abitur nrw 2016 prüfungstraining
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abitur nrw 2016 prüfungstraining
königs abi-trainer Ralf Gebauer abitur nrw 2016 prüfungstraining deutsch leistungskurs – alle Schwerpunktthemen in einem Band – Wissen, Verknüpfungsaspekte und Abiturübungsaufgaben mit Lösungen – für Gymnasium und Gesamtschule Über den Autor: Ralf Gebauer, geb. 1945 in Kragelund (Dänemark), lehrte als Studiendirektor die Fächer Deutsch, Philosophie und Kunst am Haranni-Gymnasium in Herne. Bereits erschienen (Auswahl): –– Abitur NRW 2015. Deutsch Leistungskurs mit allen Schwerpunktthemen: Wissen, Verknüpfungsaspekte und Abi-Übungsaufgaben mit Lösungen, Hollfeld: Bange Verlag, 1. Aufl. 2013 (Reihe Abi-Trainer) –– Abitur NRW 2015. Deutsch Grundkurs mit allen Schwerpunktthemen: Wissen, Verknüpfungsaspekte und Abi-Übungsaufgaben mit Lösungen, Hollfeld: Bange Verlag, 1. Aufl. 2013 (Reihe Abi-Trainer) Hinweise: Die Rechtschreibung wurde der amtlichen Neuregelung angepasst. (Kafka-Zitate aus dem Roman Der Proceß folgen allerdings der zitierten Reclam-Ausgabe, die die Schreibeigenheiten Kafkas bewahrt.) Alle 20 Schaubilder des Bandes können Sie unter https://www.bange-shop.de/abitur-nrw-2016-deutsch-leistungskurs kostenlos im DIN-A4-Format downloaden. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt oder gespeichert und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. 1. Auflage 2014 ISBN: 978-3-8044-3219-2 © 2014 by C. Bange Verlag GmbH, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Druck und Weiterverarbeitung: Finidr, s. r. o., Český Těšín inhalt Teil I: Grundlagenwissen 1. Obligatorische Schwerpunktthemen 8 1.1Epochenumbruch 18./19. Jahrhundert – unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung des Dramas 8 1.1.1 Erläuterungen zum Epochenumbruch 18./19. Jahrhundert 8 1.1.2 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe (1784) 13 1.2Epochenumbruch 19./20. Jahrhundert – unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung epischer Texte 26 1.2.1 Erläuterungen zum Epochenumbruch 19./20. Jahrhundert 26 1.2.2 Franz Kafka, Der Proceß (1915/1925) 32 1.2.3 Literarische Beispiele der Neuen Sachlichkeit: Romanauszüge / Erzähltexte von Erich Kästner, Hans Fallada, Marieluise Fleißer oder Irmgard Keun 52 Die Neue Sachlichkeit 52 Hans Fallada (1893–1947) 53 Erich Kästner (1899–1974) 57 Marieluise Fleißer (1901–1974) 59 Irmgard Keun (1905–1982) 61 1.2.4 Joseph Roth, Hiob (1930) 64 1.3 Lyrik der Romantik, des Expressionismus und der jüngsten Gegenwart (etwa ab 1990) 79 1.3.1 Lyrik der Romantik 79 1.3.2 Lyrik des Expressionismus 83 1.3.3 Lyrik der jüngsten Gegenwart (etwa ab 1990) 86 1.4 Spracherwerb und Sprachentwicklung 90 1.4.1 Phylogenetischer Spracherwerb: Ursprung der Sprache Johann Gottfried Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) – Auszüge aus I. Teil, 1. und 2. Abschnitt 90 1.4.2 Ontogenetischer Spracherwerb: Sprachentwicklung 93 1.4.3Spracherwerbstheorien 93 1.5 Aspekte des Sprachwandels in der Gegenwart: Einfluss neuer Medien, Mehrsprachigkeit 95 1.5.1Sprachwandeltheorien 95 1.5.2 Sprache – Denken – Wirklichkeit 98 1.5.3Mehrsprachigkeit 99 1.6 Sprachkritik, Sprachskepsis, Sprachnot 101 1.6.1 Hugo von Hofmannsthal, Chandos-Brief – in Auszügen (als gemeinsamer Basistext) 102 1.6.2 Gedichte und Sachtexte zum Thema 104 inhalt 2.Verknüpfungsaspekte 2.1Psychologischer Aspekt: Individuation und Sozialisation 2.2Genderaspekt 2.2.1 Die Rolle des Mannes in der Gesellschaft 2.2.2 Die Rolle der Frau in der Gesellschaft 2.3 Literarhistorischer Aspekt: Die literarische Entwicklung als Pendelbewegung zwischen Ratio und Sensus (Epochenmerkmale) 2.4Thematische Aspekte 2.4.1 Liebe als literarisches Motiv 2.4.2 Schuld als literarisches Motiv 2.4.3 Der Künstler als literarisches Motiv 2.4.4 Das Komische als literarisches Motiv 2.5 Gattungstheoretische Aspekte 2.5.1 Der Wandel der Dramentheorie im Epochenumbruch 18./19. Jahrhundert 2.5.2 Die Rolle des Erzählers 105 105 112 112 115 118 121 121 123 127 128 132 132 133 Teil II: Übungsaufgaben – Hinweise, Tipps und Lösungsmöglichkeiten 1.Die Aufgabenstellungen im Abitur 136 2.Klausurübungen 140 2.1Klausuraufgaben 2.2 Lösungsvorschläge zu den Klausuraufgaben 3. Abiturprüfung 3.1 3.2 3.3 3.4 4 Abiturprüfung Übungspaket I Lösungsvorschläge zum Übungspaket I Abiturprüfung Übungspaket II Lösungsvorschläge zum Übungspaket II 140 148 167 167 174 189 196 Literaturverzeichnis 211 Stichwortverzeichnis 212 vorwort Universitäre Forschung hat das natürliche Bestreben, sich zu erweitern; schulische Bildung hingegen ist oft zum Gegenteil aufgefordert. Ihr soll der Spagat gelingen, Fähigkeiten und Wissen des Einzelnen zu erweitern, indem sie das sich vermehrende und differenzierende Wissen wieder reduziert auf kleine, handhabbare Module. Das ist ohne Reduktionen, Vergröberungen und Auslassungen nicht möglich und gilt besonders für solch zugespitzte Situationen wie Prüfungen. Da unsere Merkfähigkeit sich am ehesten durch bildhafte Gedankenverbindungen steigert, wird auch in diesem Bändchen versucht, das Disparate und Vielfältige der Wissensgegenstände in möglichst griffigen und anschaulichen Erinnerungsmodellen und Schemata bildhaft miteinander zu vernetzen. Der vorliegende Band ist dreigeteilt: Im ersten Teil wird in komprimierter Form ein Repetitorium aller Inhalte vorgelegt, die für die schriftliche Abiturprüfung im Leistungskurs Deutsch des Landes Nordrhein-Westfalen für das Abiturjahr 2016 verpflichtend vorausgesetzt werden. Dabei wird nach den Grunddaten der Texte zunächst ein knapper Einblick in den biografischen Bezug des jeweiligen Werks gegeben und eine gegliederte Inhaltsangabe des vorgegebenen Textes angeboten. Daran schließen sich Hinweise auf stilistische Analysen und mögliche Interpretationsaspekte an. Sofern keine Einzelwerke vorgegeben sind, sondern nur Autoren bzw. Themen und Epochen, werden die jeweils in Frage kommenden Werke und das notwendige Grundwissen zu Themen und Epochen in Form eines gerafften Überblicks zusammengefasst. Dabei wird von den Autoren der Neuen Sachlichkeit jeweils ein Werk in die Darstellung mit aufgenommen. Die Umfangsbeschränkung dieses Bandes nötigt zudem, sich auch bei dem aspektreichen Kafka-Roman Der Proceß mit raffenden Zusammenfassungen der Analyse und der Interpretation zu begnügen. Das Bändchen ist in diesem Teil bewusst als Repetitorium angelegt, d. h., es setzt die unterrichtliche Erarbeitung der Stoffe, der literarischen Gattungen und stilistischen Epochen voraus und bietet eine verknappte Wiederholung. Deshalb wäre es nicht ausreichend, wenn man sich nur auf die in der Reduzierung zwangsläufig vergröbernde Darstellung verließe. Der zweite Teil liefert eine Reihe von Aspekten, unter denen generelles Wissen merkfähig aufbereitet wird und die einzelnen Schwerpunktthemen miteinander verknüpft werden können. Dieser Teil soll es den Benutzern erleichtern, sich die möglicherweise auch im Unterricht als unverbundenes Nacheinander erlebten Inhalte aus einer distanzierten Perspektive anzueignen und bei einer vergleichenden Zusammenschau eine stoffliche Souveränität zu gewinnen. Der dritte Teil enthält Übungsaufgaben. Zunächst werden vier Klausuraufgaben gestellt, die sich inhaltlich an der Obligatorik orientieren, also nicht kursübergreifend formuliert sind. Sie dienen der Vorbereitung auf die Klausuren der einzelnen Halbjahre und die möglichen Aufgabenarten. Die jeweiligen Lösungsvorschläge orientieren sich am Erwartungshorizont des Abiturs. Anschließend wird die Abiturprüfung in Form von zwei Übungspaketen simuliert. Jede Übung enthält wie im Abitur drei Aufgaben in einer Formulierung, wie sie auch in den vergangenen Abiturjahrgängen gestellt wurde. Die Aufgabenstellungen berücksichtigen die Vorgaben der gültigen Richtlinien und 5 Lehrpläne. Die Lösungsvorschläge orientieren sich in ihrem Profil an dem punktgestützten Bewertungsverfahren, wie es bei der schriftlichen Abiturprüfung zur Anwendung kommt. Alle Lösungsvorschläge erscheinen als stichpunktartiger Erwartungshorizont, wie ihn auch die korrigierende Lehrkraft vom Ministerium erhalten könnte. Besonders das nach allen operationellen Erwartungen, die wegen ihrer Verbindlichkeit kursiv gedruckt sind, erscheinende „z. B.“ soll immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass die jeweils folgenden Lösungsvorschläge auch durch andere angemessene Lösungsinhalte ersetzt werden können. Sinnvolle Lösungsteile, die nicht unter die operationellen Erwartungen zusammenfassbar sind, können im Rahmen eines oder mehrerer weiterer aufgabenbezogener Kriterien durch Punktvergabe bis zur jeweiligen Anzahl Berücksichtigung finden. Die Gesamtpunktzahl je Teilaufgabe darf aber nicht überschritten werden. Autor und Verlag wünschen Ihnen viel Erfolg beim Umgang mit diesem Material und im bevorstehenden Abitur! 