X. Aufhebung von Verwaltungsakten durch die Verwaltung

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X. Aufhebung von Verwaltungsakten durch die Verwaltung
Übungen im Öffentlichen Recht für Anfänger I
(Verwaltungsrecht I)
Wiss. Ang. Wolfgang Kronthaler
WS 2006/2007
X. Aufhebung von Verwaltungsakten durch die Verwaltung,
Wiederaufnahme von Verwaltungsverfahren, §§ 48, 49 und 51 (L)VwVfG
1) Der Immobilienunternehmer Dr. Schneider möchte eines seiner schon lange renovierungsbedürftigen
Mietshäuser in großzügigere Appartements umbauen, wozu ihm allerdings derzeit die notwendigen
Geldmittel fehlen. Er hat jedoch erfahren, daß aufgrund des Wohnraumförderungsgesetzes eventuell
Zuschüsse zu erhalten seien. Nachdem S das Antragsformular ausgefüllt und eingereicht hat, erhält er von
der zuständigen Landesbehörde einen Bewilligungsbescheid. Daraufhin schließt er diverse Verträge mit
einzelnen Bauhandwerkern und bestellt auch schon Badezimmereinrichtungen. Vor Baubeginn erfährt die
Behörde, daß einige Angaben des S falsch waren und sein Vorhaben deshalb nach dem Gesetz nicht
förderungswürdig ist. Sie hebt daher den Bewilligungsbescheid auf.
a) S wendet zutreffend ein, daß er die Falschangaben nicht bewußt gemacht habe, ihm diese vielmehr
wegen des – tatsächlich – mißverständlichen Antragsformulars der Behörde unterlaufen seien. Der
Widerspruch des S wird indes zurückgewiesen.
b) S hat (im Gegensatz zu Variante a) die Falschangaben grob fahrlässig zu verantworten. Die Behörde
braucht für die Aufklärung des Geschehens jedoch eineinhalb Jahre seit Erlaß des
Bewilligungsbescheides und bemerkt die Auswirkungen der Falschangaben auf die
Förderungswürdigkeit erst weitere 15 Monate später. Weitere 9 Monate später entschließt sie sich zur
Aufhebung des Bescheides. S legt erfolglos Widerspruch ein.
Hat ein Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg?
2) Eigentümer E erhält eine rechtswidrige Baugenehmigung für die Errichtung einer Doppelgarage, auf deren
Rechtmäßigkeit er aber vertrauen durfte. Nachdem er verschiedenen Bauunternehmern Aufträge erteilt hat,
wird die Baugenehmigung ermessensfehlerfrei aufgehoben. E hält die Aufhebung für rechtswidrig und
verlangt deren Aufhebung. Hilfsweise verlangt er den Ersatz des Betrages, den er an die Bauunternehmer als
Schadensersatz leisten müßte; die Behörde lehnt dies jedoch ab.
Wären Klagen, gegliedert in Haupt- und einen Hilfsantrag, nach erfolglosem Vorverfahren begründet?
3) Das Haushaltsgesetz des Landes BW stellt unter einem bestimmten Titel Geldmittel für die Förderung
kleinerer Betriebe bereit. Für die Vergabe dieser Geldmittel bestehen als Verwaltungsvorschriften erlassene
Richtlinien. Unter die danach förderungswürdigen Betriebe fiel auch derjenige des Z, der deshalb monatlich
auszuzahlende Subventionen erhält. 6 Monate nach Förderungsbeginn verbessert sich die wirtschaftliche
Situation des Betriebes des Z jedoch, so daß die Förderungsvoraussetzungen nun nicht mehr gegeben sind.
Daraufhin teilt die Behörde dem Z die Einstellung der weiteren Geldzahlungen mit und begründet dies mit
ihrer Verpflichtung zu sparsamer Haushaltsführung.
Handelte die Behörde rechtmäßig?
4) R weigert sich, die enormen Freiburger Müllgebühren zu bezahlen, da das Müllaufkommen in seinem
Haushalt minimal sei. Im Hinblick auf das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, das die Müllvermeidung
zum obersten Grundsatz erkläre, meint er, die kommunalen Müllgebühren müßten so gestaffelt sein, daß
finanzielle Anreize für die Vermeidung von Müll gesetzt würden; das sei bei der Freiburger
Müllgebührensatzung nicht der Fall. Seine Auffassung wird vom VGH BW geteilt, der die Satzung am 15.
