotoxinen (Giften aus der Zellwand von Bakterien), verminderter Familiengröße und Aufwachsen außerhalb von Bauernhöfen die Hauptursache der ansteigenden Allergie- und
Asthmahäufigkeit ist. Beispielsweise stieg die Allergie- und Asthmarate in den neuen
Bundesländern mit den veränderten Lebensbedingungen nach der Wende auf Westniveau
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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2. Anlage oder Umwelt?
an. Ein Zusammenhang zwischen Impfungen und einer erhöhten Allergierate besteht
nicht!
Gestützt wird die Hygienehypothese auch durch neue Untersuchungen an Bauernkindern
aus Bayern und Österreich: Bauernkinder, deren Mütter schon in der Schwangerschaft
regelmäßig im Stall gewesen waren und nach der Geburt von der Mutter regelmäßig mit
in den Stall genommen wurden, hatten eine deutlich niedrigere Allergie- und Asthmarate.
Eine gesicherte Erklärung gibt es für dieses Phänomen bisher nicht, der frühe Kontakt mit
Tierallergenen allein ist es jedoch offenbar nicht, der diese schützende Wirkung hervorruft. Möglicherweise sind es Bakteriengifte aus dem Stall, welche das Immunsystem in
eine positive, vor Allergien schützende Richtung bewegen. Auch Kinder aus anthroposophischen Familien haben weniger Allergien. Die Gründe hierfür sind unkklar.
2.4.2 Mangelnde schützende Stimulation durch ungünstige Darmflora?
Ebenso aufregend sind die Ergebnisse erster Studien, bei denen in allergiebelasteten
Familien den schwangeren Müttern sowie den Kindern nach der Geburt für 6 Monate bestimmte Milchsäurebakterien (Lactobacillus GG) verabreicht wurden. In der so behandelten Gruppe hatten die Kinder im Alter von 2 Jahren deutlich weniger atopische Erkrankungen. Der Ausgangspunkt dieser Untersuchungen war die Beobachtung, dass die
Darmflora von Kindern aus einem hoch entwickelten Land (Schweden) sich deutlich von
der Darmflora von Kindern aus einem weniger entwickelten Land (Estland) unterschied.
Auch hatten nicht allergische Kinder aus Schweden und Estland im Alter von 2 Jahren
mehr Lactobacillen und Bifidusbakterien im Darm als die allergischen, bei denen sich
mehr Colibakterien fanden. Möglicherweise kann man durch sogenannte Probiotika (=
Darmbakterien, welche die Darmflora günstig beeinflussen) über das Immunsystem des
Darmes einen vor Allergien schützenden Effekt erreichen.
2.5 Zusammenfassung
Anlage- und Umweltfaktoren wirken bei der Allergieentstehung zusammen.
Das Risiko eines Kindes, an einer Allergie zu erkranken, hängt stark von der Allergiebelastung in seiner Familie ab. Es wird fieberhaft nach Allergie- und Asthmagenen geforscht. Da Allergien und Asthma jedoch offenbar über die Kombination verschiedener
Gene vererbt werden, stehen im medizinischen Alltag verwertbare Ergebnisse allerdings
noch aus.
Folgende Umweltfaktoren (sogenannter westlicher Lebensstil) können das Allergierisiko
erhöhen: Früher und intensiver Kontakt mit mehr und unterschiedlicheren Allergieauslösern als früher, frühes Zufüttern, Tabakrauchexposition, hohe Luftschadstoffkonzentration des westlichen Typs und nach heutigem Wissen vor allem eine mangelnde Stimulation des Immunsystems durch Parasiten und andere Infektionserreger. Es gibt keine
Hinweise dafür, dass Impfungen die Allergierate erhöhen!
Schützende Faktoren sind Stillen, bäuerlicher Lebensstil (mit Stallkontakt) sowie anthroposophischer Lebensstil (Gründe unklar). Ein vielversprechender Ansatz zur Allergievorbeugung, der jedoch noch weiter abgesichert werden muss, ist die Veränderung der
Darmflora durch probiotische Bakterien.
Das Wissen um eine allergische Veranlagung darf daher nicht zur Resignation führen ("Da
kann ich ja doch nichts machen!"). Im Gegenteil, beeinflussbaren Faktoren in der häuslichen Umgebung und übrigen Umwelt muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, um durch sinnvolle vorbeugende Maßnahmen das Risiko einer Allergieentstehung
oder Allergieausweitung zu senken.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
Seite 2-6
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?
3. Wie werden Allergien und Asthma
diagnostiziert?
3.1 Die Schritte einer Allergie- und Asthmauntersuchung
3.2 Die Krankengeschichte
3.3 Die körperliche Untersuchung
3.4 Wichtiges zur Allergietestung
3.5 Allergietestung auf der Haut
3.6 Allergietestung im Blut
3.7 Provokationstests
3.8 Lungenfunktionsuntersuchung
3.9 Weitere Zusatzuntersuchungen
3.10 Abschließende Beurteilung und Besprechung
3.11 Welcher Arzt ist der richtige?
3.12 Zusammenfassung
Wenn Sie mit Ihrem Kind mit dem Verdacht auf eine Allergie zum Arzt gehen, wollen Sie
natürlich wissen, was Sie erwartet. Das dritte Kapitel gibt Ihnen die notwendigen Informationen. Sie können sich und Ihr Kind dann besser darauf vorbereiten.
Frau Weber hat mit ihrem achtjährigen Sohn Thomas einen Termin beim Arzt zur
Allergieuntersuchung. Seit drei Monaten hat Thomas in der Nacht Husten und Atemnot
bei körperlicher Anstrengung. Daher soll jetzt eine eingehende Untersuchung erfolgen.
Thomas ist es ziemlich mulmig im Bauch, auch Frau Weber ist gespannt, was sie erwartet. Nach einer kurzen Wartezeit, in der sie auch einen Fragebogen zur Krankheitsvorgeschichte ausfüllte, ist Thomas an der Reihe und wird vom Arzt mit seiner Mutter
freundlich begrüßt. Dieser stellt zunächst eine ganze Reihe von Fragen. Es folgt eine
gründliche körperliche Untersuchung. Dann wird ein Hauttest angelegt. Es tut kaum weh,
das an drei Stellen auftretende Hautjucken stört Thomas mehr. Nach fünfzehn Minuten
wird abgelesen: es zeigt sich eine deutliche Reaktion gegen Hausstaubmilben. Zuletzt
wird noch eine Lungenfunktionsuntersuchung vor und nach einem Dauerlauf
durchgeführt, Thomas muss dazu in ein Mundstück blasen. Der Ausgangswert ist in
Ordnung, nach Belastung zeigt sich jedoch eine Funktionseinschränkung. Zum Abschluss
bespricht der Arzt alle Befunde mit Thomas und seiner Mutter: Thomas hat ein Asthma
bronchiale, das durch eine Milbenallergie hervorgerufen wird und sich zudem bei
körperlicher Belastung verschlechtert. Die Milbensanierung vor allem im Kinderzimmerbereich wird besprochen. Der Arzt verordnet auch 2 Medikamente zum Inhalieren: eines
zur regelmäßigen Anwendung, ein zweites zur Anwendung nur bei Atemproblemen. Die
genaue Handhabung des kleinen Pulverinhalators wird von der Arzthelferin anschließend
ausführlich erklärt. In vier Wochen wird ein Termin für eine Kontrolluntersuchung
vereinbart, um den Erfolg der Behandlungsmaßnahmen zu überprüfen. Vor dem nächsten
Termin hat Thomas keine Angst mehr.
3.1 Die Schritte einer Allergie- und Asthmauntersuchung
Die Diagnose einer Allergie und eines Asthma bronchiale umfasst mehrere Schritte:
•
•
•
•
Krankengeschichte (Anamnese)
körperliche Untersuchung
Allergietests auf der Haut oder im Blut
Lungenfunktionstest
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 3-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?
•
•
•
Provokationstests
weitere Zusatzuntersuchungen
abschließende Bewertung und Besprechung.
3.2 Die Krankengeschichte
Der erste und wichtigste Schritt ist die Krankengeschichte (Anamnese). Mit der Krankengeschichte allein kann in vielen Fällen die Diagnose bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit
gestellt oder ausgeschlossen werden. Auf jeden Fall ist sie für die Weichenstellung in
Bezug auf weitere diagnostische Maßnahmen entscheidend. Die folgenden Fragen sind
zur Abklärung einer Allergie besonders wichtig. Eventuell erhalten Sie auch einen
Allergiefragebogen, den Sie zur Vorinformation des Arztes bereits im Wartezimmer
ausfüllen. Eventuell wird Ihr Arzt Sie auch bitten, ein Symptomprotokoll z.B. in Form
eines Symptom-Nahrungsmittel-Tagebuches zu führen.
Man unterscheidet allergische Frühreaktionen, die innerhalb von 2 Stunden eintreten
(z.B. sofortige Lippenschwellung nach Eikontakt) von allergischen Spätreaktionen. Da
letztere erst Stunden bis Tage nach dem Allergenkontakt auftreten, sind sie mitunter
sehr schwer zu diagnostizieren.
3.2.1 Fragen zu den Beschwerden
Wann und in welchem Zusammenhang sind die ersten Symptome aufgetreten?
Welche Beschwerden haben bestanden und wie lange haben sie angehalten?
Treten die Beschwerden immer zu einer bestimmten Jahres- oder Tageszeit auf (z.B.
immer im Frühjahr oder nur nachts)?
Besteht eine Abhängigkeit vom Aufenthaltsort (z.B. drinnen oder draußen, bei den
Großeltern oder Freunden, in der Schule oder im Beruf)?
Liegen persönliche Risikofaktoren vor (z.B. Frühgeborenes)?
3.2.2 Fragen zur Wohnsituation
Liegt die Wohnung auf dem Land (Felder, Wiesen in direkter Nachbarschaft) oder in
der Stadt (Hauptverkehrsstraße, Industrieansiedlung)?
Wie wird geheizt, gibt es Gas- oder Holzöfen in der Wohnung?
Ist es in der Wohnung feucht oder schimmlig?
Wie ist der Schlafbereich beschaffen (Material von Bettdecke, Kissen und Matratze,
Stockbett, viel Staub, Pflanzen)?
Sind Haustiere vorhanden und wo halten sich diese Tiere auf?
Wird in der Wohnung geraucht?
3.2.3 Fragen zum außerhäuslichen Bereich
Besteht in der Schule, bei Freunden, im Beruf oder bedingt durch Hobbies Kontakt
mit bestimmten Allergieauslösern (z.B. Tiere, Chemikalien)?
3.2.4 Fragen zur Familie
Gibt es allergische Erkrankungen oder Asthma in der Familie?
3.2.5 Fragen zur Ernährung
Wie ernährt sich der Patient und die Familie?
Bestehen erkennbare Zusammenhänge zwischen Nahrungsmitteln und Symptomen?
Besonders bei Säuglingen wichtig: Art der Ernährung, Stilldauer, wie hat sich die
Mutter während der Stillzeit ernährt, wann wurde was zugefüttert?
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 3-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?
3.2.6 Fragen zu durchgeführten Behandlungen und Medikamenten
Welche Behandlungsmaßnahmen sind bisher mit welchem Erfolg durchgeführt
worden?
Wurden vor dem Auftreten der Symptome Medikamente eingenommen?
3.3 Die körperliche Untersuchung
Ihr Kinder- und Jugendarzt wird insbesondere jene Organe gründlich untersuchen,
welche von den Beschwerden betroffen sind. Bei chronisch verlaufenden Erkrankungen
ist auch die Beurteilung von Wachstum und Entwicklung besonders wichtig.
3.4 Wichtiges zur Allergietestung
Oft ist zu hören, bei Säuglingen und Kleinkindern sei noch keine Allergietestung möglich.
Dies ist jedoch eindeutig falsch. Auch bei Säuglingen können schon aussagekräftige
Testungen vorgenommen werden.
Wichtig!: Eine positive Reaktion beim Allergietest beweist nicht automatisch das
Vorliegen einer allergischen Erkrankung. Sie zeigt lediglich, dass das Immunsystem
Kontakt mit der entsprechenden Substanz gehabt und darauf reagiert hat (= Sensibilisierung). Der Allergietest kann jedoch nichts darüber aussagen, ob diese Sensibilisierung auch wirklich Krankheitserscheinungen hervorruft (= Allergie). Diese Einschränkung gilt vor allem bei Nahrungsmitteln. Im Zweifelsfall muss ein Provokationstest
durchgeführt werden.
Ein Allergietest kann jedoch auch negativ ausfallen: z.B. im Frühstadium einer
allergischen Erkrankung oder wenn die Sensibilisierung nicht sehr stark ist, beispielsweise wenn lediglich eine allergische Bindehautentzündung vorliegt.
Das Ergebnis eines Allergietests kann daher niemals für sich allein und isoliert bewertet
werden, sondern muss immer im Zusammenhang mit der Vorgeschichte und den
Krankheitserscheinungen betrachtet und beurteilt werden! Dies setzt vor allem bei
Kindern besondere Erfahrung voraus. Leider kommt es immer wieder vor, dass der
Allergietest und nicht das allergiekranke Kind behandelt wird.
Ungeeignete Diagnosemethoden sind u.a. die Kinesiologie, Bioresonanz oder Elektroakupunktur (siehe auch Kapitel 17).
3.5 Allergietestung auf der Haut
Hauttests sind das am häufigsten angewendete Untersuchungsverfahren auf der Suche
nach Allergieauslösern. Das Testmaterial kann in die Haut eingebracht (Pricktest,
Intrakutantest) oder auf die Haut aufgebracht (Epikutantest = Patchtest) werden. Liegt
eine Sensibilisierung gegen die entsprechende Substanz vor, so reagiert die Haut mit
einer Hauterhebung (Quaddel) und Rötung bzw. einer Ekzemreaktion (Bläschen und
Knötchen). Die Stärke auftretenden Hautreaktion gib auch einen Hinweis auf den
Ausprägungsgrad der Sensibilisierung.
Wichtig!: Vor einem Hauttest müssen antiallergisch wirkende Medikamente aus der
Gruppe der Antihistaminika (z.B. Aerius®, Fenistil®, Telfast®, Zyrtec®, Xusal®)
abgesetzt werden, da sie die Reaktionsbereitschaft der Haut herabsetzen und damit das
Testergebnis verfälschen können. Die Medikamentenpause muss zwischen drei und
sieben Tagen betragen. Auch Kortison-haltige Salben und Cremes dürfen drei bis
sieben Tage vor der Testung im Testareal nicht verwendet werden.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 3-3
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?
3.5.1 Der Pricktest
Beim Pricktest werden die Testsubstanzen auf zuvor
markierten Stellen auf die Haut aufgetropft. Danach wird
jeweils mit einer Einmallanzette oder einer speziellen Nadel
durch die Allergenlösung hindurch oberflächlich in die Haut
gestochen (siehe
Abbildung 3-1). Durch diese kleine
Verletzung wird der Kontakt des Allergens mit dem
Immunsystem in der Haut hergestellt. Nach 15 Minuten
wird der Test, der hauptsächlich allergische Sofortreaktionen erfasst, abgelesen. Entscheidend ist eine Anhebung
Abbildung 3-1: Pricktest
(Quaddelbildung) der Haut. Parallel wird immer als Kontrolle mit Kochsalzlösung (darf nicht reagieren) und Histamin (Vermittlersubstanz allergischer Reaktionen, 1:1000 verdünnt, soll reagieren) getestet. Die Reaktion auf das Allergen wird im Vergleich zur Reaktion der Kochsalzlösung
(Negativkontrolle) und des Histamins (Positivkontrolle) beurteilt. Bei Säuglingen, Kleinkindern und älteren Menschen ist die Hautreaktion schwächer ausgeprägt als in den übrigen
Altersstufen.
3.5.2 Der Scratchtest
Beim Scratchtest wird die Haut oberflächlich angeritzt und anschließend das Allergen aufgetragen. Der Test hat viele unspezifisch positive Reaktionen und wird daher nur noch
selten angewendet.
3.5.3 Der Intrakutantest
Beim Intrakutantest wird die Testlösung oberflächlich in die Haut gespritzt. Er dient z.B.
zur Diagnostik von Insektengiftallergien.
3.5.4 Der Reibtest
Bei besonders starker Sensibilisierung z.B. gegen Tierhaare genügt oft ein vorsichtiges
Reiben über 60 Sekunden mit den Tierhaaren auf der Haut, um eine Hautreaktion hervorzurufen. Für einen Reibtest wird ein kräftiges Büschel Haare benötigt, etwa so viel wie
bei einem mittelgroßen Malpinsel.
3.5.5 Der Patch-Test (= Epikutantest)
Der Patch-Test wird bei Kindern hauptsächlich als sogenannter Atopie-Patch-Test zur
Überprüfung allergischer Auslösefaktoren bei Neurodermitis verwendet. Er erfasst die
allergischen Spätreaktionen, die erst innerhalb von Stunden bis Tagen nach Allergenkontakt auftreten, besser als der Pricktest oder RAST. Der Patchtest dient auch zur
Ursachensuche bei Kontaktallergien der Haut (z.B. Hautausschlägen an Körperstellen,
an denen Schmuck getragen wird).
Die Testsubstanzen werden mit Hilfe eines hautfreundlichen Pflasters mit der Haut, meist
am Rücken, in Kontakt gebracht. Sie verbleiben 24 bis 48 Stunden auf der Haut. Eine
positive Reaktion äußert sich als Anhebung der Haut, Bildung kleiner Bläschen oder
Knötchen.
3.5.6 Wann kann ein Hauttest nicht durchgeführt werden?
Eine ganze Reihe von Faktoren können die Reaktionsbereitschaft der Haut verändern und
die Aussagefähigkeit eines Hauttests beeinträchtigen. Hauttests sollen daher in folgenden
Situationen nicht durchgeführt werden:
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 3-4
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?
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während akuter Infektionen
während akuter allergischer Reaktionen (mindestens eine Woche), da die
Antikörper durch die Reaktion verbraucht und unter Umständen nicht
nachzuweisen sind
Antihistaminika oder Kortison-Cremes wurden nicht abgesetzt
Testbezirk ist z.B. durch starke Verhornung oder Ekzem verändert
zu starke Angstreaktion bei kleinen Kindern (dann Bluttest).
3.5.7 Gibt es Nebenwirkungen durch Hauttests?
Bei der bei weitem überwiegenden Anzahl von Hauttests sind außer einem Juckreiz und
evtl. einer Schwellung an der Teststelle keine Reaktionen zu erwarten. Vorsicht ist jedoch
geboten, wenn der verdächtigte Allergieauslöser zuvor Allgemeinreaktionen (z.B. einen
ausgedehnten Hautausschlag) oder Schockreaktionen hervorgerufen hat. Dies kann z.B.
bei Insektengiftallergien oder Nahrungsmittelallergien der Fall sein. In solchen
Situationen wird das Allergen in sehr hohen Verdünnungen zur Testung verwendet und
Notfallmedikamente werden bereitgehalten. Wenn ein möglicherweise mit größeren
Nebenwirkungen behafteter Test keine Konsequenzen für die Behandlung hat, sollte er
ganz unterbleiben.
3.6 Allergietestung im Blut
Unterschieden werden muss zwischen Untersuchungen, die lediglich einen Hinweischarakter auf allergische Erkrankungen haben und Untersuchungen, welche spezifisch
allergieauslösende Antikörper nachweisen können.
3.6.1 Untersuchungen mit Hinweischarakter auf eine allergische Erkrankung
Die Anzahl der Eosinophilen im Blut, eine spezielle Sorte weißer Blutkörperchen, kann
bei Allergien, jedoch auch bei Parasitenbefall (z.B. Würmer) erhöht sein. Auch die
Bestimmung des Gesamt-IgE im Blut ist zum Beweis einer Allergie ungeeignet. Die
Werte für Allergiker und Nichtallergiker überlappen stark, auch andere Erkrankungen
können zu erhöhten Werten führen.
3.6.2 Nachweis spezifischer IgE-Antikörper (RAST)
Allergische Sofortreaktionen werden durch spezifische Antikörper aus der IgE-Klasse
vermittelt (siehe auch
Kapitel 16). Diese allergenspezifischen IgE-Antikörper
richten sich hochspezifisch gegen einzelne Allergene (z.B. Birkenpollen) und können mit
verschiedenen Verfahren im Blutserum nachgewiesen werden. Meist wird der RAST
(Radio-Allergo-Sorbent-Test) verwendet. Das Ergebnis wird in RAST-Klassen angegeben:
Klasse 0 = negativ, Klasse 1 = zweifelhaft, Klasse 2 = schwach positiv, Klasse 3 =
positiv, Klasse 4 = stark positiv. Ein anderes Laborsystem (CAP®) verwendet die Klassen
0 bis 6.
Vorteile des RAST sind die Unabhängigkeit vom Hautzustand, vom Lebensalter sowie
vorausgegangener Medikamentengabe. Er ist jedoch im Vergleich zum Pricktest etwas
weniger empfindlich und teurer. Auch ist das Ergebnis nicht sofort verfügbar. Er wird
bevorzugt bei kleinen Kindern, denen eine umfangreiche Hauttestung nicht zugemutet
werden kann und bei Personen mit chronischen Hautveränderungen (z.B. Ekzemen)
durchgeführt.
3.6.3 Nachweis spezifischer IgG-Antikörper
Bei einer Entzündung der Lungenbläschen (allergische Alveolitis) wird nach
spezifischen Antikörpern der IgG-Klasse gesucht. Zum Nachweis einer Nahrungsmittelallergie sind IgG-Antikörper nicht geeignet, da sie eine normale Antwort des Organismus
auf den Kontakt mit verschiedenen Nahrungsmitteln darstellen. Auch bei Insektengift© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 3-5
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?
allergien können sich IgG-Antikörper bilden. Sie dürfen jedoch nicht als schützende Antikörper interpretiert werden.
3.6.4 Histaminfreisetzungstest
Weitere Laboruntersuchungen wie der Histaminfreisetzungstest sind wegen ihres Aufwandes Spezialfällen vorbehalten. Beim Histaminfreisetzungstest werden weiße Blutkörperchen im Labor mit Allergieauslösern in Kontakt gebracht und beobachtet, ob
Histamin freigesetzt wird.
3.7 Provokationstests
Kann mit den oben angeführten Untersuchungen eine Allergie nicht zweifelsfrei diagnostiziert werden, wird ein Provokationstest erforderlich. Beim Provokationstest wird das zu
untersuchende Organ direkt mit dem angeschuldigten Allergen in Kontakt gebracht und
somit eine allergische Reaktion provoziert.
3.7.1 Provokation der Nasenschleimhaut: Nasale Provokation
Die Lösung mit dem angeschuldigten Allergen wird in ein Nasenloch auf die untere
Nasenmuschel aufgebracht. Eine positive Reaktion äußert sich als wässrige Absonderung
und Schwellung der Nasenschleimhaut, als Vergleich dient die mit einer neutralen Lösung
behandelte andere Nasenseite. Zusätzlich kann die Änderung des Luftwiderstandes in der
Nase vor und nach Aufbringen des Allergens bestimmt werden (Rhinomanometrie).
Dieses Verfahren ist jedoch sehr aufwändig und störanfällig, sodass es vor allem bei
Kindern nicht routinemäßig angewendet wird.
3.7.2 Provokation der Bindehaut: Konjunktivale Provokation
Die Allergenlösung wird in den unteren Bindehautsack eingetropft. Eine positive Reaktion
zeigt sich in einer Anschwellung der Bindehautgefäße und einer Absonderung von
Tränenflüssigkeit.
3.7.3 Provokation des Magendarmtraktes: Orale Provokation
Nahrungsmittelallergien lassen sich in vielen Fällen durch Hauttests oder
Laboruntersuchungen nicht ausreichend abklären, da viele Personen positive Allergietests
haben, ohne dass dies mit Krankheitszeichen verknüpft ist. Zum Beweis einer
Nahrungsmittelallergie werden daher in der Regel zunächst ein oder mehrere
angeschuldigte Nahrungsmittel aus der Ernährung ausgeschlossen (Auslass- oder
Eliminationsphase). Verschwinden oder bessern sich daraufhin die Beschwerden,
spricht dies bereits für einen ursächlichen Zusammenhang. Den sicheren Beweis bringt
jedoch nur die erneute Gabe des verdächtigten Nahrungsmittels, was dann zum erneuten
Auftreten der Beschwerden führen muss (Provokationsphase). Die aussagekräftigste
Methode der Provokation mit Nahrungsmitteln ist die sogenannte doppel-blind
placebokontrollierte Provokation bei der weder Arzt noch Patient wissen, was
verabreicht wird. Die Allergene werden dabei in Medikamentenkapseln oder einer
Flüssigkeit versteckt verabreicht (siehe auch Kapitel 7 "Nahrungsmittelallergien").
Auch bei vermuteten Medikamentenallergien führt oft nur eine orale Provokation zum
Ziel. Das angeschuldigte Medikament wird vorsichtig in ansteigenden Dosen verabreicht
und die Reaktion des Patienten genau beobachtet.
Bei der Abklärung von Allgemeinreaktionen oder Schockzuständen darf die orale Provokation nur bei entsprechender Überwachungs- und Notfallbehandlungsmöglichkeit durchgeführt werden!
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?
3.8 Lungenfunktionsuntersuchung
Zur Diagnose, Verlaufs- und Therapiekontrolle bei Asthma bronchiale und anderen
chronischen Lungenerkrankungen werden Lungenfunktionsuntersuchungen eingesetzt
(siehe auch
Kapitel 5.4 "Asthma bronchiale"). Die Lungenfunktionsuntersuchungen
setzen die Mitarbeit des Patienten voraus. Einfachere Lungenfunktionsprüfungen gelingen
etwa ab einem Alter von vier bis fünf Jahren. In einigen Spezialkliniken kann bereits bei
Säuglingen die Lungenfunktion gemessen werden. Verschiedene Methoden der Lungenfunktionsprüfung stehen zur Verfügung:
3.8.1 Peak-Flow-Meter
Die einfachste Möglichkeit ist die Messung des
maximalen Luftflusses bei Ausatmung (Peak-Flow)
mit einer relativ einfachen Vorrichtung, dem PeakFlow-Meter. Damit können ohne großen Aufwand
auch häusliche Kontrolluntersuchungen vorgenommen werden. Das Peak-Flow-Meter erfasst jedoch
nur gröbere Einschränkungen der Lungenfunktion
und liefert bei Verengung der kleinen Atemwege
trotzdem normale Werte!
3.8.2 Fluss-Volumen-Spirometrie
Wesentlich aussagekräftiger ist die Aufzeichnung des Luftflusses bei Ein- und Ausatmung
in einer Fluss-Volumen-Kurve. Hierdurch können bereits geringgradige Veränderungen
der Lungenfunktion und auch Verengungen der kleinen Atemwege dokumentiert werden.
Bei verengten Bronchien nimmt das Ausatmungsvolumen ab und die Fluss-VolumenKurve bekommt eine Delle ("hängende Wäscheleine").
3.8.3 Atemwiderstandsmessung
Der Atemwiderstand zeigt an, welchen Widerstand die Atemluft in den Bronchien
überwinden muss. Er kann mit verschiedenen Methoden gemessen werden. Bei einer
Bronchialverengung steigt der Atemwiderstand an.
3.8.4 Bodyplethysmographie
Die aufwändigste Methode ist die Untersuchung in der Lungenfunktionskammer (Bodyplethysmographie). Neben der Fluss-Volumen-Kurve und dem Atemwiderstand liefert
sie auch Aussagen über eine mögliche Lungenüberblähung.
3.8.5 Bronchospasmolysetest
Beim Bronchospasmolysetest wird nach Inhalation eines bronchialerweiternden
Medikaments eine zweite Lungenfunktionsprüfung durchgeführt. Dabei zeigt sich, wie
weit sich die Bronchien öffnen können und ob eine Verengung rückbildungsfähig ist.
3.8.6 Bronchiale Provokationstests
Die bronchialen Provokationstests können eine bronchiale Überempfindlichkeit unter
Belastungsbedingungen nachweisen. Man kann damit unter anderem ein Asthma
bronchiale von anderen Lungenerkrankungen zu unterscheiden. Folgende bronchiale
Provokationstests können eingesetzt werden:
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 3-7
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?
•
Laufbelastung
Die Laufbelastung ist eine wichtige Untersuchung insbesondere wenn der
Verdacht besteht, dass sich die Bronchien bei körperlicher Anstrengung verengen
(Belastungsasthma). Vor und nach einem Lauf von sechs Minuten Dauer wird eine
Lungenfunktionsuntersuchung durchgeführt. Bei einer belastungsabhängigen
Bronchialverengung steigt der Atemwiderstand nach dem Lauf deutlich an, auch
die Fluss-Volumen-Kurve zeigt die Einengung der Bronchien.
•
Inhalation von Histamin, Methacholin oder kalter Luft
Die Inhalation mit Histamin oder Methacholin führt bei einem überempfindlichen Bronchialsystem zu einer Verengung der Bronchien mit Erhöhung
des Atemwiderstandes und einer Veränderung der Fluss-Volumen-Kurve. Ähnlich
wirkt die Inhalation von kalter Luft.
•
Inhalation von Allergenen
Bei der bronchialen Provokation mit Allergenen wird eine Lungenfunktionsdiagnostik vor und nach Inhalation einer fein vernebelten Allergenlösung
durchgeführt. Während und nach einer Inhalationsbelastung muss der Patient gut
überwacht werden, da unter Umständen schwere Asthmaanfälle und noch nach
sechs bis zehn Stunden Spätreaktionen auftreten können. Aus diesen Gründen
wird eine bronchiale Provokation mit Allergenen bei Kindern heute nur noch in
Ausnahmefällen durchgeführt.
3.9 Weitere Zusatzuntersuchungen
3.9.1 Röntgenuntersuchung
Bei akuten Atemwegsproblemen zeigt eine Röntgenuntersuchung der Lunge, ob z.B.
eine Lungenentzündung vorliegt. Bei chronischen Atemwegsproblemen muss nach
angeborenen Fehlbildungen oder chronisch entzündlichen Veränderungen der Lunge
gesucht werden. In bestimmen Fällen kann eine Computertomographie oder Kernspintomographie notwendig werden. Bei Verdacht auf eine Vereiterung der Nasennebenhöhlen als Komplikation einer allergischen Erkrankung wird evtl. eine Röntgenuntersuchung der Nasennebenhöhlen erforderlich.
3.9.2 Tympanometrie und Hörtest
Sind die Ohren in Form von Ergüssen im Mittelohr beteiligt, wird eine schmerzlose
Messung der Trommelfellbeweglichkeit (Tympanometrie) vorgenommen. Bei einem
ausgeprägten Paukenerguss bewegt sich das Trommelfell nicht mehr. Ein Hörtest zeigt
eine mögliche Beeinträchtigung des Hörvermögens durch Mittelohrergüsse.
3.9.3 Schweißtest
Eine Mukoviszidose (= Cystische Fibrose) kann ein Asthma bronchiale vortäuschen. Es
handelt sich dabei um eine angeborene Stoffwechselstörung, die vor allem zu einer
Beeinträchtigung der Funktion der Lunge und der Bauchspeicheldrüse führt. Beim
Schweißtest wird der Salzgehalt im Schweiß gemessen, welcher bei der Mukoviszidose
erhöht ist.
3.9.4 Bronchoskopie
Bei der Bronchoskopie werden Luftröhre und Bronchien mit einer starren oder flexiblen
Optik direkt beurteilt. Man kann Entzündungen, Fremdkörper oder Aussackungen in den
Bronchien erkennen und auch Gewebsproben entnehmen.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 3-8
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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3. Wie werden Allergien und Asthma diagnostiziert?
3.10 Abschließende Bewertung und Besprechung
Die Zusammenschau und Bewertung aller erhobenen Befunde liefert zum Schluss die
Diagnose und auch die Grundlage für die sich anschließende Therapie, die Ihr Kinderund Jugendarzt mit Ihnen besprechen wird. Informationen zur Therapie der verschiedenen allergischen Erkrankung und des Asthma bronchiale finden Sie in den
folgenden Kapiteln.
3.11 Welcher Arzt ist der richtige?
Bei allen Problemen sollten Sie zunächst Ihren Kinder- und Jugendarzt ansprechen. Er
kann in der Regel eine allergologische Grunddiagnostik durchführen und eine Behandlung
einleiten. Für spezielle und schwierigere Fragestellungen ist für die meisten Probleme für
Säuglinge, Kinder und Jugendliche der allergologisch qualifizierte Kinder- und
Jugendarzt der richtige Ansprechpartner. Er kennt sich mit dem wachsenden Organismus von Kindern und Jugendlichen am besten aus und ist trotz seiner Spezialisierung
nicht nur für ein Organ zuständig. So kann er die Diagnostik und Behandlung, die bei
allergischen Erkrankungen meist mehrere Organsysteme betrifft (z.B. Nase und Augen;
Lunge und Nasennebenhöhlen; Magendarmtrakt und Haut) am besten koordinieren und
im Bedarfsfall weitere Fachkollegen oder eine Allergieambulanz an einer Kinder- und
Jugendklinik einschalten. Sie erkennen allergologisch besonders weitergebildete Ärzte
daran, dass sie hinter ihrem Facharzttitel die Zusatzbezeichnung "Allergologie" führen.
Sie finden diese Ärzte über Verzeichnisse, welche die regionalen Krankenkassen
herausgeben; ebenso können die Bezirksärztekammern Auskunft geben.
3.12 Zusammenfassung
Die Diagnose einer Allergie verläuft in verschiedenen Schritten: Nach der Erhebung
der Krankengeschichte erfolgt die körperliche Untersuchung. Mit einem Bluttest
können allergieauslösenden Antikörper direkt nachgewiesen werden, mit Hauttests kann
die Reaktion des Immunsystems auf den Allergieauslöser an der Haut beobachtet
werden. Eine Allergietestung ist bereits ab dem Säuglingsalter möglich. In unklaren
Fällen muss das betroffene Organ direkt mit dem vermuteten Allergieauslöser in Kontakt
gebracht und die Reaktion beobachtet werden (Provokationstest). Bei Verdacht auf ein
überempfindliches Bronchialsystem oder ein Asthma bronchiale ist eine Lungenfunktionsuntersuchung erforderlich. Eventuell werden auch weitere Zusatzuntersuchungen wie ein Röntgenbild der Lunge oder ein Schweißtest durchgeführt.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 3-9
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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4. Erkrankungen der oberen Atemwege
4. Erkrankungen der oberen Atemwege
4.1 Aufbau der oberen Atemwege
4.2 Funktion der Nase
4.3 Übererregbarkeit der Nasenschleimhaut
4.4 Heuschnupfen
4.5 Dauerschnupfen
Dieses Kapitel erläutert zunächst den Aufbau und die Funktion der oberen Atemwege.
Anschließend werden der Heuschnupfen, der allergische Dauerschnupfen sowie andere
Ursachen einer chronisch verstopften Nase besprochen.
4.1 Aufbau der oberen Atemwege
Zu den oberen Atemwegen zählen die Nase und der Rachen. Mit der Nase in Verbindung
stehen die Nasennebenhöhlen, die größten sind die Stirnbeinhöhle und die beiden
Oberkieferhöhlen. Die Ohrtrompete zieht vom oberen Nasenrachenraum zur Paukenhöhle des Mittelohrs, sie ist für den Druckausgleich zwischen Mittelohr und Rachen zuständig. Die Schleimhaut des Nasenrachenraums setzt sich auch nach unten in die
Schleimhaut der Luftröhre und der Bronchien fort.
Der Begriff "united airways" = "vereinigte Atemwege" drückt diesen anatomischen und
funktionellen Zusammenhang anschaulich aus. Diese Tatsache hat jedoch auch zu
Konsequenz, dass bei Allergien im Nasenrachenraum auch die Nasennebenhöhlen, das
Mittelohr und die Bronchien in Mitleidenschaft gezogen werden können (siehe
Abbildung 4-1).
Nasenhöhle
Mundhöhle
Kehlkopf
Lungenbläschen
Luftröhre mit
Knorpelspangen
feinster Bronchus
rechter Hauptbronchus
rechter Lungenflügel
Zwerchfell
Abbildung 4-1: Aufbau der oberen und unteren Atemwege
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 4-1
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4. Erkrankungen der oberen Atemwege
4.2 Funktion der Nase
Die Nase hat die wichtigen Funktionen der Erwärmung, Befeuchtung und Reinigung
der eingeatmeten Luft. Die Einatemluft wird in der Nase von Raumtemperatur auf etwa
30°C erwärmt und stark befeuchtet. Fast alle Teilchen über einer Größe von 10 µm (z.B.
Pollen) werden in der Nase abgefangen und gelangen nicht in die tieferen Atemwege. Die
meisten Teilchen unter 2 µm (z.B. Schimmelpilzsporen) passieren ungehindert. Die Nase
hat auch die Funktion einer "Gasmaske", indem sie viele wasserlösliche Gase wie Formaldehyd oder Ozon zum großen Teil zurückhält.
Wird durch den Mund geatmet, fallen die genannten Schutzmechanismen aus. Es kann
dadurch zu einer Austrocknung und Reizung der Bronchialschleimhaut kommen und
Allergieauslöser können direkt in die Lunge gelangen. Dies ist besonders für Personen mit
überempfindlichem Bronchialsystem bedeutsam. Weiterhin fungiert die Nase als Riechorgan und Klangkörper beim Sprechen und Singen. Interessant ist, dass alle drei bis
sechs Stunden die Schleimhaut einer Nasenseite anschwillt und auf der Gegenseite
abschwillt, sodass es in regelmäßigen Abständen zu einer Umverteilung des Atemstroms
zwischen rechts und links kommt.
Etwa 50% des Widerstandes, den die Luft überwinden muss, bis sie in die tiefsten
Atemwege gelangt ist, wird durch die Nase hervorgerufen. Vor allem bei Säuglingen und
kleinen Kindern wird die Atmung durch eine Verlegung der Nase deutlich beeinträchtigt.
4.3 Übererregbarkeit der Nasenschleimhaut
Kennzeichen allergischer wie nichtallergischer Erkrankungen der Nase ist die Übererregbarkeit der Nasenschleimhaut. Unterschiedliche Reize wie Kälte, Staub oder
allergische Auslöser können zu einer Anschwellung der Nasenschleimhaut führen, was die
Nasengänge einengt und die Atmung erschwert. Zusätzlich kann es zu einem wässrigen
Ausfluss kommen.
Das Leitsymptom allergischer Erkrankungen der Nase ist der Schnupfen: entweder in
Form einer laufenden Nase (Fließschnupfen) mit Absonderung von wässrigem Sekret
oder einer verstopften Nase (Stockschnupfen) mit blockierter Nasenatmung. Man
unterscheidet den saisonal zu einer bestimmten Jahreszeit auftretenden allergischen
Schnupfen (z.B. Heuschnupfen bei Pollenallergie) vom allergischen Dauerschnupfen, der
mehr oder weniger konstant das ganze Jahr über besteht.
4.4 Heuschnupfen
Der sechsjährige Paul macht an einem der ersten schönen Tage im Mai mit seinen Eltern
und Geschwistern einen Ausflug ins Grüne. Er tollt den ganzen Tag in Wald und in Wiesen
herum. Nachmittags fängt Paul an, die Augen zu reiben, die Nase juckt. Als die Familie
am Abend nach Hause kommt, hat Paul knallrote Augen, die Nase läuft. An den
folgenden Tagen regnet es, Paul geht es gut. Beim nächsten Ausflug am folgenden
Wochenende geht es wieder los: Pauls Nase juckt und läuft, die Augen tränen. Die Mutter
ahnt jetzt, was los ist. Sie kennt die Symptome aus eigener Erfahrung: Heuschnupfen.
4.4.1 Was bedeutet Heuschnupfen?
Unter Heuschnupfen versteht man einen saisonal auftretenden allergischen
Schnupfen (= saisonale allergische Rhinitis), der durch Pollen hervorgerufen wird.
Die Beschwerden werden jedoch nicht durch Heu, sondern durch die Pollen des
blühenden Grases ausgelöst. Die Nase ist auch nicht das einzige befallene Organ: auch
die Augen und die Nasennebenhöhlen können mitreagieren. Der Ausdruck Pollinose
schließt alle durch Pollen hervorgerufenen Krankheitserscheinungen (beispielsweise auch
ein durch Pollen ausgelöstes Asthma bronchiale) ein.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 4-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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4. Erkrankungen der oberen Atemwege
4.4.2 Wie häufig ist Heuschnupfen?
Durch ihre Eigenschaft als Filterorgan für die Einatemluft ist die Nase ständig mit
potentiellen Allergieauslösern in Kontakt. Es verwundert daher nicht, dass der Heuschnupfen die häufigste allergische Erkrankung überhaupt ist. Inzwischen leiden etwa
10% aller Kinder und bis zu 20% der Jugendlichen daran. Die Häufigkeit des Heuschnupfens hat in den letzten Jahrzehnten etwa um das Zehnfache zugenommen. Der
Heuschnupfen beginnt oft schon im vierten bis sechsten Lebensjahr und erreicht einen
Häufigkeitsgipfel zwischen dem zehnten und zwanzigsten Lebensjahr. Der Erkrankungsbeginn verschiebt sich zunehmend in Richtung Kleinkindesalter.
4.4.3 Symptome bei Heuschnupfen
Typisch ist ein streng saisonales Auftreten der Heuschnupfensymptome während der
Blütezeit der auslösenden Pflanzen.
Zunächst tritt ein Nasenjucken mit heftigem Niesreiz auf. Die von Kindern häufig
durchgeführte Handbewegung von der Oberlippe zur Nasenspitze wird als "allergischer
Gruß" bezeichnet. Es folgt eine wässrige Absonderung aus der Nase. Bis zu 20 ml
Sekret pro Stunde kann die Nase abgeben. Parallel dazu kommt es zu einer Schwellung
der Nasenschleimhaut, die Nase verstopft, die Sprache klingt näselnd. Ein Jucken am
Gaumen oder Rachen zeigt an, dass die Allergene bis in den Rachen gewandert sind.
Ein Verschwellen der Nasennebenhöhlen führt zu Schmerzen im Bereich der Nasennebenhöhlen und zu einem dumpfen Druck im Kopf. Auch ein Jucken im Gehörgang
(Gehörgang und Rachen werden vom selben sensiblen Nerven versorgt) und ein Druck
in den Ohren (durch eine Blockierung der Mittelohrbelüftung über die Ohrtrompeten)
können sich zeigen. Geruchs- und Geschmackssinn werden gestört. Im akuten Schub
kann das Allgemeinbefinden, einem grippalen Infekt ähnlich, deutlich beeinträchtigt
sein.
Oft ist beim Heuschnupfen auch die Bindehaut der Augen mitbeteiligt. Es kommt zu
Augenjucken. Verstärkt durch ständiges Reiben werden die Augen rot, brennen und
tränen. Die Beeinträchtigung kann enorm sein. Die Augensymptome können auch ohne
Nasensymptome als alleinige Zeichen einer Pollenallergie auftreten.
Bei 30 bis 40% der Betroffenen reagieren im Laufe der Zeit auch die Bronchien
überempfindlich auf Pollen, es kann zu einem Asthma bronchiale kommen (sogenannter "Etagenwechsel").
4.4.4. Die Auslöser des Heuschnupfens: Pollen
Auslöser des Heuschnupfens sind Pollen (= Blütenstaub). Pollen sind bei höheren
Pflanzen die Träger des männlichen Erbguts. Sie werden durch den Wind aufgewirbelt
und in großen Mengen unter Umständen kilometerweit durch die Luft getragen. Die in
den Pollen vorhandenen Eiweißbestandteile lösen die allergischen Reaktionen aus.
Es können drei Hauptquellen von Pollen mit verschiedenen Flugzeiten unterschieden
werden:
•
•
•
Bäume, welche im Frühjahr blühen (sogenannte Frühblüher),
Gräser und Getreide mit Blütezeit im Sommer und
Kräuter mit Blütezeit im Frühherbst.
Weitere Informationen über Pollen siehe
Kapitel 12.
4.4.5 Diagnose des Heuschnupfens
Die Vorgeschichte mit dem saisonalen Auftreten der Symptome liefert bereits die
entscheidenden Hinweise.
Bei der Untersuchung findet der Arzt neben einer laufenden oder blockierten Nase mit
geschwollener Nasenschleimhaut und geröteten Augen bei Kindern oft weitere Zeichen:
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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4. Erkrankungen der oberen Atemwege
dunkle Ringe und eine Anschwellung unter den Augen, durch häufiges Reiben der Nase
eine quere Falte im unteren Nasendrittel, bei Verlegung der Nase eine Mundatmung mit
nächtlichem Schnarchen. Zusätzlich kann ein Erguss im Mittelohr vorliegen. Die Lunge
wird zum Ausschluss einer Mitreaktion der Bronchien ebenfalls abgehört.
Ein Pricktest mit den verdächtigten Pollen identifiziert schließlich den oder die Auslöser.
Alternativ kann bei kleinen Kindern oder bei Vorliegen von Ekzemen ein RAST durchgeführt werden (siehe Kapitel 3.5 und 3.6). Im Frühstadium eines Heuschnupfens oder
wenn isoliert eine allergische Bindehautentzündung besteht können allerdings der Prickund RAST-Test unauffällig sein.
In Zweifelsfällen kann ein Nasenabstrich mit Untersuchung der Eosinophilenzahl (mehr
als 10% Eosinophile sprechen für einen allergischen Schnupfen) oder eine nasale
Provokation weiterhelfen.
4.4.6 Therapie des Heuschnupfens
Die Therapie des Heuschnupfens umfasst die Reduktion des Pollenkontakts, die Ausschaltung weiterer Reizfaktoren wie Zigarettenrauch, die medikamentöse Therapie und
eventuell die Hyposensibilisierung (siehe Tabelle 4-1).
Tabelle 4-1: Therapie des Heuschnupfens
1) Kontakt mit Allergie-Auslöser und anderen Reizfaktoren reduzieren
2) Medikamentöse Behandlung
- evtl. kurzzeitig abschwellendes Nasenspray
- Antiallergikum örtlich
- Antiallergikum zum Einnehmen
3) Hyposensibilisierung
1) Pollenkontakt reduzieren
Da Pollen praktisch allgegenwärtig sind, ist eine vollständige Meidung des Pollenkontakts
natürlich unmöglich. Wichtige Ratschläge für Pollenallergiker, wie man den Pollenkontakt
einschränken kann, finden Sie in Kapitel 12.1.
2) Medikamentöse Therapie
Falls trotz Einschränkung des Pollenkontakts weiterhin ausgeprägte Symptomen bestehen, wird eine medikamentöse Behandlung erforderlich. Es gibt Medikamente, die
eher vorbeugend wirken, und Medikamente, die akut auftretende Beschwerden lindern.
• Schleimhautabschwellende Mittel
Im Akutfall bei starkem Ausfluss aus der Nase oder massiv verstopfter Nase helfen
abschwellende Nasentropfen oder Nasensprays (z.B. Nasivin®, NasenSpray
ratiopharm®, Olynth®, Otriven®). Der schnelle Wirkungseintritt dieser Mittel verleitet zum
häufigen Gebrauch. Diese Präparate dürfen jedoch regelmäßig nur eine Woche
angewendet werden, da sonst die Nasenschleimhaut austrocknet! Abschwellende
Schnupfenmittel mit gefäßverengenden Inhaltsstoffen werden auch als Saft oder
Tabletten angeboten. Ihre Wirkung ist deutlich schwächer als bei örtlicher Anwendung.
Sie spielen daher bei der Behandlung des Heuschnupfens keine große Rolle.
• DNCG
DNCG (= Dinatriumcromoglicinsäure, z.B. Cromo-ratiopharm®, DNCG Trom®, Fenistil®
Augentropfen Cromoglicin, Opticrom®, Vividrin®) kann als Augentropfen und Nasenspray
angewendet werden. Es hemmt die Ausschüttung von Histamin und wirkt nur
vorbeugend. Die Behandlung sollte daher bereits einige Tage vor dem erwarteten
Pollenflug, spätestens bei den ersten Symptomen beginnen. Die Anwendung muss
zumindest während der Zeiten mit starkem Pollenflug viermal täglich erfolgen. DNCG ist
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 4-4
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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4. Erkrankungen der oberen Atemwege
sinnvoll bei leichtem Heuschnupfen und ist auch bei Langzeitanwendung sehr gut verträglich. Lodoxamid (Alomide® Augentropfen) wirkt ähnlich wie DNCG.
• Nedocromil
Nedocromil (Irtan® Augentropfen und Nasenspray) hat im Vergleich zu DNCG zusätzlich
eine antientzündliche Wirkung und einen schnellen Wirkungseintritt.
• Antihistaminika
Antihistaminika blockieren die Wirkung des Histamins und dämpfen so die allergische
Reaktion. Verschiedene Antihistaminika stehen zur Anwendung als Augentropfen,
Nasenspray sowie zum Einnehmen zur Verfügung. Die älteren Antihistaminika zur Einnahme haben als Nebeneffekt eine müdemachende Wirkung, die neueren Präparate nicht
mehr. Die neuen Antihistaminika haben einen raschen Wirkungseintritt und sind heute
die wichtigste Wirktoffgruppe in der Behandlung des Heuschnupfens. Man versucht
zunächst eine örtliche Behandlung als Augentropfen und Nasenspray (z.B. Allergodil®,
Fenistil® Nasal, Livocab®). Falls hiermit kein ausreichender Effekt zu erzielen ist oder
wenn zusätzlich Zeichen einer Mitreaktion der Bronchien auftreten, kommen
Antihistaminika der neuen Generation zum Einnehmen zur Anwendung (z.B. Aerius®,
Lisino® und Generica, Telfast®, Zyrtec® und Generica, Xusal®).
• Kortikoide
Liegen schwere, auch mit Antihistaminika nicht unter Kontrolle zu bringende Symptome
vor, so müssen eventuell Kortikoide lokal als Nasenspray oder als Augentropfen
eingesetzt werden. Hierzu zählt vor allem eine anhaltend verstopfte Nase, was zu einer
erheblichen Beeinträchtigung des Wohlbefindens führen kann. In diesem Falle ist die
Anwendung eines Kortikoid-haltigen Nasensprays (z.B. Flutide®, Nasonex®, Syntaris®)
bedeutend harmloser als die ständige Anwendung von abschwellenden Nasentropfen. Die
Indikation zur Anwendung sollte der allergologisch erfahrenen Arzt stellen. Auch der
Einsatz von Kortikoid-haltigen Augentropfen oder Augensalben darf nur vom Arzt
veranlasst werden! Bei länger dauernder Anwendung müssen regelmäßige augenärztliche
Kontrollen durchgeführt werden.
Die innerliche Anwendung von Kortikoiden bei Heuschnupfen muss absoluten Ausnahmen vorbehalten bleiben, da bei längerfristiger Anwendung unter anderem mit
Wachstumsstörungen zu rechnen ist!
3) Hyposensibilisierung
Die Pollenallergie ist das klassische Anwendungsgebiet der Hyposensibilisierungsbehandlung (siehe auch
Kapitel 13). Bei der Hyposensibilisierung werden dem Körper
in steigender Dosis die auslösenden Pollen verabreicht, bis das Immunsystem nicht mehr
allergisch auf die Pollen reagiert. Goldstandard ist die subkutane Hyposensibilisierung,
bei der die Allergene unter die Haut gespritzt werden. Eine Hyposensibilisierung ist unter
folgenden Voraussetzungen sinnvoll:
Die Pollen, gegen die man hyposensibilisieren will, sind eindeutig als Auslöser nachgewiesen.
Die Beschwerden sind gravierend, bestehen mindestens vier Wochen im Jahr und
lassen sich durch eine medikamentöse Therapie nicht ausreichend kontrollieren.
Es bestehen Hinweise für eine Mitreaktion der Bronchien.
4.4.7 Verschwindet ein Heuschnupfen wieder?
Der Heuschnupfen beginnt meist im Kindes- oder Jugendalter, kann jedoch prinzipiell in
jedem Lebensalter auftreten. Der Verlauf ist sehr variabel und die Verlaufsbeurteilung
wird durch einen in verschiedenen Jahren unterschiedlich starken Pollenflug erschwert.
Ein Heuschnupfen kann sich im Einzelfall nach einer Anzahl von Jahren abschwächen
oder ganz verlieren. Bei 30 bis 40% der Heuschnupfenpatienten entwickeln sich jedoch
Zeichen eines Pollenasthmas, sodass der Heuschnupfen auf keinen Fall als Bagatellerkrankung eingestuft werden darf. Im höheren Lebensalter stellt der Heuschnupfen
allerdings kaum noch ein größeres Problem dar (das Immunsystem wird träger).
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 4-5
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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4. Erkrankungen der oberen Atemwege
4.4.8 Hat ein Heuschnupfen noch andere Folgen?
Folgende Faktoren können den Verlauf einer Heuschnupfenerkrankung komplizieren:
•
•
•
•
Da die Schleimhaut der Nasennebenhöhlen mitreagiert und anschwillt, kann leichter
eine eitrige oder chronische Nasennebenhöhlenentzündung entstehen. Bei Personen mit allergischem Schnupfen finden sich häufiger Mittelohrergüsse, welche das
Hörvermögen beeinträchtigen.
Neue Allergien (z.B. gegen andere Pollenarten oder Hausstaubmilben) können hinzukommen.
Durch eine Kreuzallergie zwischen Pollen und Nahrungsmitteln können Reaktionen auf
bestimmte Nahrungsmittel auftreten. Es zeigen sich dabei meist juckende und
brennende Beschwerden im Mundbereich (orales Allergiesyndrom). Oft sind die
Symptome der Kreuzallergie gegen Nahrungsmittel nur während der Pollenflugzeit
vorhanden. Die wichtigsten Kreuzallergien sind:
Birkenpollen: mit Äpfeln, Pfirsichen, Aprikosen, Pflaumen, Zwetschgen und Kartoffeln.
Birken- und Haselpollen: mit Haselnüssen, Mandeln, roher Sellerie, rohen Karotten.
Beifußpollen: mit Sellerie und anderen Gewürzen, Karotten und anderen Gemüsen.
Gräser- und Getreidepollen: mit Hülsenfrüchten, Getreide und Tomaten.
Es kann ein sogenannter Etagenwechsel stattfinden. Dies bedeutet, dass die
Allergie "nach unten wandert" und die Bronchien in Form einer Verengung mitreagieren, also ein Asthma
bronchiale entsteht. Dies ist bei 30 bis 40% der Heuschnupfenpatienten der Fall! Bei Kindern kann dieser Weg jedoch auch andersherum
verlaufen, das heißt zuerst tritt ein Asthma bronchiale auf, dann eventuell zusätzlich
der Heuschnupfen.
Diese Punkte zeigen, dass ein Heuschnupfenpatient ärztlich gut überwacht werden muss,
vor allem wenn eine anhaltende Verschlimmerung der Symptome auftritt oder neue
Symptome hinzutreten.
4.4.9 Zusammenfassung
Unter Heuschnupfen versteht man einen durch Pollen hervorgerufenen saisonalen
allergischen Schnupfen mit Nasenjucken, Niesreiz, laufender oder verstopfter Nase.
Die meisten Patienten erkranken im Kindes- und Jugendalter. Meist sind auch die Augen
in Form einer Bindehautentzündung mit Augenjucken, -rötung, -brennen und -tränen
mitbeteiligt. Eine Bindehautentzündung kann jedoch auch das alleinige Symptom einer
Pollenallergie sein. Im Akutstadium kann das Allgemeinbefinden ähnlich wie bei einem
grippalen Infekt deutlich beeinträchtigt sein. Als Komplikationen können Mittelohrergüsse, Nasennebenhöhlenentzündungen und Kreuzallergien zu Nahrungsmitteln auftreten. Auch wegen der Gefahr der Entwicklung eines Pollenasthmas bei 30 bis 40% der
Patienten ist der Heuschnupfen nicht als Bagatellerkrankung anzusehen!
Die Diagnose wird durch die Anamnese und den Nachweis einer Pollenallergie mit dem
Pricktest oder RAST gestellt. Die Behandlung des Heuschnupfens umfasst die Reduktion
des Pollenkontakts sowie die örtliche und/oder innerliche Anwendung von antiallergisch
wirkenden Medikamenten. Bei Beschwerden, die medikamentös schlecht kontrollierbar
sind oder wenn die Entwicklung eines Pollenasthmas droht, ist eine Hyposensibilisierung
zu empfehlen.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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4.5 Dauerschnupfen
Patrizia, vierzehn Jahre alt, hatte den ganzen Winter über eine verstopfte Nase, was sie
auf wiederholte "Erkältungen" zurückführte. Als die Symptome aber auch noch im August
anhalten, beginnt sie sich doch zu wundern und geht zur Ärztin. Diese findet eine
geschwollene Nasenschleimhaut und führt einen Hauttest durch. Es zeigen sich positive
Reaktionen gegen Hausstaubmilben und Gräserpollen. Die Diagnose lautet: Allergischer
Dauerschnupfen, ausgelöst durch eine Milbenallergie und verstärkt durch eine Gräserpollenallergie. Die von der Ärztin vorgeschlagene Milbensanierung im Schlafbereich
lindert die Beschwerden bereits deutlich. Falls sich die Beschwerden im nächsten Jahr zur
Gräserpollenzeit wieder verschlechtern, wird Patrizia zusätzlich ein antiallergisches
Nasenspray erhalten.
4.5.1 Wie äußert sich ein Dauerschnupfen?
Beim Dauerschnupfen bestehen die Symptome praktisch das ganze Jahr über, wenn auch
die Schwere der Symptome wechseln kann. Auch hier können eine "laufende Nase" mit
wässriger Absonderung und eine "verstopfte Nase" mit Atemproblemen und nächtlichem
Schnarchen im Verlauf abwechseln. Die Augen sind weniger häufig als beim Heuschnupfen mitbetroffen.
4.5.2 Was sind die Ursachen eines Dauerschnupfens?
Es gibt eine allergische und eine nichtallergische Form des Dauerschnupfens:
1) Allergischer Dauerschnupfen
Auslöser eines allergischen Dauerschnupfens können sein:
•
•
•
•
•
Hausstaubmilben (siehe Kapitel 12.2)
Tiere (siehe Kapitel 12.3)
Schimmelpilze (siehe Kapitel 12.4)
selten auch Nahrungsmittel
eine Kombination der oben genannten Allergene untereinander oder mit Pollen
(siehe Kapitel 12.1).
Hausstaubmilben, Tiere und Schimmelpilze können gemeinsam oder abwechselnd einen
allergischen Dauerschnupfen verursachen. Außerdem kann eine Allergie gegen eine
Vielzahl von Pollen unterschiedlicher Blütezeit Dauersymptome hervorrufen. Es kann
mitunter schwierig sein, das hauptverantwortliche Allergen ausfindig zu machen.
2) Nichtallergischer Dauerschnupfen
Beim nichtallergischen Dauerschnupfen besteht eine Überempfindlichkeit der Nasenschleimhaut gegen eine ganze Reihe unterschiedlicher Reizfaktoren. Kälte,
Wärme und verschiedene Reizstoffe in der Luft führen zu einer Anschwellung der Nasenschleimhaut. Die Diagnose eines nichtallergischen Dauerschnupfens kann nur gestellt
werden, wenn zuvor allergische Auslösefaktoren ausgeschlossen worden sind.
Auch eine Kombination allergischer und nichtallergischer Mechanismen ist möglich. Bei
Erwachsenen gibt es eine Verlaufsform, welche mit einer Polypenbildung in der Nase
einhergeht.
3) Weitere Ursachen einer chronisch verstopften Nase
•
Vor allem bei kleinen Kindern ist bei einer chronisch verstopften Nase an eine
angeborene Verengung in der Nase zu denken. Ein Nasenloch kann zu eng
angelegt sein oder die Nasenscheidewand ist verkrümmt und behindert den
Luftstrom durch die Nase.