6 Teil I: Grundlagenwissen 7 1. Obligatorische Schwerpunktthemen 1.1 Epochenumbruch 18./19. Jahrhundert – unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung des Dramas 1.1.1Erläuterungen zum Epochenumbruch 18./19. Jahrhundert in fo Von der Französischen Revolution bis zur Frankfurter Paulskirche 8 Übersicht: Epochenumbruch Zeitspanne 1789 – 1848 Politische Entwicklung Französische Revolution 1789 Befreiungskriege gegen Napoleon: Wiener Kongress 1815 Streben nach republikanischen Nationalstaaten Wirtschaftliche Entwicklung Beginn der industriellen Revolution Arbeiterproletariat: soziale Bewegung wirtschaftliche Einheit Deutschlands: Zollverein Geistes geschichtliche Entwicklung philosophischer Idealismus schneller literarischer Epochenwechsel: Sturm und Drang: Weimarer Klassik: Romantik: Biedermeier: Vormärz: Künstlergenie, Leidenschaft des Herzens harmonischer Ausgleich, abstrakte Sittlichkeit Verschmelzung von Realität und Irrealität, Ironie genügsames klassisches Idyll publizistischer vorrevolutionärer Kampf Die Epochenumbrüche des 18./19. Jahrhunderts wie des 19./20. Jahrhunderts werden jeweils recht weit gefasst, bis fast zur Hälfte des neuen Jahrhunderts. Für das 18./19. Jahrhundert bedeutet das demnach eine Zeitspanne von der Französischen Revolution 1789 bis zur Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848. Es ist die Zeit zwischen dem ersten großen eruptiven europäischen Aufbegehren gegen die feudalaristokratische Epoche des Absolutismus in Frankreich und dem ersten Versuch einer Etablierung eines deutschen Nationalstaates. Dazwischen lag eine wechselvolle und spannungsreiche historische Entwicklung. Die Französische Revolution resultierte aus den Ergebnissen der Philosophie der Aufklärung, die sich, ausgehend von einem natürlichen Selbstbestimmungsrecht des Menschen, gegen alle Formen staatlicher und kirchlicher Unterdrückung und Bevor- 1.1 Epochenumbruch 18. / 19. Jahrhundert 1.1.1 Erläuterungen zum Epochenumbruch 18. / 19. Jahrhundert mundung wandte. Kants berühmte Definition der Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ und sein Aufruf „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ wurden zur Losung dieser Epoche. In Konsequenz dieses Denkansatzes sollten an die Stelle der überkommenen, ständisch organisierten gesellschaftlichen Strukturen solche Systeme treten, die auf dem freien Willen der Individuen beruhten. In Frankreich lautete die Parole der revolutionären Bewegung: „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“. Der Erringung der individuellen wie nationalen Freiheit galt das vorrangige Bemühen. Doch die Französische Revolution ertrank im Blut der jakobinischen Terrorherrschaft und ermöglichte Napoleons restaurative Eroberungskriegszüge in Europa, die in den Befreiungskriegen unter Friedrich Wilhelm III. erst 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig und dann 1815 mit Napoleons Niederlage in Waterloo ihr endgültiges Ende fanden. Der Wiener Kongress 1814/15 und die Karlsbader Beschlüsse 1819 stellten die alte repressive Ordnung in Europa wieder her, und es kam zur Unterdrückung der demokratisch-liberalen und nationalen Bewegungen. Doch der Gedanke eines eigenen, in Bürgerfreiheit selbstbestimmten Nationalstaates ließ sich nicht mehr völlig zurückdrängen. Der Freiheitskampf in Griechenland 1821 weckte auch in anderen Ländern Begeisterung. Das Wartburgfest 1817, das Hambacher Fest 1832, die Juli-Revolution 1830 in Frankreich waren nur Vorspiele zu den aufständischen Bewegungen des Jahres 1848, die auch in Deutschland die Hoffnungen auf einen geeinten Nationalstaat bündelten. Wenn auch diese Hoffnungen zunächst nicht von Erfolg gekrönt wurden, so war Deutschland nach dem Aufgehen der rund 300 souveränen deutschen Kleinstaaten durch den Regensburger Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und den Deutschen Bund von 1815 in letztlich nur noch 39 Einzelstaaten einen deutlichen Schritt zu seiner Vereinigung zum Deutschen Reich im Jahre 1871 vorangekommen. Im wirtschaftlichen Bereich finden erst gegen Ende der Epoche bemerkenswerte Veränderungen statt. Aufgrund seiner weltweiten Handelsbeziehungen, gestützt auf Kapitalismus und Freihandel, und seiner technischen Fortschritte (Dampfmaschine, Spinnmaschine, mechanischer Webstuhl) breitet sich von England aus eine industrielle Revolution über Europa aus und lässt eine neue soziale Schicht heranwachsen: das Arbeiterproletariat. Geistesgeschichtlich wird dieser Zeitraum von der aus Frankreich kommenden Aufklärung und dem Deutschen Idealismus geprägt. Madame de Staël bezeichnete die Epoche später als die Zeit der deutschen Dichter und Denker. Auf den Aufklärer Immanuel Kant (1724–1804) folgen die idealistisch beseelten philosophischen System entwürfe von –– Johann Gottlieb Fichte (1762–1814), der mit seinem Einheitsbestreben Kants scharfe Differenzierung von Subjekt und Objekt aufhebt und mit seinen Reden an die deutsche Nation in seinem Publikum eine Art deutsches Selbstbewusstsein wecken will, –– Friedrich Wilhelm von Schelling (1775–1854), der mit seiner Naturmetaphysik die Romantik untermauert, –– Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), der in seiner Phänomenologie des Geistes die Überlegenheit des Staates gegenüber dem Individuum begründet. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ Wirtschaftliche Veränderungen Deutscher Idealismus 9 1.1 Epochenumbruch 18. / 19. Jahrhundert 1.1.2 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe (1784) 1.1.2Friedrich Schiller, Kabale und Liebe (1784)1 Biografischer Bezug Friedrich Schiller (1759–1805) stammte aus einfachen Verhältnissen. Als Sohn eines Wundarztes, Hauptmanns und späteren Oberaufsehers über die Herzogliche Hofgärtnerei in Diensten Karl Eugens von Württemberg musste er acht Jahre an der verhassten, „Karlsschule“ genannten Militärakademie in Stuttgart verbringen, um für einen Hungerlohn Feldscher und Regimentsmedicus (Militärarzt) zu werden. Aus seinen wesentlich stärkeren literarischen Interessen erwuchs 1781 das revolutionäre Stück Die Räuber, das aber nur jenseits der Landesgrenzen in Mannheim aufgeführt werden konnte. Als sein repressiver (unterdrückender) Landesherr von einer weiteren von ihm ungenehmigten Reise dorthin erfährt, bestraft er Schiller mit zwei Wochen Arrest. Während dieser Strafzeit im Juni/Juli 1782 entwickelt Schiller erste Pläne zum Stück Luise Millerin, wie er sein Drama zunächst betitelt. Er beendet es aber erst zwei Jahre später, nachdem er wegen eines absoluten herzoglichen Schreib- und Reiseverbots mit dem Pianisten Andreas Streicher hochverschuldet aus Stuttgart über Mannheim, Frankfurt, Oggersheim und Worms geflohen ist. Als gesuchter Deserteur kommt er in dem thüringischen Dorf Bauerbach nahe Meiningen auf dem Gut der Freifrau Henriette von Wolzogen, der Mutter eines ehemaligen Mitschülers, als Dr. Ritter anonym zur Ruhe. Schiller ist 25 Jahre alt, als sein mehrfach überarbeitetes Drama unter dem vom Schauspieler Iffland vorgeschlagenen Titel Kabale und Liebe erscheint. In ihm hat er viele der Erlebnisse und Erfahrungen seines jungen Lebens verarbeitet: –– die Grundlagen des pietistischen Glaubens2 seines Pfarrers und Lateinlehrers Moser, –– die Charakteristika des sich in der Empfindsamkeit säkularisierenden (verweltlichenden) Pietismus, der im überschwänglichen Gefühl eine Ausdrucksform des sittlichen Menschen vermutete, das Privatleben dem öffentlichen Leben vorzog, die sinnliche Liebe zur Grundlage sozialer Institutionen erklärte und das Lesen von Romanen (von konservativen Zeitgenossen als gefährliche „Sucht“ abgelehnt) gesellschaftsfähig machte, –– die Auswüchse des in Stuttgart erfahrenen Absolutismus mit seinem durch Ausbeutung und Verkauf des Volkes (z. B. als Söldner nach Amerika) ermöglichten Luxus, seiner maßlosen Verschwendungssucht, seinem Mätressenwesen und seinem unbegrenzten brutalen Despotismus (Willkürherrschaft), –– die in Schillers Karlsschulreden hergestellte Beziehung zwischen Liebe und Tugend: „Tugend ist das harmonische Band von Liebe und Weisheit“, –– die kleinbürgerlichen Verhältnisse aus seinem Untermieterverhältnis im Haus der Hauptmannswitwe Luise Dorothea Vischer in Stuttgart, –– die emotionalen Erfahrungen seiner eifersüchtigen und unerfüllten Liebe zu der 16-jährigen Charlotte von Wolzogen, 1 2 Inspiration im Arrest Eigene Erfahrungen als Grundlage Ausführlich: Volker Krischel: Textanalyse und Interpretation zu Friedrich Schiller: Kabale und Liebe. Hollfeld: Bange Verlag, 4. Aufl. 2014 (Königs Erläuterungen Nr. 31). Pietismus: von lat. pietas: Frömmigkeit; eine im 17. Jahrhundert entstandene religiöse Bewegung des deutschen Protestantismus; im Zentrum standen die persönliche Verwirklichung des Glaubens und eine christliche Lebensführung. 