Dezember 2005 in einem Normenkontrollverfahren (§ 47 VwGO) für nichtig erklärt hat. Nun beantragt R bei
der Stadt Freiburg die Aufhebung des aufgrund der Müllgebührensatzung erlassenen Gebührenbescheids für
das Jahr 2003. Ihm wird zutreffend mitgeteilt, daß er gegen diesen nicht rechtzeitig Rechtsbehelfe erhoben
habe und dieser daher bestandskräftig geworden sei. Rechtssicherheit und Rechtsfrieden geböten daher, die
Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen.
Wäre ein gerichtliches Vorgehen des B nach erfolglosem Vorverfahren erfolgreich?
Literaturhinweise:
Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11
Richter/Schuppert/Bumke, Casebook Verwaltungsrecht, S. 181-211
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Lösungsskizzen:
Fall 1 (inkl. Fallvarianten):
A. Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage des S
I. Verwaltungsrechtsweg
§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO: Öffentlich-rechtliche Streitigkeit: §§ 48, 49 LVwVfG i.V.m. dem
WohnraumförderungsG als Sonderrecht der öffentlichen Hand; im übrigen unproblematisch.
II. Beteiligtenfähigkeit, § 61 VwGO: S bet.f. gem. § 61 Nr. 1, 1. Alt., das Land nach der 2. Alt.
III. Klageart
1.) Begehren des Klägers, § 88 VwGO
S erstrebt die Wiederherstellung des vor dem Aufhebungsbescheid bestehenden Zustandes, also
die Situation des bestehenden Bewilligungsbescheides. Mit dem Aufhebungsbescheid wurde
dieser Zustand beseitigt bzw. die vor dem Bewilligungsbescheid bestehende Lage
wiederhergestellt. Sein Begehren geht also dahin, daß der Aufhebungsbescheid beseitigt wird,
damit die mit dem Bewilligungsbescheid bestehende Situation wieder auflebe. S begehrt also die
gerichtliche Aufhebung des Aufhebungsbescheides und damit eines Verwaltungsakts.
2.) Statthafte Rechtsschutzform
Aufhebungsbescheid ist Verwaltungsakt; also Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO
IV. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO
Möglichkeit der Verletzung in dem durch den Bewilligungsbescheid (einem begünstigenden VA i.S.d.
§ 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG) begründeten subjektiven öffentlichen Recht auf Zahlung der Zuschüsse in
der durch den Bewilligungsbescheid bestimmten Höhe; im übrigen Adressatenformel.
V. Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO
Widerspruch des S wurde zurückgewiesen
VI. Klagefrist, § 74 Abs. 1 VwGO
Monatsfrist müßte eingehalten werden.
VII. Klagegegner, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO
Rechtsträgerprinzip, daher Land BW als Träger der Landesbehörde
B. Begründetheit
Wenn Aufhebungsbescheid rechtswidrig u. S dadurch in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO
I. Rechtmäßigkeit
Aufhebungsbescheid ist belastende Maßnahme, daher gilt Vorbehalt des Gesetzes uneingeschränkt;
also rechtmäßig, wenn Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes beachtet.
1.) Mögliche Ermächtigungsgrundlage: § 48 Abs. 1 S. 1 & 2, Abs. 2 S. 1 LVwVfG
2.) Formelle Rechtmäßigkeit
Sachliche Zuständigkeit: wegen Unanfechtbarkeit des Bescheids nur noch die Ausgangsbehörde
(vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 275).
Örtliche Zuständigkeit: § 48 Abs. 5 i.V.m. § 3 LVwVfG; hier keine Angaben im SV.
3.) Materielle Rechtmäßigkeit
Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 S. 1 & 2, Abs. 2 S. 1 LVwVfG?
a) Tatbestand
(1) AusgangsVA rechtswidrig? (Abgrenzung § 48/§ 49 LVwVfG). Hier S nach
WohnraumförderungsG nicht förderungswürdig, damit Verstoß gegen dieses. Also
rechtswidrig.
