Die Sturmflut vom 16./17. Februar 1962 in Bremerhaven
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Die Sturmflut vom 16./17. Februar 1962 in Bremerhaven
Mitteilungsblatt der Männer vom Morgenstern Heimatbund an Elb- und Wesermündung e. V. Postvertriebsstück Gebühr bezahlt H 1914 E Januar 2012 Nr. 745 Die Sturmflut vom 16./17. Februar 1962 in Bremerhaven Eine Bilanz der Ereignisse und Anmerkungen aus heutiger Sicht Die Sturmflutkatastrophe vom 16./17. Februar 1962 an der deutschen Nordseeküste ging für Bremerhaven glimpflich aus, weil das im Sommer 1961 fertiggestellte Sperrwerk Abfluss des Wassers aus der Geeste konnten die Flächen durch die Landwirtschaft effektiver genutzt werden. Die von 1890 bis 1892 gebaute Schiffdorfer Stauschleuse konnte schon lan- Bau des Sturmflutsperrwerks an der Geeste, um 1959 (Archiv DSM) an der Geestemündung die Stadt vor Überflutungen von der Flussseite her schützte. Sonst hätten etwa 80 Prozent des Stadtgebietes 2,85 m unter Wasser gestanden. Der Bau des Sturmflutsperrwerks und die Errichtung des 4,5 km flussaufwärts liegenden Tidesperrwerks waren die Konsequenz aus der verheerenden Holland-Sturmflut vom 1. Februar 1953, die das Land Bremen und die Küstenländer für ihren eigenen Hochwasserschutz gezogen hatten. In der Folge wurde das ZehnJahres-Programm für den Schutz der deutschen Nordseeküste realisiert, von dem Bremerhaven und die Ländereien an der Geesteniederung profitierten. Sturmfluten wie z. B. am 22. Dezember 1954, als durch das Hochwasser der Geeste immer wieder nahe gelegene Wohngebiete wie z. B. die Siedlung Am Bürgerpark durch Überflutung gefährdet waren, stellten in Zukunft keine Bedrohung mehr dar. Durch den besseren und schnelleren ge nicht mehr ihre Funktion zur Entwässerung der Niederschlagsmengen aus dem Geestefluss erfüllen. Durch die tagelangen Februarstürme von 1962 wurden bereits große Wassermassen in die Nordsee und die Deutsche Bucht gedrückt. So konnte die Sturmflut am späten Abend des 16. Februar 1962 mit Orkanstürmen aus west-nordwestlicher Richtung bis dahin nicht für möglich gehalteneHochwasserstände erreichen. Die Tore des Sperrwerks wurde um 19.22 Uhr verriegelt. Die Schifffahrt und die Arbeit in den Häfen mussten eingestellt werden. Einige Schiffe gerieten in Seenot. Die Drehbrücke über die Nordschleuse konnte nicht mehr bewegt werden. Um 21.00 Uhr gerieten das Fährhaus der Weserfähre und das Restaurant von Lehrke am südlichen Geesteufer unter Wassereinbruch. Um 21.22 Uhr wurde beim Deichschart des Sturmflutsperrwerks eine Unterspülung festgestellt. Um 21.28 Uhr löste der Weserdeich am 17. 2.1962 (Foto: von Diepenbrok, Stadtbildstelle Bremerhaven, Archiv DSM) damalige verantwortliche Oberbür- Das Teilstück des Weserdeiches von germeister Bodo Selge die Stufe III Weddewarden bis zur niedersächsides Katastrophenalarms aus, die die schen Landesgrenze in Imsum war Alarmierung sämtlicher verfügbarer noch nicht – im Gegensatz zum südHilfskräfte (Bundeswehr, Technisches lichen Deichabschnitt im FischereiHilfswerk, Feuerwehr, Polizei, Hanse- hafen vom Neuen Lunesiel bis zur stadt Bremisches Amt, US Army und Jungfischerschule (heute Windhaus) Freiwillige) veranlasste. Alle zustän- – im Zuge des Küstenplans 1961 verdigen städtischen Mitarbeiter wurden stärkt worden und stellte ein besondetelefonisch und über Radio Bremen res Gefahrenpotential dar. Hier wurde angewiesen, sofort zu ihren Dienst- die Deichkrone an mehreren Stellen stellen zu kommen oder sich am Bau- von der Flut überspült. Ähnlich wie hof Unionplatz an der Deichstraße beim Wasserstandsanzeiger drohte der einzufinden. Am Stadthaus 4 befand Deich zu brechen. sich die zentrale Katastrophenleitung. Der höchste Wasserstand wurde um Dort wurden die