Sozial- und Arbeitsrechtliche Aspekte

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Sozial- und Arbeitsrechtliche Aspekte
Arbeits- und sozialrechtliche Aspekte zur
Flexibilisierung des Übergangs in die
Altersrente
Fachveranstaltung: Fachkräfte halten durch flexible
Beschäftigungsmodelle - Konzepte betrieblicher Personalpolitik
im demografischen Wandel
Dresden, Bildungswerk der Sächsischen Wirtschaft
10.Oktober 2012
Johannes Kirsch
Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) an der Universität Duisburg-Essen
Gliederung
1.
Entwicklung der Erwerbstätigkeit im fortgeschrittenen Alter
und im Rentenbezug
2.
Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Renteneintritts
a) Altersteilzeit
b) Teilrente
c) Zeitwertkonten
3.
Erwerbstätigkeit in der Altersrente
4.
Fazit
Zur Entwicklung der Erwerbstätigkeit im fortgeschrittenen Alter
Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Älteren (50+) im
Jahr 2010 bei 7,3 Mio. (=26,3%) und damit auf historischem Höchststand
nach Wachstum um 1,37 Mio. seit 2006 (2,1 Mio. seit 1999)
Ursache ist neben der Alterung der geburtenstarken Jahrgänge und
der steigenden Erwerbstätigkeit der Frauen ein allgemeiner Trend zum
Hinausschieben des Erwerbsaustritts
große Branchenunterschiede: z.B. Öffentliche Verwaltung: 39,1%;
Baugewerbe 23,2%; Gastgewerbe 18,0%
auf jeder Altersstufe zwischen 2006 und 2010 deutlicher Anstieg, aber
unverändert Rückgang mit zunehmendem Alter: die Regelaltersgrenze
wird nach wie vor nur von einer Minderheit in sozialversicherungspfl.
Beschäftigung erreicht.
Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung
(insgesamt und 50<65 Jahre)
30,0
27,48
27,83
27,82
27,57
26,95
26,52
26,18
26,35
26,85
27,46
27,38
27,71
25,0
Mio. Personen
20,0
15,0
50 bis unter 65 Jahre
alle sv-pflichtig Beschäftigten
10,0
5,19
5,32
5,40
5,51
5,56
5,63
5,73
5,92
6,25
6,62
6,93
7,29
5,0
0,0
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
Quelle: Altersübergangsreport 2011-02
Ältere Bevölkerung und sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
2006 und 2009
sv-pflichtig Beschäftigte (31.12.2006)
1.400.000
sv-pflichtig Beschäftigte (31.12.2009)
Bevölkerung 31.12.2006
1.200.000
Bevölkerung 31.12.2009
Personen
1.000.000
800.000
600.000
400.000
200.000
0
50
51
52
53
54
55
56
57
Alter
58
59
60
61
62
63
64
Quelle: Altersübergangsreport 2011-02
Zur Entwicklung der Erwerbstätigkeit im Rentenbezug
Zahl der erwerbstätigen Rentenbezieher (60+) im Jahr 2007 bei
550.000 (in Sachsen bei 27.000)
 Verdreifachung gegenüber 1991 (in Sachsen Vervierfachung)
 75% der erwerbstätigen Rentenbezieher 65 Jahre alt oder älter; in
den ostdeutschen Bundesländern überdurchschnittlich viele unter 65
Jahre alt
 50% mit geringer Teilzeit (<15 Std./Woche); 25% mit 15-35 Std./W.
 65% verfügen über Berufsabschluss; 17% über Hochschulabschluss
Zahl der erwerbstätigen Rentner ab 60 Jahren (in Tsd.) 1991-2007
nach Bundesland
600,0
Thüringen
500,0
Sachsen
Sachsen-Anhalt
MVP
400,0
Saarland Berlin
Brandenburg
Bayern
300,0
Baden-Württemberg
200,0
Rheinland-Pfalz
Hessen
Nordrhein-Westfalen
100,0
Bremen
Niedersachsen
Hamburg
0,0
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Schleswig-Holstein
2005
2006
Quelle: Mikrozensus
2007
Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Renteneintritts:
a) Altersteilzeit
• Prinzip: Bei wenigstens 55-Jährigen Halbierung der bisherigen Arbeitszeit
bei Sicherung von mindestens 70% des Entgelts und Aufstockung des
Rentenversicherungsbeitrags (ggfs. mit Abweichungen nach oben auf Basis
von Tarifvertrag bzw. Betriebsvereinbarung)
• Modellvarianten: Im Blockmodell Aufteilung der Laufzeit in Arbeitsphase
und gleich lange Freistellungsphase; im Modell der „echten“ Altersteilzeit
kontinuierlich halbierte Arbeitszeit. Zwischen den beiden Grundmodellen
zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten einer schrittweise Reduzierung der
Arbeitszeit, eines monatlichen oder saisonalen Wechsels etc. Zu beachten:
die Verteilung der Arbeitszeit muss vorher vertraglich festgelegt werden.