(2) AusgangsVA begünstigend? (Anwendbarkeit auch von § 48 Abs. 1 S. 2 ff. gegenüber
einer Anwendung allein von § 48 Abs. 1 S. 1 LVwVfG)
hier: Zuschußgewährung begünstigender VA i.S.d. Legaldefinition in § 48 Abs. 1 S. 2
LVwVfG
(3) AusgangsVA Geldleistungs- oder teilbarer Sachleistungsbescheid (Abgrenzung Abs. 2
gegenüber Abs. 3). Hier: finanzieller Zuschuß als Geldleistungsbescheid
(4) Vertrauen? (+)
(5) Schutzwürdigkeit
(a) § 48 Abs. 2 S. 2 LVwVfG: S traf entsprechende Vermögensdispositionen; → (+)
(b) Ausschluß des Vertrauensschutzes nach Abs. 2 S. 3?
→ Variante a): § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2
i Falschangaben des S im Antrag; Verschulden für Nr. 2 nicht erforderlich
(Wortlaut)
i aber teleologische Reduktion für den Fall, daß die Verantwortung für die
Falschangaben bei der Behörde liegt?
Hier: Behörde hat mißverständliches Antragsformular zu verantworten
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Nach e. A. keine teleologische Reduktion, Vertrauensschutz entfiele also bei
falschen Angaben, selbst wenn die Behörde eine Mitverantwortung dafür
trüge. Allerdings könnte ggf. der Einwand unzulässiger Rechtsausübung
entsprechend dem auch im öffentlichen Recht Anwendung findenden
Gedanken des § 242 BGB erhoben werden (m. E. am besten im Rahmen des
Rücknahmeermessens der Behörde zu erörtern).
Nach a.A. teleologische Reduktion vorzunehmen, also Vertrauensschutz
trotz falscher Angaben bei Mitverantwortung der Behörde (wohl nur
konstruktive Unterschiede, praktisch kaum Divergenzen im Ergebnis.).
Näher Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 162.
Folgt man dem Ansatz der a.A.: Vertrauensschutz des S, § 48 Abs. 2 S. 1 u.
2 LVwVfG, daher Verbot der Rücknahme.
→ Rücknahme ist materiell rechtswidrig;
II. Rechtsverletzung: Verletzung des R in seinem subjektiven öffentlichen Recht aus
Bewilligungsbescheid (vgl. § 48 Abs. 1 S. 2 LVwVfG)
→ Variante b)
a) Ausschluß des Vertrauensschutzes nach Nr. 2 u. Nr. 3 (aber nicht Nr. 1)
b) Rechtsfolge: Ermessen, § 48 Abs. 1 S. 2 LVwVfG. Dabei folgende Ermessensentscheidungen
zu treffen: Entscheidung, ob zurückgenommen wird (Entschließungsermessen) sowie Umfang
der Rücknahme in zeitlicher Hinsicht (für die Zukunft, auch für Vergangenheit?) wie auch in
inhaltlicher Hinsicht (ganz oder teilweise?) im Ermessen der Behörde (Auswahlermessen); zu
beachten hier allerdings sog. intendiertes Ermessen.
(1) Ermessensfehler (§ 114 VwGO) insgesamt nicht ersichtlich
(2) Zeitliche Grenze der Rücknahme: Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 LVwVfG
Problem: Fristbeginn mit Erlaß des Bewilligungsbescheids, erst nach voller tatsächlicher
Sachaufklärung oder gar erst nach voller Sach- und Rechtskenntnis? BVerwG: erst bei
voller Kenntnis der Sach- und Rechtslage (keine Ermittlungs- oder Bearbeitungs-,
sondern eine reine (Ermessens-)Entscheidungsfrist). Sehr str.! Vgl. Maurer, § 11 Rn. 35.
Hier insoweit nur 9 Monate benötigt, also Jahresfrist gewahrt.
→ Rücknahme ist daher rechtmäßig
Ergebnis: Klage hat a) Aussicht auf Erfolg, b) keine Aussicht auf Erfolg.
Fall 2:
A.