Einsätze koordiniert 22.45 Uhr mit 5,35 m über Normalnull und die Freiwilligen mit Fahrzeugen am Pegel der Fischereihafen-Doppelund entsprechenden Gerätschaften schleuse gemessen, schon 73 Minuten zu den gefährdetsten Brennpunkten vor dem prognostizierten Abendhochtransportiert. Die ersten gravieren- wasser laut Gezeitenkalender. Dieser den Schäden am Weserdeich durch Pegel wurde bis heute in Bremerhaven Überspülungen und durch teilweise nie wieder erreicht, auch wenn es in Durchlöcherungen des Deichkörpers Hamburg z. B. bei der Sturmflut vom traten in Weddewarden und beim 3./4. Januar 1976 höhere Werte als am Wasserstandsanzeiger gegen 22.30 16./17. Februar 1962 gegeben hatte. Uhr auf. Pflastersteine sowie Befestigungen von den Deichen und an den Geestemolen waren durch die Wucht der Wassermassen aufgerissen worden. Das Weserstrandbad, der Tonnenhof des Wasser- und Schifffahrtsamtes Bremerhaven sowie einige Straßen am Alten Hafen waren überflutet. Bei den Tiergrotten (heute Zoo am Meer) wurde eine Mauer durch die starke Flutströmung nie- Weserdeich am 17. 2.1962 (Foto: von Diepenbrok, Stadtbilddergewalzt. Der stelle Bremerhaven, Archiv DSM) Deichabschnitt vom Wasserstandsanzeiger bis zur StrandAm 17. Februar 1962 wurden die halle sah wie nach einem Bombenan- Arbeiten an den gefährdeten Deichgriff aus. Hier mussten die Helfer in stellen am frühen Morgen fortgesetzt. kurzer Zeit Tausende von Sandsäcken Sie dauerten den ganzen Tag an. Insund Buschwerk zur provisorischen besondere in Weddewarden war die Sicherung des Deichkörpers verar- Instandsetzung des angeschlagenen beiten. Durch den teilweisen Strom- Deichkörpers dringend notwendig, ausfall war eine Kommunikation der um gegen das Mittagshochwasser Rettungskräfte nur noch mit Hilfe von geschützt zu sein. Am Abend war Notstromaggregaten möglich. We- die größte akute Gefahr für Bremergen des defekten Deichscharts beim haven abgewendet. Im nördlichsten Sturmflutsperrwerk war das Hoch- Deichabschnitt zwischen Weddewarwasser auch in den Geestefluss einge- den und Imsum mussten am Sonntag, drungen und gefährdete die hier lie- dem 18. Februar 1962, noch Sichegenden Wohn- und Industriegebiete. rungsarbeiten vorgenommen werden. Durch das Öffnen des Tidesperrwerks Am Montag funktionierte nach drei konnte die Gefahr einer Überflutung Tagen ununterbrochenem Katastrojedoch vermieden werden, weil das pheneinsatz das Leben in der Stadt, Flutwasser in die Geesteniederung die Schifffahrt und der Betrieb in den ausweichen konnte. Häfen und auf den Werften wieder Das gesamte Areal des Colum- fast normal. busbahnhofs stand ebenfalls unter Seit Jahrhunderten wurde die nordWasser, zum Teil über einen Meter. deutsche Küstenlandschaft durch die Der 120 m lange mittlere Kasko ei- Sturmfluten geprägt, die die Grenze nes Tankers vom Bremer Vulkan, der zwischen Wasser und Land veränüber den Atlantik geschleppt werden derten. Die Küstenbewohner mussten sollte, prallte durch den Orkan auf die nördliche Kaje, die beschädigt wurde. Fortsetzung Seite 2 NIEDERDEUTSCHES HEIMATBLATT Nr. 745 Januar 2012 Schlüsselübergabe in „Schloss Morgenstern“ Senator Günthner begrüßt die Anwesenden: v.l.n.r.: Senator Martin Günthner, Sönke Hansen (MvM), Werner Kirschstein, Ulrike Münsterberg, Ulf Jacobsen, Dr.Axel Behne (MvM), Johann Tammen und Frau als Vertreter der Ortsgemeinschaft Weddewarden und Dr. Hans-Werner Vollstedt von bremenports Der alte Gasthof „Schloss Morgenstern“ wurde für die Morgensterner ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Am 22. Dezember erfolgte die feierliche Schlüsselübergabe. Als erster ergriff der Senator für Wirtschaft und Häfen des Landes Bremen, Martin Günthner, das Wort und beglückwünschte bremenports, die M o rg e n s t e r n