•
Neugeborene und junge Säuglinge produzieren, durch die noch engen
anatomischen Verhältnisse im Nasenrachenraum bedingt, häufig harmlose
schnorchelnde Atemgeräusche.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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4. Erkrankungen der oberen Atemwege
•
Kleine Kinder stecken sich gerne alle möglichen Dinge in die Nase, z.B. Perlen.
Daher muss man bei chronischem Schnupfen immer auch an Fremdkörper in der
Nase denken.
•
Ständiges Atmen durch den offenen Mund und nächtliches Schnarchen kann durch
eine Vergrößerung der Rachenmandeln (Adenoide) verursacht sein.
•
Die unkontrollierte Daueranwendung von schleimhautabschwellenden
Nasentropfen führt unweigerlich zu einer Funktionsstörung der Nasenschleimhaut (Privinismus).
•
Hormonell bedingte Funktionsstörungen der Nasenschleimhaut etwa durch eine
Schilddrüsenunterfunktion spielen im Kindesalter keine große Rolle.
4.5.3 Diagnostische Abklärung des Dauerschnupfens
Nach Erhebung der Anamnese erfolgt zunächst die genaue Untersuchung der Nase.
Der Arzt sucht z.B. nach Einengungen in der Nase oder einer verkrümmten
Nasenscheidewand, die Nasenschleimhaut und die Trommelfelle werden beurteilt und die
Lunge abgehört. Mit einem Pricktest oder RAST wird nach auslösenden Allergenen
gefahndet. Eventuell wird die Wirkung von Allergenen direkt an der Nasenschleimhaut
getestet (nasale Provokation) oder ein Abstrich von der Nasenschleimhaut zur Bestimmung der Eosinophilenzahl entnommen. Bei Verdacht auf eine schwerwiegende
Beteiligung der Nasennebenhöhlen wird unter Umständen eine Röntgenuntersuchung der
Nasennebenhöhlen durchgeführt.
4.5.4 Therapie des allergischen Dauerschnupfens
An erster Stelle der Therapie steht, soweit möglich, die Vermeidung des Kontaktes mit
dem auslösenden Allergen und anderer Reizfaktoren wie Zigarettenrauch. Beim
nichtallergischen Dauerschnupfen müssen die im Einzelfall wichtigen provozierenden
Reize wie Kälte minimiert werden. An zweiter Stelle steht die medikamentöse Therapie,
bei allergischem Dauerschnupfen kommt auch eine Hyposensibilisierung in Betracht.
1) Allergenvermeidung
Beim allergischen Dauerschnupfen ist die wichtigste Maßnahme die Allergenvermeidung.
•
•
•
•
Ratschläge für Milbenallergiker siehe Kapitel 12.2
Was ist zu tun bei Tierallergien? siehe Kapitel 12.3
Ratschläge bei Schimmelpilzallergien siehe Kapitel 12.4
Ratschläge für Pollenallergiker siehe Kapitel 12.1.
2) Medikamentöse Therapie des Dauerschnupfens
Die medikamentöse Therapie des allergischen Dauerschnupfens erfolgt wie beim
Heuschnupfen zunächst mit einem antiallergischen Nasenspray (z.B. Allergodil®,
Fenistil® Nasal, Irtan®, Livocab®). Kurzzeitig können auch hier abschwellende Nasensprays (z.B. Nasivin®, NasenSpray ratiopharm®, Olynth®, Otriven®) für maximal eine
Woche verabreicht werden, langdauernder Gebrauch trocknet die Nasenschleimhaut aus!
Antihistaminika zum Einnehmen (z.B. Aerius®, Lisino® und Generica, Telfast®, Zyrtec®
und Generica, Xusal®) wirken beim Dauerschnupfen weniger gut als beim saisonalen
Heuschnupfen. Kortikoid-haltige Nasensprays (z.B. Flutide®, Nasonex®, Syntaris®)
haben bei "blockierter Nase" den besten Erfolg, sollten jedoch bei Kindern nur über einen
begrenzten Zeitraum eingesetzt werden.
3) Hyposensibilisierung
Insbesondere bei Milben- und Tierallergien kann mit gutem Erfolg hyposensibilisiert
werden, wenn die konsequente Meidung des Allergieauslösers nicht möglich ist (siehe
Kapitel 13).
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 4-8
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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4. Erkrankungen der oberen Atemwege
4) Weitere ergänzende Maßnahmen
•
Andere unspezifische Reize wie Tabakrauch sind auszuschalten.
•
Eine trockene Nasenschleimhaut ist besonders reizbar. Deshalb wird im Bedarfsfalle eine Nasensalbe aufgetragen oder die Schleimhaut mit Kochsalz-Nasentropfen angefeuchtet.
•
Tritt eine Nasenblockade vor allem bei Nacht auf, so kann durch ein leichtes
Anheben des Kopfes die Blutfülle in der Nasenschleimhaut reduziert und eine
gewisse Schleimhautabschwellung erreicht werden.
•
Allgemeine abhärtende Maßnahmen (z.B. regelmäßiges körperliches Training,
Sauna, Kneipp-Therapie) können die Nasenschleimhaut zusätzlich stabilisieren.
4.5.5 Komplikationen des allergischen Dauerschnupfens und deren Behandlung
Die Komplikationen des allergischen Dauerschnupfens sind wie beim Heuschnupfen
Nasennebenhöhlenentzündungen, Mittelohrergüsse und die Entwicklung eines
Asthma bronchiale. Nasennebenhöhlenentzündung und Mittelohrergüsse gehen in der
Regel parallel mit dem Ausprägungsgrad des Dauerschnupfens. Wenn ein allergischer
Auslöser ausgeschaltet werden kann und sich der Schnupfen bessert, gehen auch die
anderen Begleiterscheinungen zurück.
Bei einer Nasennebenhöhlenentzündung muss zunächst ein guter Sekretabfluss aus
den Nasennebenhöhlen in die Nase gewährleistet sein. Daher werden abschwellende
Nasentropfen gegeben. Bei einer schweren eitrigen Nasennebenhöhlenentzündung muss
antibiotisch behandelt werden.
Mittelohrergüsse sind häufig ein ausgesprochen hartnäckiges Problem. Die immer noch
geübte Verwendung abschwellender Nasentropfen über Wochen mit dem Ziel, die
Ohrtrompete zwecks einer besseren Belüftung des Mittelohres abzuschwellen, ist in ihrer
Wirksamkeit nicht gesichert und kann die Nasenschleimhaut austrocknen. Kaugummikauen und die Verwendung eines Nasenballons können die Mittelohrbelüftung verbessern. Bei hartnäckigen Mittelohrergüssen mit Beeinträchtigung des Hörvermögens
muss manchmal über einen Trommelfellschnitt (Parazentese) die Flüssigkeit aus dem
Mittelohr abgelassen werden oder ein Paukenröhrchen als Drainage eingelegt werden.
Meist werden dann auch gleichzeitig die Polypen entfernt.
4.5.6 Zusammenfassung
Beim Dauerschnupfen bestehen im Gegensatz zum Heuschnupfen die Beschwerden
mehr oder weniger stark ausgeprägt das ganze Jahr über. Das Symptom der blockierten
Nase steht meist im Vordergrund.
Man muss den allergischen vom nichtallergischen Dauerschnupfen unterscheiden. Beim
allergischen Dauerschnupfen sind ganzjährig vorkommende Allergene wie Hausstaubmilben, Schimmelpilze und Hausstiere die Hauptauslöser. Diese Allergien können auch
untereinander oder mit einer Pollenallergie kombiniert auftreten. Beim nichtallergischen Dauerschnupfen liegt eine unspezifische Überempfindlichkeit der Nasenschleimhaut gegen unterschiedliche Reizfaktoren wie Kälte, Wärme und verschiedene
Reizstoffe vor. Auch ist eine Kombination allergischer mit nichtallergischen Faktoren
möglich.
Therapeutisch werden im Akutfalle begrenzt auf wenige Tage abschwellende
Nasentropfen eingesetzt. Bei einer allergischen Ursache wird ein Antihistaminikumhaltiges Nasenspray verabreicht. Innerliche Antihistaminika wirken beim Dauerschnupfen
nicht so gut wie beim Heuschnupfen. Kortikoide als Nasenspray haben bei blockierter
Nase den besten Effekt, sollten jedoch bei Kindern nur über einen begrenzten Zeitraum
verwendet werden.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 4-9
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
5. Erkrankungen der unteren Atemwege
5.1 Aufbau und Funktion der unteren Atemwege
5.2 Verengung der Atemwege
5.3 Obstruktive (spastische) Bronchitis
5.4 Asthma bronchiale
5.5 Entzündung der Lungenbläschen (Alveolitis)
5.6 Pseudocroup
Zunächst werden Sie etwas über den Aufbau und die Funktion der unteren Atemwege
erfahren. Anschließend werden die obstruktive Bronchitis, das Asthma bronchiale, die
Entzündung der Lungenbläschen (Alveolitis) und der Pseudocroup besprochen.
5.1 Aufbau und Funktion der unteren Atemwege
Nachdem die Einatemluft Nase und Rachen passiert hat, gelangt sie durch den Kehlkopf
und die Luftröhre in die großen und kleinen Bronchien. Die Bronchien zweigen sich
immer weiter auf und enden in den Lungenbläschen (siehe ÎAbbildung 5-1). Dort findet der eigentliche Gasaustausch statt: Sauerstoff (O2) wird ins Blut aufgenommen und
Kohlendioxid (CO2) an die Ausatemluft abgegeben. Die Bronchien bestehen aus einem
Anteil aus Knorpel, einer Muskelschicht und einer Schleimhautschicht mit Schleimdrüsen
und Flimmerhärchen. Die kleinen Bronchien haben keine Knorpelspangen mehr, sodass
sie leichter kollabieren können. Die Flimmerhärchen haben die Aufgabe, Fremdstoffe abzufangen und sie mit dem Schleim wieder nach oben zu transportieren.
Die Bronchialschleimhaut stellt mit der Schleimhaut des Nasenrachenraums eine Einheit
dar. Der Begriff "united airways" = "vereinigte Atemwege" drückt diesen anatomischen
und funktionellen Zusammenhang anschaulich aus. Diese Tatsache hat jedoch auch zu
Konsequenz, dass bei Allergien im Nasenrachenraum auch die Bronchien in Mitleidenschaft gezogen werden können.
Kehlkopf
Nasenhöhle
Mundhöhle
Lungenbläschen
Luftröhre mit
Knorpelspangen
feinster
Bronchus
rechter
Hauptbronchus
rechter
Lungenflügel
Zwerchfell
Abbildung 5-1: Anatomie der oberen und unteren Atemwege
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
5.2 Verengung der Atemwege
Die Bronchien können auf verschiedene Reize (z.B. Infektionen, Allergien, Tabakrauch)
mit einer Entzündung reagieren. Diese Entzündung kann zu einer Verengung (= Obstruktion) führen: Die Bronchialschleimhaut schwillt an und produziert große Mengen an
Schleim. Zusätzlich verkrampft sich die Bronchialmuskulatur. Es kommt zu Husten, pfeifender Ausatmung, Kurzatmigkeit und Atemnot. Bei jungen Kindern sind die Atemwege
altersbedingt noch besonders eng und die Bronchialschleimhaut noch besonders empfindlich, daher sind Säuglinge und Kleinkinder von einer Verengung der Atemwege besonders stark betroffen.
Fast 50% aller Kinder haben bis zum 6. Lebensjahr eine Bronchitis mit pfeifender Ausatmung durchgemacht. Nicht alle entwickeln glücklicherweise ein chronisches Asthma
bronchiale. Bei der ersten obstruktiven Bronchitis ist es jedoch oft nicht einfach vorauszusagen, ob es sich um eine harmlose virusausgelöste obstruktive Bronchitis ohne Langzeitprobleme oder um den Beginn eines chronischen Asthma bronchiale handelt.
5.3 Obstruktive (spastische) Bronchitis
Der 18 Monate alte Jan hat seit zwei Tagen Schnupfen und Temperaturen um 38°C. Seit
der Nacht hustet er, ist unruhig und will nicht schlafen. Die Atmung ist beschleunigt,
beim Ausatmen hört man ein pfeifendes Geräusch. Ähnliche Symptome hatte der Junge
bisher nicht gehabt. Der Kinderarzt hört Jan gründlich ab und diagnostiziert eine
obstruktive Bronchitis. Er verordnet ein bronchialerweiterndes und schleimförderndes
Medikament und eine reichliche Flüssigkeitszufuhr.
5.3.1 Was ist eine obstruktive Bronchitis?
Die obstruktive Bronchitis (auch spastische Bronchitis genannt) ist eine typische Erkrankung des Säuglings- und Kleinkindesalters. Eine Virusinfektion führt zu einer Entzündung
mit Anschwellung der Bronchialschleimhaut, der Bildung zähen Schleims und
(außer bei jungen Säuglingen) zu einer Verkrampfung (= Spastik) der Bronchialmuskulatur (siehe ÎAbbildung 5-3). Diese Verlegung (= Obstruktion) der Bronchien macht
besonders Säuglingen Probleme, da bei ihnen die Atemwege noch besonders eng sind
und bereits eine leichte Anschwellung der Bronchialschleimhaut zu einer erheblichen Einengung der Bronchien führt.
5.3.2 Wie äußert sich eine obstruktive Bronchitis?
Die Folgen der Verengung der Atemwege sind Husten, Kurzatmigkeit sowie eine erschwerte Ausatmung, die von einem pfeifenden Ausatemgeräusch (beim Abhören
der Lunge als Giemen und Brummen bezeichnet) begleitet wird. Der Allgemeinzustand
kann je nach Grad der Einengung kaum bis schwer beeinträchtigt sein. Bei einer Verengung der Bronchien muss eine erhebliche Atemarbeit geleistet werden, was die Kinder
rasch erschöpfen kann.
5.3.3 Was sind die Ursachen einer obstruktiven Bronchitis?
•
Kleine, enge Atemwege
Kinder mit vorübergehenden obstruktiven Bronchitiden im Säuglings- und Kleinkindesalter haben besonders kleine Atemwege. Dadurch kommt es bei einem
Virusinfekt (siehe unten) schnell zu einer Atemwegsverengung. Wenn die Kinder
etwas älter und die Atemwege weiter geworden sind, verschwindet dieses Problem
wieder.
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
•
Virusinfektionen
Verschiedene Viren (insbesondere RS-, Parainfluenza-, Adeno- und Rhinoviren)
können eine obstruktive Bronchitis auslösen. Auch nach einer Keuchhustenerkrankung kann das Bronchialsystem über Monate überempfindlich reagieren.
•
Andere Risikofaktoren
Besonders von obstruktiven Bronchitiden betroffen sind Frühgeborene, Kinder mit
älteren Geschwistern, Kinder in Tagheimen und Kinder, deren Mütter in der
Schwangerschaft geraucht haben oder noch rauchen.
5.3.4 Wie diagnostiziert man eine obstruktive Bronchitis?
Die Diagnose wird durch die Vorgeschichte, den Nachweis der pfeifenden Ausatmung und
durch den Abhörbefund der Lungen mit Giemen und Brummen gestellt. Eventuell muss
ein Röntgenbild zum Ausschluss einer Lungenentzündung oder Lungenfehlbildung gemacht werden. Vor allem bei einseitigem Giemen muss an einen Fremdkörper, z.B. ein
verschlucktes Erdnussstück, gedacht werden. Bei wiederholten obstruktiven Bronchitiden
wird eine Allergietestung durchgeführt; insbesondere bei Kindern, die schlecht gedeihen,
zum Ausschluss einer Mukoviszidose auch ein Schweißtest (siehe ÎKapitel 3).
5.3.5 Die Behandlung der obstruktiven Bronchitis
ÎAllgemeine Maßnahmen
Beruhigen Sie Ihr Kind, da Unruhe und Angst die Atemnot verstärken. Führen Sie ausreichend Flüssigkeit zu, damit sich der Schleim verflüssigt und besser abgehustet werden
kann. Bei behinderter Nasenatmung sollte die Nase mit abschwellenden Nasentropfen
(z.B. Nasivin®, NasenSpray ratiopharm®, Olynth®, Otriven®) freigehalten werden, um die
Atemarbeit zu reduzieren. Auch eine leichte Schräglagerung kann die Atmung erleichtern.
ÎMedikamentöse Behandlung
• Bronchialerweiternde Medikamente
Zur Erweiterung der Bronchien und Unterstützung des Schleimtransports werden
sogenannte Beta-Mimetika entweder zur Inhalation (z.B. Salbutamol = Broncho®
Inhalat, Sultanol®, Generica) oder zum Einnehmen (z.B. Bricanyl®, Loftan®,
Spasmo-Mucosolvan®) verabreicht. Da bei kleinen Säuglingen die Verkrampfung
der Bronchialmuskulatur als Ursache der Atemprobleme nicht im Vordergrund
steht, ist in dieser Altersgruppe nicht immer eine deutliche bronchialerweiternde
Wirkung zu beobachten. Zusätzlich kann auch mit Ipratropiumbromid (Atrovent®),
einem Bronchialerweiterer mit anderem Wirkungsansatz, inhaliert werden. Die
früher viel geübte Praxis, ätherische Öle auf die Kleidung aufzutropfen oder die
Brust damit einzureiben, ist für viele Kinder nicht günstig: ätherische Öle können
die Haut und die Schleimhäute der Atemwege erheblich reizen.
•
In schweren Fällen: Kortikoide zur Schleimhautabschwellung
In schweren Fällen wird Kortison (meist als Zäpfchen, z.B. Prectal®, Klismacort®,
Rectodelt®, in der Klinik auch intravenös) verabreicht. Kortison ist der stärkste
Schleimhautabschweller und verstärkt auch die Wirkung von Beta-Mimetika, wirkt
jedoch erst nach 30 bis 60 Minuten. Bei einer kurzzeitigen Anwendung sind keine
Nebenwirkungen zu erwarten. Ist der Zustand des Kindes nicht zu stabilisieren, ist
insbesondere bei jungen Säuglingen eine stationäre Behandlung in der Kinderklinik nicht zu umgehen. Dort wird neben der medikamentösen Therapie Flüssigkeit über eine Infusion und evtl. auch Sauerstoff verabreicht.
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-3
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
5.3.6 Ist die obstruktive Bronchitis ein Vorbote eines Asthma bronchiale?
Die meisten Säuglinge und Kleinkinder, die eine obstruktive Bronchitis durchgemacht
haben, entwickeln glücklicherweise kein Asthma bronchiale. Dies gilt insbesondere für
Kinder bis zum dritten Geburtstag, bei denen
• nur eine oder wenige obstruktive Bronchitiden im Rahmen von Virusinfekten
aufgetreten sind,
• keine Risikofaktoren wie Asthma bronchiale oder andere allergische Erkrankungen
in der Familie zu finden sind,
• keine Allergien oder Neurodermitis nachzuweisen sind.
Liegt jedoch einer der genannten Risikofaktoren vor, ist das Risiko, dass sich im weiteren
Verlauf ein Asthma bronchiale entwickelt, deutlich höher.
5.3.7 Zusammenfassung
Bei der obstruktiven (= spastischen) Bronchitis werden die Bronchien durch eine
Anschwellung der Bronchialschleimhaut, eine vermehrte Bildung zähen Schleims und eine
Verkrampfung der Bronchialmuskulatur verlegt. Die Folgen sind Husten und eine verlängerte und erschwerte Ausatmung mit einem pfeifenden Ausatemgeräusch. Die Ursache
sind bis zum Alter von drei Jahren meist Virusinfektionen auf der Grundlage enger Atemwege. Reizstoffe wie Zigarettenrauch können die Beschwerden verstärken. Die Behandlung besteht in reichlicher Flüssigkeitszufuhr sowie der Gabe bronchial-erweiternder und
schleimfördernder Medikamente. Liegen keine Risikofaktoren wie Allergien und Asthma
in der Familie oder eigene allergische Erkrankungen beim Kind vor, ist die Prognose gut,
dass sich die Situation bis zum dritten Geburtstag stabilisiert.
5.4 Asthma bronchiale
Den achtjährigen Thomas kennen Sie bereits aus Kapitel 3 von seinem ersten Gang zur
Allergieuntersuchung. Er hatte bis zum Alter von drei Jahren viermal eine obstruktive
Bronchitis gehabt, welche jeweils durch Infekte ausgelöst worden war. Er hatte dann zunächst keine offensichtlichen Atemprobleme mehr. Beim Schulsport konnte er allerdings
bei Dauerbelastung gelegentlich nicht ganz mithalten und musste husten. Jetzt hat er
seit drei Monaten einen hartnäckigen nächtlichen Husten. Auch bei einem anstrengenden
Fußballspiel bekommt er Husten und gelegentlich Atemnot. Wenn es besonders schlimm
ist, kann man ihn richtig pfeifen hören.
5.4.1 Was bedeutet Asthma bronchiale?
Unter einem Asthma bronchiale versteht man eine anfallsweise auftretende Verengung der Atemwege, deren Ursache eine Überempfindlichkeit (Hyperreagibilität) der Bronchien auf ganz unterschiedliche Reize ist. Grundlage dieser Überempfindlichkeit ist eine chronische Entzündung in den Bronchien (siehe ÎAbbildung 5-2). Es
muss eine Veranlagung für diese chronische Entzündung vorliegen; sie wird bei Kindern
häufig durch Allergien ausgelöst. Das Asthma bronchiale ist eine chronische Erkrankung mit oft jahre- oder gar jahrzehntelangem Verlauf. Jedoch bestehen glücklicherweise heute bessere Behandlungsmöglichkeiten als je zuvor.
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-4
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
chronische Entzündung der Bronchialschleimhaut
Überempfindlichkeit der Bronchien
Verengung der Atemwege
Abbildung 5-2: Überempfindlichkeit der Bronchien bei Asthma bronchiale
5.4.2 Was spielt sich beim Asthma bronchiale in den Bronchien ab?
Werden die entzündeten Bronchien gereizt, kommt es zu einer Schwellung der
Bronchialschleimhaut, der vermehrten Bildung zähen Schleims und einer Verkrampfung der Bronchialmuskulatur. Dadurch werden die Bronchien verengt (siehe
ÎAbbildung 5-3). Beruhigt sich diese Entzündung nicht, ist ein Gewebeumbau mit Narbenbildung die Folge. Daher ist eine konsequente Asthmatherapie so wichtig.
Schleimhaut
Schleim
Muskel
1.
2.
3.
4.
Abbildung 5-3: normaler Bronchus (1) und verengte Bronchien (2,3,4)
5.4.3 Wie häufig ist das Asthma bronchiale?
Das Asthma bronchiale ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des
Kindesalters. Etwa 10% der Kinder sind davon betroffen, das heißt in jeder Schulklasse
finden sich durchschnittlich 2 bis 3 Kinder mit Asthma bronchiale. Die Häufigkeit des
Asthma bronchiale hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen (Diskussion der möglichen Ursachen in ÎKapitel 2).
5.4.4 Wie kann man ein Asthma bronchiale erkennen?
Bei diesen Symptomen sollten Sie Ihr Kind bei Ihrem Kinder- und Jugendarzt vorstellen:
9
9
9
9
pfeifendes Ausatemgeräusch
anhaltender Husten, besonders in der Nacht oder bei Anstrengung
Engegefühl oder Stechen in der Brust
Kurzatmigkeit.
Das typische Asthmasymptom ist die erschwerte Ausatmung mit einem pfeifenden
Ausatemgeräusch. Häufig werden die Symptome durch körperliche Anstrengung verstärkt. Der Arzt stellt im Asthmaanfall beim Abhören Giemen, Pfeifen und Brummen
über der Lunge fest. Diese Geräusche kommen durch die Einengung der Bronchien zustande.
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-5
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
Diese Zeichen stellen jedoch nur die Spitze eines Eisberges dar. Auch bei (relativer)
Symptomfreiheit besteht die Entzündung in den Bronchien weiter. Bei manchen Kindern
können Husten, ein Engegefühl oder Stechen in der Brust, eine verminderte
Ausdauer oder Kurzatmigkeit die einzigen Symptome sein.
Das Gefühl, das ein Asthmatiker während eines Asthmaanfalles hat, kann ein Lungengesunder folgendermaßen versuchen nachzuvollziehen: man versuche über längere Zeit
durch einen im Mund steckenden Trinkhalm bei zugehaltener Nase zu atmen. Man merkt
rasch, wie anstrengend das ist.
5.4.5 Was sind die Ursachen eines Asthma bronchiale?
1) Chronische Entzündung in den Bronchien
Ursache eines Asthma bronchiale ist eine chronische Entzündung in der Bronchialschleimhaut. Diese Entzündung verursacht wiederum eine Übererregbarkeit und Überempfindlichkeit (Hyperreagibilität) der Bronchien. Diese Überempfindlichkeit führt im Zusammenwirken mit unterschiedlichen Auslöse- und Verschlechterungsfaktoren zu den
oben genannten Asthmasymptomen (siehe ÎAbbildung 5-2). Die Bereitschaft für diese
Entzündung wird vererbt.
Wird diese chronische Entzündung in den Bronchien nicht konsequent behandelt, kommt
es zu Umbauvorgängen im Bronchialgewebe. Dies führt auf Dauer zu einer Narbenbildung
in den Bronchien, dem sogenannten Remodelling. Dadurch werden die Bronchien starrer
und noch enger. Ist eine Narbenbildung einmal eingetreten, ist diese nicht mehr rückgängig zu machen. Daher ist eine konsequente Behandlung dieser Entzündung so
wichtig.
2) Auslöse- und Verschlechterungsfaktoren
ÎAllergien
70 – 80% aller Kinder und Jugendlichen mit Asthma reagieren auf allergische Auslöser
wie Pollen (siehe ÎKapitel 12.1), Hausstaubmilben (siehe ÎKapitel 12.2), Tiere (siehe
ÎKapitel 12.3) oder Schimmelpilze (siehe ÎKapitel 12.4). Nahrungsmittelallergien sind
eine sehr seltene Ursache eines allergischen Asthma bronchiale.
ÎInfektionen
Häufig sind vor allem bei kleinen Kindern Virusinfektionen Auslöser von Asthmaanfällen.
Sind Infekte Hauptauslöser eines Asthma bronchiale, spricht man auch von einem
Infektasthma.
ÎKörperliche Anstrengung
Bei den meisten Kindern mit Asthma führt starke körperliche Anstrengung durch eine
Abkühlung und Austrocknung der Bronchialschleimhaut zu Beschwerden. Tritt ein Asthma
bronchiale vorwiegend bei körperlicher Anstrengung auf, spricht man von einem
Anstrengungs- oder Belastungsasthma.
ÎUmweltschadstoffe
Umweltschadstoffe wie Tabakrauch, Smog oder Ozon reizen die Bronchien zusätzlich.
ÎWeitere Faktoren
Kalte Luft oder ein Wetterumschwung verursacht bei vielen Asthmatikern Probleme.
Übergewicht ist ein weiterer Risikofaktor für das Auftreten eines Asthma bronchiale.
Jede Art von innerer Anspannung kann auch die Anspannung der Bronchialmuskulatur
erhöhen. Bei nächtlichem Asthma kann ein Rückfluss von saurem Mageninhalt über
die Speiseröhre in die Luftröhre (gastroösophagealer Reflux) ursächlich sein. Jede Entzündung der oberen Luftwege (Nasennebenhöhlen, Nase) auch nichtallergischen Ursprungs kann durch abfließendes Sekret oder Reflexmechanismen über die Nervenbahnen die Reizbarkeit der Bronchien erhöhen. Bestimmte Medikamente wie Acetylsalicylsäure (z.B. Aspirin®) führen bei entsprechend veranlagten Personen über
pseudoallergische Mechanismen zu einem Asthmaanfall (siehe auch ÎKapitel 10.3).
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Seite 5-6
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
Hormonelle Faktoren wie bei Frauen in der Zeit kurz vor der Menstruation können ein
Asthma bronchiale verschlechtern.
Meist spielen mehrere der genannten Faktoren gemeinsam eine Rolle. Man kann
sich diese Vorgänge wie ein Fass vorstellen, das sich langsam (in unserem Fall mit
Asthmaauslösern) füllt. Zum Schluss reicht eine Kleinigkeit aus, um das Fass zum Überlaufen zu bringen und damit einen Asthmaanfall auszulösen. Mitunter gleicht es einer
Detektivarbeit, den hauptverantwortlichen Auslöser dingfest zu machen.
5.4.6 Formen des Asthma bronchiale
Man kann das Asthma bronchiale je nachdem, welcher Auslöser im Vordergrund steht, in
verschiedene Formen einteilen:
•
allergisches (oder extrinsisches) Asthma bronchiale
Das Asthma bronchiale ist nur allergisch bedingt.
•
nicht allergisches (oder intrinsisches) Asthma bronchiale
Es lassen sich keine allergischen Auslöser oder eine allergische Veranlagung
nachweisen (z.B. Infektasthma, Anstrengungsasthma).
•
gemischtes Asthma bronchiale
Allergische und nichtallergische Auslöser wirken zusammen. Dies ist im
Kindesalter die mit Abstand größte Gruppe.
5.4.7 Diagnose
Die Diagnose eines Asthma bronchiale wird durch die Krankengeschichte, die körperliche Untersuchung und den Nachweis einer rückbildungsfähigen Bronchialverengung gestellt. Andere Ursachen von Bronchialeinengungen wie Mukoviszidose oder
Fremdkörper müssen im Verdachtsfall ausgeschlossen sein.
1) Anamnese
Neurodermitis, Allergien? Welche Symptome haben bestanden, z.B. Husten, pfeifende
Atmung, Engegefühl in der Brust, Atemnot? Wann haben diese Beschwerden begonnen?
Wie häufig und unter welchen Umständen treten sie auf? Können Auslösefaktoren eingegrenzt werden? In welcher häuslichen, schulischen oder beruflichen Umgebung lebt der
Betroffene? Welche Diagnostik und Behandlungen wurden bisher durchgeführt?
2) Körperliche Untersuchung
Bei der Untersuchung achtet der Arzt besonders auf die Form und Beweglichkeit des
Brustkorbs. Das Abhören und Abklopfen der Lunge gibt Aufschluss über die Belüftung der
Lungenflügel und das Vorliegen von Atemnebengeräuschen hervorgerufen durch eine
Bronchialverengung oder Schleim (Giemen und Brummen). Auch Nase, Nasennebenhöhlen und Ohren werden auf eine entzündliche Mitreaktion hin überprüft. Wichtig ist
auch, ob das Kind richtig gewachsen und gediehen ist.
3) Lungenfunktionsuntersuchung
Einfachere Lungenfunktionsprüfungen gelingen etwa ab einem Alter von vier bis fünf
Jahren. In einigen Spezialkliniken kann bereits bei Säuglingen die Lungenfunktion gemessen werden. Entscheidend für die Diagnose Asthma bronchiale ist der Nachweis einer
rückbildungsfähigen Einengung der Bronchien. Verschiedene Methoden der Lungenfunktionsprüfung stehen zur Verfügung:
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
a) Peak-Flow-Meter
Die einfachste Möglichkeit ist die Messung des
maximalen Luftflusses bei Ausatmung (Peak-Flow)
mit einer relativ einfachen Vorrichtung, dem PeakFlow-Meter. Damit können ohne großen Aufwand
auch häusliche Kontrolluntersuchungen vorgenommen werden. Das Peak-Flow-Meter erfasst jedoch
nur gröbere Einschränkungen der Lungenfunktion
und liefert bei Verengung der kleinen Atemwege
trotzdem normale Werte!
Abbildung 5-4: Peak-Flow-Meter
Eine Peak-Flow-Messung wird folgendermaßen durchgeführt:
•
•
•
•
•
•
•
hinstehen
Zeiger auf Null stellen
tief einatmen
Mundstück mit Lippen und Zähnen umschließen
so stark und schnell wie möglich in das Gerät hineinblasen
Messwert ablesen
gesamten Messvorgang insgesamt dreimal durchführen und den besten Wert
protokollieren.
b) Fluss-Volumen-Spirometrie
Wesentlich aussagekräftiger ist die Aufzeichnung des Luftflusses bei Ein- und Ausatmung
in einer Fluss-Volumen-Kurve. Hierdurch können bereits geringgradige Veränderungen
der Lungenfunktion und auch Verengungen der kleinen Atemwege dokumentiert werden.
Bei verengten Bronchien nimmt das Ausatmungsvolumen ab und die Fluss-VolumenKurve bekommt eine Delle ("hängende Wäscheleine", siehe ÎAbbildung 5-5).
Abbildung 5-5: Fluss-Volumen-Kurve
- normale Fluss-Volumen-Kurve (blau)
- Fluss-Volumen-Kurve bei verengten Bronchien (rot)
c) Atemwiderstandsmessung
Der Atemwiderstand zeigt an, welchen Widerstand die Atemluft in den Bronchien überwinden muss. Er kann mit verschiedenen Methoden gemessen werden. Bei einer Bronchialverengung steigt der Atemwiderstand an.
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
d) Bodyplethysmographie
Die aufwändigste Methode ist die Untersuchung in der Lungenfunktionskammer
(Bodyplethysmographie). Neben der Fluss-Volumen-Kurve und dem Atemwiderstand
liefert sie auch Aussagen über eine mögliche Lungenüberblähung.
e) Bronchospasmolysetest
Bronchospasmolysetest wird nach Inhalation eines bronchialerweiternden Medikaments eine Beim zweite Lungenfunktionsprüfung durchgeführt. Dabei zeigt sich, wie weit
sich die Bronchien öffnen können und ob eine Verengung rückbildungsfähig ist.
f) bronchiale Provokationstests
Die bronchialen Provokationstests können eine bronchiale Überempfindlichkeit unter
Belastungsbedingungen nachweisen. Man kann damit unter anderem ein Asthma bronchiale von anderen Lungenerkrankungen unterscheiden. Folgende bronchiale Provokationstests können eingesetzt werden:
•
•
•
Laufbelastung
Die Laufbelastung ist eine wichtige Untersuchung insbesondere wenn der Verdacht
besteht, dass sich die Bronchien bei körperlicher Anstrengung verengen (Belastungsasthma). Vor und nach einem Lauf von sechs Minuten Dauer wird eine
Lungenfunktionsuntersuchung durchgeführt. Bei einer belastungsabhängigen
Bronchialverengung steigt der Atemwiderstand nach dem Lauf deutlich an, auch
die Fluss-Volumen-Kurve zeigt die Einengung der Bronchien.
Inhalation von Histamin, Methacholin oder kalter Luft
Die Inhalation mit Histamin oder Methacholin führt bei einem überempfindlichen
Bronchialsystem zu einer Verengung der Bronchien mit Erhöhung des Atemwiderstandes und einer Veränderung der Fluss-Volumen-Kurve. Ähnlich wirkt die Inhalation von kalter Luft.
Inhalation von Allergenen
Bei der bronchialen Provokation mit Allergenen wird eine Lungenfunktionsdiagnostik vor und nach Inhalation einer fein vernebelten Allergenlösung durchgeführt. Während und nach einer Inhalationsbelastung muss der Patient gut
überwacht werden, da unter Umständen schwere Asthmaanfälle und noch nach
sechs bis zehn Stunden Spätreaktionen auftreten können. Aus diesen Gründen
wird eine bronchiale Provokation mit Allergenen bei Kindern heute nur noch in
Ausnahmefällen durchgeführt.
4) Allergietestung
Da bei den meisten Kindern mit Asthma bronchiale allergische Auslöser eine Rolle spielen, wird im Pricktest oder RAST (siehe auch ÎKapitel 10.3 und 10.6) nach Allergieauslösern gefahndet.
5) Sonstige Untersuchungen
Als Basisuntersuchung wird im Verlauf eines Asthma bronchiale zum Ausschluss von Lungenfehlbildungen oder anderer Lungenveränderungen ein Röntgenbild der Lunge angefertigt und zum Ausschluss einer Mukoviszidose ein Schweißtest durchgeführt.
5.4.8 Schweregrade eines Asthma bronchiale
Verlauf und Schweregrad des Asthma bronchiale können von Kind zu Kind und auch bei
jedem einzelnen Kind im Laufe der Zeit stark schwanken. Daher wurde eine Einteilung in
verschiedene Schweregrade vorgenommen (siehe ÎTabelle 5-1), wenn auch nicht jeder
Patient ganz exakt in dieses Schema passt und die Grenzen zwischen wiederholten obstruktiven Bronchitiden und einem Asthma bronchiale oft fließend sind. Glücklicherweise
sind die meisten Kinder und Jugendlichen mit Asthma dem Schweregrad I bis III zuzuordnen. Die Schweregradeinteilung ist auch eine Richtschnur für die erforderliche
Therapie. Ab Schweregrad II reicht eine alleinige bronchialerweiternde Behandlung nicht
mehr aus, es wird eine antientzündliche Dauertherapie erforderlich (siehe unten).
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Seite 5-9
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Tabelle 5-1: Schweregrade des Asthma bronchiale
Schweregrad
Symptome
Lungenfunktion
Lebensqualität
I
gelegentlich Husten,
leichte Atemnot
beschwerdefreies
Intervall länger als
2 Monate
auch bei Symptomen
oft noch normal
nicht beeinträchtigt
II leichtes
persistierendes
Asthma
beschwerdefreies
Intervall kürzer als
2 Monate
bei Symptomen
eingeschränkt
nicht beeinträchtigt
bzw. teilweise
eingeschränkt
III mittelschweres
persistierendes
Asthma
Symptome an
mehreren Tagen pro
Woche, auch in der
Nacht
dauernd
eingeschränkt
beeinträchtigt
IV schweres
persistierendes
Asthma
anhaltende tägliche
Symptome, häufig
auch in der Nacht
dauernd deutlich
eingeschränkt
deutlich
beeinträchtigt
intermittierendes
Asthma / wiederholte bronchiale
Verengung
5.4.9 Ziele und Voraussetzungen einer erfolgreichen Asthmatherapie
Die Asthmatherapie hat die in ÎTabelle 5-2 aufgeführten Ziele:
Tabelle 5-2: Ziele der Asthmatherapie
•
•
•
•
•
•
•
Beruhigung der Entzündung in den Bronchien
Symptomfreiheit mit normaler körperlicher Belastbarkeit
altersgerechte körperliche und psychische Entwicklung
Erhaltung einer bestmöglichen Lungenfunktion
Vermeidung von Langzeitschäden
einfach durchzuführende Therapie
möglichst keine Nebenwirkungen
Voraussetzung für eine optimale Asthmatherapie ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arzt, Patient und dessen Familie. Die Behandlungsmaßnahmen müssen je
nach Schweregrad sinnvoll gesteuert werden. Es stehen heute die therapeutischen Möglichkeiten zur Verfügung, oben genannte Ziele für fast alle Asthmatiker erreichbar zu
machen. Dafür sind die Information und Schulung des Patienten, seiner Familie und weiterer Bezugspersonen unbedingte Voraussetzung.
5.4.10 Bausteine der modernen Asthmatherapie
Die moderne Asthmatherapie besteht aus einem ganzen Bündel unterschiedlicher Maßnahmen (siehe ÎTabelle 5-3), welche in den folgenden Kapiteln besprochen werden. Die
medikamentöse Behandlung erfolgt in Abhängigkeit vom Asthma-Schweregrad nach einem Stufenplan (siehe ÎTabelle 5-5). Generell ist eine reichliche Flüssigkeitszufuhr zu
empfehlen, um den Schleim zu verflüssigen, damit er besser abgehustet werden kann.
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Seite 5-10
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
Tabelle 5-3: Bausteine der modernen Asthmatherapie
•
•
•
•
Information und Schulung
Vermeidung von Auslösern
medikamentöse Behandlung
weitere Maßnahmen: atemtherapeutische Techniken, Physiotherapie, Sport,
Entspannungstechniken u.a.
5.4.11 Information und Schulung
Die Betroffenen und die Bezugspersonen benötigen ein umfassendes Wissen über die Art
der Erkrankung, die Auslöse- und Belastungsfaktoren sowie die verschiedenen
Behandlungsformen des Asthma bronchiale. Die Informationsmöglichkeiten reichen vom
persönlichen Gespräch mit dem Arzt, Instruktionen z.B. über Inhalationstechniken durch
Praxis- oder Klinikpersonal, schriftlichem Informationsmaterial, Internetseiten etc. bis zur
kompletten Asthmaschulung. Die Arbeitsgemeinschaft Asthmaschulung im Kindes- und
Jugendalter hat die entsprechenden Standards ausgearbeitet. Patienten und Eltern, die
mit dem Arsenal der modernen Asthmatherapie umgehen können, haben weniger Angst
und wissen, dass sie viele Probleme erfolgreich selbst meistern können. Und sie sind in
der Lage zu erkennen, wann sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen.
5.4.12 Vermeidung von Auslösern
a) Allergenvermeidung
Beim allergischen Asthma steht an erster Stelle die Allergenvermeidung, die in Kapitel 12
"Allergieauslöser" für die einzelnen Allergene ausführlich beschrieben ist:
•
•
•
•
Ratschläge für
Ratschläge für
Was ist zu tun
Ratschläge für
Pollenallergiker siehe ÎKapitel 12.1.5
Milbenallergiker siehe ÎKapitel 12.2.5
bei einer Tierallergie? siehe ÎKapitel 12.3.3
Schimmelpilzallergiker siehe ÎKapitel 12.4.5.
Auch wenn bei einem Asthmakranken noch keine Allergie vorliegt, jedoch ein Allergierisiko besteht, sind vorbeugende Maßnahmen sinnvoll: Luftfeuchtigkeit unter 50% zur
Reduktion der Milben- und Schimmelpilzbelastung, Verzicht auf Fell und Federn tragende
Haustiere, keine Grünpflanzen im Schlafbereich, keine Staubfänger.
b) Hyposensibilisierung
Beim allergischen Asthma bronchiale kommt eine Hyposensibilisierung (auch spezifische
Immuntherapie (= SIT) oder Allergieimpfung genannt) dann in Betracht, wenn der Allergieauslöser nicht oder nur unzureichend zu meiden ist. Dies trifft vor allem für Pollen,
unter Umständen auch für Hausstaubmilben und Tiere zu. Bei der Hyposensibilisierung
wird dem Körper wiederholt ein Allergen in ansteigender Dosierung zugeführt mit dem
Ziel, dass der Körper eine Toleranz gegen das Allergen entwickelt. Sie setzt daher bei
den Ursachen der Allergieentstehung an. Die wirksamste und von den allergologischen
Fachgesellschaften empfohlene Form ist die subkutane Hyposensibilisierung, bei der die
Behandlungslösung unter die Haut gespritzt wird. Weitere Einzelheiten zur Hyposensibilisierung finden Sie in ÎKapitel 13.
c) Ausschaltung anderer Reizfaktoren
Am leichtesten zu beeinflussen sind häusliche Reizfaktoren wie die aktive oder passive
Inhalation von Tabakrauch. Die Reizwirkung von Tabakrauch muss unbedingt ausgeschaltet werden. Dies gilt für jede Asthmaform. Die Anstrengungen zur Reduktion der
Schadstoffemissionen durch Kraftfahrzeuge, Industrie usw. müssen weiter verstärkt werden. Viele Asthmatiker reagieren besonders empfindlich auf das Einatmen von kalter
Luft.
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Seite 5-11
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5.4.13 Medikamentöse Therapie
Fortschritte in der medikamentösen Therapie haben für Asthmakranke eine erhebliche
Verbesserung der Lebensqualität bewirkt. Die Behandlung mit Medikamenten wird je
nach Schweregrad des Asthma in verschiedenen Stufen durchgeführt (siehe ÎTabelle
5-5). Man unterscheidet Akutmedikamente ("Reliever"), welche bei akuten Beschwerden zur Erweiterung der Bronchien eingesetzt werden von Dauermedikamenten
("Controller"), welche als Dauertherapie der Bekämpfung der Entzündung und der vorbeugenden Stabilisierung der Bronchien dienen (siehe ÎTabelle 5-4). Sobald Asthmaanfälle nicht nur vereinzelt auftreten, wird eine die Bronchien stabilisierende antientzündliche Langzeittherapie erforderlich. Nur so kann die Überempfindlichkeit der Bronchien
wirksam behandelt und die nicht rückbildungsfähige Gewebsumwandlung mit Narbenbildung in den Bronchien verhindert werden. Die Akutmedikamente werden durch einen
gekennzeichroten Kreis , die Dauermedikamente werden durch ein grünes Quadrat
net. Ihr Kinder- und Jugendarzt wird für Ihr Kind einen schriftlichen Behandlungs-plan
erstellen, auf dem die täglichen Dauermedikamente und die Notfallmedikamente festgehalten sind.
Tabelle 5-4: Medikamente zur Asthma-Behandlung
1) Akutmedikamente (Bedarfsmedikamente):
kurz wirkende Beta-Mimetika (z.B. Salbutamol = Bronchospray®, Sultanol®, Generica)
Ipratropiumbromid (Atrovent®)
Theophyllin (z.B. Solosin® Tropfen)
Kortikoide oral (z.B. Prednisolon = Decortin® H, Generica)
2) Dauermedikamente:
DNCG (z.B. Diffusyl®, Pulbil®, Intal® und Generica), Nedocromil (Tilade®)
inhalative Kortikoide (z.B. Budecort®, Budiair®, Flutide®, Junik®, Pulmicort®,
Ventolair®, Generica)
lang wirkende Beta-Mimetika (z.B. Foradil®, Serevent®)
Leukotrien-Antagonisten (Singulair®)
Theophyllin, lang wirkend (z.B. Bronchoretard®, Euphyllin® retard)
Kortikoide oral (z.B. Prednisolon = Decortin® H, Generica)
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Tabelle 5-5: Stufenplan der Asthma-Behandlung
Stufe
1)
Bedarfstherapie
Dauertherapie
I
kurz wirkende Beta-Mimetika
keine
II
wie Stufe I
niedrig dosiertes inhalatives Kortikoid
evtl. Versuch mit DNCG, Nedocromil oder
Leukotrien-Antagonisten1)
III
wie Stufe I
mittelhoch dosiertes inhalatives Kortikoid
evtl. in Kombination mit:
- lang wirkendem Beta-Mimetikum
- Leukotrien-Antagonisten
- Theophyllin
IV
wie Stufe I
hoch dosiertes inhalatives Kortikoid
in Kombination mit:
- lang wirkendem Beta-Mimetikum
- Theophyllin
- oralem Kortikoid
in Deutschland bisher in Monotherapie für das Belastungsasthma zugelassen
1) Akutmedikamente
a) kurz wirkende Beta-Mimetika
Beta-Mimetika erweitern die Bronchien, regen die Flimmerhärchen in der Bronchialschleimhaut zum Schleimtransport an und verhindern bei Verabreichung vor körperlicher Belastung, dass die Bronchien sich verkrampfen. Kurz wirkende Beta-Mimetika
(z.B. Salbutamol = Bronchospray®, Sultanol® und Generica; Terbutalin = Bricanyl®
u.a.) wirken 4 bis 6 Stunden. Sie können mit dem elektrischen Inhaliergerät, als Spray
oder mit dem Pulverinhalator inhaliert werden. Es gibt Beta-Mimetika auch zum Einnehmen; die beste Wirkung wird jedoch durch Inhalation erzielt, sodass die Inhalation
beim chronischen Asthma bronchiale wenn immer möglich vorzuziehen ist. Bei hohen
Dosen kann es zu einer vorübergehenden Beschleunigung des Pulsschlages oder Zittrigkeit kommen, was durch eine Erniedrigung der Dosis bei der nächsten Inhalation
vermieden werden kann. Werden kurz wirkende Beta-Mimetika regelmäßig öfter als
zwei- bis dreimal pro Woche gebraucht, ist wahrscheinlich die antientzündliche Dauerbehandlung unzureichend.
b) Ipratropiumbromid
Ipratropiumbromid (Atrovent®)kann zur Bronchialerweiterung an Stelle eines BetaMimetikums inhaliert werden, wenn dieses nicht vertragen wird oder beim schweren
Asthmaanfall auch in Kombination mit einem Beta-Mimetikum (z.B. Berodual® oder frei
kombiniert) eingesetzt werden. Es hat außer einer möglichen Mundtrockenheit
praktisch keine Nebenwirkungen.
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c) Theophyllin
Theophyllin wirkt bronchialerweiternd, unterstützt die Atemmuskulatur und regt die
Tätigkeit der Flimmerhärchen an. Es wird im akuten Asthmaanfall in Tropfenform (z.B.
Solosin® Tropfen) eingenommen oder intravenös gespritzt. Als Nebenwirkungen
können Koffein-ähnliche Wirkungen wie Unruhe, Nervosität, Übelkeit und eine
Beschleunigung des Pulsschlages auftreten.
d) orale Kortikoide
Kortison zum Einnehmen als Tablette (z.B. Prednisolon = Decortin® H, Generica) wird
beim schweren Asthmaanfall zur Abschwellung der Bronchialschleimhaut eingesetzt.
Zusätzlich wird die Wirkung der Beta-Mimetika verstärkt. Bei jungen Kindern können
die Kortikoide auch als Zäpfchen (z.B. Klismacort®, Prectal®, Rectodelt®)verabreicht
werden.
2) Dauermedikamente
a) DNCG, Nedocromil
DNCG (z.B. Diffusyl®, Intal®, Pädiacrom®, Pulbil® und Generica) bremst die
Freisetzung von allergischen Mittlersubstanzen wie Histamin aus Mastzellen und
hemmt dadurch die chronische Entzündung und die Überempfindlichkeit der Bronchien.
Es wirkt nur vorbeugend und muss drei- bis viermal täglich inhaliert werden. Es kann
auch bei Belastungsasthma vor Sport eingesetzt werden. DNCG hat nur eine milde
Wirkung, ist dafür jedoch praktisch frei von Nebenwirkungen. Die feste Kombination
von DNCG mit einem Beta-Mimetikum (z.B. in Aarane®, Allergospasmin®, Ditec®) kann
in der Anfangsphase der Dauerbehandlung oder vor Sport sinnvoll sein.
b) inhalative Kortikoide
Kortikoide (z.B. Kortisol) sind lebenswichtige Hormone und werden im menschlichen
Körper in den Nebennieren gebildet. Beispielsweise könnten wir ohne sie schwere
Stressreaktionen jeder Art nicht überleben. Kortikoide zur Inhalation werden so abgewandelt, dass sie vor allem eine stark entzündungshemmende Wirkung bekommen,
aber praktisch nicht in den Blutkreislauf gelangen. Damit wird die chronisch entzündliche Reaktion in der Bronchialschleimhaut, ein wesentlicher Faktor für die bronchiale
Überempfindlichkeit, effektiv zurückgedrängt. Die Bronchien werden dadurch gegenüber verschiedensten Asthmaauslösern unempfindlicher, eine Narbenbildung in den
Bronchien wird verhindert. Kortikoide zur Inhalation (wie Budesonid: z.B. Budiair®,
Budecort®, Novopulmon®, Pulmicort®, Generica; Fluticason: Flutide®; Beclomethason:
Junik®, Ventolair®; Mometason: Asmanex®) sind daher die wirkungsvollsten Medikamente zur Behandlung des Asthma bronchiale der Stufe II bis IV. Die Inhalationen
müssen regelmäßig durchgeführt werden, die Wirkung tritt frühestens nach einigen
Tagen ein, eine Sofortwirkung beim akuten Asthmaanfall besteht nicht.
Die Furcht vor Nebenwirkungen bei einer innerlichen Behandlung mit Kortikoiden ab
einer bestimmten Menge ist durchaus berechtigt. Kortikoide können ab einer gewissen
Schwellendosis den inneren Rhythmus der körpereigenen Kortisonausschüttung stören,
zu einer verminderten Knochendichte und zu Wachstumsstörungen führen. Bei der
Inhalation von Kortikoiden ist jedoch im Gegensatz zur innerlichen Anwendung bei
niedriger und mittlerer Dosierung nicht mit Auswirkungen auf den übrigen Organismus
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zu rechnen. In diesem Dosisbereich sind die Vorteile der Behandlung bei weitem
größer als die möglichen Nachteile. Inhalative Kortikoide können mit einem
elektrischen Inhaliergerät, einem Spray (mit Ausnahme des Autohaler® immer mit
Vorschaltkammer!) oder
einem
Pulverinhalator angewendet werden. Nach der
Inhalation sollte der Mund ausgespült, etwas gegessen/getrunken oder die Zähne
geputzt werden, da es ansonsten zu Heiserkeit und einem Hefepilzbefall im Mund
kommen kann. Es wird mit der niedrigst möglichen Dosis behandelt, welche zu einer
vollständigen Beschwerdefreiheit führt. Jedoch ist eine Unterbehandlung für Ihr Kind
auf Dauer weitaus gefährlicher als eine kurzzeitige Überbehandlung. Bei einer
Unterbehandlung kann die Lebensqualität Ihres Kindes ganz entscheidend leiden, es
kann zu Dauerschäden an der Lunge und zu unter lebensbedrohlichen Asthmakrisen
kommen.
c) lang wirkende Beta-Mimetika
Lang wirkende Beta-Mimetika zur Inhalation (z.B. Salmeterol = Aeromax®, Serevent®,
Formoterol = Foradil®, Oxis®) haben eine bronchialerweiternde Wirkung von 8 bis 12
Stunden. Sie werden zur Dauertherapie in Stufe III und IV in Kombination mit inhalativen Kortikoiden eingesetzt. Sie stehen zur Vereinfachung der Behandlung auch in sinnvollen festen Kombinationen zu Verfügung (z.B. Symbicort®, Viani®).
d) Leukotrien-Antagonisten
Montelucast (Singulair®) blockiert die Wirkung von Leukotrienen, das sind wichtige
Botenstoffe der Entzündung in den Bronchien. Eine Reihe von anderen Botenstoffen
wird jedoch nicht beeinflusst. Es besteht auch eine leichte bronchialerweiternde Wirkung. Die Substanz wurde in den letzten Jahren völlig neu entwickelt. Sie wird als
Kautablette bzw. Granulat eingenommen und ist daher einfach anzuwenden. Nach den
bisher vorliegenden Untersuchungen liegt die Wirkungsstärke zwischen der von DNCG
und inhalativen Kortikoiden. Nennenswerte Nebenwirkungen sind bisher nicht beobachtet worden. Singulair® ist in Deutschland bisher als Monotherapie zur Behandlung des Belastungsasthma in Stufe II und als Zusatztherapie zu inhalativen Kortikoiden in Stufe III zugelassen, um Kortikoide einzusparen.
e) Theophyllin in Retardform
Theophyllin in Retardform mit langdauernder Wirkstofffreisetzung (z.B. Bronchoretard®, Euphylong®, Solosin® retard und Generica) wird zur Dauerbehandlung beim
kindlichen Asthma bronchiale nur noch selten eingesetzt. Zusätzlich zur bronchialerweiternden Wirkung besteht auch ein leichter entzündungshemmender Effekt. Der
Nachteil ist, dass der Theophyllinspiegel im Blut stark schwanken kann und daher
mittels Blutspiegelkontrolle überwacht werden muss und dass bereits bei geringer
Überdosierung Nebenwirkungen auftreten. Ein möglicher Grund für den Einsatz von
Theophyllin können sonst nicht beherrschbare nächtliche Asthmaanfälle sein.
f) orale Kortikoide
Kortikoide zum Einnehmen als Dauertherapie (z.B. Prednisolon = Decortin® H, Generica) sind bei Kindern und Jugendlichen glücklicherweise nur äußerst selten erforderlich. Ihr Einsatz kommt nur bei einem anders nicht zu beherrschenden Asthma bronchiale in der Stufe IV in Betracht.
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g) Antihistaminika
Antihistaminika (z.B. Aerius®, Lisino® und Generica, Telfast®, Zyrtec® und Generica,
Xusal®) blockieren die Wirkung von Histamin, einem wichtigen Botenstoff der allergischen Reaktion. Die neueren Antihistaminika hemmen zusätzlich noch andere Botenstoffe. Sie haben dadurch auch eine leichte antientzündliche Wirkung und können so
beispielsweise bei einem Heuschnupfen auch die Überempfindlichkeit der Bronchien
herabsetzen. Zur Behandlung eines manifesten Asthma bronchiale ist diese Wirkung
allerdings nicht ausreichend. Für Ketotifen (z.B. Zaditen® und Generica) liegen Studien
vor, die eine schützende vorbeugende Wirkung mit Herabsetzung der bronchialen
Überempfindlichkeit zeigen, andere Studien konnten diesen Effekt nicht nachweisen.
5.4.14 Inhalationstherapie
ÎAllgemeines
Die Inhalationsbehandlung beim Asthma bronchiale kann mit einem elektrischen Inhaliergerät, einem Dosieraerosol oder einem Pulverinhalator durchgeführt werden. Ihr Kinder- und Jugendarzt wird das für Ihr Kind am besten geeignete System vorschlagen. Die
Inhalationen dienen zum einen der Verabreichung von Medikamenten. Durch Inhalation verabreichte Medikamente kommen direkt an den Wirkort in den Bronchien. Dadurch
werden die erforderlichen Medikamentenmengen im Vergleich zur innerlichen Gabe deutlich (auf höchstens 1/10) reduziert und Nebenwirkungen vermindert. Zudem wirken
Bronchialerweiterer auf dem Inhalationsweg deutlich schneller. Die Inhalation mit dem
Inhaliergerät, z.B. mit 0,9%iger Kochsalzlösung, führt zusätzlich zu einer Befeuchtung
der Atemwege und unterstützt die Schleimlösung. Eine Inhalationsbehandlung ist bei
Erkrankungen der Bronchien allerdings nur dann wirkungsvoll, wenn ausreichend kleine
Teilchen inhaliert werden, die bis in die kleinen Bronchien gelangen. Große Teilchen (über
10 µm) bleiben in der Nase oder im Rachenraum hängen.
ÎInhalieren mit dem Inhaliergerät
Ein gutes Inhaliergerät muss ausreichend kleine Teilchen
(meist 3 - 6µm) erzeugen können, robust, leicht bedienbar
und gut zu reinigen sein. Am häufigsten werden sogenannte Verneblergeräte (z.B. Pari Boy®) eingesetzt. Ein
kleiner Kompressor produziert Pressluft, welche in einer
Düse das Aerosol erzeugt. Auch moderne Ultraschallgeräte
(z.B. multisonic®) können verwendet werden. Das Aerosol
wird über eine Maske oder ein Mundstück an den Patienten
abgegeben. Das Inhalieren mit einem Mundstück ist der
Inhalation mit der Maske überlegen, da bei der
Maskeninhalation viele Teilchen in der Nase hängen bleiAbbildung 5-6: Pari Boy®
ben. Bei Säuglingen und Kleinkindern kann allerdings nur
mit der Maske inhaliert werden. Die Inhalation sollte in aufrechter Oberkörperhaltung
vorgenommen werden. Eine regelmäßige Reinigung und trockene Aufbewahrung des
Verneblers ist wichtig, damit es nicht zu einem Schimmelpilzwachstum kommt. Zur Reinigung genügt heißes Wasser, eine Desinfektion ist nicht notwendig. Die Verneblerteile
müssen anschließend gut getrocknet werden (z.B. mit einem Föhn). Zur Aufbewahrung
werden sie beispielsweise in ein sauberes Küchentuch eingeschlagen. Die Dauer einer
einzelnen Inhalationen sollte mindestens fünf, jedoch höchstens zehn Minuten dauern, da
ansonsten die Mitarbeit der Kinder deutlich nachlässt. Die Inhalation soll mit ruhigen und
tiefen Atemzügen erfolgen, dabei soll nicht durch die Nase eingeatmet werden.
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Zur Befeuchtung der Atemwege und zur Schleimlösung dient die Inhalation von Kochsalzlösung (in der Regel 0,9%ig). Es sollten nur Fertigampullen mit 2 bis 5 ml Kochsalzlösung verwendet werden. Größere Abfüllbehältnisse, die wiederholt geöffnet oder angestochen werden müssen, sind ungeeignet, da sehr schnell eine Besiedelung mit Bakterien
oder Pilzen eintritt. Die Inhalation von 0,9%iger Kochsalzlösung ist völlig nebenwirkungsfrei. Medikamente zur Inhalation werden entweder als Fertiginhalat in 2ml Ampullen angeboten (Atrovent®, Beta-Mimetika, DNCG, Pulmicort®) oder in Tropfenform der
Kochsalzlösung oder einem Fertiginhalat (Atrovent®, Beta-Mimetika, DNCG) zu-gesetzt.