Begründetheit des Hauptantrages (Anfechtungsklage gegen Aufhebung)
Wenn Aufhebungsbescheid rechtswidrig u. A dadurch in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO
I. Rechtmäßigkeit
Aufhebungsbescheid ist belastende Maßnahme, daher gilt Vorbehalt des Gesetzes uneingeschränkt;
also rechtmäßig, wenn Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes beachtet.
1.) Mögliche Ermächtigungsgrundlage hier § 48 Abs. 1 S. l u. 2 (Abs. 3) LVwVfG
2.) Formelle Rechtmäßigkeit: keine Angaben im SV, daher zu unterstellen
3.) Materielle Rechtmäßigkeit
Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 S. 1 u. 2 (Abs. 3) LVwVfG
a) Tatbestand:
(1) AusgangsVA rechtswidrig? (Abgrenzung § 48 gegenüber § 49 LVwVfG) hier:
rechtswidrige Baugenehmigung
(2) AusgangsVA begünstigend? (Anwendbarkeit auch von § 48 Abs. 1 S. 2 ff. gegenüber
einer Anwendung allein von § 48 Abs. 1 S. 1 LVwVfG); hier: Baugenehmigung als
begünstigender VA i.S.d. Legaldef. in § 48 Abs. 1 S. 2 LVwVfG
(3) AusgangsVA keine Geld- oder teilbare Sachleistung (Abgrenzung Abs. 3 ggü. Abs. 2);
hier: Baugenehmigung als sonstige Leistung; daher gelten die besonderen
Einschränkungen nach Abs. 2 nicht; Vertrauensschutz damit nicht als
Rücknahmeausschlußgrund, sondern lediglich als Grund für eventuell zu gewährende
Entschädigung (zentraler Unterschied zwischen Abs. 2 und Abs. 3: nicht primär
Bestands-, sondern Vermögensschutz).
b) Rechtsfolge: Ermessen (§ 48 Abs. 1 S. 2 LVwVfG, i. e. siehe oben)
(1) Ermessensfehler (§ 114 VwGO) sind nicht gegeben (→ Sachverhalt).
(2) Pflicht, im Fall der Rücknahme eine Entschädigung von Amts wegen zuzusprechen, und,
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da nicht erfolgt, Rücknahmebescheid rechtswidrig? Entschädigung muß, sofern
überhaupt Vertrauensschutz besteht, nicht von Amts wegen direkt im
Rücknahmebescheid zugesprochen worden, sondern erst (i.d.R. nachträglich) auf Antrag
(Wortlaut § 48 Abs. 3 S. 1 LVwVfG) mit eigenständigem Verwaltungsakt, der freilich
auch mit dem Rücknahmebescheid verbunden werden kann.
II. Rechtsverletzung: Entfällt, da Rücknahmebescheid rechtmäßig.
Ergebnis: Hauptantrag unbegründet
B.
Begründetheit des Hilfsantrags (Verpflichtungsklage auf Festsetzung des entsprechenden Schadensersatzes,
§ 48 Abs. 3 S. 4 VwVfG)
Wenn Ablehnung des geforderten Schadensersatzes rechtswidrig und A dadurch in seinen Rechten verletzt
ist, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Dies ist der Fall, wenn A einen Anspruch auf den Schadensersatz hat. Sollte
ein solcher nicht bestehen, käme gegebenenfalls ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung
über den (umzudeutenden) Antrag auf Geldausgleich und also ein Bescheidungsurteil i.S.v. § 113 Abs. 5 S.
2 VwGO in Betracht.
I. „Voller“ Anspruch des A
1.) Mögliche Anspruchsgrundlage: § 48 Abs. 3 S. 1 LVwVfG. § 48 Abs. 3 anwendbar (bereits hier
anzusprechen, da formelle Anspruchsvoraussetzungen aus dieser Norm).
2.) Formelle Anspruchsvoraussetzungen
a) Antrag: gegeben laut Sachverhalt
b) Frist: Jahresfrist für Antrag nach Abs. 3 S. 5 (!); keine Angaben im SV
3.) Materielle Anspruchsvoraussetzungen
a) Tatbestand:
(1) Rechtswidriger VA, der nicht unter Abs. 2 fällt, wurde zurückgenommen
(2) Vertrauen auf Bestand des VA (+)
(3) Ausschluß des Vertrauensschutzes nach Abs. 3 S. 2 i.V.m. Abs. 2 S. 3, also
Schutzunwürdigkeit des Vertrauens? (–)
b) Rechtsfolge: „hat“ → kein Ermessen bzgl. des Ob, ebensowenig hinsichtlich des Wieviel:
Ausgleich des Vermögensnachteils, also negatives Interesse (entspr. § 122 BGB), begrenzt
durch positives Interesse, § 48 Abs. 3 S. 3 LVwVfG.