e r und auch die anwesenden Vertreter der Dorfgemeinschaft Für einen Aufsatz im Jahrbuch der MvM sucht die Schriftleitung dringend Fotos (ggfs. auch anderes Material) zum Wirken des „Kulturring Kreis Wesermünde“ 1946 – 1949. Der „Kulturring“ organsierte unter einfachsten Bedingungen und Mitwirkung vieler helfender Bürger ein sehr anspruchsvolles und dichtes kulturelles Programm. Um Meldung bittet: Dr. Axel Behne unter (04751) 91480 oder [email protected] Die Sturmflut ... Fortsetzung von Seite 1 sich den Gewalten der Flut fügen, die ihre Existenz durch den Verlust des fruchtbaren Marschenlandes und des Viehs bedrohten. Die Besiedlung des küstennahen Raumes an der tideabhängigen Nordseeküste setzte den Schutz vor der See voraus. Seit dem 11. Jahrhundert wurden Schutzdeiche entlang der Küstenlinie errichtet. Die schweren Sturmfluten von 1634 und 1717 mit erheblichen Verlusten von Menschen, Tieren und Land wurden als gerechte Strafe Gottes für das ausschweifende Leben der Menschen Sturmflutkatastrophe vom 16./17. Februar 1962 vor 50 Jahren wurden in der Folgezeit an der deutschen Nordseeküste und auf den Inseln umfangreiche Hochwasserschutz- und Deichbauten zur Verbesserung des Küstenschutzes und zur Sicherung der Bevölkerung durchgeführt, die bis heute andauern. Dieses milliardenschwere Küstenschutzkonzept beinhaltete nicht nur die Verstärkung der bestehenden Deiche, sondern umfasste die Abdämmung ganzer Meeresbuchten und die Abschottung der Hafenzufahrten und der Nebenflüsse von Ems, Weser und Elbe durch Sperrwerke. Die Deichverteidigungslinie wurde Geestemole am 17.2.1962 (Foto: von Diepenbrok, Stadtbildstelle Bremerhaven, Archiv DSM) angesehen. Seit dem 18. Jahrhundert spielten wissenschaftliche Erkenntnisse im Küstenschutz und im Wasserbau eine bedeutende Rolle. Der Deichbau war genossenschaftlich organisiert und wurde durch staatliche Maßnahmen beeinflusst. Als Konsequenz der verheerenden um ein Vielfaches verkürzt und tiefergelegene Hafen- und Wohngebiete durch Hochwasserschutzmauern und Fluttore gesichert. Dadurch hoffen die Küstenschutzexperten, den veranschlagten Anstieg des Meeresspiegels im Zuge der Klimaveränderung in den nächsten 100 Jahren begegnen zu Weddewarden zu dem schönen Haus. historische Struktur wie möglich zu Der Geschäftsführer von bremenports, erhalten und gleichzeitig helle, moHolger Banik, freute sich, dass das derne und funktionale Räume zu Projekt nun nach langen Diskussionen schaffen. Nur die Wiese muss noch fertiggestellt ist und übergab einen im- eingesät werden. Im Innern sind beposant großen Schlüsselkasten an die reits seit der Woche zwischen WeihVorsitzende der Morgensterner. Fast nachten und Neujahr viele fleißige der gesamte Vorstand war zu diesem Morgensterner dabei, Regale zu bauEreignis angetreten. Wir freuen uns, en, Schreibtische und Stühle heranals Mieter zum geschichtsträchtigen zuschleppen und etwa 12.000 Bücher Gründungsort des Heimatbundes der Männer vom Morgenstern zurückkehren zu können. Das Haus steht symbolträchtig zwischen dem historischen Dorf und den Hafenkränen des CT IV und verbindet Geschichte und Gegenwart. Die Ortslage Weddewardens an der Grenze zu Niedersachsen verweist da- Dr. Antje Wewetzer, bremenports, Günter Matz (MvM), Jens rauf, dass unser Dircksen (MvM), Dr. Götz Pätzold (MvM), Holger Banik, bremenH e i m a t b u n d ports und Birgit Greiner (MvM) für die Erforschung der Geschichte und Kultur aus dem bisherigen Domizil im Fivon Stadt und Land gleichermaßen schereihafen einzuräumen. Ein wezuständig ist. Von außen kann jetzt nig Zeit brauchen wir noch, bis wir schon jeder Deichspaziergänger se- auch das Innere vorführen und Bibhen, wie beeindruckend bremenports liothek und Arbeitsräume für das Pu„Schloss