Noch ein Hinweis: Nicht direkt vor dem Schlafengehen mit dem Inhaliergerät inhalieren.
Durch die Inhalation löst sich Schleim, der abgehustet werden muss. Geht man direkt
nach dem Inhalieren ins Bett, ist ein Abhusten kaum möglich. Daher besser eine halbe
Stunde bis eine Stunde vor dem Zubettgehen inhalieren. Durch Spielen und Herumtoben
löst sich noch Schleim und kann abgehustet werden.
ÎDosieraerosole ("Sprays")
Die meisten Asthmamedikamente gibt es in dieser Form. Der
Wirkstoffbehälter enthält neben dem Medikament ein Treibgas. Durch
Drücken wird eine bestimmte Dosis (ein "Hub") in fein vernebelter
Form freigesetzt. Die Anwendung geht schneller als mit dem Inhaliergerät und kann auch unterwegs ohne großen Aufwand erfolgen. Bei
Atemzug-gesteuerten Dosieraerosolen (z.B. Autohaler®) wird der
Sprühstoß erst bei Ausübung eines bestimmten Sogs bei der Einatmung ausgelöst. Ältere Kinder, die einen Spraystoß zeitgleich mit
dem Einatmen auslösen können, können Beta-Mimetika direkt aus
dem Dosieraerosol inhalieren. Für jüngere Kinder und für die
Inhalation von DNCG und Kortikoiden gibt es Inhalationshilfen, auch
Vorschaltkammer oder Spacer genannt (siehe unten).
Abbildung 5-7:
Dosieraerosol
Entscheidend für eine gute Wirkung der Medikamente ist die richtige Anwendung des
Sprays in folgenden Schritten:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Schutzkappe entfernen
Spray kräftig schütteln
Kopf gerade halten oder leicht nach hinten neigen, ruhig und tief ausatmen
Spray senkrecht mit Öffnung nach unten halten und Ansatzstück in den Mund
zwischen die Zähne nehmen
Spray drücken, dabei langsam und tief einatmen
Spray aus dem Mund nehmen
Atem anhalten und auf 5 bis 10 zählen
langsam durch die Nase ausatmen
Vorgang entsprechend der ärztlichen Verordnung wiederholen
Schutzkappe wieder aufsetzen.
ÎInhalationshilfen
Kortikoid-haltige Dosieraerosole mit Ausnahme des Autohaler® werden grundsätzlich mit
einer Vorschaltkammer (Spacer) angewendet, um eine Heiserkeit oder einen Pilzbefall im
Mund zu verhindern. Zudem kommen Vorschaltkammern bei Säuglingen und kleinen Kindern zum Einsatz, die ein Dosieraerosol noch nicht koordiniert anwenden können. Mit der
Kombination von Dosieraerosol und Vorschaltkammer (z.B. AeroChamber®, Babyhaler®,
Nebulator®, Rondo®, Volumatic®, siehe ÎAbbildung 5-8) ist die selbe Wirkstoffmenge in
die Bronchien zu transportieren wie mit einem Inhaliergerät, die erforderliche Dosis ist
bei Kortikoiden sogar deutlich geringer. Das Aerosol wird zunächst in die Vorschaltkammer gesprüht und verteilt sich dort fein. Größere, nicht lungengängige Teilchen schlagen
sich an der Kammerwand nieder. Dann erst erfolgt die tiefe Einatmung in die Bronchien.
Der Vorteil ist, dass eine geringere Menge des Medikaments im Rachenraum hängen
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Seite 5-17
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bleibt und ein größerer Anteil die feinen Bronchien erreicht. Größere Kinder verwenden
Vorschaltkammern mit Mundstück, Säuglinge und Kleinkinder mit Maske.
Mit der Vorschaltkammer wird wie folgt inhaliert:
•
•
•
•
•
•
•
sitzen oder stehen
Spray kräftig schütteln und mit der Öffnung nach unten in die Vorschaltkammer
stecken
Spray einmal drücken
Mundstück der Vorschaltkammer mit Zähnen und Lippen fest umschließen, bei
Säuglingen und Kleinkindern Maske fest ans Gesicht anlegen
fünfmal langsam und tief einatmen, Luft anhalten und durch die Nase ausatmen
Vorgang nach ärztlicher Verordnung wiederholen
Vorschaltkammer nach Vorschrift des Herstellers reinigen.
Abbildung 5-8: Volumatic®, Rondo®, Babyhaler®
ÎPulverinhalatoren
Bei der Pulverinhalation gelangt das Medikament in Form eines feinen Pulvers in die
Bronchien. Die Inhalation aus dem Pulverinhalator (z.B. Diskus®, Novolizer®, Turbohaler®, Spinhaler®) erfolgt durch einen kräftigen Luftstrom bei der Einatmung. Die Pulverinhalation ist vor allem bei älteren Kindern und Jugendlichen zur Inhalation des
Dauermedikaments beliebt, da die Anwendung einer Vorschaltkammer entfällt. Auch bei
der Pulverinhalation wird zunächst ruhig und tief ausgeatmet (nicht in den Inhalator hinein!), dann aber im Unterschied zur Spray-Inhalation schnell und kräftig eingeatmet.
Anschließend wird der Atem angehalten, auf 5 bis 10 gezählt und durch die Nase wieder
ausgeatmet. Der Vorgang wird evtl. nach ärztlicher Verordnung wiederholt.
Abbildung 5-9: Pulverinhalatoren (Diskus®, Novolizer®)
ÎWelche Inhalationsform für welches Kind?
Akut- und Dauermedikamente können bereits ab dem Säuglingsalter mit dem Dosieraerosol und einer Vorschaltkammer effektiv inhaliert werden. Ältere Kinder brauchen bei
Verwendung eines Akut-Medikaments als Spray bei guter Koordination keine Vorschaltkammer mehr. Schulkinder und Jugendliche bevorzugen oft den Pulverinhalator. Vorteil
von Dosieraerosol und Pulverinhalator ist eine kurze Inhalationszeit, was vor allem bei
einer Dauerbehandlung ein wichtiger Faktor für die konsequente Mitarbeit des Patienten
(Compliance) ist. Ein elektrisches Inhaliergerät ist von Vorteil, wenn zusätzlich eine Be© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
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feuchtung der Atemwege zur Schleimlösung erwünscht ist oder beim schweren Asthmaanfall eine langsame und kontinuierliche Verabreichung eines Medikaments angestrebt
wird. Der Erfolg einer Inhalationsbehandlung hängt weniger vom verwendeten System
ab, sondern in viel stärkerem Maße von der regelmäßigen und korrekten Anwendung.
5.4.15 Atemtherapeutische Techniken
Die Atemtherapie dient der Verbesserung der Atemtechnik und Verminderung der Atemarbeit. Sie soll das Abhusten von Schleim fördern und die Lungenbelüftung verbessern.
Auch die Beweglichkeit des Brustkorbes kann gefördert werden.
ÎKonsequente Nasenatmung
Einatmen durch die Nase schützt die Bronchien vor Austrocknung, Kälte, Luftschadstoffen
und Allergenen, die in der Nase abgefangen werden und dadurch nicht in die Bronchien
gelangen können.
ÎDosierte Lippenbremse
Man lässt die Ausatemluft durch die fast geschlossenen, locker aufeinanderliegenden
Lippen langsam und ohne Druck ausströmen. Dadurch wird der Luftstrom durch die
Lippen gebremst und der Druck in den Bronchien erhöht. Die Bronchien fallen so bei der
Ausatmung nicht so leicht zusammen und bleiben länger offen. Den gleichen Effekt erzielt
man, wenn beim Schwimmen gegen den Druck ins Wasser ausgeatmet wird. Die folgenden atemerleichternden Körperstellungen sollen immer zusammen mit der Lippenbremse
angewendet werden.
ÎAtemerleichternde Körperstellungen
Jedes Kind mit Asthma bronchiale sollte mindestens eine atemerleichternde Körperstellung in Zusammenhang mit der Lippenbremse beherrschen (siehe ÎAbbildung 5-10,
11,12):
•
•
•
•
•
Kutschersitz
Das Kind setzt sich mit leicht nach vorn gebeugtem Oberkörper auf einen Stuhl
und stützt sich mit den Unterarmen auf den Oberschenkeln ab.
Torwartstellung
Die Hände werden im Stehen bei leicht gebeugten Knien auf den Oberschenkeln
abgestützt.
Stehen mit Abstützen an der Wand
Das Kind stellt sich im rechten Winkel zu einer Wand und stützt sich mit dem
Ellbogen an der Wand ab.
Hängebauchlage
Das Kind kniet sich hin, setzt den Po auf die Fersen und legt den Kopf nach vorn
seitlich auf die auf dem Boden aufliegenden gebeugten Arme.
Abstützen auf einem Tisch
Das Kind setzt sich an einen Tisch, die Arme werden auf die Tischplatte, der Kopf
auf die Arme gelegt.
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Abbildung 5-10,11,12: Hängebauchlage, Torwartstellung, Abstützen auf einem Tisch
GRÜNE Zone "Alles okay"
Du hast keine Asthmasymptome, keinen Husten, Du kannst allen sportlichen
Betätigungen nachgehen, Dein Schlaf ist ungestört
und
Peak-Flow 80-100% vom Bestwert
Î Medikamente weiter wie vom Arzt verordnet
GELBE Zone "Achtung"
Du hast eventuell Husten, bist kurzatmig oder hast ein Engegefühl in der Brust,
diese Symptome hindern Dich beim Sport oder beim Schlafen
und/oder
Peak-Flow 60-80% vom Bestwert
Î Notfallplan
ROTE Zone "Notfall"
Du hast dauernd Husten oder bist kurzatmig oder hast ein Engegefühl in der Brust,
die Symptome hindern Dich am normalen Sprechen bei leichter Anstrengung
oder beim Schlafen
und/oder
Peak-Flow unter 50% vom Bestwert
Î Notfallplan
Abbildung 5-13: Beispiel eines Asthmaselbstbehandlungsplans (Gesellschaft für
Pädiatrische Pneumologie)
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
5.4.16 Steuerung der Asthmatherapie und Notfallplan
Die Festlegung der Asthmatherapie erfolgt zum einen durch die Beobachtung von Häufigkeit und Schwere von Asthmasymptomen wie Husten, Pfeifen, Kurzatmigkeit oder Engegefühl in der Brust. Bei jungen Kindern geschieht dies vor allem durch die Eltern, bei
größeren Kindern auch durch Selbstwahrnehmung ("Lungendetektiv"). Sobald es das
Alter des Kindes zulässt, wird die Asthmatherapie auch durch eine Lungenfunktionsprüfung überwacht. Dies ist normalerweise ab dem Alter von vier bis fünf Jahren der Fall.
Der Abhörbefund ist zwar eine wichtige, jedoch nicht allein ausreichende Therapiekontrolle, da eine Verengung der Atemwege oft nicht mit einem auffälligen Abhörbefund einhergeht. Die Verwendung eines Peak-Flow-Meters ist eine sinnvolle Maßnahme zur Unterstützung der Selbstkontrolle. Nach entsprechender Schulung kann mit einem Asthmaselbstbehandlungsplan die Behandlung vom Patienten bzw. seinen Eltern auch zwischen
den Vorstellungsterminen beim Arzt bei Bedarf angepasst werden (siehe ÎAbbildung 513 und 5-14).
GELBE Zone "Achtung"
1. Stufe
oder
ROTE Zone "Notfall"
Kutschersitz oder Torwartstellung mit Lippenbremse
2–3 Hübe Notfallspray
weiter Kutschersitz/Torwartstellung mit Lippenbremse
wenn nach 10 Minuten keine Besserung
2. Stufe
2 – 3 Hübe Notfallspray
Kutschersitz/Torwartstellung mit Lippenbremse
Kortison-Notfalltablette einnehmen
wenn nach 10 Minuten keine Besserung
3. Stufe
Arzt und Eltern verständigen
weiter Kutschersitz/Torwartstellung mit Lippenbremse
Abbildung 5-14: Beispiel eines Notfallplanes für Schulkinder (Luftiku(r)s Osnabrück)
5.4.17 Asthma und Sport
Bei den meisten Kindern mit Asthma bronchiale führt starke körperliche Anstrengung
durch eine Abkühlung und Austrocknung der Bronchialschleimhaut zu Beschwerden. Eine
generelle Befreiung eines Asthma-kranken Kindes oder Jugendlichen vom Sport sollte
allerdings der Vergangenheit angehören. Regelmäßiges körperliches Training fördert die
motorische und psychische Entwicklung insgesamt. Die Teilnahme an sportlichen Aktivitäten führt bei Asthmatikern zu einer eindeutigen Verbesserung der Lungenfunktion. Das
Asthma-kranke Kind soll mit seinen Klassenkameraden mithalten können. Die individuelle
Belastbarkeit kann durch einen Laufbelastungstest mit Lungenfunktionsmessung beim
Arzt und durch Symptombeobachtung und Peak-Flow-Messung beim Sport bestimmt
werden.
Die günstigste Sportart für Asthmatiker ist Schwimmen. Hier muss das eigene Körpergewicht nicht getragen werden und die Einatemluft ist feucht. Es kann jedoch eventuell
Probleme in stark gechlorten Bädern geben, da Chlor auf die Bronchien reizend wirkt. Als
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Seite 5-21
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
eher ungeeignet haben sich Kraftsport, Ringen und Boxen erwiesen. Prinzipiell gibt es
jedoch keine Sportart, die Asthma-kranke Kinder nicht ausüben könnten, wenn die unten
genannten Voraussetzungen stimmen. Der Spaß und die Freude an der gewählten
Sportart sollten im Vordergrund stehen.
Ein plötzlicher Kaltstart birgt am ehesten die Gefahr, einen Asthmaanfall auszulösen und
sollte daher vermieden werden. Eine ausreichend lange Aufwärmphase von mindestens
zehn Minuten wirkt hingegen stabilisierend. Die körperliche Belastung sollte nicht bis ans
Maximum gehen, da maximale Belastung leicht Asthmaanfälle auslöst. Ein asthmakrankes Kind muss bei Einsetzen von Beschwerden abbrechen dürfen. Individuelle Einschränkungen müssen natürlich beispielsweise bei Pollenallergikern bei starkem Pollenflug bei Sport im Freien oder bei Hausstaubmilbenallergikern in einer verstaubten Turnhalle gemacht werden. An vielen Orten haben sich Asthmasportgruppen gebildet, wo
asthmakranke Kinder unter Anleitung von speziell geschulten Lehrern Sport treiben können.
Voraussetzung ist allerdings, dass eine optimale Asthmabehandlung durchgeführt wird.
Diese beinhaltet ab Asthma-Schweregrad II eine antientzündliche Dauerbehandlung. Zusätzlich kann bei Bedarf vor Sport mit einem Beta-Mimetikum oder DNCG inhaliert werden. Kinder und Jugendliche, die beim Sport leicht mit Asthmaanfällen reagieren, sollten
bei körperlicher Betätigung immer ein bronchialerweiterndes Akut-Spray greifbar haben
und anwenden können. Sie müssen geschult sein, ihre Leistungsfähigkeit durch Selbstbeobachtung und/oder Peak-Flow-Messung richtig einzuschätzen.
5.4.18 Klima und Urlaub
Ein Klimawechsel führt unabhängig von einer Reha- oder Kurmaßnahme zu einer vorübergehenden Verbesserung der Körpertemperaturregulation, einer verstärkten körpereigenen Kortisonproduktion und einer psychischen Stabilisierung. Zusätzlich bestehen in
bestimmten Klimazonen geringere Allergenkonzentrationen, was zu einer Verminderung
der Entzündung in den Bronchien führen kann. Bei Pollenallergien kann der Pollenkontakt
durch einen Aufenthalt in einem Gebiet mit anderer Vegetation, im Hochgebirge ab 1500
bis 2000 m oder am Meer reduziert werden. Viele Pollenallergiker nützen diesen Umstand
bei der Urlaubsplanung. Informationen hierzu liefern spezielle Urlaubs-Pollenflugkalender.
Ab 1000 m Höhe nimmt die Milbenzahl in unseren Breiten deutlich ab, ab 1500 m sind
keine Hausstaubmilben mehr nachweisbar. Ein Klimawechsel kann also zu einer vorübergehenden Stabilisierung der bronchialen Situation führen. Er wird jedoch ohne längerfristigen Effekt sein, wenn erforderliche Maßnahmen zur Allergenvermeidung und Inhalationsbehandlung zu Hause nicht konsequent fortgeführt werden. Allein durch eine Klimaveränderung kann ein Asthma bronchiale nicht geheilt werden!
5.4.19 Rehamaßnahmen
Siehe ÎKapitel 18.
5.4.20 Asthma und Psyche
Asthma und Psyche beeinflussen sich wechselseitig. Die früher oft zu hörende Meinung,
dass das Asthma bronchiale rein psychisch ausgelöst sei, ist überholt. Jedoch spielen bei
vielen Asthmatikern psychische Faktoren als Auslöse- oder Verschlechterungsfaktoren
eine mehr oder weniger wichtige Rolle. Eine schlechte psychische Verfassung oder Angst
machen den Körper empfänglicher für einen Asthmaanfall. Eine ausgeglichene psychische
Verfassung und die Abwesenheit von Angst machen einen Asthmaanfall weniger wahrscheinlich. Es gibt Asthmatiker, bei denen psychische Auslösefaktoren eine so große Rolle
spielen, dass eine psychotherapeutische Behandlung notwendig wird. Und es gibt
Asthmatiker, die mit einem echten oder angedrohten Asthmaanfall ihre Eltern oder die
übrige Umwelt in Atem halten, sich damit die gewünschte Aufmerksamkeit verschaffen.
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-22
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
Zwei Grundhaltungen können den Verlauf eines Asthma bronchiale erheblich beeinflussen. Die Verdrängung (Nichtwahrhabenwollen) körperlicher Symptome durch den
Asthmakranken selbst oder durch die Eltern eines betroffenen Kindes führt unter Umständen zu einer erheblichen Verzögerung der Diagnose und des Behandlungsbeginns.
Da jeder Asthmaanfall für einen weiteren Asthmaanfall empfindlicher macht, ist dies längerfristig gesehen ein ungünstiger Weg. Auch Jugendliche neigen in den schwierigen
Zeiten der Entwicklung und Selbstfindung zu einer Verdrängung körperlicher Symptome
oder haben nicht den Mut, mit den Eltern oder dem Arzt darüber zu sprechen. Oft verhindert die Vorstellung "mir kann so etwas nicht passieren" eine adäquate Therapie.
Ebenso nachteilig ist eine überbeschützende Haltung der Eltern, die ihr Kind ständig
ängstlich beobachten und von allen nur denkbaren "Gefahren" schützen wollen. Das Kind
kann dadurch kein gesundes Selbstvertrauen entwickeln und wird, wenn überhaupt, erst
spät Mitverantwortung in der Therapie übernehmen.
Ein wichtiger Aspekt ist die Rückwirkung der körperlichen Situation auf die seelische Verfassung: Die Angst vor einem unvorhersehbaren neuen Asthmaanfall; die
Angst, in manchen Dingen, vor allem was die körperliche Leistungsfähigkeit anbelangt,
hinter Gleichaltrigen zurückstehen zu müssen; die Angst, in Schule, Beruf und Privatleben benachteiligt zu werden und so weiter. All dies hat Rückwirkungen auf das Selbstwertgefühl. Wenn dadurch das seelische Gleichgewicht gestört wird und erneut Angst
entsteht, kann es tatsächlich zu einer Verschlechterung der körperlichen Situation mit
vermehrten Asthmaanfällen kommen, der Teufelskreis ist geschlossen.
Zur besseren Bewältigung seelischer Anspannungen haben sich Entspannungstechniken
wie das autogene Training und die progressive Muskelentspannung nach Jacobson bewährt. Besteht die Erfordernis einer Psychotherapie, ist zwischen einer Vielzahl therapeutischer Methoden auszuwählen (z.B. Einzeltherapie, Gruppentherapie, Familientherapie).
Der in der Asthmatherapie erfahrene Arzt wird dies im Einzelfall mit dem Betroffenen
und/oder den Eltern besprechen. Dabei ist auch das jeweils vor Ort vorhandene therapeutische Angebot zu berücksichtigen.
5.4.21 Impfungen bei Asthma
Siehe ÎKapitel 15.
5.4.22 Komplikationen
Ein nicht oder unzureichend behandeltes Asthma bronchiale kann erhebliche Konsequenzen für das soziale, schulische oder berufliche Leben haben: Atemprobleme, Sauerstoffmangel und gestörter Schlaf führen zu chronischer Müdigkeit mit Gereiztheit und Leitungsabfall, Wachstums- und Entwicklungsstörungen und vermindertem Selbstbewusstsein. Wird die chronische Entzündung in den Bronchien nicht ausreichend behandelt ist
eine nicht mehr rückbildungsfähige Narbenbildung in den Bronchien die Folge. Bei einem
schweren Asthma bronchiale mit chronischen Atemproblemen kann sich der Brustkorb
verformen und eingezogen werden. Die Brustmuskeln verkürzen sich, was zu einem
Rundrücken führt. Kann die Ausatemluft über einen längeren Zeitraum nicht mehr vollständig entweichen, kommt es zu einer andauernden Überblähung der Lungen mit einem
fassförmigen Brustkorb. Eine starke chronische Überblähung kann vor allem bei Jugendlichen mit mangelnder Selbstwahrnehmung in Verschlechterungsphasen leicht zu bedrohlichen Asthmakrisen führen. Von einem Status asthmaticus spricht man, wenn länger als
12 Stunden Atemnot in Ruhe besteht und auf die Inhalation von Beta-Mimetika keine
Besserung erfolgt. Ein bedrohlicher Warnhinweis ist eine Blauverfärbung der Lippen. In
diesen Fällen ist eine sofortige Klinikbehandlung erforderlich.
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-23
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
5.4.23 Verlauf und Prognose des Asthma bronchiale
Das Asthma bronchiale ist eine chronische Erkrankung. Es ist heute zwar in den allermeisten Fällen gut zu behandeln, jedoch nicht heilbar. Die Bereitschaft der Bronchien,
überempfindlich zu reagieren, bleibt das ganze Leben mehr oder weniger stark bestehen.
Grob vereinfacht kann man von folgenden Zahlen ausgehen:
•
•
•
bei einem Drittel der Kinder verliert sich das Asthma bis auf geringe Restsymptome,
bei einem Drittel bessert sich das Asthma,
bei einem Drittel bleibt das Asthma unverändert oder es verschlechtert sich sogar.
Die beste Prognose haben Kinder mit einem nichtallergischen Asthma, das hauptsächlich
durch Virusinfekte ausgelöst wird (Infektasthma). Schlechtere Chancen haben Kinder und
Jugendliche, bei denen das Asthma bereits sehr früh begonnen hat, die in früher Kindheit bereits ein sehr schweres Asthma hatten, bei denen Allergien oder eine Neurodermitis bestehen und die aktiv oder passiv Tabakrauch ausgesetzt sind. Jugendliche, die in
der Pubertät nicht erscheinungsfrei sind, werden ihre Beschwerden im Erwachsenenalter
wahrscheinlich nicht verlieren.
5.4.24 Berufswahl bei Allergien der Atemwege und Asthma
Neben persönlichen Neigungen und Fähigkeiten spielt bei Jugendlichen mit Allergien der
Atemwege und Asthma bei der Berufswahl die Belastung durch Allergieauslöser sowie
andere Reizstoffe und Belastungsfaktoren am zukünftigen Arbeitsplatz eine besondere
Rolle.
• Wo kann ich mich informieren?
Die erste Anlaufstelle für medizinische Fragen ist zunächst der behandelnde Kinder- und Jugendarzt bzw. Allergologe. Er kann aufgrund der medizinischen Befunde darüber informieren, welche Allergieauslöser und weitere Belastungsfaktoren je nach vorliegender Erkrankung unbedingt vermieden werden sollten und
welche Berufsbilder am geeignetsten sind. Der Berufsberater beim Arbeitsamt
kann dann auf diesen Informationen aufbauend je nach persönlichen Voraussetzungen über mögliche Berufswege beraten, vorhandene Ausbildungsstellen
vermitteln oder vor der Berufsausbildung eine Berufsfindung, eine Arbeitserprobung oder einen Förderlehrgang vorschlagen.
•
Auf welche Belastungsfaktoren ist zu achten?
Grundsätzlich gilt, dass Jugendliche mit allergischer Bindehautentzündung, allergischem Schnupfen und Asthma oder auch mit bekannter Allergiebereitschaft Arbeitsplätze, an denen sie einer starken Belastung mit Inhalationsallergenen (=
Allergieauslöser, die mit der Luft übertragen werden) ausgesetzt sind, meiden
sollten. Dies betrifft natürlich zunächst einmal die bereits individuell bekannten
Inhalationsallergene wie Tierhaare, Pollen oder Schimmelpilze. Zudem sind unspezifische Reizfaktoren wie Zigarettenrauch, Stäube und andere atemwegsreizende Stoffe, eine starke Kälte- oder Hitzeexposition sowie bei Belastungsasthma auch schwere körperliche Anstrengung zu umgehen. In welchem Ausmaß
dies geschehen muss, ist jedoch immer eine individuelle Entscheidung in Absprache mit dem behandelnden Arzt.
Liegen zusätzlich Nahrungsmittelallergien und Kontaktallergien (z.B. gegen Metalle) vor, erschwert dies die Berufswahl zusätzlich. Zudem besteht die Neigung
zur Allergieausweitung, das heißt, dass sich bei bereits bestehenden Allergien bei
entsprechendem Kontakt weitere Allergien entwickeln können. Allerdings können
sich auch bei bisher Gesunden im Laufe des Berufslebens noch Allergien entwickeln.
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-24
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
•
Welche Berufe sind zu empfehlen bzw. zu meiden?
Die Berufswahl beim Allergiker und Asthmatiker ist immer eine individuelle Entscheidung, die nach entsprechender eingehender Beratung mit dem Arzt und dem
Berufsberater getroffen werden sollte. Sie hängt auch vom Schweregrad der Erkrankung ab und wie gut die Erkrankung behandelt ist. Die folgenden Tabellen
zeigen Beispiele von Berufen mit geringem, tragbarem und hohem Risiko für Jugendliche mit Allergien der Atemwege und Asthma. Sie wurden unter anderem
nach Empfehlungen des Asthmazentrums in Berchtesgaden zusammengestellt und
sollen als Orientierung dienen. Es kann unter Umständen besser sein, einen Beruf
mit tragbarem Risiko (siehe ÎTabelle 5-7), der jedoch den persönlichen Neigungen des Jugendlichen entspricht, zu wählen statt eines Berufes mit geringem
Risiko (siehe ÎTabelle 5-8), welcher dem Auszubildenden überhaupt keinen Spaß
macht. Oft kann auch durch entsprechende Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz
der Kontakt mit Allergie- oder Reizstoffen deutlich eingeschränkt werden, die Berufsgenossenschaften haben dazu entsprechende Empfehlungen und Vorschriften
herausgegeben.
Tabelle 5-6: Beispiele für Berufe mit hohem Risiko bei Allergien der Atemwege und
Asthma
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mehlverarbeitende Berufe: Bäcker, Konditor, Lagerarbeiter in Mehlsilos, Koch
Gärtner, Florist
Landwirt
Tischler und andere holzverarbeitende Berufe
Berufe mit engem Tierkontakt (Tierarzt und Hilfspersonal, Tierpfleger, Zoohändler,
Arbeit mit Labortieren, Kürschner, Schlachthofarbeiter, Fisch- und
Futtermittelverarbeiter)
Lackierer
Friseur, Kosmetiker
Polsterer, Dekorateur
Schuhfabrikarbeiter
Zahntechniker
Desinfektor
Müllwerker, Kanalarbeiter
Tiefbauarbeiter, Berufe im Untertagebau
Industriearbeiter mit Umgang mit allergisierenden oder chemisch reizend
wirkenden Stoffen
Tabelle 5-7: Beispiele für Berufe mit tragbarem Risiko bei Allergien der Atemwege und
Asthma
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Verkäufer im Einzelhandel
Lagerist (nicht in Getreide- und Düngemittellagern)
Berufe in der Bekleidungs- und Textilherstellung
Drucker, Druckereiarbeiter
Fotograf (ohne Dunkelkammerarbeiten)
Pflege- und Hilfspersonal in Krankenhaus und Arztpraxis
Apotheker und Hilfspersonal
Chemotechniker (ohne Umgang mit Labortieren)
Hauswirtschafts- und Hotelfachkraft
Fein-, Kfz- und Elektromechaniker
Fensterputzer
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-25
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
•
•
Industriearbeiter an emissionsfreien Arbeitsplätzen
Maschinenführer im Baugewerbe (ohne Straßenbau), in der Forstwirtschaft , im
Tagbau
Tabelle 5-8: Beispiele für Berufe mit geringem Risiko bei Allergien der Atemwege und
Asthma
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Büroberufe
kaufmännische Berufe
Verwaltungsberufe (z.B. Verwaltungsangestellter) mit Hilfsberufen (z.B. Bote,
Pförtner)
technische und künstlerische Planungsberufe
pädagogische Berufe (z.B. Lehrer)
soziale Berufe (z.B. Sozialarbeiter)
therapeutische Berufe (z.B. Logopäde, Musiktherapeut)
wissenschaftliche Berufe im theoretischen Bereich
Informatikberufe (z.B. Programmierer)
journalistische, nachrichten- und medientechnische Berufe im Innendienst
industrielle Produktionsberufe an emissionsfreien Arbeitsplätzen
5.4.25 Mythen und Fakten zum Asthma bronchiale
ÎTabelle 5-9 fasst einige Mythen und Fakten zum Thema Asthma zusammen.
Tabelle 5-9: Asthma bronchiale – Mythen und Fakten
Mythen
Fakten
Asthma kommt und geht.
ÎAsthma ist eine chronische Entzündung in
den Bronchien, die immer da ist, auch wenn
gerade keine Beschwerden vorhanden sind.
Asthma ist eine psychische Erkrankung.
ÎAsthma ist eine Erkrankung der Lunge und
nicht der Psyche. Emotionaler Stress kann
allerdings Asthmasymptome z.B. durch Ausschüttung von Entzündungsstoffen verschlimmern.
Asthmamedikamente sollten nur bei
Beschwerden eingesetzt werden, sonst
gewöhnt sich der Körper daran und sie
verlieren sie ihre Wirksamkeit.
ÎNur die regelmäßige Anwendung von Medikamenten kann die ursächliche Entzündung in
den Bronchien bekämpfen und Asthmaanfälle
verhindern.
Entzündungshemmende Asthmamedikamente
verlieren ihre Wirkung nicht.
Asthma bei Kindern verwächst sich.
ÎDie angeborene Überempfindlichkeit der
Bronchien bleibt bestehen, auch wenn bei
vielen Kinder die Asthmassymptome mit dem
Alter weniger werden.
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-26
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
Asthma verschwindet, wenn man ans
Meer oder in die Berge zieht.
ÎEin Umzug ans Meer kann bei einer Milbenallergie ein Asthma sogar verschlechtern,
wenn dort keine Milbensanierung durchgeführt
wird. Wenn die individuellen Auslöser vermieden werden und eine regelmäßige Behandlung durchgeführt wird, kann ein Asthmakranker überall leben.
5.4.26 Zusammenfassung:
Unter einem Asthma bronchiale versteht man eine anfallsweise auftretende Verengung der Atemwege, deren Ursache eine Überempfindlichkeit (Hyperreagibilität) der Bronchien auf unterschiedliche Reize ist. Grundlage dieser Überempfindlichkeit ist eine chronische Entzündung in den Bronchien. Werden die entzündeten Bronchien gereizt, kommt es zu einer Schwellung der Bronchialschleimhaut, der vermehrten Bildung zähen Schleims und einer Verkrampfung der Bronchialmuskulatur. Das typische Asthmasymptom ist die erschwerte Ausatmung mit einem pfeifenden Ausatemgeräusch.
Auslöser für Asthmaanfälle können Infekte, Allergien, körperliche Anstrengung, Luftschadstoffe, emotionaler Stress, seltener auch Medikamente sein. Als allergische Auslöser
kommen hauptsächlich Milben, Pollen, Haustiere und Schimmelpilze in Betracht. Die
Diagnose eines Asthma bronchiale wird durch die Krankengeschichte, die körperliche
Untersuchung und den Nachweis einer rückbildungsfähigen Bronchialverengung
in der Lungenfunktion gestellt. Man unterscheidet 4 Schweregrade eines Asthma bronchiale. Die Therapie besteht aus einem ganzen Bündel unter-schiedlicher Maßnahmen:
der Vermeidung von bekannten Auslösern, der medikamentösen Behandlung sowie ergänzenden Maßnahmen wie Sport, atemerleichternden Körperstellungen und Entspannungstechniken. Eine gründliche Information und Schulung des Betroffenen und seiner
Bezugspersonen ist hierfür notwendig.
Man unterscheidet Akutmedikamente ("Reliever", Symbol roter Kreis ), welche als
Bedarfstherapie bei akuten Beschwerden eingesetzt werden von Dauermedikamenten
("Controller", Symbol grünes Quadrat ), welche als Dauertherapie der Bekämpfung der
Entzündung und der vorbeugenden Stabilisierung der Bronchien dienen. Inhalationen
erfolgen entweder mit dem Inhaliergerät, Dosieraerosolen ("Sprays") mit Inhalationshilfen oder Pulverinhalatoren. Die konsequente antientzündliche Behandlung ist enorm
wichtig, da sonst durch die Entzündung in den Bronchien nicht mehr rückbildungsfähige
Narben entstehen.
Mit den heute zur Verfügung stehenden Behandlungsmaßnahmen können fast alle Kinder
und Jugendliche mit Asthma bronchiale gut behandelt werden, obwohl wir Asthma nicht
dauerhaft heilen können.
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-27
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
5.5 Entzündung der Lungenbläschen (exogen allergische
Alveolitis)
Neben dem Asthma bronchiale gibt es noch eine andere zwar seltene, jedoch auch schon
bei Kindern vorkommende allergische Erkrankung der Lunge: die exogen allergische
Alveolitis.
Es handelt sich dabei um eine Entzündung der feinen Lungenbläschen (= Alveolen).
Diese Form der Entzündung wird durch organische Feinstäube tierischen und pflanzlichen
Ursprungs ausgelöst, die über die Bronchien eingeatmet werden. Bei Kindern kommen
z.B. Schimmelpilze in verschimmeltem Heu (Farmerlunge) oder Vogelkot (Taubenzüchterlunge) als Auslöser in Betracht. Bei Erwachsenen können auch Chemikalien und Medikamente ursächlich sein. Es werden IgG-Antikörper gegen die jeweils auslösenden Allergene gebildet. Es handelt sich um eine allergische Typ III-Reaktion (siehe ÎKapitel 16.4)
Es gibt eine akute und eine chronische Form der allergischen Alveolitis. Bei Kindern
kommt meist die chronische Form vor. Es zeigen sich ein trockener Husten, allgemeines Krankheitsgefühl, Atemnot bei Anstrengung und Gewichtsabnahme. Mit einem Röntgenbild der Lunge kann man meist schon die Verdachtsdiagnose stellen. Die Lungenfunktionsprüfung zeigt eine mangelnde Dehnbarkeit der Lunge (restriktive Ventilationsstörung). Im Blut sind IgG-Antikörper gegen das auslösende Allergen nachweisbar. In
Zweifelsfällen muss unter Umständen ein kleines Stück Lungengewebe entnommen und
untersucht werden.
Die Behandlung besteht am Anfang in einer innerlichen Behandlung mit Kortikoiden, da
nur diese in der Lage sind, die Entzündungsreaktion in der Lunge zu stoppen. Bei unzureichender Therapie können nicht mehr rückgängig zu machende Veränderungen in der
Lunge entstehen. Außerdem muss der Auslöser strikt gemieden werden, da ansonsten
ein Rückfall droht.
5.1.1 Zusammenfassung
Die Entzündung der Lungenbläschen (exogen allergische Alveolitis) kommt durch die
Bildung von IgG-Antikörpern gegen inhalierte organische Materialien wie Vogelkot (Taubenzüchterlunge) oder Schimmelpilze in verschimmeltem Heu (Farmerlunge) zustande.
Bei Kindern überwiegen chronische Verläufe mit Husten, Atemnot, allgemeinem Krankheitsgefühl und Gewichtsabnahme.
5.6 Pseudocroup
Sina, zwei Jahre alt, hat seit einem Tag Schnupfen und Temperaturen bis 38°C. Am
Abend zeigt sich ein leichter bellender Husten. Gegen 22 Uhr wacht Sina mit einem lauten Bellhusten auf. Wenn sie weint, hört man ein ziehendes Geräusch beim Einatmen.
Sinas Eltern kennen die Symptome von Christoph, Sinas fünfjährigem Bruder und wissen
was los ist: Pseudocroup. Der Vater nimmt Sina auf den Arm und beruhigt sie. Die Beschwerden lassen dadurch bereits deutlich nach. Die Temperatur beträgt 37,8°C, ist also
nur leicht erhöht. Der Vater zieht Sina eine warme Jacke an und geht mit ihr auf den Balkon in die kühle Abendluft. Bereits nach einigen Minuten ist das ziehende Atemgeräusch
verschwunden, gelegentlich hustet das Mädchen bellend. Die Mutter hat in der Zwischenzeit etwas zum Trinken gebracht. Außerdem hängt sie feuchte Tücher im Kinderzimmer
auf und öffnet die Fenster. Der Rest der Nacht verläuft dann relativ ruhig. Sina wacht
noch zweimal kurz mit bellendem Husten auf, schläft aber bald wieder ein.
5.6.1 Was bedeutet Pseudocroup?
Unter Pseudocroup versteht man eine Entzündung und Verengung der Luftröhre unterhalb der Stimmbänder. Hervorgerufen wird diese Entzündung meist durch Virusinfektio© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
Seite 5-28
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
nen. Betroffen sind vor allem Säuglinge und Kinder zwischen drei Monaten und drei Jahren.
5.6.2 Wie äußert sich ein Pseudocroup?
Oft zeigt sich zunächst nur ein Schnupfen. Dann folgt meist abends oder in der Nacht ein
typischer bellender Husten und ein pfeifendes Einatemgeräusch (Stridor). Die Symptome
können sich jedoch auch ganz plötzlich ohne Vorboten zeigen (spasmodischer Croup) und
halten normalerweise mehrere Tage an. Es werden vier Schweregrade unterschieden. In
vielen Fällen ist das Kind kaum beeinträchtigt und zeigt nur bei Aufregung einen bellenden Husten. Die Symptomatik kann sich jedoch bis zu schwerster Atemnot steigern. Eine
künstliche Beatmung ist jedoch nur extrem selten erforderlich.
5.6.3 Wovon muss der Pseudocroup abgegrenzt werden?
Abzugrenzen ist der Pseudocroup vor allem von der eitrigen Kehldeckelentzündung
(Epiglottitis), hervorgerufen durch eine bakterielle Infektion mit Hämophilus influenzae
Typ B (dieses Bakterium hat nichts mit dem Grippenvirus zu tun). Die eitrige Kehldeckelentzündung ist ein lebensbedrohliches Krankheitsbild mit hohem Fieber, Beschwerden
beim Einatmen, Schluckbeschwerden, kloßiger Sprache und Speichelfluss. Der für den
Pseudocroup typische bellende Husten fehlt. Betroffen sind meist Kleinkinder von zwei bis
fünf Jahren. Die Epiglottitis bedarf sofortiger stationärer Behandlung mit antbiotischer
Therapie und Einführen eines Beatmungsschlauches (Tubus) in die Luftröhre, um ein Ersticken zu verhindern. Die eitrige Kehldeckelentzündung ist glücklicherweise seit der
Einführung der Impfung gegen Hämophilus influenzae sehr selten geworden.
5.6.4 Was sind die Ursachen des Pseudocroup?
Die meisten Fälle von Pseudocroup sind durch eine Virusinfektion bedingt (Parainfluenza-,
Influenza-, Adeno- und Rhinoviren). Eine großangelegte Studie konnte in Deutschland
nur einen schwachen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Pseudocrouphäufigkeit feststellen, wahrscheinlich weil der Schwefeldioxidausstoß in den letzten
Jahrzehnten reduziert werden konnte. Es besteht jedoch ein Zusammenhang mit dem
anlagebedingten überempfindlichen (hyperreagiblen) Bronchialsystem. Dies erklärt auch,
warum nur eine bestimmte Gruppe von Kindern durch eine Infektion mit den oben genannten Viren an einem Pseudocroup erkrankt und die meisten Kinder auf die selbe Infektion nur mit Schnupfen oder Fieber reagieren.
5.6.5 Wie wird ein Pseudocroup behandelt?
•
Kind beruhigen
Der erste und wichtigste Schritt ist die Beruhigung des Kindes. In Ruhe haben
viele Kinder nur noch geringe oder keine Beschwerden mehr.
•
Kühl-feuchte Luft einatmen lassen
Das Einatmen kalter und feuchter Luft bewirkt eine Abschwellung der Schleimhaut. Man kann z.B. feuchte Tücher im nicht beheizten Kinderzimmer aufhängen.
Bei akuten Atembeschwerden geht man mit dem warm angezogenen Kind ans geöffnete Fenster oder auf den Balkon und lässt es dort die kühle Außenluft einatmen. Falls dies nicht möglich ist, kann auch im Bad mit einer heißen Dusche Wasserdampf erzeugt werden.
•
Bei anhaltenden Beschwerden: Kortikoid-Zäpfchen
Falls mit den oben genannten Maßnahmen keine Besserung zu erreichen ist, wird
ein Kortikoid-Zäpfchen (z.B. Prectal®, Klismacort®, Rectodelt®) verabreicht. Kortison ist der effektivste Schleimhautabschweller, die Wirkung tritt allerdings erst
nach ca. 30 bis 60 Minuten ein. Vielen Kindern kann damit eine Krankenhausaufnahme erspart werden. Mit ähnlicher Wirkung können Kortikoide auch mit einem
elektrischen Inhaliergerät verabreicht werden.
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5. Erkrankungen der unteren Atemwege
•
Wann muss das Kind ins Krankenhaus?
Haben diese Maßnahmen keinen Erfolg, das heißt wenn das Kind weiterhin eine
deutliche Atemnot zeigt, sich nicht beruhigt, sich blau verfärbt, nicht mehr
sprechen oder schlucken will oder apathisch wird, muss eine sofortige stationäre
Aufnahme erfolgen. Im Krankenhaus werden neben den Kaltluftinhalationen auch
Adrenalin-Inhalationen (z.B. Infectokrupp Inhal, Mikronephrin®, Suprarenin®)
verabreicht, was zu einer zusätzlichen Schleimhautabschwellung führt. Eventuell
werden auch Kortikoide intravenös gegeben.
•
Kommt der Pseudocroup wieder?
In der Regel ist ein Pseudocroupanfall nach einigen Tagen abgeklungen. Bei
welchem Kind die erste auch die letzte Episode gewesen ist und bei welchem Kind
weitere Pseudocroupanfälle auftreten werden, lässt sich im Einzelfall schwer
voraussagen. Die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung ist jedoch bei einer
Familienvorgeschichte mit einem hyperreagiblen Bronchialsystem erhöht. Etwa
50% der betroffenen Kinder haben mehrere Pseudocroupanfälle.
5.6.6 Zusammenfassung
Bei einem Pseudocroupanfall treten ein bellender Husten sowie ein pfeifendes
Einatemgeräusch (Stridor) auf. Betroffen sind meist Kinder von drei Monaten bis drei
Jahren. Die Ursache ist eine Einengung der Luftröhre unterhalb des Kehlkopfes durch
eine Entzündung der Schleimhaut. Die häufigsten Verursacher sind Virusinfektionen.
Luftschadstoffe spielen in Gegenden mit geringer Luftverschmutzung normalerweise eine
geringe Rolle. Besonders empfindlich reagieren Kinder mit einem überempfindlichen
Bronchialsystem und Allergien.
Die Behandlung besteht zunächst in der Beruhigung des Kindes, Inhalationen von
feuchter kalter Luft sowie reichlicher Flüssigkeitszufuhr. Bei anhaltender Symptomatik
werden zur Schleimhautabschwellung Kortikoid-haltige Zäpfchen eingesetzt, bei deren
kurzzeitiger Anwendung keine Nebenwirkungen zu erwarten sind. Bei mit diesen
Maßnahmen nicht zu beherrschenden Atemnotszuständen muss eine Überwachung in der
Kinderklinik erfolgen.
Wichtig ist die Abgrenzung von der eitrigen Kehldeckelentzündung (Epiglottitis). Hierbei
bestehen hohes Fieber, Beschwerden beim Einatmen, Schluckbeschwerden, eine kloßige
Sprache und Speichelfluss. Die Epiglottitis bedarf wegen Erstickungsgefahr sofortiger
stationärer Behandlung.
© Dr. P. J. Fischer – pina 4/2004
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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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6. Erkrankungen der Haut
6. Erkrankungen der Haut
6.1 Aufbau und Funktion der Haut
6.2 Neurodermitis (atopische Dermatitis)
6.3 Allergisches Kontaktekzem
6.4 Nesselausschlag (Urtikaria)
6.5 Sonnenallergie
6.6 Berufswahl bei Allergien der Haut und Ekzem
In diesem Kapitel werden nach kurzer Erläuterung von Aufbau und Funktion der Haut die
Neurodermitis (atopische Dermatitis), Kontaktallergien der Haut, der Nesselausschlag
(Urtikaria) und die sogenannte Sonnenallergie besprochen.
6.1 Aufbau und Funktion der Haut
Die Haut ist aus mehreren Schichten aufgebaut: der Oberhaut, der Lederhaut und der
Unterhaut. Sie hat mehrere wichtige Funktionen: sie schützt den Körper vor Austrocknung, physikalischen (z.B. Sonnenstrahlen, Kälte) und chemischen Einflüssen sowie dem
Eindringen von Krankheitserregern (Viren, Bakterien, Pilze). Die Haut ist ein wichtiger
Bestandteil der Wärmeregulation des Körpers. Vorstufen des Vitamin D werden in der
Haut gebildet. Daneben nehmen Nervenzellen Sinneseindrücke aus der Außenwelt wie
Wärme, Kälte, Schmerz und Berührungsreize auf. Die Haut ist somit auch ein wichtiges
Kommunikationsorgan. Weil zumindest Teile der Haut immer für jedermann sichtbar sind,
haben viele Hauterkrankungen auch eine große soziale Komponente.
6.2 Neurodermitis (atopische Dermatitis)
Im Alter von vier Monaten hatte bei Sabrina ein schuppender Ausschlag im Bereich des
Gesichtes begonnen. Die entzündliche Hautrötung breitete sich innerhalb von zwei Monaten fast auf den ganzen Körper aus. Der Ausschlag juckte wahnsinnig. Sabrina kratzte
sich, sobald sich die Gelegenheit dazu bot, z.B. wenn sie zum Wickeln ausgezogen
wurde. Zeitweise schlief sie und infolgedessen auch die übrige Familie kaum. Die Diagnose des Kinderarztes lautete unzweifelhaft "Neurodermitis".
Der Hautzustand Sabrinas wechselte stark. Es gab gute Phasen und schlechte Phasen, wo
Sabrina überall rot war und sich den ganzen Tag zu kratzen schien. Im Alter von neun
Monaten erhielt Sabrina ein Gemüsegläschen, das Hühnereiweiß enthielt. Innerhalb von
15 Minuten verfärbte sich Sabrinas Haut rot und juckte fürchterlich. Ein Bluttest brachte
die Bestätigung: Es hatte sich eine Hühnereiweißallergie entwickelt.
6.2.1 Die Neurodermitis hat viele Namen
Die Neurodermitis hat viele Namen, die gängigsten sind: Neurodermitis, atopische Dermatitis, atopisches Ekzem und endogenes Ekzem. Neurodermitis ist die älteste und
immer noch geläufigste Bezeichnung. Die Begriffe atopische Dermatitis und atopisches Ekzem haben sich in der wissenschaftlichen Literatur durchgesetzt und verdeutlichen die familiäre Häufung und den Zusammenhang mit anderen atopischen Erkrankungen. Die Bezeichnung endogenes Ekzem zeigt auf, dass viele Erkrankungsschübe
gleichsam "von innen" gesteuert werden, ohne von außen erkennbaren Auslöser.
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6. Erkrankungen der Haut
6.2.2 Was ist eine Neurodermitis?
Die Neurodermitis ist eine stark juckende, in der Regel chronisch in Schüben verlaufende entzündliche Hauterkrankung. Erscheinungsform und befallene Körperstellen ändern sich in verschiedenen Altersstufen. Mit einem Auftreten von ca. 10 % ist sie
die häufigste chronische Hauterkrankung bei Säuglingen und Kleinkindern. Die Neurodermitis ist mit allergischen Vorgängen allein nicht zu erklären. Jedoch liegt sehr häufig
eine familiäre Veranlagung zu Neurodermitis, Heuschnupfen, allergischem Asthma und
Nahrungsmittelallergien (eine sogenannte Atopie) vor.
6.2.3 Erscheinungsformen der Neurodermitis in verschiedenen Altersstufen
Die Neurodermitishaut ist trocken, schuppig oder mit Krusten bedeckt, im akuten Stadium gerötet, evtl. mit Bläschen und nässenden Stellen. Es besteht starker Juckreiz, der
die Kinder sehr unruhig, missgelaunt und reizbar machen kann. Es gibt eine große
Schwankungsbreite im Ausprägungsgrad: bei vielen Betroffene sind nur eine oder wenige
Körperstellen, bei manchen praktisch die gesamte Haut beteiligt (siehe
Abbildung 6-1
bis 6-5).
Säuglingsalter bis zweites Lebensjahr
Die meisten Kinder entwickeln Symptome innerhalb der ersten ein bis zwei Lebensjahre,
jedoch selten vor dem dritten Lebensmonat. Zunächst sind meist die Wangen in Form
einer trockenen, schuppenden Rötung betroffen. Es bilden sich Bläschen, die Haut nässt
und verkrustet infolge einer Infektion durch Bakterien. Diese Veränderungen können sich
auf die Stirn, die Kopfhaut und den übrigen Körper ausbreiten. Der Windelbereich bleibt
meist frei. Da Säuglinge vor dem Alter von 4 bis 6 Monaten nicht gezielt kratzen können,
reiben sie sich das Gesicht gegen die Bettwäsche oder die Gitterstäbe des Bettes. Dadurch wird die Hautoberfläche zerstört, die Haut nässt, verkrustet, der Juckreiz verstärkt
sich und die Haut kann sich leicht infizieren (Juckreiz-Kratz-Zirkel).
Der rote, schuppende, zum Teil verkrustete Ausschlag im Gesichts- und Kopfbereich wird
auch Milchschorf genannt. Man kann daraus allerdings nicht automatisch auf eine Milchunverträglichkeit schließen. Eine nur im behaarten Kopfbereich bestehende Schuppung
wird als Gneis bezeichnet und hat keinen Zusammenhang mit einer Neurodermitis.
Neurodermitis im Gesicht
Befall der Kniekehle
Befall der Halsregion
Abbildung 6-1,2,3: Neurodermitis an verschiedenen Körperstellen
Zweites bis zwölftes Lebensjahr
Die akut entzündlichen Erscheinungen wie Bläschenbildung und Nässen der Haut gehen
zurück. Die Haut ist insgesamt trocken. Es bilden sich kleine Knötchen (Papeln), die sich
durch Kratzen vergrößern und verkrusten. Eine weitere Folge von Kratzen und Infektionen ist eine Verdickung der Haut (Lichenifikation). Typische befallene Stellen sind jetzt
die Ellbeugen und Kniekehlen, der Nacken und die seitlichen Teile des Rumpfes.
Bei Schulkindern können auch isoliert die Füße betroffen sein. Die Haut ist schuppend
und rissig, zwischen den Zehen auch nässend und wird häufig mit einem Fußpilz verwechselt. Da die Erscheinungen an den Füßen durch das geschlossene Schuhwerk im
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6. Erkrankungen der Haut
Winter am ausgeprägtesten sind, spricht man auch von "atopischen Winterfüßen" (siehe
Abbildung 6-4).
Abbildung 6-4:Atopische Winterfüße
Abbildung 6-5:Superinfektion
Jugendlichen- und Erwachsenenalter
Bei milden Verlaufsformen findet sich eventuell lediglich eine insgesamt trockene und
empfindliche Haut sowie eine leichte Hautverdickung besonders in den Ellbeugen und
Kniekehlen. Einige Patienten haben auch einzelne Ekzemherde an bestimmten Körperstellen (z.B. Händen oder Füßen). Der Juckreiz wird insgesamt schwächer. Schwere Verlaufsformen werden seltener.
6.2.4 Was sind die Ursachen der Neurodermitis?
Die Ursachen der Neurodermitis sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt nicht "die"
Ursache der Neurodermitis, sondern viele unterschiedliche Faktoren können als Auslöseund Verschlechterungsfaktoren eine Rolle spielen (siehe Abbildung 6-6).
Seien Sie prinzipiell misstrauisch gegenüber jemandem der behauptet, er habe "die" Ursache der Neurodermitis gefunden und könne sie mit seiner Methode schnell und dauerhaft heilen.
Nahrungsmittelallergien
und -pseudoallergien
Allergieauslöser aus der Luft
Klima und Wetter
Psychische Anspannung
Veranlagung
Hautreizung
Infekte
Abbildung 6-6: Ursachen der Neurodermitis
•
Veranlagung
Die Voraussetzung für das Auftreten einer Neurodermitis ist eine vererbte übermäßige Reaktionsbereitschaft des Immunsystems und eine spezielle Überempfindlichkeit der Haut. Die Neigung, an Neurodermitis, Heuschnupfen, Asthma und
Nahrungsmittelallergien zu erkranken, tritt familiär gehäuft auf. Auf dem Boden
dieser Veranlagung werden dann die nachfolgend genannten Faktoren wirksam.
•
Nahrungsmittelallergien
z.B. gegen Kuhmilch oder Hühnerei spielen bei etwa einem Drittel der Neurodermitiskinder eine Rolle (siehe auch Kapitel 7).
•
Nahrungsmittelunverträglichkeiten ("Pseudoallergien")
Bei vielen Neurodermitikern bewirkt z.B. der übermäßige Genuss von Fruchtsäuren (z.B. Südfrüchte, frische Erdbeeren) eine nicht allergisch bedingte Verschlechterung der Haut.
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•
Allergieauslöser aus der Luft
wie Hausstaubmilben, Tiere oder Pollen können durch direkten
einer Verschlechterung führen.
•
Klima und Wetter
Starke Hitze oder Kälte sowie ausgeprägte Temperaturschwankungen reizen die
Haut.
•
Hautreizung
Mechanische Hautreizung durch Scheuern oder Kratzen, zu starkes Austrocknen
der Haut (z.B. durch trockene Heizungsluft, zu häufige bzw. falsche Hautreinigung), vermehrtes Schwitzen, zu enge oder kratzende Kleidung (z.B. Wolle), Tabakrauch und andere chemische Reizstoffe irritieren die Haut.
•
Psychische Anspannung
Übermüdung, Streit in der Familie und andere psychische Stressfaktoren können
den Hautzustand verschlechtern.
•
Andere Stressfaktoren
Vielfach führen fieberhafte Infekte durch eine Aktivierung des Immunsystems zu
einer Beeinflussung der Hauterscheinungen.
Hautkontakt zu
Wichtig ist, dass die individuellen Auslöse- und Verschlechterungsfaktoren bei jedem
Kind ganz unterschiedlich sein können. Dies bedeutet, dass bei dem einen Kind eine
Nahrungsmittelallergie, bei einem anderen Kind unspezifische Provokationsfaktoren wie
mechanische Hautreizung oder Schwitzen als Auslösefaktoren ganz im Vordergrund stehen können.
6.2.5 Merkmale der Neurodermitishaut
Folgende Merkmale spielen für die Reaktionen der Neurodermitishaut eine Hauptrolle:
•
Die Neurodermitishaut kann nicht genügend Wasser zurückhalten, was zu Hauttrockenheit führt (Störung der Barrierefunktion).
•
In der Neurodermitishaut läuft eine chronische, durch das Immunsystem ausgelöste Entzündung ab.
•
Es werden vermehrt allergische Mittlersubstanzen wie Histamin freigesetzt, was zu
Juckreiz führt.
•
Eine allgemein erhöhte Reizbarkeit lässt die Neurodermitishaut auf unterschiedlichste Reize überempfindlich reagieren (siehe oben).
Zudem ist die Neurodermitishaut vermehrt anfällig für Infektionen durch Eiterbakterien
und Viren. Die Blutgefäße in der Haut haben eine starke Neigung, sich zusammenzuziehen. Dies zeigt sich an einer Blässe im Gesicht und dem weißen Dermographismus: wenn
man z.B. mit dem Holzspatel über die Haut am Rücken streicht, wird die Haut an diesen
Stellen nicht wie normalerweise der Fall rot, sondern weiß. Hände und Füße sind oft
schlecht durchblutet und kühl.
6.2.6 Wie kann man eine Neurodermitis diagnostizieren?
Die Diagnose einer Neurodermitis wird durch die charakteristischen Hauterscheinungen gestellt, gestützt durch das Vorkommen atopischer Erkrankungen in der Familie. Es gibt keine Laboruntersuchung oder andere technische Untersuchung, welche beweisend für eine Neurodermitis ist.
Auf der Suche nach allergischen und nichtallergischen Auslösern ist zuallererst die Beobachtung der Eltern und evtl. des Kindes wichtig. Je genauer Ihre Beobachtungen zu
möglichen Auslöse- und Verschlechterungsfaktoren sind, desto besser kann ein Auslöser
eingegrenzt und ein Allergietest geplant werden.
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Folgende Testverfahren kommen zum Einsatz (siehe auch
Kapitel 3):
a) Hauttests
Beim Pricktest wird die Testsubstanz mit einer feinen Lanzette oberflächlich in die Haut
eingebracht. Eine positive Reaktion zeigt sich als Rötung und Erhebung der Haut (Quaddel).
Beim Atopie-Patch-Test wird die Testsubstanz mit einem speziellen Pflaster für 48
Stunden mit der Haut in Kontakt gebracht. Eine positive Reaktion zeigt sich als Rötung,
Knötchen oder Bläschen.
b) Bluttests
Auch im Blut kann nach allergieauslösenden Antikörpern gesucht werden, insbesondere
wenn der Hautzustand keine Hauttests erlaubt. Das am häufigsten verwendete Verfahren
ist der RAST (Radio-Allergo-Sorbent-Test) und dessen Varianten, bei denen die Immunantwort in verschiedenen Stärkegraden (Klassen) angegeben wird.
Doch Achtung!: Eine positive Reaktion im Allergietest beweist nicht automatisch das
Vorliegen einer Allergie! Sie zeigt lediglich an, dass das Immunsystem Kontakt mit der
entsprechenden Substanz gehabt und Allergieantikörper gebildet hat (= Sensibilisierung).
Ob eine Sensibilisierung auch wirklich Krankheitserscheinungen hervorruft (= Allergie),
muss vor allem bei Nahrungsmitteln in der Regel durch einen Auslass- und Provokationsversuch überprüft werden. Das Weglassen eines verdächtigen Nahrungsmittels muss eine
Symptombesserung, das Wiedereinführen eine Symptomverschlechterung zur Folge haben. Sogenannte pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungs-mittel (z.B. auf Fruchtsäuren) können nur durch Elimination und Provokation diagnostiziert werden, da der Körper
in diesem Falle keine Allergieantikörper bildet. Leider kommt es immer wieder vor, dass
der Allergietest und nicht das allergiekranke Kind behandelt wird und dadurch dem Kind
unsinnige Diäten zugemutet werden.