13 1.1 Epochenumbruch 18. / 19. Jahrhundert 1.1.2 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe (1784) –– die aus der unglücklichen Aufnahme seines zweiten Dramas Fiesko (1783) gewonnene Einsicht, mit einem rührenden Familiendrama eher den trivialen (anspruchslosen) Publikumsgeschmack seiner Zeit zu bedienen, –– die dramaturgische Strategie, durch eine Anpassung der Figuration (Figurendarstellung) an das Schauspielensemble in Mannheim den Theatererfolg zu befördern. in fo 14 Daten zum Text Textsorte bürgerliches Trauerspiel in 5 Akten Entstehungszeit Juni 1782–Juli 1783 Veröffentlichung März 1784 in der Schwan’schen Hofbuchhandlung in Mannheim Erstauffüh rungen 13. 4. 1784 Bühne der Großmannschen Gesellschaft in Frankfurt; 15. 4. 1784 Nationaltheater Mannheim Quellen Gotthold Ephraim Lessing, Emilia Galotti (1772) Otto Heinrich von Gemmingen, Der teutsche Hausvater (1782) Einordnung Sturm und Drang Thema Scheitern einer unstandesgemäßen und untugendhaften Liebe; soziale Missstände eines absolutistischen Kleinstaates Kontext Karlsschulrede: Die Tugend in ihren Folgen betrachtet (1780) Zeit der Handlung Winter 1781/1782 Ort der Handlung deutscher Fürstenhof (Ludwigsburg, Hof des Herzogs Karl Eugen von Württemberg) Hauptfiguren Präsident von Walter, sein Sohn Ferdinand, sein Sekretär Wurm, Hofmarschall von Kalb, Lady Milford (Johanna Norfolk); Stadtmusikant Miller, seine Frau, seine Tochter Luise 1.1 Epochenumbruch 18. / 19. Jahrhundert 1.1.2 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe (1784) Funk tionale Oppositionen Adel Lady Milford geplante Partnerin Ferdinand rebellischer Sohn Präsident von Walter autoritärer Vater Hofmarschall von Kalb satirische männliche Nebenfigur Bürger Sekretär Wurm werbender Partner Luise gehorsame Tochter Stadtmusikant Miller autoritärer Vater Millerin (seine Frau) satirische weibliche Nebenfigur Schaubild 4: Figurenkonstellation (2): Funktionale Oppositionen Übersicht: Interpretation 4 20 Aspekt Thematik Biografie Widerspiegelung eigener Erfahrungen und Erlebnisse: des Glaubens (Pietismus), des Zeitgeistes (Empfindsamkeit), der Verhältnisse (Absolutismus), der Reflexion (Liebe), des Empfindens (Liebe), des Bühnenerfolgs (Schauspieler, Publikum) Wirklichkeitsbezug (Realismus) Präsident: Graf Montmartin, Ministerpräsident unter Herzog Karl Eugen; Walter: Garteninspektor J. J. Walter, eifersüchtiger Denunziant; Lady Milford: Franziska von Hohenheim, Mätresse des Herzogs; akkurates Lokalkolorit Intertextualität theatralisch bühnenwirksame Familientragödie Politik Anklage des despotischen Absolutismus in deutschen Duodez(Mini-)staaten (Tyrannei, Willkür, Korruption, Gewissenlosigkeit, Höflings- und Mätressenwirtschaft4): politisches Tendenzdrama (F. Engels) Weltanschauung Adel (absolute Herrschaftswillkür) vs. Bürgertum (stolzes Moralethos); dualistisches Weltbild: Natur vs. Vernunft, Neigung vs. Pflicht; Notwendigkeit vs. Freiheit Religion Folgen der Aufklärung: Gefahren der säkularisierten (verweltlichten) Liebesreligion der Empfindsamkeit; christliche Tragödie zum Sündenfall Vorhandensein von Mätressen (Geliebten des Fürsten) am Hof. 1.2 Epochenumbruch 19. / 20. Jahrhundert 1.2.1 Erläuterungen zum Epochenumbruch 19. / 20. Jahrhundert 1.2Epochenumbruch 19./20. Jahrhundert – unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung epischer Texte 1.2.1 Erläuterungen zum Epochenumbruch 19./20. Jahrhundert in fo 26 Übersicht: Epochenumbruch Zeitspanne 1848–1933 Politische Entwicklung Gründung des Deutschen Reiches 1871; Politik des Imperialismus I. Weltkrieg: 1914–1918 Novemberrevolution 1918/19; Weimarer Republik: 1918–1933 Donaumonarchie Österreich-Ungarn: Zerfall der Nationengemeinschaft Wirtschaftliche Entwicklung Aufschwung: Gründerjahre (1871–73), Fortschrittsoptimismus; Kriegsnöte; wirtschaftliche Wirren: steigende Arbeitslosigkeit, Weltwirtschaftskrise (1929) Geistesgeschichtliche Entwicklung Fin-de-Siècle-Stimmung; Dominanz des naturwissenschaftlichtechnischen Denkens; wachsender Nationalismus (Chauvinismus) und Antisemitismus schneller literarischer Epochenwechsel: Realismus: ästhetisierte Wirklichkeitsdarstellung Naturalismus: Mensch als Produkt seiner Umwelt Impressionismus: Ausdruck subjektiven Sinnesempfindens Symbolismus: Betonung des Ästhetisch-Artifiziellen: L’art pour l’art Expressionismus/Dada: ekstatisch-radikaler Ausdruck existenzieller Befindlichkeit/anarchisch antiästhetischer Protest Neue Sachlichkeit: nüchterne Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit 1.2 Epochenumbruch 19. / 20. Jahrhundert 1.2.3 Literarische Beispiele der Neuen Sachlichkeit 1.2.3 Literarische Beispiele der Neuen Sachlichkeit: Romanauszüge / Erzähltexte von Erich Kästner, Hans Fallada, Marieluise Fleißer oder Irmgard Keun in fo „So kann jeder, der nicht kann.“ Übersicht: Neue Sachlichkeit Zeit 1919–1932 Themen soziale und ökonomische Wirklichkeit: Industrie, Wirtschaft, Großstadt, Arbeit in Büro, Firma, Fabrik; Arbeitslosigkeit; technischer Fortschritt Textsorten literarische Gebrauchsformen: Reportage; Drama, Prosa, Lyrik „Zeitroman“: Thematisierung der aktuellen politischen, ökonomischen und kulturellen Wirklichkeit und des alltäglichen Lebens Stil, allgemein anti-expressionistisch, entsentimentalisiert, nüchtern-sachlich, kritisch-dokumentierend, präzise beobachtend, tatsachenorientiert, authentisch, nützlich Stil, narrativ an die mündliche Rede angepasste Schriftsprache; einfacher Ausdruck, distanzierte Subjektivität, humorvoll, satirisch bis zynisch, sezierende Analyse Autoren –– Journalismus: Egon Erwin Kisch (1885–1948), Kurt Tucholsky (1890–1935) –– Drama: Bertolt Brecht (1898–1956), Carl Zuckmayer (1896– 1977), Ödön von Horváth (1901–1938) –– Roman: Heinrich Mann (1871–1950), Alfred Döblin (1878– 1957) –– Lyrik („Gebrauchslyrik“): Kästner, Brecht, Tucholsky Vom Ausgang des I. Weltkriegs ernüchtert und desillusioniert, konstatiert man sachlich registrierend oder kritisch dokumentierend die soziale und ökonomische Gegenwart, sodass literarische Gebrauchsformen wie die Reportage an Bedeutung gewinnen. In der erzählenden Literatur, die allerdings keine programmatische Gemeinsamkeit formuliert, ist der Erzählton von kühler Sachlichkeit über subjektive Erlebnishaftigkeit und humorvolle Distanz bis zur spitzen Satire breit gefächert. Kurt Tucholsky fasst kurz und despektierlich zusammen: „So kann jeder, der nicht kann.“13 Mit dem Ziel der Authentizität verzichten die Autoren auf Sentimentalitäten und ausufernde Bildlichkeit, wenn sie sich der alltäglichen Lebensumstände in der Familie und am Arbeitsplatz, in Büros, Fabriken und Firmen annehmen. Zuweilen verfallen sie aber einer naiven Begeisterung für die Amerikanisierung des Lebens durch die rasanten Fort13 Kurt Tucholsky: Auf dem Nachttisch. In: Die Weltbühne, 22. April 1930. Zitiert nach: Ders.: Gesammelte Werke. Reinbek: Rowohlt, 1975, Bd. 8, S. 120. 