Morgenstern“ restauriert blikum öffnen können. Während der und an den nicht mehr kompletten Öffnungszeiten werden wir auch das Seiten denkmalpflegegerecht ergänzt historische Friesenzimmer vorzeigen hat. Ulrike Münsterberg, Architektin können. In der Märzausgabe des Niebei bremenports, und der Architekt derdeutschen Heimatblattes erfolgt Christian Wiedenroth haben sich alle ein ausführlicher Bericht. erdenkliche Mühe gegeben, so viel Dr. Nicola Borger-Keweloh können. Die heutige Wissenschaft und Technik stellen sich diesen Herausforderungen. Problematisch bleibt jedoch die ständige Vertiefung und Verengung der Seewasserstraßen, da die Flut bei entsprechenden Windstärken und -richtungen schneller und höher aufläuft und landeinwärts liegende Areale wie z. B. das Stadtgebiet in Bremen und in Hamburg gefährden kann. Trotz der Anwendung modernster wissenschaftlicher Technik lassen sich die Naturgewalten wie z. B. Sturmfluten oder Erdbeben nur bedingt vorhersagen und sind nur schwer in ihren Auswirkungen abzuschätzen! Die jetzige Deichlinie in Bremerhaven erstreckt sich auf etwa 15 Kilometer von der südlichen Landesgrenze an der ehemaligen Lune bis zur Einmündung der Geeste in die Weser mit der Fischereihafenschleuse und dem Sturmflutsperrwerk. Sie verläuft weiter am nördlichen Geeste ufer mit dem Tonnenhof des Wasserund Schifffahrtsamtes Bremerhaven und dem Vorhafen zum Alten Hafen mit der nördlichen Geestemole und führt vom Wasserstandsanzeiger bis zur Strandhalle mit der Schleuse zum Neuen Hafen. Von dort verläuft der Deich bis zur 2011 fertiggestellten Kaiserschleuse. Die Fortsetzung erfolgt über die Columbuskaje bis zur Nordschleuse. Der Containerterminal Wilhelm Kaisen bildet mit der Stromkaje sowie dem nördlichen Abschlussdeich des Containerterminals 4 an der Landesgrenze in Weddewarden das Ende der Deichstrecke in Bremerhaven. In den letzten Jahren wurden die Deiche im Bereich des einstigen Lunesiels und von der Kaiserschleuse bis zur Stadtmitte bei den Havenwelten verstärkt. 2011/2012 wird der Deich zwischen der Strandhalle und dem Wasserstandsanzeiger um fast zwei Meter auf 8,40 m über Normalnull erhöht. Auch das jetzige Sturmflutsperrwerk genügt nicht den Anforderungen des aktuellen Hochwasserschutzes und muss ersetzt werden. Die Hafengesellschaft bremenports ist für den Deichschutz und -ausbau verantwortlich. Der z. Zt. eingelagerte Sturmflutpfahl an der Weserpromenade vor dem Deutschen Schiffahrtsmuseum, eine Informationstafel der Schiffahrtsgeschichtlichen Gesellschaft Bremerhaven, Hinweise der Hafengesellschaft bremenports an der Weserpromenade und Sturmflutmarken am Sperrwerk und am Restaurant von Lehrke erinnern die hier lebende Bevölkerung an das hohe Gut und die enorme Bedeutung eines wirksamen Küstenschutzes, wie vor 50 Jahren eindrucksvoll zu erfahren war. Dr. Dirk J. Peters Einführende Literatur – Berichte über die Sturmflut von 1962 aus der Nordsee-Zeitung vom 19.2.1962, 14.2.1987, 15.2.1992 und 16.2.2002. – Bremerhaven – größte Gefahr bestand beim Wasserstandsanzeiger, in: Nordsee-Kalender, 39. Jg. (1987), S. 92–95. – Dierks, August, Rohde, Hans: Sturmfluten an der Nordseeküste, Bremerhaven, 1976. – Norbert Fischer: Als die Deiche brachen. Erinnerungen und Gedenken an die verheerende Sturmflut von 1962, in: Zwischen Elbe und Weser, 31. Jg. (2012), Nr. 1, S. 5– 6. – Fischer, Norbert: Sturmflut, Tod und maritime Mentalität an der Nordseeküste, in: Land am Meer, Hamburg, 2009, S. 79–83. – Kramer, Johann: Kein Deich. Kein Land. Kein Leben. Geschichte des Küstenschutzes an der Nordsee, Leer, 1989. – Kramer, Johann, Erchinger, Heie Focken, Schwark, Günter: 1000 Jahre Leben mit dem Wasser in Niedersachsen, Bd. II, Leer, 1999. – Küstenschutz. Heutige Situation und