Kiezspaziergang Kreuzberg

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Kiezspaziergang Kreuzberg
BERLINER ANSICHTEN
KULTURSZENE
KREUZBERG: Das
Künstlerhaus Bethanien
ist ein Begegnungsort
für junge Künstler und
ein kulturelles Zentrum
im Kiez. Das ehemalige
Krankenhaus dient heute
als Künstlerresidenz,
Projektwerkstatt und
Veranstaltungsort
den Mariannenplatz
APTULLAH KARAMAN: Im Kiez um
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kennt der Familienvater
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ie Stoffblumen an den rosa Fensterläden nehmen heute Morgen
ein Sonnenbad. Vögel kreisen
QUIRLIGES LEBEN: Die
am blauen Berliner Himmel, ein
Cafés und Restaurants an
Moped braust knatternd über
der Oranienstraße sind
beliebte Treffpunkte
den Asphalt. Aptullah Karaman streckt die Beine
aus und schöpft vorsichtig den Schaum von seinem Latte Macchiato. Gerade hat er die Kinder
zur Schule gebracht, gleich muss er zur Arbeit.
Bis dahin genießt er die ruhigen Minuten hier
an den kleinen Tischen vorm Café Kinderbar
im Familienzentrum Waldemarstraße. Aptullah Karaman kommt öfters hierher. Samstags ist
Vätergruppe im Familienzentrum, wochentags schlendert er mit seinen
sich einiges getan hat in den vergangenen Jahren
Kids über die Spielplätze des Quartiers. Leise trägt der Wind das Kindergeam Mariannenplatz, sagt Jochen Dieckmann, wirft
schrei von Rutsche und Klettergerüsten nebenan herüber.
seine brustlangen Rastalocken in den Nacken und
Karaman seufzt. Er liebt diesen Kiez. Genießt das Leben in den Straßen
stößt die Schaufel in das Erdreich. Der Werkpädaum den Mariannenplatz. Für seine fünf Kinder ist die Gegend ideal, zum
goge leitet das Gartenprojekt für Jugendliche mit
Job im Verein türkischer Sozialdemokraten hat es der studierte GeophysiSchulproblemen im Kreuzberger Außenableger des
ker und Webmaster nicht weit. „Es lässt sich gut leben hier“, sagt Karaman.
Pestalozzi-Fröbel-Hauses. Gemeinsam mit den AnDer Görlitzer Park ist nicht weit, die Spielplätze am Lausitzer Platz sind eiwohnern haben die Jugendlichen den Mariannennen Steinwurf entfernt, die hellen Straßenzüge des Wohngebietes gepflegt
platz in Schuss gebracht. Eine Sitzecke mit Pergola
und friedlich. Und doch braucht man keine fünf Minuten zur Oranienist entstanden, Krokusse blühen auf einigen Rasenstraße mit ihrem Nachtleben, der Musik, den Kneipen und Restaurants.
flächen, statt praktischer „Straßenbegleitpflanzung“
leuchten bunte Blumen in den Beeten um den
In der Arena vor dem Künstlerhaus Bethanien ist Kinderzeit. Feuerwehrbrunnen am Südende des Parkstreifens.
In Grüppchen sitzen Mütter auf den Stufen des Amphitheaters inmitten
„Man könnte noch einiges mehr machen, kleinteiligere Bepflanzung wie in vielen Innenhöfen, aber
der langen Allee des Mariannenplatzes. Zwei-, Vier-, Fünfjährige rennen
manchmal bremst uns leider der Denkmalschutz“,
in wattierten Anoraks über die Freifläche, Bälle poppen hin und her. Väsagt Dieckmann, der immer wieder gerne beobter schieben Kinderwagen vorbei. Fast wie an einem Frühlingsmorgen
achtet, wie seine kleinen Sitzinseln als Treffpunkte
am Prenzlauer Berg. Und das hat sicher auch damit etwas zu tun, dass
»Es lässt sich gut leben am Mariannenplatz. Der Görlitzer Park ist
nicht weit. Es gibt Ruhe und Grün.«
Zweite Heimat
Kreuzberg
MARIANNENPLATZ IM AUFBRUCH: Der Familienvater Aptullah
Karaman lebt seit 19 Jahren hier. Die Gegend habe frischen Schwung
bekommen, findet er. Uns führt er zu bekannten und zu neuen Orten.
