Artikel lesen - Jüdisches Museum Wien

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Wien Holding GmbH Pressespiegel
"Format" Nr. 11/2013 vom 15.03.2013 Seite: 84,85 Ressort: Kultur & Style Von: Michaela Knapp
Richtig meschugge
Von Georg Kreisler bis Sacha Baron Cohen - das jüdische Museum Wien beschäftigt sich mit
dem breiten Spektrum des jüdischen Humors von seinen Wurzeln bis zur Gegenwart.
Ich kann mein Programm ‚Jud süß sauer‘ nennen, aber sicher nicht ‚Ein Jude gibt Vollgas‘. Es gibt
Grenzen, die ich wahre“, erklärt Oliver Polak. Der 37-jährige deutsche Comedian ist Vertreter einer
neuen Komiker-Szene, die die Lebendigkeit der Tradition jüdischen Humors demonstriert. Mit
seinen unkonventionellen Auftritten hat er sich innerhalb kürzester Zeit eine Fangemeinde erobert.
Er spielt satirisch mit NS-Emblemen, thematisiert unverkrampft Antisemitismus oder plaudert über
seine Beschneidung. Aber darf man das? "Ich darf das, ich bin Jude“, kontert Polak und ergänzt:
"Je größer das Tabu, desto genialer muss der Witz sein. Der Gag muss stimmig sein, die Haltung
des Künstlers muss stimmen.“
Bis wohin sie gehen können und was zu weit ist, wissen auch der britische Komiker Sacha Baron
Cohen, der deutsche Regisseur Daniel Levy und die US-Sitcomstars Jerry Seinfeld und Larry
David. Sie alle nehmen ihr Publikum radikal in die Pflicht und demonstrieren, dass Lachen eine
subversive Kraft hat und Humor sich veränderten Lebensbedingungen anpasst.
Mit Chuzpe. Die lange Tradition des jüdische Humors steht auch im Zentrum der umfangreichen
Ausstellung "Alle meschugge?“ im Jüdischen Museum Wien. Marcus G. Patka und Alfred
Stalzer haben sie in eineinhalbjähriger Recherche und nach der Idee der Direktorin des Hauses
zusammengestellt. Ein herzhaftes Lachen wünscht Danielle Spera dabei ihren Besuchern, auch
wenn es, wie sie betont, in der Schau "nicht bloß um den Witz oder das Witzeerzählen geht: Es
steckt eine Lebenseinstellung dahinter. Mir war wichtig, zu zeigen, dass das Thema bei weitem
kein oberflächliches ist. Dass es weit in die jüdische Geistesgeschichte reicht, dass es sehr viel
mit der jüdischen Kultur, der jüdischen Religion und Tradition zu tun hat. Und: dass es nie Witze
des Witzes wegen sind, sondern dass sie immer mit einem Stück Weisheit enden. Manch kluger
Rabbiner beginnt seinen Vortrag humorig, um so die Aufmerksamkeit des Publikums zu wecken.“
"Alle meschugge?“ ist eine geistes- wie kulturgeschichtliche und sozialwissenschaftliche
Ausstellung, die das Thema aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachtet und von den
Wurzeln in Osteuropa bis ins Heute führt. Denn, so Spera, " es ist wichtig, zu zeigen, woher der
Humor kommt. Selbst im Angesicht der Shoah, oder gerade da, wurde der Humor vielen zum
letzten Rettungsanker im Kampf ums Überleben.“
Die Schau beschäftigt sich auch damit, wie sich Inhalte und Ausdrucksformen in den letzten
beiden Jahrhunderten verändert haben. Ausgehend vom jiddischen Witz und seiner Tradition über
das Kabarett und die Karikatur, präsentiert man auch alle Facetten der Unterhaltungsindustrie von
Varieté, Vaudeville, Wanderbühnen oder Operette bis hin zu Film und Fernsehen. Der jüdische
Witz und der jüdische Humor zeichnen sich auch dadurch aus, dass man sich über sich selbst
lustig macht. Das kann natürlich zu einer Gratwanderung werden, wie die Ausstellung anhand des