Ungeeignete Diagnosemethoden sind u.a. die Kinesiologie, Bioresonanz, Elektroakupunktur, Haarmineralstoffanalyse oder die Bestimmung von IgG-Antikörpern auf
Nahrungsmittel.
6.2.7 Erkrankungen, die von einer Neurodermitis abgegrenzt werden müssen
Es gibt einige Erkrankungen, die von einer Neurodermitis unterschieden werden müssen:
•
•
•
Die seborrhoische Dermatitis beginnt früher, meist im Alter zwischen vier und
acht Wochen. Sie ist gekennzeichnet durch dicke, gelbliche, fettige Schuppen auf
roter Haut. Betroffen sind meist der Kopf (Gneis) und die Körperfalten (Achselhöhle, Leisten, Falten hinter dem Ohr). Die seborrhoische Dermatitis juckt nicht.
Sie verschwindet innerhalb weniger Wochen wieder. In einigen Fällen kann sie jedoch in eine Neurodermitis übergehen.
Bei älteren Kindern und Jugendlichen ist die Neurodermitis bei Vorliegen einzelner
begrenzter Ekzemherde von einem Kontaktekzem zu unterscheiden.
Weiterhin können eine Krätze, eine Schuppenflechte und seltene Stoffwechselund Abwehrstörungen mit einer Neurodermitis verwechselt werden.
6.2.8 Verlauf der Neurodermitis
Die Neurodermitis nimmt einen Verlauf in Schüben mit erscheinungsfreien oder erscheinungsarmen Phasen und Verschlechterungsphasen (siehe Abbildung 6-7). Nicht immer
kann für einen Verschlechterungsschub ein Auslöser festgemacht werden. Bei den meisten Kindern kommt es glücklicherweise bis zum Schulalter zu einer deutlichen Besserung
des Hautzustandes. Die Neigung zu trockener Haut bleibt allerdings bestehen. Es besteht
jedoch weiterhin eine erhöhte Allergiebereitschaft (z.B. auf Pollen, Tiere, Hausstaubmilben) und ein erhöhtes Asthmarisiko. Daher ist auch im weiteren Verlauf das Meiden
potenter Allergieauslöser wichtig, ebenso sollte die Berufswahl sorgfältig geplant werden.
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6. Erkrankungen der Haut
Ausprägung der
Hautsymptome
Zeit
Abbildung 6-7: Wellenförmiger Verlauf der Neurodermitis in Schüben
6.2.9 Komplikationen
•
•
Die Neurodermitis selbst ist nicht ansteckend. Die Neurodermitishaut ist jedoch
vermehrt anfällig für Infektionen durch Viren und Bakterien. Die häufig auftretenden Dellwarzen (Mollusken) sind zwar nicht gefährlich, jedoch äußerst
hartnäckig. Bakterielle Infektionen, z.B. durch Staphylokokken können den
Hautzustand immer wieder verschlechtern (siehe
Abbildung 6-5). Besonders
gefürchtet sind Herpesvirusinfektionen mit wässrigen Bläschen (Ekzema
herpeticatum).
Unausgewogene "Neurodermitisdiäten" können eine Mangelernährung mit
Wachstums- und Gedeihstörungen bewirken.
•
Im akut nässenden Stadium einer Neurodermitis kann es vor allem bei Säuglingen
zu großen Eiweißverlusten über die Haut kommen.
•
Eine schwere Neurodermitis kann durch ständigen Juckreiz und Schlaflosigkeit zu
Reizbarkeit und Unausgeglichenheit oder durch das äußere Erscheinungsbild bedingt zu Kontaktscheu und sozialem Rückzug führen. Diese psychischen Auffälligkeiten sind jedoch die Folge und nicht die Ursache einer Neurodermitis.
•
Eine Entzündung von Binde- und Hornhaut (atopische Keratokonjunktivitis)
kann ab dem Alter von 10 Jahren auftreten (siehe auch Kapitel 8.2).
6.2.10 Neurodermitis und Psyche
Im Laufe der Zeit sind eine Vielzahl von Theorien entstanden, welche die Entstehung einer Neurodermitis durch bestimmte Persönlichkeitsfaktoren beim Betroffenen sowie bestimmte Konstellationen im familiären Umfeld erklären wollen. Inzwischen steht fest,
dass es eine typische Neurodermitispersönlichkeit nicht gibt und dass psychische Faktoren nicht die Ursache der Neurodermitis darstellen. Unbestritten ist jedoch, dass psychische Faktoren bei vielen Neurodermitikern einen unterschiedlich starken Einfluss auf den
Hautzustand haben können.
Auswirkungen der Psyche auf die Neurodermitis
Jede Art von psychischem "Stress" kann sich verschlechternd auf die Haut auswirken. Bei
einem kleinen Kind kann dies die Trennung von der Mutter durch einen Krankenhausaufenthalt sein, bei einem größeren Kind die Anspannung vor einer Klassenarbeit. Interessant ist die Beobachtung mancher Eltern, dass auch überströmende Freude den Hautbefund bei ihrem Kind verschlechtern kann. Diese Reaktionen sind über Einflüsse des Nervensystems auf das Immunsystems zu erklären, das eine verstärkten Entzündungsaktivität in der Haut auslöst.
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6. Erkrankungen der Haut
Rückwirkungen der Neurodermitis auf die Psyche
Die Rückwirkungen der Neurodermitis auf die Psyche sind nicht zu unterschätzen:
•
Bei einem akuten Schub werden in der Haut Entzündungsstoffe (Mediatoren)
freigesetzt, die über den Blutweg ins Zentralnervensystem gelangen. Kinder im
Schub sind daher oft besonders gereizt, unleidig und unruhig.
•
Die Unruhe und das Nichtschlafenkönnen bei starkem Juckreiz führt zum
Schlafmangel beim Betroffenen selbst und meist auch bei den Eltern. Die ganze
Familie wird leicht reizbar, bereits bei Kleinigkeiten entstehen so Spannungen,
welche zusätzlich destabilisierend wirken. Häufen sich die Phasen mangelnden
Schlafs, so fällt ein schulpflichtiges Kind in der Schule durch abfallende Leistungen
auf, was wiederum neuen Konfliktstoff bietet.
•
Besonders gravierend können sich Veränderungen an den sichtbaren Hautpartien,
besonders im Gesicht, auswirken. Die neugierige, erstaunte oder mitleidige Reaktion der Umwelt führen bei vielen Betroffenen zu einem sozialen Rückzug. Diese
Kinder und Jugendlichen werden dann als introvertiert, zurückgezogen und wenig
kontaktfreudig beschrieben. Diese psychischen Auffälligkeiten sind jedoch die
Folge und nicht Ursache einer Neurodermitis.
6.2.11 Die Therapie der Neurodermitis
1) Allgemeines
Für die Neurodermitisbehandlung ist viel Geduld nötig, eine rasche Heilung gibt es leider
nicht. Wenn manche Behandler dies dennoch versprechen, sollten Sie diese Versprechungen sehr kritisch hinterfragen. Die Enttäuschung ist ansonsten hinterher meist groß
und Sie haben für diese Versprechungen unter Umständen viel Geld ausgegeben. Glücklicherweise können die meisten von Neurodermitis betroffenen Kinder und Jugendlichen
mit den heutigen erprobten und anerkannten Therapiemöglichkeiten erfolgreich behandelt werden und eine gute Lebensqualität erreichen. Man geht am besten nach einem
Stufenschema vor (siehe Tabelle 6-1).
Tabelle 6-1: Stufentherapie der Neurodermitis
1. Stufe: trockene Haut
- leichte Trockenheit der Haut, evtl. minimale Rötung
Basispflege, Meiden von Auslösern
2. Stufe: leichte Entzündung
- vermehrt Juckreiz mit Rötung, Knötchen, Kratzspuren
weniger fette Grundlagen, Zusatz kortisonfreier Wirkstoffe wie Zink, Tannin, evtl.
Pimecrolimus, desinfizierende Mittel, Juckreiz-Stopp-Techniken
3. Stufe: starke Entzündung bzw. Komplikationen
- verstärkte Symptome, Infektionen
fettarme Grundlagen, feuchte Umschläge, Infektionsbehandlung, kortisonhaltige
Cremes, Tacrolimus, innerlich Antihistaminika, in Ausnahmefällen innerlich
Kortison oder andere Immuntherapeutika
Da an der Entstehung einer Neurodermitis viele Faktoren beteiligt sind, die bei jedem
Betroffenen ein unterschiedliches Gewicht haben, kann es die für alle Patienten einzig
richtige Therapie nicht geben. Es gibt jedoch allgemeine Regeln für die Hautpflege, Kleidung und Vermeidung unspezifischer Reizfaktoren, die für alle Patienten mit Neurodermitis gelten. Andere Maßnahmen müssen auf jeden Einzelfall abgestimmt werden.
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6. Erkrankungen der Haut
Sicherheit und Geborgenheit im familiären Umfeld verschafft dem Kind die erforderliche
psychische Stabilität, mit der Erkrankung besser umgehen zu können. Dazu gehört die
Gewissheit, dass das Kind trotz seiner nach außen hin sichtbaren Erkrankung von den
Eltern, Geschwistern und anderen Bezugspersonen so geliebt und gemocht wird, wie es
ist. Achten Sie auf einen möglichst regelmäßigen Tagesablauf.
2) Auslösefaktoren meiden
Bekannte Provokationsfaktoren und Allergieauslöser müssen natürlich gemieden werden.
Dazu gehört auch, dass in der Wohnung nicht geraucht wird. Schon aus Gründen der
Allergievorbeugung sollten keine fell- oder federntragende Haustiere angeschafft und vor
allem im Schlafbereich ein für Milben und Schimmelpilze ungünstiges Klima geschaffen
werden: wischbare Böden, sparsame Möblierung, regelmäßiges Stoßlüften zur Herabsetzung der relativen Luftfeuchtigkeit auf unter 55%, waschbares Bettzeug, evtl. milbendichte Matratzenüberzüge, keine Felle ins Bett, Anzahl der Kuscheltiere begrenzen, keine
Staubfänger wie schwere Vorhänge.
3) Hautreinigung
Bei der Hautreinigung muss eine zu starke Reizung und Austrocknung der Haut unbedingt vermieden werden. Die Haut sollte möglichst mit klarem Wasser, bei stärkerer
Verschmutzung zusätzlich am besten seifenfrei mit einem Waschsyndet mit einem pHWert zwischen 5 und 6 (leicht sauer) gereinigt werden. Generell ist Duschen für die Haut
schonender als Baden. Daher sollte in der Regel nur 1-2 Mal pro Woche, nicht zu warm
(bis 35 Grad) und maximal 15 Minuten gebadet werden. Zwischendurch ist bei Bedarf
ein kurzes, nicht zu heißes Abduschen möglich. Dadurch wird die Haut von Schmutz,
Schweiß und Salbenresten befreit und auch die Bakterienzahl auf der Haut reduziert.
Kaltes Abduschen des Körpers fördert auch die körpereigene Kortisonproduktion und
wirkt dadurch zusätzlich antientzündlich und juckreizstillend. Beim Abtrocknen die Haut
nicht stark reiben, sondern sanft abtupfen.
4) Hautpflege
Eine Grundpflege (= Basispflege) muss auch unabhängig von Baden oder Duschen täglich
durchgeführt werden. Dies mildert auch den Juckreiz und die Anfälligkeit für Infektionen.
Bei entzündeter oder infizierter Haut kommt eine antientzündliche, juckreizstillende
und/oder antiinfektiöse Therapie hinzu (siehe
Tabelle 6-1). Die Hautpflege sollte in
möglichst angenehmer und entspannter Atmosphäre durchgeführt werden und für Eltern
und Kind nicht zu einer lästigen Pflichtübung werden.
a) Grundpflege
Die Neurodermitishaut braucht Feuchtigkeit und Fett. Rückfetten ist in der Regel
zwei- bis dreimal täglich und vor allem nach dem Baden und Duschen erforderlich.
Das Verhältnis von Feuchtigkeit zu Fett in der Pflegegrundlage muss je nach Hautzustand und Jahreszeit variiert werden. Grundsätzlich gilt, dass eine trockene Haut viel
Fett, eine entzündete oder gar nässende Haut wenig Fett braucht. Im Sommer
braucht die Haut vor allem Feuchtigkeit. Das Auftragen von zu viel Fett schließt die
Haut nach außen ab, der Schweiß staut sich unter der Salbe, was den Juckreiz fördert
und den Hautbefund verschlechtert. Im Sommer verwendet man daher als Grundpflege eine Creme. Im Winter hingegen braucht die Haut mehr Fett. Daher wird im
Winter zur Grundpflege eine Salbe genommen. Der Fettgehalt in den Pflegemitteln
steigt in folgender Reihenfolge an: Lotio - Creme - Lipolotio - Salbe - Fettsalbe - Öl.
Ölbäder können die Grundpflege ergänzen, jedoch nicht ersetzen. Falls ein Ölbad
verwendet wird, sollte es erst gegen Ende des Badevorgangs zugefügt werden; die
Haut kann dann vorher genügend Feuchtigkeit aufnehmen.
Der richtige Umgang mit den verschiedenen Cremes und Salben zur Grundpflege ist
viel wichtiger als die ständige Suche nach einer neuen "Wundersalbe"! Die benötigten
Basiscremes und -salben werden von verschiedenen Firmen hergestellt, wobei jeder
Arzt die Cremes und Salben verwendet, mit denen er am meisten Erfahrung hat. Spezielle Rezepturen werden vom Apotheker selbst zubereitet. Im Zweifelsfall macht man
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einen Halbseitenversuch: die eine Körperhälfte wird mit der einen, die andere Körperhälfte mit einer anderen Creme oder Salbe behandelt. Nach ein paar Tagen kann
man dann die Wirkung direkt vergleichen. Die Creme sollte am besten aus einer Tube
oder, wenn dies nicht möglich ist, mit einem Löffel oder Holzspatel aus dem Cremetopf entnommen werden.
b) wirkstoffhaltige Zusätze
Bei Bedarf werden der Pflegegrundlage wirkstoffhaltige Zusätze beigemischt: Harnstoff, juckreizstillende, antiinfektiöse oder antientzündliche Wirkstoffe (siehe
Tabelle 6-2). Die beste nichtmedikamentöse juckreizstillende Maßnahme ist Kühlung. Bei entzündeter Haut wird man zunächst versuchen, mit leicht antientzündlich
wirkenden Cremes eine Besserung zu erzielen. Bei schweren Hauterscheinungen kann
jedoch eine Kortisoncreme erforderlich werden. Werden Kortisonpräparate der Klasse
I (schwach, z.B. Hydrocortison) und Klasse II (mittelstark, z.B. Alfason®, Dermatop®,
Pandel®) über einen begrenzten Zeitraum angewendet, sind mit den modernen Zubereitungen keine Nebenwirkungen zu erwarten und die häufig anzutreffende Kortisonangst ist unbegründet. Bei einer zu langen Anwendung starker Kortisoncremes
kann es allerdings zu einer Hautverdünnung (Hautatrophie) kommen. Ein behutsames
Vorgehen ist im Gesicht und Genitalbereich angebracht. Eine Kortisonbehandlung
sollte immer schrittweise ausgeschlichen werden: z.B. in der 1. Woche Anwendung
täglich, in der 2.Woche jeden 2.Tag und in der 3.Woche jeden 3.Tag.
Tabelle 6-2: Wirkstoffe in der Lokaltherapie der Neurodermitis
Harnstoff
- schuppenlösend, wasserbindend und hautglättend
- kann auf entzündeter Haut und dünner Säuglingshaut brennen
juckreizstillend
- Polidocanol, Menthol, die unten aufgeführten antientzündlichen Wirkstoffe
antiinfektiös
- Jodlösung, Kaliumpermanganat (als Badezusatz)
- Triclosan, Chlorhexidin u.a.: gegen Bakterien und Hefepilze
- Farbstoffe (z.B. Eosin, Pyoktanin): zusätzlich austrocknend und gerbend, besonders für nässende Stellen geeignet
- Lokalantibiotika: gegen Bakterien
- Aciclovir: gegen Herpesviren
leicht antientzündlich
- Zinkoxid: gerbend, entzündungshemmend und kühlend
- Eichenrinde, Tannin, Schwarztee, essigsaure Tonerde: gerbend, gut für Umschläge geeignet
- Bufexamac (kann selbst allergische Reaktionen hervorrufen!)
- Schieferölzubereitungen
stark antientzündlich
- Kortison
- Tacrolimus, Pimecrolimus
2002 wurden in Deutschland zwei neue
antientzündliche Substanzen zur Lokalbehandlung ab dem Alter von zwei Jahren zugelassen (Tacrolimus = Protopic®, Pimecrolimus = Elidel®, Douglan®). Sie entsprechen der Wirkstärke einer schwachen
bis mittelstarken Kortisoncreme. Es handelt sich um Produkte aus Schimmelpilzen,
die bei der Erforschung von immunhemmenden Medikamenten für die Transplanta© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002-11/2005
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6. Erkrankungen der Haut
tionsmedizin entdeckt wurden. Als Creme oder Salbe auf die Haut aufgetragen gelangen bei den meisten Kindern nur minimale Mengen ins Blut. Der große Vorteil dieser
Medikamente ist, dass sie nicht zu einer Hautverdünnung führen, wie dies bei einer zu
langen Anwendung starker Kortisoncremes möglich ist. Dies ist besonders im Gesicht
und im Bereich anderer problematischer Hautstellen wichtig. Am Anfang der Behandlung kann ein Brennen der Haut auftreten, das aber meist nach einigen Tagen wieder
verschwindet. Auch sollte die Haut nicht direkt der Sonne ausgesetzt werden und ein
guter Sonnenschutz am besten durch Textilien oder wo nicht anders möglich durch
Sonnenschutzpräparate gewährleistet sein. Der Erfolg von Schutzimpfungen wird
nicht beeinträchtigt. Insgesamt stellen Tacrolimus und Pimecrolimus einen großen
Fortschritt in der Behandlung der Neurodermitis dar. Erfahrungen über eine Langzeitbehandlung über viele Jahre liegen allerdings noch nicht vor und der Preis für diese
Präparate ist noch etwa doppelt so hoch wie der einer Kortisoncreme.
Benützen Sie keine nicht oder unvollständig deklarierten "Wundermittel", welche ganz
schnell helfen sollen. Unter Umständen ist die wirksame Substanz ein darin enthaltenes Kortikoid.
5) Behandlung der nässenden Haut
Auf eine nässende Haut darf keine fettige Salbe aufgetragen werden, da unter einer
Fettschicht sich das Wundsekret anstaut und nicht abtrocknen kann. Hier nimmt man im
Akutstadium eine Creme. Bei stark nässender Haut verwendet man feuchte Umschläge
z.B. in Form von physiologischer Kochsalzlösung, Schwarztee oder 10%-iger essigsaurer
Tonerde, welche jeweils für zehn Minuten mehrmals täglich angewendet werden. Man
kann in diesem Stadium auch ein- bis zweimal täglich eine Zinkschüttelmixtur mit einem
Gerbstoffzusatz (z.B. Tannosynt® Lotio) benutzen; sobald sich eine Kruste bildet, wird die
Behandlung mit einer Creme fortgeführt.
6) Behandlung einer Infektion
Infektionen durch Bakterien (meist Staphylokokkus aureus) sind häufig an der Verschlechterung des Hautbefundes beteiligt. Es entwickeln sich dann gelbliche Krusten an
den befallenen Stellen. Ohne Behandlung der Infektion kann die Haut nicht heilen. Im
Anfangsstadium kann man desinfizierende Bäder oder Lokalantibiotika (z.B. Fucidine®
Creme) einsetzen. Ist die Infektion ausgedehnt, muss eine innerliche Behandlung mit
einem Antibiotikum durchgeführt werden. Es ist erstaunlich, wie rasch sich die Haut oft
beruhigt, wenn die Infektion unter Kontrolle ist.
Superinfektionen mit dem Herpesvirus (Ekzema herpeticatum) mit kleinen, gruppiert
stehenden Bläschen waren früher sehr gefürchtet. Mit der Anwendung von Aciclovir (Zovirax® und Generica) hat diese Komplikation heute gut behandelbar. Sind kleinere Areale
betroffen, kann ein Versuch mit der örtlichen Anwendung gemacht werden. Bei ausgedehntem Befall ist die Einnahme oder intravenöse Gabe von Aciclovir erforderlich.
7) innerliche Medikamente
Zur Juckreizstillung können Antihistaminika eingesetzt werden. Die älteren Antihistaminika (z.B. Fenistil®, Tavegil®) können müde machen (oft erwünscht), die neueren Antihistaminika (z.B. Aerius®, Lisino® und Generica, Zyrtec® und Generica, Xusal®) haben
auch eine antientzündliche Wirkung. Bei ausgeprägten Infektionen sind Antibiotika erforderlich. Bei ganz schwerer Neurodermitis muss in seltenen Fällen Kortison oder ein anderes stark antientzündlich und immunhemmend wirkendes Medikament (z.B. Ciclosporin) eingenommen werden.
8) Sonstiges
Die Einnahme von Nachtkerzensamenöl hat in den meisten Studien keinen zufriedenstellenden Erfolg gezeigt. Zur Zeit wird geprüft, ob Probiotika (Bakterien, welche die
Darmflora günstig beeinflussen) über einen Einfluss auf das Immunsystems im Darm zur
Therapie und auch Vorbeugung der Neurodermitis eingesetzt werden können. Erste Studien zeigten erfolgversprechende Resultate. Allerdings muss vor einer allgemeinen
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Empfehlung noch geklärt werden, welche Kinder von einer Behandlung profitieren und
welche Bakterienstämme die beste Wirkung zeigen.
6.2.12 Juckreiz und Kratzen
Kratzen führt zu noch stärkerem Juckreiz, Entzündung und offenen Stellen (JuckreizKratz-Zirkel) und stellt bei vielen Neurodermitiskindern ein großes Problem dar. Daher
Fingernägel kurz schneiden, Säuglingen Baumwollhandschuhe anziehen, Schlafanzugärmel zubinden, evtl. Neurodermitikeranzug verwenden, Schwitzen vermeiden. Juckreizstillende Mittel können örtlich aufgetragen (z.B. Eichenrinde, Polidocanol) oder müssen
in schwereren Fällen eingenommen werden (Antihistaminika). Es ist ganz entscheidend,
eine vom Kind akzeptierte Methode zur Juckreizstillung zu finden.
Folgende Juckreiz-Stopp-Techniken haben sich bewährt:
Eincremen
Kühlen (Creme aus dem Kühlschrank, kühle Umschläge, Coldpack)
Klopfen, Drücken, Zwicken der Haut (statt Kratzen)
Ablenken, Spielen
Bearbeiten von Kratzholz oder Kletterknete an Stelle der Haut
Entspannungstechniken.
6.2.13 Kleidung
Die Kleidung sollte nicht zu eng anliegen, das Material glatt, saugfähig, luftdurchlässig
und alles, was direkt auf dem Körper getragen wird, nicht intensiv gefärbt sein (z.B. ungefärbte Baumwolle, Leinen, Viskose, Seide). Wolle oder Felle verstärken den Juckreiz.
Einnäher aus Synthetik entfernen, evtl. Nähte nach außen tragen. Insgesamt sollte die
Kleidung vor allem im Sommer nicht zu warm sein, um das Schwitzen nicht zu fördern.
Auch Mutter und Vater sollten bei der Pflege oder beim Spielen mit ihrem Kind nicht
unbedingt einen Wollpullover tragen.
6.2.14 Ernährung bei Neurodermitis
Unterschieden werden muss zwischen einer Ernährung, die einer Nahrungsmittelallergie
vorbeugen soll und einer Ernährung bei einer nachgewiesenen Nahrungsmittelallergie.
Bei einer vorbeugenden allergenarmen Kost werden bekanntermaßen aggressive Nahrungsmittelallergene vermieden oder möglichst spät in den Speiseplan eingeführt. Bei
einer nachgewiesenen Nahrungsmittelallergie wird eine gezielte Auslassdiät (Eliminationsdiät) unter Ausschluss eines oder mehrerer Nahrungsmittel durchgeführt.
a) Kinder ohne nachgewiesene Nahrungsmittelallergie
Säuglinge sollten möglichst über 4 bis 6 Monate voll gestillt werden. Nach Absprache mit
dem Kinderarzt kann ersatzweise eine hypoallergene Säuglingsnahrung (H.A.-Nahrung,
z.B. Aptamil H.A.®, Beba H.A.®, Hipp H.A.® oder Humana H.A.®) bzw. eine starke Hydrolysatnahrung (z.B. Alfaré®, Nutramigen®, Pregomin®) verwendet werden. Das Zufüttern
von Kuhmilch- oder Sojapräparaten in den ersten Lebenstagen auf der Entbindungsstation sollte unterbleiben. Statt dessen kann, wenn unbedingt erforderlich, eine Traubenzuckerlösung gegeben werden bis ausreichend Muttermilch zur Verfügung steht. Mit Beikost
erst nach 6 Monaten beginnen. Je später der Kontakt mit potentiell allergieauslösenden
Nahrungsmitteln erfolgt, desto geringer ist das Risiko einer Sensibilisierung. Kuhmilch,
Eier, Nüsse, Fisch und exotische Früchte im ersten Lebensjahr meiden, da diese besonders häufig Allergien auslösen. Auch Fruchtsäuren (z.B. in Zitrusfrüchten), zu viel Süßes,
in seltenen Fällen auch Farb- und Konservierungsstoffe können den Hautzustand verschlechtern.
Ungezielte Eliminationsdiäten, bei denen eine Vielzahl wichtiger Nährstoffe ohne gezielte Beobachtungsphase und Auslassversuch aus der Nahrung entfernt werden, sind
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abzulehnen. Je jünger das Kind ist, um so gravierender können die Folgen einer Mangelernährung sein. Gedeihstörungen, Wachstumsstörungen, Schilddrüsenunterfunktion
sind mögliche Folgen. Werden wichtige Nahrungsmittel (z.B. Milch) nach einer Allergietestung aus der Nahrung entfernt, muss für einen bedarfsgerechten Ersatz gesorgt werden. Dies erfordert eine gezielte Beratung und Überwachung durch den Arzt oder eine
Ernährungsberaterin (siehe auch
Kapitel 7 "Nahrungsmittelallergien"). Eine allgemeine
"Neurodermitisdiät" gibt es nicht.
Leider kann in manchen Fällen auch über die Muttermilch eine Sensibilisierung des Kindes, beispielsweise gegen Kuhmilcheiweiß oder Ei erfolgen. Ein übermäßiger Genuss von
Kuhmilch und Ei durch die stillende Mutter ist daher nicht zu empfehlen. Ausreichend
umfangreiche Studien über den Wert und die Risiken einer konsequent allergenarmen
Ernährung der Mutter während der Stillzeit liegen noch nicht vor, sodass eine solche
Maßnahme im Einzelfall entschieden werden muss. Auch eine evtl. Diät der stillenden
Mutter muss ärztlich überwacht werden.
Rohkost hat eine größere allergieauslösende Potenz als erhitzte Speisen, da beim Erhitzen manche allergene Bestandteile verändert und in ihrer Aggressivität herabgesetzt
werden. Auch selbstgemahlenes frisches Korn hat eine höhere allergene Potenz als in
Backwaren aus feiner gemahlenem Mehl, da besonders Hüllbestandteile Allergien auslösen. Daher sind z.B. selbst zubereitete Frischkornmüsli zumindest im frühen Säuglingsalter vom allergologischen Standpunkt aus als ungünstig anzusehen. Dies ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass Rohkost beim Nichtallergiker eine wertvolle Bereicherung des Speiseplanes darstellt.
b) Kinder mit nachgewiesener Nahrungsmittelallergie
Kinder mit einer nachgewiesenen Nahrungsmittelallergie bedürfen einer gezielten Eliminationsdiät, wobei ein oder mehrere Nahrungsmittel vom Speiseplan gestrichen werden.
Müssen Grundnahrungsmittel weggelassen werden, ist ein ausreichender Ersatz dafür zu
schaffen. Dies erfordert in der Regel, dass eine Ernährungsberaterin den genauen
Nährstoffbedarf berechnet. Weitere Einzelheiten finden Sie im
Kapitel 7
"Nahrungsmittelallergien".
6.2.15 Impfungen bei Neurodermitis
Neurodermitiskinder sollten alle empfohlenen Routine-Impfungen einschließlich der
Windpocken-Impfung erhalten, da Windpocken bei Neurodermitikern besonders schwer
und unangenehm verlaufen können. Diese Schutzimpfungen werden von den meisten
Neurodermitiskindern problemlos vertragen. Es kann bei einigen Kindern wie bei jedem
Infekt, der das Abwehrsystem anregt, zu einer vorübergehenden Hautverschlechterung
kommen. Man wird daher die empfohlenen Impfungen in einer möglichst stabilen Phase
durchführen. Eine Impfung kann jedoch keine Neurodermitis verursachen. Grippeimpfstoffe sowie insbesondere der Gelbfieberimpfstoff dürfen bei starken Hühnereiweißallergikern nur bei strenger Indikation und sorgfältiger Überwachung verwendet werden, da
sie Hühnereiweiß enthalten (siehe auch Kapitel 15)
6.2.16 Urlaub und Klima
Ein Urlaub am Meer oder im Hochgebirge wirkt sich meist positiv auf die Haut aus. Es
gibt jedoch keine Urlaubsregion, die prinzipiell für alle Neurodermitiker gleichermaßen
geeignet wäre. An erster Stelle sollten bei der Urlaubsplanung die Wünsche der Familie
stehen. Es sind keine positiven Effekte zu erwarten, wenn die Familie beispielsweise wegen des Reizklimas an die Nordsee fährt, die Mehrzahl der Familienmitglieder jedoch viel
lieber ans Mittelmeer fahren würde. Konflikte sind hier vorprogrammiert. Wenn die anderen regelmäßig wegen einem Familienmitglied "zurückstecken" müssen, entstehen
Spannungen, welche die Heilung nicht fördern. In manchen Fällen kann die Bevorzugung
einer bestimmten Urlaubsregion durchaus sinnvoll sein. Besprechen Sie dies am besten
mit Ihrem Arzt.
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6.2.17 Sonstiges
Sorgen Sie bei allem Stress für einen geregelten Tagesablauf mit ausreichend Schlaf.
Suchen Sie Entlastung und lassen Sie auch Ihre Erholungsphasen nicht zu kurz kommen.
Bei älteren Kindern können Entspannungsverfahren nützlich sein. Eine UV-Therapie wird
bei Kindern nicht empfohlen. Bei schwerer Neurodermitis kann eine Rehabilitationsmaßnahme (siehe auch
Kapitel 18) erforderlich werden. Neurodermitis-Schulungsprogramme für Eltern und Kinder der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung (AGNES)
haben sich bewährt und ihre Effektivität nachgewiesen, jedoch ist die generelle Kostenübernahme durch die Krankenkassen noch nicht endgültig geklärt .
Empfehlungen zur Berufswahl siehe
Kapitel 6.6.
6.2.18 Zusammenfassung
Die Neurodermitis ist eine stark juckende, in der Regel chronisch in Schüben verlaufende entzündliche Hauterkrankung. Sie wird auch als atopische Dermatitis, atopisches
Ekzem oder endogenes Ekzem bezeichnet. Mit einem Auftreten von ca. 10 % ist sie die
häufigste chronische Hauterkrankung bei Säuglingen und Kleinkindern. Die Haut ist
trocken, schuppig oder mit Krusten bedeckt, im akuten Stadium gerötet, evtl. mit
Bläschen und nässenden Stellen. Es besteht starker Juckreiz, der die Kinder sehr unruhig, missgelaunt und reizbar machen kann.
Auf der Grundlage einer vererbten Veranlagung kann eine Vielzahl von Auslöse- und
Verschlechterungsfaktoren eine Rolle spielen: Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Allergieauslöser wie Hausstaubmilben, Tiere oder Pollen,
starke Hitze oder Kälte, mechanische Hautreizungen, psychische Anspannung und Infekte
als Stressfaktoren. Diese Faktoren können bei jedem Kind ganz unterschiedlich sein!
Als Komplikationen einer Neurodermitis können Infektionen der Haut durch Bakterien
und Viren, Reizbarkeit durch Juckreiz und Schlaflosigkeit, eventuell auch ein sozialer
Rückzug auftreten.
Unabdingbar für die Behandlung jeder Neurodermitis ist eine intensive und der jeweiligen Hautsituation und Jahreszeit angepasste Hautpflege (Stufentherapie der Neurodermitis). Im Sommer braucht die Neurodermitishaut zur Grundpflege eher eine Creme, im
Winter eine Salbe. Je nach Hautzustand werden Juckreiz stillende, antiinfektiöse oder
antientzündliche Wirkstoffe beigemischt. Bei starkem Juckreiz müssen eventuell innerlich
Juckreiz hemmende Medikamente gegeben werden, bei bakteriellen Infektionen Antibiotika.
Die Kleidung darf nicht kratzen, muss Schweiß aufsaugen und soll luftdurchlässig sein.
Ein Säugling mit Neurodermitis sollte möglichst vier bis sechs Monate voll gestillt werden. Die Beikost sollte vorsichtig und nicht zu schnell eingeführt werden, insbesondere
Kuhmilch, Eier, Nüsse, und Fisch müssen im ersten Lebensjahr gemieden werden. Eine
Auslassdiät, insbesondere wenn sie kleine Kinder betrifft, darf nur bei spezieller Indikation unter Kontrolle des Arztes oder der Ernährungsberaterin durchgeführt werden, da
ansonsten Mangelerscheinungen drohen.
Die Neurodermitis nimmt einen Verlauf in Schüben mit erscheinungsfreien oder erscheinungsarmen Phasen und Verschlechterungsphasen. Bei den meisten Kindern kommt es
glücklicherweise bis zum Schulalter zu einer deutlichen Besserung des Hautzustandes.
Die Neigung zu trockener Haut bleibt allerdings bestehen. Es besteht jedoch weiterhin
eine erhöhte Allergiebereitschaft (z.B. auf Pollen, Tiere, Hausstaubmilben) und ein erhöhtes Asthmarisiko.
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6.3 Allergisches Kontaktekzem
Die fünfzehnjährige Tanja trägt gerne Modeschmuck. In den letzten Wochen macht ihr
dies jedoch nur halb soviel Spaß wie zuvor. An den Ohrläppchen juckt es. Am Hals haben
sich kleine juckende Bläschen gebildet. Auch am Bauch, wo der Jeansknopf an der
Bauchhaut anliegt, hat sich ein Ausschlag gebildet.
Sie geht zu ihrer Ärztin, die eine allergische Reaktion auf die im Schmuck enthaltenen
Metalle vermutet und Tanja zu einem Allergologen überweist. Beim Allergologen wird ein
Pflastertest am Rücken angelegt, der nach drei Tagen abgelesen wird: Tanja reagiert
allergisch auf Nickel. Tanja erfährt, dass sie keinen Schmuck, der Nickel enthält, mehr
tragen darf. Auch Jeansknöpfe können Nickel enthalten. Sie muss darauf achten, dass
diese Knöpfe nicht mehr direkt mit der Haut in Berührung kommen. Für Schmuck muss
sie jetzt leider mehr Geld ausgeben: edlere Metalle machen allergologisch fast nie Probleme.
6.3.1 Was ist ein allergisches Kontaktekzem?
Ein Kontaktekzem bzw. Kontaktdermatitis ist eine Entzündung der Haut, die durch Kontakt mit einer allergieauslösenden Substanz hervorgerufen wird. Es handelt sich dabei
um eine allergische Reaktion vom Spättyp (Typ IV-Reaktion, siehe
Kapitel 16). Der
Begriff Dermatitis wird eher für akute, der Begriff Ekzem eher für chronische Entzündungen verwendet.
6.3.2 Wie äußert sich ein Kontaktekzem?
Ein allergisches Kontaktekzem äußert sich als juckende Hautrötung mit Bildung von Bläschen, Knötchen und Krusten. Bei längerem Verlauf wird die Haut auch verdickt (lichenifiziert).
6.3.3 Was sind die Ursachen eines allergischen Kontaktekzems?
Beim allergischen Kontaktekzem läuft eine allergische Reaktion vom Spättyp (Typ IV) ab.
Sie betrifft entsprechend veranlagte Personen nach Kontakt mit einer allergieauslösenden
Substanz. Sie entwickelt sich in der Regel im Verlauf von Jahren und ist daher bei Kindern unter zehn Jahren nur selten anzutreffen. Eine Sensibilisierung ist jedoch in Ausnahmefällen auch innerhalb von sieben bis zehn Tagen möglich.
Die häufigsten Allergieauslöser sind:
•
•
•
•
•
•
•
Metalle: insbesondere Nickel, das häufig in Modeschmuck, Metallknöpfen, Gürtelschnallen, Ösen u.a. enthalten ist, daneben Kobalt und Kaliumdichromat
Hilfsstoffe, die bei der Gummiherstellung verwendet werden
Kosmetika (Duftstoffe, Hilfsstoffe)
Medikamente
Pflanzen, häufig in Kombination mit Sonnenlicht
Desinfektionsmittel, z.B. Formaldehyd
Epoxid-Harze (eingesetzt z.B. in der Kunststoff- und Elektroindustrie).
Hier können nur die häufigsten Allergene aufgeführt werden. Bei Erwachsenen spielen
berufsbezogene Stoffe eine große Rolle. Bei Kindern werden zunehmend häufiger
Kontaktallergien auf Henna-Tatoos zum Problem. Der Allergieauslöser ist hierbei nicht
Henna selbst, sondern das zur Steigerung der Farbintensität und Haltbarkeit zugesetzte
Paraphenylendiamin (PPD).
6.3.4 Wie diagnostiziert man ein allergisches Kontaktekzem?
Die entscheidenden Hinweise liefert bereits die Anamnese. Es muss nach allergieauslösenden Substanzen gefahndet werden, mit denen die Haut in Berührung gekommen ist.
Ist die verdächtige Gruppe von möglichen Auslösern eingegrenzt, folgt ein Pflastertest
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(siehe Kapitel 3.5). Eine Rötung mit Bildung von Bläschen und Knötchen zeigt, dass die
Haut allergisch auf die betreffende Substanz reagiert.
6.3.5 Therapie des allergischen Kontaktekzems
Bei einer allergischen Kontaktdermatitis ist das oberste Prinzip die Allergenvermeidung, das heißt der Kontakt mit der allergieauslösenden Substanz muss unbedingt ausgeschaltet werden. Ansonsten ist keine Heilung möglich. Dies ist bei einer Nickelallergie
durch Modeschmuck noch relativ einfach zu bewerkstelligen. Schwieriger wird es bei beruflichen Allergenen. Wo kein Schutz z.B. mit Handschuhen möglich ist, muss unter Umständen sogar der Arbeitsplatz gewechselt werden.
Im Akutstadium der Kontaktdermatitis werden kühlende feuchte Umschläge z.B. mit Eichenrindezusatz mehrmals täglich für zehn bis fünfzehn Minuten verabreicht. Bei schweren Fällen müssen unter Umständen kurzzeitig Kortikoid-haltige Cremes angewendet
werden. Die weitere Behandlung erfolgt dann mit einer Pflegecreme oder -salbe.
6.3.6 Das irritativ-toxische Kontaktekzem
Vom allergischen Kontaktekzem muss das irritativ-toxische Kontaktekzem unterschieden werden. Das irritativ-toxische Kontaktekzem kommt durch eine Reizung der
Haut durch verschiedene aggressive Substanzen zustande. Es tritt bei entsprechender
Dosis und Einwirkungsdauer bei jeder Person auf. Allergische Reaktionen laufen nicht ab.
Die wichtigsten Auslöser eines irritativ-toxischen Kontaktekzems sind Wasser, Seifen,
Reinigungsmittel, Säuren, Laugen, Lösungsmittel. Eine mechanische Hautreizung kann
den Prozess der Hautschädigung verstärken. Der Windelausschlag beim Säugling ist ein
Beispiel einer irritativ-toxischen Kontaktdermatitis. Er wird durch den Kontakt mit Urin,
Stuhl und eventuellen Resten von Reinigungsmitteln hervorgerufen und kann durch eine
zusätzliche Infektion mit Pilzen kompliziert werden. Aber auch häufiges und ausgedehntes Schaumbaden kann eine irritativ-toxische Kontaktdermatitis auslösen. Ansonsten sind
vor allem Personen betroffen, die mit den genannten Substanzen regelmäßig umgehen,
beispielsweise im Haushalt, im medizinischen Bereich durch häufiges Händewaschen oder
bei Friseuren.
Diagnostisch müssen in Zweifelsfällen Kontaktallergien durch einen Pflastertest ausgeschlossen werden. Die Therapie besteht in der Einschränkung des Kontakts mit den reizenden Substanzen sowie einer sorgfältigen Hautpflege, eventuell können bei bestimmten Tätigkeiten Handschuhe getragen werden. Die Windeldermatitis wird mit einer Zinkpaste behandelt.
6.3.7 Vorbeugung von Kontaktekzemen
Die Vorbeugung allergischer Reaktionen an der Haut beginnt bereits im Säuglingsalter.
Zur Hautreinigung genügt meist Wasser ohne Seife. Zum Baden ist ein Badezusatz normalerweise nicht erforderlich. Bei Bedarf kann zur Hautreinigung eine milde Babyseife
oder ein Syndet verwendet werden. Ein guter Duft ist nicht unbedingt das beste Auswahlkriterium bei solchen Präparaten.
Auch nach dem Säuglings- und Kindesalter sollte bei Hautreinungs- und Pflegemitteln auf
allergenarme Präparate geachtet werden. Viele Duft- und Konservierungsstoffe sind potentielle Allergieauslöser. Ein sorgfältiges Abtrocknen der Hände nach dem Händewaschen verhindert feuchtigkeitsbedingte Hautreizungen. In gefährdeten Berufen (z.B. Friseur) sollte mit Hautschutz und Handschuhen gearbeitet werden.
6.3.8 Zusammenfassung
Das allergische Kontaktekzem kommt durch den Kontakt allergieauslösender Substanzen mit der Haut zustande. Es äußert sich als juckende Hautrötung mit Bildung von Bläschen, Knötchen und Krusten. Häufige Auslöser sind Metalle wie Nickel in Mode-schmuck
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oder Jeansknöpfen sowie Konservierungs- und Duftstoffe in Kosmetika. Die Diagnose
erfolgt durch den Pflastertest.
Die irritativ-toxische Kontaktdermatitis wird durch die Haut reizende aggressive
Substanzen wie Reinigungsmittel, Säuren und Laugen verursacht.
Die auslösenden Substanzen müssen streng gemieden werden.
6.4 Nesselausschlag (Urtikaria)
Der dreijährige Paul hatte seit zwei Tagen Husten und Fieber. Die Kinderärztin hatte eine
Bronchitis festgestellt. Die Mutter machte Wadenwickel und gab Paul viel zu trinken. Am
dritten Tag traten plötzlich weiße erhabene Flecken mit einem roten Saum auf. Sie sahen
so ähnlich aus, als Paul sei Paul in Brennnesseln gefallen. Die Flecken juckten stark und
wechselten rasch ihren Ort, sie wanderten innerhalb von zwei Stunden von den Armen zu
den Beinen und ins Gesicht.
Pauls Mutter war sehr beunruhigt und stellte Paul bei der Kinderärztin vor. Nach einer
gründlichen Untersuchung konnte diese die Mutter beruhigen. Es handelte sich um einen
Nesselausschlag, hervorgerufen durch den Virus, der auch die Bronchitis ausgelöst hatte.
Paul erhielt juckreizstillende Tropfen. Nach vier Tagen waren die Bronchitis und der Nesselausschlag abgeklungen.
6.4.1 Was ist ein Nesselausschlag?
Ein Nesselausschlag (auch Nesselsucht oder Urtikaria genannt) kommt meistens
plötzlich und unerwartet. Man versteht darunter flüchtige, juckende beetartige Erhebungen der Haut (= Quaddeln), die aussehen, als sei man in Brennnesseln gefallen. Die
Quaddeln und die umgebende Rötung können stecknadelkopf- bis handtellergroß sein
und den Ort rasch wechseln. Meist besteht ein ausgeprägter Juckreiz (siehe Abbildung
6-8).
Man unterscheidet einen akuten Nesselausschlag, der
plötzlich auftritt und in der Regel nach einigen Tagen
wieder verschwunden ist von einem chronischen
Nesselausschlag, der über mehr als 6 Wochen immer
wieder in Erscheinung tritt.
Abbildung 6-8: Nesselausschlag am Oberschenkel
6.4.2 Ist ein Nesselausschlag gefährlich?
Ist der Nesselausschlag nur auf die Haut beschränkt, ist er zwar lästig, aber ungefährlich.
Tritt er jedoch im Rahmen einer Allgemeinreaktion z.B. bei einer Insektengift- oder Nahrungsmittelallergie gemeinsam mit Atemnot , Zungenschwellung, Kreislaufschwäche oder
anderen bedrohlichen Symptomen auf, ist rasche ärztliche Hilfe und Abklärung der Ursache unbedingt erforderlich.
6.4.3 Was sind die Ursachen eines akuten Nesselausschlags?
Unterschiedliche Auslöser führen durch Freisetzung von Histamin und anderen Botenstoffen zu Ausschlag und Juckreiz. Diese Auslöser können durch direkten Kontakt mit der
Haut oder aber von innen heraus wirksam werden. Es kommt auch vor, dass mehrere
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Faktoren zusammenwirken müssen, damit sich eine Urtikaria zeigt: z.B. Virusinfekt +
Antibiotikum, körperliche Anstrengung + Nahrungsmittel.
Die wichtigsten Ursachen für einen Nesselausschlag bei Kindern und Jugendlichen sind:
• Infektausgelöster Nesselausschlag
Diese Form ist bei Kindern die mit Abstand häufigste Form. Sie tritt akut im Rahmen von
ganz unterschiedlichen Infektionen wie grippalen Infekten, Mittelohr- oder Rachenentzündungen auf und verschwindet mit Ausheilen des Infekts rasch wieder. Oft werden zu
Unrecht Medikamente, die wegen des zugrundeliegenden Infektes gegeben werden, als
Auslöser angeschuldigt. Ein Medikament (z.B. ein Antibiotikum) und ein Infektionserreger
können jedoch ursächlich zusammenwirken, das Medikament wirkt dann als sogenannter
Kofaktor. Wenn möglich, wird man in einem solchen Fall alle nicht unbedingt erforderlichen Medikamente absetzen.
• Allergischer Nesselausschlag
Eine Vielzahl von Allergieauslösern kann einen Nesselausschlags verursachen. In Frage
kommen vor allem Nahrungsmittelallergien vom Soforttyp wie eine Kuhmilch- oder Hühnereiweißallergie, Insektengift-, Arzneimittel-, Inhalations-, und Tierallergene.
• Pseudoallergischer (allergieähnlicher) Nesselausschlag
Pseudoallergische Reaktionen gibt es vor allem auf Medikamente (z.B. Fieber- und
Schmerzmittel), Konservierungs- und Farbstoffe. Pseudoallergisch bedeutet, dass die
Symptome zwar einer Allergie ähneln, jedoch keine Abwehrreaktion des Immunsystems
vorliegt.
• Toxischer Nesselausschlag
z.B. durch Hautkontakt mit Brennnesseln oder Quallen. Fast jeder hat einen Nesselausschlag schon bei sich nach einem Hautkontakt mit Brennnesseln erlebt. Bei Reaktionen
auf Wiesengräser spielt oft noch die Sonneneinstrahlung eine Rolle (phototoxische Reaktion). Schwellungen nach Insektenstichen, die nicht allergisch bedingt sind, sind überwiegend auf eine direkte Histaminausschüttung durch das Insektengift zurückzuführen.
• Nesselausschlag durch physikalische Einflüsse
Kratzen, Druck, Wärme, Kälte, Licht u.a. können eine meist chronisch verlaufende Nesselsucht auslösen. Beispiele sind die Urtikaria faktitia (ausgelöst durch Kratzen oder
Druck) und die Kälteurtikaria, wenn die Haut durch kaltes Wasser oder nach dem Baden
im Freien durch den Wind abgekühlt wird.
• Würmer und andere Parasiten
können einen hartnäckigen Nesselausschlag verursachen.
6.4.4 Diagnostische Maßnahmen bei Nesselsucht
Tritt ein Nesselausschlag einmalig im Rahmen eines Infektes ohne sonstige Begleitsymptome auf und verschwindet nach einigen Tagen wieder, braucht das Kind nicht mit
weiteren Untersuchungen belastet zu werden. Ist ein Nesselausschlag jedoch von Symptomen wie Atemnot, Zungenschwellung oder Kreislaufschwäche begleitet oder treten
häufige Schübe auf, ist eine eingehende Ursachenabklärung einschließlich Allergietestung
erforderlich.
6.4.5 Was kann bei einem Nesselausschlag getan werden?
•
Bei einem örtlich begrenzten Nesselausschlag genügt unter Umständen zur Linderung das Auflegen eines kühlen, feuchten Tuches.
•
Bei ausgedehnter Nesselsucht werden innerlich einzunehmende Antihistaminika
(z.B. Aerius®, Fenistil®, Lisino® und Generica, Tavegil®, Zyrtec® und Generica, Xusal®) verabreicht.
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•
Bei bekannten Insektengift- oder schweren Nahrungsmittelallergien wird die vom
Arzt verordnete Notfallapotheke angewendet.
•
Bei Allgemeinsymptomen (s.o.) muss unverzüglich ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden.
Bekannte Auslöser müssen natürlich möglichst streng gemieden werden.
•
•
Die Therapie der chronischen Nesselsucht ist oft schwierig und hängt von der
zugrundeliegenden Störung ab.
6.4.6 Zusammenfassung
Ein akuter Nesselausschlag (akute Urtikaria) ist bei Kindern meist durch einen Infekt
ausgelöst. Es zeigen sich flüchtige, juckende beetartige Erhebungen der Haut (= Quaddeln), die aussehen, als sei man in Brennnesseln gefallen. Ist der Nesselausschlag nur
auf die Haut beschränkt, ist er zwar lästig, aber ungefährlich. Tritt er jedoch im Rahmen
einer Allgemeinreaktion z.B. bei einer Insektengift- oder Nahrungsmittelallergie gemeinsam mit Atemnot , Zungenschwellung, Kreislaufschwäche oder anderen bedrohlichen
Symptomen auf, ist rasche ärztliche Hilfe und Abklärung der Ursache unbedingt erforderlich.
6.5 Sonnenallergie
Die dreizehnjährige Jessika steht auf braune Haut. Bei den ersten kräftigen Sonnenstrahlen nimmt sie ausgedehnte Sonnenbäder. Sie weiß natürlich, dass zu viel ultraviolette Strahlung ungesund ist und reibt sich kräftig mit ihrem wohlduftenden Sonnenschutzmittel ein. Am Samstag geht noch alles gut. Am Sonntagabend aber sind ausgedehnte Bezirke der Haut rot, es zeigen sich kleine Knötchen und es juckt furchtbar.
Jessica hält das Ganze zunächst für einen Sonnenbrand.
Als sie trotz vorsichtiger Besonnung und Sonnenschutzmittel am nächsten Wochenende
wieder den selben Hautausschlag bekommt, kommt ihr die Sache doch spanisch vor und
sie geht zu ihrer Kinder- und Jugendärztin. Diese begutachtet Jessicas Haut und lässt
sich als erstes das verwendete Sonnenschutzmittel zeigen. Das Verzeichnis der Inhaltsstoffe erhärtet ihre erste Vermutung: sie entdeckt einen verdächtigen Emulgator darauf.
Sie empfiehlt Jessica ein Präparat mit weniger allergieauslösenden Substanzen und bespricht mit ihr die schädlichen Auswirkungen von zu viel Sonnenlicht. Falls auch mit dem
neuen Präparat Hautreaktionen auftreten sollten, müsse ein ausführlicher Allergietest
gemacht werden. Dieser war jedoch nicht nötig, das neue Sonnenschutz-mittel ohne diesen Emulgator machte keine Probleme.
6.5.1 Sonnenallergie
Die sogenannte Sonnenallergie ist zum einen durch eine direkte Einwirkung des Sonnenlichts verursacht, möglicherweise spielen zusätzlich auch noch allergische Reaktionen
eine Rolle. Die Sonnenallergie wird im medizinischen Sprachgebrauch als polymorphe
Lichtdermatose bezeichnet. Die Bezeichnung polymorph (vielgestaltig) weist schon darauf hin, dass das Erscheinungsbild sehr bunt sein kann. Durch die verstärkte Sonnenbestrahlung während der Freizeit tritt die Sonnenallergie auch bei Kindern zunehmend häufiger auf. Im Frühjahr und Sommer zeigen sich an den der Sonnenbestrahlung ausgesetzten Hautbezirken eine Rötung, Schwellung sowie kleine juckende Knötchen, selten
auch Blasen.
6.5.2 Photoallergische Reaktionen
Bei den photoallergischen Reaktionen kommt es durch das Zusammenwirken von Allergieauslösern mit Sonnenlicht zu einem Hautausschlag mit Hautrötung, Bildung von Bläschen oder Blasen. Am bekanntesten ist die Wiesengräserdermatitis, bei der es nach
Kontakt mit Wiesengräsern und anschließender Sonnenbestrahlung zum Hautausschlag
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6. Erkrankungen der Haut
kommt. Furocumarine sind hier das Allergen. Furocumarine sind auch in ätherischen Ölen
und als Duftstoffe in Kosmetika enthalten, sodass an den lichtzugängigen Stellen, an
denen beispielsweise das Parfüm aufgetragen wurde, eine Hautreaktion entsteht. Auch
Sonnenschutzmittel können photosensibiliserende Substanzen wie Paraaminobenzoesäure oder Benzophenone enthalten, sodass bei einer Sonnenallergie auch an diese Auslöser gedacht werden muss.
Zahlreiche Medikamente können auch bei innerlicher Anwendung als Photoallergen wirken, beispielsweise Antibiotika wie Sulfonamide, Tetrazykline, harntreibende Mittel oder
Arzneimittel gegen Herzrhythmusstörungen. Viele dieser Medikamente werden jedoch bei
Kindern nicht oder nur selten angewendet.
6.5.3 Diagnose
Bei unklaren Hautausschlägen an lichtexponierten Hautpartien ist auch immer an eine
photoallergische Reaktion zu denken. Verabreichte Medikamente, Hautkontakte mit
Pflanzen sowie Kosmetika oder Sonnenschutzpräparaten müssen bekannt sein. In
schwierigen Fällen ist die Testung in einer speziellen Einrichtung zur Diagnostik photoallergischer Reaktionen (meist in einer Hautklinik) erforderlich, wo die Haut mit UV-Licht
verschiedener Intensität und Wellenlänge bestrahlt werden kann (sogenannte Lichttreppe).
6.5.4 Therapie
Bei dem Verdacht oder Nachweis von photoallergischen Reaktionen dürfen mögliche
Auslöser nicht mehr mit der Haut in Kontakt gebracht werden. Verdächtige Medikamente
müssen abgesetzt oder durch ähnlich wirkende Präparate aus einer anderen Substanzgruppe ersetzt werden. Auch hier helfen ebenso wie bei der Sonnenallergie im Akutstadium kühlende Umschläge oder Cremes. Bei einer ausgeprägten Sonnenallergie kann
für einige Tage eine Kortison-haltige Creme erforderlich werden. Bei ausgedehntem Befall
und starkem Juckreiz werden auch innerlich Antihistaminika (z.B. Aerius®, Fenistil®, Lisino® und Generica, Telfast®, Zyrtec® und Generica, Xusal®) eingesetzt.
6.5.5 Vorbeugung
Da es sich bei den meisten durch Sonnenlicht bedingten Hautveränderungen um vermeidbare Erkrankungen handelt, ist hier die Vorbeugung besonders wichtig und erfolgversprechend. Die Gewöhnung an das Sonnenlicht muss unbedingt langsam erfolgen
unter Verwendung eines Sonnenschutzmittels, welches sowohl UVA- als auch UVBStrahlen zurückhält. Eine lichtentwöhnte Haut sollte man ohne Sonnenschutz anfangs
maximal zehn Minuten pro Tag der Sonne aussetzen. Bei der Auswahl von Kosmetika und
Sonnenschutzmittel sollte man Präparate verwenden, die möglichst wenig allergieauslösende Emulgatoren, Stabilisatoren, Konservierungsstoffe und Parfüme enthalten.
6.5.6 Zusammenfassung
Bei der Sonnenallergie (polymorphe Lichtdermatose) entstehen nach Sonnenbestrahlung kleine juckende Knötchen an der Haut. Die Ursache ist eine direkt schädigende Wirkung des Sonnenlichts, eventuell sind auch allergische Mechanismen mitbeteiligt. Durch
das Zusammenwirken von Sonnenlicht und allergieauslösenden Substanzen (z.B. Wiesengräser, Konservierungs- und Duftstoffe) kommt es zu photoallergischen Reaktionen. Eine wichtige vorbeugende Maßnahme bereits in jungen Jahren ist, die Haut langsam an die Sonnenstrahlen zu gewöhnen und keine zu langen Sonnenbäder zu nehmen.
Dies wird mit Dünnerwerden der Ozonschicht immer wichtiger.
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6. Erkrankungen der Haut
6.6 Berufswahl bei Allergien der Haut und Ekzem
Bei Jugendlichen mit Allergien der Haut und Ekzem spielt bei der Berufswahl die Belastung durch Allergieauslöser und andere Belastungsfaktoren am zukünftigen Arbeitsplatz
eine besondere Rolle. Eine gründliche Vorbereitung und Planung der Berufswahl ist erforderlich.
6.6.1 Wer ist gefährdet?
Die überwiegende Mehrzahl der beruflich bedingten Hauterkrankungen sind Handekzeme.
Besonders gefährdet sind Personen, bei denen
1) ein Ekzem der Hände aufgrund einer Neurodermitis, einer Kontaktallergie oder
anderer chronischer Reizeinflüsse besteht oder
2) Allergieauslöser bekannt sind, die bei der geplanten Tätigkeit nicht zu vermeiden
sind.
6.6.2 Wo kann ich mich informieren?
Die erste medizinische Anlaufstelle ist der behandelnde Kinder- und Jugendarzt bzw. Allergologe. Er kann aufgrund der vorliegenden Befunde darüber informieren, welche Risiken und Belastungsfaktoren vermieden werden sollten, welche Berufsbilder am geeignetsten sind und welche vorbeugenden Maßnahmen getroffen werden können. Der Berufsberater beim Arbeitsamt kann dann auf diesen Informationen aufbauend über mögliche Berufswege beraten, vorhandene Ausbildungsstellen vermitteln oder vor der Berufsausbildung eine Berufsfindung, eine Arbeitserprobung oder einen Förderlehrgang vorschlagen.
6.6.3 Welche Belastungsfaktoren muss ich meiden?
Die Ekzemhaut ist weniger belastbar und reguliert schlecht die Wärme. Jugendliche mit
Hautallergien oder Ekzem (insbesondere im Bereich der Hände) oder mit besonderen
Risikofaktoren für diese Erkrankungen sollten daher Berufe mit folgenden Belastungsfaktoren meiden:
•
•
•
•
•
•
starke Hautverschmutzung (häufige und intensive Händereinigung erforderlich),
Feuchtigkeitsbelastung (regelmäßig mehr als 2 Stunden feuchter Hautkontakt
bzw. Tragen feuchtigkeitsdichter Handschuhe),
Kontakt mit bekannten oder aggressiven Allergieauslösern,
Kontakt mit hautreizenden Stoffen,
Hitzebelastung.
Aus ästhetischen Gründen wird zudem der ständige Kontakt mit unverpackten Lebensmitteln nicht empfohlen.
Liegen zusätzlich Inhalationsallergien (z.B. auf Tierhaare oder Schimmelpilze) oder Nahrungsmittelallergien vor, erschwert dies die Berufswahl zusätzlich (siehe auch
Kapitel
5.4.24 "Berufswahl bei Allergien der Atemwege und Asthma"). Zudem besteht die Neigung zur Allergieausweitung, das heißt, dass sich bei bereits bestehenden Allergien bei
entsprechendem Kontakt weitere Allergien entwickeln können. Allerdings können sich
auch bei bisher Gesunden im Laufe des Berufslebens noch Allergien entwickeln.