• Förderung: BA fördert(e) bis Ende 2009 begonnene Altersteilzeitverträge;
Aufstockung von Entgelt und Rentenversicherungsbeitrag muss seitdem der
Arbeitgeber tragen; weiterhin steuerliche Förderung (Befreiung der
Entgeltaufstockung von Lohnsteuer und Sozialversicherungspflicht).
Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Renteneintritts:
a) Altersteilzeit
• Zulässigkeit von Mehrarbeit:
 bei Förderung durch die BA bezahlte Mehrarbeit nur bis zur Geringfügigkeitsgrenze und grundsätzlich nur in der Arbeitsphase; Mehrarbeit mit
Freizeitausgleich in größerem Umfang förderunschädlich, sofern vollständiger Abbau des Zeitguthaben während der Laufzeit der Altersteilzeit.
 bei nur steuerlicher Förderung bezahlte Mehrarbeit auch oberhalb der
Geringfügigkeitsgrenze möglich, im Blockmodell nur in der Arbeitsphase
• Zulässigkeit von Nebentätigkeiten
bei Förderung durch die BA während der gesamten Laufzeit bis zur
Geringfügigkeitsgrenze möglich; Bestandsschutz f. in den letzten 5 Jahren
ausgeübte Tätigkeiten auch oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze
 bei nur steuerlicher Förderung keine Bindung an die Geringfügigkeitsgrenze
Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Renteneintritts:
b) Teilrente
• Prinzip: Jede Rente kann bei Erfüllung der jew. Zugangsbedingungen – zu
einem Drittel, zur Hälfte oder zu zwei Dritteln – als Teilrente in Anspruch
genommen werden; bei paralleler sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigung werden gleichzeitig Rentenansprüche aufgebaut.
• Abschläge bei vorzeitigem Bezug: wie üblich 0,3% je Monat; sie wirken
sich aber nur auf den vorzeitig bezogenen Betrag der Teilrente aus.
Beispiel: Der Bezug einer Altersrente für langjährig Versicherte ab 63 Jahren als
Teilrente im Hälfte-Modell hat 7,2% (=24 x 0,3) Abschlag zur Folge. Wird im
Alter von 65 Jahren zusätzlich die zweite Hälfte der Rente (abschlagsfrei)
bezogen, halbiert sich der Abschlag auf die gesamte Rente auf 3,6%.
• Zulässige Zuverdienste zur Teilrente unterliegen relativ starren Grenzen
und werden individuell bestimmt; es gilt der Grundsatz, dass die Summe
aus Arbeitseinkommen und Teilrente das vorherige Arbeitseinkommen nicht
übersteigen darf. Ein dreimaliges Überschreiten der Zuverdienstgrenze hat
die „Herabsetzung“ der Teilrente auf die nächst niedrige Stufe zur Folge.
Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Renteneintritts:
b) Teilrente
Berechnungsformel der maximalen anrechnungsfreien Zuverdienste:
Individuell erworbene Entgeltpunkte der letzten drei Jahre (mindestens 1,5) x
teilrentenspezifischer Multiplikator x Bezugsgröße (n. § 18 Abs. 1 SGB IV)
Daraus ergeben sich die folgenden Mindestbeträge möglicher Zuverdienste:
Entgeltpunkte
Multiplikator
Bezugsgröße Ost
(€)
Anrechnungsfreier
monatl. Zuverdienst
(€)
1/3-Rente
1,5
0,25
2.240
840,00
1/2-Rente
1,5
0,19
2.240
638,40
2/3-Rente
1,5
0,13
2.240
436,80
Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Renteneintritts:
c) Zeitwertkonten
• Prinzip: Einbringung von Entgelt- bzw. Zeitbestandteilen in ein vom
Arbeitgeber geführtes Wertguthaben auf Basis einer zwischen Arbeitgeber
und -nehmer relativ frei gestaltbaren „Wertguthabenvereinbarung“ zum
Zwecke der Ermöglichung längerfristiger Freistellungen; Kontenführung in
Geld (außer bei Abschluss vor 01.01.2009)
• Einbringungsmöglichkeiten: Entgeltbestandteile (z.B. aus laufendem
Gehalt, Weihnachts- und Urlaubsgeld, Überstundenvergütungen,
Boni/Prämien (bis zu einem festgelegten Limit) und Zeit (z. B. Überstunden
und nicht genommene Urlaubstage)
• Verwendungsmöglichkeiten: Steigerung der kurzfristigen betrieblichen
Flexibilität ausdrücklich ausgeschlossen; neben Pflege und Kinderbetreuung
sowie Qualifizierung sieht §7c Abs. 2 SGB IV ausdrücklich den Zweck der
Freistellung oder Arbeitszeitverkürzung unmittelbar vor Eintritt in eine
Altersrente vor.