Zukunftsperspektiven in Deutschland. Jahrbuch der Hafenbautechnischen Gesellschaft 54 (2004), Hamburg, 2004. – Pfeiffer, Wolfgang: Bremen im Schutz seiner Deiche, Bremen, 1963. – Sell, Manfred: Kein Deich – Kein Land – Kein Leben, hrg. für den Zweckverband Deutsches Sielhafenmuseum in Carolinensiel, 2. Aufl., Carolinensiel, 2004. – Stürtz, Erwin: Die Sturmflut vom 16./17. Februar 1962 (=Sonderschrift der Männer vom Morgenstern, Heimatbund an Elb- und Wesermündung), Bremerhaven, 1963. – Stürtz, Erwin: Zur Wurster Deichgeschichte – unter besonderer Berücksichtigung der Neuzeit, in: Land Wursten. Bilder aus der Geschichte einer Marsch (= Sonderveröffentlichungen des Heimatbundes der Männer vom Morgenstern, Bd. 45). Hrsg. Jens Dirksen/Claudia Dirksen, 2. Aufl., Bremerhaven, 2007, S. 148–196. NIEDERDEUTSCHES HEIMATBLATT Nr. 745 Januar 2012 Die Sturmflut vom 16./17. Februar 1962 im Lande Wursten Millionenschäden im Kreis – Kutter rissen sich los – Kappstürze an den Deichen Unser Mitglied im Redaktionsausschuss des Niederdeutschen Heimatblattes, Hein Carstens, hat die Jahrhundertflut, die in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober gegen die Küste brandete, hautnah miterlebt. Er war damals Redakteur der Nordsee-Zeitung. Im nachfolgenden Beitrag berichtet Carstens über seine Erlebnisse. Schon seit dem 11. Februar 1962 jagten Sturmböen mit Windstärken zwischen 8 und 9 über die Deutsche Bucht. Am Dienstag, dem 13. Februar, rief ich vorsorglich bei der damaligen Kreisverwaltung Wesermünde an und hatte gleich Kreisbaumeister Erwin Stürtz am Telefon. „Ich glaube der Wind wird sich legen, aber warten wir ab“, sagte er auf meine Frage: „Wird Jan Blank uns in den nächsten Stunden Kummer bereiten?“ Als am Morgen des 15. Februars der Sturm auf West drehte, drückte er fast 24 Stunden ununterbrochen riesige Wassermassen aus dem Ärmelkanal in die Nordsee. Dann schwenkte er plötzlich nach Nordwest um, und unvorstellbare Wassermassen aus dem Nordatlantik kamen dazu. Als ich am frühen Abend des 16. Februar immer wieder Sturmflutwarnungen im Rundfunk hörte, versuchte ich meinen Kollegen Dieter Kittel telefonisch zu erreichen. Das gelang nicht, denn das Telefon gab keinen Laut von sich. Ich fuhr zu ihm und wies auf die wiederholten schweren Sturmflutwarnungen des Rundfunks hin. „In ein paar Stunden haben wir Hochflut, die sicher am Wurster Deich gewaltige Wassermassen aufstauen wird. Ich fahre gleich an den Wurster Deich, beobachte du die Weser zwischen Landwürden und Wurthfleth.“ Er war einverstanden. Auf dem Weg nach Wremen lagen Mengen von dicken Ästen auf der Straße. Unheimlich stark drückten die Böen gegen den Wagen. Am Deichübergang in Wremen standen, dicht an dicht gedrängt, viele Einwohner im Schutz des Binnendeichs und schauten ab und zu über den alten 1849 eingeweihten Schutzdamm auf die heranbrandenden Riesenwellen. Der Sturm heulte so stark, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte. Granatfischer Emil Harms stand plötzlich vor mir, formte seine Hände zum Schalltrichter und rief mir erregt zu: „Sowat heff ik noch nich sehn, dat sind jo gewaltige Grundseen de dor gegen de Diek jogen doot, de riet richtig veel Schiet mit hoch. Ditmol gifft dat over wat. Wüllt hopen, dat de Kutter nich an ‘n Diek drieven doot“. 1 2 Einladung zu einem Vortrag am Dienstag, 16.2.2012 um 19.30 Uhr, im Vortragssaal des DSM anlässlich des Gedenkens an die Sturmflut vor 50 Jahren Dipl.