II. Spruchreife?
Frage: Kann das Gericht die Entscheidung über die Höhe des Ausgleichs selbst treffen oder besteht
hier noch Entscheidungsspielraum? Siehe I.3.b): Höhe steht fest, kann Gericht also selbst festlegen.
Ergebnis: Der Hilfsantrag ist begründet. Das Gericht wird die hilfsweise beantragte Festsetzung aussprechen;
die Behörde wird dadurch verpflichtet, dem E den geforderten Schadensersatz zu zahlen.
Fall 3: Rechtmäßigkeit des Bescheides über die Einstellung der Geldzahlungen
Bescheid über die Einstellung der Geldzahlungen ist belastende Maßnahme, daher gilt Vorbehalt des Gesetzes
uneingeschränkt; also rechtmäßig, wenn Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes beachtet.
I. Mögliche Ermächtigungsgrundlage hier § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG
II. Formelle Rechtmäßigkeit: keine Angaben im SV, daher zu unterstellen
III. Materielle Rechtmäßigkeit
Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG:
1.) Tatbestand
a) Rechtmäßiger oder rechtswidriger AusgangsVA (Abgrenzung § 49 zu § 48 LVwVfG; kann auch
bereits unter I. erörtert werden, was insbesondere zu empfehlen ist, wenn die formelle
Rechtmäßigkeit problematisch zu sein scheint.)
Problem: Bestand eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für Subventionsbewilligung? Sonst
wäre Subventionierung rw.
Reichweite des Vorbehalts des Gesetzes für derartige Begünstigungen – allg. im Bereich der
Leistungsverwaltung – umstr.:
(1) MM.: Da Subventionierung eines Bürgers vor allem für nicht subventionierte Dritte
grundrechtswesentlich (Art. 12 Abs. 1 GG), ist ein gegenüber dem Bürger Rechtswirkungen
entfaltendes Parlamentsgesetz erforderlich
hier: Haushaltsgesetz besitzt nur interne Wirkung, d.h. bindet nur staatliche Behörden,
entfaltet aber keine Außenwirkung gegenüber den Bürgern (in alter Terminologie ein Gesetz
nur im formellen, nicht aber im materiellen Sinne); im übrigen regelt das Haushaltsgesetz
nur die Bereitstellung der finanziellen Mittel, nicht die Vergabebedingungen → würde also
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nicht ausreichen, um dem Vorbehalt des Gesetzes zu genügen.
(2) h.M.: Da kein klassischer Eingriff, sondern in erster Linie eine Begünstigung vorliegt, reicht
das Haushaltsgesetz i.V.m. Vergaberichtlinien (Verwaltungsvorschriften) aus. (Anderer
Erklärungsansatz: Vorbehalt des Gesetzes gilt, aber nicht in gleicher Intensität wie im
Bereich der Eingriffsverwaltung, Haushaltsgesetz mit Bereitstellung der Mittel und
konkretisierende Vergaberichtlinien reichen aus, um den geminderten Anforderungen zu
genügen)
→ nach h.M. also kein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes; Subventionierung also
ursprünglich rechtmäßig
b) Weitere Tatbestandsvoraussetzungen des § 49 Abs. 3 LVwVfG
(1) AusgangsVA begünstigend? (Abgrenzung § 49 Abs. 2 u. 3 von Abs. 1 LVwVfG) hier:
Subventionierung begünstigender VA i.S.d. Legaldefinition des § 48 Abs. 1 S. 2 LVwVfG
(2) § 49 Abs. 2 LVwVfG neben Abs. 3 anwendbar (Sachs, a.a.O., § 49 Rn. 108).
(3) Voraussetzungen des Widerrufsgrundes des § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG
(a) Wegfall der Förderungsvoraussetzungen durch Veränderung der wirtschaftlichen
Situation des Betriebs als nachträglich eingetretene Tatsache
(b) Fiskalisches Interesse als hinreichendes öff. Interesse i.S.d. Nr. 3?