52 1.2 Epochenumbruch 19. / 20. Jahrhundert 1.2.3 Neue Sachlichkeit: Hans Fallada (1893 – 1947) schritte der technischen Zivilisation. Großstadt, Industrie und Arbeitslosigkeit sind die bevorzugten Themen. Neben den Journalisten Egon Erwin Kisch und Kurt Tucholsky und den Dramatikern Bertolt Brecht, Carl Zuckmayer und Ödön von Horváth macht in dieser Zeit eine Vielzahl von Erzählern von sich reden. Heinrich Mann mit seinen kritischen Romanen zur wilhelminischen Ära, allen voran Der Untertan (1918), und Alfred Döblin mit seinem epochalen Großstadtroman Berlin Alexanderplatz (1928) zählen zu den bedeutendsten. Die hier getroffene Auswahl der Autoren Kästner, Fallada, Fleißer und Keun beleuchtet dagegen die zweite Linie – diejenigen, die zu ihrer Zeit viel gelesen oder beachtet wurden, doch heute eher in Vergessenheit geraten sind. Für diesen Schwerpunkt können zwar keine bestimmten Werke als gelesen vorausgesetzt werden, doch ist es durchaus möglich, dass irgendein Textausschnitt aus einem Werk dieser Autoren im Abitur herangezogen wird. In Frage kämen dafür jedoch auch andere Autoren dieser Zeit wie etwa Lion Feuchtwanger (1884–1954), der mit seinen Romanen Jud Süß (1925) und Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz (1930) ebenfalls der Neuen Sachlichkeit zuzurechnen ist. Deshalb werden im Folgenden wichtige mögliche Wissensstoffe nur in kurzen Übersichten dargestellt. Will man den besonderen Stil der narrativen Literatur der Neuen Sachlichkeit kennzeichnen, so lassen sich folgende Stilelemente zusammentragen: Übersicht: Stilelemente der narrativen Literatur Semantik Umgangssprache, z. T. mit Vulgarismen, Wortverkürzungen, falscher Fremdwortgebrauch Syntax Parataxe, Häufung von Konjunktionen; elliptischer Satzbau; grammatische Unkorrektheiten; Wortstellungsfehler Pragmatik Annäherung an mündliches Erzählen; assoziative Gedankenverknüpfung; Vorliebe für Wiederholungen: refrainartig, leitmotivisch, satirisch; Verwendung von Montagetechniken Erzählperspektive zurückgenommener auktorialer Erzähler, personaler Erzähler, monologisierender Ich-Erzähler Stoffwahl eigenerlebte bzw. tatsachenorientierte Ereignisse in f o Hans Fallada (1893–1947) Hans Fallada, als Rudolf Ditzen geboren, wächst wegen der juristischen Karriere seines Vaters in Greifswald, Berlin, Rudolstadt und Leipzig auf. Als 18-Jähriger kommt er wegen eines tödlichen Duells und eines anschließenden Selbstmordversuchs in eine psychiatrische Klinik, zwischen 1917–1919 wegen Alkohol- und Morphiumabhängigkeit mehrmals in Heilanstalten und zwischen 1923–1928 wegen Unterschlagungen als landwirtschaftlicher Rechnungsführer zweimal ins Gefängnis. Als er 1930 im Rowohlt Verlag eine Anstellung erhält, hat er bereits zwei expressionistische Romane geschrie- Psychiatrieund Gefängnisaufenthalte 53 1.2 Epochenumbruch 19. / 20. Jahrhundert 1.2.3 Neue Sachlichkeit: Hans Fallada (1893 – 1947) ben und ein Jahr zuvor seine erste Frau Anna Margarete Issel geheiratet. Aus seinen spannungsreichen Erfahrungen beim Landvolk-Prozess in Neumünster 1929 – Fallada war Gerichtsreporter einer deutschnationalen Zeitung und gleichzeitig als Angestellter des Neumünsteraner Verkehrsvereins Untergebener des Bürgermeisters – resultiert sein Roman Bauern, Bonzen und Bomben (1931). Seine junge Frau, genannt Lämmchen, und die Geburt seines ersten Sohnes Ulrich (Spitzname Murkel) im Jahre 1930 inspirieren ihn zu dem internationalen Bestsellerroman Kleiner Mann – was nun? (1932). Kleiner Mann – was nun? (1932) in fo Daten zum Text Textsorte Zeitroman in zwei Teilen: Die kleine Stadt (12 Kapitel) und Berlin (30 Kapitel) mit Vorspiel und Nachspiel (3 bzw. 6 Kapitel), alle Kapitel betitelt Entstehungszeit 19. 10. 1931–19. 2. 1932 Erscheinungsjahr Vorabdruck 20. 4.–10. 6. 1932 in der Vossischen Zeitung, Berlin; Buchausgabe: 1932, Berlin: Rowohlt-Verlag Einordnung Neue Sachlichkeit Thema Milieustudie über die alltäglichen Nöte des Kleinbürgers während der Weltwirtschaftskrise Zeit der Handlung Juni 1929–November 1931 Ort der Handlung Platz, Ducherow, Berlin Hautfiguren Johannes Pinneberg, Buchhalter; Emma Mörschel (Lämmchen), seine Frau mit Sohn Horst (Murkel); Emil Kleinholz, Düngemittelhändler, mit Tochter Marie; Joachim Heilbutt, Kessler, Verkäufer; Pinneberg, Mutter, Holger Jachmann, ihr Freund; Puttbreese Inhalt Als Emma Mörschel, genannt Lämmchen, klassenbewusste Arbeitertochter, schwanger ist, heiratet sie den Buchhalter Johannes Pinneberg und zieht von dem Ort Platz in dessen vollgestopftes Logierzimmer nach Dacherow (Ostvorpommern). Dort muss die Beziehung geheim bleiben, weil Pinneberg fürchtet, seinen Job nur so lange behalten zu können, wie sein Chef Emil Kielholz hofft, seine Tochter Marie an ihn zu verheiraten. Als Pinneberg letztlich trotz eines Solidarpaktes unter den Angestellten gekündigt und 54 1.3 Lyrik der Romantik, des Expressionismus und der jüngsten Gegenwart 1.3.1 Lyrik der Romantik 1.3 Lyrik der Romantik, des Expressionismus und der jüngsten Gegenwart (etwa ab 1990) Bei der Behandlung der Gattung Lyrik werden keine Einzelwerke, sondern nur drei Epochen vorgegeben, wobei die letzte nicht einmal die grobe stilistische oder thematische Einheitlichkeit einer Epoche im engeren Sinne aufweist. Deshalb ist es schwierig, selbst herausragende Gedichte der jeweiligen Zeitabschnitte als bekannt vorauszusetzen. Infolgedessen sollen in diesem Kapitel vor allem die strukturellen Wissenselemente angesprochen werden. Dazu gehören neben den Informationen zu den zeitgeschichtlichen und historischen Hintergründen der vorausgesetzten Epochen Romantik, Expressionismus und jüngster Gegenwart vor allem die kennzeichnenden stilistischen Strukturen sowie thematischen Schwerpunkte der jeweiligen Lyrik. 1.3.1 Lyrik der Romantik23 Zur Epoche Die Romantik (1795–1840) lässt sich verstehen als eine protesthafte Reaktion auf die nach der Französischen Revolution als krisenhafte Enttäuschung empfundenen napoleonischen Kriege und die Wiederherstellung des absolutistischen Systems in Europa. (Weiteres zum zeitgeschichtlichen und historischen Hintergrund vgl. Kap. 1.1.1.) Die Romantik setzt die sich von der rationalen Einseitigkeit der Aufklärung wegbewegende Entwicklung des Sturm und Drang und der Klassik fort und erweitert sie bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Fichtes subjektiver Idealismus, der von einem absolut autonomen, schöpferischen Ich ausgeht, und Schellings Identitätsphilosophie, nach der Natur und Geist eine Einheit bilden, schaffen die Bedingung für die Welt- und Kunstauffassung einer allumfassenden Synthese. Romantische Literatur versteht sich als eine „progressive Universalpoesie“, die das Ziel verfolgt, nicht nur „alle getrennten Gattungen der Poesie zu vereinen“ (Friedrich Schlegel), sondern auch alle anderen Bereiche des Lebens. So dominiert die Vorstellung von der Aufhebung und Vereinigung der Gegensätze in einer mystischen Einheit, die an mittelalterlichem Wunschdenken anknüpft. Überirdisches soll mit Irdischem, Ewiges mit Zeitlichem, Vergangenes mit Gegenwärtigem, Seelisches mit Körperlichem, Geist und Sinnlichkeit, Bewusstes und Unbewusstes, Traum und Wirklichkeit zu einer harmonischen Vollkommenheit verschmelzen. Die Epoche der Romantik wird in drei Phasen gegliedert: –– die Frühromantik oder „Jenaer Romantik“ zwischen 1795 und 1805, die ihren Schwerpunkt in der Herausbildung der romantischen Theorie und ihre Hauptvertreter in Ludwig Tieck, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Novalis (Friedrich von Hardenberg) und den Gebrüdern Friedrich und August Wilhelm Schlegel besaß, –– die Hochromantik oder „Heidelberger Romantik“ zwischen 1805 und 1820, in der man sich unter dem Eindruck der napoleonischen Kriege auf das Patriotische, NationalHistorische und Völkische (Märchen, Volkslieder) konzentrierte und die vor allem von Achim von Arnim, Clemens Brentano und Joseph von Eichendorff repräsentiert wird, Ideologie der universellen Einheit 23 Ausführlich: Gudrun Blecken: Lyrik der Romantik. Hollfeld: C. Bange Verlag, 2. Aufl. 2014 (Königs Erläuterungen Spezial, Bd. 3032-7). 79 1.3 Lyrik der Romantik, des Expressionismus und der jüngsten Gegenwart 1.3.1 Lyrik der Romantik –– die Spätromantik oder „Schwäbische Romantik“ zwischen 1820 und 1848, die sich stärker dem Religiösen zuwandte und in Ludwig Uhland, Gustav Schwab und Eduard Mörike ihre wesentlichsten Autoren fand. Nicht die bevorzugte literarische Gattung dieser Epoche, aber jene, an der die Epochenmerkmale am leichtesten ablesbar sind, ist die Lyrik, weil sie am ehesten und überzeugendsten erlaubt, subjektives Empfinden zum Ausdruck zu bringen und divergierende Sphären miteinander zu harmonisieren und zu verschmelzen. Damit das Ich des Schriftstellers sich behaupten kann, wird das Mittel der Ironie eingesetzt. Diese romantische Ironie unterscheidet sich von der rhetorischen Ironie insofern, als sie weniger ein Ausdrucksmittel ist als ein Stilmittel der Verfremdung, das die Illusion der Fiktion durchbricht, die Eindimensionalität des Geschriebenen im Sinne der Romantik aufhebt, in Frage stellt und so Distanz schafft. epochenübersicht Romantik Politische Krise Revolutionskriege Napoleonische Kriege/Befreiungskriege Wiener Kongress Restauration Philosophischer Idealismus Fichtes Idealismus Schellings Identitätsphilosophie Krise des Individuums Stillstand der Emanzipation Tendenz zum Eskapismus (Flucht): Mittelalterideal, Naturidylle, Poetisierung der Welt, Subjektivismus Romantik als Universalpoesie Frühromantik Jenaer Romantik: 1795 –1805 Hochromantik Heidelberger Romantik: 1805 –1820 Spätromantik Schwäbische Romantik: 1820 –1848 Schaubild 17: Romantik 80 1.4 Spracherwerb und Sprachentwicklung 1.4.1 Phylogenetischer Spracherwerb: Ursprung der Sprache 1.4 Spracherwerb und Sprachentwicklung28 Spracherwerb kann unter zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet werden: Spracherwerb der Menschheit (Phylogenese) oder Spracherwerb des einzelnen Menschen (Ontogenese). Die Frage nach dem Ursprung der Sprache ist also jene der Phylogenese, die der Ontogenese ist die Frage nach dem individuellen Spracherwerb und der Sprachentwicklung. Zu beiden Fragenkomplexen haben sich unterschiedliche Theorien herausgebildet. 