-Ing. Hinrich Gravert, ehem. Leiter des Hansestadt Bremischen Amtes Bremerhaven mit einer Einführung von Dr. Dirk J. Peters „16./17. Februar 1962 – 50 Jahre nach der Sturmflut. Dramatische Tage in Bremerhaven . . . Veranstalter: Schiffahrtsgeschichtliche Gesellschaft Bremerhaven, Heimatbund der Männer vom Morgenstern, Deutsches Schiffahrtsmuseum, Stadtarchiv Bremerhaven, Nautischer Verein zu Bremerhaven, VDE Zweigstelle Bremerhaven, VDI Unterweser-Bezirksverein und „Wieland“ Vereinigung der Schiffsingenieure Bremerhaven Die Spitzen der Wellen haben die Deich- . . . überschlagen sie sich und verursakappe erreicht. Wenn sie noch höher auf- chen, wie die Skizze zeigt, den gefürchtelaufen und somit kräftiger werden. . . ten Kappsturz . . . 4 Vor Mitternacht noch rissen sich die Wremer Kutter von den Haltetauen und lagen wie aufgereiht unmittelbar westlich vom alten Deichübergang. Ich hörte, dass im Gasthaus „Deutsches Haus“ in Wremen eine vorgeschobene Befehlsstelle unter der Leitung von Kreisbaumeister Erwin Stürtz eingerichtet worden sei. Als ich dort hinkam, herrschte Hochbetrieb: Ein Kommen und Gehen. Der sichtbar erregte Stürtz rief mir zu: „Überall ist dicke Luft, keine Deichbrüche. Morgen mehr“. Im „Deutschen Haus“ erfuhr ich, dass es am Wremertief einen Kappsturz „von großem Ausmaß gegeben hat“, so ein Feuerwehrmann. Man hätte Feuerwehrleute und Marine- soldaten aus Bremerhaven alarmiert. Die sollten versuchen, mit Sand säcken die Bruchstelle abzusichern. Nach Mitternacht zog sich der Blanke Hans plötzlich zurück, auch die Sturmstärke nahm ab. Gott sei Dank, das Wasser fiel. Alle atmeten erleichtert auf in der Befehlsstelle. Aber keiner konnte sich wegen der Dunkelheit ein Bild von den Schäden machen. Am anderen Morgen, es war ein Sonnabend, sah man das erschreckende Ausmaß der Zerstörung. Ich fotografierte schwere Kappstürze im Süden. Unmittelbar nördlich vom Wremer Siel war der Binnendeich auf einer Breite von fast 35 Meter abgerutscht. Die Deichkappe war so dünn, dass nur ein paar kräftige Wellenschläge genügt hätten, um ein Riesenloch in den grünen Damm zu reißen. „Das hätte sich in sekundenschnelle erweitert“, meinte Landwirt Julius Wiebalck, damals Bürgermeister von Wremen und Deichgeschworener, „dieser Überschwemmungskatastrophe wäre man nie Herr geworden in der Nacht“. Riesige Kappstürze sah ich zwischen Rintzeln und dem Dorumertief. Überall herrschte hektisches Treiben. Mit Sandsäcken wurden die Kappstürze außendeichs von Bundeswehrsoldaten, Männern des Technischen Hilfswerks und Feuerwehrleuten abgedeckt. Lastkraftwagen brachten zum Wremertief, nach Schmarren und Dorum-Neufeld ununterbrochen Sand heran, der von den freiwilligen Helfern in Säcke gefüllt und dann von einer Menschenkette an die bedrohten Stellen befördert wurde. Fortsetzung Seite 4 3 . . . das sieht man auf diesem Bild zwischen Rintzeln und Schmarren. Durch den Kappsturz rutschte eine erhebliche Menge Deichboden binnendeichs ab. Ein paar Wellenschläge hätten genügt und der Deich wäre gebrochen. 5 Am Morgen des 17. Februar: Mit Sandsäcken wird bei Schmarren ein großes Loch am Außendeich umschlossen, um weitere Abbrüche zu verhindern. Ein völlig zerrissener Kutter am Hafen von Dorum. (Fotos: Hein Carstens) NIEDERDEUTSCHES HEIMATBLATT Nr. 745 Einladung Der Heimatbund der Männer vom Morgenstern lädt ein zu einemVortrag am Donnerstag, 23. Februar 2012, 19.30 Uhr, Bremerhaven-Geestemünde, Kreissparkasse am Hauptbahnhof Johannes Göhler, Ringstedt: „Majestät, gestatten Sie ja keine Verfolgung über uns!