(i) einerseits ist ein Interesse an sparsamer Haushaltsführung schon verfassungsrechtlich immer gegeben und damit normalerweise kein besonderer Widerrufsgrund
(ii) andererseits: anders u.U. in Zeiten besonders angespannter öff. Haushalte (mit
guter Argumentation alles vertr.)
2.) Rechtsfolge: „kann“ → Ermessen; Rechtsfehler nicht ersichtlich.
Ergebnis: Behörde handelte rechtmäßig.
Fall 4: Begründetheit eines zulässigen gerichtlichen Rechtsbehelfs
Erörtert werden im folgenden nur die problematischen Punkte
A.
Zulässigkeit
I. Klageart
1.) Begehren des Klägers, § 88 VwGO
R begehrt die Aufhebung des Müllgebührenbescheids, also eines ihn belastenden VAs.
Angesichts des Ablaufs jeglicher Rechtsbehelfsfristen Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1
VwGO) aber ausgeschlossen.
Aber: Behördliches Wiederaufgreifen des Verfahrens denkbar. Als Möglichkeiten, dies zu
erreichen, kommt sowohl der Weg über § 51 Abs. 1 LVwVfG wie auch der Weg über § 51 Abs.
5, §§ 48 Abs. 1 S. 1 bzw. 49 Abs. 1 LVwVfG in Betracht.
P. Kann das Gericht die Behörde nur zum Wiederaufgreifen des Verfahrens verpflichten (womit
die Frage nach der Rechtsnatur der behördlichen Entscheidung über ein Wiederaufgreifen
aufträte) oder gleich zur Sache entscheiden?
Ersteres legt Wortlaut von § 51 VwVfG nahe, wonach erneute Sachentscheidung bei
Wiederaufgreifen durch wiederaufgreifende Behörde zu treffen, letzteres bevorzugt BVerwG
unter Hinweis auf prozeßökonomische Erwägungen jedenfalls bei Bezug auf gebundene VA (hier
Müllgebührenbescheid). Hier wird Ansicht des BVerwG gefolgt, so daß R direkt erneute
Sachentscheidung begehren kann, die – als Entscheidung über die Aufhebung bzw.
Nichtaufhebung eines VA – unproblematisch VA-Charakter hat.
2.) Statthafte Rechtsschutzform
Statthafte Rechtsschutzform für das Begehren des Erlasses eines VA ist Verpflichtungsklage nach
§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO
II. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO
Konkrete Möglichkeit eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen aus den genannten Normen und erneute
Entscheidung in der Sache nicht ausgeschlossen, daher Möglichkeit der Rechtsverletzung durch
behördliche Ablehnung des Wiederaufgreifens und einer erneuten (nicht zwingend positiven)
Sachentscheidung, also klagebefugt.
III. Klagegegner, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, Rechtsträgerprinzip, daher Stadt Freiburg.
B.
Begründetheit der Klage
Wenn Ablehnung der Wiederaufnahme rechtswidrig und R in seinen subjektiven öffentlichen Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Das ist der Fall, wenn Anspruch auf Wiederaufnahme und erneute Entscheidung in der Sache. Sollte kein voller Anspruch bestehen, möglicherweise Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung, so daß Bescheidungsurteil ergehen würde (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).
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I.
„Voller“ Anspruch auf Wiederaufnahme und erneute Entscheidung in der Sache
→ Anspruch auf Wiederaufnahme nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG
a) Anspruchsgrundlage: § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG
b) Formelle Anspruchsvoraussetzungen
(1) Zuständigkeit der Stadt Freiburg?
→ § 51 Abs. 4 VwVfG → § 3 Abs. 1 Ziff. 3a) VwVfG (+)
(2) Verfahren: Zulässiger Antrag?
Antrag des R auf Wiederaufnahme laut Sachverhalt gegeben; fraglich, ob zulässig i.S.v.
§ 51 Abs. 2 VwVfG? Sicherlich kein „grobes Verschulden“ i.S.d. Norm.