[TEXT] ANJA DILK
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stadtleben 2/2008
[FOTO] PABLO CASTAGNOLA
2/2008 stadtleben
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BERLINER ANSICHTEN
BERLINER ANSICHTEN
LESEN UND
ESSEN: In
der Mondlicht
Buchhandlung
(links) gibt es
reichlich Material zu vielen
Religionen. Das
beliebte türkische
Restaurant Hasir
(rechts) hat mehr
zu bieten als nur
Kebab
EIN BUMMEL DURCH DEN KIEZ
KREUZBERG Orientalische Cafés, nette Modeläden und tolle Studentenkneipen – in
diesem Stadtviertel leben Toleranz und Lässigkeit. EngelAuch Familien fühlen sich hier wohl.
becken
stadtleben 2/2008
Grafik: KircherBurkhardt Infografik
Muskauer Straße 15, 10997 Berlin, Telefon
(030) 841 12 463, Ab 16 Uhr – open end,
Fr und Sa ab 22 Uhr Saz-Konzerte
MAMA Z. & SÖHNE
Vor einem halben Jahr hat das Mama
Z. & Söhne in einem ehemaligen Kino
aufgemacht. Bei Biobier oder Ökotee
sitzen nun die Gäste auf roten Sesseln
und ausgebauten Kinostühlen und
knabbern an ihren Dinkelstänglis.
Ab April sind regelmäßige Veranstaltungen geplant.
Oranienstr. 186, 10999 Berlin, Telefon (030)
806 154 47, Mo–Fr 8–20 Uhr, Sa 9–22 Uhr,
So 10–22 Uhr
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Skalitz
CASSONADE
Ein Muss für Liebhaber der belgischen
Comicreihe Tim und Struppi. Schon
weil die Crepes „Mille Sabords“ (1000
Höllenhunde), „Haddock“ oder „Castafiore“ heißen. Sie zitieren nicht nur
vergnügt die Comic-Protagonisten und
ihre Aussprüche, sondern schmecken
so wie man es von einem frankofonen
Laden erwartet: köstlich.
Oranienstr. 199, 10999 Berlin, Telefon (030)
616 523 35, Mo–So 10–22 Uhr
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Oranienstr. 13, 10999 Berlin, Telefon (030) 695 667
62, Mo–So 19–00 Uhr, www.orient-lounge.com
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ORIENT LOUNGE
Ein Hauch Orient in Kreuzberg: Goldverhangene Nischen mit üppig bestickten, orangen Kissen, niedrige Tische,
orientalische Lampen, Wasserpfeifen.
Leise klimpern Perlenvorhänge, es
duftet nach Tee aus dem Samowar,
Tabuleh und Couscous.
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Mariannenplatz
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»Es ist schön, dass man
hier entspannt durch
den Tag treiben kann.«
KÜFE
Backsteinwände, schmiedeeiserne
Laternen, schlichte Holztische. Ein angenehmer Mix zwischen Moderne und
Orient. Wenn der türkische Besitzer
freitags und samstags zu den SazAbenden lädt, singen und feiern die
Gäste bis in die Morgenstunden.
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Informationen über freie Wohnungen am Mariannenplatz im Internet
unter www.degewo.de oder bei:
Vermietung City, Potsdamer Straße
60, Telefon (030) 26 485-2299
Oranienstr. 18, 10999 Berlin, Telefon (030) 614
036 59, Mo–So 9–3 Uhr, Küche bis 16 Uhr
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DAS QUARTIER rund um den
Mariannenplatz, in dem sehr
viele Menschen unterschiedlicher Nationalitäten leben,
wird Schritt für Schritt aufgewertet. Zum 1. Januar 2008
hat die degewo dort 1.229
Wohnungen gekauft. Nun
sollen Fassaden, Treppenhäuser und Innenhöfe schöner
werden. Gleich zu Anfang des
neuen Jahres hat die degewo
deshalb mit der Beseitigung
von Graffiti begonnen. Auch
zeitgemäße ökologische
Maßnahmen werden umgesetzt, wie die Einführung von
Mülltrennung und Kaltwasserzählern. Das hilft den Mietern,
Betriebskosten zu sparen und
schont die Umwelt.
können hat das die alten Kleinode am
Platz nicht, die Orient-Lounge oder die
Buchhandlung Mondlicht zum Beispiel.