“ Vom Kampf der reformierten Gemeinden im Amt Bederkesa im 17. Jahrhundert Im Zeitlauf der Geschichte Die Bremerhavener Stadtmitte aus der Luft Eine Postkarte aus den 50er Jahren zeigt die Stadtmitte aus der Luft. Deutlich sind noch die Zerstörungen zu sehen, die der Angriff im September 1944 hinterlassen hat. Die Trümmer sind beseitigt und teilweise sind die Häuser notdürftig hergerichtet worden, doch es sind auch schon Neubauten zu erkennen. Doch gehen wir einmal von der Deichstraße am unteren rechten Bildrand in Richtung Fährstraße: Vier Häuser hatten den Feuersturm überstanden, darunter auch das Gewerkschaftshaus aus dem die Arbeiterjugend kurz nach der Machtübernahme der Nazis noch etliche Bücher vor der Vernichtung retteten. Links daneben ein Neubau, der das Hotel „Bremerhaven“ beherbergt. Die Straße weiter rauf eine Lagerhalle und ein Wohnhaus. Dahinter an der Grabenstraße, die noch bis zur Fährstraße durchgeht, steht noch eine Ruine. Über eine freie Fläche geht der Blick auf das neu errichtet „Mäkler“-Haus mit seiner chemischen Reinigung. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Bunker, auf dem später die Stadtbibliothek errichtet wurde, die mittlerweile schon wieder abgerissen ist. Die „Seebeck-Villa“ an der Geeste-Brücke ist bereits instand gesetzt und das „Wenke-Dock“ wird gerade zugeschüttet. Gut zu erkennen ist noch die Schleusen-Einfahrt vom „Alten Hafen“. Die Lagerhallen und das Kühlhaus am Weserdeich sind längst abgerissen. Das Deutsche Schifffahrtsmuseum und die neue touristische Meile Bremerhavens erheben sich nun dort. Das Lotsenhaus und auch der Badesteg sind verschwunden, ebenso das abgebildete neu errichtete Stadtbad. Dort wo sich noch die „Karlsburg-Brauerei“ erhebt, befindet sich nun die Hochschule. Der Platz vom heutigen „Hanse-Carré“ ist noch unbebaut, das „Nordsee-Hotel Naber“ noch neu und das alte „Karstadt“-Gebäude steht auch noch an der Mittelstraße. Die freien Flächen in der Löning-Straße sind verschwunden und mit ihnen die vielen Trampelpfade zum Abkürzen der Wege. Viele alte Häuser wurden noch abgerissen, um modernen Zweckbauten Platz zu machen und um die Wohnungsnot zu lindern. Heute stellt sich unsere Stadtmitte als sehr modern da, ohne die Gemütlichkeit verloren zu haben. Peter Raap Fotos: Karl Lips, Peter Raap. Bedanken möchte ich mich bei Dr.-Ing. Rolf Springer, der es mir ermöglichte, die Luftaufnahme zu machen. Januar 2012 Die Sturmflut . . . Fortsetzung von Seite 3 Am Dorumertief lagen die Kutter hoch am Deich. Einige Schiffe waren von den Riesenwellen der Nacht regelrecht zerschlagen worden. Wie nach einem schweren Bombenangriff waren die Dorumer Hafenanlagen verwüstet worden. Hier spürte man die gewaltige Kraft der Nordsee, die im Bund mit dem Wind unvorstellbar hart zugeschlagen hatte. Auf einer Pressekonferenz sagte Stürtz später: „Wir zwischen Elbund Wesermündung haben einen Riesenglück gehabt, trotz vieler großer Schäden. Ein paar Wellenschläge an den Kappstürzen hätten genügt (allein 28 große und kleine Kappstürze zählte man im Lande Wursten) und zwischen Hagen und Nordholz wäre nichts mehr Trocken geblieben. Überschwemmung wie bei den schwersten Fluten der zurückliegenden Jahrhunderte hätte es gegeben. Schäden von nicht vorstellbarem Ausmaße wären die Folge gewesen. Vor Landwürden haben die Deiche die Flut zum großen Teil besser überstanden, als die der Seemarsch Land Wursten. Bei Eidewarden und Dedesdorf ist der Deich an vier Stellen überspült worden. Das hätte ganz schlimm ausgehen können“, betonte Stürtz und ergänzte: „Noch niemals habe man derartige Treibselmengen am Deich von Osterstade und Landwürden gesehen.“ Auch Schäden an Wohnhäusern und anderen Gebäuden waren erheblich im Kreisgebiet. Auf der Kreistagssitzung am 13. März 1962 zog der damalige Oberkreisdirektor des Kreises Wesermünde, Ernst Klemeyer, „nur eine vorläufige Bilanz.“ Die Schäden am Wurster Deich bezifferte er auf etwa 2.250.000 DM, die Schäden an den Deichen in Osterstader betrugen nach seinen Worten 750.000 DM, die der Küstenfischerei 250.000 DM, die Sturmschäden in den Gemeinden wurden von ihm mit 978.000 DM angegeben. Ein Gesamtschaden von 1.200.000 DM sei in den Wäldern des Landkreises angerichtet wurden, sagte der Oberkreisdirektor. Und die Schäden an den Badeanlagen in Wremen und Sandstedt betrugen im Geldwert 29.000 DM. „Das sind vorsichtige Schätzungen“, betonte Klemeyer und schloss: „Wir kommen also auf eine Summe von insgesamt 5.457.000 DM im Landkreis Wesermünde. Ich fürchte bei genauen Untersuchungen wird die Summe noch höher liegen.