(3) Frist, § 51 Abs. 3 VwVfG? 15. Dezember 2005 bis heute; also beachtet.
c) Materielle Anspruchsvoraussetzungen
Tatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG: „Änderung der dem Verwaltungsakt
(=Müllgebührenbescheid) zugrundeliegenden Sach- oder Rechtslage“.
→ Nachträgliche Änderung der Rechtslage durch gerichtliche Nichtigerklärung der
Freiburger Müllgebührensatzung? Vgl. § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO: Allgemeine
Verbindlichkeit der Nichtigerklärung, allgemeine Gültigkeit würde also bestehen.
Aber: Änderung? Trotz des mißverständlichen Wortlauts wird die Nichtigkeit der Norm
(hier der Müllgebührensatzung) – wie üblich bei gegen höherrangiges Recht
verstoßenden Normen – nur deklaratorisch festgestellt, nicht konstitutiv erklärt. Die
Rechtslage war daher tatsächlich vor und nach der gerichtlichen Entscheidung dieselbe,
nur wurde noch von der Wirksamkeit einer tatsächlich nichtigen Norm ausgegangen.
Also keine Änderung der allgemein gültigen Rechtslage, § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG
scheidet also als Grundlage eines Anspruchs auf Wiederaufnahme aus.
Die übrigen in § 51 Abs. 1 VwVfG genannten Möglichkeiten sind offensichtlich nicht gegeben.
Obwohl der Müllgebührenbescheid also mangels einer Rechtsgrundlage offenkundig rechtswidrig
ist, gibt es dennoch keinen positiv normierten Wiederaufgreifensanspruch, der einen Weg zur
Beseitigung der bestehenden Bestandskraft bilden könnte. Damit besteht über diesen Weg auch
kein Anspruch auf erneute Entscheidung in der Sache.
II.
Anspruch auf Rücknahme nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG?
Nach § 51 Abs. 5 VwVfG bleibt auch § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG unberührt. Danach kann auch ein
rechtswidriger Verwaltungsakt ganz mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen und also
aufgehoben werden. Das insoweit bestehende Ermessen dient auch den Interessen des Bürgers, von
einer rechtswidrigen Belastung, die mit Rechtsmitteln nicht mehr beseitigt werden kann, dennoch
entbunden zu werden.
Ein Anspruch auf Rücknahme bestünde allerdings nur, wenn das behördlicherseits bestehende
Ermessen zugunsten einer Rücknahme reduziert worden wäre, also jede andere Entscheidung als eine
Rücknahme ermessensfehlerhaft wäre. Angesichts der für die Bestandskraft sprechenden
Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens spricht indes nichts für eine solche
Ermessensreduzierung. Daher auch kein Anspruch auf Rücknahme nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG.
Beachte: Dieser Anspruch ist von dem unter I. geprüften strikt zu unterscheiden: Während es
dort um die Frage eines Anspruchs auf eine neue - nicht unbedingt positive - behördliche
Entscheidung in der Sache ging, geht es hier nur darum, ob gerade die mit dem Erlaß des
Müllgebührenbescheids bereits getroffene Entscheidung stehen bleiben soll. Auch wenn beide zum
selben Ergebnis hätten führen können, ist der Unterschied zwischen ihnen nicht zu übersehen!
III. Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Rücknahmeantrag nach § 48 Abs. 1 S. 1
VwVfG?
Wie bereits ausgeführt, dient das nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG eingeräumte Ermessen auch den Interessen des Bürgers, hier also des R. Demzufolge hat er auch einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung darüber, ob die mit dem Müllgebührenbescheid getroffene Entscheidung
aufrecht erhalten bleiben soll. Angesichts mangelnder Spruchreife würde das Gericht daher ein
Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) treffen, wenn dieser Anspruch noch nicht erfüllt
worden wäre. Anhaltspunkte für Ermessensfehler der Stadt Freiburg bei der Entscheidung über das auf
die Aufhebung des Müllgebührenbescheides gerichtete Begehren des B sind indes nicht ersichtlich.
Der Anspruch wurde daher behördlicherseits bereits erfüllt.
Auch insoweit besteht daher kein weiterer Anspruch mehr.
Ergebnis: Klage mangels Anspruchs unbegründet und also ohne Aussicht auf Erfolg.
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