Beispiels der jüdischen Jargonbühnen in Berlin oder Budapest um 1900 zeigt: Hier präsentierten
Juden deftige Zoten, billige Witze und bedienten sich dabei zutiefst negativer Klischeebilder. Was,
wie Kurator Alfred Stalzer weiß, auch innerhalb der jüdischen Gemeinde für Kritik sorgte, denn:
"Der jüdische Witz kann derart leicht zum Judenwitz verkommen.“
Tucholsky & Torberg. "Alle meschugge?“ versucht das Thema zu fokussieren. Der Schwerpunkt
liegt auf Wien und Berlin, denn beide Metropolen waren vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts
ein Zentrum jüdischen Humors. Man denke an Namen wie Fritz Grünbaum, Kurt Tucholsky,
Hermann Leopoldi und Friedrich Hollaender. Ebenso wird thematisiert, wie in der Nachkriegszeit
die Shoah von jüdischen Künstlern humoristisch verarbeitet - oder auch verdrängt wurde. Dabei
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Wien Holding GmbH Pressespiegel
steht Österreich mit Karl Farkas, Friedrich Torberg, Gerhard Bronner und Georg Kreisler im
Mittelpunkt. In sieben inhaltlich gegliederten Räumen wird die NS-Zeit mit der Ermordung bzw.
Vertreibung vieler Exponenten jüdischen Humors ebenso thematisiert wie die Ausformungen
jüdischen Humors in Israel und den USA. Der Witz und Humor einer Minderheit drückt hier längst
das Lebensgefühl der Mehrheit aus. "Ein sehr hoher Prozentsatz an Stand-up-Comedians in New
York ist jüdischer Herkunft, ebenso verhält es sich im Hollywood-Film“, verweist Spera auf Mel
Brooks, Danny Kaye, Jerry Lewis, Bette Midler oder Woody Allen.
Im Jüdischen Museum wird die Humorgeschichte dem Publikum auch anhand herausragender
Szene-Persönlichkeiten nähergebracht. Neben Fotos, Karikaturen, Dokumenten und
Devotionalien kommen vor allem Film- und Hörbeispiele zum Einsatz. In Rahmenprogramm wird
eine Filmreihe Filme von Klassikern von Ernst Lubitsch bis zu brachialerem Stoff von Daniel Levy
zeigen, der die Ausstellung auch eröffnen wird. "Denn beim Humor“, so Spera, "hat jeder seine
eigenen Schmerzgrenzen. Mir ist Sacha Baron Cohen etwa in vielen Aspekten zu schräg, mein
17-jähriger Sohn liebt das.“
Ganz auf die neuen Medien konzentriert man sich in der Promotion der "angewandten
Ausstellung“, bei der via Facebook jeder seinen jüdischen Lieblingswitz posten kann. Jener der
Direktorin ist kurz und prägnant: Anruf bei der Mutter: "Hallo, Mama, wie geht’s dir?“ "Blendend!!“
"Oh, falsch verbunden.“
1. Dani Levy. Der Regisseur brach mit "Mein Führer“ Tabus.
2. Karl farkas (1893-1971)prägte das heimische Kabarett.
3. Oliver Polak. Der deutsche Comedian arbeitet brachial.
4. Sacha Baron Cohen. Der britische Komiker erregt Gemüter.
5. Georg Kreisler (1922-2011).Ein Stück Kulturgeschichte.
6. Comedian harmonists. Berliner Vokalensemble.
7. Meschugge ist Trumpf. Musikalischer Klamauk, 1925.
8. Marx Brothers. Virtuosen des Slapstick.
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Richtig
meschugge
Von Georg Kreisler bis Sacha Baron Cohen – das jüdische
Museum Wien beschäftigt sich mit dem breiten Spektrum
des jüdischen Humors von seinen Wurzeln bis zur Gegenwart.
Von Michaela Knapp
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1. DANI LEVY. Der Regisseur
brach mit „Mein Führer“ Tabus.
5. GEORG KREISLER (1922–2011).
Ein Stück Kulturgeschichte.
2. KARL FARKAS (1893–1971)
prägte das heimische Kabarett.