6.6.4 Welche Berufe sind zu empfehlen bzw. zu meiden?
Die Berufswahl bei Jugendlichen mit Allergien der Haut und Ekzem ist immer eine individuelle Entscheidung, die nach entsprechender eingehender Beratung mit dem Arzt und
dem Berufsberater getroffen werden sollte. Unter Umständen müssen je nach Ursachen
und Schweregrad der Erkrankung nicht immer alle oben genannten Einschränkungen
eingehalten werden. Oft kann auch durch entsprechende Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz der Kontakt mit Allergie- oder Reizstoffen deutlich reduziert werden, die Berufsge© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002-11/2005
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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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6. Erkrankungen der Haut
nossenschaften haben dazu entsprechende Empfehlungen und Vorschriften herausgegeben. Latexallergiker müssen Schutzhandschuhe aus Latex generell meiden.
Die folgenden Tabellen 6-3, 6-4 und 6-5 zeigen Beispiele von besonders hautbelastenden, hautbelastenden und wenig hautbelastenden Berufen und sollen als Entscheidungshilfe dienen.
Vor allem die besonders hautbelastenden Berufe in Tabelle 6-3 sind für Jugendliche mit
Handekzem sehr problematisch. Je nach Tätigkeitsgebiet können jedoch bestimmte Berufsfelder durchaus hautverträglich sein, z.B. bei Berufen in der Holzverarbeitung,
Schlossern, Mechanikern und Montierern. Daher ist immer die Überprüfung des Einzelfalles erforderlich.
Tabelle 6-3: Beispiele für besonders hautbelastende Berufe (Quelle: Prof. Diepgen)
Die Hautbelastung nimmt von oben nach unten ab
•
•
•
•
•
•
•
•
•
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•
•
•
•
•
•
Friseur
Bäcker
Galvaniker
Florist
Konditor
Fliesen-, Estrichleger
Löter
Maschinist
Metalloberflächenbearbeiter
Zahntechniker
Koch
Berufe im Gesundheitswesen (z.B. Kranken- und Altenpfleger)
Mechaniker
Leder-, Fellverarbeiter
Metallerzeuger
Maler, Lackierer
Montierer
Tabelle 6-4: Beispiele für hautbelastende Berufe (Quelle: Prof. Diepgen)
Die Hautbelastung nimmt von oben nach unten ab
Bauarbeiter
Ernährungsberufe mit Feuchtbelastung (z.B. Fleischer, Gemüsezubereiter)
chemische Berufe (z.B. Laborant)
Berufe in Hauswirtschaft, Reinigungsdiensten, Gaststättengewerbe
Kunststoffverarbeiter
Drucker
holzverarbeitende Berufe
Schlosser
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6. Erkrankungen der Haut
Tabelle 6-5: Beispiele für wenig hautbelastende Berufe
Büro- und Verwaltungsberufe
kaufmännische Berufe
technische und künstlerische Planungsberufe
pädagogische und soziale Berufe
therapeutische Berufe (z.B. Logopäde, Musiktherapeut)
Informatikberufe
journalistische Berufe
industrielle Produktionsberufe an belastungsfreien Arbeitsplätzen
6.6.5 Zusammenfassung
Die Berufswahl muss bei Allergien der Haut und Ekzem sorgfältig geplant werden. Stark
die Haut belastende Berufe sowie Berufe mit engem Kontakt zu potenten Allergieauslösern sind ungünstig.
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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
7 Nahrungsmittel-Allergien und andere
Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
7.1 Was ist eine Nahrungsmittelallergie?
7.2 Wie kann sich eine Nahrungsmittelallergie äußern?
7.3 Welches sind die häufigsten Auslöser von Nahrungsmittelallergien?
7.4 Wodurch wird die Auslösung einer Nahrungsmittelallergie beeinflusst?
7.5 Diagnose von Nahrungsmittelallergien
7.6 Die Behandlung von Nahrungsmittelallergien
7.7 Zusammenfassung
7.8 Kuhmilchallergie
7.9 Hühnereiweißallergie
7.10 Weitere häufige Nahrungsmittelallergien
7.11 Pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittel und Zusatzstoffe
7.12 Lebensmittelkennzeichnung
In diesem Kapitel erfahren Sie, wie Nahrungsmittelallergien und andere Formen der
Nahrungsmittelunverträglichkeit diagnostiziert und behandelt werden.
Frau Schanz hatte Tim vier Monate voll gestillt. Anschließend wollte sie langsam abstillen.
Sie gab Tim die erste Flasche einer üblichen Säuglingsnahrung. Innerhalb weniger Minuten schwollen die Lippen und das Gesicht an, am Körper breitete sich ein Nesselausschlag aus, Tim bekam eine röchelnde Atmung. Zum Glück war eine Freundin von Frau
Schanz gerade zu Besuch da. Diese rief den Notarztwagen, welcher innerhalb kurzer Zeit
zur Stelle war. Der Notarzt legte eine Infusion und spritzte antiallergische und kreislaufstabilisierende Medikamente. Tim wurde dann mit Blaulicht in die Kinderklinik gefahren
und auf die Intensivstation gebracht. Tim ging es dort zum Glück rasch wieder besser.
Die Ärzte vermuteten eine Kuhmilchallergie, die sich in späteren Bluttests erhärtete.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 - 11/2005
Seite 7-1
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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
7.1 Was ist eine Nahrungsmittel-Allergie?
Die Häufigkeit von Nahrungsmittelallergien dürfte bei Kindern zwischen 2 und 6% liegen.
Bei Kindern mit Neurodermitis liegt diese Häufigkeit jedoch deutlich höher: in dieser
Gruppe zeigen etwa 1/3 der Kinder eine Nahrungsmittelallergie. Jedoch sind viele
Symptome, die landläufig einer Nahrungsmittelallergie zugeschrieben werden, nicht
allergisch bedingt (siehe unten). Dennoch ist die Therapie die selbe, nämlich das
Weglassen des entsprechenden Nahrungsmittels. Der Überbegriff für alle unerwünschten
Reaktionen auf Nahrungsmittel ist die Nahrungsmittelunverträglichkeit.
7.1.1 Nahrungsmittel-Allergie
Die Nahrungsmittelallergie ist eine Unverträglichkeitsreaktion auf ein Nahrungsmittel,
welche durch eine überschießende Abwehrreaktion des Immunsystems ausgelöst wird.
Bereits kleine Allergenmengen können heftige Reaktionen auslösen. Ein Beispiel ist die
Kuhmilchallergie vom Soforttyp.
Eine Sonderform stellt die Zöliakie, eine chronische immunologisch ausgelöste Entzündung der Darmschleimhaut, dar. Ursache der Zöliakie ist eine Unverträglichkeit von
Klebereiweiß (Gluten), das in Weizen-, Dinkel-, Grünkern-, Roggen-, Gersten- und
Hafermehl enthalten ist.
7.1.2 Nahrungsmittel-Intoleranz
Unter einer Nahrungsmittelintoleranz versteht man die übrigen Nahrungsmittelunverträglichkeiten, bei denen keine immunologischen Vorgänge ablaufen.
Pseudoallergische Reaktionen
Pseudoallergische Reaktionen werden durch Nahrungsmittel hervorgerufen, die entweder selbst einen erhöhten Gehalt an Histamin oder anderen gefäßaktiven Substanzen
(z.B. Fische, Wein, Käse) aufweisen oder die durch nicht allergische Mechanismen Histamin ausschütten können (z.B. Erdbeeren).
Angeborene Enzymdefekte
Durch einen angeborenen Stoffwechseldefekt kann eine Substanz nicht normal verdaut
werden. Beispiele sind die Milchzuckerunverträglichkeit (Laktoseintoleranz), bei welcher
durch die verminderte oder fehlende Aktivität eines Verdauungsenzyms (Laktase) in der
Darmschleimhaut Milchzucker im Darm nicht ausreichend weiterverarbeitet werden kann
und die Fruchtzuckerunverträglichkeit (Fruktoseintoleranz).
Nahrungsmittelvergiftung
Nahrungsmittelvergiftungen kommen durch natürlicherweise in Nahrungsmitteln vorkommende Gifte (z.B. in Pilzen) oder Bakteriengifte (z.B. Staphylokokken) in verdorbenen Nahrungsmitteln zustande.
Aversion
Eine Sonderform stellen nicht organisch bedingte Abneigungen gegen Nahrungsmittel
dar, welche oft psychische Ursachen haben.
7.2 Wie kann sich eine Nahrungsmittel-Allergie äußern?
Die möglichen Symptome von Nahrungsmittelallergien sind mannigfaltig und können sich
an der Haut, dem Magendarmtrakt, dem Atmungstrakt und anderen Organen äußern.
Auch der Schweregrad der Symptome ist äußerst variabel: von leichten örtlichen Symptomen wie Kratzen im Hals bis zum allergischen Schock ist alles möglich.
Man unterscheidet Frühreaktionen, die innerhalb von 2 Stunden auftreten, von Spätreaktionen, welche sich nach dieser Zeitspanne zeigen. Insbesondere bei einer Neurodermitis können beide Formen kombiniert auftreten.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 - 11/2005
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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
7.2.1 Symptome am Magendarmtrakt
Am Magendarmtrakt können Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Blähungen,
jedoch auch Gewichtsabnahme oder Verstopfung auftreten. Als orales Allergiesyndrom
werden juckende und brennende Beschwerden im Mundbereich bezeichnet, welche meist
als Kreuzreaktion bei Pollenallergien auftreten.
7.2.2 Hautsymptome
Die meisten Nahrungsmittelallergien vom Soforttyp äußern sich an der Haut durch rote
Flecken, Nesselsucht, Gesichtsschwellung und Juckreiz. Zusätzlich kann bei einer Neurodermitis auch ein Ekzemschub durch eine verzögerte Reaktion ausgelöst werden.
7.2.3 Symptome an den Atemwegen
Eine Schwellung im Kehlkopfbereich oder eine Verengung der Bronchien kann zu akuter
Atemnot führen. Daneben können sich Husten, eine Rötung der Bindehaut und ein
Schnupfen zeigen.
7.2.4 Sonstige Symptome
Bei vielen anderen Symptomen wird die Zuordnung zu einer Nahrungsmittelallergie
schwieriger. Migränekopfschmerzen, allgemeine Müdigkeit und Abgeschlagenheit sind
möglich. Unruhe, Reizbarkeit und Hyperaktivität werden Nahrungsmittelallergien zugeschrieben (siehe auch Kapitel 11). Die schwerste und gefürchtetste Reaktion ist der
anaphylaktische Schock mit Kreislaufzusammenbruch.
7.3 Welches sind die häufigsten Auslöser von
Nahrungsmittel-Allergien?
Die häufigsten Auslöser von Nahrungsmittelallergien vom Soforttyp bei Kindern sind
Kuhmilch, Hühnerei, Soja, Nüsse, Fisch und Weizenmehl. Bei Säuglingen und Kleinkindern spielen Kuhmilch und Hühnerei die größte Rolle, bei Jugendlichen und Erwachsenen sind pflanzliche Allergene wie Obst und Gewürze als Kreuzallergien zu Pollen bedeutsamer. Die meisten Kinder reagieren glücklicherweise nur auf ein oder zwei Nahrungsmittel allergisch.
7.4 Wodurch wird die Auslösung einer NahrungsmittelAllergie beeinflusst?
Die Nahrung stellt die größte Allergenmenge dar, mit der sich der Körper auseinandersetzen muss. Man schätzt, dass ein Mensch im Laufe seines Lebens etwa 100 Tonnen an
Nahrung zu sich nimmt!
7.4.1 Anlagebedingte Reaktionsbereitschaft
Eine anlagebedingte Allergiebereitschaft ist wie bei jeder allergischen Erkrankung die
Voraussetzung für die Entstehung einer Allergie.
7.4.2 Ausbildung einer unzureichenden Immuntoleranz
Jeder Mensch kommt im Laufe seines Lebens mit einer Vielzahl von Nahrungsmittelbestandteilen in Kontakt. Das Immunsystem bildet vorübergehend spezifische IgE-Antikörper, welche dann im weiteren Verlauf wieder abfallen oder ganz verschwinden. Dies
hat zur Folge, dass das Nahrungsmittel vom Körper toleriert wird, eine sogenannte
Immuntoleranz entsteht. Durch welche Faktoren dieses Gleichgewicht gestört wird ist
Gegenstand intensiver Forschungsarbeiten.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 - 11/2005
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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
7.4.3 Eigenschaften der Nahrungsmittel
Bei den meisten allergieauslösenden Nahrungsbestandteilen handelt es sich um Eiweißstoffe mit einem Molekulargewicht von 18000 bis 36000 Dalton. Meist haben Nahrungsmittel in ihrer naturbelassenen Form die höchste Fähigkeit zur Allergieauslösung. Rohe
Eier beispielsweise haben die höchste Allergenität, durch Kochen werden bereits einige
Eiweißbestandteile so verändert, dass sie nicht mehr so stark sensibilisierend wirken. Das
selbe gilt für das Dünsten und Kochen vieler anderer Nahrungsmittel. Dies bedeutet, dass
eine sogenannte "Vollwertkost" mit überwiegend naturbelassenen Nahrungsmitteln, so
wertvoll sie zweifellos im Allgemeinen ist, vom allergologischen Gesichtspunkt gesehen
für allergiegefährdete Kinder nicht immer die günstigste Kostform darstellt.
Ein anderes Problem weisen industriell hergestellte Nahrungsmittel auf, deren Inhaltsstoffe oft unzureichend oder überhaupt nicht deklariert sind. Auch gentechnisch veränderte Nahrungsmittel können potentiell zu einem erhöhten Allergierisiko führen, vor
allem wenn Gene von einer Pflanzenart auf eine andere übertragen werden. Auf jeden Fall
ist hier eine strenge und vollständige Deklaration zu fordern.
7.4.4 Durchlässigkeit des Magendarmtrakts
Je durchlässiger die Schleimhaut des Magendarmtrakts für Eiweißstoffe ist, umso eher
kommt es zu einer Sensibilisierung. Die Unreife des Darmes bei Frühgeborenen und
jungen Säuglingen oder Magendarminfektionen erhöhen die Durchlässigkeit, ebenso
Alkohol und Gewürze.
7.4.5 Sonstige Faktoren
Der Zeitpunkt der Zufuhr von Fremdeiweißen (z.B. Kuhmilch, Sojamilch) beeinflusst
bei allergiegefährdeten Kindern die Auslösung von Nahrungsmittelallergien. Je später ein
Fremdeiweiß zugeführt wird, um so geringer ist das Risiko einer Allergieentstehung. Unterschiedliche Essgewohnheiten in verschiedenen Ländern beeinflussen das Vorherrschen bestimmter Nahrungsmittelallergien. So werden beispielsweise Erdnussallergien in
den USA häufig, in Schweden praktisch kaum gefunden. Häufig treten Nahrungsmittelunverträglichkeiten nach Infektionen der oberen Luftwege und des Magendarmtrakts
auf. Welche Einflüsse auf das Immunsystems neben einer erhöhten Durchlässigkeit des
Darmes hier ablaufen, ist unklar.
7.5 Diagnose von Nahrungsmittelallergien
Die Diagnostik bei Nahrungsmittelallergien besteht aus verschiedenen Mosaiksteinen.
Einen einzelnen einfachen beweisenden Test gibt es nicht (siehe auch Kapitel 3).
7.5.1 Krankengeschichte
Der erste und wichtigste Punkt ist die Anamnese. Sie versucht, erste Verbindungen zwischen Nahrungsmittelzufuhr und Symptomen herzustellen. Wichtig ist die Art und Menge
der Nahrungsmittel, die genaue Beschreibung der Symptome und der Zeitpunkt des Auftretens der Symptome nach dem Essen. Oft sind die Zusammenhänge eindeutig, wenn
z.B. immer nach Genuss von Milch eine Lippenschwellung eintritt. In vielen Fällen sind
jedoch die Zusammenhänge nicht so klar, vor allem bei Reaktionen vom verzögerten Typ
an der Haut bei der Neurodermitis.
7.5.2 Nahrungsmittel-Symptom-Tagebuch
Sind aus der Erinnerung keine eindeutigen Zusammenhänge zwischen Nahrungsmittelzufuhr und Beschwerden herzustellen, führt oft ein Nahrungsmittel-Symptom-Tagebuch weiter. Hierin werden alle verzehrten Nahrungsmittel, beobachtete Symptome und
weitere Besonderheiten wie Infekte oder Medikamente festgehalten. Das Tagebuch muss
über 2 bis 4 Wochen geführt werden, um zufällige Einflüsse möglichst auszuschalten.
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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
7.5.3 Bluttests
Im RAST (Radio-Allergo-Sorbent-Test) können Allergieantikörper vom IgE-Typ gegen
verschiedene Nahrungsmittel nachgewiesen werden.
Wichtig!: Eine positive Reaktion beim Allergietest beweist nicht automatisch das Vorliegen einer allergischen Erkrankung. Sie zeigt lediglich, dass das Immunsystem Kontakt
mit der entsprechenden Substanz gehabt und Antikörper gebildet hat (= Sensibilisierung). Der Allergietest kann jedoch nichts darüber aussagen, ob diese Sensibilisierung
auch wirklich Krankheitserscheinungen hervorruft (= Allergie). Diese Einschränkung gilt
vor allem bei Nahrungsmitteln. Im Zweifelsfall muss ein Provokationstest durchgeführt
werden.
Das Ergebnis eines Allergietests kann daher niemals für sich allein und isoliert bewertet
werden, sondern muss immer im Zusammenhang mit der Vorgeschichte und den Krankheitserscheinungen betrachtet und beurteilt werden! Dies setzt vor allem bei Kindern
besondere Erfahrung voraus. Leider kommt es immer wieder vor, dass der Allergietest
und nicht das allergiekranke Kind behandelt wird.
IgG-Antikörper gegen Nahrungsmittel im Blut sind für die Diagnose einer Nahrungsmittelallergie nicht geeignet. Sie stellen eine normale Antwort des Immunsystems auf Nahrungsmittel dar.
7.5.4 Hauttests
Beim Pricktest werden die zu testenden Nahrungsmittel in flüssiger Form auf die Haut
aufgetropft. Danach wird jeweils mit einer Einmallanzette oder einer speziellen Nadel
durch die Allergenlösung hindurch oberflächlich in die Haut gestochen. Bei festen
Nahrungsmitteln kann auch mit der Prick-Nadel zuerst ins Nahrungsmittel (z.B. Apfel)
und anschließend in die Haut gestochen werden. Auch hier müssen positive Befunde im
Zweifelsfall durch einen Auslass- und Belastungstest überprüft werden. Hingegen schließt
ein negativer Pricktest eine IgE-vermittelte Soforttypallergie bei den meisten
Nahrungsmitteln zu 95% bis 100% aus.
Wird eine starke Reaktion erwartet, kann auch ein Reibtest auf der Haut mit dem angeschuldigten Nahrungsmittel durchgeführt werden.
Der Patch-Test wird bei Kindern hauptsächlich als sogenannter Atopie-Patch-Test zur
Überprüfung allergischer Auslösefaktoren bei Neurodermitis verwendet. Er erfasst die
allergischen Spätreaktionen, die erst innerhalb von Stunden bis Tagen nach Allergenkontakt auftreten, besser als der Pricktest oder RAST. Die Nahrungsmittel werden mit
Hilfe eines hautfreundlichen Pflasters mit der Haut, meist am Rücken, in Kontakt gebracht. Sie verbleiben 24 bis 48 Stunden auf der Haut. Eine positive Reaktion äußert sich
als Anhebung der Haut, Bildung kleiner Bläschen oder Knötchen.
7.5.5 Provokationstests
Nahrungsmittelallergien lassen sich in vielen Fällen durch Hauttests oder Laboruntersuchungen nicht ausreichend abklären, da viele Personen positive Allergietests haben,
ohne dass dies mit Krankheitszeichen verknüpft ist. Zum Beweis einer Nahrungsmittelallergie werden daher in der Regel zunächst ein oder mehrere angeschuldigte Nahrungsmittel aus der Ernährung ausgeschlossen (Auslass- oder Eliminationsphase). Verschwinden oder bessern sich daraufhin die Beschwerden, spricht dies bereits für einen
ursächlichen Zusammenhang. Den sicheren Beweis erbringt jedoch nur die erneute Gabe
des verdächtigten Nahrungsmittels, was dann zum erneuten
Auftreten der Beschwerden führen muss (Provokationsphase). Die aussagekräftigste
Methode der Provokation mit Nahrungsmitteln ist die sogenannte doppelblind placebokontrollierte Provokation bei der weder Arzt noch Patient wissen, was verabreicht
wird. Die Allergene werden dabei in Medikamentenkapseln oder einer Flüssigkeit versteckt verabreicht.
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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
Bei Personen, bei denen schwere Schockreaktionen aufgetreten sind, werden Provokationen nicht oder nur in Ausnahmefällen unter strenger Überwachung vorgenommen.
7.5.6 Methoden, die zu Forschungszwecken eingesetzt werden
Das Einbringen von Nahrungsmittelallergenen auf die Magen- oder Darmschleimhaut
während einer Magendarm-Spiegelung und das direkte Beobachten der Reaktion an
der Schleimhaut spielt in der Routinediagnostik keine Rolle und ist für Kinder zu belastend.
Ebenfalls keine Routinemethoden sind der Histaminfreisetzungstest, bei dem im Labor
weißen basophilen Blutkörperchen Nahrungsmittelallergene zugesetzt werden, und anschließend beobachtet wird, ob diese Zellen Histamin freisetzen,
sowie der Lymphozytentransformationstest, bei dem Veränderungen an der Aktivität
von Lymphozyten nach Zugabe von Nahrungsmittelallergenen beobachtet werden.
Ungeeignete Diagnosemethoden sind u.a. die Kinesiologie, Bioresonanz, Elektroakupunktur oder der leukozytotoxische Test (siehe auch Kapitel 17).
7.6 Die Behandlung einer Nahrungsmittelallergie
7.6.1 Allergieauslöser meiden
Wie bei jeder Allergieform ist auch bei Nahrungsmittelallergien die wichtigste Therapie,
das allergieauslösende Nahrungsmittel streng zu meiden. Vor allem wenn schwere
Allgemeinreaktionen mit Schockzuständen aufgetreten sind, reichen oft kleinste
Nahrungsmittelmengen aus, um erneute Symptome auszulösen. Müssen wichtige Grundnahrungsmittel wie Milch weggelassen werden, muss bei Kindern immer eine Beratung
durch den Arzt am besten in Zusammenarbeit mit einer Diätassistentin erfolgen, damit
keine Mangelernährung entsteht. Bei Fertigprodukten unbedingt auf die Zutatenliste
achten.
Nach Absprache mit dem Arzt kann auch ausprobiert werden, ob das Nahrungsmittel
nach Abschwächen der allergenen Potenz doch vertragen wird. Bei Eiern beispielsweise
kann dies durch Erhitzen geschehen, Ei in gebackener oder gekochter Form wird unter
Umständen vertragen. Dies gilt auch für Obst, Gemüse und Getreide. Auch durch Schälen
und Entkernen kann ein Teil der Allergene entfernt werden.
7.6.2 Medikamentöse Behandlung
Eine vorbeugende stabilisierende medikamentöse Behandlung am Darm mit Dinatriumcromoglicinsäure (DNCG) ist meist nicht sehr wirksam. Bei leichten Symptomen können
Antihistaminika (z.B. Fenistil ®, Zyrtec® und Generica) die Beschwerden lindern. Sind
schwere Allgemeinreaktionen wie Atemnot oder Kreislaufprobleme aufgetreten, muss eine
Notfallapotheke mit schriftlicher Dosierungsanweisung für den Fall eines versehentlichen Genusses des verbotenen Nahrungsmittels bereitgehalten werden. Diese enthält ein Antihistaminikum (z.B. Zyrtec®), ein Kortisonpräparat (je nach Alter als
Tablette, Saft oder Zäpfchen) und Adrenalin (ein die Bronchien erweiterndes und kreislaufstützendes Medikament in Spray- oder Spritzenform). Bei schweren Reaktionen den
Notarzt rufen. Nach einer Allgemeinreaktion muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden.
Verschiedentlich wurden Versuche mit der oralen Hyposensibilisierung gemacht, das
heißt das Nahrungsmittel wurde in langsam ansteigenden Dosen zum Essen bzw. Trinken
verabreicht, bis der Körper nicht mehr darauf reagierte. Dies ist nicht ungefährlich und
sollte daher nur in ganz speziellen Ausnahmefällen durchgeführt werden. Ebenso sind
Behandlungsansätze mit einer subkutanen Hyposensibilisierung, bei der die Nahrungsmittel unter die Haut gespritzt werden, noch im Experimentierstadium. Einen Sonderfall
stellen Nahrungsmittelallergien als Kreuzallergien im Rahmen von Pollenallergien dar. In
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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
diesem Fall wird bei einer Hyposensibilisierung gegen die Pollen in der Regel auch die
Nahrungsmittelallergie besser.
7.6.3 Prognose
Die Prognose von Nahrungsmittelallergien ist bei Säuglingen und Kleinkindern im allgemeinen gut. In der Mehrzahl der Fälle verschwindet die Allergie bei konsequenter Meidung des Allergens innerhalb weniger Jahre. Erdnussallergien haben jedoch eine geringe
Besserungstendenz.
7.7 Zusammenfassung
Die Nahrungsmittelallergie ist eine spezielle Form der Nahrungsmittelunverträglichkeit,
bei der es durch eine überschießende Reaktion des Immunsystems zu Symptomen am
Magendarmtrakt, der Haut, den Atemwegen und anderen Organen kommt. Die häufigsten Auslöser von Nahrungsmittelallergien bei Kindern sind Kuhmilch, Hühnerei, Soja,
Nüsse, Fisch und Weizenmehl. Verschiedene Faktoren wie die anlage-bedingte Reaktionsbereitschaft, die Eigenschaften des Nahrungsmittels, die Durchlässigkeit des Magendarmtrakts und der Zeitpunkt der ersten Allergenzufuhr spielen bei der Auslösung eine
Rolle.
Diagnostisch liefern die Anamnese und evtl. ein Nahrungsmittel-Symptom-Tagebuch
entscheidende Hinweise. Hauttests und Laboruntersuchungen können für sich allein eine
Nahrungsmittelallergie nicht beweisen. Der einzig sichere Nachweis einer Nahrungsmittelallergie ist mit einem Auslass- und Belastungsversuch mit dem angeschuldigten
Nahrungsmittel zu führen. Therapeutisch kommt in der Regel nur ein Weglassen des
allergieauslösenden Nahrungsmittels in Frage. Die Prognose von Nahrungsmittelallergien
ist bei Säuglingen und Kleinkindern im Allgemeinen gut.
7.8 Kuhmilchallergie
7.8.1 Was ist eine Kuhmilchallergie?
Eine Kuhmilchallergie ist eine erworbene allergische Reaktion auf Kuhmilcheiweiß, welche
meist im Säuglingsalter entsteht. Die Häufigkeit der Kuhmilchallergie bei Kindern liegt bei
etwa 2%.
7.8.2 Was in der Kuhmilch löst die Allergien aus?
Die Kuhmilch besteht aus verschiedenen Eiweißen. 80% des Kuhmilcheiweißes macht das
Kasein aus, 20% das Molkeneiweiß. Die Molke ist das nach Kasein- und Fettabscheidung
verbleibende "Milchserum". Die Hauptallergene der Milch sind das Beta-Laktoglobulin, das
Alpha-Laktalbumin und das Kasein. Beta-Laktoglobulin und Kasein sind sehr hitze-stabil,
sodass auch ein Abkochen der Milch eine allergische Reaktion auf diese Milchbestandteile
nicht verhindern kann. Andere Kuhmilchbestandteile werden durch Erhitzen stark
verändert und spielen nur in der Rohmilch als Allergieauslöser eine Rolle.
7.8.3 Wie entsteht eine Kuhmilchallergie?
Die Sensibilisierung findet im frühen Säuglingsalter entweder durch die Gabe einer Säuglingsmilch, Kuhmilch oder über die Muttermilch statt. Wenn Kuhmilcheiweiß die Darmschleimhaut passiert, werden eine Antikörperproduktion und andere Immunreaktionen in
Gang gesetzt. Kinder mit einer allergischen Familienvorgeschichte, die nicht oder nur
teilweise gestillt wurden, haben ein höheres Erkrankungsrisiko. Je früher Kuhmilcheiweiß
zugeführt wird, um so größer ist das Risiko einer Allergieentstehung.
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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
7.8.4 Wie äußert sich eine Kuhmilchallergie?
Die klassische Kuhmilchallergie vom Soforttyp äußert sich meist sehr dramatisch noch
während oder kurze Zeit nach der Nahrungsaufnahme mit dünnen, wässrigen Stühlen
und Erbrechen. Durch den direkten Milchkontakt kann eine Lippenschwellung auftreten.
Weitere Symptome an der Haut sind ein Nesselausschlag und eine Gesichtsschwellung.
Eine Schwellung im Kehlkopfbereich oder eine Verengung der Bronchien kann zu Atemnot
führen. Die schwerwiegendste Reaktion ist der anaphylaktische Schock mit Kreislaufzusammenbruch.
Bei anderen Formen können sich weniger dramatische Reaktionen in Form von Durchfall
oder auch Verstopfung, Erbrechen, Nahrungsverweigerung, Gedeihstörungen, Bauchschmerzen und blutigen Stühlen zeigen. Auch hier handelt es sich um immunologische
Reaktionen an der Darmschleimhaut, jedoch lassen sich oft keine IgE-Antikörper nachweisen.
Durch eine allergische Spätreaktion kann ein Ekzemschub bei einer Neurodermitis durch
eine Kuhmilchallergie ausgelöst werden.
Häufig werden auch Blähungen und Bauchkrämpfe bei kleinen Säuglingen (Dreimonatskoliken) mit einer Kuhmilchallergie in Zusammenhang gebracht. In der überwiegenden
Anzahl der Fälle können diese Bauchkoliken jedoch nicht auf eine Kuhmilchallergie zurückgeführt werden, sodass nur in Einzelfällen das Umstellen auf eine kuhmilchfreie
Nahrung sinnvoll ist. Das selbe gilt für das Colon irritabile, den reizbaren Dickdarm, bei
dem Krämpfe des Dickdarms auftreten und schleimige Stühle abgesetzt werden.
7.8.5 Diagnose der Kuhmilchallergie
Bei der allergischen Reaktion vom Soforttyp ist der beobachtbare Zusammenhang zwischen Kuhmilchgenuss und Symptomen meist eindeutig. Der Nachweis von IgE-Antikörpern gegen Kuhmilcheiweiß stützt die Diagnose. Im Zweifelsfall muss ein Auslass- und
Provokationstest gemacht werden. Die Symptome müssen nach Weglassen der Kuhmilch
verschwinden. Beweisend ist das Wiederauftreten der Symptome nach erneuter Kuhmilchzufuhr. Auf eine Kuhmilchbelastung wird man jedoch in solchen Fällen verzichten,
wo schwere Allgemeinreaktionen aufgetreten waren.
Positive IgE-Antikörper im RAST oder ein positiver Pricktest allein sind für eine Kuhmilchallergie nicht beweisend. Diese Testbefunde sind häufig auch positiv, ohne dass irgendwelche Symptome vorliegen (= Sensibilisierung). Die Bestimmung von IgG-Antikörpern
gegen Kuhmilcheiweiß ist wertlos, da diese eine normale Immunantwort des Organismus
auf Kuhmilchzufuhr darstellen. Zum Nachweis einer Kuhmilchallergie vom Spättyp bei
einer Neurodermitis hat sich der Atopie-Patch-Test bewährt. Bei unklaren Befunden muss
unter Umständen auch eine kleine Gewebsprobe aus dem Darm entnommen werden.
7.8.6 Wovon muss eine Kuhmilchallergie abgegrenzt werden?
Es ist wichtig, eine Allergie gegen Kuhmilcheiweiß von einer Milchzuckerunverträglichkeit (Laktoseintoleranz) abzugrenzen. Bei der Milchzuckerunverträglichkeit
kann der in der Milch und in Milchprodukten enthaltene Milchzucker nicht verdaut werden. Sie ist am häufigsten zwischen drei und fünfzehn Jahren. Ursache ist die verminderte Aktivität eines Enzymes im Darm (Laktase), das für die Spaltung dieses Zuckers
im Darm verantwortlich ist. Eine Milchzuckerunverträglichkeit kann angeboren oder vorüber-gehende Folge einer Magendarminfektion sein. Die Milchzuckerunverträglichkeit
äußert sich in Blähungen, Bauchkrämpfen und dünneren Stühlen nach Zufuhr von Kuhmilch oder Kuhmilchprodukten.
Die Diagnose kann relativ einfach mit einer Milchzuckerbelastung gestellt werden. Das
Kind bekommt eine Milchzuckerlösung zu trinken. Kann der Milchzucker nicht verdaut
werden, wird in der Ausatemluft vermehrt H2 (Wasserstoff) gemessen. Bei der Milchzuckerunverträglichkeit müssen im Gegensatz zur Kuhmilchallergie Kuhmilchprodukte
nicht komplett gemieden, sondern nur eingeschränkt werden.
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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
7.8.7 Was ist bei einer Kuhmilchallergie zu tun?
Kuhmilch und Kuhmilchprodukte meiden
Bei einer Kuhmilchallergie müssen Kuhmilch und Kuhmilchprodukte streng gemieden
werden. Bereits der Kontakt mit kleinsten Mengen von Kuhmilcheiweiß können Schockreaktionen auslösen. Schon bei Kontakt mit der Haut kann ein Nesselausschlag entstehen. Die stärkste allergieauslösende Wirkung zeigt normalerweise Rohmilch. Pasteurisierte oder abgekochte Milch ist jedoch für Kuhmilchallergiker weiterhin stark allergen, da
durch Hitzebehandlung nur ein Teil des Kuhmilcheiweißes verändert wird.
Verboten sind:
• Alle Säuglingsmilchen und Säuglingsbreie auf Kuhmilchbasis
• Kuhmilch jeder Art (Vollmilch, fettarme Milch, H-Milch, Buttermilch, Kondensmilch,
Dickmilch, Sauermilch, Milchpulver)
• Kuhmilchprodukte jeder Art wie Joghurt, Kefir, Sahne, Crème fraîche, Käse, Frischkäse, Quark, Butter, Ovomaltine®, Milchspeiseeis u.a..
Auf verstecktes Milcheiweiß achten!
In vielen Nahrungsmitteln ist verstecktes Milcheiweiß enthalten, z.B. in:
• Backwaren wie Milchbrötchen, Kuchen, Weißbrot
• Fertiggerichte wie Menüs in Dosen oder Kartoffelpüree
• Gläschenmenüs für Säuglinge
• Soßen, Margarine, Mayonnaise
• Fleisch-, Fisch- und Wurstwaren, insbesondere in Dosen oder paniert
• Süßigkeiten wie Bonbons oder Schokolade, Speiseeis u.a..
Lesen Sie besonders bei Fertigprodukten, Soßen etc. immer die Zutatenliste durch. Kuhmilcheiweiß kann sich z.B. hinter folgenden Bezeichnungen verbergen:
• Milcheiweiß, Milchprotein
• Molkeeiweiß, Molkeprotein
• Kasein (Casein), Kaseinate (Caseinate)
• Lakto..., Laktalbumin, Laktoglobulin
• Laktose (Milchzucker).
Die Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung hat jedoch ihre Lücken. Nicht deklariert
werden muss, wenn eine zusammengesetzte Zutat zu einem geringeren Anteil als 25%
im Endprodukt enthalten ist (z.B. milchhaltige Würstchen im Konserveneintopf).
Auch in Nichtlebensmitteln kann Kuhmilcheiweiß enthalten sein! Beispiele sind Medikamente oder Babypuder, der heute sowieso keinen Platz mehr in der Säuglingspflege
haben sollte, da er bei versehentlicher Inhalation schwere entzündliche Reaktionen an der
Lunge hervorrufen kann.
Bei einer sehr starken Kuhmilcheiweißallergie kann in seltenen Fällen eine Kreuzallergie
zu Rind- und Kalbfleisch bestehen. Normalerweise wird aber Rindfleisch von Kuhmilchallergikern vertragen.
Was kann an Stelle von Kuhmilch gegeben werden?
Milch und Milchprodukte dürfen nicht ersatzlos vom Speiseplan gestrichen werden, da sie
unter anderem eine wichtige Kalziumquelle darstellen. Als Kuhmilchersatz für Säuglinge
kommen in erster Linie starke Hydrolysatnahrungen in Betracht, bei denen die Eiweißbestandteile des Kuhmilcheiweißes in so kleine Bausteine aufgespalten sind, dass sie
keine allergische Reaktion mehr auslösen. Beispiele hierfür sind Alfaré®, Nutramigen®,
Pregestimil® und Pregomin®.
Sogenannte hypoallergene Nahrungen wie Aptamil H.A.®, Beba H.A.®, Hipp H.A.® oder
Humana H.A.® sind zur Therapie einer Kuhmilchallergie nicht geeignet, da sie noch in
kleinen Mengen intaktes Kuhmilcheiweiß enthalten! Wenn keine begleitende Sojasensibilisierung besteht, können als Alternative unter Umständen Sojanahrungen wie Humana
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SL® oder Milupa SOM® verwendet werden. Sojadrinks aus dem Reformhaus sind als
Kuhmilchersatz für Säuglinge und Kleinkinder nicht geeignet, da sie in der Zusammensetzung nicht den Erfordernissen dieser Altersstufe entsprechen.
Das Ausweichen auf Stuten-, Ziegen- oder Schafsmilch ist aufwändig und teuer. Die Zusammensetzung dieser Milchen ist für den Säugling nicht optimal. Zum Teil können
Kreuzallergien zu Kuhmilch auftreten, bei Ziegenmilch in bis zu 50%. Schafskäse ist oft
mit Kuhmilch versetzt. Bei Kleinkindern und Schulkindern kann durch andere Eiweißquellen wie Hühnerei und Fleisch leichter ein Ersatz für das Kuhmilcheiweiß geschaffen
werden. Auf jeden Fall ist auf eine ausreichende Kalziumzufuhr ist zu achten.
Eine kuhmilchfreie Ernährung muss immer genau mit dem Kinder- und Jugendarzt am
besten in Zusammenarbeit mit einer Diätassistentin abgesprochen werden, um eine
Mangelernährung zu vermeiden!
Was tun im Notfall?
Für den Fall, dass Ihr Kind ungewollt doch einmal einen Schluck Milch oder Milcheiweiß in
versteckter Form erwischt, ist es sinnvoll, dass Sie ein schnell wirksames Antihistaminikum in Tropfen- oder Saftform (z.B. Fenistil ®, Zyrtec®) greifbar haben. Sind schwere
Allgemeinreaktionen wie Atemnot oder Kreislaufprobleme aufgetreten, muss eine komplette Notfallapotheke mit schriftlicher Dosierungsanweisung für den Fall eines versehentlichen Genusses des verbotenen Nahrungsmittels bereitgehalten werden. Diese enthält ein Antihistaminikum (z.B. Zyrtec®), ein Kortisonpräparat (je nach Alter als
Tablette, Saft oder Zäpfchen) und Adrenalin (ein die Bronchien erweiterndes und kreislaufstützendes Medikament in Spray- oder Spritzenform). Bei schweren Reaktionen den
Notarzt rufen. Nach einer Allgemeinreaktion muss auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden.
7.8.8 Verschwindet eine Kuhmilchallergie wieder?
Die im Säuglingsalter auftretende Kuhmilchallergie hat eine gute Prognose. Bis zum dritten oder vierten Lebensjahr ist diese Allergie in den meisten Fällen verschwunden. Nach
ein bis zwei Jahren kuhmilchfreier Ernährung wird ein vorsichtiger Kuhmilchbelastungstest, bei einer Soforttypallergie meist im Krankenhaus, durchgeführt. Zuvor kann ein
Pricktest oder RAST-Test mit Kuhmilch gemacht werden, wobei eine negative Reaktion
dafür spricht, dass keine schwerwiegenden Reaktionen zu erwarten sind.
7.8.9 Zusammenfassung
Eine Kuhmilchallergie kann sich mit Lippenschwellung, Nesselausschlag, Durchfall,
Erbrechen, Bauchschmerzen, Gedeihstörung und Atemnot bis zum allergischen Schock
äußern. Außerdem kann ein Ekzemschub bei einer Neurodermitis ausgelöst werden. Bei
einer Sofortreaktion können IgE-Antikörper und ein positiver Pricktest nachgewiesen
werden. Letztlich beweisend ist nur ein Auslass- und Provokationsversuch. Die Therapie
besteht in der vollständigen Meidung von Kuhmilch und Kuhmilchprodukten. Die Prognose der Kuhmilchallergie ist bei Säuglingen und Kleinkindern gut.
7.9 Hühnereiweißallergie
Die Hühnereiweißallergie ist nach der Kuhmilchallergie die zweithäufigste Nahrungsmittelallergie bei Kindern.
7.9.1 Wie entsteht eine Hühnereiweißallergie und wie äußert sie sich?
Hühnereier enthalten mehrere Eiweißbestandteile, das mengenmäßig wichtigste und
allergologisch bedeutendste ist das Ovalbumin. Durch Erhitzen wird die Allergenität des
Hühnereies abgeschwächt. Eine Sensibilisierung mit Hühnereiweiß ist wie bei der Kuhmilch bereits über die Muttermilch möglich, sodass schon beim ersten Eikontakt heftige
Reaktionen auftreten können. Die Symptome entsprechen der Sofortreaktion bei einer
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Kuhmilchallergie. Ebenso kann bei einer Neurodermitis ein Ekzemschub ausgelöst werden. Allergische Reaktionen auf Eidotter kommen normalerweise durch Verunreinigungen
mit Eiweiß zustande.
7.9.2 Worin ist überall Hühnereiweiß enthalten?
Jede Form von Hühnereiern, ob als weichgekochtes Ei, Spiegelei, Rührei usw. muss bei
einer Hühnereiweißallergie vermieden werden.
In vielen Nahrungsmitteln findet sich verstecktes Hühnereiweiß:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Backwaren wie Brot, Brötchen, Kuchen, Kleingebäck
Teigwaren
Fleisch- und Wurstwaren wie Maultaschen und Fleischküchle
Suppen, Soßen, Mayonnaise
Fertiggerichte
Gläschenmenüs für Säuglinge
in weiteren Gerichten als Verfeinerungs- und Bindemittel
Milchspeiseeis
Süßigkeiten wie Bonbons, Pralinen, Zuckerwatte
Margarine u.a..
Achten Sie beim Einkauf stets auf die Zutatenliste! Folgende Begriffe können auf die
Verwendung von Ei hinweisen: Protein, Fremdprotein, tierisches Eiweiß, Lecithin, E 322,
Stabilisatoren und Emulgatoren. Auch auf Ei in Nichtlebensmitteln achten (z.B. Haarshampoo).
Bei einigen Impfstoffen wie Grippe- und Gelbfieberimpfstoffen können Hühnereiweißbestandteile enthalten sein (siehe auch Kapitel 15).
7.9.3 Was kann an Stelle von Ei gegeben werden?
Bei einer gering ausgeprägten Hühnereiweißallergie wird möglicherweise erhitztes Hühnereiweiß beispielsweise in Backwaren vertragen. Prinzipiell besteht die Ausweichmöglichkeit auf Eier anderer Tierarten, dies muss jedoch zuvor ausgetestet werden. Wenn
selbst gekocht und gebacken wird, können Eier durch den Eiersatz der Firma Hammermühle oder durch Sojamehl (1 Esslöffel Sojamehl + 1 Esslöffel Wasser entspricht
einem Ei) ersetzt werden. Hartweizenteigwaren ohne Ei sind im Handel erhältlich. Besonders bei Fertiggerichten Zutatenliste beachten! Bei einer starken Hühnereiweißallergie
besteht auch die Möglichkeit einer Kreuzreaktion mit Hühnerfleisch. Meist wird jedoch
Hühnerfleisch von Eiallergikern vertragen. Auch bei der Hühnereiweißallergie erfolgt am
besten eine Beratung durch eine Diätassistentin.
7.9.4 Prognose der Hühnereiweißallergie
Die im Säuglings- oder Kleinkindesalter auftretende Eiallergie hat eine gute Prognose. Es
bestehen gute Chancen, dass sie im Laufe von wenigen Jahren verschwindet. Nach ein
bis zwei Jahren wird man daher normalerweise nach einem Prick- oder RAST-Test einen
Provokationsversuch machen.
7.9.5 Zusammenfassung:
Die Hühnereiweißallergie tritt in der Regel als allergische Sofortreaktion mit
Symptomen wie bei einer Kuhmilchallergie auf, daneben können bei einer Neurodermitis
Ekzemschübe provoziert werden. Auch hier hilft nur das konsequente Meiden von Hühnereiweiß. Die Prognose ist wie bei der Kuhmilchallergie bei Säuglingen und Kleinkindern
gut.
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7.10 Weitere häufige Nahrungsmittelallergien
7.10.1 Sojaallergie
Sojamilch wird aus Sojabohnen unter Zusatz von Wasser hergestellt wird, sie ist daher
keine Milch im eigentlichen Sinne. Soja wird als Fleisch- und Eiersatz benützt und kann
unter anderem in Soßen und Fertigprodukten, Backwaren, Süßwaren, Margarine, Ölen
und diätetischen Lebensmitteln enthalten sein. Soja lässt sich durch andere Eiweißlieferanten ersetzen, wobei das Vermeiden nicht immer ganz leicht ist, wie die oben angeführten Nahrungsmittel zeigen.
7.10.2 Erdnussallergie
Erdnüsse sind in vielen Nahrungsmitteln enthalten. Dazu gehören vor allem Süßigkeiten
in Form von Schokoriegeln, Kuchen und anderes Gebäck sowie Erdnussbutter. Die Erdnüsse gehören zu den Hülsenfrüchten (Leguminosen), es bestehen daher eventuell
Kreuzallergien zu Bohnen, Linsen, Erbsen usw.. Die Erdnussallergie kann schwere
Schockreaktionen hervorrufen und bleibt oft lebenslang bestehen.
7.10.3 Weitere Nussallergien
Weitere Nüsse wie Haselnuss, Walnuss, Paranuss und Mandel gehören ganz unterschiedlichen Pflanzenfamilien an, es bestehen daher nicht von vorneherein Kreuzallergien. Man findet Nüsse in vielen Back- und Süßwaren, Käse und anderen Nahrungsmitteln. Haselnussmasse ist oft nicht deklariert in vielen Schokoladesorten enthalten. Die
Haselnussallergie tritt häufig zusammen mit einer Allergie gegen Äpfel, Kirschen und
Mandeln auf. Bei Hasel- und Walnuss bestehen auch Kreuzallergien zu den entsprechenden Pollen. Nussallergien äußern sich häufig durch ein Jucken im Hals, eventuell begleitet
von tränenden Augen und Niesreiz. Schwere Allgemeinreaktionen können jedoch folgen.
7.10.4 Hülsenfrüchteallergie
Zu den Hülsenfrüchten (Leguminosen) zählen Erbsen, Bohnen, Linsen, Erdnüsse, Sojabohne, Bockshornklee und andere. Sie sind starke Allergene. Häufig bestehen Kreuzallergien untereinander und zu Erdnüssen.
7.10.5 Getreideallergie
Allergien gegen Getreide betreffen bei uns hauptsächlich Weizen und Roggen. Allergieauslösend wirkt das Korn vor allem im Rohzustand z.B. als Frischkornmüsli und in Vollkornprodukten. Backwaren mit den Mehlen der Typenzahl 405 oder 550 werden oft vertragen. Durch das Mahlen und Erhitzen wird die Allergenität vermindert. Zwischen Weizen, Roggen und Gerste sind Kreuzallergien häufig. Inhalationsallergien wie das Bäckerasthma, das durch Einatmen von feinem Mehlstaub entsteht, kommen bei Kindern kaum
vor.
7.10.6 Zöliakie
Die Zöliakie ist eine chronische Darmerkrankung, die mit einer Störung der Nährstoffaufnahme im Darm einhergeht. Die Symptome sind Durchfälle, fettige Stühle, aufgetriebener Leib Gedeihstörung und Gereiztheit. Ursache der Zöliakie ist eine Unverträglichkeit
von Gluten (Gliadin), das in Weizen-, Dinkel-, Grünkern-, Roggen-, Gersten- und Hafermehl enthalten ist. Es kommt zu einer immunologisch ausgelösten Entzündung an der
Darmschleimhaut. Die Diagnose wird durch den Nachweis von Antikörpern gegen Gliadin,
Endomysium oder Gewebe-Transglutaminase sowie durch eine Untersuchung der Dünndarmschleimhaut mit dem Nachweis flacher Darmzotten gestellt. Die Therapie besteht im
lebenslangen Weglassen von Gluten.
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7.10.7 Allergien gegen Fische sowie Schalen- und Krustentiere
Allergien gegen Salzwasserfische sind häufiger als Allergien gegen Süßwasserfische.
Fischbestandteile können in verschiedenen Nahrungsmitteln wie Sardellenbutter und
Lebertran enthalten sein. Da Fischmehl als Futter bei der Mast von Schweinen und Geflügel eingesetzt wird, kann deren Fleisch und auch die Eier Fischeiweiß enthalten. Fischallergene sind sehr hitzestabil. Bereits durch das Einatmen von Dampf beim Fischkochen
können asthmatische Beschwerden ausgelöst werden. Schalen- und Krustentiere wie
Hummer, Langusten, Krebse und Muscheln sind starke Allergene, spielen im Kindesalter
jedoch noch keine große Rolle.
Echte allergische Reaktionen gegen Fisch sind von pseudoallergischen Reaktionen
abzugrenzen, welche durch einen hohen Histamingehalt beispielsweise in Thunfisch verursacht werden.
7.10.8 Gewürzallergien
Sellerie ist bei uns das Hauptallergen unter den Gewürzen und in verschiedenen Würzmischungen enthalten. Oft besteht eine Kreuzallergie zu anderen Gewürzen und auch zu
Pollen (Sellerie-Beifuß-Gewürzsyndrom). Weitere Beispiele für Gewürzallergene sind Anis,
Fenchel, Dill, Koriander, Kümmel. Allergien gegen Pfeffer und Senf sind selten. Bei einer
Gewürzallergie sind neben dem eigentlich allergieauslösenden Gewürz vor allem Mischgewürze und eventuell fertig gewürzte Speisen zu meiden.
7.10.9 Kreuzallergien mit Pollen
Zwischen Pollen und Nahrungsmitteln kann eine Vielzahl von Kreuzallergien bestehen.
Die wichtigsten sind:
Birkenpollen: mit Äpfeln, Pfirsichen, Aprikosen, Pflaumen, Zwetschgen und Kartoffeln.
Birken- und Haselpollen: mit Haselnüssen, Mandeln, roher Sellerie, rohen Karotten.
Beifußpollen: mit Sellerie und anderen Gewürzen, Karotten und anderen Gemüsen.
Gräser- und Getreidepollen: mit Hülsenfrüchten, Getreide und Tomaten.
7.10.10Zusammenfassung
Weitere wichtige Nahrungsmittelallergien sind die Allergien gegen Soja, Nüsse, Hülsenfrüchte, Getreide, Fische und Gewürze. Bei bestimmten Nahrungsmitteln sind Kreuzallergien mit Pollen zu beachten. Eine Sonderform stellt die Zöliakie dar, die auf einer Unverträglichkeit von Gliadin beruht.
7.11 Pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittel und
Zusatzstoffe
7.11.1 Was sind pseudoallergische Reaktionen?
Bei den pseudoallergischen Reaktionen auf Nahrungsmittel lassen sich keine immunologischen Vorgänge nachweisen. Die Symptome einer pseudoallergischen Nahrungsmittelunverträglichkeit sind von den Symptomen einer echten Nahrungsmittelallergie oft nicht zu
unterscheiden. Pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittel und Nahrungsmittelzusatzstoffe sind selten (Schätzungen liegen bei 0,1 – 0,2% in der Gesamtbevölkerung).
7.11.2 Wodurch werden pseudoallergische Reaktionen auf Nahrungsmittel
ausgelöst?
a) Biogene Amine
Biogene Amine (z.B. Histamin, Tyramin, Serotonin) sind Abbauprodukte von Aminosäuren, den kleinsten Eiweißbestandteilen. Sie werden nicht von außen zugefügt, sondern
kommen in fast allen Lebensmitteln in kleineren Mengen vor. Beträchtliche Mengen können jedoch durch mikrobiellen Verderb, bei mikrobiell hergestellten Lebensmitteln und
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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
bei Lebensmitteln, denen Enzympräparate zugesetzt werden, entstehen. In kleinen Mengen sind sie harmlos, in größeren Mengen können sie insbesondere bei dafür empfindlichen Personen folgende Symptome auslösen: Kopfschmerzen, Herzklopfen, Nesselausschlag, Bauchschmerzen, Blutdruckabfall und Atemnot.
- Nahrungsmittel, die von Natur aus einen hohen Anteil an biogenen Aminen
enthalten:
• Walnüsse, Bananen, Ananas, Tomaten, Avokado, Pflaumen, Himbeeren.
- Nahrungsmittel, die durch mikrobielle Prozesse viel biogene Amine enthalten:
• Fischprodukte aus Makrele, Hering, Thunfisch (Histamin entsteht hier vor allem
durch mikrobiellen Verderb, frische bzw. tiefgefrorene Fische sind aminarm)
• Fleischwaren, Wurst (Koch- und Brühwürste sind aminärmer als Rohwürste)
• Käse (besonders Emmentaler, Tilsiter, Chester, Cheddar, Roquefort, Camembert)
• Hefeextrakt, Sauerkraut, Schokolade, Kakao, Wein, Bier.
- Nahrungsmittel, die direkt Histamin ausschütten können:
• Andere Nahrungsmittel enthalten Lektine, welche direkt ohne Beteiligung allergischer Mechanismen Histamin aus den Mastzellen freisetzen können. Dazu zählen
bestimmte Früchte wie Erdbeeren, Gemüse- und Getreidearten.
b) Nahrungsmittel, die Salicylsäure enthalten
Personen mit einer Überempfindlichkeitsreaktion auf Acetylsalicylsäure (z.B. Aspirin®),
einer Acetylsalicylsäureintoleranz (siehe Kapitel 10) leiden, können auch auf Nahrungsmittel reagieren, die einen hohen Salicylsäuregehalt haben. Hierzu gehören bestimmte
Obstsorten (z.B. Apfel, Banane, Orangen, Wassermelone), Gemüse (z.B. Bohnen, Blumenkohl, Kartoffeln), Mandeln und Getränke (z.B. Fruchtsäfte). Diese Mengen liegen jedoch in der Regel nur bei einigen µg pro 100 g Lebensmittel. Gewürze (z.B. Anis, Dill,
Salbeiblätter, Senf, Zimt) haben zum Teil auch hohe Salicylsäuregehalte bis zu mehreren
Gramm pro 100 g, wobei jedoch die zugeführten Gewürzmengen gering sind. Bei ausländischen Produkten kann Salicylsäure auch als Konservierungsstoff enthalten sein, was
in Deutschland verboten ist.
c) Zusatzstoffe in Lebensmitteln
Nach dem Gesetz müssen Zusatzstoffe in Lebensmitteln technisch notwendig sein, dürfen
nicht zur Täuschung des Verbrauchers führen und müssen gesundheitlich unbedenklich
sein. Bei einer ganzen Reihe von Lebensmittelzusatzstoffen muss man sich allerdings
fragen, ob diese genannten Punkte wirklich erfüllt sind. Seien Sie daher als Verbraucher
kritisch und wählen Sie Ihre Lebensmittel gezielt auch nach diesen Kriterien aus.
Tabelle 7-1 zeigt identifizierte Auslöser pseudoallergischer Reaktionen.
Tabelle 7-1: Zusatzstoffe in Lebensmitteln, die pseudoallergische Reaktionen auslösen
können (Quelle: Weißbuch Allergie in Deutschland 2000)
Stoffgruppe
Name
E-Nummer
Gelborange S
Azorubin
Amaranth
Ponceau 4 R
Brilliantschwarz BN
Tartrazin
Chinolingelb
Erythrosin
Patentblau
Indigokarmin
E
E
E
E
E
E
E
E
E
E
Farbstoffe
Azofarbstoffe
Andere synthetische Farbstoffe
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110
122
123
124
151
102
104
127
131
132
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7. Nahrungsmittel-Allergien und andere Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
Naturfarbstoffe
Konservierungsstoffe
Antioxidanzien
Geschmacksverstärker
Süßstoffe
Eisen-III-oxid, rot
Cochenille/Karmin
E 172
E 120
Sorbinsäure
Natriumbenzoat
p-Hydroxybenzoesäure,
-ester
Natriummetabisulfit
Natriumnitrat
E 200
E 211
E 214-219
Tocopherol
Propylgallate
Butylhydroxyanisol (BHA)
Butylhydroxytoluol (BHT)
E
E
E
E
Natriumglutamat
E 621
Aspartam
E 951
E 223
E 251
306-309
310
320
321
7.11.3 Wie werden pseudoallergische Nahrungsmittelunverträglichkeiten
diagnostiziert?
Prinzipiell gilt das bei den Nahrungsmittelallergien im engeren Sinn genannte Vorgehen.
Allerdings können bei pseudoallergischen Reaktionen weder in Bluttests noch in Hauttests
allergieauslösende Antikörper nachgewiesen werden. Ist die Diagnose durch die Anamnese und das Führen eines Symptomtagebuchs nicht eindeutig zu stellen, muss ein Provokationstest durchgeführt werden.
7.11.4 Wie werden pseudoallergische Nahrungsmittelunverträglichkeiten behandelt?
Auch hier bleibt wie bei den echten Nahrungsmittelallergien nur das Meiden der auslösenden Nahrungsmittel. Wenn es sich um Reaktionen auf Nahrungsmittelzusatzstoffe in
industriell hergestellten Nahrungsmitteln handelt, kann diesen oft durch Selbstzubereitung ausgewichen werden.
7.11.5 Zusammenfassung
Bei den pseudoallergischen Reaktionen auf Nahrungsmittel können keine allergieauslösenden Antikörper nachgewiesen werden. Ursächlich für die Symptome sind hier
Histamin und andere Mittlersubstanzen, die entweder in den Nahrungsmitteln selbst enthalten sind oder deren Freisetzung im Körper durch diese Nahrungsmittel verursacht
wird. Wichtige Beispiele hierfür sind Fische, bestimmte Käsesorten und Wein. Auch eine
Reihe von Nahrungsmittelzusatzstoffen kann pseudoallergische Reaktionen auslösen.
7.12 Lebensmittelkennzeichnung - steht drauf, was drin
ist?
Allergiker- und Ärzte-Verbände haben seit langem offensichtliche Mängel bei der
Nahrungsmittelkennzeichnung kritisiert. Die Europäische Union hat nun eine verbesserte
Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel in Kraft gesetzt, die bis spätestens November
2005 in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden musste.
7.12.1 (Fast) alles muss jetzt draufstehen
Die neue Regelung ist ein Fortschritt, wenn sie auch nicht alle Probleme optimal löst. Bis
auf die später genannten Ausnahmen müssen jetzt alle Zutaten eines Lebensmittels auf
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der Zutatenliste genannt werden. Es müssen nun auch die Bestandteile zusammengesetzter Zutaten (z.B. die Zutaten von Wurststücken in einem Doseneintopf oder Hühnerei
in den Nudeln einer Nudelsuppe) angegeben werden, was bisher bei einem Gewichtsanteil von unter 25% nicht erforderlich war. Die Klassennamen "kandierte Früchte" und
"Gemüse" wurden abgeschafft.