“ Vincinette (die Siegreiche) tauften die Meteorologen vom Institut für Meteorologie und Geophysik in Berlin dieses für unsere Küste so katastrophale Unwetter. In allen Medien las und sprach man in den nächsten Tagen sofort von der „Sturmflut des Jahrhunderts“. Dennoch, die Menschen hinter den Deichen im Lande Wursten, der Osterstader Marsch und Landwürden kamen, beispielsweise gemessen an Hamburg, noch relativ glimpflich davon. Im Gebiet der Hansestadt Hamburg, das in jener Nacht zu 20 Prozent unter Wasser stand, kamen 318 Menschen in den Fluten um. Hein Carstens Niederdeutsches Heimatblatt Verlag: Nordsee-Zeitung GmbH, Hafenstraße 140, 27576 Bremerhaven Druck: Druckzentrum Nordsee GmbH Das Niederdeutsche Heimatblatt erscheint monatlich als Verlagsbeilage der Nordsee-Zeitung. Redaktionsausschuss: Rinje Bernd Behrens, Dr. Hartmut Bickelmann und Karl-Heinz Carstens. Stellungnahmen, Manuskripte und Beiträge richten Sie bitte an: Rinje Bernd Behrens, Müggenburgweg 2, 27607 Langen, T (0 47 43) 55 87 Veranstaltungen der Männer vom Morgenstern Februar 2012 Montag, 6. Februar 2012, 15 bis 18 Uhr, Bremerhaven-Weddewarden, Schloss Morgenstern, Burgstraße 1: Arbeitsgemeinschaft „Flurnamen im Spiegel der Geschichte“; Leitung: Egon Stuve Donnerstag, 9. Februar 2012, 18.30 Uhr, Bremerhaven-Weddewarden, Schloss Morgenstern, Burgstraße 1: Arbeitskreis „Familienkundliche Quellenforschung“; Leitung: Rinje Bernd Behrens Dienstag, 14. Februar 2012, 19 Uhr, Cuxhaven, Heimatarchiv, Feldweg 16: Arbeitskreis „Cuxhavener Stadtgeschichte“; Leitung: Peter Bussler Donnerstag, 16. Februar 2012, 19.30 Uhr Bremerhaven-Mitte, Deutsches Schiffahrtsmuseum: Vortrag Dipl. Ing. Hinrich Gravert, ehem. Leiter des HBA, Bremerhaven: „16./17. Februar 1962 – 50 Jahre nach der Sturmflut. Dramatische Tage in Bremerhaven“; Einführung: Dr. Dirk J. Peters (Gemeinsame Veranstaltung mit der Schiffahrtsgeschichtlichen Gesellschaft, dem deutschen Schiffahrtsmuseum und dem Stadtarchiv Bremerhaven u. a.) Montag, 20. Februar 2012, 18.30 Uhr, Bremerhaven-Weddewarden, Schloss Morgenstern, Burgstraße 1: Bibliotheks-Arbeitsgemeinschaft; Leitung: Thorsten Gajewi und Peter Schönfeld Dienstag, 21. Februar 17.30 Uhr bis 19.30 Uhr, Bremerhaven-Weddewarden, Schloss Morgenstern, Burgstraße 1: Gesprächskreis der „Fami- lienkundlichen Arbeitsgemeinschaft der Männer vom Morgenstern (Computergenealogie, Quellenforschung, Familienforschung)“; Leitung: Fred Wagner Donnerstag, 23. Februar 2012, 19.30 Uhr, Bremerhaven-Geestemünde, Kreissparkasse am Hauptbahnhof: Vortrag Johannes Göhler, Ringstedt: „Majestät, gestatten Sie ja keine Verfolgung über uns!“ Vom Kampf der reformierten Gemeinden im Amt Bederkesa im 17. Jahrhundert Die „Arbeitsgemeinschaft Hadeln“, Leitung Heiko Völker, tagt wöchentlich mittwochs um 15 Uhr im Gemeindesaal der evangelischen Kirche in Osterbruch. Die „Familienkundliche Arbeitsgemeinschaft“, Leitung Fred Wagner, trifft sich an jedem Dienstag von 15.30 bis 17.30 Uhr in den Räumen von Schloss Morgenstern in Bremerhaven-Weddewarden zur Arbeitsund Informationsstunde. „Männer vom Morgenstern“ Heimatbund an Elb- und Wesermündung e.V. Vorsitzende: Dr. Nicola Borger-Keweloh Telefon 04 71/6 57 33 Schriftführer: Heiko Völker Telefon 0 47 51/9001 32 Geschäftsstelle: „Schloss Morgenstern“, Burgstraße 1, Bremerhaven-Weddewarden, Telefon 04 71/3 08 06 58 Geschäfts- und Bibliothekszeiten: dienstags 15 –19 Uhr, sonnabends 10–13 Uhr