6. COMEDIAN HARMONISTS.
Berliner Vokalensemble.
3. OLIVER POLAK. Der deutsche
Comedian arbeitet brachial.
7. MESCHUGGE IST TRUMPF.
Musikalischer Klamauk, 1925.
4. SACHA BARON COHEN. Der
britische Komiker erregt Gemüter.
8. MARX BROTHERS.
Virtuosen des Slapstick.
FORMAT 11.2013
KULTUR & STYLE
Ausstellung
FOTOS: ECKI FRIZ, US-INFORMATION SERVICE, CINETEXT, DEUTSCHES KABARETTARCHIV (2), JÜDISCHES MUSEUM WIEN, DEUTSCHES FILMINSTITUT, BEIGESTELLT, JOSEF POLLEROSS
Mit Chuzpe. Die lange Tradition des jüdische Humors steht auch im Zentrum der umfangreichen
Ausstellung „Alle meschugge?“ im Jüdischen Museum Wien. Marcus G. Patka und Alfred Stalzer
haben sie in eineinhalbjähriger Recherche und
nach der Idee der Direktorin des Hauses zusammengestellt. Ein herzhaftes Lachen wünscht Danielle Spera dabei ihren Besuchern, auch wenn es,
wie sie betont, in der Schau „nicht bloß um den
Witz oder das Witzeerzählen geht: Es steckt eine
Lebenseinstellung dahinter. Mir war wichtig, zu
zeigen, dass das Thema bei weitem kein oberflächliches ist. Dass es weit in die jüdische Geistesgeschichte reicht, dass es sehr viel mit der
jüdischen Kultur, der jüdischen Religion und
Tradition zu tun hat. Und: dass es nie Witze des
Witzes wegen sind, sondern dass sie immer mit
einem Stück Weisheit enden. Manch kluger Rabbiner beginnt seinen Vortrag humorig, um so die
Aufmerksamkeit des Publikums zu wecken.“
„Alle meschugge?“ ist eine geistes- wie kulturgeschichtliche und sozialwissenschaftliche Ausstellung, die das Thema aus den verschiedensten
Blickwinkeln betrachtet und von den Wurzeln in
Osteuropa bis ins Heute führt. Denn, so Spera, „ es
ist wichtig, zu zeigen, woher der Humor kommt.
Selbst im Angesicht der Shoah, oder gerade da,
wurde der Humor vielen zum letzten Rettungsanker im Kampf ums Überleben.“
Die Schau beschäftigt sich auch damit, wie
sich Inhalte und Ausdrucksformen in den letzten
beiden Jahrhunderten verändert haben. Ausgehend vom jiddischen Witz und seiner Tradition
über das Kabarett und die Karikatur, präsentiert
man auch alle Facetten der UnterhaltungsindusFORMAT 11.2013
JÜDISCHES MUSEUM
Alle
meschugge?
Die Ausstellung beschäftigt sich mit dem breiten
Spektrum des jüdischem
Humors von seinen
Wurzeln in Osteuropa
bis zur Gegenwart und
präsentiert, in spannender Ausstellungsarchitektur, Dokumente wie
Devotionalien.
Eröffnet wird prominent
und in zwei Tranchen:
am 18. 3. mit Ehrengast
Rafi Kishon (18.30 Uhr),
am 19.3. mit einer Festrede des Regisseurs Dani
Levy (18.30 Uhr).
„Humor ist ein
wesentlicher
Bestandteil
des jüdischen
Lebens.“
Danielle Spera
Jüdisches Museum Wien
trie von Varieté, Vaudeville, Wanderbühnen oder
Operette bis hin zu Film und Fernsehen. Der jüdische Witz und der jüdische Humor zeichnen
sich auch dadurch aus, dass man sich über sich
selbst lustig macht. Das kann natürlich zu einer
Gratwanderung werden, wie die Ausstellung anhand des Beispiels der jüdischen Jargonbühnen
in Berlin oder Budapest um 1900 zeigt: Hier präsentierten Juden deftige Zoten, billige Witze und
bedienten sich dabei zutiefst negativer Klischeebilder. Was, wie Kurator Alfred Stalzer weiß, auch
innerhalb der jüdischen Gemeinde für Kritik
sorgte, denn: „Der jüdische Witz kann derart
leicht zum Judenwitz verkommen.“
Tucholsky & Torberg. „Alle meschugge?“ versucht
das Thema zu fokussieren. Der Schwerpunkt liegt
auf Wien und Berlin, denn beide Metropolen
waren vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts
ein Zentrum jüdischen Humors. Man denke an
Namen wie Fritz Grünbaum, Kurt Tucholsky,
Hermann Leopoldi und Friedrich Hollaender.