Und natürlich das SO 36. Früher war Karaman häufiger dort. Wenn er nachts um
die Häuser gezogen ist, mit Freunden
aus Studium oder Nachbarschaft. Heute
geht der Mann von der Schwarzmeerküste lieber ins Café Küfe in der Muskauer Straße. Freitags und samstags gibt es
dort Saz-Musik. Aleviten und Sunniten
liegen sich bei Volksmusik in den Armen,
manchmal bis in die Morgenstunden. Karaman grinst. „Mit den Jahren zieht es
einen zu den Wurzeln zurück.“ Und doch
ist die Gegend um den Mariannenplatz
seine Heimat geworden. Nur eines fehlt
ihm im Bezirk: öffentliche Kletterwände,
wie es sie in anderen Stadtteilen gibt. Das
wäre gut für die Jugendlichen in Kreuzberg. Gut für ihn und seine Kinder. Denn
zum Klettern müssen sie immer raus aus
dem Kiez. Und das ist wirklich schade.
BATEAU IVRE
Der Treffpunkt am Heinrichplatz.
Türken, Araber, deutsche Studenten,
Touristen sitzen zum Plausch beisammen, mal auf wenige Minuten, mal den
halben Tag lang. Abends gibt guten
französischen oder spanischen Wein.
Str.
WOHNEN IN
KREUZBERG
genutzt und die Blumen gepflegt werden. „Und
wussten Sie, dass schon mal die Rockband „Die
Ärzte“ auf dem Mariannenplatz gespielt hat?“
Aptullah Karaman leert sein Latte-Glas und
wirft sich die azurblaue Umhängetasche über
die Schulter. Vor der Arbeit macht er noch einen
großzügigen Schlenker am Heinrichplatz vorbei. Im Bateau Ivre, Ecke Oranienstraße, trifft
er immer Bekannte aus dem Kiez, Männer aus
der Vätergruppe, Kumpel von der Skatrunde in
der türkischen Kneipe Diyar. Freundlich grüßen zwei türkische Herren, Rosenkränze in der
Hand, von der Bank am Feuerwehrbrunnen. Arbeiter schrubben Grafitti von einer Hauswand.
Ein Inlineskater schlängelt sich über den Gehsteig vorm SO 36, Kinderwagen verhakeln sich
mit Radfahrern und Fußgängern vor dem Bateau
Ivre. Kellner balancieren Müslischalen an die Tische. Von fern weht der Duft der Backwaren von
„Melek Pastanesi“ herüber. Rund um die Uhr hat
der Bäcker in der Oranienstraße 88 geöffnet, seine Brötchen verkauft er gleich vom Blech. Der
Heinrichplatz hat neuen Schwung bekommen
in den vergangenen vier Jahren.
Eine belgische Creperie hat aufgemacht und ein Fußballshop,
neue türkisch-deutsche Modeläden wie „Wildfremd“ und ein stylischer Asia-Imbiss. Verdrängen
Oranienstr. 14, 10999 Berlin, Telefon (030)
6183015, Mo–Fr 10.00–19.30, Sa 10.30–15.30,
www.mondlicht-berlin.de
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LONDONER ABEN
ihrem Modeladen DMODE: die Kreuzbergerin Naciye
„Wildfremd“ am He
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MONDLICHT BUCHHANDLUNG
Buddhismus, Judentum, Hinduismus,
Christentum. Hier gibt es zu vielen Religionen reichlich Material. Räucherstäbchen und Tarotkarten, Glückslaternen
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Orient Lounge
WILDFREMD
Angefangen hat sie mit Londoner
Abendmode auf der Oranienstraße.
Heute betreibt die Kreuzbergerin
Naciye Kilic das „Wildfremd“ am Heinrichplatz. In einer gemütlichen Sitzecke
rasten die Geschäftebummler bei einer
Tasse Espresso. In den Regalen finden
sie Berlinsouvenirs und Ringe groß wie
Wachteleier, Taschen und Mode im
Mitte-Style.
Oranienstr. 194, 10999 Berlin , Telefon (030) 94
88 47 36, Mo–Fr 11–19 Uhr, Sa 11–17 Uhr,
www.wildfremd-berlin.de
FAMILIENZENTRUM KREUZBERG
Alphabetisierungskurse, Babymassage, Aerobic. Trickfilm-Workshops,
arabische Frauengruppen, Mädchentanz. Väter treffen sich zum Spielnachmittag mit ihren Kids, Mütter geben die
Kleinen vor einer Shoppingtour ab. Das
Programm des Familienzentrums am
Mariannenplatz lohnt einen Blick.
Waldemarstraße 57, 10997 Berlin, Telefon
(030) 32 51 78 06, Bürozeiten Mo–Do
10–12 Uhr, Mo–Do 10–16 Uhr, Fr 10–14 Uhr,
www.familienzentrum-kreuzberg.de
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