1.4.1Phylogenetischer Spracherwerb: Ursprung der Sprache Johann Gottfried Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) – Auszüge aus I. Teil, 1. und 2. Abschnitt (als gemeinsamer Bezugstext) Entdecker des Volkslieds Zum Autor Johann Gottfried Herder (1744 –1803), in Ostpreußen als Sohn eines pietistischen Kantors und Volksschullehrers geboren, war einer der wesentlichen Wegbereiter für die Entwicklung der bedeutendsten deutschen Literaturepochen. Nach autodidaktischer Bildung durch eine örtliche Pfarrbibliothek und dem Studium der Medizin, Theologie und Philosophie in Königsberg ließen vor allem die Erfahrungen einer Seereise von Ostpreußen nach Nantes und auf dem Landwege über Paris, Amsterdam und Hamburg nach Eutin sowie einer Italienreise als Begleiter des holsteinischen Prinzen in ihm die Erkenntnisse wachsen, deren Vermittlung ihn bedeutend machte. Herder erkannte die besondere Ästhetik der gotischen Baukunst und als einer der ersten die Bedeutung Shakespeares; er rezipierte Jean-Jacques Rousseaus Kulturkritik, entdeckte die natürliche Ästhetik in den von ihm gesammelten Volksliedern (1778/79) und übertrug den Gedanken einer organischen Entwicklung auf Sprache, Nationalkultur und Geschichte. Damit beeinflusste er nicht nur nachhaltig den jungen Goethe, mit dem er 1770 in Straßburg zusammentraf, sondern wurde zum Anreger von Sturm und Drang, Klassik und Romantik. Herder starb, nach einer Goethe verdankten Hofkarriere in Weimar, zuletzt verbittert und vereinsamt aufgrund der Ablehnung seines ambitionierten philosophischen Spätwerks. 28 Ausführlich: Kerstin Prietzel: Inhaltlicher Schwerpunkt: Reflexion über Sprache, Deutsch-Abitur NRW 2013, 2014 und 2015. Hollfeld: Bange Verlag, 2. Aufl. 2012 (Königs Abi-Trainer). 90 1.5 Aspekte des Sprachwandels in der Gegenwart 1.5.1 Sprachwandeltheorien 1.5 Aspekte des Sprachwandels in der Gegenwart: Einfluss neuer Medien, Mehrsprachigkeit Jede natürliche, lebende Sprache ist mit der Zeit auch dem Wandel unterworfen, die gesprochene Sprache eher als die geschriebene. Die Gesamtentwicklung einer Sprache wird in ihrer Sprachgeschichte dokumentiert. Da zu jeder Zeit unterschiedliche Einflüsse auf eine konkrete Sprache einwirken, seien sie politischer, sozialer oder kultureller Natur, entwickeln sich in den überaus heterogenen Gruppen der Sprachgemeinschaft auf allen Ebenen des Sprachsystems unterschiedliche Sprachvorlieben und -tendenzen heraus, die – historisch betrachtet – einer neuen Phase der Sprachgeschichte den Grund legen können. Dazu haben sich mehrere Theorien herausgebildet: Unterschiedliche Einflüsse 1.5.1 Sprachwandeltheorien Theorie Beschreibung Kritik/Beurteilung Stammbaumtheorie Jede Sprache ist aufzufassen als Zweig einer Sprachfamilie, die wiederum gemeinsam einem Sprachstammbaum zugehören. Grundlagenwissen Superstrat-Theorie (superstrat: darübergestreutes) Eine Sprache übernimmt in einer Unterlegenheitssituation Bestandteile der Sprache des überlegenen Volkes (Transferenzen). Interessant für Latinismen, Gallizismen (18./19. Jh.) und Anglizismen (20. Jh.) Substrat-Theorie (substrat: daruntergestreutes) Eine dominante Sprache übernimmt Elemente der ihr unterlegenen Sprache. Interessant für regionalsprachliche Varietäten (z. B. Übernahme von „Kanaksprach“ in die dt. Hochsprache) Wellentheorie Zwischen verwandten Sprachen kommt es immer wieder zu Wechseleinflüssen. Interessant z. B. für den Einfluss des Deutschen auf das Anglo-Amerikanische Stadialtheorie (stadial: stufenweise) Jede Sprache entwickelt sich organisch in Stadien von einfacher zu komplexer Struktur. Umkehrtendenz in heutiger Sprache beobachtbar: Pragmatismus (Telegrammstil, SMS-, Comic-Sprache) Theorie der unsichtbaren Hand Sprachwandel vollzieht sich evolutionär, d. h. ungeplant und unbeabsichtigt (Trampelpfadtheorie). 95 1.6 Sprachkritik, Sprachskepsis, Sprachnot 1.6 Sprachkritik, Sprachskepsis, Sprachnot Unter Sprachkritik versteht man im Allgemeinen die wertende Auseinandersetzung mit der geltenden Norm und der aktuellen Verwendung einer Sprache. Ein aktuelles Beispiel dafür wäre die bis heute anhaltende Kritik an der Einführung einer neuen deutschen Sprachnorm durch die Rechtschreibreform zwischen 1996 und 2006. In der Regel beziehen sich sprachkritische Äußerungen und Veröffentlichungen auf die Veränderungen, Tendenzen und Auffälligkeiten im aktuellen Sprachgebrauch und alle Formen der Sprachlenkung, die das Denken und die Einstellung der Sprachteilnehmer beeinflussen sollen und die meist politisch motiviert sind. Dazu gehören: –– offizielle Sprachregelungen in Bezug auf Einzelbegriffe mit meist wertender Intention (so waren nach 1949 in der Bundesrepublik für die DDR Begriffe wie „Zone“, „Mitteldeutschland“ oder „sogenannte DDR“ üblich; anderes Beispiel: „Fremdarbeiter“-„Gastarbeiter“-„ausländischer Arbeitnehmer“), –– die Definitionsbegrenzung (verordnete Begriffseinengungen: z. B. NS-Zeit: „Propaganda“ „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“), –– die Tabuisierung (Verbot, Meidung von Einzelwörtern) und –– der Euphemismus („Freistellung“ für Entlassung). Sprachkritik richtet sich auch auf die Verwendungsgeschichte („Dirne“, „geil“) und den Missbrauch einzelner Wörter. Sinn dieser Kritik ist zumeist die Warnung vor einem oder der Hinweis auf einen Sprachwandel mit dem Ziel, den Bestand der Muttersprache zu pflegen und diesen vor für unangemessen gehaltenen Veränderungen zu bewahren (Sprachpurismus). Hier ist zwischen der wissenschaftlichen Sprachkritik und ihrer populärwissenschaftlichen Tochter, die oft eher Unterhaltungscharakter hat, zu unterscheiden. So finden sich auf dem Buchmarkt diverse populär gehaltene Stilratgeber (z. B. von Bastian Sick: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod). Sprachskepsis ist kein wissenschaftlicher Terminus, sondern ein literarhistorischer und bezeichnet die am Ende des 19. Jahrhunderts aufkommenden Formen des Zweifels an der Leistungsfähigkeit der Sprache (vgl. den Zusammenhang von Sprache-DenkenWirklichkeit). Daraus erwuchs auch die Sprachnot. Sprachnot ist ebenfalls kein linguistischer Begriff. Er bezieht sich wie der Begriff Sprachskepsis auf eine besondere sprachkritische und literarische Situation zu Ende des 19. Jahrhunderts, in der Autoren ein Problem darin sahen, ihrer individuellen Sicht der Wirklichkeit und ihren vermeintlich neuartigen Gedanken mittels einer allgemeinen, verbrauchten, konventionellen und in ihren Nuancen bereits belasteten Sprache angemessenen Ausdruck verleihen zu können. Auslöser für diese Verunsicherung war neben dem Siegeszug der Naturwissenschaften mit ihren Fachsprachen v. a. der Aufstieg des Massenmediums Tageszeitung. Man fürchtete in dieser Krise, mit seiner Ausdrucksabsicht an den bereitstehenden Standardisierungen, Worthülsen und Denkschablonen zu scheitern und ersehnte neue Ausdrucksformen. In diesen Zusammenhang ist der Chandos-Brief von Hugo von Hofmannsthal zu stellen. Sprachpurismus 101 2.1 Psychologischer Aspekt: Individuation und Sozialisation Individuation Sozialisation Entfaltung und Nutzung der eigenen Rollenfindung und Verantwortung Anlagen und Möglichkeiten in einem gesellschaftl. Miteinander vorgegebenes weltanschauliches Wertesystem barock naturbegründetes Selbstbewusstsein aufkl ärung sturm und drang autonome Selbstbestimmung Ausgleich von Autonomie und sozialer Pflicht Klassik Flucht in den Individualismus Romantik Verpflichtung nur gegenüber der Familie Biedermeier Kampf um politische Ziele Vormär z individuelle Anpassung an soziale Verhältnisse Re alismus Impressionismus E xpressionismus ästhetischer Rückzug auf die Individualität extrem individueller Ausdruck neue sachlichkeit nach 194 5 heute Verunsicherung aller Werte Ausweitung und Vertiefung der Unsicherheit wachsende soziale Fremdbestimmung durch Medien u. soziale Zwänge Schaubild 20: Individuation und Sozialisation 111 2.2 Genderaspekt 2.2.1 Die Rolle des Mannes in der Gesellschaft 2.2Genderaspekt Dominanz männlicher Autoren in der Literaturgeschichte Die Stellung des Mannes in der Gesellschaft scheint über die Jahrhunderte relativ stabil. Religiös begründet, findet er im Patriarchat eine fest definierte privilegierte und dominante Rolle, die ihm erst seit dem Epochenumbruch 19./20. Jahrhundert ernstlich streitig gemacht wird. Das ist allein an der Autorschaft von Texten ablesbar, obwohl die Frauen bereits seit der Mitte des 12. Jahrhunderts zu schreiben begonnen haben (Hroswitha von Gandersheim, ca. 935 – 1002, wird als erste deutsche Dichterin angesehen) und sogar seither traditionell das Gros des Lesepublikums ausmachen. Dies ist keine Frage der literarischen Qualität: Da auch die Literaturgeschichtsschreibung männlich dominiert wurde, wurden selbst herausragende Texte von Autorinnen in der Regel gar nicht erst kanonisiert. Selbst die zum Abitur obligatorisch zu lesenden Texte entstammen überwiegend männlichen Federn. Erst Marieluise Fleißer und Irmgard Keun bilden eine Ausnahme. Auch die Hauptfiguren der zu lesenden Texte sind überwiegend männlich. Lediglich Schillers Luise und die Romanheldinnen der Autorinnen weichen davon ab: Gisela Kron (Gilgi), Doris und Frieda Geier. Hier wird erkennbar, dass sich im 20. Jahrhundert eine Veränderung der geschlechtsspezifischen Wertung vollzieht. 