Ebenso wird thematisiert, wie in der Nachkriegszeit die Shoah von jüdischen Künstlern humoristisch verarbeitet – oder auch verdrängt wurde.
Dabei steht Österreich mit Karl Farkas, Friedrich
Torberg, Gerhard Bronner und Georg Kreisler im
Mittelpunkt. In sieben inhaltlich gegliederten
Räumen wird die NS-Zeit mit der Ermordung
bzw. Vertreibung vieler Exponenten jüdischen
Humors ebenso thematisiert wie die Ausformungen jüdischen Humors in Israel und den USA. Der
Witz und Humor einer Minderheit drückt hier
längst das Lebensgefühl der Mehrheit aus. „Ein
sehr hoher Prozentsatz an Stand-up-Comedians
in New York ist jüdischer Herkunft, ebenso verhält es sich im Hollywood-Film“, verweist Spera
auf Mel Brooks, Danny Kaye, Jerry Lewis, Bette
Midler oder Woody Allen.
Im Jüdischen Museum wird die Humorgeschichte dem Publikum auch anhand herausragender Szene-Persönlichkeiten nähergebracht.
Neben Fotos, Karikaturen, Dokumenten und
Devotionalien kommen vor allem Film- und
Hörbeispiele zum Einsatz. In Rahmenprogramm wird eine Filmreihe Filme von Klassikern von Ernst Lubitsch bis zu brachialerem
Stoff von Daniel Levy zeigen, der die Ausstellung auch eröffnen wird. „Denn beim Humor“, so
Spera, „hat jeder seine eigenen Schmerzgrenzen.
Mir ist Sacha Baron Cohen etwa in vielen Aspekten zu schräg, mein 17-jähriger Sohn liebt das.“
Ganz auf die neuen Medien konzentriert man
sich in der Promotion der „angewandten Ausstellung“, bei der via Facebook jeder seinen jüdischen
Lieblingswitz posten kann. Jener der Direktorin
ist kurz und prägnant: Anruf bei der Mutter: „Hallo,
Mama, wie geht’s dir?“ „Blendend!!“
„Oh, falsch verbunden.“
Z
I
ch kann mein Programm ‚Jud süß sauer‘ nennen, aber sicher nicht ‚Ein Jude gibt Vollgas‘.
Es gibt Grenzen, die ich wahre“, erklärt Oliver
Polak. Der 37-jährige deutsche Comedian ist Vertreter einer neuen Komiker-Szene, die die Lebendigkeit der Tradition jüdischen Humors demonstriert. Mit seinen unkonventionellen Auftritten
hat er sich innerhalb kürzester Zeit eine Fangemeinde erobert. Er spielt satirisch mit NS-Emblemen, thematisiert unverkrampft Antisemitismus oder plaudert über seine Beschneidung. Aber
darf man das? „Ich darf das, ich bin Jude“, kontert
Polak und ergänzt: „Je größer das Tabu, desto genialer muss der Witz sein. Der Gag muss stimmig
sein, die Haltung des Künstlers muss stimmen.“
Bis wohin sie gehen können und was zu weit
ist, wissen auch der britische Komiker Sacha
Baron Cohen, der deutsche Regisseur Daniel
Levy und die US-Sitcomstars Jerry Seinfeld
und Larry David. Sie alle nehmen ihr Publikum
radikal in die Pflicht und demonstrieren, dass
Lachen eine subversive Kraft hat und Humor
sich veränderten Lebensbedingungen anpasst.
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