7.12.2 Das muss immer draufstehen
Die in Tabelle 7-1 aufgelisteten Substanzen und daraus hergestellte Erzeugnisse sind
für die meisten Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten verantwortlich. Sie müssen daher immer auf der Zutatenliste stehen, jetzt auch bei alkoholischen Getränken, selbst wenn sie nur in kleinen Mengen enthalten sind oder lediglich als
Hilfsstoff oder Trägersubstanz im Herstellungsverfahren verwendet werden (z.B. Hühnereiweiß in der Weinproduktion, Laktose als Trägersubstanz für Aromen). Früher verwendete Klassennamen (z.B. pflanzliches Öl für Erdnussöl) sind für diese Substanzen nicht
mehr zulässig.
Tabelle 7-1: Immer kennzeichnungspflichtige Zutaten
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
glutenhaltiges Getreide (d.h. Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel, Kamut oder
Kreuzungen davon) sowie daraus hergestellte Erzeugnisse
Krebstiere und Krebstiererzeugnisse
Eier und Eierzeugnisse
Fisch und Fischerzeugnisse
Erdnüsse und Erdnusserzeugnisse
Soja und Sojaerzeugnisse
Milch und Milcherzeugnisse (einschließlich Milchzuck er = Laktose)
Schalenfrüchte (d.h. Mandel, Haselnuss, Walnuss, Cashewnuss, Pekanuss,
Paranuss, Pistazie, Macadamianuss / Queenslandnuss) und daraus hergestellte
Erzeugnisse
Sellerie und Sellerieerzeugnisse
Senf und Senferzeugnisse
Sesamsamen und Sesamsamenerzeugnisse
Schwefeldioxid und Sulfite in Konzentrationen mehr als 10 mg/kg oder 10 mg/l,
als SO2 angegeben
7.12.3 Das muss nicht draufstehen
Wie nicht anders zu erwarten gibt es Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht. Was
nicht auf dem Etikett stehen muss ist in Tabelle 7-2 aufgelistet.
Tabelle 7-2: Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht
•
•
•
•
ist die Zutat schon in der Verkehrsbezeichnung genannt (z.B. Erdnüsse in
Erdnussbutter), muss sie in Zutatenverzeichnis nicht noch einmal aufgeführt
werden
für Gewürz- und / oder Kräutermischungen (z.B. "Curry" oder "Kräuter der
Provence") sowie für im EU-Recht geregelte Zutaten wie Schokolade oder
Konfitüre gilt eine 2% Regelung: nur Inhaltsstoffe, die mehr als 2% Gewichtsanteil
am Endprodukt haben müssen angegeben werden. Ausnahmen: die in Tabelle 1
genannten Substanzen
für einige verpackte Lebensmittel wie z.B. Honig ist kein Zutatenverzeichnis
erforderlich
die Zutaten unverpackt angebotener Nahrungsmittel müssen nicht deklariert
werden
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7.12.4 Vorbeugende Warnhinweise
Ein Problem stellen Substanzen dar, die nicht absichtlich in das Nahrungsmittel gelangen:
z.B. durch die Produktion verschiedener Lebensmittel in einer Fabrikationshalle oder
durch die Verwendung der selben Produktionsanlage bei der Herstellung verschiedener
Schokoladesorten. Schwierig ist die Kontrolle auch bei Zutaten, die von verschiedenen
Zulieferern kommen. Viele Hersteller sichern sich daher ab und geben vorbeugende
Warnhinweise, wie "kann Spuren von Erdnusseiweiß enthalten". Allerdings ist eine überhand nehmende übervorsichtige Deklaration für den Allergiker nicht unbedingt eine Hilfe
und kann ihn unnötig beim Einkauf einschränken. Die Lösung dieses Problems wären regelmäßige Kontrollen der Inhaltsstoffe im Endprodukt mit hochempfindlichen Nachweismethoden, was jedoch aus technischen und finanziellen Gründen momentan nicht
durchführbar ist.
7.12.5 Zusammenfassung
Die seit November 2005 in Kraft getretene neue Kennzeichnungspflicht der EU für Lebensmittel ist ein Fortschritt, wenn sie auch noch nicht alle Probleme optimal löst. Die
wichtigsten Allergieauslöser müssen jetzt auch bei Zugabe kleiner Mengen deklariert
werden.
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8. Allergische Erkrankungen der Augen
8. Allergische Erkrankungen der Augen
8.1 Allergische Bindehautentzündung
8.2 Andere Formen der Bindehautentzündung
8.3 Kontaktekzem der Lider
8.4 Urtikaria und Quincke-Ödem
8.5 Zusammenfassung
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der allergischen Bindehautentzündung und anderen
Augenerkrankungen, die davon abgegrenzt werden müssen.
Tobias, acht Jahre alt, hat seit einigen Tagen gerötete Augen. Es ist Sommer und
schönster Sonnenschein. Immer wenn er längere Zeit im Freien gespielt hat, fangen die
Augen an zu jucken und zu tränen. Tobias reibt dann kräftig die Augen, dadurch werden
sie noch röter. Sehen kann der Junge ganz normal, Fieber hat er auch nicht. Bereits
letztes Jahr war die Bindehaut während der Sommerzeit immer wieder einmal gerötet
gewesen. So schlimm wie dieses Jahr war es jedoch nicht.
Die Mutter geht mit Tobias zur Kinderärztin. Diese vermutet eine allergische Bindehautentzündung und führt einen Hauttest durch. Dieser bestätigt die Verdachtsdiagnose: Es
handelt sich um eine allergische Bindehautentzündung, hervorgerufen durch eine
Gräserpollenallergie. Die Kinderärztin spricht ausführlich mit Tobias und seinen Eltern.
Die Gräserpollen sind in der Sommerzeit schwer zu meiden, da sie mit dem Wind über
weite Strecken durch die Luft getragen werden. Mit einigen Vorsichtsmaßregeln kann er
jedoch versuchen, den Pollenkontakt etwas zu reduzieren. Tobias erhält antiallergische
Augentropfen. Innerhalb einiger Tage sind die Beschwerden deutlich gebessert.
8.1 Allergische Bindehautentzündung
(allergische Konjunktivitis)
Die Bindehaut (Konjunktiva) ist der Teil des Auges, der am häufigsten von allergischen
Erscheinungen betroffen ist, da sie im unmittelbarem Kontakt mit der Außenwelt steht
und sehr gut durchblutet ist.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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8. Allergische Erkrankungen der Augen
8.1.1 Wie äußert sich eine allergische Bindehautentzündung?
Juckreiz, Augentränen, Brennen, Rötung und Schwellung der Bindehaut sind die Hauptsymptome einer allergischen Bindehautentzündung. Zusätzlich kann ein milchiger Ausfluss aus dem Auge sowie Lichtscheu vorhanden sein. Das Sehvermögen ist normalerweise nicht beeinträchtigt. Bei einer allergischen Konjunktivitis treten die Symptome fast
immer an beiden Augen auf. Die Symptome können sich isoliert nur am Auge oder aber
meist in Kombination mit einem allergischen Schnupfen im Rahmen eines Heuschnupfens
zeigen.
Eine allergische Bindehautentzündung kann saisonal zu einer bestimmten Jahreszeit
oder mehr oder weniger ganzjährig auftreten.
8.1.2 Was sind die Ursachen einer allergischen Bindehautentzündung ?
•
Pollen
Am häufigsten tritt eine allergische Bindehautentzündung im Rahmen eines Heuschnupfens bei einer Pollenallergie auf (siehe auch ÎKapitel 4.4). Beim klassischen Heuschnupfen besteht neben der Bindehautentzündung ein Schnupfen mit
laufender oder verstopfter Nase.
•
Ganzjährig vorkommende Allergieauslöser
Als ganzjährig vorkommende Allergieauslöser kommen hauptsächlich Hausstaubmilben (siehe ÎKapitel 12.2) sowie Haustiere (siehe ÎKapitel 12.3) in Frage.
•
Sonstige Auslöser
Prinzipiell kann jede Substanz, welche in die Bindehaut gelangt, eine allergische
Bindehautentzündung auslösen. Verantwortlich sind vor allem Medikamente z.B.
in Antibiotika in Augentropfen sowie Konservierungsmittel und Kosmetika.
Neben allergischen Sofortreaktionen können hierbei auch Reaktionen vom verzögerten Typ eine Rolle spielen. Oft sind dann auch die Augenlider mit einem
Lidekzem betroffen.
8.1.3 Wie wird eine allergische Bindehautentzündung diagnostiziert?
Die Anamnese ist oft schon hinweisend. Bei einem saisonalen Auftreten, begleitet von
Schnupfen, ist eine Pollenallergie sehr wahrscheinlich. Auch die Auslösung durch Haustiere ergibt sich meist schon aus der Vorgeschichte. Wichtig ist auch die Information, ob
örtlich am Auge Medikamente verabreicht wurden. Der Zusammenhang mit Hausstaubmilben bei ganzjährigem Auftreten ist oft nicht ohne weiteres herzustellen.
Mit dem Pricktest oder RAST wird bei Reaktionen vom Soforttyp nach Allergieauslösern
gefahndet. Vor allem Frühstadium der Erkrankung können diese allerdings unauffällig
sein, wenn nämlich zwar Allergieantikörper in der Bindehaut, jedoch nicht im Blut oder
der Haut vorhanden sind. Im Zweifelsfall wird eine konjunktivale Provokation durchgeführt: der vermutete Allergieauslöser wird auf die Bindehaut getropft, im positiven Falle
tritt eine Rötung und Tränenabsonderung ein. Bei Verdacht auf eine Reaktion vom
verzögerten Typ, beispielsweise wenn gleichzeitig ein Lidekzem vorliegt, wird ein PatchTest angelegt (siehe auch ÎKapitel 3).
8.1.4 Wie behandelt man eine allergische Bindehautentzündung?
1) Meidung des Allergieauslösers
An erster Stelle steht die Vermeidung der allergieauslösenden Stoffe. Dies ist bei einer
Tierallergie meist noch relativ einfach, wenn auch häufig sehr schmerzlich. Bei einer
durch Pollen ausgelösten Bindehautentzündung ist die Allergenvermeidung schon wesentlich schwieriger zu bewerkstelligen. Hinweise für die einzelnen Allergieauslöser finden Sie
in folgenden Kapiteln:
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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8. Allergische Erkrankungen der Augen
- Ratschläge für Pollenallergiker siehe ÎKapitel 12.1
- Ratschläge für Milbenallergiker siehe ÎKapitel 12.2
- Was ist zu tun bei Tierallergien? siehe ÎKapitel 12.3.
2) Augenspülung
Nach intensivem Kontakt mit Pollen oder anderen von außen ins Auge gelangten Allergieauslösern kann durch Ausspülen des Auges mit klarem Wasser ein Teil der Allergene
entfernt werden. Zudem bringt die Kühlung Linderung.
3) Medikamentöse Behandlung
• DNCG-Augentropfen
DNCG (= Dinatriumcromoglicinsäure, z.B. Cromo-ratiopharm®, DNCG Trom®, Fenistil®
Augentropfen Cromoglicin, Opticrom®, Vividrin®) hemmt die Ausschüttung von Histamin
und wirkt nur vorbeugend. Die Behandlung sollte daher bereits einige Tage vor dem
erwarteten Pollenflug, spätestens bei den ersten Symptomen beginnen. Die Anwendung
muss zumindest während der Zeiten mit starkem Pollenflug viermal täglich erfolgen.
DNCG ist sinnvoll bei leichter Bindehautentzündung ist auch bei Langzeitanwendung sehr
gut verträglich. Lodoxamid (Alomide® Augentropfen) wirkt ähnlich wie DNCG.
• Nedocromil
Nedocromil (Irtan® Augentropen) hat im Vergleich zu DNCG zusätzlich eine antientzündliche Wirkung und einen schnellen Wirkungseintritt.
• Antihistaminika
Antihistaminika blockieren die Wirkung des Histamins und dämpfen so die allergische
Reaktion. Zur örtlichen Anwendung als Augentropen stehen z.B. Allergodil® , Emadine®
und Livocab® zur Verfügung. Sie haben in der medikamentösen Therapie der allergischen
Bindehautentzündung die größte Bedeutung.
• Kortikoide
In ganz schweren und hartnäckigen Fällen muss manchmal auf Kortikoide zurückgegriffen werden. Sie haben bei allen Formen der allergischen Bindehautentzündung eine
sehr gute Wirkung. Sie sollten jedoch möglichst nur örtlich als Augentropfen oder Augensalbe, kurzzeitig und möglichst unter Überwachung eines Augenarztes eingesetzt werden.
Die Gefahren bei längerdauernder Anwendung sind eine vermehrte Anfälligkeit des Auges
für Infektionen, Trübungen der Linse und Erhöhung des Augeninnendrucks. Die innerliche
Behandlung mit Kortikoiden muss absoluten Ausnahmefällen vorbehalten bleiben.
• Schleimhaut abschwellende Mittel
Bei heftigen Reaktionen können zur Akutbehandlung für kurze Zeit auch schleimhautabschwellende Augentropfen verwendet werden (z.B. Berberil®, Ophtalmin®, Yxin®). Sie
führen über eine Verengung der Blutgefäße zu einer Linderung des Juckreizes und einem
Nachlassen der Rötung. Eine Dauerbehandlung mit diesen Stoffen ist nicht sinnvoll, da es
dann nach einer kurzen Drosselung der Durchblutung zu einer überschießenden Durchblutung der Bindehaut kommt. Da die schleimhautabschwellenden Augentropfen nicht in
das eigentliche allergische Geschehen eingreifen, wurde die Anwendung dieser Substanzen auch als "Bindehautkosmetik" bezeichnet.
Problematisch ist auch die häufig geübte Anwendung von Kamillebädern am Auge.
Bestimmte Kamillearten wie die Hundskamille können nämlich Kontaktallergien auslösen.
4) Hyposensibilisierung
Die Pollenallergie ist das klassische Anwendungsgebiet der Hyposensibilisierungsbehandlung (siehe auch ÎKapitel 13). Bei der Hyposensibilisierung wird dem Körper in
steigender Dosis der Allergieauslöser verabreicht, bis das Immunsystem nicht mehr
allergisch auf ihn reagiert. Goldstandard ist die subkutane Hyposensibilisierung, bei der
die Allergene unter die Haut gespritzt werden. Auch bei Milben- und Tierallergien kommt
eine Hyposensibilisierung in Frage, wenn der Allergieauslöser nicht ausreichend zu
meiden ist.
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8. Allergische Erkrankungen der Augen
8.1.5 Wovon muss eine allergische Bindehautentzündung abgegrenzt werden?
Die allergische Bindehautentzündung muss vor allem von der infektiösen Bindehautentzündung abgegrenzt werden. Meist sind Viren oder Bakterien die Ursache. In beiden
Fällen besteht eine Rötung der Bindehaut. Bei durch Viren hervorgerufenen Entzündungen ist die Absonderung meist klar, bei bakteriell bedingten Entzündungen meist
eitrig-trüb. In unklaren Fällen muss der Augenarzt klären, ob nur die Bindehaut oder
auch innere Strukturen des Auges oder die Hornhaut mitbetroffen sind. Vor allem bei
einer einseitig auftretenden Augenrötung muss an nichtallergische Ursachen gedacht
werden! Die eitrige Bindehautentzündung wird mit antibiotischen Augentropen behandelt.
8.2 Weitere Formen der Bindehautentzündung
8.2.1 Frühjahrskonjunktivitis (vernale Keratokonjunktivitis)
Die Frühjahrskonjunktivitis kommt bei uns sehr selten, in trockenen, warmen, südlichen
Ländern häufiger vor. Die meisten Patienten sind zwischen fünf und fünfzehn Jahre alt.
Es besteht ein außerordentlicher Juckreiz (die Patienten möchten sich "die Augen auskratzen"), außerdem neben einer Augenrötung und Tränenfluss ein Fremdkörpergefühl
und Lichtscheu. Charakteristisch bei der Untersuchung ist ein "pflastersteinähnliches"
Aussehen der Bindehaut im Bereich des Oberlides. Zwei Drittel der Patienten weisen eine
atopische Veranlagung auf. Die Therapie entspricht der Behandlung der allergischen
Konjunktivitis.
8.2.2 Riesenpapillenkonjunktivitis bei Kontaktlinsenträgern
Diese Form der Konjunktivitis kommt vor allem bei Trägern harter und weicher Kontaktlinsen vor. Als Auslöser angeschuldigt werden Eiweißablagerungen auf der Kontaktlinse,
die zu einer allergischen Reaktion führen. Die Symptomatik entspricht der Frühjahrskonjunktivitis. Sobald keine Kontaktlinsen mehr getragen werden, verschwindet diese
Form der Bindehautentzündung wieder von selbst.
8.2.3 Atopische Keratokonjunktivitis
Die atopische Keratokonjunktivitis (= Entzündung von Binde- und Hornhaut) kommt bei
Neurodermitikern ab dem Alter von etwa 10 Jahren vor. Es bestehen Schmerzen, ein
Fremdkörpergefühl, Jucken, Brennen sowie eine wässrige bis schleimige Absonderung.
Die atopische Keratokonjunktivitis tritt beidseitig und ganzjährig auf. Wegen der oft
bestehenden Hornhautbeteiligung bedarf sie regelmäßiger augenärztlichen Kontrollen.
Behandelt wird mit antiallergischen Augentropfen, häufig ist die örtliche Anwendung von
Kortikoiden erforderlich.
8.3 Kontaktekzem der Lider
Kontaktallergien an den Augenlidern können sich in leichten Fällen lediglich als eine
Rötung und Schuppung äußern. In ausgeprägteren Fällen besteht eine Rötung, Bläschenbildung, Nässen der Haut und Schwellung der Augenlider, evtl. auch des umgebenden
Gewebes. Auch die Bindehaut kann mitbetroffen sein. Es handelt sich um eine Typ IVAllergie vom verzögerten Typ.
Als Ursache kommen hauptsächlich in Kosmetika enthaltene Farbstoffe, Duftstoffe und
Konservierungsstoffe sowie Medikamente in Betracht. Die Diagnostik beinhaltet nach
genauer Erhebung der Anamnese eine Austestung der in Frage kommenden Substanzen
mit dem Patch-Test. Die Therapie besteht in der konsequenten Meidung der auslösenden
Substanz(en).
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8. Allergische Erkrankungen der Augen
8.4 Urtikaria und Quincke-Ödem
Im Rahmen allergischer Sofortreaktionen kann ein Nesselausschlag (= Urtikaria) im
Bereich der Augenlider vorkommen. Wenn tiefere Gewebsschichten im Bereich des
Gesichts von der Schwellung betroffen sind spricht man von einem Quincke-Ödem.
Beispiele für Auslöser sind eine Insektengiftallergie oder eine Nahrungsmittelallergie. Die
Behandlung richtet sich nach den im Vordergrund stehenden Organsymptomen (z.B.
Asthmaanfall, Kreislaufprobleme) sowie nach dem zugrundeliegenden Auslöser.
8.5 Zusammenfassung
Eine allergische Bindehautentzündung äußert sich mit Juckreiz, Augenrötung, Augentränen und Augenbrennen, eventuell verbunden mit einem milchigen Ausfluss. Am
häufigsten tritt sie bei einer Pollenallergie im Rahmen eines Heuschnupfens auf.
Kontaktallergien vor allem durch Kosmetika und Medikamente können sich im Bereich
der Augenlider mit eventueller Beteiligung der Bindehaut abspielen.
Die bei uns sehr seltene Frühjahrskonjunktivitis tritt meist bei Jugendlichen vor der
Pubertät in trockenen, warmen, südlichen Ländern auf. Es zeigt sich vor allem ein
quälender Juckreiz.
Die Riesenpapillenkonjunktivitis findet sich vor allem bei Trägern von Kontaktlinsen.
Sie bildet sich nach Entfernung der Kontaktlinsen zurück.
Die atopische Keratokonjunktivitis ist eine mögliche Komplikation einer Neurodermitis
ab dem Alter von etwa 10 Jahren.
Im Rahmen allergischer Allgemeinreaktionen beispielsweise bei Insektengift- oder
Nahrungsmittelallergien können eine Schwellung der Augenlider oder sogar des ganzen
Gesichtes (Quincke-Ödem) auftreten.
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9. Insektengiftallergien
9. Insektengiftallergien
9.1 Welche Insekten lösen in unseren Breiten Allergien aus?
9.2 Welche Symptome können sich nach einem Insektenstich zeigen?
9.3 Welche Mechanismen spielen sich im Körper ab?
9.4 Wie wird die Diagnose einer Insektengiftallergie gestellt?
9.5 Was tun bei einer Insektengiftallergie?
9.6 Zusammenfassung
Glücklicherweise sind die meisten Insektenstiche zwar schmerzhaft, aber nicht bedrohlich. Es können jedoch auch gefährliche allergische Reaktionen auftreten. Dieses Kapitel
informiert über Symptome, Diagnose und Therapie von Insektengiftallergien.
Die fünfjährige Elvira spielt bei herrlichem Wetter draußen im Garten auf der Wiese. Sie
ist durstig und holt sich von der Mutter ein Glas Apfelsaft. Nach kurzer Zeit hört Elviras
Mutter ein lautes Schreien im Garten. Elvira kommt ins Haus gerannt. Sie hat eine dicke
Unterlippe. Die Mutter kann von Elvira noch erfahren, dass ein Insekt herumgeflogen sei
und sich auf das Apfelsaftglas gesetzt habe. Plötzlich habe die Unterlippe heftig geschmerzt. Dann fängt Elvira an, sich überall zu kratzen und die Mutter entdeckt am ganzen Körper rote Flecken.
Die Mutter ruft bei der Kinderärztin an und diese gibt die Anweisung, sofort in die nahegelegene Praxis zu kommen. Dort erhält Elvira ein Antihistaminikum und ein Kortisonpräparat. Elvira wird mit dem Krankenwagen in die Kinderklinik gebracht. Die Symptome
bilden sich zum Glück innerhalb der nächsten Stunden zurück. Elvira muss jedoch zur
Sicherheit noch bis zum nächsten Tag bleiben.
9.1 Welche Insekten lösen in unseren Breiten Allergien
aus?
In Mitteleuropa kommen hauptsächlich die Honigbiene (Apis mellifica) und die Wespe
(Gattung Vespula) als Auslöser von bedrohlichen Insektengiftallergien in Betracht. Allergieauslöser ist das jeweilige Insektengift. Zwischen Wespengift und Hornissengift können
Kreuzallergien bestehen. Ebenso zwischen dem Gift der Bienen und Hummeln, wobei
Hummelstiche sehr selten sind. Die Honigbiene hat einen behaarten Körper und braunen
Hinterleib, der Körper der Wespe weist eine schwarzgelbe Bänderung auf. Die Zusammensetzung des Bienengifts ist auf der ganzen Erde dieselbe, das Wespengift kann auf
verschiedenen Kontinenten unterschiedlich sein. In fremden Ländern kann es jedoch zu
Kreuzreaktionen z.B. mit Ameisengift kommen.
Insektengifte bestehen aus unterschiedlichen Bestandteilen. Einige Substanzen setzen
direkt Histamin frei und bewirken auch bei Nichtallergikern örtliche Reaktionen. Eiweißbestandteile sind für die eigentlichen allergischen Reaktionen verantwortlich.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
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9. Insektengiftallergien
Die Häufigkeit von Insektengiftallergien mit Allgemeinreaktionen (= Reaktionen, die von
der Stichstelle entfernt auftreten) liegt zwischen 0,8% und 5%, und dürfte bei Kindern
bei ca. 1% liegen. Verstärkte Lokalreaktionen (= örtliche Reaktionen im Bereich der Einstichstelle) sind mit 10 bis 20% wesentlich häufiger.
Andere Insekten wie Mücken, Bremsen und Schnaken können zwar auch starke, zum Teil
über Tage anhaltende Schwellungen an der Einstichstelle verursachen. Dabei handelt es
sich jedoch um eine von Person zu Person sehr unterschiedliche toxische Reaktion des
Giftes, zum Teil sind auch immunologische Mechanismen beteiligt. Allergische Allgemeinreaktionen gegen diese Insekten sind extrem selten.
9.2 Welche Symptome können sich nach einem Insektenstich zeigen?
Die Reaktionen auf einen Insektenstich werden je nach Schweregrad eingeteilt in:
•
Lokalreaktion
An der Einstichstelle tritt eine Rötung oder Schwellung auf. Dies ist nach den
meisten Insektenstichen der Fall und völlig normal.
•
Verstärkte Lokalreaktion
An der Einstichstelle entsteht eine erhebliche Rötung und Schwellung mit einem
Durchmesser von mehr als 10 cm, die mehr als 24 Stunden anhält. Sie kann sich
auf das ganze betroffene Körperglied ausdehnen und mit einer Infektion verwechselt werden.
•
Leichte bis mittelschwere Allgemeinreaktion
Bei der leichten Allgemeinreaktion zeigen sich von der Einstichstelle entfernt Nesselausschlag (Urtikaria), Gesichtsschwellung (Quincke-Ödem), Juckreiz, bei der
mittelschweren Allgemeinreaktion zusätzlich Übelkeit oder leichte Atemnot. Kreislaufprobleme bestehen jedoch nicht.
•
Schwere Allgemeinreaktion
Zusätzlich treten starke Übelkeit, Erbrechen, Atemnot, Kreislaufkollaps bis zum
Schock auf. Diese Zustände können lebensbedrohlich werden, Todesfälle sind bei
Kindern jedoch extrem selten.
9.3 Welche Mechanismen spielen sich im Körper ab?
Die überwiegende Anzahl der Allgemeinreaktionen sind echte allergische Reaktionen,
das heißt es werden Allergieantikörpern gebildet, welche zur Freisetzung von körpereigenem Histamin und anderen Mittlersubstanzen der allergischen Reaktion mit zum Teil
lebensbedrohlichen Reaktionen führen. Es lassen sich im Haut- oder Bluttest Allergieantikörper gegen das jeweilige Insektengift nachweisen.
Toxische Reaktionen entstehen durch eine direkte Wirkung großer Mengen des Insektengiftes. Es wird geschätzt, dass bei einem Erwachsenen wohl mehr als 50 Stiche notwendig sind, um eine toxische Allgemeinreaktion auszulösen. Ein Kleinkind kann jedoch
schon bei einer erheblich geringen Anzahl reagieren. Gefährliche toxische Reaktionen
sind selten. Bei toxischen Reaktionen lassen sich keine Allergieantikörper nachweisen.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
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9. Insektengiftallergien
9.4 Wie wird die Diagnose einer Insektengiftallergie gestellt?
1) Anamnese
Für die Diagnosestellung sind für den Arzt folgende Angaben wichtig: In welchen Körperteil hat das Insekt gestochen? Bei Stichen im Kopf- oder Halsbereich ist das Risiko
schwerer Reaktionen größer. In welchem zeitlichen Ablauf haben sich welche Symptome
gezeigt? Wie hat das Insekt ausgesehen? Ist ein Stachel zurückgeblieben? Nach einem
Bienenstich bleibt der Stachel meist in der Haut stecken, was jedoch kein absolut sicheres Unterscheidungsmerkmal zwischen Bienen- und Wespenstichen ist. Bienenstiche
kommen besonders häufig im Frühjahr und Frühsommer vor, Wespenstiche im Sommer
und Herbst.
2) Allergietestung
Nach jeder leichten und schweren Allgemeinreaktion nach einem Bienen- oder Wespenstich muss eine Allergietestung erfolgen. Durch eine allergische Reaktion werden die
allergieauslösenden IgE-Antikörper verbraucht und können unmittelbar nach dem Ereignis unter Umständen nicht mehr nachgewiesen werden. Daher wird die Testung etwa vier
Wochen nach dem letzten Stich durchgeführt. In der Zwischenzeit wird eine Notfallapotheke (siehe unten) verordnet, um bei eventuellen erneut auftretenden Stichen sofort
Gegenmaßnahmen treffen zu können. Mit Bluttests (RAST) und Hauttests (Pricktest, Intrakutantest) wird nach Allergieantikörpern gefahndet. Es muss geklärt werden, ob Allergieantikörper vorhanden und gegen welches Insekt sie gerichtet sind. Zusammen mit der
Vorgeschichte wird dann das Risiko schwerer Reaktionen auf weitere Stiche abgeschätzt
und die Therapie festgelegt. In besonderen Fällen führen manche Kliniken zur Risikoabschätzung auch Provokationsstiche mit lebenden Insekten durch.
9.5 Was tun bei einer Insektengiftallergie?
1) Insektenstichen vorbeugen
Folgende Maßnahmen sollten zur Vermeidung von Insektenstichen ergriffen werden:
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Keine süßen Getränke und Speisen im Freien verzehren. Vor allem nicht aus einer
Büchse trinken, in die leicht eine Biene oder Wespe unbemerkt hineinkriechen kann.
Im Freien nicht barfuss laufen (Bienen halten sich vor allem in Kleewiesen auf).
Im Freien keine bunte Kleidung tragen (gelb ist besonders anziehend für Bienen).
Körper möglichst bedeckt halten (langärmelige Bekleidung, geschlossene Schuhe).
Sollte ein Insekt auftauchen, Ruhe bewahren. Das Schlagen nach dem Insekt fördert
seine Bereitschaft zum Stich, vor allem bei Wespen.
Die Nähe von Abfalleimern und Bäumen mit Fallobst meiden (häufiger Aufenthaltsort
von Wespen).
Auch Duftstoffe in Parfüms und anderen Kosmetika können Insekten anlocken.
Schlafzimmerfenster tagsüber geschlossen halten oder Insektengitter anbringen.
2) Maßnahmen nach einem Insektenstich
ÎAllgemein: Eventuell verbliebenen Stachel mit einer Kratzbewegung entfernen. Sofortige Kühlung kann eine Schwellung abmildern.
ÎVerstärkte Lokalreaktion: zusätzlich ein Antihistaminikum, evtl. ein Kortisonpräparat
einnehmen.
ÎAllgemeinreaktion: Kinder, die eine Allgemeinreaktion erlitten haben und keinen
bzw. noch keinen ausreichenden Schutz durch eine Hyposensibilisierung aufweisen, müssen während der Bienen- und Wespenzeit immer eine Notfallapotheke mit schriftlicher
Dosierungsanweisung mit sich führen. Diese enthält ein Antihistaminikum (z.B.
Zyrtec®), ein Kortisonpräparat (je nach Alter als Tablette, Saft oder Rectiole) und
Adrenalin (ein die Bronchien erweiterndes und kreislaufstützendes Medikament in
Spray- oder Spritzenform). Bei schweren Allgemeinreaktionen muss Adrenalin als Spritze
verabreicht werden. Die Anwendung des Adrenalins muss geübt werden. Bei schweren
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9. Insektengiftallergien
Symptomen den Notarzt rufen. Nach einer Allgemeinreaktion muss auf jeden Fall ein Arzt
aufgesucht werden.
Anwendung der Notfallapotheke:
• Besteht kein Schutz durch eine Hyposensibilisierung, wird die Notfallapotheke sofort
nach einem erneuten Stich angewendet: zunächst das Antihistaminikum und das Kortisonpräparat, bei schweren Allgemeinreaktionen zusätzlich Adrenalin als Spritze.
• Besteht ein stabiler Schutz durch eine Hyposensibilisierung muss in der Regel keine
Notfallapotheke mitgeführt werden.
3) Hyposensibilisierung
Bei einer Hyposensibilisierung (siehe auch ÎKapitel 13) wird mit einer Erfolgsquote von
über 90% das allergieauslösende Gift in steigender Dosis unter die Haut gespritzt, bis der
Körper nach einer gewissen Zeit nicht mehr auf das Insektengift reagiert. Bei schweren
Allgemeinreaktionen mit Nachweis von Allergieantikörpern ist dies die Therapiemethode
der Wahl. Bei leichten bis mittelschweren Allgemeinreaktionen wird hyposensibilisiert,
wenn zusätzliche Risikofaktoren wie eine Imkerei in der Umgebung vorliegen oder Probleme bei der Anwendung der Notfallapotheke bestehen. Die Dauer der Hyposensibilisierung beträgt 3 bis 5 Jahre. Bei Behandlungsbeginn während der Bienen- oder Wespensaison wird die Hyposensibilisierung als Schnellhyposensibilisierung unter stationären Bedingungen begonnen, um möglichst rasch eine schützende Wirkung zu erzielen. Danach
wird die Behandlung ambulant weitergeführt. Je jünger ein Kind ist, desto besser ist jedoch die Chance, dass sich die Allergie wieder verflüchtigt. Bei Kindern mit leichten Allgemeinreaktionen wird daher in der Regel unter dem Schutz einer Notfallapotheke und
jährlichen Kontrollen des Allergietests zunächst der weitere Verlauf abgewartet.
9.6 Zusammenfassung
In Deutschland sind hauptsächlich Bienen und Wespen, nur selten Hummeln und Hornissen Auslöser von Insektengiftallergien. Eine Rötung und Schwellung im Bereich der
Einstichstelle (Lokalreaktion) ist harmlos. Ist diese größer als 10 cm, liegt eine verstärkte
Lokalreaktion vor. Gefährlich sind Allgemeinreaktionen in Form von Nesselausschlag,
Gesichtsschwellungen, Atemnot und Kreislaufproblemen. Hier muss auf jeden Fall eine
Allergiediagnostik erfolgen. Ist aufgrund der Vorgeschichte und der Allergietestung mit
weiteren Allgemeinreaktionen zu rechnen, wird eine Notfallapotheke verordnet, um im
Bedarfsfalle rasch handeln und Schockreaktionen abfangen zu können. Die Hyposensibilisierung ist nach schweren Allgemeinreaktionen die Therapiemethode der Wahl. Je jünger
ein Kind ist, desto besser ist jedoch die Chance, dass sich die Allergie wieder abschwächt.
Bei Kindern mit leichten Allgemeinreaktionen wird daher in der Regel unter dem Schutz
einer Notfallapotheke und jährlichen Kontrollen des Allergietests zunächst der weitere
Verlauf abgewartet.
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10. Arzneimittelallergien
10. Arzneimittelallergien
10.1 Welche Formen der Arzneimittelunverträglichkeit gibt es?
10.2 Arzneimittelbedingte Hautausschläge
10.3 Pseudoallergische Überempfindlichkeitsreaktionen
10.4 Wie diagnostiziert man Arzneimittelallergien?
10.5 Behandlung von Medikamentenallergien
10.6 Vorbeugung von Arzneimittelallergien
10.7 Zusammenfassung
Dieses Kapitel informiert Sie über im Kindesalter wichtige Arzneimittelallergien und
Arzneimittelunverträglichkeiten.
Der dreijährige Michael muss wegen einer heftigen Mittelohrentzündung einen
Amoxicillin-Saft einnehmen. Nach zwei Tagen geht es ihm bereits deutlich besser. Nach 1
Woche bemerkt Michaels Mutter einen Hautausschlag zunächst im Brustbereich, der sich
innerhalb eines Tages auf den ganzen Körper ausbreitet. Michael kratzt sich gelegentlich,
ansonsten geht es ihm gut. Die Mutter bringt Michael wieder zum Kinderarzt und ist
besorgt, ob der Junge nicht eine Penicillinallergie entwickelt haben könnte. Michael wird
gründlich untersucht. Der Kinderarzt kann die Mutter beruhigen. Es handle sich um einen
sogenannten Amoxicillinausschlag, der sich in etwa 5 bis 10% aller Behandlungen mit
diesem ansonsten sehr gut verträglichen Präparat entwickle. Der Ausschlag sei harmlos
und habe mit einer ernstzunehmenden Penicillinallergie nichts zu tun.
10.1 Welche Formen der Arzneimittelunverträglichkeit gibt
es?
Der Überbegriff für sämtliche unerwünschte Reaktionen auf Arzneimittel ist die Arzneimittelunverträglichkeit. Dahinter verbergen sich eine Vielzahl unterschiedlicher Reaktionen auf Medikamente mit verschiedenen klinischen Symptomen und unterschiedlichen Ursachen und Mechanismen:
10.1.1 Arzneimittelallergie
Eine Arzneimittelallergie ist eine Medikamentenüberempfindlichkeit, die durch eine
überschießende Abwehrreaktion des Immunsystems verursacht wird. Ein klassisches Beispiel ist die Penicillinallergie vom Soforttyp mit Hautausschlag, Atemnot und Kreislaufkollaps, welche aber bei Kindern zum Glück extrem selten ist. Voraussetzung für das
Entstehen einer Medikamentenallergie ist eine allergische Reaktionsbereitschaft des
Körpers.
10.1.2 Toxische Arzneimittelreaktion
Unter einer toxischen Arzneimittelreaktion versteht man Nebenwirkungen, die bei
einer Überdosierung eines Medikaments auftreten. Eine toxische Medikamentenreaktion
ist bei entsprechender Dosierung praktisch bei jeder Person auszulösen. Ein Beispiel ist
die Reizung der Magenschleimhaut durch Acetylsalicylsäure (z.B. Aspirin®).
10.1.3 Pseudoallergische Arzneimittelreaktion
Unter dem Begriff pseudoallergische Arzneimittelreaktion werden die übrigen, nicht
allergischen Überempfindlichkeitsreaktionen auf Medikamente zusammengefasst. Sie
können in ihren Auswirkungen allergischen Reaktionen ähneln. Ein Beispiel ist die Über© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 10-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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10. Arzneimittelallergien
empfindlichkeitsreaktion auf Acetylsalicylsäure mit Hautausschlag und Atemnot (Acetylsalicylsäureintoleranz).
10.1.4 An welchen Organen kann sich eine Arzneimittelallergie und Arzneimittelpseudoallergie abspielen?
Eine Medikamentenüberempfindlichkeit in Form einer Allergie oder Pseudoallergie kann
sich unabhängig vom auslösenden Mechanismus prinzipiell an allen Organen abspielen.
Besonders häufig betroffen ist die Haut, bei schweren Allgemeinreaktionen reagieren
meist die Bronchien und das Kreislaufsystem in Form von Atemnot und Kreislaufkollaps
mit. Selten kommt zu einem Abbau von roten Blutkörperchen oder Blutplättchen oder zu
anhaltendem Fieber, das erst abfällt, wenn das Medikament abgesetzt wird (Medikamentenfieber). Daneben können spezielle Überempfindlichkeitsreaktionen an Lunge,
Leber und Niere ablaufen.
Im Folgenden werden einige im Kindes- und Jugendalter wichtige MedikamentenÜberempfindlichkeiten besprochen.
10.2 Arzneimittelbedingte Hautausschläge
Die häufigste Ursache medikamentenbedingter Hautausschläge bei Kindern und Jugendlichen sind Antibiotika.
10.2.1 Der Amoxicillinausschlag
Was ist ein Amoxicillinausschlag?
Der Amoxicillinausschlag ist einer der häufigsten medikamentenbedingten Hautausschläge im Kindesalter. Er tritt bei etwa 5 bis 10% der Personen auf, welche dieses
Breitspektrumpenicillin einnehmen müssen. Bei Patienten mit Pfeifferschem Drüsenfieber,
die Amoxicillin bekommen, zeigt er sich sogar in einer Häufigkeit von bis zu 90%. Er
äußert sich meist in roten Flecken und kleinen roten Knötchen. Der Amoxicillinausschlag
kann zwar eindrucksvoll aussehen und jucken, ist aber nicht gefährlich. Er entsteht durch
das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Infektionserregern und dem Medikament.
Amoxicillin ist z.B. in Amoxypen®, Amoxi-Wolff® u.a. enthalten. Die Diagnose wird durch
die Anamnese, den Befund und den Verlauf gestellt. Einen zuverlässigen Haut- oder
Bluttest gibt es hierfür nicht.
Darf man nach einem Amoxicillinausschlag kein Penicillin mehr einnehmen?
Der Amoxicillinausschlag hat mit einer Penicillinallergie vom Soforttyp, welche lebensbedrohliche Erscheinungen verursachen kann, nichts zu tun. Falls notwendig, kann die
antibiotische Behandlung sogar fortgeführt werden. Bei starkem Juckreiz kann ein
Antihistaminikum (z.B. Aerius®, Fenistil®, Telfast®, Xusal®) verabreicht werden. Wenn
später einmal eine erneute Behandlung mit Amoxicillin erforderlich werden sollte, kann
dieses Medikament wieder eingesetzt werden mit einem erneuten fünf- bis zehnprozentigen Risiko eines Arzneimittelausschlags.
10.2.2 Arzneimittelausschläge anderer Ursache
Weitere Auslöser von Arzneimittelausschlägen
Neben dem häufigen Amoxicillinausschlag gibt es noch eine ganze Reihe anderer
Medikamentenausschläge allergischer und nicht allergischer Art. Weitere Antibiotika wie
Cotrimoxazol (z.B. Bactrim®, Cotrim-ratiopharm®, Eusaprim®) können die Ursache sein,
ebenso Medikamente gegen Krampfanfälle wie Phenytoin (z.B. Phenhydan®, Zentropil®)
oder Carbamazepin (z.B. Sirtal®, Tegretal®, Timonil®), außerdem noch viele andere
innerlich einzunehmende Medikamente. Es können sich rote Flecken, Nesselausschlag,
Knötchen oder Bläschen zeigen. Es gibt Ausschläge, die bei Einnahme des Medikaments
immer an der selben Stelle auftreten (fixes Arzneimittelexanthem).
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 10-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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10. Arzneimittelallergien
Durch örtlich verabreichte Medikamente kann ein allergisches Kontaktekzem entstehen
(siehe ÎKapitel 6.3). Wird eine allergische Reaktion an der Haut in Zusammenspiel mit
Sonnenlicht ausgelöst, spricht man von einer photoallergischen Reaktion (siehe ÎKapitel
6.5.2).
Welche Arzneimittelausschläge sind gefährlich?
Bei Kindern treten immer wieder Hautausschläge auf, wenn z.B. wegen einer Mittelohrentzündung oder einer Lungenentzündung Antibiotika verabreicht werden. Die meisten
dieser Hautreaktionen sind nicht gefährlich und werden entweder durch eine der
Erkrankung zugrunde liegende Virusinfektion oder das Zusammenwirken von Virusinfektion und Antibiotikum hervorgerufen. Hautausschläge durch Medikamente gegen
Krampfanfälle müssen ernster genommen werden. Immer wenn neben Hauterscheinungen auch Symptome an anderen Organen wie Atemnot oder Kreislaufschwäche
oder eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes auftauchen, sollten Sie rasch
ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Ebenso wenn sich an der Haut große Blasen bilden
(Lyell-Syndrom).
10.3 Pseudoallergische Überempfindlichkeitsreaktionen
Bei pseudoallergischen Überempfindlichkeitsreaktionen sind keine allergieauslösenden
Antikörper nachweisbar. Sie können jedoch genauso bedrohlich werden wie echte
allergische Reaktionen auf Medikamente.
10.3.1 Acetylsalicylsäureintoleranz
Die siebenjährige Tina wacht am Morgen mit einem stark geschwollenen Gesicht auf. Am
Abend zuvor hatte sie wegen Kopfschmerzen eine halbe Tablette Aspirin® eingenommen.
Tinas Eltern erschrecken und bringen Tina, da es Wochenende ist, in die nahegelegene
Kinderklinik. Dort wird Tina einen Tag stationär überwacht. Die Gesichtsschwellung bildet
sich innerhalb einiger Stunden zurück, weitere Symptome treten nicht auf. Es wird die
Verdachtsdiagnose einer Acetylsalicylsäureintoleranz gestellt. In 3 Wochen ist ein
stationärer Belastungstest geplant.
Was ist eine Acetylsalicylsäureintoleranz?
Die Acetylsalicylsäureintoleranz ist eine Form der pseudoallergischen Arzneimittelüberempfindlichkeit ohne Beteiligung von allergieauslösenden Antikörpern. Weitere Beispiele
sind Reaktionen auf Röntgenkontrastmittel oder Mittel zur örtlichen Betäubung. Die
Acetylsalicylsäure ist eines der bekanntesten Schmerz Fieber- und Rheumamittel (z.B.
Aspirin®, ASS-ratiopharm®, daneben in vielen Kombinationspräparaten enthalten).
Typischerweise kommt es zu einem Nesselausschlag, einer Gesichtsschwellung (QuinckeÖdem) und Atemnot. Besonders gefährdet sind Personen mit Asthma bronchiale, diese
sollten daher grundsätzlich keine Acetylsalicylsäure einnehmen. Die Diagnose kann nur
durch einen Belastungstest geklärt werden, Hauttests oder Bluttests sind hier nicht
aussagekräftig. Die Symptome einer Acetylsalicylsäureintoleranz müssen mit Kortikoiden
abgefangen werden, Antihistaminika sind bei dieser Form der Medikamentenüberempfindlichkeit nicht sehr wirksam. Die Acetylsalicylsäure muss streng gemieden werden.
Zu achten ist auch auf Kreuzreaktionen mit anderen Schmerz- und Rheumamitteln (den
sogenannten nichtsteroidalen Antirheumatika).
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 10-3
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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10. Arzneimittelallergien
10.4 Wie diagnostiziert man Arzneimittelallergien?
Entscheidend ist die sorgfältige Medikamentenanamnese. Welche Medikamente
wurden verabreicht? Wann sind welche Symptome aufgetreten? Welche anderen Begleitumstände haben vorgelegen?
Bei allergischen Sofortreaktionen ist der Nachweis von IgE-Allergieantikörpern im
Bluttest (RAST) zur Zeit nur für Penicilline zuverlässig durchführbar. Ein Problem ist,
nach dem richtigen Antikörper zu suchen. Oft ist nämlich nicht die Ursprungssubstanz für
die Unverträglichkeitsreaktion verantwortlich, sondern Ab- und Umbauprodukte des
Medikaments, die erst im Körper entstehen. Bei speziellen Fragestellungen können auch
weiße Blutkörperchen im Labor mit dem Medikament in Kontakt gebracht und die
Freisetzung von Histamin und anderer Mittlersubstanzen der allergischen Reaktion
untersucht werden (Histamin-Freisetzungstest).
Hauttests in Form von Prick- und Intrakutantest zur Abklärung von Soforttypallergien
sind bisher nur für Penicillin und örtliche Betäubungsmittel standardisiert. Ein negativer
Hauttest schließt in diesen Fällen eine schwere Reaktion auf das Arzneimittel mit hoher
Wahrscheinlichkeit aus. Ein positiver Test bedeutet jedoch nicht in jedem Fall, dass bei
erneuter Medikamenteneinnahme eine schwere Reaktion eintritt. Medikamente, die
Kontaktallergien auslösen, können mit dem Patch-Test ausgetestet werden. Bei einem
klassischen Amoxicillinausschlag erübrigt sich eine weitere Testung.
In den meisten Fällen bleibt zur Klärung nur ein Provokationstest mit dem angeschuldigten Medikament. Pseudoallergische Reaktionen können nur durch eine
Provokation abgeklärt werden, da bei dieser Reaktionsform keine Antikörper im Blut
gebildet werden, die nachgewiesen werden könnten. Der Einsatz von Provokationstests
ist jedoch bei schweren Reaktionen in der Vorgeschichte gut zu überlegen und darf dann
nur unter optimaler Überwachung geschehen.
10.5 Behandlung von Medikamentenallergien
Das auslösende Medikament sowie eventuell chemisch verwandte Substanzen dürfen
nicht mehr angewendet werden. Der Betroffene erhält einen Allergiepass, den er bei
jeder Behandlung bei einem fremden Arzt vorlegen muss. Bei einem Medikamentenausschlag kann in leichten Fällen ein Antihistaminikum gegeben werden, bei schwereren
Fällen ist eine Kortisongabe notwendig. Bei schweren Allgemeinreaktionen wie Asthmaanfall oder Kreislaufschock ist eine Notfalltherapie mit bronchialerweiternden und kreislaufstabilisierenden Medikamenten erforderlich.
10.6 Vorbeugung von Arzneimittelallergien
Medikamente sind in vielen Situationen lebensrettend und lebenserhaltend. Manche
Medikamente können jedoch auch ernste Nebenwirkungen verursachen. Man muss sich
daher immer auch fragen, ob bei leichteren Störungen unbedingt ein Medikament eingesetzt werden muss, z.B. bei Fieber, welches das Kind nicht oder nur wenig beeinträchtigt.
Auf der anderen Seite darf durch eine übertriebene Ablehnung von Medikamenten eine
notwendige Behandlung nicht versäumt werden, beispielsweise die Behandlung von
Krampfanfällen oder einer Lungenentzündung. Der kompromisslose Verweis auf Naturheilmittel hilft auch nicht unbedingt weiter: auch Naturheilmittel können starke Allergieauslöser sein wie beispielsweise bestimmte Kamillearten.
Wichtig zu wissen ist auch, dass das Allergierisiko in Abhängigkeit von der Verabreichungsform eines Medikaments unterschiedlich ist. Das geringste Risiko besteht bei
der innerlichen Einnahme als Tablette, Saft oder Tropfen. Es steigt über die Verabreichung in die Vene (intravenös), in die Muskulatur (intramuskulär), in und unter die
Haut (intrakutan und subkutan) bis zur örtlichen Anwendung stetig an. Bei der örtlichen
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 10-4
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10. Arzneimittelallergien
Anwendung muss daher besonders kritisch darauf geachtet werden, ob ein Medikament
ein hohes Sensibilisierungsrisiko beinhaltet; bestimmte Penicilline und Sulfonamide sollen
beispielsweise aus diesem Grund nicht örtlich eingesetzt werden. Man weicht daher bei
Hautinfektionen entweder auf andere desinfizierende oder keimabtötende Substanzen
aus oder führt eine innerliche Behandlung durch.
10.7 Zusammenfassung
Bei Kindern und Jugendlichen kommen die meisten Überempfindlichkeitsreaktionen
auf Medikamente in Form von Hautausschlägen während einer antibiotischen Behandlung vor. Der häufigste Auslöser ist das Amoxicillin. Diese Hautausschläge sind jedoch
meist harmlos und zwingen nicht unbedingt zum Absetzen des Medikaments. Treten
jedoch Allgemeinsymptome wie Atemnot, Kreislaufschwäche, eine deutliche Verschlechterung des Allgemeinzustandes oder eine Blasenbildung an der Haut auf, muss rasch
ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Besonders für Asthmatiker bedeutsam ist
die Acetylsalicylsäureintoleranz. Nach Einnahme von Acetylsalicylsäure (z.B. Aspirin®)
kommt es hierbei zu Nesselausschlag, Gesichtsschwellung und Atemnot. Asthmatiker
sollten daher generell keine Acetylsalicylsäure einnehmen. Für die meisten Medikamente
gibt es leider keine zuverlässigen Blut- oder Hauttests zur Allergietestung, sodass im
Zweifelsfall ein Provokationstest durchgeführt werden muss.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 10-5
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11. Fraglich allergisch ausgelöste Erkrankungen
11. Fraglich allergisch ausgelöste
Erkrankungen
11.1 Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom
11.2 Kopfschmerzen
11.3 Chronisches Müdigkeitssyndrom
11.4 Zusammenfassung
Es gibt einige Erkrankungen, als deren Ursache auch allergische Auslöser vermutet
werden. Oft handelt es sich dabei um Erkrankungen, für welche eine Vielzahl unterschiedlicher Ursachen in Frage kommen. Daher ist es oft sehr schwierig, dem eigentlichen Auslöser auf die Spur zu kommen.
11.1 Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom
(ADHS)
11.1.1 Wie äußert sich ein ADHS?
Beim Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, auch hyperkinetisches Syndrom
genannt, bestehen folgende Leitsymptome:
•
•
•
Aufmerksamkeitsstörung (Unkonzentriertheit, leichte Ablenkbarkeit)
Impulsivität (platzt leicht heraus, kann nicht warten)
mit oder ohne Hyperaktivität (motorische Unruhe).
11.1.2 Was sind die Ursachen des ADHS?
Nach heutiger Ansicht besteht die Hauptursache in einer anlagebedingten Störung im
Stoffwechsel von Botenstoffen (Neurotransmittern) im Frontalhirn, was eine Störung der
Selbstregulation und motorische Hyperaktivität zur Folge hat.
11.1.3 Versuche zur Beeinflussung des ADHS über die Nahrung
Feingold-Diät
In den 70-iger Jahren wurden in den USA von Feingold Farb- und Konservierungsstoffe in
der Nahrung als Ursache des hyperkinetischen Syndroms angeschuldigt. Die zur Therapie
eingesetzte Feingold-Diät ohne Farb- und Konservierungsstoffe fand weite Verbreitung,
obwohl von Feingold selbst keine kontrollierten Studien zum Beweis seiner Theorie durchgeführt worden sind. Später veranlasste kontrollierte Studien konnten den von Feingold
vermuteten Zusammenhang nicht bestätigen. Nur einige wenige Patienten zeigten eine
Besserung.
Phosphatarme Diät
Ein weiterer Versuch, hyperkinetisches Verhalten über eine Diät zu beeinflussen, war die
Propagierung der sogenannten phosphatarmen Diät. Dahinter steckte der Gedanke, dass
hyperkinetisches Verhalten durch einen zu hohen Phosphatgehalt in der Nahrung
ausgelöst würde. Auch diese Theorie konnte in kontrollierten Studien (z.B. der Mainzer
Studie) nicht bestätigt werden. Eine extrem phosphatarme Diät führt zu
Mangelerscheinungen. Die Regulationsfähigkeit des Darmes ist jedoch enorm. Bei einer
eingeschränkt phosphatarmen Diät kann der Darm die Phosphataufnahme beträchtlich
steigern, sodass die effektive Phosphataufnahme gleich bleibt.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 11-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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11. Fraglich allergisch ausgelöste Erkrankungen
"Zuckerallergie"
Ähnliche Symptome wie beim hyperkinetischen Syndrom wurden einer "Zuckerallergie"
zugeschrieben. Auch diese Vermutung konnte in kontrollierten Studien nicht bestätigt
werden. Unterzuckerungszustände können Schweißausbrüche, Zittrigkeit und Schläfrigkeit bis zum Koma auslösen. Sie können im Rahmen von verschiedenen Stoffwechselerkrankungen auftreten, haben aber mit einer Zuckerallergie nichts zu tun.
Oligoantigene Diät
Eine oligoantigene Diät ist eine in ihrem Allergengehalt reduzierte Diät, bei der im
Einzelfall ganz unterschiedliche Nahrungsmittel aus der Nahrung entfernt werden. Sie hat
in einzelnen Untersuchungen bei einer gewissen Anzahl von Kindern zu einer Besserung
hyperkinetischer Symptome sowie Kopfschmerzen geführt.
Es werden dabei entweder nach Symptomtagebuch und/oder Allergietestungen als
symptomauslösend vermutete Nahrungsmittel wie Milch, Ei und andere aus der Nahrung
weggelassen. Ohne gezielte Hinweise auf einen bestimmten Auslöser wird mit einer oligoantigenen Basisdiät begonnen und vorsichtig Schritt für Schritt ein Nahrungsmittel nach
dem anderen wieder eingeführt, bis Symptome auftreten.
Die hauptsächlichen Nahrungsmittel, auf welche die Kinder in einer dieser Untersuchungen reagiert haben, waren (in absteigender Häufigkeit aufgeführt): Farb- und
Konservierungsstoffe, Kuhmilch, Schokolade, Trauben, Weizen, Zitrusfrüchte, Käse, Ei,
Erdnüsse, Mais, Fisch, Hafer, Melonen und Tomaten.
Die Mechanismen, wie diese Nahrungsmittel und Nahrungsmittelzusätze sich auf das
Verhalten auswirken sollen, sind weitgehend ungeklärt. Neben allergischen Mechanismen
mit einer Beteiligung des Immunsystems können eine ganze Reihe anderer Ursachen eine
Rolle spielen: pseudoallergische Reaktionen, Enzymdefekte mit einer gestörten Weiterverarbeitung bestimmter Nahrungsmittel, Einflüsse auf den Stoffwechsel der Botensubstanzen der Gehirnzellen und andere. Daneben sind auch psychologische Faktoren
z.B. über eine vermehrte Zuwendung zum Kind bei der Durchführung der Diät zu diskutieren.
Die Behandlung mit einer oligoantigenen Diät ist äußerst aufwendig, kostspielig und
sozial einschneidend. Am Anfang kann ein Krankenhausaufenthalt erforderlich sein und je
nach Diätform kann unter Umständen praktisch keine normale Nahrung mehr gegessen
werden. Hier besteht bei einer extrem einseitigen Diät natürlich auch die Gefahr einer
Mangelernährung.
Zusammenfassend lässt nach den vorliegenden Forschungsergebnissen sagen, dass
nur ein ganz geringer Teil von Kindern mit ADHS auf eine oligoantigene Diät angesprochen hat und nicht klar ist, ob die Diät oder die strukturierte Zuwendung die
Verhaltensbesserung hervorgerufen hat. Für die allermeisten Kinder mit ADHS ist daher
von einer Diät keine Besserung zu erwarten.
11.2 Kopfschmerzen
Kopfschmerzen sind bei Kindern und Erwachsenen ein häufiges Symptom. Sie treten am
häufigsten als Spannungskopfschmerzen oder als Migräne auf. Die Migräne zeigt sich
typischerweise als einseitiger Kopfschmerz, verbunden mit Übelkeit, Erbrechen und Lichtscheu.
Allergien der oberen Atemwege können über eine Anschwellung der Schleimhäute der
Nasennebenhöhlen (z.B. bei einem Dauerschnupfen bei einer Hausstaubmilbenallergie
oder einem Heuschnupfen) Kopfschmerzen verursachen. Jedoch auch bei der Asthmabehandlung eingesetzte Medikamente wie Theophyllin oder Beta-Mimetika sind in der
Lage, Kopfschmerzen auszulösen.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 11-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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11. Fraglich allergisch ausgelöste Erkrankungen
Bei der Migräne ist gesichert, dass über pseudoallergische Mechanismen auch biogene
Amine (u.a. Histamin, Serotonin und Tyramin) z.B. in Thunfisch, Wein, Schokolade oder
Käse als Auslöser eine Rolle spielen können (siehe auch ÎKapitel 7.11).
11.3 Chronisches Müdigkeitssyndrom
Auch chronische Müdigkeit und Abgeschlagenheit wurde allergischen Auslösern zugeschrieben. Ohne Zweifel kann bei verschiedenen allergischen Erkrankungen das
Allgemeinbefinden reduziert sein oder durch eine Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus
eine Erschöpfung eintreten. Ebenso können zur Behandlung allergischer Erkrankungen
verwendete
Medikamente (z.B. Antihistaminika der älteren Generation) Müdigkeit
verursachen. Es liegen jedoch keine Hinweise dafür vor, dass diese Symptome primär
allergisch bedingt sind, exakte Studien sind hierzu nicht durchgeführt worden. Gesichert
sind hingegen Zusammenhänge mit bestimmten Virusinfektionen wie dem EBV-Virus und
HSV6-Virus.
11.4 Zusammenfassung
Zur Behandlung des Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS)
wurden verschiedene Diätformen propagiert (Feingold-Diät ohne Farb- und Konservierungsstoffe, phosphatarme Diät, zuckerfreie Diät), die in kontrollierten Studien bei der
überwiegenden Anzahl der betroffenen Kinder ihre Wirksamkeit nicht unter Beweis stellen
konnten. Auch auf die sogenannte oligoantigene Diät reagiert nur ein sehr kleiner
Prozentsatz von Kindern mit ADHS, wobei umstritten ist, wie diese Therapieeffekte
zustande kommen.
Bei Migräne-Kopfschmerzen können biogene Amine (z.B. in Käse) über pseudoallergische Mechanismen als Auslöser beteiligt sein.
Es gibt keine Hinweise dafür, dass das chronische Müdigkeitssyndrom primär allergisch ausgelöst wird.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 11-3
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
12. Allergieauslöser näher betrachtet
12.1 Pollen
12.2 Milben
12.3 Tiere
12.4 Schimmelpilze
12.5 Sonstige
In Kapitel 1 haben Sie einen Überblick über die häufigsten Allergieauslöser (= Allergene)
bekommen, in Kapitel 7 konnten Sie sich über Nahrungsmittelallergene informieren. In
diesem Kapitel sollen Pollen, Milben, Tiere, Schimmelpilze, Ficus und Latex näher besprochen werden. Sie werden erfahren, wo diese Allergene häufig anzutreffen sind,
welche Eigenschaften sie haben und wie man sich vor ihnen schützen kann.