2.2.1Die Rolle des Mannes in der Gesellschaft Übersicht Autor Figur Männerbild Schiller Präsident absolutistische Position mit unbegrenzter Machtgier Wurm serviler, skrupelloser Utilitarist39 Ferdinand egomanischer Individualist Miller selbst- und sittenbewusster Kleinbürger Josef K. erst ungefestigter Mitläufer, dann selbstzweifelnder Kritiker Huld, Titorelli Direktor-Stellvertreter schmierige Verteidiger des gesellschaftlichen Systems opportunistischer Karrierist, Repräsentant des Zeitgeistes unterwürfige sadomasochistische Anpassung Kafka Sonstige 39 Jemand, der nur auf den Nutzen achtet. 112 2.3 Literarhistorischer Aspekt: Ratio und Sensus 2.3 Literarhistorischer Aspekt: Die literarische Entwicklung als Pendelbewegung zwischen Ratio und Sensus (Epochenmerkmale) Verstand und Gefühl Die Menschheitsgeschichte scheint sich manchmal zyklisch, also wie in einem Kreislauf, zu vollziehen oder einer Pendelbewegung zwischen zwei Extremen zu ähneln. So kann man sich auch die literarische Entwicklung vorstellen. Die Extreme werden hier durch zwei Pole gebildet, die sich nicht ausschließen, sondern kompensatorisch miteinander harmonieren können: die Ratio auf der einen und der Sensus auf der anderen Seite. Der Verstand äußert sich dabei in logischen Kategorien, objektiven Kriterien und abstrakten Begriffen, das Gefühl in Pathos, subjektiven Emotionen und expressiver Bildlichkeit. Je nach der historischen Pendelstellung gestalten sich die stilistischen Epochenmerkmale. Überblick 118 Epoche Akzent Schreibstil Barock ausgeglichen differenzierte Formartistik Aufklärung rational didaktisch Diskurs abstrakter Begrifflichkeiten Anakreontik emotional stilisierte Bildmuster Pietismus emotional pathetisch-religiöse Empfindung Sturm und Drang emotional genialisch-egoistische Subjektivität Klassik ausgeglichen idealistisch-strenge Erhabenheit Romantik emotional sehnsuchtsvolle Fantasie Biedermeier rational wirklichkeitsnahe Idealität Vormärz ausgeglichen leidenschaftliches politisches Engagement Realismus ausgeglichen Betonung von Deskription und Figurenrede Naturalismus emotional selektierender Verismus (schonungslose Wirklichkeitsdarstellung) Symbolismus rational elitäre, vernunftbetonte Bildlichkeit Impressionismus emotional sensible, sprachskeptische Subjektivität Expressionismus emotional apokalyptische Wortgewalt Neue Sachlichkeit rational wertungsarme, nüchterne Distanz Trümmerliteratur rational skeptisch-misstrauische Zurückhaltung 2.4 Thematische Aspekte 2.4.1 Liebe als literarisches Motiv 2.4Thematische Aspekte 2.4.1 Liebe als literarisches Motiv Die Liebe zählt zweifelsfrei zu den häufigsten literarischen Motiven, nicht nur in der Lyrik. Es kann an dieser Stelle keine begriffliche Differenzierung dieses sehr vielschichtigen und deshalb vagen Begriffes geleistet werden. An dieser Stelle sollen unter dem Begriff Liebe alle von Zuneigung geprägten zwischenmenschlichen Beziehungsformen gefasst werden, unabhängig davon, ob sie in den jeweiligen literarischen Werken Wunsch oder Realität sind oder Bestand haben bzw. hatten. Übersicht: Werk Beziehung Figur Bild der Liebe Kabale und Liebe asymmetrisch Ferdinand Luise subjektive Ersatzreligion Harmonie von Sinnlichkeit und Sittlichkeit Persönlichkeitsbestätigung Lady Milford Der Proceß asymmetrisch Josef K. schmutzig-animalische Triebhaftigkeit Hiob asymmetrisch Mendel körperliche Attraktivität asymmetrisch Mirjam Instrumentalisierung zum Lustgewinn Kleiner Mann… symmetrisch Johannes/ Lämmchen partnerschaftliches Vertrauen Fabian asymmetrisch Fabian menschliche Wärme und Trost Cornelia Liebe als Karrieremittel Frieda Partnerschaft Gustl Herrschaft Doris Instrumentalisierung der Liebe als Mittel zum sozialen Aufstieg Frieda Geier Das kunstseidene Mädchen asymmetrisch asymmetrisch Bereits Schillers bürgerliches Trauerspiel Kabale und Liebe stellt die Liebe als Problemfeld ins Zentrum seiner Betrachtung. Ferdinand, der sich in seinem Gefühlsrausch ergebende und in Illusionen versteigende Sturm-und-Drang-Mensch, verdeutlicht, wie die Liebe in Laster und Leid umschlagen kann, wenn sie nicht rücksichtsvoll partnerschaftlich angelegt ist, sondern einer subjektiven Ersatzreligion gleich zur Selbstapotheose (Selbstvergöttlichung) missbraucht wird. Der Gewalt, mit der sich eine solch selbstsüch- Verknüpfungsaspekt 1: Kabale und Liebe 121 2.5 Gattungstheoretische Aspekte 2.5.1 Der Wandel der Dramentheorie im Epochenumbruch 18./19. Jahrhundert 2.5 Gattungstheoretische Aspekte 2.5.1Der Wandel der Dramentheorie im Epochenumbruch 18./19. Jahrhundert Übersicht Sturm und Drang 132 Epoche Merkmale Theorie Sturm und Drang Kabale und Liebe klassische Bauform freie Prosa expressive, selbstbewusste Sprache als Ausdruck der Leidenschaft genialisch-kraftvolles Aufbegehren gegen subjektive Unterdrückung Kritik der Alltagsrealität Anmerkungen übers Theater (J. M. L.) Im 18. Jahrhundert wurden die Vorstellungen von einem Drama beherrscht von zwei unterschiedlichen Ansichten. Auf der einen Seite stand der an Regeln orientierte Traditionsstrang der Theorie, der sich von der antiken Poetik des Aristoteles bis zu den Werken der französischen Klassiker erstreckte, auf der anderen Seite stand die regelfreie und lebendige Theaterpraxis des ‚Genies‘ Shakespeare. Lessing hatte sich in seiner Hamburgischen Dramaturgie (1767/68) bereits um eine Entschlackung der Dramentheorie verdient gemacht und mit seinem bürgerlichen Trauerspiel den Weg bereitet. Goethe und Schiller vollendeten den Prozess. In ihren shakespearehaften Jugenddramen setzten sie sich über die strengen Vorschriften des herkömmlichen Theaters hinweg und gaben die drei Einheiten des Ortes, der Zeit und der Handlung sowie die strenge Versgebundenheit der Figurenrede auf. Sie verwendeten stattdessen eine kraftvolle, ausdrucksstarke Prosa, die geeignet war, die Leidenschaft des genialischen Aufbegehrens gegen alle Formen der Unterdrückung des Subjektiven und Individuellen zu fassen. Bei Schiller gerät dieser Stil, in dem er seine Zeitkritik formulierte, oft ins überzogen Schwülstige und Pathetische. In der Folgezeit wandelt sich die Zielsetzung des Dramas: –– von der fiktionalen Ausmalung utopischer Ziele in der Klassik –– über eine schonungslose Darstellung der schockierenden Wirklichkeitsfakten und der Aufdeckung ihrer Ursachen im Naturalismus –– hin zu einer mehr analytischen Dramaturgie im 20. Jahrhundert, die sich in immer unübersichtlicher werdenden Zeiten um die Erhellung des Wechselverhältnisses von individuellem Schicksal und zunehmend das menschliche Handeln bedingenden und beeinflussenden gesellschaftlichem Umfeld bemüht. Teil II: Übungsaufgaben Hinweise, Tipps und Lösungsmöglichkeiten 135 1. Die Aufgabenstellungen im Abitur Die Vorgaben Für die Ablegung des schriftlichen Abiturs im Fach Deutsch gelten im Grund- und Leistungskurs die gleichen strukturellen inhaltlichen Anforderungen. Diese Anforderungen umfassen die Verstehensleistung und die Darstellungsleistung. Bei der Verstehensleistung wird unterschieden zwischen der Reproduktionsleistung, der Wiedergabe von Kenntnissen (Anforderungsbereich I), dem Transfer, der Anwendung von Kenntnissen (Anforderungsbereich II) und der Problemlösung und Wertung (Anforderungsbereich III). Jede Aufgabenstellung muss alle drei Anforderungsbereiche ansprechen. Dabei ist bei den analytischen Aufgabenarten I (nichtfiktionale Texte) und II (fiktionale Texte) das Verhältnis dieser Anforderungen gleich, bei der argumentativen Aufgabenart III verschiebt sich das