• Ankündigungsfristen und Modalitäten der Entnahme (wie Mindest- und
Höchstdauern) meist Gegenstand von Betriebsvereinbarungen
Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Renteneintritts:
c) Zeitwertkonten
• Übertragbarkeit des Wertguthabens bei Arbeitgeberwechsel nach
§ 7f. SGB III entweder auf den neuen Arbeitgeber (vorausgesetzt dieser ist
zum Abschluss einer Wertguthabenvereinbarung bereit) oder auf die
Deutsche Rentenversicherung Bund (vorausgesetzt das Wertguthaben
übersteigt das Sechsfache der monatlichen Bezugsgröße, also 13.440 €
[Ost] bzw. 15.750 € [West]). Ist eine Übertragung nicht möglich, tritt der
Störfall ein (steuerpflichtige Auszahlung des Guthabens in einer Summe).
• Insolvenzschutz (nach §7e SGB IV): sanktionsbewehrte Pflicht des
Arbeitgebers zur Übertragung des Bruttowerts des Wertguthabens unter
Ausschluss der Rückführung auf einen rechtlich selbstständigen Dritten, der
es in einem Treuhandverhältnis oder in vergleichbarer Weise führt
(Kontrolle durch die Deutsche Rentenversicherung im Rahmen der
Betriebsprüfung).
Erwerbstätigkeit in der Altersrente (Vollrente)
• vor Erreichen der Regelaltersgrenze
Zuverdienst bis zur Geringfügigkeitsgrenze anrechnungsfrei; bei
dauerhafter Überschreitung (mehr als zwei Mal im Jahr) Zurücksetzung auf
Teilrente bei Anwendung der dort geltenden Zuverdienstgrenzen. Bei Überschreiten des max. Zuverdienstes für eine 1/3-Rente entfällt die Rente.
zugleich Rentenabschläge in Höhe von 0,3% pro Monat des vorzeitigen
Bezugs, also z.B. bei 24 Monaten 7,2% (dauerhafter Einkommensverlust)
• nach Erreichen der Regelaltersgrenze
 keine Zuverdienstgrenzen
 Bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zahlt der Arbeitgeber
Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen in voller Höhe; der Arbeitnehmer
erwirbt aber keine Leistungsansprüche aus der Renten- und Arbeitslosenversicherung und ist auch von den Beiträgen hierzu befreit.
 Alle anderen Vertragsarten unterliegen den üblichen Normen; dies gilt auch
für die Befristung von Arbeitsverträgen.
Erwerbstätigkeit in der Altersrente (Vollrente):
Kriterien bei der Wahl der Vertragsart
• Werkvertrag
geeignet bei genau spezifizierbaren und zeitlich abgrenzbaren Leistungen
• Dienstvertrag
kommt eher bei Beratungs-/Unterstützungsleistungen mit nicht im Voraus
definierbaren Ergebnissen in Frage
• Geringfügige Beschäftigung:
Passende Form bei Geltung von Zuverdienstgrenzen
gegenüber sozialversicherungspflichtige Beschäftigung kein Kostenvorteil
für Arbeitgeberseite, bei geringerer Flexibilität
• Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
 Im Vergleich zu den selbstständigen Vertragsformen teurer (bei den
direkten Arbeitskosten), aber besser geeignet bei hoher Integration in die
betrieblichen Abläufe (Vermeidung von Scheinselbstständigkeit) und wenn
eine Bindung der Arbeitskräfte angestrebt wird.
Fazit
Ist in den Jahren vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine Weiterarbeit
nur bei reduzierter Belastung möglich, kommen grundsätzlich (a) Altersteilzeit,
(b) normale Teilzeit, (c) Teilzeit aufgrund einer Wertguthabenvereinbarung und
(d) Teilzeit in Verbindung mit einer Teilrente und in Betracht.
Altersteilzeit ist für Arbeitnehmer finanziell am attraktivsten, bringt als
einziges der Modelle aber Kosten für den Arbeitgeber mit sich und lässt nur
begrenzten Spielraum für kurzfristig veränderte Bedarfe;
der einfache Wechsel in normale Teilzeit ist das flexibelste Modell, wird
aber für viele Arbeitnehmer finanziell nur in Grenzen verkraftbar sein;
Teilzeit wg. Entnahme aus einem Zeitwertkonto hält das Einkommen stabil,
muss aber sehr langfristig geplant werden und birgt – ebenso wie Altersteilzeit – bei Arbeitgeberwechseln Fallstricke in sich;
die Kombination von Teilzeit und Teilrente bringt aktuell nur wenig
Einkommensverlust mit sich, wirkt sich aber dauerhaft rentenmindernd aus
und ist wegen der starren Zuverdienstgrenzen relativ unflexibel.
Fazit
• Nach Erreichen der Regelaltersgrenze kann parallel zum
Rentenbezug unbegrenzt hinzuverdient werden. Arbeitgeber und
Arbeitnehmer sind also freier, passende Regelungen zu vereinbaren.
Außerdem ist auch ein Hinausschieben des Renteneintritts möglich.
Die Nutzung der Möglichkeiten für eine Verlängerung der Erwerbsphasen
kann dazu beitragen, das demografisch bedingt knapper werdende
Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen; eine vorausschauende
betriebliche Personalpolitik muss sich parallel dazu aber stets um den
Generationenaustausch bemühen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!