12.1 Pollen
12.1.1 Was sind Pollen?
Pollen (= Blütenstaub) sind bei höheren Pflanzen die Träger des männlichen Erbguts. Sie
können jahreszeitlich wechselnde Beschwerden wie Heuschnupfen (siehe ÎKapitel 4.4),
allergische Bindehautentzündung (siehe ÎKapitel 8.1), Asthma bronchiale (siehe
ÎKapitel 5.4) sowie Schübe einer Neurodermitis (siehe ÎKapitel 6.2) auslösen. Der
Blütenstaub wird nicht nur von den Bienen transportiert, sondern auch durch den Wind
aufgewirbelt und unter Umständen kilometerweit durch die Luft getragen. Windbestäubte
Pflanzen müssen zur optimalen Pflanzenvermehrung große Pollenmengen produzieren,
welche sich gleichmäßig in der Luft verteilen und möglichst lange schweben können
müssen. Die Pollenzahlen sind enorm: Eine Roggenähre enthält etwa 4,2 Millionen Pollenkörner, ein Haselnussstrauch ungefähr 600 Millionen. Bis zu einer Höhe von 1000 Metern
sind Pollen regelmäßig anzutreffen, in 5000 Metern Höhe praktisch nicht mehr.
Abbildung 12-1: Verschiedene Pollenkörner unter dem Elektronenmikroskop
(Wegerichpolle, Birkenpolle, Roggenpolle)
Die Pollenkörner haben meist rundliche oder ovale Formen (siehe ÎAbbildung 12-1) und
besitzen zum Schutz des Erbguts zwei Hüllen. Allergieauslösend sind Eiweißbestandteile
im Inneren der Pollenkörner, welche nach einem Kontakt mit den Schleimhäuten von
Nase oder Auge freigesetzt werden. Umweltschadstoffe wie Dieselruß können Pollen
"klebriger" machen und die Freisetzung des allergenen Materials aus dem Inneren der
Pollen fördern. Die meisten Pollen haben eine Größe zwischen 8 und 100µm. Ab einer
Größe von über 10 µm werden sie (bei Nasenatmung!) zum größten Teil in der Nase
abgefangen und gelangen nicht mehr in die Bronchien.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 12-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
12.1.2 Wann ist der Pollenflug am stärksten?
• Jahreszeitliche Schwankungen
Der Pollenflug zeigt von Pflanze zu Pflanze unterschiedliche jahreszeitliche Schwankungen, welche Pollenflugkalendern (siehe ÎAbbildung 12-2) entnommen werden können.
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es von Jahr zu Jahr gewisse Verschiebungen in
der Blütezeit geben kann. Davon sind vor allem frühblühende Bäume wie die Erle
betroffen. Hingegen ist die Blütezeit der Wiesengräser recht konstant. Ebenso sind
regionale Unterschiede durch das Vorherrschen unterschiedlicher Pflanzenarten in verschiedenen geographischen Regionen zu beachten. Ein aktuellerer Zustandsbericht als
aus dem Pollenflugkalender kann über die Pollenwarndienste erhalten werden: per
Telefon, Radio, Fernsehen, Internet oder in Tageszeitungen abgedruckte Meldungen. Die
Pollen werden für diese Pollenflugberichte in sogenannten Pollenfallen gesammelt und gezählt.
Starker Pollenflug ist bei warmem, trockenem Wetter mit leichten bis mäßigen Winden
sowie kurz vor einem Regen zu erwarten. Pollenarm ist die Luft bei Windstille, kaltem
und regnerischem Wetter.
• Tageszeitliche Schwankungen
Bei den tageszeitlichen Schwankungen gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land. In
Großstadtgebieten bestehen meist hohe Pollenkonzentrationen tagsüber mit Spitzen
am Abend und in der ersten Nachthälfte sowie einem Tiefpunkt in den frühen Morgenstunden. Auf dem Land sind vor allem in Wiesengebieten die höchsten Pollenkonzentrationen tagsüber und nachts mit einem Abfall am Abend zu erwarten.
Starke Allergenbelastung
Mässige Allergenbelastung
Abbildung 12-2: Pollenflugkalender
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 12-2
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
12.1.3 Welche allergologische Bedeutung haben die verschiedenen Pollenarten?
Die allergologische Bedeutung der einzelnen Pollenarten ist sehr unterschiedlich. Durch
ähnliche Strukturen im allergieauslösenden Eiweißmaterial kann es zu Kreuzallergien
zwischen verschiedenen Pollen kommen. Kreuzallergie bedeutet, dass man nicht nur auf
das Allergen, das zur Sensibilisierung geführt hat, allergisch reagiert, sondern auch auf
andere Allergene mit ähnlichem Aufbau. Dies gilt sowohl innerhalb einer Pflanzenfamilie,
z.B. verschiedenen Gräsern, als auch zwischen unterschiedlichen Pflanzenfamilien, z.B.
zwischen Kräuterpollen und Gewürzen oder Pollen und Obst.
Es können drei Hauptquellen von Pollen mit verschiedenen Flugzeiten unterschieden
werden:
•
•
•
Bäume, welche hauptsächlich im Frühjahr blühen (sogenannte Frühblüher)
Gräser und Getreide mit Blütezeit im Sommer (Mittelblüher) und
Kräuter mit Blütezeit im Sommer und Frühherbst (Spätblüher).
Bäume
Die allergologisch bedeutungsvollsten Bäume in Mitteleuropa sind:
•
Birke:
Hauptblütezeit April und Mai,
wichtigstes Baumpollenallergien von großer Aggressivität,
häufig Kreuzallergie mit Erle und Hasel.
•
Erle (Schwarzerle, Grauerle):
Hauptblütezeit Februar und März mit starken Schwankungen,
aggressives Allergen,
meist Kreuzallergie mit Birke und Hasel.
•
Haselnuss:
Hauptblütezeit Februar und März,
aggressives Allergen,
häufig Kreuzallergie mit Birke und Hasel,
verwandt mit der Hainbuche, deren Pollen jedoch eine geringe Aggressivität besitzen.
Nadelbäume lösen trotz großer Pollenmengen nur selten allergische Reaktionen aus, da
ihre Pollen sehr groß sind und nicht inhaliert werden.
Gräser- und Getreidepollen
Gräser- und Getreidepollen haben eine hohe Kreuzallergierate durch ähnliche Antigenstrukturen und werden daher gemeinsam besprochen. Die wichtigsten Arten sind:
•
Roggenpollen:
Hauptblütezeit Mai und Juni,
sehr aggressives Allergen,
werden in großen Mengen über weite Entfernungen verbreitet,
Kreuzallergien mit allen anderen Gräsern.
•
Wiesengräser:
In Mitteleuropa am wichtigsten: Wiesenlieschgras, Knäuelgras, Wiesenrispengras,
Glatthafer, Wiesenschwingel und Wiesenfuchsschwanzgras,
Hauptblütezeit Mai bis August,
sehr große allergene Bedeutung,
hohe Kreuzallergierate zwischen den einzelnen Gräsern.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 12-3
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
Kräuter
Die allergologisch wichtigsten Kräuter sind:
•
Beifuß:
Hauptblütezeit August und September,
viermal aggressiver als Gräserpollen,
häufig Kreuzallergien mit Nahrungsmitteln (Sellerie und Gewürze)!
Kreuzallergie mit dem Traubenkraut (= Ragweed), einem sehr aggressiven Allergen, das z.B. in den USA große Probleme macht.
•
Wegerich:
Blütezeit von Mai bis Oktober,
nicht sehr aggressives Allergen, verursacht jedoch Beschwerden über den ganzen
Sommer.
12.1.4 Kreuzallergien mit Nahrungsmitteln
Zwischen Pollen und Nahrungsmitteln kann eine Vielzahl von Kreuzallergien bestehen.
Die wichtigsten sind:
Birkenpollen: mit Äpfeln, Pfirsichen, Aprikosen, Pflaumen, Zwetschgen und Kartoffeln.
Birken- und Haselpollen: mit Haselnüssen, Mandeln, roher Sellerie, rohen Karotten.
Beifußpollen: mit Sellerie und anderen Gewürzen, Karotten und anderen Gemüsen.
Gräser- und Getreidepollen: mit Hülsenfrüchten, Getreide und Tomaten.
12.1.5 Ratschläge für Pollenallergiker
Eine vollständige Vermeidung des Pollenkontaktes ist für den Pollenallergiker natürlich
unmöglich, da Pollen kilometerweit durch die Luft getragen werden und somit praktisch
allgegenwärtig sind. Da sich etwa ein Drittel der außerhäuslichen Pollenkonzentration
auch im Haus findet und auch einmal gelüftet werden muss, nützt es auch nichts, nur
den ganzen Tag zu Hause zu sitzen. Dies gilt vor allem auch für Kinder mit ihrem
enormen Bewegungsdrang. Es gibt jedoch einige wichtige Regeln, die den Pollenkontakt
einzuschränken imstande sind:
Maßnahmen zur Reduktion des Pollenkontaktes
Î
Informieren Sie sich über den zu erwartenden Pollenflug durch Pollenflug-Kalender,
Pollenflug-Vorhersage per Telefon (Generalansage Tel. 0190/115480), Zeitung,
Rundfunk, Fernsehen oder Internet.
Î
Starker Pollenflug ist bei warmem, trockenem Wetter mit leichten bis mäßigen Winden sowie kurz vor einem Regen zu erwarten. Pollenarm ist die Luft bei Windstille,
kaltem und regnerischem Wetter.
Î
Wohnung bei starkem Pollenflug nur kurz lüften. Schlafzimmerfenster nachts geschlossen halten. In der Regel empfiehlt es sich, ausgedehntes Lüften in der Stadt in
die frühen Morgenstunden, auf dem Land in die Abendstunden zu verlegen (siehe
oben).
Î
Je nach individuellem Auslöser z.B. blühende Wiesen oder Birkenwälder meiden.
Î
Eine Sonnenbrille kann einen Teil der Pollen von den Augen fernhalten.
Î
Nach Aufenthalt im Freien am Abend Haare waschen. Pollen, die sich in den Haaren
festgesetzt haben, werden sonst an das Kopfkissen abgegeben und während des
Schlafens eingeatmet. Bei allergischer Bindehautentzündung Augen mit klarem Wasser ausspülen.
Î
Kleidung, die im Freien getragen wurde, nicht im Schlafbereich lagern.
Î
Wäsche nicht im Freien trocknen.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 12-4
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
Î
Andere Reizfaktoren wie Rauchen (auch Passivrauchen!) ausschalten.
Î
Beim Autofahren Autofenster geschlossen halten. Gute Pollenfilter sind effektiv, müssen aber regelmäßig gewartet werden.
Î
Im Urlaub kann der Pollenkontakt durch einen Aufenthalt in einem Gebiet mit anderer Vegetation, im Hochgebirge ab 1500 bis 2000 m oder am Meer reduziert werden.
Informationen hierzu liefern spezielle Urlaubs-Pollenflugkalender.
Î
Bestehen Kreuzallergien zu Nahrungsmitteln wie Obst, Nüssen oder Gewürzen sollte
der Verzehr dieser Nahrungsmittel während der Pollenzeit eingeschränkt werden.
Weitere Behandlungsmaßnahmen bei Pollenallergien
•
•
Die medikamentöse Behandlung des Heuschnupfens erfolgt zunächst über die
örtliche Verabreichung von antiallergischen Augentropfen und Nasenspray. Bei
stärkeren Beschwerden werden Antihistaminika eingenommen (siehe ÎKapitel
4.4). Bei Pollen-Asthma muss die Inhalations-Behandlung in der Pollenzeit meist
intensiviert werden.
Bei ausgeprägten und anhaltenden Symptomen sollte eine Hyposensibilisierung
durchgeführt werden. Sie ist die derzeit längerfristig wirksamste Therapieform
(siehe ÎKapitel 13).
12.1.6 Zusammenfassung
Pollen (=Blütenstaub) sind bei höheren Pflanzen die Träger des männlichen Erbguts und
werden vom Wind kilometerweit durch die Luft getragen. Sie haben eine Größe von 8 bis
100 µm und meist eine rundliche oder ovale Form. Das allergieauslösende Material
befindet sich im Inneren der Pollen. Pollen können vor allem Heuschnupfen und ein
allergisches Asthma bronchiale auslösen, daneben auch zu einer Ekzemverschlechterung
bei Neurodermitis führen. Die wichtigsten Pollenquellen sind Bäume, Gräser und Getreide
sowie Kräuter. Es können Kreuzallergien zu Obst und Gewürzen bestehen. Der Pollenflug
unterliegt tages- und jahreszeitlichen Schwankungen. Die Hauptpollenflugzeiten können
Pollenflugkalendern oder den Pollenwarndiensten entnommen werden. Durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen kann man den Pollenkontakt zwar nicht ganz ausschalten, jedoch zumindest reduzieren.
12.2 Milben
12.2.1 Was sind Milben?
Milben sind mikroskopisch kleine Lebewesen von 0,1 bis 0,5 mm Größe, welche weltweit
verbreitet sind (siehe ÎAbbildung 12-3). Milben gibt es in mehr oder weniger großer
Anzahl weltweit in jedem Haushalt außer im Hochgebirge, im arktischen Raum und in
Wüsten. Nicht die Milben selbst lösen Allergien aus, sondern Eiweißbestandteile im
Milbenkot, der mit dem Hausstaub verbreitet wird. Die allergologisch wichtigsten Milbenarten sind die Hausstaubmilben (Dermatophagoides pteronyssinus und Dermatophagoides farinae), in geringerer Zahl kommen auch Vorratsmilben und Raubmilben vor.
Die Milben ernähren sich von organischem Material wie menschlichen Hautschuppen,
daneben auch von tierischen Hautschuppen, Schimmelpilzen oder Mehlprodukten. Milben
können Dauerschnupfen (siehe ÎKapitel 4.5) und Asthma (siehe ÎKapitel 5.4) auslösen
sowie eine Neurodermitis (siehe ÎKapitel 6.2) verschlechtern.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 12-5
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
Abbildung 12-3: Milbe unter dem Elektronenmikroskop
12.2.2 Wo fühlen sich Milben wohl?
Da sich die Milben hauptsächlich von Hautschuppen ernähren, finden sich die meisten
Milben daher im Bett in der Matratze. Außerhalb der Schlafräume sind Polstermöbel der
Hauptaufenthaltsort. Tierhaltung in der Wohnung fördert das Milbenwachstum.
Eine unabdingbare Voraussetzung für ihr Gedeihen ist eine Luftfeuchtigkeit von über
60%. Milben lieben Temperaturen zwischen 20 und 30° Celsius. Daher ist das Vorkommen der Milben örtlichen und saisonalen Schwankungen unterworfen. Die Hauptvermehrungszeit der Milben ist der Sommer. Dennoch erreichen die durch eine Milbenallergie hervorgerufenen Beschwerden im Herbst den Höhepunkt, weil sich zu dieser Zeit
viel Milbenkot angesammelt hat.
Da beim Beheizen der Räume der Luft Feuchtigkeit entzogen wird, die relative Luftfeuchtigkeit also sinkt, nimmt die Milbenzahl bei kalten Außentemperaturen in beheizten
Räumen ab. Kurzfristige Trockenperioden können überlebt werden, jedoch nicht eine
Luftfeuchtigkeit unter 45%. Bei Außentemperaturen unter 2° Celsius wird dieser Wert
unterschritten. Das ist auch der Grund dafür, dass die Zahl der Hausstaubmilben ab einer
Höhe über 1000 Metern deutlich abnimmt; ab 1500 Metern sind keine Milben mehr in
Wohntextilien nachweisbar, sie überleben die strengen und langen Winter nicht.
12.2.3 Haben Energiesparmaßnahmen und die Heizung einen Einfluss auf das
Milbenwachstum?
Energiesparmaßnahmen in Wohnhäusern haben in den letzten Jahren zu einem Anstieg
der Luftfeuchtigkeit in den Wohnbereichen geführt. Luftdicht abschließende Fenster
lassen in geschlossenem Zustand keinen Luftwechsel mit der Außenluft zu. Das führt bei
unzureichender Lüftungshäufigkeit neben einer höheren Luftschadstoffbelastung auch zu
einem Anstieg der Luftfeuchtigkeit im Innenbereich. Auch die Heizungsart beeinflusst das
Gedeihen der Milben. Je gleichmäßiger die Temperaturverteilung im Raum, desto weniger
wird die relative Luftfeuchtigkeit von 60% überschritten. Dies ist beispielsweise bei Fußbodenheizungen der Fall, vor allem Teppichböden sind bei dieser Heizungsart praktisch
milbenfrei.
12.2.4 Kann man die "persönliche" Milbenbelastung in der eigenen Wohnung feststellen?
Inzwischen wurden relativ einfach zu handhabende Testverfahren entwickelt, mit welchen
die Milbenbelastung in der eigenen Wohnung ermittelt werden kann. Beim Acarex®-Test
wird der gesammelte Hausstaub mit einer Testlösung vermischt und anschließend ein
Teststreifen eingetaucht. Bei Milbenbefall reagiert der Teststreifen mit den Eiweißbe© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
standteilen im Milbenkot und antwortet mit einer Farbreaktion. Beim Bio-Check Allergen
Control®-Test werden die Allergene im Milbenkot ebenfalls durch eine Farbreaktion angezeigt.
12.2.5 Ratschläge für Hausstaubmilben-Allergiker
Maßnahmen zur Reduktion der Milbenbelastung
Die wirksamsten Ansätze zur Milbenbekämpfung sind die Herabsetzung der Luftfeuchtigkeit und die Unterbindung der Nahrungszufuhr für die Milben. Es muss
nicht sofort die ganze Wohnung saniert werden. Am wichtigsten sind die Sanierung des
Bettes und des Schlaf- bzw. Kinderzimmers. Gehen Sie daher in folgender Reihenfolge
vor:
1) Bett
• Die möglichst neue Matratze sollte einen milbenallergendichten Überzug (Encasing) erhalten. Diese Überzüge verhindern, dass Hautschuppen als Nahrung für
die Milben in die Matratze gelangen und Milben sowie Milbenkot aus der Matratze
austreten können. Es gibt bei diesen Überzügen deutliche Qualitätsunterschiede,
lassen Sie sich diesbezüglich von Ihrem Arzt beraten. Das Material einer derart
eingehüllten Matratze spielt eine untergeordnete Rolle, Tierhaare sollte sie
allerdings nicht enthalten.
•
Zur besseren Durchlüftung Bettgestell mit Füßen ohne Bettkasten unter der
Matratze verwenden. Stockbetten sind ungünstig.
•
Bettdecke und Kopfkissen sollten voll waschbar sein und zumindest alle 3 Monate
bei mindestens 60°C gewaschen werden, der Bettbezug aus Baumwolle
wöchentlich. Noch besser sind auch hier milbenallergendichte Überzüge, die
ebenfalls zwei- bis dreimal im Jahr gewaschen werden müssen.
•
Morgens das Bettzeug gut auslüften, damit die nachts aufgenommene Feuchtigkeit wieder abgegeben werden kann.
•
Alle Betten in einem Raum, in dem ein Milbenallergiker schläft, müssen saniert
werden.
•
Auch Kuscheltiere, deren Anzahl möglichst gering zu halten ist, müssen
regelmäßig bei mindestens 60°C gewaschen werden. Falls dies nicht möglich ist,
können sie vorher für 1-2 Tage zur Milbenabtötung in die Tiefkühltruhe gelegt und
anschließend mit niedrigerer Temperatur gewaschen werden.
2) Schlaf- bzw. Kinderzimmer
• Die Räume müssen gut durchlüftet werden, vor allem in neueren, gut isolierten
Häusern: am besten 3-4mal täglich für 5-10 Minuten stoßlüften. Die Luftfeuchtigkeit sollte bei 45-55% liegen.
•
Teppichböden sind ungünstig, da sie nicht dauerhaft milbenfrei zu halten sind.
Besser sind wischbare Böden (z.B. Parkett, Linoleum, Steinböden).
•
Bei der Zimmerreinigung möglichst wenig Staub aufwirbeln: mit leicht feuchtem
Tuch Staub wischen, Fußböden feucht wischen bzw. Staubsauger mit hoher Saugleistung und Feinporenfilter verwenden.
•
Staubfänger wie offene Regale oder schwere Vorhänge meiden.
•
Keine Pflanzen im Schlafzimmer aufstellen (erhöhen Luftfeuchtigkeit und Schimmelpilzbelastung).
•
Keine Haustiere halten (liefern zusätzliche Nahrung für Milben, wirbeln Staub auf
und können allergieauslösend wirken).
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
3) Übrige Wohnung
• Bei hochgradiger Allergie Ausdehnung der o.g. Maßnahmen auf die ganze
Wohnung.
•
Polstermöbel mit abwischbaren
praktisch keine Milben.
•
Rauchen sollte in der Wohnung unterbleiben.
Bezügen
verwenden. Ledermöbel
enthalten
4) Sonstiges
• Urlaubsreisen: Ab 1000 m Höhe nimmt die Milbenzahl in unseren Breiten deutlich
ab. In feuchten Gebieten (z.B. Nord- oder Ostsee) auf ganzjährig bewirtschaftete
bzw. milbensanierte Objekte zurückgreifen oder die eigenen milbenallergendichten
Überzüge mitnehmen.
•
Milbenabtötende Mittel erreichen nur die Oberflächen von Matratzen, Polstermöbeln oder Teppichen. Sie werden von den meisten Kinderallergologen nicht empfohlen.
•
In Zweifelsfällen kann die individuelle Milbenallergenbelastung in der Wohnung
orientierend mit einfachen Tests (z.B. dem Acarex®-Test oder Bio-Check Allergen
Control®-Test) bestimmt werden.
Weitere Behandlungsmaßnahmen bei Milbenallergien
Weitere Behandlungsmaßnahmen sind von der jeweiligen Erkrankung abhängig und
werden in den ÎKapiteln 4,5 und 6 besprochen.
12.2.6 Zusammenfassung
Milben sind mikroskopisch kleine Lebewesen und weltweit verbreitet. Allergieauslösend
ist der Milbenkot. Milben können ein allergisches Asthma bronchiale und einen allergischen Dauerschnupfen auslösen sowie zu einer Ekzemverschlechterung bei Neurodermitis
führen. Milben leben von Hautschuppen und sind daher in besonders großer Zahl im
Schlafbereich zu finden. Mit einfachen Tests kann die "persönliche" Milbenbelastung in
der eigenen Wohnung ermittelt werden. Maßnahmen zur Milbenreduktion müssen sich
zunächst auf den Schlafbereich konzentrieren, indem milbenallergendichte Umhüllungen
für Matratze und Bettzeug (Encasing) angeschafft werden.
12.3 Tiere
Haustiere, die von den Eltern in bester Absicht für ihre Kinder als Spielgefährten angeschafft werden, stellen wichtige Allergieauslöser dar. Schuppen, Speichel, Haare, Urin
und Blutserumbestandteile wirken als Allergene. Tierallergene können eine allergische
Bindehautentzündung (siehe ÎKapitel 8.1), einen allergischen Schnupfen (siehe
ÎKapitel 4.4), ein allergisches Asthma bronchiale (siehe ÎKapitel 5.4), eine allergische
Entzündung der Lungenbläschen (siehe ÎKapitel 5.5) und allergische Hautreaktionen
(siehe ÎKapitel 6)auslösen. Bei etwa 5% aller Schulkinder ist mit einer Haustierallergie
zu rechnen.
12.3.1 Warum werden Tierallergien häufiger?
Zu einem Anstieg der Tierallergien hat entscheidend die veränderte Form der Tierhaltung
beigetragen. Solange die Tiere wie auf dem Bauernhof außerhalb der Wohnung gehalten
werden, machen sie allergologisch kaum Probleme. Dies ändert sich jedoch schlagartig,
wenn der Tierkontakt viel enger wird, die Tiere das Kinderzimmer bewohnen und mit ins
Bett genommen werden. Beispielsweise steigt das Risiko einer Sensibilisierung gegen
Katzen um den Faktor 2,6 an, wenn Katzen als Haustiere gehalten werden.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
12.3.2 Welche Tiere lösen am häufigsten Allergien aus?
Die häufigsten Auslöser von Tierallergien sind Haustiere (Katzen, Hunde, Meerschweinchen, Kaninchen und Vögel).
Katzen
Katzen sind der häufigste und aggressivste Allergieauslöser unter den Haustieren. Es
besteht eine Kreuzallergie gegen fast alle einheimischen Katzenarten, Siamkatzen bilden
eine gewisse Ausnahme. Das Hauptallergen (Fel d 1) findet sich vor allem im Speichel,
Hautschuppen und Haaren. Es ist im Staub größtenteils an sehr kleine Teilchen gebunden. Dadurch kann es sehr gut in der Luft schweben und ist nicht nur auf dem Boden,
sondern auch an Wänden und auf Möbeln zu finden. Nach Entfernung einer Katze aus der
Wohnung kann es trotz intensiver Reinigungsmaßnahmen mehr als 5 Jahre dauern, bis
die Allergenmenge auf das Niveau einer Wohnung ohne Katzenhaltung abgefallen ist.
Durch die oben genannten Eigenschaften sind Katzenallergene nicht nur in Wohnungen
von Katzenbesitzern, sondern auch in Polstern und im Staub von Schulen, Kinos, Bussen
und Wohnungen ohne Tierhaltung nachweisbar. Auch über die Kleidung der Tierbesitzer
werden die Tierallergene weiterverbreitet. So hatten in einer Studie die Hälfte der
Katzenallergiker nie eine eigene Katze zu Hause.
Hunde
Bei Hunden ist die Sensibilisierungshäufigkeit von der Rasse abhängig, z.B. wirken Boxer
stärker allergieauslösend als Pudel. Auch bedeutet eine Allergie auf eine Hunderasse
nicht zwangsläufig, dass man auf alle Hunderassen allergisch reagiert.
Pferde
Auch Pferde stellen ein sehr aggressives Allergen dar, allerdings ist eine Sensibilisierung
wegen der geringeren Kontaktmöglichkeiten nicht so häufig wie bei anderen Haustieren.
Allergische Symptome können bereits aus großer Entfernung zum Pferd auftreten, oft
genügt nur der Geruch beim Vorbeigehen an einem Pferdestall. Auch das Sitzen in den
hinteren Reihen in einem Zirkus macht dann meist schon Probleme.
Kleintiere
Unter den Kleintieren zählen Meerschweinchen, Hamster und Kaninchen zu den häufigsten Allergieauslösern. Eine Sensibilisierung gegen Mäuse, Ratten und andere ist bei
entsprechender Tierhaltung möglich.
Vögel
Wellensittiche und Kleinpapageien haben unter den Ziervögeln die größte Bedeutung. Sie
können nicht nur die bereits beschriebenen Allergien vom Soforttyp auslösen, sondern
auch eine allergische Entzündung der Lungenbläschen (allergische Alveolitis, Vogelzüchterkrankheit). Die Hauptallergene sind Kot und Bluteiweißbestandteile.
Sonstige Tiere
Kühe, Schweine, Ziegen und Schafe machen bei Haltung auf dem Bauernhof außerhalb
des Wohnbereiches üblicherweise keine Probleme.
Produkte, die tierische Materialien enthalten
Zu achten ist auch auf Produkte, die Materialien tierischer Herkunft enthalten. Beispiele
sind Pferdehaare in Rosshaarmatratzen, Ziegenhaare in Teppichen, Felle und Pelze in
Jacken.
Indirekte Auswirkungen von Haustieren
Neben der direkten Wirkung als Allergen haben Haustiere noch eine Reihe anderer
indirekter Auswirkungen für den Allergiker. Zum einen dienen Tierschuppen und Vogelfedern als Nahrung für Hausstaubmilben, zum anderen wirbeln die Tiere regelmäßig
Staub auf. Ein Aquarium erhöht die Luftfeuchtigkeit und lässt dadurch Milben und Schimmelpilze besser gedeihen. Fischfutter in Form von getrockneten Zuckmückenlarven ist
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
zudem ein aggressives Allergen. Auch Heu als Futter für einen Hasen kann über eine
Schimmelpilzbelastung zur Allergisierung führen.
12.3.3 Was ist zu tun bei einer Tierallergie?
Es ist oft ein Drama für die ganze Familie, wenn es sich herausstellt, dass ein Kind allergisch auf ein Tier reagiert und sich das Kind von dem liebgewonnen Tier nicht trennen
will. Oder wenn es sich um ein Tier handelt, das einem Geschwister gehört, das nicht von
einer Allergie betroffen ist.
ÎOptimale Lösung
Wenn eindeutige allergische Symptome auf ein Haustier vorliegen gibt es leider nur einen
Rat: das Tier muss aus der Wohnung entfernt werden. Dies gilt besonders, wenn es sich
um einen aggressiven Allergieauslöser wie eine Katze handelt und/oder um ein Tier, das
frei in der Wohnung herumläuft. Auch durch regelmäßiges Waschen des Tieres, ständiges
Staubsaugen oder sogenannte Luftreinigungsgeräte ist keine ausreichende Allergenreduktion zu erreichen. Wenn der Kontakt mit dem Allergieauslöser weiter fortgesetzt
wird, muss mit einer Verschlechterung der Allergie gerechnet werden. Dies ist vor allem
beim Asthma bronchiale fatal, da bei weiter bestehender Allergenzufuhr der narbige
Umbau in der Bronchialschleimhaut fortschreitet, welcher später nicht mehr rückgängig
zu machen ist. Auch ist zu beachten, dass von einem Tier, das über längere Zeit in einer
Wohnung gelebt hat, noch über Monate allergenes Material wie Hautschuppen oder Haare
im Teppich usw. vorhanden ist, obwohl gründlich gereinigt wurde. Eine endgültige
Symptombesserung kann also nicht sofort erwartet werden. Dies gilt insbesondere für
Katzen. Auch entsprechende Tierkontakte bei Freunden, Verwandten oder in der Schule
müssen natürlich vermieden werden. Unter Umständen muss ein Sitznachbar gewählt
werden, der kein Haustier besitzt. Sollte trotz aller Versuche der Allergenvermeidung
keine zufriedenstellende Symptombesserung zu erreichen sein, ist eine Hyposensibilisierungsbehandlung zu erwägen.
ÎKompromisslösung in leichten Fällen
Wenn sich die Familie zunächst absolut von dem Tier nicht trennen will und nur leichte
allergische Symptome vorliegen (z.B. nur Bindehautentzündung, kein Hinweis für
Asthma) kann vor allem bei Kleintieren unter Umständen folgender befristeter Versuch
gemacht werden: Das Tier wird zumindest aus dem Zimmer des Betroffenen herausgenommen und in einem Käfig gehalten, möglichst im Freien. Es darf vom Allergiker
selbst nicht betreut werden. Auch hierbei können natürlich von dem Familienmitglied, der
das Tier versorgt, auf der Kleidung Allergene weiterverschleppt werden, daher sollte dann
immer konsequent Schutzkleidung übergezogen werden. Tiere, die außerhalb der Wohnung gehalten werden, wie zum Beispiel auf einem Bauernhof, machen in der Regel wenig
Probleme. Eine Ausnahme können Pferde machen, bei denen oft schon der Geruch aus
größerer Entfernung ohne unmittelbaren nahen Kontakt allergische Symptome auslösen
kann. In diesem Fall kann auch die Kleidung, die ein Familienmitglied beim Reiten trägt,
so viel allergenes Material enthalten, dass heftige Beschwerden entstehen können. Die
betreffenden Personen sollten sich daher außerhalb der Wohnung umziehen. Besuche bei
Freunden oder Großeltern, welche entsprechende Tiere halten, müssen individuell abgesprochen werden. Unter Umständen kann ein antiallergisches Medikament, unmittelbar
vor dem anstehenden Besuch verabreicht, weiterhelfen.
ÎVorbeugung
Aufgrund der vorliegenden Studienergebnissen gilt weiterhin die Empfehlung, dass in
allergiebelasteten Familien keine Fell oder Federn tragende Haustiere angeschafft werden
sollten. Falls in eine noch nicht an Tierallergien leidenden, jedoch mit anderen Allergien
belasteten Familie dennoch ein Haustier aufgenommen werden soll, sollte man zumindest
eine Risikoreduzierung anstreben: kaufen Sie ein möglichst kleines, weibliches, nicht
allzu langlebiges Tier, das in einem Käfig gehalten werden kann. Kleine Tiere sind in
ihrem Aktionsradius leichter zu beschränken und produzieren aufgrund ihrer kleineren
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Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
Körperoberfläche weniger Allergene; weibliche, noch nicht geschlechtsreife Tiere sind
allergenärmer als männliche. Oft wird alternativ die Anschaffung einer Schildkröte oder
von Reptilien empfohlen, aber auch mit diesen Tieren steigt z.B. die Milbenbelastung in
der Wohnung an. Ein Aquarium mit Fischen erhöht die Luftfeuchtigkeit und kann so das
Wachstum von Milben und Schimmelpilzen fördern, daneben kann Fischfutter allergieauslösende Zuckmückenlarven enthalten.
Man muss immer wieder auch bedenken, dass Tierallergien erst zu einem eigentlichen
Problem wurden, seit viele Tiere nicht mehr draußen sondern drinnen in einer für sie
nicht natürlichen Umgebung gehalten werden.
12.3.4 Zusammenfassung
Seit Tiere zunehmend in Wohnungen gehalten werden, nehmen auch die Tierallergien
zu. Tiere lösen vor allem Symptome an den Schleimhäuten der Augen und Atemwege
aus. Am häufigsten sind Allergien gegen Katzen, Meerschweinchen, Hamster, Kaninchen,
Vögel, Hunde und Pferde. Die Trennung vom allergieauslösenden Tier fällt oft sehr
schwer, ist jedoch bei heftigen Reaktionen wie Asthmaanfällen unbedingt erforderlich.
12.4 Schimmelpilze
12.4.1 Was sind Schimmelpilze und Schimmelpilzsporen?
Schimmelpilze sind allgemein verbreitete Pilze, die besonders gut bei feuchter Wärme
gedeihen. Schimmelpilzsporen sind einzellige Fortpflanzungsformen der Schimmelpilze.
12.4.2 Welche allergologische Bedeutung haben Schimmelpilze?
Inhalierte Schimmelpilzallergene spielen häufig beim Asthma bronchiale (siehe
ÎKapitel 5.4) und beim allergischen Dauerschnupfen (siehe ÎKapitel 4.5) eine Rolle, sie
können jedoch auch eine allergische Entzündung der Lungenbläschen (allergische Alveolitis, siehe ÎKapitel 5.5) auslösen. Meist tritt eine Sensibilisierung gegen Schimmelpilze
gemeinsam mit einer Allergie gegen Pollen oder Hausstaubmilben auf. Die Schimmelpilze
und deren Stoffwechselprodukte (Enzyme) in Nahrungsmitteln haben vor allem Bedeutung bei den Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten, weniger als Auslöser von Atemwegssymptomen.
12.4.3 Wo kommen Schimmelpilze vor?
Im folgenden werden die Schimmelpilze nach ihrem Auftreten im Freien, im Haus, in
Nahrungsmitteln und sonstigen Einsatzgebieten besprochen.
Schimmelpilze im Freien
Die beiden wichtigsten Schimmelpilze, die hauptsächlich im Freien vorkommen, sind
Alternaria alternata und Cladosporium herbarum. Sie wachsen auf Blattoberflächen,
jeglichem Pflanzenabfall und in der Erde. Hohe Konzentrationen werden auf Gräsern und
Getreide erreicht. Die höchste Schimmelpilzsporenbelastung tritt im Juli und August auf,
geringere Belastungen bestehen jedoch das ganze Jahr über. Schimmelpilzallergiker reagieren gewöhnlich nach Kontakt mit Heu, Silofutter, Rindenmulch, trockener Erde, Torf,
Kompost, Blattabfällen und beim Korndreschen.
Schimmelpilze im Haus
Die Schimmelpilzbelastung im Haus resultiert aus mehreren Quellen:
•
Wenn die im Freien vorkommenden Schimmelpilze hohe Konzentrationen außer
Haus aufweisen, gelangen diese natürlich beim Lüften auch ins Haus.
•
Andere Schimmelpilzarten wie Penicillium und Aspergillus können sich im Haus
vermehren, vor allem bei hoher Luftfeuchtigkeit ab ca. 80-85% relativer
Luftfeuchte. Diese entsteht z.B., wenn im Winter wenig gelüftet wird. Nassräume
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
wie Bad und Dusche sind besonders gefährdet. Auch Klimaanlagen und Luftbefeuchtungsgeräte sind häufig mit Schimmelpilzen verunreinigt. Oft verbirgt sich
ein Schimmelpilzbefall auch hinter Holzverkleidungen, alten Bodenbelägen oder
Tapeten. Auch Aquarien erhöhen die Luftfeuchtigkeit. Eine Sensibilisierung gegen
den Schimmelpilz Penicillium hat jedoch nichts mit einer Allergie gegen das
Antibiotikum Penicillin zu tun!
•
Herumliegende Nahrungsmittelreste dienen als Nahrungsquelle für Schimmelpilze.
Haustiere bringen verunreinigten Straßenstaub in die Wohnung.
•
Pflanzen in der Wohnung können eine Schimmelpilzquelle sein (auf den Blättern,
in der Blumenerde). An Schimmelpilzsporen aus dem Wintergarten denken!
•
Ein beruflicher Kontakt mit Pflanzen oder Tierprodukten kann zu einer hohen
Schimmelpilzbelastung führen.
Schimmelpilze in Nahrungsmitteln
Nahrungsmittel sind eine reichhaltige Quelle für Schimmelpilze und deren Stoffwechselprodukte (Enzyme):
An Obst und Gemüse, Käse und anderen Nahrungsmitteln haften besonders nach langer
Lagerzeit Schimmelpilze, bei Obst kann der Befall durch gründliches Waschen deutlich
reduziert werden.
Schimmelpilze und ihre Produkte werden gezielt bei der Produktion von Nahrungsmitteln eingesetzt: Backwaren, Bier, Wein, anderen Spirituosen, Essig und Essigprodukten, bestimmten Käsesorten wie Camembert oder Roquefort, Soja- und Steaksoßen, Schokolade. Enzyme als Stoffwechselprodukte von Schimmelpilzen zerkleinern
auch Kartoffeln bei der Herstellung von Kartoffelpüree oder Obst bei der Fruchtsaftherstellung. Eine Deklarationspflicht besteht nicht, sodass der Verbraucher sich nur
schwer informieren kann.
Die Bedeutung von Schimmelpilzen und deren Produkte, die über den Magendarmtrakt
aufgenommen werden, ist schwer zu erfassen. Der Verzehr großer Schimmelpilzmengen
z.B. durch Wein oder Käse kann jedoch neben Unverträglichkeiten am Magendarmtrakt
auch akute Atemwegsprobleme machen. Schimmelpilzgifte wie die Aflatoxine, die z.B. an
der Leber krebsentstehend wirken, sollen hier nur am Rande erwähnt werden.
12.4.4 Sonstige Einsatzgebiete von Schimmelpilzen
Enzyme sind ein wichtiger Bestandteil von Wasch- und Reinigungsmitteln, finden sich in
Zahnreinigungsmitteln und Hautcremes, werden bei der Medikamentenherstellung
verwendet, Jeans werden in Schimmelpilzenzymen gebadet. Schimmelpilzenzyme in
Waschmitteln können bei Beschäftigten in der Waschmittelherstellung bei Inhalation
größerer Mengen Symptome an den Atemwegen verursachen, was bei der üblichen
Verwendung durch den Verbraucher praktisch keine Rolle spielt. Durch einem normalen
Waschgang in der Waschmaschine mit ausreichender Spülung werden diese Stoffe soweit
ausgespült, dass durch Kontakt mit der Haut keine Reaktionen auftreten.
12.4.5 Ratschläge für Schimmelpilzallergiker
In der freien Natur
Eine völlige Vermeidung in der freien Natur vorkommender Schimmelpilze ist wie bei den
Pollen nicht möglich.
• Bei starkem Sporenflug, was besonders bei trockenem und windigem Wetter von
Mai bis Oktober der Fall ist, sollte der Aufenthalt im Freien eingeschränkt werden.
•
Gartenarbeiten und landwirtschaftliche Arbeiten sollte ein Schimmelpilzallergiker
nicht durchführen.
•
Kinder sollten nicht auf Rindenmulch oder verrottendem Laub spielen, Komposthäufen und Mähdrescher bei der Arbeit meiden.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
In der Wohnung
• Die wichtigste Maßnahme ist wie bei der Hausstaubmilbensanierung die Reduktion
der Luftfeuchtigkeit und ausreichende Lüftung. Die Luftfeuchtigkeit sollte 45-55%
betragen. Am besten 3-4mal täglich für 5-10 Minuten stoßlüften. Insbesondere
Nassräume müssen optimal gelüftet werden.
•
Es sollte eine gute Luftzirkulation zwischen Möbeln und Boden, Decke und Wand
bestehen. Geschlossene Bettkästen sind für die Matratzenbelüftung ungünstig.
•
Zumindest im Schlafzimmer sollten keine Topfblumen aufgestellt werden.
Eventuell müssen Grünpflanzen auf bestimmte Zimmer und in ihrer Anzahl
beschränkt werden. Auch in Wintergärten befindet sich eine hohe Anzahl von
Schimmelpilzsporen! Die Tür zum Wintergarten muss daher geschlossen bleiben.
•
Eine Luftbefeuchtung durch Klimaanlagen oder Luftbefeuchtungsgeräte sollte
unterbleiben, Filter in Klimaanlagen müssen regelmäßig ausgetauscht werden.
Auch ein Aquarium erhöht die Luftfeuchtigkeit und ist daher für Schimmelpilzallergiker nicht zu empfehlen.
Besondere Hygiene ist in der Küche erforderlich. Nahrungsmittel müssen sorgfältig
und trocken gelagert werden. Obst gut waschen, faulige Stellen herausschneiden.
Nahrungsmittelreste entsorgen.
•
•
Schlecht isolierte Häuser mit feuchten Wänden und Schimmelpilzbefall müssen
vom Fachmann saniert werden. Das nicht fachgerechte Aufbringen einer Isolierschicht auf eine feuchte Wand erhöht nur den Schimmelpilzbefall dahinter!
12.4.6 Zusammenfassung
Schimmelpilze spielen vor allem als Inhalationsallergene eine Rolle. Alternaria alternata
und Cladosporium herbarum kommen im Freien auf organischem Material wie Blättern,
Getreide, Kompost und Erde, jedoch auch im Haus auf Zimmerpflanzen und in Blumenerde vor. Andere Schimmelpilze im Haus wachsen auf feuchten Wänden oder Speiseresten. Die wichtigsten Maßnahmen zur Reduktion von Schimmelpilzbefall im Haus sind
eine Reduktion der Luftfeuchtigkeit auf 45-55% und regelmäßiges Stoßlüften. Daneben
werden Schimmelpilze und ihre Produkte (Enzyme) unter anderem bei der Nahrungsmittelproduktion eingesetzt.
12.5 Sonstige
12.5.1 Nahrungsmittel und Lebensmittelzusatzstoffe
siehe ÎKapitel 7.
12.5.2 Insektengifte
siehe ÎKapitel 9.
12.5.3 Ficus benjamini
Die Birkenfeige kann einen allergischen Schnupfen, eine allergische Bindehautentzündung, Asthma bronchiale und einen Nesselausschlag auslösen. An eine Ficus-Allergie
ist vor allem bei ganzjährigen Beschwerden zu denken, bei denen der Allergietest kein
anderes Ergebnis gezeigt hat. Es gibt eine Kreuzallergie zu Feigen. Die Therapie besteht
in der Meidung des Kontaktes mit Ficus benjamini.
12.5.4 Latex
Naturlatex ist das Ausgangsmaterial für die Gummiherstellung. Es findet sich in einer
Vielzahl von Produkten wie medizinischen Handschuhen, Bällen, Luftballons, Schnullern,
Reifen, Kondomen, Blasenkathetern und vielen anderen. Die Latexallergie ist vor allem
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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12. Allergieauslöser näher betrachtet
für medizinisches Personal durch die Verwendung von Latexhandschuhen zum Problem
geworden, jedoch auch für Patienten, die häufigen medizinischen Eingriffen und
Operationen ausgesetzt sind wie Kinder mit Spina bifida (= offener Rücken). Die
Symptome reichen von einem Juckreiz und Rötung im Kontaktbereich der Handschuhe
über einen Nesselausschlag am ganzen Körper, Bindehautentzündung, Niesreiz und
Atemnot bis zum allergischen Schock. Kreuzallergien zu Nahrungsmitteln wie Kiwi,
Avokado, Banane, Esskastanie oder Papaya können bestehen. Die einzige mögliche
Therapie ist das absolute Meiden von Naturlatex in jeder Form vor allem bei medizinischen Eingriffen. Gegebenfalls muss eine Notfallapotheke wie bei einer Insektengiftallergie
verordnet werden.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
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13. Hyposensibilisierung
13. Hyposensibilisierung
13.1 Was bedeutet Hyposensibilisierung?
13.2 Voraussetzungen für eine Hyposensibilisierung
13.3 Warum eine Hyposensibilisierung schon bei Kindern?
13.4 Formen der Hyposensibilisierung
13.5 Wann wird eine Hyposensibilisierung durchgeführt und wie erfolgreich ist sie?
13.6 Wie wird die Hyposensibilisierung durchgeführt?
13.7 Welche unerwünschten Reaktionen können auftreten?
13.8 Gibt es Gegenanzeigen für eine Hyposensibilisierung?
13.9 Was muss bei der Durchführung einer Hyposensibilisierung beachtet werden?
13.10 Zusammenfassung
13.1 Was bedeutet Hyposensibilisierung?
Die Hyposensibilisierung (auch spezifische Immuntherapie (= SIT) oder Allergieimpfung
genannt) ist eine der wirksamsten Behandlungsmethoden in der Allergologie. Bei einer
Allergie reagiert das Abwehrsystem überschießend auf bestimmte Allergieauslöser (=
Allergene). Mit der Hyposensibilisierung wird dem Körper wiederholt ein Allergieauslöser
in steigender Dosierung zugeführt, bis diese überschießende Immunreaktion nicht mehr
eintritt und das Abwehrsystem den Allergieauslöser toleriert. Die Hyposensibilisierung
setzt so bei den Ursachen der Allergieentstehung an.
13.2 Voraussetzungen für eine Hyposensibilisierung
Die Voraussetzungen für eine Hyposensibilisierung sind, dass es sich um eine IgE-vermittelte Allergie vom Soforttyp (also z.B. Heuschnupfen, allergisches Asthma bronchiale,
Insektengiftallergie) handelt, der Auslöser eindeutig identifiziert ist, eine Meidung des
Allergieauslösers nicht oder nicht ausreichend möglich ist und eine nachgewiesen wirksame Behandlungslösung zur Verfügung steht. Der Patient muss ausreichend motiviert
sein, die Behandlung über mehrere Jahre konsequent durchzuführen und Kinder sollten
mindestens 5-6 Jahre alt sein (Ausnahme: bedrohliche Insektengiftallergien).
13.3 Warum eine Hyposensibilisierung schon bei Kindern?
Die Hyposensibilisierungsbehandlung ist im Kindes- und Jugendalter aus folgenden Gründen besonders erfolgversprechend:
•
Im Frühstadium einer allergischen Erkrankung sind noch keine chronischen Veränderungen eingetreten, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.
•
Das Abwehrsystem ist bei Kindern noch besonders lern-, also auch veränderungsfähig.
•
Die Wirksamkeit der Hyposensibilisierung ist am besten, wenn man nur auf einen
und nicht bereits auf eine Vielzahl von Allergieauslösern allergisch reagiert.
•
Nach einer Hyposensibilisierung entstehen weniger neue Allergien, ein Heuschnupfen geht seltener in ein Asthma bronchiale über.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002-6/2006
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13. Hyposensibilisierung
13.4 Formen der Hyposensibilisierung
Die am häufigsten angewendete und wirksamste Form der Hyposensibilisierung ist die
sogenannte subkutane Hyposensibilisierung. Hierbei wird das Allergen, in der Regel
monatlich über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren, am Oberarm unter die Haut gespritzt.
Bei der sublingualen Hyposensibilisierung wird das Allergen in Tropfenform oder als
Tablette unter die Zunge gebracht. Diese Behandlungsform ist bei Erwachsenen mit
Pollenallergien in aktuellen Studien etwa halb so wirksam wie die subkutane Behandlung.
Wenig bekannt ist auch, wie lange die Wirkung einer sublingualen Therapie anhält. Bei
Kindern und Jugendlichen ist die Datenlage noch unzureichend, sodass die sublinguale
Hyposensibilisierung von den drei allergologischen Fachgesellschaften nach dem heutigen
Stand (Leitlinie vom Januar 2006) für Kinder nicht empfohlen wird. Allerdings kann man
feststellen, dass derzeit besonders viele Studien zur Wirksamkeit der sublingualen
Immuntherapie auch bei Kindern unternommen werden. Eine Teilnahme an solchen Studien ist sinnvoll, da sie der Verbesserung der allergologischen Behandlungsmöglichkeiten
dient.
13.5 Wann wird eine Hyposensibilisierung durchgeführt
und wie erfolgreich ist sie?
•
Ab dem Alter von etwa 5-6 Jahren wird die Allergieimpfung bei allergischem
Schnupfen, bei allergischer Bindehautentzündung und bei allergischem Asthma
bronchiale eingesetzt, bei Insektengiftallergien auch schon früher.
•
Am häufigsten wird bei Pollenallergie hyposensibilisiert, eine Symptombesserung
ist in bis über 80% der Fälle zu erwarten.
•
Auch bei Insektengiftallergien mit bedrohlichen Symptomen wird diese Behandlung mit einer Erfolgsrate von über 90% angewendet.
•
Bei Milbenallergien kann die Allergieimpfung durchgeführt werden, wenn die
Milbensanierungsmaßnahmen keinen ausreichenden Erfolg gezeigt haben.
•
In besonderen Fällen, wenn der betreffende Auslöser überhaupt nicht zu meiden
ist (z.B. Pferdestall direkt neben dem Wohnhaus), wird auch bei Tierhaarallergien
hyposensibilisiert.
13.6 Wie wird die Hyposensibilisierung durchgeführt?
Die Allergenlösung wird anfangs meist wöchentlich, später in der Regel monatlich unter
die Haut gespritzt. Bei Pollenallergien kann die spezifische Immuntherapie entweder das
ganze Jahr hindurch oder auch nur außerhalb der Pollensaison durchgeführt werden. Bei
Milben-, Tierhaar- und Insektengiftallergien wird grundsätzlich ganzjährig behandelt. Die
Therapiedauer beträgt mindestens drei Jahre. Entscheidend für den Erfolg der Behandlung ist die Gesamtmenge des verabreichten Allergens. Der Langzeiteffekt der SIT gegen
Pollen ist bisher über einen Zeitraum von 12 Jahren belegt.
Die Hyposensibilisierung bei Insektengiftallergie wird meist als Schnellhyposensibilisierung mit rascher Dosissteigerung innerhalb weniger Tage bis zur Erhaltungsdosis begonnen. Dies muss allerdings unter stationären Bedingungen im Krankenhaus geschehen.
Die Fortführung der Injektionsbehandlung kann dann ambulant erfolgen.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002-6/2006
Seite 13-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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13. Hyposensibilisierung
13.7 Welche unerwünschten Reaktionen können auftreten?
Wie bei jeder anderen Behandlung können auch bei einer Hyposensibilisierung unerwünschte Reaktionen auftreten. Ein allergologisch erfahrener Arzt kann durch die richtige
Auswahl und Dosierung des Allergens aber die Nebenwirkungsrate minimieren.
•
Leichte örtliche Reaktionen wie geringe Schwellungen an der Einstichstelle sind
relativ häufig, jedoch harmlos.
•
Bei starken örtlichen Schwellungen wird die Nachbeobachtungszeit in der Praxis
verlängert, eine örtliche Kühlung durchgeführt und ein Antihistaminikum oder evtl.
einer Kortisonpräparat verabreicht.
In seltenen Fällen (bei weniger als jeder 1000sten Spritze) können Allgemeinreaktionen wie Juckreiz, Hautausschlag, Unwohlsein oder Husten, manchmal auch
Atemnot, Herzklopfen oder Schwindel auftreten. Ein ernstzunehmender Kreislaufschock wird noch weitaus seltener und fast ausschließlich im Erwachsenenalter
beobachtet; oft handelt es sich dabei um Patienten, die neben ihrer Allergie noch
an weiteren Krankheiten leiden. In jedem Fall wird der allergologisch erfahrene
und in Notfällen geschulte Arzt sofort die richtige Behandlung einleiten.
•
13.8 Gibt es Gegenanzeigen für eine Hyposensibilisierung?
Eine Hyposensibilisierung sollte nicht durchgeführt werden bei ganz schwerem Asthma
(wenn bereits nicht mehr rückbildungsfähige Lungenveränderungen eingetreten sind),
Neurodermitis als einziger allergischer Erkrankung, schweren Allgemeinerkrankungen wie
chronischen Infektionen, Immundefekten (= Störungen der Abwehrfunktion), bösartigen
Erkrankungen, Einnahme von Medikamenten die das Immunsystem schwächen, Einnahme von sogenannten Betablockern, Vorliegen einer Schwangerschaft sowie aus-geprägten psychologischen oder psychiatrischen Auffälligkeiten. Nur mit Einschränkung
empfohlen werden kann eine Hyposensibilisierung, wenn viele unterschiedliche Allergieauslöser für die Erkrankung verantwortlich sind oder wenn die Erkrankung bereits sehr
lange andauert.
13.9 Was muss bei der Durchführung einer Hyposensibilisierung beachtet werden?
•
Die Abstände zwischen den einzelnen Spritzen müssen genau eingehalten werden.
•
Nach der Injektion muss der Patient noch mindestens 30 Minuten zur Nachbeobachtung in der Praxis bleiben. Sollten hierbei oder danach starke
Schwellungen oder Allgemeinreaktionen (s.o.) auftreten, wenden Sie sich sofort
an Ihren Arzt.
•
Vor jeder Spritze müssen alle Auffälligkeiten (z.B. starke Armschwellung, Allgemeinreaktion, Infekte, Medikamentenänderungen) dem Arzt mitgeteilt werden, da
eventuell die Dosis geändert werden muss.
•
Am Tage der Hyposensibilisierung, insbesondere nach der Injektion, sollten starke
körperliche Belastungen vermieden werden.
•
Während der Behandlung sollen die ursächlichen Allergieauslöser soweit als möglich gemieden werden.
•
Die empfohlenen Schutzimpfungen können und sollen auch während der
Erhaltungsphase der 3-jährigen Hyposensibilisierungsbehandlung durchgeführt
werden. In der Regel genügt ein Abstand von 1 bis 2 Wochen zwischen Schutzimpfung und Hyposensibilisierungsspritze.
Und denken Sie daran: Eine gute Mitarbeit garantiert den besten Erfolg!
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002-6/2006
Seite 13-3
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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13. Hyposensibilisierung
13.10 Zusammenfassung
Bei der Hyposensibilisierung wird dem Körper wiederholt ein Allergen in ansteigender
Dosierung zugeführt mit dem Ziel, dass der Körper eine Toleranz gegen das Allergen
entwickelt. Sie setzt daher bei den Ursachen der Allergieentstehung an. Die Haupteinsatzgebiete der Hyposensibilisierung sind die Allergien vom Soforttyp der Atemwege
(Heuschnupfen und Asthma bronchiale) sowie die Bienen- und Wespengiftallergie. Die
Hyposensibilisierung wird in Form subkutaner Injektionen (unter die Haut) durchgeführt.
Die sublinguale Hyposensibilisierung (das Allergen wird unter die Zunge gebracht) ist
weniger wirksam und wird daher bei Kindern derzeit nicht empfohlen.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002-6/2006
Seite 13-4
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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14. Allergie-Vorbeugung
14. Allergie-Vorbeugung
14.1 Ziele der Allergie-Vorbeugung
14.2 Bei wem sollen vorbeugende Maßnahmen eingesetzt werden?
14.3 Wie kann man einer Allergie-Entstehung vorbeugen?
14.4 Zukünftige Strategien
14.5 Zusammenfassung
Allergien und Asthma haben in den letzten Jahrzehnten rasant und Besorgnis erregend
zugenommen und stellen eine große medizinische und gesundheitspolitische Herausforderung dar. Eine ungeheuer wichtige Aufgabe ist es daher, wirksame vorbeugende Strategien zur Vermeidung von Allergien und Asthma zu entwickeln. Dazu sind auch in Zukunft noch gewaltige Forschungsanstrengungen nötig in Bezug auf Faktoren, die das
Allergierisiko erhöhen oder vor Allergien schützen können (siehe auch Kapitel 2).
14.1 Ziele der Allergie-Vorbeugung
Maßnahmen zur Allergie-Vorbeugung (= Allergie-Prävention) können auf verschiedenen
Ebenen ansetzen. Sie haben folgende Ziele:
Primäre Allergie-Prävention
Der Entstehung von Allergien und Asthma bronchiale soll von Anfang an entgegengewirkt
werden. Dies ist natürlich das Hauptziel aller vorbeugenden Maßnahmen. Dieses Kapitel
befasst sich hauptsächlich mit der primären Allergie-Prävention.
Sekundäre Allergie-Prävention
Bei Kindern, bei denen bereits eine Sensibilisierung (= Bildung von Allergieantikörpern)
stattgefunden hat, soll der Ausbruch einer manifesten allergischen Erkrankung oder eines
Asthma bronchiale verhindert werden.
Tertiäre Allergie-Prävention
Bei Kindern, bei denen bereits eine allergische Erkrankung oder ein allergisches Asthma
bronchiale vorliegt, sollen die Beschwerden reduziert und damit auch der Medikamentenverbrauch vermindert werden.
14.2 Bei wem sollen vorbeugende Maßnahmen eingesetzt
werden?
Ziel der primären Allergie-Vorbeugung ist es, Kinder von Anfang an vor der Entwicklung
einer Allergie oder eines Asthma bronchiale zu schützen. Am wirkungsvollsten ist es, vorbeugende Maßnahmen gezielt bei der Gruppe mit dem höchsten Allergie- und Asthmarisiko einzusetzen (Hochrisikokinder). Die beste Voraussage des Risikos, an einer Allergie
zu erkranken, liefert nach wie vor die Allergiebelastung in der Familie (siehe
Tabelle
14.1). Im medizinischen Alltag durchführbare Tests (z.B. Gentests), welche die individuelle Risikoabschätzung verbessern könnten, stehen bisher nicht zur Verfügung.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
Seite 14-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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14. Allergie-Vorbeugung
Tabelle 14-1: Allergierisiko eines Neugeborenen
familiäre Belastung
kein Allergiker in der Familie
Allergierisiko
5-15%
1 allergisches Geschwister
25-35%
1 allergischer Elternteil
20-40%
2 allergische Eltern
40-60%
2 allergische Eltern mit selber Allergie
50-70%
Zielgruppe der primären Allergie-Prävention sind daher vor allem Kinder,
deren Eltern oder Geschwister an allergischen Erkrankungen leiden.
14.3 Wie kann man einer Allergie-Entstehung vorbeugen?
Generell gibt es zwei Ansätze, in das Geschehen der Allergieentstehung einzugreifen:
1) Vermeidung von Umweltfaktoren, welche Allergien fördern (z.B. Tabakrauch,
Allergieauslöser).
2) Förderung von schützenden Faktoren, welche Allergien entgegenwirken (z.B.
Stillen).