Profil zugunsten des dritten Anforderungsbereichs. Seit 2011 wird die Zuordnung der Anforderungsbereiche zu den Punktbewertungen nicht mehr ausgewiesen. Die Art der im Abitur zulässigen Aufgabenstellungen ist auf drei Aufgabenarten festgelegt; im Falle der analytischen Aufgabenarten ist eine Differenzierung durch Kennbuchstaben vorgesehen. Der Kennbuchstabe A bezeichnet dabei die Analyse eines einzigen Textes, die Buchstaben B und C weisen auf einen Vergleich zweier gleichartiger Texte hin oder auf eine spezielle Anforderung. Hier fehlt leider eine Bezeichnungssystematik. Alle Aufgabenstellungen bestehen aus mindestens zwei Aufgabenteilen, die je nach Aufgabenart unterschiedlich gewichtet werden. Die Aufgabenstellung selbst enthält keine Kennzeichnung der vorliegenden Aufgabenart. Diese treten seit 2012 ohnehin zunehmend zugunsten von üppig formulierten Aufgabenstellungen in den Hintergrund. Deren Formulierung ist ebenfalls reglementiert, sodass vor allem an den auffordernden Verben (Operatoren) erkennbar ist, welche Leistung genau erwartet wird. So ist heute vor allem das Augenmerk auf diese bis zu fünf Operatoren zu lenken, die den Vorteil besitzen, die Prüflinge meist einer Reflexion des methodischen Vorgehens zu entheben. Die Operatoren In der Tradition mancher Schulen und sogar einiger Regierungsbezirke des Landes NRW liegt es, manchmal andere Operatoren als die vom Ministerium festgelegten zu verwenden, weil sie leider auch innerhalb der Fächer unterschiedlich definiert sind. Deshalb hat die Konferenz der Kultusminister sich im Oktober 2012 geeinigt, auf eine Operatorenliste zu verzichten und die Arbeitsaufträge so zu formulieren, „dass sie von Schülerinnen und Schülern aller Länder auch ohne Operatorenliste verstanden werden können.“41 Danach ist der übergreifende Operator „interpretieren“ wieder für die Er41 www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_10_18-Bildungsstandards-Deutsch-Abi.pdf, S. 40 (Stand: Februar 2014). 136 1. Die Aufgabenstellungen im Abitur schließung fiktionaler Texte verwendbar. Gleichwohl ist in NRW die am 26. 10. 2007 vom Schulministerium veröffentlichte Operatorenübersicht42 noch nicht zurückgenommen. Die formalen Anforderungen sind im Leistungskurs und im Grundkurs etwas unterschiedlich. Klausuren im Leistungskurs werden für viereinviertel Zeitstunden angesetzt, im Grundkurs beträgt die Bearbeitungszeit drei Zeitstunden. Da drei Aufgaben zur Auswahl vorgelegt werden, kommt zu dieser Bearbeitungszeit eine halbe Stunde Auswahlzeit hinzu. Es stehen im Leistungskurs also insgesamt 285 Minuten Gesamtarbeitszeit zur Verfügung. Anforderungsprofil der Aufgabenarten Die punktgestützten Bewertungen der Lösungsbögen folgen den Abiturvorgaben und wurden auf der Grundlage der in den zurückliegenden Abiturprüfungen in Grund- und Leistungskursen verteilten Punktwerte erstellt. Die Aufgabenart I C und II B wurden bislang noch nicht angeboten. Das ist allerdings nur für die Aufgabenart II B nachvollziehbar. Die Gesamtpunktzahl beträgt im LK und GK z. Zt. 100 Punkte. Die Teilpunktsumme für die Darstellungsleistung beträgt immer 28 Punkte. Die einzelnen Punktsummen bei den Teilaufgaben können je nach Aufgabe variieren und werden in Abhängigkeit von der Aufgabenformulierung zunehmend flexibler gehandhabt. Punkteverteilung bei den Aufgabenarten Aufgabenart IA IB IC II A II B II C III A 1. Teilaufgabe 39/42 36 36 42 42 33/39 24/30 2. Teilaufgabe 30/33 36 36 30 30 33/39 48/42 Darstellung 28 28 28 28 28 28 28 Summe 100 100 100 100 100 100 100 Die Bewertung der Klausurarbeiten geschieht für Grund- und Leistungskurs vergleichbar durch einen punktgestützten Bewertungsbogen, der aus einem Raster besteht, das den erwarteten Lösungskriterien eine maximal zu vergebende Punktzahl zuordnet. Dieser Bewertungsbogen berücksichtigt alle inhaltlichen Anforderungen und weist sie differenziert aus. Er lässt auch einen individuellen Bewertungsspielraum von bis zu 6 Punkten für nicht vorhergesehene, aber sinnvolle Lösungsbeiträge zu, sofern dadurch die Gesamthöchstpunktzahl der Teilaufgabe nicht überschritten wird. Die der Leistung zuzumessende Note wird durch Addition aller erreichten Punkte ermittelt und einer Bewertungstabelle entnommen. Es gehört m. E. zu den Vorbereitungen zum Abitur, auch in dieser Hinsicht einen möglichst differenzierten Kenntnisstand zu besitzen. 42 www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/abitur-gost/fach.php?fach=1 (Stand: Februar 2014). 137 1. Die Aufgabenstellungen im Abitur Übersicht: Darstellungsleistung Anforderungen Der Prüfling 138 Maximal erreichbare Punktzahl 1 strukturiert seinen Text kohärent, stringent und gedanklich klar: –– angemessene Gewichtung der Teilaufgaben in der Durchführung –– gegliederte und angemessen gewichtete Anlage der Arbeit –– schlüssige Verbindung der einzelnen Arbeitsschritte –– schlüssige gedankliche Verbindung von Sätzen 6 2 formuliert unter Beachtung der fachsprachlichen und fachmethodischen Anforderungen: –– Trennung von Handlung und Metaebene –– begründeter Bezug von beschreibenden, deutenden und wertenden Aussagen –– Verwendung von Fachtermini in sinnvollem Zusammenhang –– Beachtung der Tempora –– korrekte Redewiedergabe (Modalität) 6 3 belegt die Aussagen durch angemessenes und korrektes Zitieren: –– sinnvoller Gebrauch von vollständigen und gekürzten Zitaten in begründeter Funktion 3 4 drückt sich allgemein präzise, stilistisch sicher und begrifflich differenziert aus: –– sachlich-distanzierte Schreibweise –– Schriftsprachlichkeit –– begrifflich abstrakte Ausdrucksfähigkeit 5 5 formuliert lexikalisch und syntaktisch sicher, variabel und komplex (und zugleich klar) 5 6 schreibt sprachlich richtig 3 Summe 28 1. Die Aufgabenstellungen im Abitur Übersicht: Notenfindung Für die Zuordnung der Notenstufen zu den Punktzahlen wird folgende Tabelle verwendet: Note Punkte Erreichte Punktzahl sehr gut plus 15 95 –100 sehr gut 14 90 – 94 sehr gut minus 13 85 – 89 gut plus 12 80 – 84 gut 11 75 – 79 gut minus 10 70 – 74 befriedigend plus 9 65 – 69 befriedigend 8 60 – 64 befriedigend minus 7 55 – 59 ausreichend plus 6 50 – 54 ausreichend 5 45 – 49 ausreichend minus 4 39 – 44 mangelhaft plus 3 33 – 38 mangelhaft 2 27 – 32 mangelhaft minus 1 20 – 26 ungenügend 0 0 –19 139 2. Übungsaufgaben 2.1 Klausurübungen Im Folgenden werden zunächst vier Klausurübungen angeboten. Sie beziehen sich auf die einzelnen obligatorischen Themen und können auch einzelnen Halbjahren der Qualifikationsphase zugeordnet werden. Im Unterschied zu den Abituraufgaben dürfen sie jedoch inhaltlich nicht kurs- und damit themaübergreifend formuliert sein. Ansonsten unterliegen alle Klausuren der Qualifikationsphase demselben Anforderungsprofil wie die Abiturklausuren. Sie sind also eine gute Übung, sich auf die Aufgabenarten und das Bewertungssystem im Abitur vorzubereiten. Die Abfolge der Übungsaufgaben orientiert sich an der vom Ministerium gewählten Reihenfolge der inhaltlichen Schwerpunkte. Die tatsächliche Abfolge der Inhalte im Unterricht kann je nach Fachcurriculum der Schulen davon abweichen. Die Klausurdauer kann je nach schulischer Organisation mit vier Unterrichtsstunden und den eingeschlossenen Pausen zwischen 180 und 210 Minuten schwanken. Eine Auswahlzeit steht den Prüflingen selbst dann nicht zu, wenn mehrere Aufgaben zur Wahl vorgelegt werden sollten. Lediglich die letzte Klausur vor der Zulassung in Q 2 – von Schülern und Lehrern gern als „Vor-Abiklausur“ bezeichnet – setzt eine Wahlmöglichkeit zwischen mindestens zwei Aufgaben voraus und unterliegt den gleichen zeitlichen Vorschriften wie die Abiturklausur, dauert also viereinviertel Zeitstunden plus einer halben Stunde Auswahlzeit. Die Bewertung der Klausuren in der Qualifikationsphase unterscheidet sich auch von der zentralen Klausur der Einführungsphase, in der der ersten Teilaufgabe dreißig und der zweiten Teilaufgabe sowie der Darstellungsleistung jeweils fünfzehn Punkte, insgesamt also maximal nur sechzig Punkte zugeordnet werden. 2.1.1 Aufgabe 1 (K 1) Bezüge zu den Vorgaben 2016 Epochenumbruch 18./19. Jh. – unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung des Dramas: Friedrich Schiller, Kabale und Liebe AUFGABENSTELLUNG 1. Analysieren Sie die achte Szene des vierten Aktes aus Schillers Drama Kabale und Liebe. (42 Punkte) 2. Stellen Sie im Anschluss dar, inwieweit in dieser Szene Epochentypisches zutage tritt. (30 Punkte) 140 2.1 Klausurübungen 2.1.1 Aufgabe 1 (K 1) Materialgrundlage: Friedrich Schiller: Kabale und Liebe. Ein bürgerliches Trauerspiel. 