Folgende Maßnahmen zur Allergie-Vorbeugung sind nach dem heutigen Kenntnisstand
sinnvoll:
14.3.1 Allergie-Vorbeugung in der Schwangerschaft
a) Ernährung
Die Mutter sollte sich in der Schwangerschaft vollwertig ernähren. Für den Nutzen einer
allergenarmen Ernährung (z.B. Kuhmilch- und Hühnereiweiß-freie Kost) der Mutter in der
Schwangerschaft gibt es keine Hinweise. Da eine Mangelernährung bei der Mutter und
dem ungeborenen Kind entstehen kann, muss eindeutig davor abgeraten werden, die
Ernährung in der Schwangerschaft einseitig einzuschränken. Ausgenommen sind lediglich
Mütter, die aufgrund ihrer eigenen allergischen Erkrankung eine Diät einhalten müssen.
b) Umweltfaktoren
Das Kind darf schon während der Schwangerschaft nicht Tabakrauch ausgesetzt werden,
insbesondere soll die schwangere Mutter nicht rauchen. Die vorbeugende Meidung von
Allergieauslösern wie Hausstaubmilben oder Tieren in der Schwangerschaft durch die
Mutter ist nicht notwendig.
14.3.2 Allergie-Vorbeugung nach der Geburt
a) Ernährung
Bei einer vorbeugenden allergenarmen Kost werden bekanntermaßen aggressive Nahrungsmittelallergene gemieden oder möglichst spät in den Speiseplan eingeführt:
•
Stillen: Kinder aus allergiebelasteten Familien sollten 4 bis 6 Monate voll gestillt werden. Wichtig ist eine gute Stillanleitung bereits in der Geburtsklinik. Das
Neugeborene sollte möglichst früh (gleich nach der Geburt) und später häufig (sobald es hungrig ist) angelegt werden. Zunächst wird das Kind nur für einige Minuten angelegt, dann die Stilldauer langsam gesteigert. Von Anfang an sollte man
das Kind an beiden Brüsten trinken lassen. Sollte die Milch in den ersten Tagen
nicht richtig fließen, soll nur eine Traubenzuckerlösung, und kein Kuhmilch- oder
Sojapräparat zugefüttert werden! Eine spezielle Diät der stillenden Mutter wird nur
in Ausnahmefällen empfohlen und sollte mit dem Kinder- und Jugendarzt abgesprochen werden.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
Seite 14-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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14. Allergie-Vorbeugung
•
Hydrolysatnahrung: Falls trotz aller Anstrengung ein ausschließliches Stillen
nicht möglich ist, sollte in den ersten 6 Monaten eine sogenannte Hydrolysatnahrung zugefüttert werden. In diesen Nahrungen sind die Eiweißbestandteile in kleinere Bausteine gespalten, sodass die nicht mehr so stark sensibilisierend wirken
wie unbehandelte Kuhmilch. Am stärksten gespalten sind die starken Hydrolysatnahrungen (z.B. Alfaré®, Nutramigen®, Pregomin®). Die hypoallergenen Säuglingsnahrungen (H.A.-Nahrungen wie Aptamil H.A.®, Beba H.A.®, Hipp H.A.®, Humana H.A.®) enthalten noch etwas größere Eiweißbestandteile. Welche Hydrolysatnahrung den besten Effekt hat, wird noch kontrovers diskutiert und ist auch
Gegenstand der laufenden GINI-Studie. Bei Vorliegen einer Neurodermitis in der
Familie zeigte in den bisherigen Ergebnissen dieser Studie ein starkes Hydrolysat
(Nutramigen®) den besten vorbeugenden Effekt bezüglich der Verhinderung eines
Ekzems. Nachteil der starken Hydrolysate ist ihr hoher Preis. Besprechen Sie die
Auswahl der Hydrolysatnahrung mit Ihrem Kinder- und Jugendarzt. Ab dem 7.
Monat können bei Kindern mit geringem Allergierisiko teiladaptierte Säuglingsnahrungen und Breie auf Kuhmilchbasis verwendet werden. Bei Hochrisikokindern
(Mutter Neurodermitis, beide Eltern oder 2 Familienmitglieder 1. Grades betroffen)
kann die Gabe einer Hydrolysatnahrung über die ersten 6 Monate hinaus sinnvoll
sein.
•
Beikost: Je später der Kontakt mit potentiell allergieauslösenden Nahrungsmitteln erfolgt, desto geringer ist das Risiko einer Sensibilisierung. Mit Beikost daher
erst nach 4 bis 6 Monaten beginnen. Eier, Nüsse, Fisch und exotische Früchte im
ersten Lebensjahr meiden, da diese besonders häufig Allergien auslösen. Schrittweise ein neues Nahrungsmittel pro Woche einführen (z.B. Beginn mit Karotten Kartoffeln Brokkoli). Karotten-Allergien sind entgegen der landläufigen Meinung bei Kindern sehr selten. Insbesondere Nüsse und Ei können in vielen Nahrungsmitteln versteckt sein! Viele Hersteller von Säuglingsnahrungen haben geeignete Gläschenkost besonders gekennzeichnet.
b) Umweltfaktoren
• Raumluft/Tabakrauch: In Wohnungen und Räumen, in denen sich Kinder
aufhalten, darf nicht geraucht werden! Tabakrauch führt zu gehäuften Erkrankungen der Atemwege, erhöht das Allergierisiko und das Risiko des plötzlichen
Kindstodes. Auch anderen Luftschadstoffen wie Formaldehyd oder Lösungsmitteldämpfen sollten Kinder nicht ausgesetzt werden.
•
Haustiere: Der Einfluss von Haustieren auf die Entstehung von Allergien wird zur
Zeit kontrovers diskutiert. Nach heutigem Kenntnisstand haben Haustiere in der
Wohnung für Hochrisikokinder mehr Nachteile als Vorteile. Schaffen Sie daher
keine neuen felltragenden Haustiere wie Katzen, Kaninchen oder Meerschweinchen an. Das Verbleiben eines bereits vorhandenen Haustieres in der Wohnung
ist in Abhängigkeit vom familiären Risiko unter Umständen zu vertreten. Hunde
erhöhen nach neueren Daten das Allergierisiko nicht.
•
Hausstaubmilben und Schimmelpilze: Vor allem im Schlafbereich sollte ein für
Milben und Schimmelpilze ungünstiges Klima geschaffen werden: wischbare Böden, sparsame Möblierung, regelmäßiges Stoßlüften zur Herabsetzung der relativen Luftfeuchtigkeit auf unter 55%, keine Luftbefeuchter verwenden, waschbares
Bettzeug, bei hohem Allergierisiko evtl. milbendichte Matratzenüberzüge, keine
Felle ins Bett, Anzahl der Kuscheltiere begrenzen, keine Staubfänger wie schwere
Vorhänge.
•
Hautpflege, Kosmetik und Schmuck: Auch über die Haut ist das Kind einer
Vielzahl von Allergenen ausgesetzt. Für viele Hautreinigungsvorgänge reicht klares
Wasser. Nur bei gröberen Verschmutzungen eine milde Babyseife oder ein Syndet
verwenden. Beurteilen Sie den Wert einer Seife oder einer Creme nicht danach,
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
Seite 14-3
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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14. Allergie-Vorbeugung
wie stark sie duftet. Jeder zugesetzte Duftstoff erhöht das Allergierisiko. Auch frühes Ohrlochstechen oder das Tragen von Modeschmuck erhöht das Risiko für eine
Kontakt-Allergie z.B. gegen Nickel.
•
Schutzimpfungen: Auch bei Allergie-gefährdeten Kindern sollten die von der
STIKO (= Ständige Impfkommission) empfohlenen Impfungen durchgeführt werden (siehe
Kapitel 15). Mehrere große Untersuchungen haben gezeigt, dass
Schutzimpfungen die Allergie-Rate nicht erhöhen.
•
Schadstoffe in der Außenluft: Auf gesellschaftlicher Ebene muss weiterhin alles
getan werden, um die Schadstoffbelastung in der Außenluft weiter zu reduzieren.
14.4 Zukünftige Strategien
Bessere Identifizierung von Risikokindern
Durch eine bessere Identifizierung von Risikokindern könnten vorbeugende Maßnahmen
gezielter eingesetzt und in ihrer Intensität besser abgestuft werden.
Einsatz von Probiotika?
Möglicherweise kann man durch sogenannte Probiotika (= Darmbakterien, welche die
Darmflora günstig beeinflussen) über das Immunsystem des Darmes einen vor Allergien
schützenden Effekt erreichen (siehe auch Kapitel 2.4.2). Für die Empfehlung eines allgemeinen Einsatzes sind die bisher vorliegenden Forschungsergebnisse jedoch noch nicht
ausreichend.
Weitere Erforschung schützender Faktoren
Es wird fieberhaft daran gearbeitet, die schützenden Faktoren, die eine geringere Allergiehäufigkeit bei Bauernkindern und Kindern aus anthroposophischen Familien bewirken,
herauszufinden. Die gezielte Förderung schützender Faktoren könnte dann eine Senkung
der Allergie- und Asthmahäufigkeit bewirken.
14.5 Zusammenfassung
Empfehlungen zur Allergie-Vorbeugung bei Risikokindern
keine Tabakrauch-Belastung in und nach der Schwangerschaft
mütterliche Diät zur Allergie-Vorbeugung in der Schwangerschaft nicht sinnvoll
4 bis 6 Monate voll stillen
mütterliche Diät zur Allergie-Vorbeugung während der Stillzeit nicht empfohlen
falls Stillen nicht möglich: Hydrolysatnahrung in den ersten 6 Monaten
Beikost spät und schrittweise einführen
Eier, Nüsse und Fisch im 1. Lebensjahr meiden
keine felltragenden Haustiere anschaffen
ungünstige Bedingungen für Hausstaubmilben und Schimmelpilze schaffen
Luftschadstoffe im Kinderzimmer vermeiden
schonende Hautpflege
keine allergisierenden Substanzen auf die Haut bringen
empfohlene Schutzimpfungen durchführen.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002 – 11/2004
Seite 14-4
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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15. Impfungen bei Allergikern
15. Impfungen bei Allergikern
15.1 Gibt es generelle Gegenanzeigen gegen Impfungen bei Allergikern?
15.2 Impfungen bei Hühnereiweißallergie
15.3 Gibt es Impfungen, die für Allergiker besonders nützlich sein können?
15.4 Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen
15.5 Zusammenfassung
Impfungen sind ein wichtiger Bestandteil der vorbeugenden Medizin. In der Kinder- und
Jugendmedizin kommt ihnen ein besonders hoher Stellenwert zu. Sie haben die Ausbreitung vieler komplikationsreicher, zum Teil lebensbedrohlicher Erkrankungen wie Wundstarrkrampf (Tetanus), Diphtherie und Kinderlähmung bei geimpften Personen auf nahezu Null reduziert.
Grundsätzlich haben Allergiker denselben Impfschutz nötig wie Nichtallergiker. Jedoch
tauchen immer wieder besorgte Fragen von Eltern allergischer Kinder bezüglich der Verträglichkeit von Impfungen bei Allergikern auf.
15.1 Gibt es generelle Gegenanzeigen gegen Impfungen bei
Allergikern?
Eine generelle Gegenanzeige gegen eine Impfung bei einem Allergiker besteht nur, wenn
eine bekannte Allergie gegen eine im Impfstoff enthaltene Substanz vorliegt. Impfstoffe
enthalten neben der für die Immunisierung benötigten Substanz in geringen Mengen
auch sogenannte Hilfsstoffe und eventuell Verunreinigungen aus dem Herstellungsprozess. Hilfsstoffe wie Antibiotika, Gelatine oder Formaldehyd dienen der Stabilisierung und
Haltbarmachung des Impfstoffes. Gegen die in modernen Impfstoffen verwendeten Hilfsstoffe sind Allergien extrem selten, sodass diese keine generelle Gegenanzeige zur Verwendung bei Allergikern darstellen. Außerdem kommen immer mehr Impfstoffe ohne
Konservierungsmittel auf den Markt. Ein Problem für Hühnereiweißallergiker kann jedoch
Hühnereiweiß werden, welches vom Produktionsprozess übrig geblieben ist.
Es gibt auch keine begründeten Hinweise dafür, dass die empfohlenen Schutzimpfungen
die Allergiebereitschaft fördern!
15.2 Impfungen bei Hühnereiweißallergie
Die Hühnereiweißallergie stellt bei Impfstoffen, die noch Hühnereiweißbestandteilen enthalten, eine mögliche Gegenanzeige dar. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang lediglich die Hühnereiweißallergie vom Soforttyp, das heißt, wenn nach Genuss von Hühnereiweiß innerhalb kurzer Zeit Symptome wie Hautausschlag, Gesichtsschwellung, Erbrechen,
Atemnot und Kreislaufkollaps auftreten. Nur von geringer Bedeutung ist, wenn lediglich
im RAST oder Pricktest eine Hühnereiweißsensibilisierung ohne klinische Symptome festgestellt wurde oder nach Hühnereiweißgenuss Tage später eine Ekzemreaktion an der
Haut auftritt.
Eine ganze Reihe von Impfviren wurde früher auf Hühnereiern gezüchtet. Derart hergestellte Impfstoffe enthalten noch Hühnereiweißbestandteile. Inzwischen wurde wo möglich auf die Virusvermehrung auf Zellkulturen entweder mit Hühnerfibroblastenkulturen
oder menschlichen Zellkulturen umgestellt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass beim Herstellungsverfahren mit Hühnerfibroblastenkulturen so gut wie keine Probleme mehr bei
der Impfung von Hühnereiweißallergikern entstehen.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002-6/2006
Seite 15-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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15. Impfungen bei Allergikern
Es gelten folgende Empfehlungen:
•
Masern-Mumps-Röteln-Impfung:
Diese
Impfung
gilt
inzwischen
als
unproblematisch. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass mit den heutigen Masern-Mumps-Röteln-Impfstoffen bei Hühnereiweißallergikern kein höheres
Impfrisiko besteht als bei Nicht-Allergikern. Für schwere Hühnereiweißallergiker
mit Sofortreaktionen (siehe oben) wird von einigen Autoren sicherheitshalber eine
Nachbeobachtungszeit in der Praxis von 30-90 Minuten empfohlen, vor allem
wenn gleichzeitig ein Asthma bronchiale besteht.
•
Grippe-Impfung: Grippeimpfstoffe enthalten noch geringe Restmengen an
Hühnereiweiß, sodass bei Hühnereiweißallergikern vom Soforttyp die Indikation
streng zu stellen ist. Soll dennoch geimpft werden, muss dies unter sorgfältiger
Überwachung geschehen.
•
Gelbfieber-Impfung: Vor allem im Gelbfieberimpfstoff sind noch größere Mengen an Hühnereiweiß enthalten. Die Indikation ist bei dieser Impfung daher besonders streng zu stellen. Ist bei starken Hühnereiweißallergikern eine Impfung
dringend erforderlich, muss diese unter sorgfältiger Überwachung in der Regel im
Krankenhaus erfolgen.
•
Die übrigen Regelimpfungen im Impfplan der STIKO (= Ständige Impfkommission) stellen auch für Hühnereiweißallergiker kein erhöhtes Risiko dar.
15.3 Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen
•
Während einer Verschlechterungsphase einer jeglichen allergischen Erkrankung
wird man nicht impfen, um das Immunsystem nicht zusätzlich zu beanspruchen.
•
Bei einer Hyposensibilisierungsbehandlung müssen je nach Impfstoff in der
Regel 1-2 Wochen Abstand zur Hyposensibilisierungsspritze eingehalten werden.
•
Bei der Neurodermitis kann es nach einer Impfung wie nach jedem Infekt zu einer vorübergehenden Verschlechterung des Hautbefundes kommen. Dies ist jedoch kein Grund, auf die Routineimpfungen zu verzichten.
15.4 Gibt es Impfungen, die für Allergiker besonders
nützlich sein können?
Für Kinder mit überempfindlichem Bronchialsystem und Asthma bronchiale ist die Keuchhusten- und Grippeimpfung besonders wichtig, da eine Keuchhusten- oder Grippeerkrankung die Bronchien und Lunge empfindlich schädigen können. Da Asthmatiker auch ein
erhöhtes Risiko für schwere Infektionen durch Pneumokokken (Bakterien, die unter anderem Lungen- und Hirnhautentzündungen verursachen) haben, hat die STIKO für
Asthmatiker auch die Pneumokokkenimpfung empfohlen. Ob die Pneumokokkenimpfung
die Rate schwerer Pneumokokkenerkrankungen in dieser Gruppe tatsächlich vermindern
kann, ist allerdings bisher nicht endgültig geklärt. Bei Kindern mit schwerer Neurodermitis sollte auf einen Windpockenimpfschutz geachtet werden, da Windpocken bei Neurodermitis besonders schwer verlaufen können.
15.5 Zusammenfassung
Kinder mit Allergien benötigen denselben Impfschutz wie Kinder ohne Allergien. Allergien gegen Hilfsstoffe wie Antibiotika oder Formaldehyd in Impfstoffen sind extrem selten. Probleme können bei einer schweren Hühnereiweißallergie vom Soforttyp auftauchen, wenn Impfstoffe verwendet werden, die noch Hühnereiweiß enthalten. Dies trifft im
Moment noch für Impfstoffe gegen Grippe und Gelbfieber zu.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002-6/2006
Seite 15-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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16. Was läuft bei einer Allergie im Immunsystem ab?
16. Was läuft bei einer Allergie im
Immunsystem ab?
16.1 Grundbegriffe
16.2 Teilnehmer der allergischen Reaktion
16.3 Was läuft bei der allergischen Sofortreaktion ab?
16.4 Weitere Typen der allergischen Reaktion
16.5 Zusammenfassung
Nach Erläuterung einiger wichtiger Grundbegriffe erfahren Sie in diesem Kapitel das
Wichtigste über den Aufbau des menschlichen Immunsystems und den Ablauf einer
allergischen Reaktion.
16.1 Grundbegriffe
16.1.1 Allergie
Eine Allergie ist eine überschießende Reaktion des Körpers auf bestimmte allergieauslösende Stoffe aus der Umwelt (= Allergene). Das eigentliche Ziel des Immunsystems ist
es, den Körper vor Krankheitserregern und Fremdstoffen zu schützen. Im Falle einer
Allergie schießt das Abwehrsystem über dieses Ziel hinaus und es entstehen zum Teil
höchst unangenehme und krankmachende Symptome.
Ist der Organismus einmal auf einen Allergieauslöser empfindlich geworden, so wird
dieser Allergieauslöser bei jedem erneuten Kontakt vom Immunsystem sofort wiedererkannt und kann wieder Krankheitserscheinungen auslösen. Die Mengen des allergieauslösenden Stoffes müssen für diese Wiederholungsreaktionen oft nur verschwindend
gering sein.
16.1.2 Sensibilisierung
Unter Sensibilisierung versteht man die Bildung von Allergieantikörpern (IgE), die jedoch beim Betroffenen (noch) keine Symptome auslösen. Man kann z.B. bei einer ganzen
Reihe von Personen Allergieantikörper gegen Nahrungsmittel nachweisen, ohne dass jemals entsprechende Krankheitserscheinungen aufgetreten sind.
16.1.3 Pseudoallergie
Bei einer echten Allergie reagiert das Immunsystem gegen den allergieauslösenden Stoff.
Pseudoallergien sind allergieähnliche Reaktionen, an denen das Immunsystem nicht
beteiligt ist. Die Symptome ähneln jedoch denen einer allergischen Erkrankung. So sind
z.B. viele Reaktionen auf Nahrungsmittel und Medikamente keine Allergien im engeren
Sinne, sondern Pseudoallergien.
16.1.4 Asthma bronchiale
Unter einem Asthma bronchiale versteht man eine anfallsweise auftretende Verengung
der Atemwege. Ursache ist eine chronische Entzündung in den Bronchien. Diese Entzündung wird bei Kindern häufig durch Allergien ausgelöst.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 16-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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16. Was läuft bei einer Allergie im Immunsystem ab?
16.1.5 Atopie
Da verschiedene allergische Erkrankungen in Kombination sowie familiär gehäuft auftreten können, wurde der Begriff Atopie geprägt. Man versteht darunter eine familiär auftretende Veranlagung zu Ekzemen, Asthma, Heuschnupfen und Nahrungsmittelallergien.
16.2 Teilnehmer der allergischen Reaktion
Unser Immunsystem ist ein Teil des Abwehrsystems des Körpers und hat die eigentliche Aufgabe, den Körper vor Infektionserregern und anderen Fremdstoffen zu schützen.
Es besteht aus mehreren Organen und ist im ganzen Körper verteilt. Dazu gehören das
Knochenmark, die Thymusdrüse (hinter dem Brustbein), ein über den ganzen Körper
verstreutes Netzwerk von Lymphknoten und Lymphgewebe einschließlich Milz, Rachenund Gaumenmandeln. Zum Immunsystem gehören verschiede Zellen aber auch gelöste
Stoffe wie Komplementfaktoren oder Immunglobuline.
Das Knochenmark ist Produzent und Speicher von verschiedenen Blutzellen. Einige Typen
unreifer Blutzellen, die Stammzellen, gelangen in andere Teile des Immunsystems und
entwickeln sich zu Zellen mit Spezialaufgaben weiter, beispielsweise in Lymphozyten und
Mastzellen.
ÎLymphozyten
Lymphozyten spezialisieren sich im Thymus und im Knochenmark zu T- und B-Lymphozyten:
• T-Lymphozyten (T für Thymus) gehören zum zellgebundenen Abwehrsystem. Sie können eindringende Krankheitserreger direkt attackieren.
•
B-Lymphozyten (Merkhilfe: B für engl. Bone marrow, Knochenmark) sind für die
Produktion von Antikörpern (Immunglobulinen) zuständig. Darunter befindet
sich auch das IgE, der Antikörper der allergischen Sofortreaktion.
ÎMastzellen
Mastzellen sind weitere wichtige Zellen der allergischen Reaktion. Sie enthalten Histamin
und andere Mittlersubstanzen allergischer Reaktionen. Sie finden sich als Gewebsmastzellen im Bindegewebe beispielsweise um Blutgefäße herum sowie im Blut als basophile
Granulozyten.
ÎHistamin und andere Mediatoren allergischer Reaktionen
Das Histamin ist einer der wichtigsten gelösten Stoffe bei der allergischen Reaktion. Es
ist hauptsächlich in Gewebsmastzellen und basophilen weißen Blutkörperchen enthalten.
Histamin führt z.B. zu einer Erweiterung der Blutgefäße mit erhöhter Durchlässigkeit für
Blutserum sowie zu einer Verkrampfung der Bronchialmuskulatur. Auch Leukotriene bewirken eine Verkrampfung der Bronchialmuskulatur und beeinflussen die Entzündungsreaktion in der Bronchialschleimhaut. Andere Mediatoren locken weitere Entzündungszellen an und verstärken dadurch die allergische Entzündung.
16.3 Was läuft bei der allergischen Sofortreaktion ab?
Die allergische Sofortreaktion ist der Prototyp der allergischen Reaktion. Sie tritt
Sekunden bis Minuten nach dem Allergenkontakt auf. Typische Beispiele sind der
Heuschnupfen, das allergische Asthma bronchiale, anaphylaktische Reaktionen nach
Insektenstich oder bei der Nahrungsmittelallergie vom Soforttyp. Es laufen (stark
vereinfacht) folgende Prozesse ab (siehe auch ÎAbbildung 16-1):
1. Der Allergieauslöser kommt mit dem Körper in Kontakt über die Haut, Schleimhäute oder den Magendarmtrakt.
2. Das Immunsystem erkennt die Substanz als "fremd" und produziert ganz spezielle
IgE-Antikörper. Diese Antikörper können den Allergieauslöser wiedererkennen und
mit ihm reagieren.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 16-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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16. Was läuft bei einer Allergie im Immunsystem ab?
3. Die IgE-Antikörper setzen sich auf Mastzellen. Mastzellen enthalten in kleinen
Bläschen Histamin und andere Mittlersubstanzen der allergischen Reaktion und
finden sich großer Zahl in Haut, den Atemwegen sowie im Magendarmtrakt.
4. Der Allergieauslöser gelangt erneut in den Körper und kommt mit dem IgE auf
den Mastzellen in Kontakt. Die Bindung des Allergens an das IgE bewirkt eine
explosionsartige Freisetzung von Histamin und anderen Entzündungsstoffen aus
der Mastzelle, was die allergische Sofortreaktion auslöst. Man unterscheidet eine
Frühphase, welche innerhalb der ersten 2 Stunden abläuft von einer Spätphase,
die nach diesem Zeitraum weiterläuft. In der Spätphase werden durch die
allergischen Botenstoffe weitere Entzündungszellen angelockt, welche den Entzündungsprozess nicht zur Ruhe kommen lassen. Diese Spätphasenreaktion spielt
z.B. für das Asthma bronchiale eine wichtige Rolle.
Allergieauslöser
kommt mit Körper in
Kontakt
Bildung von
IgE-Antikörpern
IgE-Antikörper setzen
sich auf Mastzellen
erneuter Kontakt mit
Allergieauslöser
Allergieauslöser bindet sich
an das IgE auf der Mastzelle
allergische Symptome
Freisetzung von Botenstoffen
(z.B. Histamin)
Abbildung 16-1: Die allergische Sofortreaktion
16.4 Weitere Typen der allergischen Reaktion
Neben der allergischen Sofortreaktion gibt es 3 weitere Haupttypen:
ÎTyp I: Die allergische Sofortreaktion
Siehe oben.
ÎTyp II: Zytotoxische Reaktion
Bei der zytotoxischen Reaktion reagieren Antigen und Antikörper (aus der IgGoder IgM-Klasse) an Oberflächen von Zellen, z.B. Blutzellen miteinander. Die Antigen-Antikörperreaktion führt letztlich zu einer Zerstörung der betreffenden Zelle.
Beispiele sind die Zerstörung von roten Blutkörperchen (= Erythrozyten) nach
einer Transfusion von Blut einer nicht passenden Blutgruppe oder die Zerstörung
von Blutplättchen (= Thrombozyten) bei einer Medikamentenallergie.
ÎTyp III: Immunkomplexreaktion
Bei der Immunkomplexreaktion kommt es zu einer Schädigung von Geweben
durch sogenannte Immunkomplexe. Die Immunkomplexe entstehen durch die Aneinanderlagerung von Antigen und Antikörper. Beispiele sind die Glomerulonephritis (= nichteitrige Entzündung der Nierenkörperchen) und die exogen aller© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 16-3
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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16. Was läuft bei einer Allergie im Immunsystem ab?
gische Alveolitis (z.B. Farmer- oder Taubenzüchterlunge). Die Typ III-Reaktion
äußert sich im Verlauf von Stunden nach Antigenkontakt.
ÎTyp IV: Zellvermittelte verzögerte Reaktion
Die Typ IV-Allergien sind zellvermittelte Reaktionen, die durch spezifisch
sensibilisierte T-Lymphozyten vermittelt werden. Sie sind die Ursache für
Kontaktallergien der Haut (z.B. gegen Nickel, Kosmetika), bestimmte
Unverträglichkeitsreaktionen von Medikamenten und die Organabstoßung nach
Transplantation. Die Typ IV-Allergie hat eine Anlaufszeit von Stunden bis Tagen.
Die genannten Reaktionen können isoliert in Reinform oder aber auch miteinander kombiniert auftreten.
16.5 Zusammenfassung
Das menschliche Abwehrsystem muss zwischen körpereigen und körperfremd unterscheiden. Es funktioniert durch eine enge Zusammenarbeit von Abwehrzellen mit gelösten Abwehrstoffen im Blut. Bei einer Allergie kommt es zu einer unangemessenen
überschießenden Antwort des Immunsystems auf im Prinzip harmlose Substanzen. Es
werden vier Haupttypen allergischer Reaktionen unterschieden.
© Dr. P. J. Fischer – pina 8/2002
Seite 16-4
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden
17. Alternative Diagnose- und
Behandlungsmethoden
17.1 Eltern wollen alles unternehmen, um ihrem Kind zu helfen
17.2 Anspruch und Wirklichkeit "alternativer" Methoden
17.3 Auch "alternative" Methoden müssen sich einem Wirksamkeits- und
Unbedenklichkeitsnachweis stellen
17.4 "Alternative" Methoden bergen auch Gefahren in sich
17.5 Kritisch zu sehende "alternative" Methoden
17.6 Sinnvolle ergänzende Verfahren
17.7 Zusammenfassung
Für Sie als Eltern ist es meist schwierig, "alternative" Methoden zu beurteilen. Dieses
Kapitel will Ihnen daher einige Denkanstöße und Informationen zu diesem Thema liefern.
17.1 Eltern wollen alles unternehmen, um ihrem Kind zu
helfen
Allergische Erkrankungen und Asthma sind oft belastende und chronisch verlaufende Erkrankungen, die nicht schnell geheilt werden können. Es ist verständlich, dass Eltern
alles unternehmen wollen, ihrem Kind zu helfen. Besonders wenn der Krankheitsverlauf
schwer und hartnäckig ist, greifen viele Eltern auf sogenannte "alternative" Methoden zurück. Der Markt "alternativer" Methoden ist inzwischen schwer zu überblicken. Man muss
klar unterscheiden zwischen Methoden, die aufgrund eines Wirksamkeitsnachweises den
Eingang in die wissenschaftliche Medizin gefunden haben (siehe ÎKapitel 17.6) und
Methoden, deren Anwendung wegen eines fehlenden Wirksamkeitsnachweises nicht sinnvoll oder sogar abzulehnen ist (siehe ÎKapitel 17.5). Wenn Sie eine "alternative"
Methode anwenden wollen, besprechen Sie dies mit Ihrem Kinder- und Jugendarzt. Er
kann Ihnen sagen, ob Sie die geplante Behandlung gefahrlos neben der bisherigen
Therapie einsetzen können, ob unerwünschte Wirkungen auftreten können oder ob die
einzige Wirkung nur ein leerer Geldbeutel ist. Grundsätzlich wird Ihr Kinder- und Jugendarzt versuchen, eine allergische Erkrankung oder ein Asthma mit einem möglichst milden
Mittel zu behandeln, wenn es das Krankheitsstadium erlaubt.
17.2 Anspruch und Wirklichkeit "alternativer" Methoden
Die Anbieter "alternativer" Methoden liefern oft eine einfache Erklärung für viele
Erkrankungen und versprechen eine schnelle und endgültige Heilung. Im Gegensatz dazu
deckt die wissenschaftliche Medizin beispielsweise beim Asthma bronchiale immer
komplexere Ursachengefüge auf. Die Versuchung, sich mit einfacheren Erklärungen
zufriedenzugeben, liegt nahe. Nicht alles, was das Etikett "natürlich" trägt, ist auch
gesund. Man bedenke nur, dass die meisten Allergieauslöser wie Pollen oder
Nahrungsmittel natürliche und keine künstlichen Stoffe sind.
© Dr. P. J. Fischer – pina 3/2003
Seite 17-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden
17.3 Auch "alternative" Methoden müssen sich einem Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweis stellen
Eine neue Diagnosemethode muss sich an bewährten diagnostischen Verfahren messen
lassen. Eine neue Behandlungsmethode muss in vergleichenden Untersuchungen wirksamer sein als ein Placebo (= Medikament, das keinen Wirkstoff enthält). Auch ihre möglichen Nebenwirkungen müssen festgehalten werden.
Viele "alternative" Methoden wurden in den letzten Jahren gründlich überprüft. Für
manche dieser Methoden fehlen Vergleichsuntersuchungen. Eine Reihe dieser Methoden
hat sich in kontrollierten Studien als nicht sinnvoll erwiesen. Sie werden jedoch weiterhin
angewendet und kosten mitunter viel Geld.
Die alleinige subjektive Verlaufsbeobachtung ist kein ausreichender Wirksamkeitsnachweis. Dies gilt insbesondere für Erkrankungen wie beispielsweise den Heuschnupfen oder
die Neurodermitis. Der Heuschnupfen kann bei jedem Einzelnen von Jahr zu Jahr sehr
unterschiedlich stark verlaufen, da die Pollendichte in jedem Jahr unterschiedlich ist.
Auch die Neurodermitis hat natürlicherweise deutliche Schwankungen und hat zudem die
Neigung, sich im Laufe der Zeit abzuschwächen. Diese natürlichen Verläufe einer Erkrankung dürfen nicht von vorne herein mit der Wirksamkeit einer Behandlungsmethode
gleichgesetzt werden.
17.4 "Alternative" Methoden bergen auch Gefahren in sich
Man hört oft das Argument, die "alternativen" Methoden könnten ja zumindest nicht
schaden. Auch dies gilt nur mit Einschränkungen:
•
Der eigenmächtige Abbruch einer Therapie ohne Rücksprache mit dem bisher
behandelnden Arzt zugunsten einer "alternativen" Therapie kann zum Beispiel bei
einem Kind mit Asthma bronchiale bedrohliche Konsequenzen haben. Sprechen
Sie aus diesem Grunde offen mit Ihrem Kinder- und Jugendarzt, bevor Sie eine
von ihm verordnete Therapie beenden, damit Sie Ihr Kind nicht gefährden.
•
Alternative Methoden zur Allergiediagnostik neigen dazu, zu viele und gar nicht
vorhandene Allergien zu diagnostizieren. Diese werden dann angeblich rasch und
natürlich wieder geheilt. Oder das Kind wird beispielsweise bei angeblichen Nahrungsmittelallergien gewaltigen Ernährungseinschränkungen bis hin zur Mangelernährung unterworfen.
•
Auch "alternative" Medikamente sind nicht immer ganz harmlos. Viele homöopathische Medikamente enthalten beispielsweise 40%igen Alkohol, der zur Gewinnung von Pflanzenauszügen verwendet wird. Eine Verabreichung von Alkohol an
Säuglinge und Kinder auch in kleinen Mengen ist grundsätzlich problematisch. Bei
manchen "alternativen" Medikamenten sind die Inhaltsstoffe nicht deklariert.
•
Bestimmte Methoden können unkontrollierte Immunreaktionen im Körper auslösen. Dies ist bei allergischen Erkrankungen, bei denen das Immunsystem sowieso bereits überschießend reagiert, besonders bedenklich. Beispiele sind die
Therapie mit Frischzellen oder die Injektion von Eigenurin.
Im folgenden sollen einige "alternative" Methoden kurz beleuchtet werden. Zunächst ist
jeweils der theoretische Anspruch der Methode, dann kontrollierte Untersuchungen aufgeführt.
© Dr. P. J. Fischer – pina 3/2003
Seite 17-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden
17.5 Kritisch zu sehende "alternative" Methoden
17.5.1 Zur Diagnostik eingesetzte Methoden
Kinesiologie
Die kinesiologische Diagnostik wurde in den sechziger Jahren von dem Amerikaner
Goodheart eingeführt. Der Behandler überprüft beim Erkrankten die Anspannung von bestimmten Muskeln und zieht daraus Rückschlüsse auf erkrankte Organe, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder fehlende Spurenelemente. Auch die Wirkung verabreichter
Medikamente wird auf diese Art und Weise ausgetestet. Kontrollierte Studien konnten die
von den Anhängern dieser Methode gemachten Behauptungen nicht nachvollziehen.
Leukozytotoxischer Test
Der leukozytotoxische Test soll vor allem der Diagnostik von Nahrungsmittelallergien
dienen. Leukozyten (weiße Blutkörperchen) aus dem Blut des Patienten werden mit dem
vermuteten Allergen in Kontakt gebracht. Unter dem Mikroskop wird beobachtet, ob Veränderungen an den Leukozyten (vor allem eine Auflösung der Zellen) auftreten und
daraus auf eine mögliche Allergie geschlossen. Überprüfungen dieser Methode haben
gezeigt, dass sehr häufig eine Auflösung der Leukozyten auftritt, ohne dass eine Allergie
vorliegt. Auch können die Ergebnisse beim selben Patienten von Tag zu Tag unterschiedlich ausfallen. Die Anwendung des leukozytotoxischen Tests ist also unzuverlässig
und kann nicht empfohlen werden.
Andere abzulehnende Diagnosemethoden
Das Wünschelrutengehen, Pendeln und die Irisdiagnostik haben objektiven Überprüfungen nicht standgehalten.
17.5.2 Zu Diagnose und Therapie eingesetzte Methoden
Bioresonanz
Die Bioresonanz geht von der Theorie aus, dass der Mensch ein ultrafeines elektromagnetisches Schwingungsmuster abstrahle, das auch Allergien anzeige und mit einem
speziellen Gerät gemessen werden könne. Das Gerät wandle dann schlechte
Schwingungen ins exakte Spiegelbild um und gebe sie dem Körper wieder zurück, die
Allergie werde dadurch "gelöscht". Studien an den Universitäten Innsbruck und Wien
sowie eine Studie in Davos an Neurodermitispatienten konnten die behaupteten
Wirkungen in keiner Weise nachvollziehen.
Elektroakupunktur nach Voll (EAV)
Bei der EAV wird der elektrische Hautwiderstand an verschiedenen Punkten des Körpers
gemessen. Aus den gemessenen Hautwiderständen werden Rückschlüsse auf "veränderte
Energieflüsse" im Körper und damit verschiedene Erkrankungen gezogen. Auch Medikamente, die oft nur in die Hand genommen werden, werden mit dieser Methode ausgetestet. Die Elektroakupunktur nach Voll hielt konkreten Überprüfungen nicht stand.
Symbioselenkung
Eine veränderte Bakterienflora im Darm soll ganz unterschiedliche Krankheiten verursachen und unterhalten. Durch eine Stuhluntersuchung sollen diese Störungen in der
Darmflora (Dysbiose) diagnostiziert werden. Als Behandlung werden dann Bakterien,
welche eine normale Darmflora wiederherstellen sollen, in Tropfen- oder Tablettenform
eingenommen. Zuverlässige Untersuchungen über die Wirksamkeit dieser Therapie liegen
nicht vor. Wie viele eingenommene Bakterien bereits im Magen durch die Magensäure
abgetötet werden und wie viele letztlich im Darm ankommen, ist unklar.
Provokations- und Neutralisationstest
Diese Methode wurde vor allem für zur Diagnostik und Therapie von Nahrungsmittelallergien propagiert. Zunächst wird durch Injektion oder Verabreichung des angeschuldigten Allergens unter die Zunge diejenige Dosis herausgefunden, welche beim
Betroffenen Symptome auslöst. Danach wird versucht, mit einer niedrigeren Dosis des
Allergens die Symptome wieder zu "neutralisieren". Diese "neutralisierende Dosis" wird
© Dr. P. J. Fischer – pina 3/2003
Seite 17-3
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden
dann zweimal wöchentlich in die Haut (intrakutan) gespritzt bzw. unter die Zunge gegeben. Kontrollierte Studien konnten diese Methode nicht als zuverlässig beurteilen.
17.5.3 Zur Therapie eingesetzte Methoden
Eigenbluttherapie
Eigenes Blut wird aus einer Vene entnommen und anschließend wieder in eine Vene oder
unter die Haut gespritzt. Das dem Körper wieder zugeführte Blut soll das Immunsystem
des Körpers "umstimmen" und die Abwehrreaktionen steigern. Manchmal werden noch
Pflanzenextrakte zugesetzt oder das Blut homöopathisch verdünnt (potenziert). Bei
Kindern wird das Eigenblut oft nicht gespritzt, sondern eingenommen. Ein überzeugender
Wirksamkeitsnachweis wurde bisher nicht geliefert. Andere Methoden sind als Reiztherapie harmloser.
Eigenurinbehandlung
Ähnlich wie bei der Eigenblutbehandlung wird eigener Urin entweder gespritzt oder eingenommen. Da der Urin Zellen und Eiweißstoffe aus der Niere enthalten kann, können
bei einer Injektionsbehandlung mit Urin Antikörper gegen das eigene Nierengewebe
gebildet werden, was zu schweren Krankheitssymptomen führen kann. Diese Art der Behandlung ist daher abzulehnen.
Homöopathie
Die Homöopathie ist eine zwar beliebte, jedoch weiterhin umstrittene Behandlungsmethode. Sie wurde von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann Anfang des neunzehnten Jahrhunderts initiiert. Die Homöopathie geht davon aus, dass "Ähnliches" mit
"Ähnlichem" geheilt werden kann. Dies bedeutet, dass eine Substanz, die in einer bestimmten Menge Krankheitssymptome hervorruft, die Krankheitserscheinungen in einer
anderen Verdünnung (oder Potenzierung) zum Verschwinden bringen kann. Die Ursubstanzen werden zu diesem Zwecke verdünnt (in der Sprache der Homöopathie potenziert). Ab einer Verdünnung von 1:24 Millionen (D 24) kann allerdings kein einziges
Molekül des ursprünglichen Stoffes mehr enthalten sein. Die Homöopathie nimmt nun an,
dass durch das Potenzieren "Energie" auf die Trägersubstanz (z.B. Alkohol, Milchzucker)
übergehe und so die Wirkung homöopathischer Medikamente zu erklären sei.
Kritiker der Homöopathie führen an, dass nach schulmedizinischen Kriterien ein Wirksamkeitsnachweis nicht geliefert wurde und dass die Wirkung homöopathischer Medikamente
die Wirkung eines Placebos nicht überschreite, das heißt der Glaube an die Wirksamkeit
des Medikaments die ausschlaggebende Rolle spiele. Beispielsweise wurde eine von der
Karl und Veronika Carstens-Stiftung initiierte Studie zur homöopathischen Behandlung
der Neurodermitis nach 4 Jahren vorzeitig abgebrochen, da sich kein Behandlungserfolg
gezeigt hatte. Anhänger der Homöopathie wenden ein, die homöopathische Behandlung
müsse so individuell auf jeden einzelnen Patienten abgestimmt werden, sodass eine
Überprüfung mit schulmedizinischen Methoden überhaupt nicht möglich sei – auch ein
Weg, sich einer kritischen Überprüfung zu entziehen.
Manche meinen, die Homöopathie könne zumindest nicht schaden. Wenn Sie eine
homöopathische Behandlung durchführen lassen, sollten Sie jedoch folgendes beachten:
•
Eine wirksamere Behandlung darf nicht versäumt oder abgesetzt werden. Dies gilt
vor allem für schwere und akute Erkrankungen.
•
Vorsicht ist geboten bei der Verabreichung von alkoholhaltigen Medikamenten an
Kinder.
•
Bei wenig verdünnten Schwermetallen oder Giftpflanzen (sogenannten Niedrigpotenzen) können durchaus Vergiftungen oder allergische Reaktionen auftreten.
Homöopathische Mischpräparate ("Komplexmittel") haben mit der Lehre Hahnemanns,
der immer individuelle Einzelmittel verordnete, nicht mehr viel zu tun. Einen homöopathischen Cocktail, der allen hilft, kann es nach der Theorie der klassischen Homöopathie nicht geben.
© Dr. P. J. Fischer – pina 3/2003
Seite 17-4
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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17. Alternative Diagnose- und Behandlungsmethoden
Akupunktur
Auch zur Wirksamkeit der traditionellen Akupunktur bei allergischen Erkrankungen liegen
keine gesicherten Wirksamkeitsnachweise vor, die über eine Placebowirkung hinausgehen. Die vorliegenden Studien bei Asthma bronchiale zeigen entweder keine oder nur
minimale Verbesserungen, die an Wirkung der etablierten Asthmamedikamente auch
nicht annähernd heranreichen. Der Einsatz der Akupunktur in der Schmerzbehandlung ist
von dieser Wertung unberührt.
Mittel zur Abwehrsteigerung
Häufig wird auch bei allergischen Erkrankungen der Wunsch geäußert, doch ein Mittel zur
Abwehrsteigerung anzuwenden. Diese Vorstellung trifft jedoch nicht den Kern der
meisten allergischen Erkrankungen. Bei einer Allergie liegt ja eine überschießende Reaktion des Immunsystems vor, sodass das Immunsystem nicht stimuliert, sondern gebremst werden müsste.
17.6 Sinnvolle ergänzende Verfahren
Entspannungstechniken wie das autogene Training und die progressive Muskelentspannung nach Jacobson sind in ihrer Wirksamkeit erprobt und können sowohl bei der
Neurodermitis als auch beim Asthma bronchiale sinnvoll eingesetzt werden. Auch die
krankengymnastische Atemtherapie ist fester Bestandteil der wissenschaftlichen
Medizin geworden wird bei der Asthmabehandlung erfolgreich angewendet.
Eine ganze Reihe naturheilkundlicher Methoden wie die Wasseranwendungen der
Kneipp-Therapie, regelmäßiges körperliches Training, die Klimatherapie oder Saunabesuche können als natürliche Reiztherapie die körpereigene Abwehr stabilisieren. Auch die
Ordnungstherapie im Sinne einer gesunden Lebensführung ist eine sinnvolle natürliche
Maßnahme.
Die Phytotherapie (nicht zu verwechseln mit der Homöopathie) behandelt mit pflanzlichen Wirkstoffen. Eine ganze Reihe wertvoller Medikamente wurde ursprünglich aus
Pflanzen gewonnen und entweder direkt als Pflanzenextrakt verwendet oder durch
chemische Abwandlungen in der Wirksamkeit gesteigert. Viele von der Volksmedizin
überlieferte Wirkungen konnten bestätigt, jedoch wurden leider auch ernsthafte Nebenwirkungen entdeckt. Für die Allergologie ist beispielsweise die allergieauslösende Wirkung
bestimmter Kamillenarten (insbesondere der Hundskamille) von Bedeutung. Bestätigt
werden konnte z.B. eine leichte schleimlösende Wirkung von Efeuextrakten, eine
deutliche bronchialerweiternde Wirkung tritt jedoch in der üblichen Dosierung noch nicht
ein. Pflanzliche Medikamente können bei verschiedenen vor allem leichteren Erkrankungen durchaus sinnvoll eingesetzt werden, jedoch nicht alle Krankheiten lassen
sich ausschließlich mit pflanzlichen Medikamenten behandeln.
17.7 Zusammenfassung
Der oft chronische Verlauf allergischer Erkrankungen weckt in vielen Eltern den Wunsch
nach "alternativen" Diagnose- und Behandlungsmethoden. Jedoch auch für diese
Methoden gilt, dass sie ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit unter Beweis stellen
müssen. Viele "alternative" Verfahren sind in der Zwischenzeit gründlich untersucht
worden, für viele konnte ein überzeugender Wirksamkeitsnachweis nicht geliefert
werden.
Sinnvoll eingesetzt werden können Entspannungstechniken, die krankengymnastische
Atemtherapie, die Klimatherapie, und bei leichteren Erkrankungen die Phytotherapie
(Therapie mit Pflanzeninhaltsstoffen). Vorbeugend und stabilisierend wirken auch regelmäßiges körperliches Training, Wasseranwendungen und die Sauna.
© Dr. P. J. Fischer – pina 3/2003
Seite 17-5
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma
18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen
bei Allergien, Neurodermitis und Asthma
18.1
18.2
18.3
18.4
18.5
18.6
18.7
18.8
18.9
18.10
18.11
18.12
Was ist der Unterschied zwischen Vorsorge und Rehabilitation (= Reha)?
Wann ist eine Vorsorge- oder Reha-Maßnahme sinnvoll ?
Ambulant oder stationär?
Unterschied Kind-Mutter-Reha und Mutter-Kind-Kur
Offene Badekur
Qualitätsmerkmale einer guten Vorsorge- oder Reha-Einrichtung für
Kinder und Jugendliche
Wer trägt die Kosten?
Antragstellung
Wie lange dauert eine Kur/Reha?
Wie oft kann eine Kur/Reha beantragt werden?
Wie geht es nach der Vorsorge- oder Reha-Maßnahme weiter?
Zusammenfassung
Viele Erkrankungen aus dem allergischen Formenkreis wie Neurodermitis oder Asthma
bronchiale nehmen einen chronischen und oft schweren Verlauf. Es stellt sich daher die
Frage, inwieweit diese Leiden durch Reha- oder Kur-Maßnahmen positiv beeinflusst werden können.
18.1 Was ist der Unterschied zwischen Vorsorge und Rehabilitation (= Reha)?
Vorsorge- und Reha-Maßnahmen haben unterschiedliche Voraussetzungen und Ziele:
18.1.1 Vorsorgekur
Bei einer Vorsorgekur liegt (noch) keine Erkrankung vor. Mit einer Vorsorgekur soll
•
•
eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit zu einer Krankheit führen
kann, beseitigt oder
einer bestehenden Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung entgegengewirkt
werden.
18.1.2 Reha-Maßnahme
Bei einer Reha-Maßnahme liegt bereits eine Erkrankung vor. Es soll
•
•
•
•
eine Krankheit geheilt,
eine Verschlimmerung verhütet,
Krankheitsbeschwerden gelindert,
einer drohenden Behinderung vorgebeugt werden.
18.2 Wann ist eine Vorsorge- oder Reha-Maßnahme
sinnvoll?
18.2.1 Wohnortnahe Maßnahmen
Grundsätzliches Ziel ist auch bei chronischen Erkrankungen aus dem allergischen Formenkreis eine fachgerechte und kompetente kinder- und jugendärztliche Versorgung am
Wohnort bzw. wohnortnah. Hier verbringt der Betroffene den größten Teil seines Lebens,
© Dr. P. J. Fischer – pina 6/2003
Seite 18-1
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma
hier müssen die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen wie z.B. Inhalationsbehandlungen, Hausstaubmilbensanierung oder Eliminationsdiäten in den Alltag umgesetzt werden.
Auch Vorsorgemaßnahmen werden als Mittel zur Krankheitsvorbeugung nur dann einen
längerfristigen Effekt haben, wenn sie konsequent ins alltägliche Leben umgesetzt werden. Aus diesen Gründen werden zunächst wohnortnahe Vorsorge- und Reha- Maßnahmen angestrebt. In zunehmendem Maße werden beispielsweise wohnortnahe ambulante
Asthmaschulungskurse angeboten.
18.2.2 Wohnortferne Maßnahmen
Unter folgenden Voraussetzungen kann jedoch eine vom Wohnort entfernte Maßnahme
notwendig werden:
•
Wohnortnahe ambulante oder stationäre Vorsorge- und Reha- Einrichtungen sind
nicht verfügbar.
•
Es sind bestimmte sehr personal- und zeitaufwendige diagnostische oder
therapeutische Maßnahmen (z.B. Nahrungsmittelauslasstests und –provokationstests bei schweren Neurodermitikern) erforderlich, die in den meisten Akutkliniken
nicht durchgeführt werden.
•
Schwerwiegende psychosoziale Probleme (z.B. schwierige familiäre Situation) oder
Verhaltensprobleme im Zusammenhang mit einer Erkrankung erfordern ein vielschichtiges Behandlungsangebot oder machen eine vorübergehende Herausnahme
aus der Familie sinnvoll.
•
Komplexe Maßnahmen zur Krankheitsbewältigung sind erforderlich (z.B. bei
schwerem Asthma bronchiale mit Selbstwertproblematik).
•
Ein Aufenthalt in heilklimatischer oder allergenarmer Umgebung verspricht eine
Stabilisierung und kann die übrigen therapeutischen Maßnahmen unterstützen.
Kritik gegen wohnortferne Kurmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen richtet sich vor
allem gegen reine Klimakuren zur Abwehrstärkung, deren Langzeiteffekte unsicher sind.
Einen herausragenden Stellenwert haben jedoch qualifizierte Schulungsmaßen zur Vorbeugung, Heilung bzw. Linderung sowie Bewältigung chronischer Erkrankungen erlangt.
18.3 Ambulant oder stationär?
Grundsätzlich gilt das Prinzip "ambulant vor stationär". Stationäre Maßnahmen kommen
in Betracht, wenn ambulante Maßnahmen am Wohnort bzw. am Kurort nicht ausreichen
oder bereits erfolglos durchgeführt worden sind. Bei schwer verlaufenden chronischen
Erkrankungen, bei denen aufwendige diagnostische oder therapeutische Maßnahmen
bzw. intensive Schulungsmaßnahmen erforderlich sind, wird bei Kindern und Jugendlichen in der Regel eine stationäre Reha durchgeführt.
18.4 Unterschied Kind-Mutter-Reha und Mutter-Kind-Kur
18.4.1 Kind-Mutter-Reha
Bei der Kind-Mutter-Reha bzw. Kind-Vater-Reha steht das erkrankte Kind im Vordergrund. Je nach Alter der Patienten werden bei stationären Reha-Maßnahmen auch Eltern
mit aufgenommen, da diese ja auch zu Hause für die Durchführung der Behandlung entscheidend mitverantwortlich sind. Bei diesen sog. Kind-Mutter-Reha-Maßnahmen ist die
Begleitperson in die Betreuung des Kindes mit eingebunden und der Aufenthalt hat in der
Regel für die Mutter oder den Vater keinen Erholungswert.
© Dr. P. J. Fischer – pina 6/2003
Seite 18-2
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma
18.4.2 Mutter-Kind-Kur
Die Mütterkuren und Mutter-Kind-Kuren des Müttergenesungswerkes sind stationäre Vorsorgekuren oder Reha-Maßnahmen. Hierbei steht zunächst einmal im Gegensatz zu KindMutter-Reha-Maßnahmen die Gesundheit der Mütter im Vordergrund. Kinder können jedoch mit aufgenommen werden, wenn diese in ihrer Gesundheit gefährdet oder ebenfalls
krank sind oder die Trennung von der Mutter nicht vertretbar ist.
18.5 Offene Badekur
Bei der offenen Badekur handelt es sich um eine ambulante Kurmaßnahme. Hier geht es
vor allem um die Ausnützung des heilklimatischen Effekts (z.B. Reizklima oder Pollenarmut) an einem anerkannten Kurort zur Stärkung der Gesundheit. Unterkunft und Zeitpunkt können selbst bestimmt werden. Hierfür erhalten gesetzlich Versicherte einen Zuschuss zu den Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Fahrtkosten.
18.6 Qualitätsmerkmale einer guten Vorsorge- oder RehaEinrichtung für Kinder und Jugendliche
Hat ihr Kinder- und Jugendarzt die Notwendigkeit einer Vorsorge- oder Reha- Maßnahme
festgestellt, stellt sich natürlich die Frage nach der am besten geeigneten Einrichtung.
Hierbei sind folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen, wobei die höchsten Anforderungen an stationäre Reha-Einrichtungen zu stellen sind:
•
Werden die Kinder und Jugendlichen qualifiziert kinder- und jugendärztlich betreut? Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Voraussetzung für eine optimale
Betreuung von Kindern und Jugendlichen ist die Präsenz von kinder- und jugendärztlichen Spezialisten.
•
Stehen kompetente Mitarbeiter anderer Berufsgruppen (z.B. Atemtherapeuten, Ernährungsberater, Psychologen, Pädagogen) in einem multidisziplinären Team zur
Verfügung?
•
Ist die Einrichtung mit den erforderlichen diagnostischen und therapeutischen
Möglichkeiten (z.B. Allergietestung, Allergielabor, Lungenfunktionslabor) ausgestattet?
•
Werden anerkannte Patientenschulungsprogramme zur Verbesserung der Krankheitskompetenz (z.B. Asthmaschulungsprogramme nach den Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft Asthmaschulung oder Neurodermitisschulung nach den Richtlinien der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung) durchgeführt?
•
Werden gesicherte und wissenschaftlich erprobte Diagnose- und Therapiemethoden angewendet? Kinder sind kein Experimentierfeld für fragwürdige Diagnoseund Therapiemethoden.
•
Liegen falls erforderlich geeignete heilklimatische Bedingungen (z.B. Allergenarmut, Reinluftgebiet, Reizklima) vor?
18.7 Wer trägt die Kosten?
•
Vorsorgekuren: Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt ambulante und
stationäre Vorsorgekuren, auch Mutter-Kind-Kuren. Bei der privaten Krankenversicherung hängt die Übernahme der Kosten vom gewählten Versicherungstarif ab.
•
Reha-Maßnahmen: Für die ambulante Reha ist die Krankenversicherung zuständig, für stationäre Reha-Maßnahmen in der Regel die Rentenversicherung
(z.B. BfA, LVA), bei Beamten die Beihilfe.
© Dr. P. J. Fischer – pina 6/2003
Seite 18-3
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma
18.8 Antragstellung
Wurde mit dem Kinder- und Jugendarzt die Notwendigkeit einer Kur- oder Reha-Maßnahme besprochen sowie eine geeignete Einrichtung ins Auge gefasst, muss ein Antrag
gestellt werden:
•
Für Mutter-Kind-Kuren des Müttergenesungswerkes erhalten Sie Antragsformulare
und Beratung bei den Wohlfahrtsverbänden: der Arbeiterwohlfahrt, dem paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Deutschen Roten Kreuz, der Caritas oder dem
Diakonischen Werk. Der Kurantrag wird von diesen Stellen an die Krankenkasse
weitergeleitet.
•
Gesetzlich Versicherte erhalten die Antragsformulare für die übrigen ambulanten
und stationären Kuren oder Reha-Maßnahmen bei ihrer Krankenkasse. Die Krankenkasse koordiniert auch die Leistungspflicht mit dem Rentenversicherungsträger. Der Kurantrag wird vom medizinischen Dienst der Krankenkasse geprüft. Sobald eine Kostenübernahmeerklärung vorliegt, kann mit der vorgesehenen Einrichtung eine Terminabsprache getroffen werden.
•
Bei Privatversicherten hängt die Kostenübernahme vom gewählten Versicherungstarif ab. Besteht Versicherungsschutz in der gesetzlichen Rentenversicherung
(z.B. BfA), so werden stationäre Rehamaßnahmen über den Rentenversicherungsträger beantragt, bei Beamten über die Beihilfe. Antragsformulare der gesetzlichen Rentenversicherung sind dort oder bei den örtlichen gesetzlichen Krankenkassen erhältlich. Beihilfeberechtigte benötigen in der Regel einen Befundbericht
des behandelnden Arztes für die Beihilfestelle sowie eine amtsärztliche Beurteilung.
•
Informationen und Hilfestellung geben auch die Einrichtungen, in denen die Vorsorge- oder Rehamaßnahme geplant ist.
18.9 Wie lange dauert eine Kur/Reha?
Ambulante Kurmaßnahmen haben bei Kindern und Jugendlichen zur Zeit eine Regeldauer
von 3, stationäre Vorsorge- und Reha- Maßnahmen von 4 bis 6 Wochen. Bei Erfordernis
kann von der Reha-Klinik während des Aufenthalts eine Verlängerung beantragt werden.
In einzelnen Einrichtungen besteht die Möglichkeit eines längerfristigen Aufenthalts mit
Schulbesuch oder Berufsausbildung.
18.10 Wie oft kann eine Kur/Reha beantragt werden?
In der Regel besteht ein Anspruch, getrennt nach Vorsorge- und Reha- Maßnahmen, alle
4 Jahre. In besonderen Fällen kann bei medizinischer Notwendigkeit auch früher ein
neuer Antrag gestellt werden.
18.11 Wie geht es nach der Vorsorge- oder Reha-Maßnahme weiter?
Durch einen Kur- oder Reha- Aufenthalt allein kann eine allergische Erkrankung oder ein
Asthma bronchiale nicht geheilt werden. Ziel ist es, mit Hilfe der neu erlernten Wissensund Verhaltensstrategien die Gesundheit in der häuslichen Umgebung weiter zu stabilisieren. Die Vorsorge- oder Rehaeinrichtung wird Ihrem betreuenden Kinder- und Jugendarzt am Wohnort einen Therapievorschlag machen, den Sie gemeinsam mit ihm zu Hause
umsetzen müssen.
© Dr. P. J. Fischer – pina 6/2003
Seite 18-4
Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen, das
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18. Vorsorgekuren und Reha-Maßnahmen bei Allergien, Neurodermitis und Asthma
18.12 Zusammenfassung
Eine Vorsorgekur soll einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung entgegenwirken (d.h. das Kind ist (noch) nicht krank). Eine Reha-Maßnahme soll eine bereits bestehende Krankheit heilen, eine Verschlimmerung verhüten, Krankheitsbeschwerden lindern oder einer drohenden Behinderung vorbeugen. Vorsorge- und Reha-Maßnahmen
können ambulant oder stationär durchgeführt werden. Kritik gegen wohnortferne Kurmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen richtet sich vor allem gegen reine Klimakuren
zur Abwehrstärkung, deren Langzeiteffekte unsicher sind. Einen herausragenden Stellenwert haben jedoch qualifizierte Schulungsmaßen zur Vorbeugung, Heilung bzw. Linderung sowie Bewältigung chronischer Erkrankungen erlangt.
© Dr. P. J. Fischer – pina 6/2003
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