4. Akt, 8. Szene. Stuttgart: Reclam, Durchgesehene Ausgabe 2001, S. 90 f. Zugelassene Hilfsmittel: Wörterbuch zur Deutschen Rechtschreibung Unkommentierte Ausgabe von Fr. Schillers Kabale und Liebe Text Friedrich Schiller Kabale und Liebe (1784) LADY allein, steht erschüttert und äußert sich, den starren Blick nach der Türe gerichtet, durch welche die Millerin weggeeilt, endlich erwacht sie aus ihrer Betäubung. 5 10 15 20 25 LADY. Wie war das? Wie geschah mir? Was sprach die Unglückliche? – Noch, o Himmel! Noch zerreißen sie mein Ohr die fürchterlichen mich verdammenden Worte: N e h m e n S i e i h n h i n ! – W e n , Unglückselige? Das Geschenk deines Sterberöchelns – das schauervolle Vermächtnis deiner Verzweiflung! Gott! Gott! Bin ich so tief gesunken – so plötzlich von allen Thronen meines Stolzes herabgestürzt, dass ich heißhungrig erwarte, was einer Bettlerin Großmut aus ihrem letzten Todeskampfe mir zuwerfen wird? – N e h m e n S i e i h n h i n , und das spricht sie mit einem Tone, begleitet sie mit einem Blicke – – Ha! Emilie! Bist du d a r u m über die Grenzen deines Geschlechts weggeschritten? Musstest du d a r u m um den prächtigen Namen des großen britischen Weibes buhlen, dass das prahlende Gebäude deiner E h r e neben der höheren Tugend einer verwahrlosten Bürgerdirne versinken soll? – Nein, stolze Unglückliche! Nein! – B e s c h ä m e n lässt sich Emilie Milford – doch b e s c h i m p f e n nie! Auch ich habe Kraft zu entsagen. (Mit majestätischen Schritten auf und nieder.) Verkrieche dich jetzt, weiches leidendes Weib – Fahret hin, süße goldene Bilder der Liebe – Großmut allein sei jetzt meine Führerin! – – Dieses liebende Paar ist verloren, oder Milford muss ihren Anspruch vertilgen und im Herzen des Fürsten erlöschen! (Nach einer Pause lebhaft.) Es ist geschehen! – Gehoben das furchtbare Hindernis – Zerbrochen alle Bande zwischen mir und dem Herzog, gerissen aus meinem Busen diese wütende Liebe! – – in deine Arme werfe ich mich, Tugend! – Nimm sie auf, deine reuige Tochter Emilie! Ha! Wie mir so wohl ist! Wie ich auf einmal so leicht! so gehoben mich fühle! Groß wie eine fallende Sonne, will ich heut vom Gipfel meiner Hoheit heruntersinken, meine Herrlichkeit sterbe mit meiner Liebe, und nichts als mein H e r z begleiten mich in diese stolze Verweisung*. (Entschlossen zum Schreibpult gehend.) Jetzt gleich muss es geschehen – jetzt auf der Stelle, ehe die Reize des lieben Jünglings den blutigen Kampf meines Herzens erneuren. (Sie setzt sich nieder, und fängt an zu schreiben.) Anmerkungen: Verweisung Ausweisung, Verbannung 141 2.2 Lösungsvorschläge zu den Klausurübungen 2.2.1 Lösungsvorschlag Aufgabe 1 (K 1) 2.2 Lösungsvorschläge zu den Klausurübungen 2.2.1 Lösungsvorschlag Aufgabe 1 (K 1) Aufgabenart Analyse eines literarischen Textes mit weiterführendem Schreibauftrag (II A) ERLÄUTERUNGEN DER AUFGABENSTELLUNG Es liegt die im Leistungskurs häufig verwendete Aufgabenart II A vor. Sie erfordert hier formal nach einer kurzen kontextuellen Einordnung in den Dramenzusammenhang und zusammenfassenden Wiedergabe des Szeneninhalts eine Analyse der Szene unter den textsortentypischen Kriterien. Es gilt also, den Text hinsichtlich der Figurenkonstellation und der Dialogform zu beschreiben, die verwendeten Darstellungsmittel funktional zu untersuchen, die Aussagen der Figuren zu deuten und die Szene im Hinblick auf ihre Funktion für das Gesamtdrama zu bewerten. Der weiterführende Schreibauftrag fordert dazu auf, die in der inhaltlichen, sprachlichen und funktionalen Analyse gewonnenen Ergebnisse daraufhin zu prüfen, inwieweit sie epochentypisch sind. Das erfordert eine umstrukturierte Darstellung der eigenen Ergebnisse nach Maßgabe der jeweiligen epochentypischen Bewertungen. Am wirkungsvollsten gliedert man diese Darstellung so, dass man die Stärke der Argumente steigert, um sie in der zusammenfassenden Schlussthese gipfeln zu lassen. SCHREIBPLAN ZU TEILAUFGABE 1 148 BAUSTEIN ERLÄUTERUNG OPERATION Einleitung Die Einleitung muss zum Text der Szene hinführen. formuliert eine aufgabenbezogene Einleitung Kontextuelle Einordnung Einordnung der Szene in den Handlungsverlauf des Dramas ordnet die Szene korrekt in den Kontext ein Gegliederte Reproduktion logisch gegliederte Textwiedergabe in eigenen Worten gibt inhaltliche Zusammenhänge in eigenen Worten sachlich korrekt wieder und fasst inhaltliche Aussagen strukturiert zusammen Analyse der Dialogform Bestimmung der Gesprächsart: Erscheinungsform des Monologs oder Dialogs untersucht die Dialogform der Szene Analyse des Szenenaufbaus Darstellung der internen Szenengliederung und ihres Zusammenhangs untersucht den Aufbau des Textes 2.2 Lösungsvorschläge zu den Klausurübungen 2.2.1 Lösungsvorschlag Aufgabe 1 (K 1) Analyse der sprachlichen Mittel funktionale Untersuchung von Phonetik, Semantik, Syntax und Pragmatik des Textes untersucht die stilistische Darstellung des Textes Deutung der Aussagen Interpretation der Aussagen deutet die Funktion der Aussagen Bewertung der Szenenfunktion Bewertung der Szene vor dem Hintergrund des Gesamtdramas formuliert eine reflektierte Schlussfolgerung vor dem kontextuellen Hintergrund LÖSUNGSMÖGLICHKEIT ZU TEILAUFGABE 1 Anforderungen Der Prüfling maximal erreichbare Punktzahl 1 formuliert eine aufgabenbezogenen Einleitung, z. B.: Dramendaten, Verweis auf Szene IV,8; eleganter: Epocheneinstieg 3 2 ordnet die Szene korrekt in den Dramenkontext ein, z. B.: gibt Gedanken und Entscheidungen der Lady Milford nach dem Gespräch mit ihrer vermeintlichen Konkurrentin Luise um die Liebe zu Ferdinand wieder 3 3 fasst die inhaltlichen Aussagen der Szene strukturiert zusammen. z. B.: Milford ist erschüttert über den selbstbewussten Auftritt und moralischen Verzicht Luises und ringt sich zur ethischen Entscheidung eines doppelten Verzichts (Ferdinand, Herzog) durch. 3 4 untersucht die Dialogform der Szene, z. B.: Mischform des Monologs: Reflexionsmonolog (Auftritt Luises), lyrischer Monolog (Ausdruck der eigenen Gefühlssituation), dramatischer Monolog (Entschlussfindung) 6 5 untersucht den Aufbau der Szene, z. B.: Reflexionspause (1–2) – Aufarbeitung des Gesprächs mit Luise (3–10) – Ausdruck der eigenen Situation (10–15) – Konsequenz und Entscheidungsalternative (16–18) – Entscheidungspause (19) – Ausdruck der Entscheidung (19–22) – Rückwirkung der Entscheidung auf die eigene Gefühlslage (22–25) – Handlungskonsequenz und Absicherung der Entscheidung (25–27) 6 149 2.2 Lösungsvorschläge zu den Klausurübungen 2.2.1 Lösungsvorschlag Aufgabe 1 (K 1) 6 untersucht die stilistische Darstellung des Textes, z. B.: –– phonetisch: Assonanzen auf o (4 ,7), i (5, 9) und ei (16): Intensitätssteigerung –– semantisch: Oppositionelle Wortfelder (Thron, groß, prächtig, prahlend, Sonne, Hoheit, Herrlichkeit – Bettlerin, verwahrlost, Dirne): Spannungssteigerung; Hochwertwörter (Leitwerte): „Ehre“ (12), „Großmut“ (8, 17), „Tugend“ (13, 19): ethisches Entscheidungsfeld –– syntaktisch: Ausrufesätze, Fragesätze, Imperative (16 f.), Interjektionen (6, 10, 13 f., 22), Parallelismen (10 ff., 18 ff.), Anaphern (3, 22, 25 f.), Inversion (4), Ellipse (5 f., 9 f.): pathetische Steigerung –– pragmatisch: insistierende Wiederholungen (4, 9, 10, 11), Gegensätze (14, 21), elliptische Parenthesen (3, 6, 7, 9 f., 14, 16, 17, 19, 21, 26): pathetische Steigerung 9 7 deutet die Funktion der Aussagen, z. B.: Pausen und Parenthesen verweisen auf eine emotionale Sprachlosigkeit. Die Adlige Lady Milford fühlt sich von der bürgerlichen Luise moralisch verurteilt (verdammende Worte), in ihrem sozialen und menschlichen Wert diskreditiert („herabgestürzt“, „ver-„, „heruntersinken“). Ihr Selbstwertgefühl zwingt sie, zur Rehabilitierung des eigenen Ethos dem Vorbild Luises zu folgen und auf Ferdinand wie auf den Herzog zu verzichten. Das reißt sie aus allen bestehenden sozialen Bezügen (gebrochen, zerrissen). 6 8 formuliert eine reflektierte Schlusswertung, z. B.: Milford unterstreicht ihren moralischen Anspruch (Einsatz beim Fürsten für bessere Bedingungen der Untertan, Hilfe für Katastrophenopfer) und bleibt als einzige Adlige (jedoch Engländerin) von den Negativa des Absolutismus distanziert. 6 9 erfüllt ein weiteres aufgabenbezogenes Kriterium (max. 4 Punkte) Summe 1. Teilaufgabe 42 SCHREIBPLAN ZU TEILAUFGABE 2 150 BAUSTEIN ERLÄUTERUNG OPERATION Überleitung Notwendigkeit der Darstellung des soziohistorischen und -kulturellen Hintergrunds formuliert eine Überleitung, die Aspekte der Aufgabenstellung sinnvoll aufnimmt literarhistorische Einordnung literarhistorische Einordnung des Dramas ordnet das Drama korrekt in den literarhistorischen Kontext ein